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Luftwaffenhelfer im Einsatz Oberschüler während der anglo-amerikanischen Luftoffensiven im Großraum Aachen | APuZ 45/1976 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 45/1976 Vom Kaiserhoch zur Austreibung Aus den Aufzeichnungen eines jüdischen Rechtsanwalts 1933— 1939 Luftwaffenhelfer im Einsatz Oberschüler während der anglo-amerikanischen Luftoffensiven im Großraum Aachen

Luftwaffenhelfer im Einsatz Oberschüler während der anglo-amerikanischen Luftoffensiven im Großraum Aachen

Paul Emunds

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Zusammenfassung

Die Untersuchung stellt Ergebnisse des Geschichtsunterrichts in einer Obersekunda des Kaiser-Karls-Gymnasiums in Aachen vor. Im Herbst 1974 wurden zahlreiche Interviews mit früheren Flakhelfern, deren Eltern, Lehrern und militärischen Vorgesetzten durchgeführt zusammen mit einer Sichtung von Tagebüchern und Akten. Der von Goebbels beschworene „totale Krieg" sollte es u. a. rechtfertigen, Fünfzehnjährige an Flakkanonen zu stellen, um der alliierten Bomberoffensive Herr zu werden und Flaksoldaten für die Ostfront freizustellen. Zur Beruhigung der Eltern sollte der Schulunterricht in den Batterien weitergeführt werden. Zunächst herrschte Begeisterung bei den Schülern, die stolz darauf waren, in einer Zeit zu den „Männern“ zu gehören, in der alle Männer „Soldaten" waren. Erste Enttäuschungen für die Schüler brachten die Disziplinierungsmethoden der Unteroffiziere, für die Eltern die Verlegung der Batterien an die Schwerpunkte des Luftkrieges. Es mehrten sich die Stimmen, die von der „Verwahrlosung" einer ganzen Generation sprachen, die den Einsatz „unverantwortlich", die Flakhelfer „geistige Kriegsbeschädigte" nannten. Aber alle Proteste waren vergebens, der verschärfte Bombenkrieg machte die Luftwaffenhelfer unentbehrlich. Es wurden nacheinander die Jahrgänge 1926, 1927 und 1928 einberufen. Nur der Jahrgang 1929 erhielt einen Aufschub: Als die Angehörigen des Jahrganges 1927 zum Reichsarbeitsdienst einberufen wurden, füllten Lehrlinge und Fachoberschüler in den Batterien die Lücken. Zu diesem Zeitpunkt standen die Aachener Batterien bereits im Kampf mit amerikanischen Panzern, Artillerie und MG-Schützen. Die Luftwaffenhelfer wurden nun ins „Reichsinnere" verlegt. Wenige Monate später aber hatten sie auch hier Gefechtsberührung mit Sherman-Panzern, russischen T 34 sowie Jagdbombern und erlebten den Masseneinsatz alliierter Bomber auf Düsseldorf, Duisburg, Essen und Hamburg, auf die Hydrierwerke bei Marl, auf Merseburg oder Stettin.

Dieser Studie liegen Ergebnisse des Geschichts-und Deutschunterrichts der O II ä des Kaiser-Karls-Gymnasiums in Aachen zugrunde. Die zur Dokumentation herangezogenen Tonband-ausschnitte beruhen auf Interviews und Informationen von ehemaligen Luftwaffenhelfern, ihren Eltern, Lehrern und militärischen Vorgesetzten aus Aachen, Alsdorf, Eschweiler, Herzogenrath, Stolberg, Jülich, Monschau und Heinsberg, aus Eupen, Malmedy und St. Vith. Ausgewertet wurden ferner Tagebücher und

1. Der „totale Krieg" beginnt

Jeder Krieg bürdet einem Volk schwere Last auf: zerstörte Städte, verwüstete Felder, Menschenopfer. Doch noch nie hatten sich krieg-führende Parteien die vollständige Ausschaltung des Gegners zum Ziel gesetzt wie im Zweiten Weltkrieg. Die dazu verwendete Kriegsmaschinerie setzte neue, verheerende Maßstäbe: Deutsche Luftangriffe auf Rotterdam, London und Coventry, die englische Reaktion des „aereal-bombing", des FlächenWurfes zur Zerstörung dichtbesiedelter Stadtkerne. Die Wehrmacht hatte sich in „Blitzkriegen” bis zum Kaukasus, zum Atlantik, zum Eismeer und vor die Tore Alexandrias durchgeschlagen. Jedoch der Jahreswechsel 1942/43 brachte die Wende: Die 6. Armee unter Generaloberst Paulus mußte bei Stalingrad kapitulieren. Die nationalsozialistische Führung wußte auch dieser schweren Niederlage etwas Positives abzuringen: Ihre Propaganda suchte die Katastrophe als Fanal zur Ausschöpfung aller Kraft-reserven zu nutzen. Höhepunkt war die Rede des Propagandaministers im Sportpalast am 18. Februar, die den „totalen Krieg" als kürzesten Weg zum „Endsieg" forderte.

Im Frühjahr des folgenden Jahres wirkt derselbe Mann eher hilflos, als er auf dem Dahle33

Briefe Beteiligter, Akten der Parteikanzlei, des Chefs der Sicherheitspolizei und des Reichserziehungsministeriums im Bundesarchiv Koblenz sowie Bestände der Schularchive, des Stadtarchivs und des Diözesanarchivs in Aachen. Besondere Anerkennung verdienen Schulleitung und Lehrerkollegium des Kaiser-Karls-Gymnasiums, die der Klasse im Oktober 1974 eine Studienwoche zugestanden, um die Erschließung mündlicher und schriftlicher Quellen zu ermöglichen.

I. Jetzt holen sie schon die Kinder ... .

mer Waldfriedhof stumm Eiserne Kreuze an die Särge gefallener Luftwaffenhelfer heftet und dabei andeutet, die Schülersoldaten hätten als Besatzungen der Flak-und Scheinwerferbatterien die Hauptlast der „Schlacht um Berlin” tragen müssen. In Berlin starben die ersten Luftwaffenhelfer: Zwei Wochen nach ihrer Einberufung fielen sechs Schüler der Schadow-Schule am 6. März 1943 in der Batterie Lichter-felde. „Totaler Krieg", das bedeutete: Erfassung aller im Dienste des Krieges, auch der Kinder, „die das 15. Lebensjahr vollendet hatten” — so eine Verordnung vom 26. Januar 1943 (Rdl. vom 25. 1. 1943 I Rev 6060/43-268 LW). Es werden seit Anfang 1943 also die Sekundaner der Jahrgänge 1926 und 1927 aus den Klassen 6 und 7 als Luftwaffenhelfer eingezogen. Der Dienst an der Waffe kam für die damalige Jugend nicht unvorbereitet. Ihre Erziehung lag seit 1936 vorwiegend in den Händen des Staates bzw. in der Zuständigkeit der Hitlerjugend, Es waren immer „weltanschauliche" Themen, die auf den „Heimabenden" behandelt wurden, und der schulfreie Samstag als Staatsjugendtag diente der vormilitärischen Ausbildung. Hitler meinte zur Jugenderziehung: „In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird . . . Eine gewaltsame, herrische, grausame Jugend will ich . . . Ich will keine intellektuelle Erziehung .. . Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen. Das ist die Stufe der heroischen Jugend" (zitiert nach W. Hofer, Der Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1957, S. 88).

Die Einstellung eines Großteils ihrer Kameraden kennzeichnen frühere Luftwaffenhelfer so: „Natürlich hatten wir keine auf Erfahrung basierenden Vorstellungen von demokratisch-parlamentarischen Staatsformen. Doch der Widerstand weiter Kreise war einfach vom Geistig-Kulturellen her motiviert. Uns leuchtete schon als Fünfzehnjährigen (zumindest in vielen Fällen) ein, wie primitiv und barbarisch die Nazis waren und wie windschief ihre . Weltanschauung'... Ich erinnere mich übrigens noch gut, daß ich schon in der Luftwaffenhelfer-Zeit . . . einem verbotenen Zirkel angehört habe, daß wir regelmäßig unter der Hand gehandeltes Schriftgut (Reinhold Schneider u. a.) lasen und diskutierten. . . Von unseren Lehrern war N. N. bis zuletzt fanatischer Anhänger der . Bewegung', doch ausgesprochen harmlos; man konnte ohne Scheu stets auch kontrovers mit ihm diskutieren. . (Luftwaffenhelfer 4/514, Jhg. 1926, Redakteur).

„Zum Nationalsozialismus stand ich vom Elternhaus her schon in einer . Antistellung'. Das ist nicht mein Verdienst, sondern das kam daher, daß mein Vater bereits 1937 als höherer städtischer Beamter von den Nazis wegen seiner Einstellung entlassen worden war. Wir unterschieden scharf zwischen , Nazis'und . Anständigen', und die Wehrmacht'galt allgemein als . anständig'. . . Mit dem Nationalsozialismus hatte man als Luftwaffenhelfer nichts mehr zu tun, abgesehen von den propagandistischen Einwirkungen durch den Batteriechef bei den wenigen Vorträgen zur , wehrpolitischen Lage', die üblich waren" (Luftwaffenhelfer 2/514, Jhg. 1926, Oberkreisdirektor).

„Wir hatten bei uns in der Klasse auch einige Widerständler', die durch ihre Eltern direkt zur Opposition angehalten worden sind. Einer oder zwei haben sogar , Selbstverstümmelung'

begangen, nur um nicht für Hitler zu kämpfen.

Wir wußten fast alle davon, fanden das zwar seltsam, bewunderten aber den Mut. Die Mehrheit glaubte allerdings, man müsse Volk und Staat dienen und versuchen, erst einmal den Krieg zu gewinnen. Dann aber hoffte man auf die Wehrmacht', der die . Kartoffelkäfer'nicht über den Kopf wachsen würden" (Luftwaffen-helfet 4/514, Jhg. 1926, Architekt). Widerspruch bestimmte also durchaus die Haltung zahlreicher Jugendlicher, als man sie mit 15 Jahren an die Flakgeschütze schickte. Diesen Plan faßte Göring schon im September 1942, und die Reichsjugendführung war einverstanden, wenn die Aktion als Kriegseinsatz der Hitlerjugend ausgegeben würde. Doch vorher kam es auf höchster Ebene zu einem Kompetenzenstreit. Reichsminister a. D. Hjalmar Schacht schreibt Anfang Dezember 1942 an Göring:

„Sehr geehrter Herr Reichsmarschall!

Im Kanzleiwege kommt mir der Entwurf Ihrer Verordnung betr. Einziehung fünfzehnjähriger Schüler zum Kriegsdienst zur Kenntnis. . . Da ich nicht Mitglied des Reichsverteidigungsrates bin, habe ich auch an der Verabschiedung des Entwurfes nicht mitzuwirken. Obwohl ich mich also von jeder Verantwortung frei weiß, treibt mich doch mein Gewissen und der Wunsch, mich keines Versäumnisses schuldig zu machen, zu diesen Zeilen. . . Daß die Fünfzehnjährigen eingezogen werden, mag militärisch notwendig sein, wird aber für die Siegeszuversicht der deutschen Bevölkerung zu einer schweren Belastung. . ." (H. Schacht, 76 Jahre meines Lebens, München 1953, S. 527).

Der Chef der Reichskanzlei teilte dem ehemaligen Finanzminister lakonisch mit: „Der Führer hat sich mit Rücksicht auf Ihre Gesamthaltung im gegenwärtigen Schicksalskampf der deutschen Nation entschlossen, Sie zunächst aus Ihrem Amt als Reichsminister zu verabschieden. . (a. a. O., S. 529). Gleichzeitig wurde Schacht von Göring wegen seines „defaitistischen, die Widerstandskraft des deutschen Volkes untergrabenden" Briefes aus dem Preußischen Staatsrat ausgeschlossen.

Aber auch Martin Bormann, Leiter der Partei-kanzlei, versucht den Plan des zweiten Mannes im Dritten Reich mit allen Mitteln zu vereiteln. Er läßt Göring am 21. Dezember 1942 wissen: „Dem mir zugeleiteten Entwurf über die Durchführung des Einsatzes der Jugend als Luftwaffenhelfer kann ich . . . nicht zustimmen. Auf unsere Feinde wie auf das neutrale Ausland wird eine überstürzte Einziehung von Jugendlichen wie ein Fanal wirken. Das Schlagwort der gegen uns gerichteten Propaganda wird lauten: 3 Deutschland sei am Ende seiner Kräfte angellangt und müsse als letzten Ausweg zur Re-Hkrutierung seiner Kinder schreiten. . (BA/TR 21/525 fol. 164). 1 Stalingrad aber ist Bormann einverstan-

I den, glaubt jedoch, solch einschneidende Maß-I nahmen müßten den Volksgenossen erst . „schmackhaft" gemacht werden. Er instruiert e seine „Amtsleiter": „Umfang und Bedeutung • dieses Einsatzes erfordern die Mitwirkung derPartei; ihre Aufgabe ist es vor allem, den El-

t(tern über die Notwendigkeit Aufklärung zu • geben. Zu diesem Zwecke werden von den verJ antwortlichen Leitern der Schulen im Einver-

: nehmen mit den Kreisleitern Elternversamm-I lungen einberufen. Im Mittelpunkt steht die I Rede des Hoheitsträgers, für dessen Gedan-I kengang der beiliegende Entwurf zu verwerten j ist." — Hier hieß es dann: „Das deutsche Volk [steht im größten Existenzkampf seiner Geschichte. . . Wenn der Krieg bisher siegreich I geführt werden konnte, verdanken wir es der (Einsicht und dem Genie unseres Führers. Nach-dem er zunächst versucht hat, die kriegerische zu vermeiden, hat er dann aber, als der Krieg uns von Judentum, Kommunismus und Plutokratie aufgezwungen worden war, immer die richtigen Mittel angewandt. . . Im Zuge dieser Notwendigkeiten I muß auch die Einziehung der Jugendlichen von I dem vollendeten 15. Lebensjahre an erfolgen, j Der Führer hält diesen Weg zur Stärkung unI serer Kampfkraft für nötig. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß wir, dem Führer blind veri trauen können. Es ist auch jetzt nötig, bei die-I ser Maßnahme dem Führer zu vertrauen. Ich (weiß, daß das ganze deutsche Volk immer zum ! Führer gestanden hat, wenn er es aufrief. Ich I weiß daher auch, daß jetzt alle Eltern die Notwendigkeit dieser Maßnahme einsehen und daß alle Jungen, die einen Gestellungsbefehl erhalten'haben, begeistert ihren Dienst antreten werden. Was wir tun, tun wir für Deutschland, was wir haben, geben wir und setzen wir für Deutschland ein. Der Führer führt uns, wir glauben an ihn, wir glauben an seinen Sieg und deshalb werden wir überall, wohin wir gestellt werden, unsere Pflicht tun."

2. Reaktion bei Eltern und Schülern

Natürlich waren die meisten Eltern von der Einberufung nicht begeistert“, anders als viele ihrer Söhne, die sich freuten, der Trigonometrie, dem Cäsar und dem Passee simple zu entrinnen. Eltern, die sich gegenüber ihren Söhnen durchsetzen konnten, erreichten hier und da eine Freistellung mit ärztlichen Attesten. Allerdings wurden die Möglichkeiten, Auswege zu suchen, nicht öffentlich diskutiert. Einen Weg scheint es z. B. beim sogen, zweiten Termin noch gegeben zu haben: Abmeldung von der Oberschule und Eintritt in einen Beruf. Ratlose Mütter bestürmten in diesen Tagen die Direktoren geradezu, man soll doch den Jungen „sitzenlassen".

Um so unbekümmerter gingen die Sekundaner in das neue Abenteuer und spielten bald in den Geschützstellungen „Räuber und Gendarm" mit jener Kindlichkeit, derer ein Fünf-zehnjähriger manchmal noch fähig ist. Viele Motive gab es, sich willig dem Neuen zu öffnen, der Schule den Rücken zu kehren. Das mußte nicht immer Übereinstimmung mit der offiziellen Linie sein, auch nicht lediglich Abenteuerlust; denn mancher, der von Haus aus den Nationalsozialismus nicht schätzte, machte Unterschiede zwischen Partei und Wehrmacht: „Diese ganze Luftwaffenhelferei war in der Lage, einen pubertären Abenteuerdrang zu befriedigen; das ist nicht nur zurückzuführen auf ideologische Verseuchung. . . Es war so etwas wie ein frühzeitiges Männlichwerden. . . Wenn schon, dann wollten wir nicht Jungen — eben Hitlerjungen — sein, sondern Soldaten. Soldat, das war eben verknüpft mit , Mann-sein'in einem Alter, wo man es durchaus noch nicht ist. Also ein vorgezogenes Männlichkeitsbewußtsein mit den dazu gehörigen Erscheinungen" (Luftwaffenhelfer Jhg. 1927, Studiendirektor); , „Jungen in diesem Alter stimmen in jedem Fall zu, wenn sie mit Aufgaben betraut werden, die weit über ihre Altersmöglichkeiten hinausgehen" (Luftwaffenhelfer Jhg. 1927, OStR im Hochschuldienst). „Man war in etwa begeistert. Noch lieber wäre man Marinehelfer geworden, weil die Uniform schöner war" (Luftwaffenhelfer Jhg. 1928, O. Sch. Malmedy; Kommunalbeamter). „Wir haben die Eltern unter Druck gesetzt, daß wir da mitmachen wollten, und waren stolz auf die schöne Uniform, die wir da kriegten. Wir wollten Soldat sein — mit dem blauen Rock, da waren wir Männer" (Luftwaffenhelfer Jhg. 1927, Mitglied einer illegalen ND-Gruppe, Architekt). „Ganz stolz waren wir auf das Koppelschloß mit dem Luftwaffenadler und nicht mit dem Hakenkreuz. Wir fühlten uns denn schon etwas wie Soldaten" (Mannschaftsführer 4. Battr. 514; Rechtsanwalt).

Das Wort von den „Babysoldaten", das im , Reich'umging, mißfiel den Schülersoldaten sehr, und allergisch reagierten sie auf jene Erwachsenen, die „die armen Kinder" bedauerten: „Wir wollten nicht bemitleidet werden", heißt es immer wieder. Selbstironisch griff man allerdings den Slogan auf, der das „L (w) H als „Letzte Hoffnung" interpretierte. Verständnis zeigte man auch für manche jüngeren Mannschaftsgrade, die in den Schülern jene Leute sahen, die ihre baldige Versetzung an die Front vorbereiten halfen. Meist aber scheint der Luftwaffenhelfer in den Stamm-Mannschaften väterliche Freunde gefunden zu haben, die mehr als einmal zugunsten der stets hungrigen Helfer auf einen Teil ihrer Rationen verzichteten, ihnen Süßigkeiten oder Sonderzuwendungen neidlos überließen. „Anfangs konnten sie sich noch nicht vorstellen, daß auf einmal Jungen an die Geschütze sollten, doch sogleich entwickelten sie ein wohlwollendes Verständnis zu uns; auf Ablehnung bin ich nirgends gestoßen . . . Nur im Lazarett habe ich einmal Leute sagen hören, daß sie keine Auszeichnungen mehr haben wollten, wenn bereits , Hitlerjungen'so etwas bekämen, wobei das Wort Hitlerjungen’ gewiß keine politische Bedeutung hatte, sondern einfach , grüne Jungs'bezeichnen mochte" (Luftwaffenhelfer 4/514, nach seiner Verwundung 1944 mit dem EK II ausgezeichnet; Chefredakteur). * In Jülich hatte man den Sohn eines Bauernführers ausgemustert. Der Batteriechef berichtet:

„Und der wär’ doch so gerne bei seiner Klasse gewesen. Die ganze Klasse war Luftwaffenhelfer, und wer es nicht ist, der wird gehänselt. Ich ließ mir den Jungen kommen, der W. war gesundheitlich gar nicht auf der Höhe. Der machte das Telefon, den haben wir mitgenommen, daß er nicht in Wind und Wetter brauch-te" (Tbd. Int. Nr. 42; Offizier bei der le. Flak Jülich).

Zur Diensteinteilung sagt ein anderer Luftwaffenhelfer: „Von 1, 85 m bis 1, 75 m: Geschützstaffel; von 1, 70 m bis 1, 50 m: Meßtrupp; unter 1, 50 m Nachrichten. Wobei natürlich die Meßstaffel immer behauptete, sie sei der Intelligenzlertrupp und die von der Geschützstaffel seien Berserker, denen der Bizeps bis ins Gehirn gewachsen sei" (Jhg. 1927).

Allgemein kann gelten, daß die meisten an die neuen Aufgaben mit Begeisterung herangegangen sind, die jedoch bald wegen der strengen Ausbildung und der dauernden Alarmbereitschaft nachließ. Das gilt insbesondere für die Jungen der Jahrgänge 1926 und 1927. Erst von Angehörigen der Jahrgänge 1927 und 1928 wird häufiger versucht, der Einberufung zum Dienst an der Waffe zu entgehen. Die Möglichkeiten dazu waren allerdings gering. Von vornherein wird etwa der Versuch unterbunden, durch Abmeldung von der höheren Schule und Eintreten in eine Lehrstelle dem Flakhelfer-Dasein zu entrinnen.

Nach einem Vermerk des Reichserziehungsministerium (E III a 966 vom 19. 4. 1943; BA R 21/526 fol. 214) wurden zum ersten Termin (15. 1. 1943) rund 34 000 Schüler zum Dienst an der Flak einberufen. Im Luftgau VI (Münster) kamen bis zum April 7 700 Helfer zum Einsatz: 5 200 vom Jahrgang 1926 und 2 500 Angehörige des Jahrgangs 1927.

Um diese Zeit waren aber schon die Vorbereitungen im vollen Gange, die Oberschüler der 4. Klasse mit Beginn des Sommers und Ende des Schuljahrs einzuberufen. Genaue Zahlen sind hier nicht zu ermitteln. Am 15. Februar 1944, als die Helfer des Jahrgangs 1926 entlassen und die Oberschüler der Jahrgänge 1927/28 aus Klasse 5 bereits eingegliedert wurden, stehen 76 446 Luftwaffenhelfer im Einsatz (BA R 21/97 fol. 40).

II. Schülersoldaten — Soldatenschüler

1. Die HJ und der „Mannschaftsführer"

Leicht ging den Fünfzehnjährigen noch von den Lippen, was man erstmals im Februar 1943 vor versammelter Batterie feierlich gelobte: „Ich verspreche, als Luftwaffenhelfer allzeit meine Pflicht zu tun, treu und gehorsam, tapfer url einsatzbereit, wie es sich für einen Hitler-jungen geziemt."

Die Soldatenschüler wollten von der HJ schon bald nichts mehr wissen. Alle sagen, sie hätten bewußt die HJ-Armbinden abgelegt, obwohl sie befehlsgemäß zur „Ausgehuniform" gehörten; auch die Grußpflicht gegenüber HJ-Führern ignorierte man grundsätzlich. Jene Jugendfunktionäre, die behauptet hatten, Jugend müsse durch Jugend geführt werden, bewiesen jetzt, wie wenig sie von Jugendpsycho-B logie verstanden. Sie wollten sich Einfluß sichern und hatten dazu für sich das Amt des „Mannschaftsführers" durchgesetzt, ferner, daß für die Zwecke der Hitlerjugend die Befreiung vom Luftwaffenhelferdienst möglich sei. Zum Mannschaftsführer, dem die HJ besondere Rollen zugedacht hatte, wie z. B. weltanschauliche Schulungsabende, Kleinkaliberschießen, Frühsport und Heimabende durchzuführen sowie das Liedgut der Bewegung zu pflegen, hatten die Klassen oftmals ihren Klassensprecher avancieren lassen, obwohl der „Jugendführer des Deutschen Reiches" am 1. 2. 1943 angeordnet hatte: „Der Betreuungslehrer bestimmt gemeinsam mit dem zuständigen Bannführer der HJ aus den Reihen der am Einsatz teilnehmenden Jugendlichen den Mannschaftsführer ... Der Mannschaftsführer ist dem Betreuungslehrer zugeteilt. Er wird von dem Betreuungslehrer mit der Ordnung und Gestaltung des Gemeinschaftslebens nach den Grundsätzen der Selbstführung der Jugend beauftragt..."

Dieses seltsame „Amt" brachte aber mehr Arger als Vorteile für die Betreffenden, die oft genug zum Prellbock wurden zwischen den verschiedenen Instanzen, die gegenüber den Luftwaffenhelfern Weisungsbefugnis oder Disziplinargewalt geltend machen konnten. Am Anfang wollte sogar hin und wieder die HJ-Führung noch etwas von den Mannschaftsführern: Delegationen zu Großkundgebungen oder Parteiveranstaltungen. Hier zeigten nun die Delegierten ohne Scheu ihre Distanz zur Partei-jugend und ihren Funktionären. Hier äußerte sich schon etwas von jener Bewegung, die als „Edelweißpiraten" seit 1944 von sich reden machte. Mit dieser „Bewegung" beschäftigten sich auch die Aufsichtsbehörden der Schulen; es erging ein geheimer und dringender Erlaß an alle Direktoren und Schulleiter. Schon am 9. Mai 1943 hatte der ehemalige HJ-Gebiets-führer Lauterbacher als Gauleiter von Hannover über das Gaupresseamt verbreiten lassen: „Gauleiter Lauterbacher hat in letzter Zeit wiederholt in seinen Reden vor der Öffentlichkeit mit ganz besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, daß wir es der Ehre der deutschen Jugend schuldig sind, rücksichtslos mit solchen halbstarken und auffälligen Typen aufzuräumen, die — während die Mehrheit unserer Jugend im harten Kriegseinsatz treu und vorbildlich ihre Pflicht erfüllt — als wenige unwürdige Außenseiter das Ansehen der Gesamtheit der Jugend in verantwortungsloser Weise verunglimpfen. Es sind dies die gleichen Elemente, die durch ihre körperliche Vernachlässigung, durch ihre mangelhafte Haltung, durch ihr unsauberes Aussehen und ihren aufreizenden Haarschnitt auffallen und schon im Frieden für alle gemeinschaftsbildenden Aufgaben unzugänglich waren ... So werden die vom Gauleiter angewiesenen Maßnahmen ... fortgesetzt werden, wieder eine saubere Atmosphäre zu schaffen. Die Eltern dürfen beruhigt sein: Es wird alles geschehen, um die unsauberen Elemente von der Gesamtheit unserer Jugend fernzuhalten ... Die bei dieser Gelegenheit festgestellten Jugendlichen werden vom Polizeipräsidenten zum kurzfristigen Not-dienst herangezogen ... Dieser Dienst wird sonntags in der Zeit von 8 bis 14 Uhr durchgeführt. Die Jugendlichen haben sich dann in Arbeitskleidung und mit vorschriftsmäßigem Haarschnitt zu melden ..." (Niedersächs. Staatsarchiv Han. II h 9, zitiert in: Ursachen und Folgen, Bd. XIX: Das Dritte Reich im Zweiten Weltkrieg, Berlin o. J., S. 400 ff.).

Die ablehnende, ja feindselige Haltung der Luftwaffenhelfer gegenüber der HJ übertrug sich vielfach auch auf die Partei. So sprachen die Jungen der Jülicher Flak ganz offen von den miesen „Goldfasanen", und ihr Zugführer versuchte sie — nicht immer mit Erfolg — zu vorsichtigeren Aussagen zu veranlassen, hatte er doch am eigenen Leibe die Folgen möglicher Denunziation erfahren, da ihn, den evangelischen Geistlichen, eine Bemerkung über den Erzbischof von Canterbury vor ein Kriegsgericht gebracht hatte. Es bestand vielfach stilles Einverständnis zwischen militärischen Vorgesetzten und Luftwaffenhelfern. Entsprechend wurden — trotz verschärfter Anweisungen — Verstöße gegen die „Grußpflicht" und das Tragen der HJ-Binde von den Batterieführern gar nicht oder nur sehr milde bestraft. Flakkommandeure stellten mit Sarkasmus immer wieder fest, „daß die HJ, deren Namen und Abzeichen die Luftwaffenhelfer auf besondere Weisung des Führers tragen, keinerlei Fürsorge und Betreuungsmaßnahmen den Jungen angedeihen lasse" (L. Schätz, Luftwaffenhelfer. Ein Kapitel zur Geschichte des deutschen Wehrmachtsgefolges im Zweiten Weltkrieg, Diss., München 1971, S. 270).

Bei der zunehmenden Ablehnung jeder Bindung an die Staatsjugend reizte der aufgezwungene Grußkatalog „zu protestierender Verweigerung der Grußpflicht". Wen alles sollten da die Luftwaffenhelfer nach dem Befehlsblatt der Reichsjugendführung (Heft 7, August 1944: BA R 21/529 fol. 118 ff.) grüßen: „HJ-Führerkorps und alle HJ-Führer mit Kriegsauszeichnungen, Angehörige der NSDAP, des NSFK, Träger des Blutordens, des Goldenen Parteiabzeichens, Angehörige der Waffen-SS, des RAD, der Polizei, der technischen Nothilfe, des Bahn-und Postschutzes, die Wimpel der HJ, des BDM und des Jungvolks, Fahnen und Standarten der NSDAP, Feldzeichen der alten und neuen Wehrmacht, alle Ehrenmale der NSDAP und Gefallenenehrenmale und schließlich die Trägerinnen des Mutter-kreuzes . .

2. Die Batterie — neue Heimat der Luft-

waffenhelfer Zur neuen Heimat sollte die Batterie werden. Von den Stellungen heißt es: „In einer Stube schliefen normalerweise neun Mann auf etwa 20 qm Wohnfläche bei geschlossenen Türen und Fenstern; denn es war nachts sehr kalt.

Unvergeßliches Erlebnis des jeweils morgens vor Dienstbeginn aus Nachturlaub Zurückkommenden war der Eintritt in eine kuhstallähnliche Dunstglocke ... Für je drei Mann existierte eine Aluminium-Waschschüssel für Gesicht, Füße und — zum Empfang der Kaltverpflegung: Brot, Wurst, Butter, Tomaten ..."

(Brief eines Luftwaffenhelfers, Jhg. 1926, 1. Batterie 514).

In drei Schüben kamen Ober-und Mittelschüler in die ihrem Wohnsitz nächstgelegenen Batterien. In der Chronik der Stadt Alsdorf heißt es, daß „hier bis zur Evakuierung die 2-cmFlakbatterien mit je drei Geschützen in Tätigkeit waren . . . Unter der Leitung eines Leutnants und einiger Unteroffiziere bedienten sie die Geschütze und wurden durch die Wehrmacht verpflegt. Während der Schulstunden besuchten sie das Alsdorfer Gymnasium. Im Alarmfalle mußten die armen Kerle schleunigst ihre Posten beziehen. Es waren Jungen dabei, die noch Knabenstimmen hatten. Täglich sah man vor den Zäunen Eltern, die ihren Söhnen Butterbrote zusteckten" (A. Krämer, F.

Schmitz, Alsdorf — Geschichte einer Stadt, 1971-, S. 269).

Am ersten Tag hatte es für die Luftwaffenheiter noch Pudding gegeben und Sonderrationen, vor allem Süßigkeiten. Doch bald schon fingen die „Entbehrungen mit dem Essen" an. Außerordentlich primitive Verhältnisse herrschten in den Baracken: „Nachts wurde man wach vom Rascheln der Ratten; mittags sonnten sich die Viecher hinter der Baracke; und die Unter-Offiziere schossen dann mit der Pistole nach ihnen ... Es war kalt und zugig, und der Schnee kam durch die Ritzen der Baracken-wände" (Luftwaffenhelfer, Jhg. 1927, 2/514, Hochschuldozent).

3. Die „Beutegermanen" aus Eupen-Malmedy Mit der zweiten Welle im September 1943 wurden Schüler aus Eupen, Malmedy und St.

Vith eingereiht. Viele von ihnen, besonders aus dem wallonischen Teil der „eingegliederten" Kreise, fühlten sich als Belgier und hatten es besonders schwer, auch nach dem Krieg.

„Ich habe daran teilgehabt, daß 36 englische Flugzeuge heruntergeholt, wurden. Das war zwar nicht mein Wille, aber ich habe da mitgemacht. Ich tat meine Pflicht, obwohl das als Belgier nicht meine Pflicht war. Zum Schutz gegen die Tiefflieger kam ich Ende Juni an die leichte Flak, und als ich an dem Geschütz war, haben wir eine Thunderbolt heruntergeholt . . . Was sollte ich machen? Flüchten nach Belgien konnte ich nicht, wir hatten dort keine Verwandten, und meinen Eltern wäre es schlecht ergangen. Außerdem hatten wir in Malmedy Lehrer, meist aus dem Reich, die größere Nazis waren als die, die ich in Deutschland erlebt habe . . . (Luftwaffenhelfer, Jhg. 1928, 4. /514; Kaufmann in Malmedy).

Aus seiner Batterie bestätigt ein Aachener Luftwaffenhelfer: „Vor allem Luftwaffenhelfer aus Malmedy, deren Muttersprache das Französische war, polemisierten offen gegen die Nazis, aber auch deren deutschsprachige Freunde aus dem engeren Umland Malmedys. Dagegen kamen aus St. Vith engagierte Nazis, wie es im Aachener Raum keine gab. Wir mußten oft Gespräche unterbrechen, weil ein gewisser junger Mann von dort die Bude betrat ..." (Luftwaffenhelfer, Jhg. 1928; 4/514, Redakteur).

Das Schicksal sollte diesen Flakhelfern — es waren 12 aus Eupen, 51 aus Malmedy und 19 aus St. Vith — am härtesten zusetzen. Wenn sie die deutsche Sprache nicht richtig beherrschten, mußten sie sich von Unteroffizieren aus Berlin als „Beutegermanen" oder „Saufranzosen" titulieren lassen. Doch bald haben sie sich mit ihren Aachener Altersgenossen gut verstanden beim Widerstand gegen den gemeinsamen Gegner, den zu allen Schikanen fähigen „Betreuungsunteroffizier''. Die Luftwaffenhelfer trugen im Dienst Uni-formstücke der Luftwaffe ohne Dienstgradabzeichen. Röcke und Mützen zeigten den Luftwaffenadler. Für Urlaub und Ausgang gab es eine blaugraue Uniform aus Luftwaffentuch mit ilden Emblemen der Luftwaffe sowie eine ESchirmmütze, eine Bluse mit aufgesetzten ITaschen und Schulterklappen und eine lange Uberfallhose. Im Hosenbund oder über der EBluse wurde das Luftwaffenkoppel getragen.

Am linken Oberärmel der Bluse war ein kleines dreieckiges Abzeichen aufgenäht, das -auf schwarzem Grund in weißen Antiqua-Buch-

4staben das Wort „Luftwaffenhelfer" zeigte. Da dieses Abzeichen in seiner Form dem Forma-

ji tionsabzeichen der HJ entsprach, wurde es von den Luftwaffenhelfern vielfach abgetrennt (vgl.

H. A. Koch, Flak, Die Geschichte der deutschen 1 Flakartillerie und der Einsatz der Luftwaffen1 helfer, Bad Nauheim 19652, S. 315).

14. Der Betreuungsunteroffizier I Der Betreuungsunteroffizier kommt in den Be-I richten ehemaliger Soldatenschüler meist recht I schlecht weg. „Harmloses Rauhbein mit einem : sagenhaften Vokabular , " heißt es sogar aus I der 5. Batterie, die mit ihrem Hauptmann, I einem evangelischen Pfarrer, außerordentlich zufrieden war. „Wenn es einmal ruhiger war der Batterie, dann gab es sofort wieder Drill mit allen Schikanen. Wir waren zuerst über das Niveau. Vergleichbares I kannten wir bis dahin nicht, besonders, was } das Vokabular betrifft, mit all den Anzüglich-i keiten betr. Sex und Geschlechtlichkeit (Luftwaffenhelfer, Jhg. 1926; 1/514).

„Richtige Soldaten waren wir nicht. Wir unter-I liefen die Kommißmaschen mit Kommißmit-[teln. Die Uffz. waren dem nicht gewachsen. ‘ Wir waren schon jahrelang zusammen, und die Methode, den einen gegen den anderen aus-zuspielen, zog bei uns nicht. Wenn sie uns robben ließen oder mit uns . Maskenball'veranstalteten, dann war eben keiner der erste.

Das wurde in langsamer Art und Weise, so daß jeder mitkam, so lange getrieben, bis die Uffz. , am Boden zerstört'waren ..." (Luftwaffenhelfer 5/514, Jhg. 1927, Dipl. -Chern.).

„Für die Kleinen vom Jahrgang 1928 war der »Schliff'zu hart; die fingen beim Exerzieren an zu weinen, und der Zugführer mußte erst sein Taschentuch ziehen, um denen die Tränen zu trocknen" (Luftwaffenhelfer 3/889, Alsdorf, Jhg. 1927, Oberstadtdirektor).

„Von besonders tiefer und nachhaltiger Bedeutung war der jeden Mittwoch vormittags stattfindende , Fußdienst'— eine stundenlange Schleiferei bis zur völligen physischen Erschöpfung. Als Soldat in der Kaserne bin ich später längst nicht so , geschliffen'worden.

Diese sadistische Schleiferei (vorgeblich zur Abhärtung im Hinblick auf künftige Anforderungen des Fronteinsatzes) wurde zusätzlich auch unregelmäßig veranstaltet zur Disziplinierung und Bestrafung beispielsweise bei un-ordnungsgemäßem Stubendienst, hier dann mit erweitertem Repertoire (, Auf die Spindel', . Unter die Betten!'usw.). Exerzitienmeister: der sogenannte Betreuungswachtmeister NN. Typ: Ratte, Himmelstoß, Radfahrer. Interessanterweise nicht ohne intellektuelle Ambitionen; er soll im Zivilberuf Lehrer gewesen sein. Dieser , Fußdienst'hat mich und viele Mitschüler stärker beeindruckt als das eigentliche Kampfgeschehen" (Luftwaffenhelfer 1/514, Jhg. 1926, Dipl. -Kaufmann).

„Ich war abends so fertig. Die ersten vier Wochen dort sind in meinem Leben die schlimmsten gewesen: die Schleiferei, das Schikanieren und die Schimpfworte! Wenn man bei 30 Grad in voller Wintermontur mit Gasmaske den Wiesenhang 'raufund 'runterrobben muß, dann weiß man erst, wie unangenehm das ist" (Luftwaffenhelfer 4/514, Jhg.

1927, Betriebsführer).

Wie Hohn klingen die Worte eines kommandierenden Generals, wenn auch das Wort vom Militär als der „Schule der Nation" immer noch herumgeistert: „Die Jungen sind durch ihren neuen Dienst körperlich und seelisch härter geworden. Der Ernst.des derzeitigen Einsatzes formt sie frühzeitig zu reiferen Menschen. Die militärische Zucht und Ordnung mag für manchen ... einen schweren Eingriff in seine persönliche Freiheit bedeutet haben; heute sind die Luftwaffenhelfer für die an ihnen geleistete Erziehungsarbeit dankbar." Was der General „Erziehungsarbeit" und „Sinn für Zucht und Ordnung" nannte, war gewiß bei vorhandenem jugendlichem Über-mut notwendig, aber die Methoden hatte sogar Göring rügen müssen, als er die Batterie-chefs mahnte: „Der Jugendliche will nicht weich angefaßt werden, er verlangt eine feste, zielsichere Führung. Trotzdem gelten für ihn nicht die gleichen Erziehungsgrundsätze wie für Soldaten. Es ist falsch, wenn der Vorgesetzte versucht, seinen Befehlen gegenüber Jugendlichen Nachdruck zu verleihen durch sturen Drill, als Strafe gedachte Dienstverrica-tungen außer der Reihe oder phantasielose Urlaubsbeschränkungen. Z. B. sind immer wiederholte Appelle, Spind-und Stubenrevisionen als Schikane aufzufassen ... Der Vorgesetzte muß sich in die Mentalität des Jugendlichen hineindenken und das Herz haben, mit ihnen zu fühlen ... Klarheit, Geduld, ein humorvolles Wort .... lobende Anerkennung überzeugen und erziehen mehr als schärfster Dienst oder gar tobender Kasernenhofton.

5. Und dann noch „Untermenschen"

Mit Verwunderung registrierte man, daß selbst russische Kriegsgefangene Schleifdienst hatten. Die Einstellung der Luftwaffenhelfer zu den Russen war stets von Mitmenschlich-keit getragen und wuchs zu gegenseitiger Anerkennung im gemeinsamen Einsatz.

„Bei jedem Geschütz war ein Geschützbunker, und wenn Gefechtspause war, und es war im Winter oft kalt, dann saßen wir bei einem Kanonenöfchen im Gefechtsbunker und warteten, bis die neuen Anflüge kamen. Befehl war, die Russen hatten draußen zu stehen, weil es eben nur halbe Menschen waren, sollten die ruhig frieren. Das taten wir aber nicht, auch die Geschützführer nicht. Dann hieß es:

. Komm Iwan, komm rein!'und dann konnten die sich auch mal an dem Öfchen aufwärmen"

(Luftwaffenhelfer, Jhg. 1926, 1/514).

Weit entfernt waren die Soldatenschüler von einer Beachtung der offiziellen Wortregelung, wie sie das Gaupropagandaamt im Gau Köln-

Aachen durch ein geheimes Rundschreiben an die Parteimitglieder im November 1943 einzuimpfen versuchte mit einer als „Mundpropaganda" betitelten Aktion: „Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen, Ihr als die Willensträger der Bewegung habt die Aufgabe, den Volksgenossen die richtige Haltung gegenüber den Fremdvölkischen aufzuzeigen. Sei als Deutscher gerecht, aber vergiß nie, daß wir die Herren in unserem Hause sind ... Zwischen uns und den fremdvölkischen Arbeitskräften besteht eine klare Trennungslinie, die durch das Blut gezogen ist ... Wer sich mit Kriegsgefangenen einläßt, unterstützt den Feind und verrät den Soldaten ..."

über den Vater eines Jülicher Luftwaffenhelfers ließ sich die örtliche Parteiprominenz in einem Brief „An die Frontsoldaten" Linnichs in gehässiger Weise aus. Der Landwirt hatte polnische Kriegsgefangene zusammen mit einem ihm als „Hilfsarbeiter" zugeteilten jungen jüdischen Mitbürger am Mittagstisch seiner Familie teilnehmen lassen. Die bald „siegreich Heimkehrenden" wurden aufgefordert, „solchen Elementen" wie dem Landwirt NN „die nötige Antwort zu erteilen".

Die Soldatenschüler handelten nicht nach solchen Richtlinien, sondern im Sinne der Erziehung von Schule und Elternhaus, selbst wenn sie sich dafür Strafexerzieren einhandelten. 1 6. Livius in Kantinen und Schlafbaracken.

„Betreuungslehrer", „Verbindungslehrer"

und „Sonderbeauftragter" im Kampf für die Schule Manchmal freilich blickten die Schülersoldaten neidisch auf die Russen, die morgens länger schlafen konnten, während sie nach nächtlichem Alarm schlaftrunken in die Kantine trabten, um drei Stunden Unterricht abzusitzen. Unter solchen Bedingungen von Unterrichtserfolgen zu sprechen, hielten alle für einen „Witz". Der Unterricht mußte in Kantinen und Schlafbaracken abgehalten werden und litt besonders unter dem Mangel an Hilfsmitteln. Für die Unterrichtsbelange sollte sich im Bereich einer jeden Flakgruppe ein „Verbindungslehrer", ursprünglich „Betreuungsdirektor" genannt, einsetzen. Seine Aufgaben umriß der Oberpräsident der Rheinprovinz (unter Gen. Nr. 2127): „Betreuungsdirektoren. (Verbindungslehrer): Sie werden jeweils einer Flakgruppe zugeordnet. Sie beraten die Flakgruppen in Fragen der Betreuung der Luftwaffenhelfer. Für Regelung der Beschwerden der Erziehungsberechtigten sind sie zuständig ..." Für alle Fragen der Luftwaffenhelfer wurde überdies in jedem Luft-gau ein „Sonderbeauftragter" eingesetzt; er hatte u. a. zu bearbeiten: „Bildung der Einsatzgruppen und Unterrichtsabteilungen, Einsatz von Lehrkräften ... Er läßt sich Bericht erstatten über das Ausmaß der erteilten und ausgefallenen Unterrichtsstunden, überwacht die regelmäßigen Arbeitsstunden, die unter Aufsicht eines Lehrers stattfinden sollen, und beschafft die notwendigen Lehrmittel ..." (OP Rheinprov. Gen. Nr. 469).

Im Luftgaukommando VI (Münster) bekleidete dieses Amt Ob. Reg. rat Dr. Wagner. Immer wieder führte er voller Erbitterung Klage über das geringe Verständnis und die fehlende Fürsorge der Militärs. Er machte sich z. B. zum Wortführer, als man den Jahrgang 1926 nach kaum 48 Stunden Urlaub zum RAD einzog und informierte den Reichserziehungsminister am 10. 3. 1944: „... Eine frühzeitigere Entlassung durch die Luftwaffe wäre durchaus möglich gewesen ... Ich habe mich rechtzeitig, doch ohne Erfolg um eine frühzeitige Entlassung der Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1926 bemüht. Es wurde mir entgegengehalten, daß die Batterien ohne die Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1926 nicht feuerbereit sein würden ... JEltern und Schulleiter sind dagegen allgemein der Ansicht, daß es sich bei der Begründung inur um eine Ausrede handelt. Denn bei zahl-

reichen Batterien waren die Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1926 schon Ende Januar, An-Jfang Februar beurlaubt worden, weil an Ba-1 racken und Uniformen Mangel war ... Wie 3 so häufig, wurden die Luftwaffenhelfer in den r verschiedenen Batterien unterschiedlich be-i handelt, was nicht etwa auf die Verschiedenheit der Verhältnisse zurückzuführen ist, sondern auf das verschieden große Verständnis der Batterieführer ..."

i Man hatte von Beginn an vorgesehen, für rf jede Einheit einen sogenannten Betreuungsfi lehrer einzusetzen. Auch er hatte bei vielen 2 Stellen „persona grata" zu seih. Unter ande-L rem mußte „die Partei" keinerlei Bedenken geäußert haben. Seine Aufgaben umriß ein I Runderlaß des RMin. WEV. vom 1. Oktober : 1943 (E Illa 2342/b): „Dem Betreuungslehrer » obliegt bestimmungsgemäß die Fürsorge für i(die Helfer und ihre erzieherische Betreuung des Truppendienstes und des HJ-K Dienstes. Er trägt den Eltern und der Schule I gegenüber die Verantwortung für alle Ange-

legenheiten des Gemeinschaftslebens der Helfer ... Seine fürsorgerischen Aufgaben umfas: sen sowohl die körperlichen wie die geistigenund seelischen Bedürfnisse der eingesetzten Der BL hat die Belange der Hel-: fer gegenüber den militärischen Dienststellen : zu vertreten. Er wird sich dabei stets zu vergegenwärtigen haben, daß die Helfer noch ! nicht Soldaten, sondern Schüler und Hitler- t jungen sind. Wenn auch die Einheitsführer G angewiesen sind, bei der militärischen Bean-

spruchung der ihnen zugewiesenen Jugend-I liehen diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tra-I gen, so werden sich doch bei dem jugendlichen I Alter Konflikte zwischen den militärischen Be-I langen und den schulischen Pflichten der Helfer nicht immer vermeiden lassen. Aufgabe BL ist, darüber zu wachen, daß die Helfer überbeansprucht werden, keine vermeid-

j baren gesundheitlichen Schäden erleiden und in der Lage bleiben, auch ihre schulische Aus-mit Erfolg fortzusetzen. Da aus den ; Reihen der eingesetzten Schüler der Nach- I wuchs für die geistig führenden Berufe im mi- I litärischen, wirtschaftlichen und kulturellen ‘ Lebensbereich unseres Volkes gestellt werden soll, ist der ordnungsmäßigen Durchführung des Schulunterrichts besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden..." (Hervorheb. im Original).

Wie wenig Sinn die „Einheitsführer" jedoch für solche Ziele hatten, geht aus vielen Be41 richten hervor. Der Sonderbeauftragte für den Einsatz der Luftwaffenhelfer beim Oberpräsidenten in Münster, Dr. Wagner, teilte dem RM f. WEV am 12. 12. 1943 mit: „Die Zusammenarbeit zwischen den höheren Kommandostellen und den Schulaufsichtsbehörden (bzw.deren Unterbeauftragten) ist sehr erfreulich. Ebenso finden die Lehrer und Schulleiter im allgemeinen Verständnis für die Belange der Schule. Jedoch lassen sich die Erfordernisse des Schulunterrichts und die militärischen Erfordernisse nicht immer in Einklang bringen. Es ergeben sich z. B. Schwierigkeiten und Spannungen, wenn die jungen Einheitsführer die höhere Schule nicht in guter Erinnerung haben. Die Schulleiter glauben auch gelegentlich eine gewisse Animosität gegen die höhere Schule feststellen zu müssen, wenn die Abteilungskommandeure Volksschullehrer oder Schulräte sind; in diesen Fällen ist vom Luftgaukommando oder von der Flakdivision darauf hingewirkt worden, daß freundlichere Verhältnisse eintreten. Die Schulleiter und Lehrer haben bei auftretenden Schwierigkeiten eine schwache Position. Denn die Einheitsführer begründen ihr mangelhaftes Entgegenkommen durch militärische Notwendigkeiten. Das Gegenteil kann ihnen nur schwer bewiesen werden” (KKG — Schularchiv Luftwaffenhelfer, Akte 3).

Da Einberufungen vor Lehrerkollegien nicht Halt machten, standen für den Unterricht oft nur Lehrer zwischen 55 und 65 Jahren oder Pensionäre zur Verfügung. Sie mußten bei jedem Wetter hinaus in die Batterie, oft über unwegsames Gelände. Die Doppelaufgabe belastete die Lehrer sehr und führte oft zu Erkrankungen, über die Situation der Lehrer an der „Hindenburg-Schule" (jetzt „Couven-Gymnasium" Aachen) wird berichtet, daß im Schuljahr 1943/44 457 Schüler von 17 Lehrkräften unterrichtet werden mußten: „Das war nur dadurch möglich, daß die Wochenstundenzahl der einzelnen Lehrer höher als normal war. Aber auch unter diesen Voraussetzungen konnte nur in der Oberstufe der volle Unterricht gegeben werden ... Eine besondere Erschwernis des Unterrichtsbetriebes bildete seit Februar 1943 der Einsatz des größten Teils der Schüler von U II — U I als Luftwaffenhelfer in Flakstellungen des Aachener Raumes. Sie wurden auch weiterhin in ihren Stellungen von den Lehrern ihrer Schule betreut und erhielten einen etwa um 1/3 gekürzten Unterricht in den Kernfächern. Für die Lehrer, die so oft neben der Schule noch 1— 2 andere Unterrichtsstellen zu betreuen hatten, bedeutete diese Einrichtung eine ebenso große Belastung wie für die Schüler, welche die Schularbeit neben ihrem Dienst zu verrichten hatten" (vgl. Gugat, Die Hindenburgschule in der Zeit des Dritten Reiches, in: Festschrift des Couven-Gymnasiums, Aachen 1965).

Die Schüler selbst, denen amtliche Schreiben die Schwierigkeit bescheinigten, nun gleichzeitig drei Vorgesetzten (Lehrer, Batteriechef und HJ-Führer) zu unterstehen, machten aus der Situation für sich das Beste, indem sie den einen gegen den anderen auspielten und sich damit auf die berühmte „Schwejk" -Manier einigen Freiheitsraum sicherten. Die „SD-Be-richte zu Inlandsfragen", herausgegeben vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD Amt III, kommentierten die Lage bei den Luftwaffenhelfern am 22. 7. 1943: „Viele Luftwaffenhelfer machten sich anfangs in ihrer jugendlichen Unbekümmertheit und beeinflußt durch die neuen Eindrücke und Erlebnisse in ihrem militärischen Dienst nur wenig Gedanken über ihre weitere schulische Ausbildung. In dem Maße aber, in dem der militärische Dienst den Reiz des Neuen verloren habe, hätten auch sie sich in steigenderem Umfang Sorgen um ihre berufliche Zukunft gemacht ... Die Eltern der Luftwaffenhelfer, die zum weitaus größten Teil die Notwendigkeit der Heranziehung ihrer Söhne zu diesem Kriegseinsatz der deutschen Jugend einsahen, hegen nach wie vor große Besorgnisse um die schulische Ausbildung ihrer Kinder und legen großen Wert auf die Ablegung der Reifeprüfung. Vielfach wird trotzdem betont, daß die Heranziehung der höheren Schüler insofern eine Ungerechtigkeit bedeute, als die gleichaltrigen Handwerkslehrlinge und die Absolventen der Handelsschulen ... vor ihrer Einberufung zum RAD und zur Wehrmacht ihre Berufsausbildung abschließen können ..."

Die Feuerbereitschaftsaufstellung der schweren Batterie 1/407 in Moser-Broich bei Düsseldorf läßt wohl am besten erkennen, wie stark die Belastung für die Luftwaffenhelfer im Luft-gau VI gewesen sein muß. Dort zählte man von Januar bis Mai 1944 449 Feuerbereitschaften mit einer Gesamtdauer von 395 Stunden (nach Schätz, a. a. O., S. 15). Für die weiter westlich gelegenen Batterien der Flakgruppe Aachen dürfte diese Zahl noch beträchtlich höher gewesen sein.

Der Chef des Generalstabs im Luftgau VI ließ bereits im Sommer 1943 seine Einheitsführer u. a. wissen: „Die Doppelbelastung der Luftwaffenhelfer als Soldaten und als Schüler beansprucht die Jugendlichen körperlich und geistig bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die häufige Unterbrechung des Schlafes, besonders bei feindlichen Angriffen, bringt für die Jugendlichen die Gefahr der nervösen Erschöpfung mit sich. Damit auf die Dauer eine Überbeanspruchung vermieden wird und damit ihre Wehrfähigkeit erhalten bleibt, müssen ihnen im Laufe des Tages hinreichend Erholungsmöglichkeiten gewährt werden ..." (Luftgaukommando VI Abt. IIb/5AZ 12625 Nr. 13372/43 Geheim vom 16. Juli 1943). Es folgte ein Rahmenplan, der „späteres Wecken bei Gefechtstätigkeit" vorsah: „Eine Stunde Bettruhe, eine Stunde zur Vorbereitung des Unterrichts, Unterricht von 15. 00 bis 18. 00", auf den Abendessen und Freizeit bis zum „Zapfenstreich" folgen sollten.

III. Jugend im Feuerofen

1. überörtlicher Einsatz beim Anrücken der Viermotorigen

Für die Großaktionen der alliierten Luftflotten „Schlacht um die Ruhr" und „Schlacht um Berlin" führten Flugschneisen über das Rheinland. Churchill umriß die den Bomberkommandos gestellte Aufgabe in Casablanca am 4. 2. 1943: „Sie haben sich vor allem zum Ziel zu setzen, die deutsche Wirtschaft, Industrie und Wehrmacht nach und nach aus den Angeln zu heben und zu zerstören, sowie die Moral des deutschen Volkes zu brechen, daß seine Fähigkeit zu bewaffnetem Widerstand entscheidend geschwächt wird" (W. Churchill, Der zweite Weltkrieg, Bern 1954, S. 897).

Die deutsche Flugabwehr stand solch massivem Einsatz zunächst hilflos gegenüber. Man suchte Aushilfen, konzentrierte schwere Batterien zu „Flakhöllen" bei Hydrierwerken und entscheidenden Produktionsstätten. Zu diesem Zweck wurden sogar Batterien aus dem Luft-gau VI verlegt, als die 15. USAAF von Italien aus den süddeutschen Raum in ihre Aktionen einbezog. Im Februar 1943 mußten Jungen des Jahrgangs 1928 aus mehreren Batterien Aachens nach achttägiger Bahnfahrt auf dem Lechfeld den Schutz eines Nachtjägerflugplatzes übernehmen. Hier kampierten sie acht Wochen auf freiem Feld in Zelten. Es hagelte anscheinend Elternproteste. Betreuungslehrer und Verbindungsdirektoren brachten Beschwerden vor.

Empörung darüber, daß so viele Jungen entgegen aller Absprache aus ihrer Heimat verlegt worden waren, ging durch das ganze „Reich", wo immer es zu ähnlichen Verlegungen gekommen war. Wer konnte wohl auch Verständnis erwarten, wenn bekannt wurde, daß Salzburger Schüler nach Karlsruhe und württembergische Luftwaffenhelfer nach Salzburg verschickt wurden, Hamburger in den süddeutschen Raum und Nürnberger nach Oberschlesien, Thüringen und Dresden. In Berlin aber tobte Hermann Göring, als sich die Beschwerden häuften: „Im Großdeutschen Reich hat bis jetzt keiner zu meutern gewagt! Wollen ausgerechnet die Eltern von Pimpfen jetzt den Anfang machen?" Ihm hatte ein Schülervater einen recht ungewöhnlichen Brief geschrieben: „Bitte geben Sie mir meinen Sohn zurück, Herr Reichsmarschall! Ich habe mein Bein für Führer, Volk und Vaterland geopfert. Geblieben ist mir mein Kind! Ich will auf meinen Jungen nicht verzichten — er kann nicht auf sein Elternhaus verzichten ..." (G. Stiller, „Feuer frei, Kinder", Folge 6, BamS). Alsbald mußten höchste Offiziere sich hinsetzen und „An die Eltern" schreiben. Aus München schrieb ein kommandierender General: „Die rasche Veränderung der Verteidigung ist oft ein Gebot der Stunde. Oft erscheint hierbei dem Außenstehenden die eine oder andere Maßnahme unverständlich. Es liegt im Wesen der militärischen Führung, daß sie weder ihre Entschlüsse ankündigen, noch diese begründen kann. Die Eltern dürfen versichert sein, daß der Führung aus berufenem Munde alle Bedenken unterbreitet werden, die bei einer Veränderung jeweils laut zu werden pflegen ... Ich richte daher an die Eltern die Bitte, bei Feststellungen von tatsächlichen oder angeblichen Schwierigkeiten zu beachten und von vornherein zu erwägen, ob die meist subjektiv empfundene Unbill nicht in höherem Interesse in Kauf genommen werden muß ...

Bei dieser Betrachtung ist es ebenso unangebracht wie ungerecht, wenn relativ geringfügige Vorkommnisse in einer zum Teil tendenziösen Weise ausgeschlachtet und zu nicht gerechtfertigten Beschwerden benutzt werden."

Die letzten Sätze enthalten versteckte Drohungen, verraten den Ärger des Generals und bestätigen, was Eschweiler Flakhelfer ihrem Betreuungslehrer sagten: „Man beschwert sich besser nicht!" Von allen Seiten beklagte Unzulänglichkeiten werden hier bagatellisiert. Unverhohlen ist der Ärger, daß die Öffentlichkeit etwas erfahren hat.

2. „Fähnlein in Richtung Karl der Große ..

örtlicher Einsatz bei den Großangriffen der RAF, dargestellt am Beispiel der Großangriffe auf Aachen Ironie des Schicksals ist es, daß die Stilübungen des Generals genau von dem Tage stammen, an dem ein Großangriff auch Aachen erfolgte, dem fast 1 500 Menschen zum Opfer fielen. „Fähnlein in Richtung Karl der Große ... Fähnlein in Richtung Karl der Große ... ” kam es am Osterdienstag 1944 durch die Ringleitung der Aachener Flakgruppe. „Das gilt uns", wußte nun jeder, und bald erschienen auch die „Christbäume", die Leuchtbomben der Pfadfindermaschinen, über dem Aachener Talkessel. Mitten in einem Bombenteppich lag die 4. Batterie. Von den acht Mann am Funkmeßgerät überlebten drei; zwei Luftwaffenhelfer fanden den Tod. Einer ihrer Klassenkameraden erinnert sich: „Da wurden an vier Seiten der Stadt die sogenannten Christbäume gesetzt, und dann wußte man Bescheid. Jetzt war's klar. Wenige Minuten später ging das los. Und wie ... Das Gedröhne der detonierenden Bomben an allen Ecken und Enden war so stark, daß unser Geschützfeuer darin nur ein Gekläff war. Ich saß da als Ableser in dem sogenannten Bunker. Bunker ist eine sehr euphemistische Bezeichnung ... In die Ecke des Walles ist ein kleiner Bretterschuppen eingefügt worden, der etwas niedriger liegt als das Gerät, das auf einer Bühne steht, um möglichst frei empfangen zu können. Von dort wurden die Werte abgelesen ... Es wurde also weiter gelesen, und um uns herum wackelte die Erde. Die leichte Flak schoß in einem fort ... Auf einmal riß die Verbindung. Es war nichts mehr vorhanden, wo man ablesen konnte, weil die elektrische Stromzuführung aussetzte ... Dann auf einmal hatte man das Gefühl: — Jetzt kommt es! — Jetzt! Es war, als wenn Sie ein Stromstoß durchzuckt. Was dabei herauskommt, weiß man vorher nicht, aber irgendwie — das kann das Ende sein!

Und unwillkürlich senken Sie den Kopf mit dem Stahlhelm nach unten. In dem Moment war ein kurzes Aufleuchten wie ein heller Blitz, und dann war’s Nacht. — Als ich zu mir kam, ich weiß nicht, nach welcher. Zeit, sah ich, daß die Hälfte des Erdwalls nicht mehr da war; da war ein riesiger Krater, von unserem Gerät stand nur noch der halbe Spiegel, und der Mann, der die Seite'bedient, der saß da wie leblos. Ich ging zu ihm hin und fragte: . Kann ich Ihnen helfen?'Und da sagte er zu mir, es war der Unteroffizier Wedde: , Ach laß!'Dann sah ich, daß die übrigen da lagen, und zwar der Hüne wie gebrochen in Einzelteile. Er ist nachher auf dem Boden lallend neben mir gestorben. Die gleichaltrigen Luftwaffenhelfer sind sofort tot gewesen .. (4/514). Dieser letzte Großangriff vor der Invasion ist allen Luftwaffenhelfern noch in lebhafter Erinnerung, und die zwiespältigsten Gefühle knüpfen sich daran, zuweilen auch das Bewußtsein, größeres Unheil für die Vaterstadt verhindert zu haben. In der Tat erlebte die USAAF in jenem Sommer 1944 ihre große Krise. Sie meldete für Juni—August 1944 dei Ausfall von 922 ihrer 2 100 Viermotorigen. Fü eine „Fliegende Festung" wurde eine „Lebens dauer" von 21 Einsätzen bis zum Abschuß bzw der Außerdienststellung errechnet.

Mehr und mehr entwickelte sich bei vieler Luftwaffenhelfern Haß auf die „feigen" An griffe aus der Luft, und was die Propagande an Abwehrwillen nicht hatte schaffen können wirkte nun gar nicht im Sinne der Erfinder des „areal bombing". Ein Schock war es aber doch als man zum ersten Mal einen toten englischer Flieger sah; denn „daß wir auf Menschen schossen, haben wir gar nicht bedacht". Mit nicht geringer Wut aber registrierte man, welche Verwüstungen die Bomben in der Heimat anrichteten. Immer wieder ging es nach Angriffen hinunter, um beim Aufräumen zu helfen.

IV. Geistige Kriegsbeschädigte

Bei allen Alarmen und Luftangriffen ging für die Soldatenschüler der Dienst weiter. Im Schlaf konnten sie bereits die „Sprüche der Kanoniere": „K 2 stellt laufend mit Hilfe der Seitenrichtmaschine die vom Kommandohilfsgerät durchgegebenen Seitenrichtwerte am Seitenteilkreis ein und beobachtet den Umdrehungsanzeiger ... K 6 stellt laufend die vom Kommandohilfsgerät durchgegebenen Zünder-laufzeiten auf der Zünderstellmaschine ein und betätigt die Schwungmasse."

Immer sinnloser wurde der Wechsel von Fuß-, Geschütz-und Erkennungsdienst mit Schillers Räubern, der Germania des Tacitus, Bismarcks Kampf mit dem Klerikalismus, den Nürnberger Rassegesetzen und dem Streben des deutschen Volkes nach Lebensraum (vgl. Richtlinien für den Unterricht der Luftwaffenhelfer). Schule wurde überdies immer seltener. Seltener auch der Spaß, mal diesen, mal jenen Vorgesetzten ein wenig zu ärgern. Kopfschüttelnd hatte der „Zeus" beim Anrücken seiner „Edelknaben" zum Physikunterricht so manchen Cantus vernommen, den die Anwohner fassungslos kommentiert hatten: „Was ist nur aus unseren Kindern geworden?" Das war nun vorbei. Auch die Unteroffiziere erhielten keine Gelegenheit mehr, nachzugrübeln, was die Kerle da wieder singen, wenn zu den Kadenzen russischer Volkslieder die Verse Homers zweckentfremdet wurden.

Ernst nahmen die Jungen nur ihren „Dienst" an der Waffe: Ein Luftwaffenhelfer aus Essen (Jhg. 27), später bei Danzig gefallen, schrieb seinem Bruder ins Feld: 11. 2. 1944. Ich schreibe diesen Brief in aller Frühe um 3 Uhr morgens, denn ich habe gerade den Telephonposten (Flugmelder) für 2 Stunden (von 3— 5) übernommen. ... Vor 10— 11 Uhr kommen wir abends wegen Alarm nicht in die Koje. Gegen 1— 2 werden wir wieder vom Strohsack verscheucht und laufen den so bekannten Weg zum Geschütz. Oft heißt es dann , sehr wahrscheinlich Feindmaschine', wobei sich nachher herausstellt, daß es ein deutscher Jäger war. 26. 6. 1944 .. . liege ich jetzt in einer 10, 5 cm Großkampfbatterie, und zwar kurz vor Oberhausen . . . Die Großkampfbatterie, welche aus zwei Batterien besteht, die nebeneinander stehen, hat bis jetzt 21 Abschüsse. Das ist verdammt eine Leistung. Ich habe hier noch von keiner Batterie gehört, die so viele Abschüsse hat. Am 5. März lag die Batterie noch bei Krupp. Beim Angriff wurde die Batt, ganz schwer zur Sau gemacht, so daß sogar 6 Luftwaffenhelfer ihr Leben lassen mußten ..."

Der Ladekanonier war eine Funktion, die nur selten von Luftwaffenhelfern ausgeübt wurde, da die physische Belastung hier zu groß war, galt es doch die 39 Pfund schweren Geschosse oft bei fast senkrechter Rohrstellung in den Verschluß zu stemmen. Verletzungen von ausgeworfenen Kartuschen waren nicht selten. Den Ladekanonier stellten daher altgediente Mannschaften. „Wir hatten das Gefühl, du mußt funktionieren, sonst richtest du Unheil san. Und dieses Gefühl war allgemein, obwohl 4 wir nicht nur Anhänger des Systems in veraschiedener Abstufung unter Ofz., Uffz. und I Luftwaffenhelfer hatten" (Luftwaffenhelfer, LJhg. 1927, 1/514).

Anders war es bei den leichten Flakzügen.

Aus Jülich heißt es: „Wir schlugen uns da ^draußen die Nächte um die Ohren, hatten -Alarm, aber es passierte nichts. Man hörte in der Luft Flugzeuge brummen, und hier und da Stiel auch schon mal ein Leuchtschirmchen. — Wir hörten rundum, in Aachen und so, Bomiben fallen, von Abenteuer war da nicht viel. 1 Damals kam denn auch so eine Parole auf:

Edelweißpiraten, das war so eine , Wider-3 Standsbewegung'aus der HJ heraus, war aber 5 alles mehr oder weniger Gemunkel! Keiner was Genaues. Das Gefühl jedenfalls r wurde stark und stärker: , Wir werden hier 4 verbraten! 1 Reaktionen blieben auch nicht aus.

Wir sind nach einem Alarm so in die Stuben rein und haben das Hitlerbild von der Wand 1 heruntergenommen, haben einen Strick daran gemacht an dem Häkchen und den Strick über einen Balken geworfen und gesungen: , O hängt I ihn auf, o hängt ihn auf ...'Eines Tages, beim IReinemachen, kam einer auf die . glorreiche lIdee" und brannte dem Hitler die Nase weg. II Beim nächsten Stubenappell fielen wir natür-

Llich prompt auf" (O. Sch. Monschau, bis 23. 3. 11944 Jülich).

N Gewiß sind das noch keine Symptome eines Widerstandes, aber Anzeichen der Ideologie-Imüdigkeit, wie sie auch anderen Orts belegt kann: „Da machte einmal einer Propaganda, wir sollten Mitglied der Partei wer-

den. Da war von uns 50 ein einziger, der Mitglied wurde, und der durfte seither das Ab-i Zeichen tragen. Der ist mehr aber gehänselt und schikaniert worden, als ihm das sonst geschehen wäre" (Jhg. 1927, 4/514).

Immer deutlicher wurde angesichts der sich Agonie des Hitlerstaates eine latent vorhandene Reserve gegenüber dem Na-! tionalsozialismus. Manche der Luftwaffenhelfer sahen sich am 20. Juli bestätigt, andere mögen i nur in Ausnahmen davon berührt worden sein.

Einschneidender für eine politische Bewußtseinsbildung waren da schon die Erlebnisse beim Anrücken der Amerikaner und die Verlegung der Aachener Luftwaffenhelfer ins Innere des Reiches angesichts der drohenden Eroberung der westlichsten deutschen Großstadt.

Das aber zeichnete sich für die meisten mit dem Beginn der Invasion noch nicht ab. Um so ernsthafter versahen die militärischen Vorgesetzten ihre Pflicht: die Disziplinierung der Soldatenschüler. Selbst nach den schweren Angriffen gingen Fußdienst und Appelle weiter. Es wurden sogar Arrestbunker gebaut; einer erhielt Arrest wegen Sabotage am Wehrmachts-• gut, weil seine Schnürstiefel beim Appell einen rostigen Nagel aufwiesen. Das geschah in derselben Woche, als man zwei seiner Mitschüler auf dem „Heldenfriedhof" hatte begraben müssen. Alle Idylle war vorbei und manche Illusion verflogen, als der Jahrgang 1926 als neues Kanonenfutter zum Heer eingezogen worden war, die Flakhelfer der ersten Stünde zu Ober-helfern befördert waren. Eingelebt hatten sich die Jungen vom Jahrgang 1927, die im Juli 1943 gekommen waren, ja sie fühlten sich bereits als „alte Hasen" vor den kaum Fünfzehn-jährigen, die man im Januar 1944 aus der Obertertia (!) des Jahrgangs 1928 rekrutierte.

Empfindlich machten sich Rivalitäten innerhalb der an sich schon so heterogenen Einheiten bemerkbar. In einem Brief aus der Essener Batterie liest man: „Vorige Tage hat unsere Batterie wieder 53 Luftwaffenhelfer zugeteilt bekommen — Jahrgang 1928. Die Hälfte von diesen Boys ist von der Kl. 5, die anderen Kl. 6. Die meisten hiervon sind so groß, daß sie mir gerade zum Koppel gehen. Ich weiß gar nicht, was wir damit machen sollen. Am Geschütz können wir sie nicht braueben, dafür gehen die Handräder zu schwer. Bis jetzt haben wir aber auch . noch keinen Platz, wo sie schlafen könnten; daher müssen sie jetzt 14 Tage lang zum Schlafen nach Hause gehen. Anfang Februar werden die Jungen des Jahrgangs 1926 entlassen und kommen zum Arbeitsdienst. Dann gibt es wieder Platz ..." Der Verbindungslehrer zur Flakuntergruppe Aachen berichtete am 29. April 1944 dem Ober-präsidenten der Rheinprovinz: „Die Fürsorge ist nach Auffassung vieler Eltern im allgemeinen nicht so, wie sie den noch im Kindesalter stehenden Jungen zuteil werden müßte ... Die Jugendlichen werden übermäßig in Anspruch genommen. Jede Nacht lange Feuer-bereitschaft, wobei bis zu 7 Stunden Alarm-dauer keine Seltenheit bilden. Die Jungen haben viel zu wenig Schlaf und Ausruhmöglichkeit ... Der Unterricht kann infolge der überaus zahlreichen Alarme nur sehr schwer durchgeführt werden. Sehr oft muß er ganz ausfallen. Auch kommt es immer wieder vor, daß während der Unterrichtszeit Luftwaffenhelfer zu Sonderdiensten wie Postenstehen u. a. trotz gegenteiliger Zusicherung .des Gruppen-45 kommandeurs und trotz Einspruchs des Verbindungs-und Betreuungslehrers herangezogen werden. Es wurde dann erklärt, , aus taktischen Gründen'könne man darauf nicht verzichten ..."

Im letzten seiner alle zwei Monate an die Koblenzer Mittelbehörde zu leitenden Berichte faßte der Aachener „Verbindungslehrer''am 23. Juni 1944 unter „Bemerkungen" zusammen: „Es wäre dringend zu begrüßen, wenn der Jahrgang 1929 demnächst vor der Einberufung zum Luftwaffenhelfer-Dienst bewahrt werden könnte, weil die Anforderungen, die an die Jungen in seelischer und körperlicher Hinsicht gestellt werden, doch weit das Maß dessen übersteigen, was billigerweise von ihnen erwartet werden kann. Die Überanstrengungen werden sich z. B. in einem späteren Lebensalter bitter rächen."

Möglicherweise ist der Nachtrag IX zu den Luftwaffenhelferbestimmungen, herausgegeben am 25. Mai 1944 (Abt. II b Nr. 52 784/44, Chef d. Lw. /Wehramts des Reichsministers der Luftfahrt), Ergebnis solcher Einsprüche. Es heißt hier u. a.: „Der Führer hat gemäß Vorgang entschieden, daß künftig nur noch ein Jahrgang Jugendliche, und zwar etwa je zur Hälfte Schüler und Lehrlinge (einschl. Anlernlinge, Fachschüler und sonstige Berufstätige) zum Luftwaffenhelfer-Dienst jeweils für die Dauer eines Jahres herangezogen wird und daß die im Sommer ... zu entlassenden Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1927 durch Lehrlinge des Jahrgangs 1928 abgelöst werden." Im allgemeinen aber nutzten alle noch so nachdrücklich vorgetragenen Bedenken der Mittel-und Oberbehörden wenig.

Görings Generäle beschönigten die Tatsache, daß der Ehrgeiz des Reichsmarschalls, dem Führer neue Regimenter für die Ostfront zuzuführen, teuer erkauft wurde. Um knapp 170 000 Flaksoldaten nach vorne zu schicken, mußten 250 000 Jungen mit 15 und 16 Jahren auf eine einigermaßen brauchbare Schulbildung verzichten. Entgegen aller überprüfbaren Wahrheit behauptet der kommandierende General im Luftgau VII: „Die schulische Betreuung hat in einer Vielzahl von Batterien zu Ergebnissen geführt, die über dem Normalunterricht liegen. Vor allem aber sind die Beschränkungen in der Bewegungsfreiheit, der dauernde Umgang mit den Kameraden und die sich hieraus ergebende geistige Anregung für die Luftwaffenhelfer ein Ansporn zum Lernen und Arbeiten an sich selbst gewesen." — Dieses „Arbeiten an sich selbst" geschah freilich anders als beabsichtigt. Aus Hitlerjungen wurden kritische, gegenüber aller Autorität skeptische Jugendliche, die nach dem Krieg zunächst einen entschiedenen „Ohne mich" -Standpunkt vertraten. Das war nicht zuletzt das Ergebnis des Kriegs — wie auch der alliierten Propaganda: „Wir glaubten weder den Goebbelsleuten noch dem englischen Rundfunk, den wir abends unter der Bettdecke hörten."

V. Erster Einsatz von Luftwaffenhelfern im Erdkampf

Trotzdem wurde, je näher die alliierte Offensive den Reichsgrenzen kam, Radio London zur bevorzugten Informationsquelle. Bald sollten die Soldatenschüler kennenlernen, wie vielseitig ihre „ 8, 8" war. Da mußten schon Anfang September 1944 im indirekten Beschuß Panzeransammlungen . zwischen Raeren und Eynatten unter Feuer genommen werden. Artilleriefeuer ging auf die Stellung. Von Panzern, die im Gesichtskreis der Batterie auftauchten, ist die Rede.

In der 2/514 hatte der neue Batteriechef, ein von der Front in Frankreich kommender Einheitsführer, die kürzlich einberufenen Lehrlinge bereits am 9. September in Marsch gesetzt. Vor dem Abmarsch hatten sich einige in Räuberzivil nach Hause „abgesetzt", um den Eltern bei der Evakuierung zu helfen. Vorkehrungen zum „Empfang" der anrückenden Amerikaner werden getroffen, die Wälle geebnet, Schützenlöcher gegraben und die Batterie mit einem Objektschutz leichter Flak umgeben, die der Batteriechef selbst zusammen mit „Kettenhunden" aus der von Frankreich zurückflutenden Truppe „organisierte".

Von den Eupener Jungen ist nur noch einer bei dieser Resttruppe, die zunächst in Köln in Stellung geht. Er berichtet über die letzten Monate seiner Tätigkeit als „Wehrmachtsgefolge", wie die Luftwaffenhelfer kriegsrechtlich immer noch heißen: „Als wir von Aachen nach Deutschland (sic!) kamen, da ging es erst richtig los, verluden sie uns auf Lkw’s. Ich war mit dabei, da ich gerade beim vorgeschobenen Beobachter gewesen war, als meine Eupener Mitschüler abgehauen waren ... Die machten schon ganz schön Zirkus von wegen Fahnen-Iflucht’, , Desertion'und so, aber ich war ja nun qda geblieben ... So ging es nach Köln. In Köln hieß es eines Tages: , Es geht nach Ham-

burg! ‘ Wir standen also auf dem Bahnsteig, und da sah ich gegenüber einen Zug mit dem HRichtungsweiser , Frankfurt'. Da fiel mir meine ITante in Frankfurt ein; nach Hause konnte ich iija nun nicht mehr. Ich machte mich davon und estieg in den Zug nach Frankfurt; kam zu den /Verwandten und verhielt mich dort so 14 Tage gganz ruhig. Dann aber wurde mir das doch zu obrenzlig, und ich meldete mich als Versprengdter. Man steckte mich in eine Flakbatterie bei Mainz. Mit denen bin ich dann noch vor den Engländern bis an die tschechische Grenze geiflüchtet. Eines Tages schlief ich bei einer Marschpause auf der Treppe vor einem Bau-Hemhof ein. Am anderen Morgen wurde ich verdutzt in einem Bett wach. Die Bauersfrau kam dann ins Zimmer, gab mir meine Papiere Bind sagte-, ich solle mich ruhig verhalten, nmeine Uniform hätte sie schon verbrannt. Dann ggab sie mir Sachen von ihrem Sohn zum Anyziehen. Und ich sehe noch an einem der nächListen Tage meine Kameraden von der Flak auf ILkw’s abfahren in die Gefangenschaft ... Eine Zeitlang blieb icn dann noch auf dem Hof und arbeitete auf dem Feld. Zum Dank schenkte mir die Bäuerin ein Fahrrad, und damit bin ich dann quer durch Deutschland nach Hause ge-

ifahren (O. Sch. Eupen; Jhg. 1928). Immer wieder berichten die kaum 16 Jahre alten Soldatenschüler des Jahrgangs 1928 von den schweren Einsätzen gegen amerikanische {oder russische Panzerkeile während der letz-ten Die ersten aber, die solchen {Einsatz erlebten, dürften nicht die bei Arnheim eingesetzten Angehörigen der Neußer Batterien seih, sondern Jungen von der 6/514, die auf dein Aachener Golfplatz gestanden hat. An der Straße Cornelimünster—Walheim waren sie um den 10. September in Stellung gegangen:

Schußfeld Walheim. Aber da kamen von Schleckheim her am 14. September schwere Shermans angerasselt und schossen ihre Stel-

Jung zusammen.

Unter den Bedienungsmannschaften gab es Verluste: Volltreffer in ein Zelt. Der Geschütztstaffelführer war umsichtig genug gewesen, der leichten Flak das Feuern auf die beständig aufkreuzenden Jabos zu verbieten. Er behielt auch jetzt ruhig Blut und befahl „Absetzen in den Raum Kohlscheid/Alsdorf". Schwerverwundet geriet ein Luftwaffenhelfer in amerikanische Gefangenschaft, wo man ihm im. amerikanischen Feldlazarett einen Fuß amputieren mußte. Er wurde als Kriegsgefangener noch in die USA gebracht und dürfte wahrscheinlich der erste gefangene deutsche Luftwaffenhelfer gewesen sein. Der Staffelführer selbst ist bei diesem Einsatz gefallen. Seine Helfer sind zum Teil von Cornelimünster aus zu ihren Eltern zurückgekehrt und haben sich in Aachens Vororten überrollen lassen. Gezündet hatte das Beispiel der drei Eupener, die sich bereits nach dem indirekten Beschuß von Hergenrath in der Nacht aufmachten, in Raeren übernachteten und schon am 12. September „befreit" waren,.

Der Fall Aachen blieb für viele das einschneidende Erlebnis: „Vorher haben wir auf Posten schon mal das Rundfunkgerät eingeschaltet, zuerst nicht wegen der Nachrichten (der engl. Soldatensender), sondern weil es uns um die flotte Musik ging. Als wir die technische Überlegenheit der anderen zu spüren bekamen, wurde versteckt diskutiert ...denn es waren auch Fanatiker unter uns. Und das setzte sich immer stärker fort nach der Invasion und als die Verbände von der Westfront zurückfluteten ... Offene Diskussionen, die sind dann aufgetreten, als wir nach dem 12. September Aachen verlassen hatten und in Köln gelegen haben, einige Zeit ohne Verwendung und ohne besondere Aufsicht. Man sagte sich da: . Jetzt ist unsere Vaterstadt verloren, was soll das noch alles?'Da gab es dann zwei scharf getrennte Lager: das eine, das an Führer und Sieg glaubte, und das andere, das glaubte: , Die Sache ist gelaufen; wir müssen jetzt sehen, daß wir gut durch den Schlamassel durchkommen'" (Luftwaffenhelfer, Jhg. 1927; le. Flak Abt. 889; Mittelschüler).

Als die Schlacht um Arnheim tobte, hatten bereits im September 1944 die Neusser Fläkhelfer nach einem Stellungswechsel zur holländischen Grenze Gefechte mit Luftlandetruppen und Panzern durchzustehen. Anfang September 1944 verlegten auch Batterien des Großraums Essen ihre Feuerstellungen auf Gebiete westlich des Rheins. Ein Luftwaffenhelfer der 4/748 berichtet: „Mit unserer Batterie wurden wir im Herbst 1944 auf die Kuhweiden bei Zyfflich verlegt. Wir waren noch keine halbe Stunde in Stellung, da bekamen wir lebhaften Kontakt mit tieffliegenden Gegnern und wir verschossen mit unseren drei Vierlingen innerhalb 5 Sekunden 250 Schuß. — Einen Tag vor der größ47 ten alliierten Luftlande-Invasion des Zweiten Weltkrieges auf den Raum Arnheim-Nijmwe-gen wurden alle dort eingesetzten Flakhelfer auf höchsten Befehl durch kampferprobte Flak-soldaten abgelöst."

In seinem Bericht erwähnt Norbert Krüger (in: Das Münster am Hellweg Februar und März 1975) di? se Verlegungen, allerdings auch die baldige Rückberufung der Luftwaffenhelfer. Ein von ihm zitiertes Luftwaffenhelfer-Tagebuch vermeldet für den 6. September 1944:

„ 4 Uhr erneuter Anflug der Tiefflieger. Lazarettzug vor dem Bahnhof beschossen. Um 2. 30 Uhr ausgeladen. 4. 15 Uhr mit Lkw abgeholt nach Twisteden. Feuerstellung gesucht. Auf einem Feld ausgeladenen vorm Panzergraben. Bis Mittag Stellung ausgebaut und an jedem Geschütz 6 Einmannlöcher gebaut. Nachmittags Zelt aufgebaut. Nachts bei Leuten nahe der Stellung geschlafen ..."

Am 14. September werden diese Luftwaffenhelfer gegen Soldaten ausgewechselt und kehren über Kevelaer nach Gelsenkirchen zurück. Den Verfasser des o. a. Tagebuches verschlägt es gegen Jahresende in eine Batterie zum Schutz der Hydrierwerke nach Pölitz. Am 28. Januar 1945 trägt er in seine Kladde ein:

„Kein Kirchgang wegen Panzeralarm. 3 Uhr Panzeralarm."

Am 30. Januar 1945: „ 14. 30 Uhr Panzeralarm. 6 Panzer bei Stargard abgeschossen."

Am 1. Februar 1945: „ . . 5 Mann zum Einsatz abgerückt mit Panzerfaust und Gewehr. Gruppenführer: Uffz. Schirmer. Wehrsold empfangen: 15, 50 RM." überrollt von russischen Panzern waren zu diesem Zeitpunkt bereits die Flakbatterien jenseits der Weichsel: z. B. „Die Beuteflak" der 653 Abt. und der Heimat Flak Batterie 231/1, bedient von 380 Luftwaffenhelfern, 119 Flak-soldaten und 32 Flakhelferinnen (Krüger, a. a. O., S. 66).

In der Meldung Nr. 592 vom 19. Februar 1945 gibt das Luftflottenkommando 6 die Verluste des II. Flakkorps seit dem 12. Januar 1945 wie folgt an: 11 Luftwaffenhelfer gefallen, 31 verwundet, 41 vermißt . . . (Krüger, a. a. O.).

Aus der 1/462 berichtet ein vom 26. Januar datierter Brief vom Panzereinsatz bei Stargard:

„ . . . Als Panzer auftauchten, wurde beim Feuerwechsel Geschütz A mit dem ersten Schuß vernichtet; vermutlich ist dabei die ganze Bedienung gefallen. Geschütz B blieb unentdeckt in den dichten Rauchwolken einer brennenden Scheune und wurde gesprengt. Die Bedienungsmannschaft setzte sich nach Stargard ab." Von dort ging es nach Kolberg, von wo ein Großteil der Luftwaffenhelfer vor dem Fall der Stadt in der zweiten Märzhälfte über See abtransportiert wird.

Uber Stralsund gelangen diese Essener Luftwaffenhelfer nach Rostock, Bad Doberau, Wismar und Lübeck. Die letzten 20 Mann erreichen am 7. Mai Brunsbüttelkoog und damit die englische Kriegsgefangenschaft. Wer von ihren Kameraden in russische Kriegsgefangenschaft geriet, kam oft erst 1948 zurück.

Bereits am 25. Januar ging die ebenfalls aus Essen nach dem Osten verlegte 4/462 unter:

„Auf einer Straße nach Posen unterwegs, gab es Panzeralarm. Der Batteriechef versagte sofort und ließ sich , aus Krankheitsgründen’ vom Wachtmeister im Pkw nach hinten bringen. Ein Leutnant blieb als einziger Offizier und fuhr zur Aufklärung vor. Ein Offizier, von der Front kommend, empfahl den Rückzug. Eine Brücken-sprengung rettete vorerst die Einheit, die bereits das Kettengerassel der russischen Panzer vernahm, die 500 m von ihnen entfernt auffuhren, denen aber ein Wäldchen die Sicht versperrte. Doch auf dem weiteren Rückzug wurde die Batterie vernichtet. Von der zurückgelassenen Nachhut schlugen sich die Luftwaffenhelfer in Gruppen oder einzeln zum Restkommando durch. Einer kroch dabei bäuchlings über die zuaefrorene Oder zu den deutschen Auffanglinien zurück" (nach H. Krüger, a. a. O., S. 68).

VI. Von West nach Ost — von Ost nach West Die Odyssee der Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1928

I Die Aachener Jungen wurden zum Schutz des I Ruhrgebiets eingesetzt, sofern sie nicht — wie Jahrgang 1927 — ihren Gestellungsbefehl die Einberufung zum RAD ausgehändigt bekamen. Sie waren entweder in Marl eingeI setzt oder gehörten zur Flakgruppe Dorsten oder lagen bei Recklinghausen. Hier erlebte {man Bombenteppiche, mußte Scheinstellungen j bauen und zitterte noch mehr als früher, weil man nicht mehr am Geschütz stand, sondern in der Nähe der Tarnstellungen, auf die der Bombenhagel gelenkt werden sollte. Allgemein galten die Luftwaffenhelfer von der linksrhei nischen Seite als unzuverlässig. Als in Dortmünd einige Schülersoldaten sich nach Hause absetzten, erhielten die „unsicheren Kantonisten" Ausgehverbot. Und schließlich gab es eine merkwürdige Szene: „Wir mußten antreten. Trommeln wirbelten, : dann wurde verkündet: „Die Luftwaffenhelfer {NN sind gefaßt und als Deserteure erschossen worden!" Ich wußte von ihrem Plan. Als wir verlegt wurden, fuhren die drei mit der Straßenbahn nach Hagen, und um ihr Wegbleiben zu verschleiern, war ich mit der ganzen Gruppe erst 2 Stunden später, um 1/29, in der neuen Unterkunft. Aber gefaßt haben konnte man die gar nicht. Man wollte nur feststellen, ob wir etwa bleich würden und dadurch unsere Mitwisserschaft verrieten." (Luftwaffenhelfer, Jhg.

1928; 5. Battr.) N Die leichte Flak in den Kreis-und Industrie-städten östlich von Aachen bekam bei der „Schlacht um Aachen" Feindberührung.

Als sich alliierte Panzerarmeen der Rur-Linie näherten, wurde es Ernst für die Schüler-Soldaten der leichten Flakbatterien in Eschwei-. ler, Alsdorf und Jülich. Aus Eschweiler berichtet man;

„Jetzt ging ein Teil, vor allem die jüngeren Luftwaffenhelfer, an die holländische Grenze.

Sie mußten dort den Schutz der Zivilisten übernehmen, die Panzergräben aushoben und Stellungen bauten. Dabei waren sie heftigen Jabo-

Angriffen ausgesetzt. Unser Batterieführer, ein Thüringer, ein junger zynischer Hund, der sich bisher an der Front vorbeigedrückt hatte, wollte sich nun , bewähren'. Er zog also in eine Stellung an der Front, um die ganze Gruppe einzusetzen. Dabei erlebte er einen mächtigen , Trouble'mit einem hohen Wehrmachtsoffizier.

Der machte ihn fertig, wie er sich unterstehen könne, mit diesen Kinder in die Kampflinie zu ziehen. Der Wehrmachtsoffizier hat dann für die Rückkehr der Luftwaffenhelfer nach Eschweiler gesorgt. Geblieben sind die Soldaten und Unteroffiziere, die kurz darauf schwere Ausfälle gehabt haben. Die Eschweiler Jungen kamen dann in Batterien des Ruhrgebietes und z. T. nach Braunschweig und Salzgitter." (Luftwaffenhelfer aus Eschweiler Jhg. 1928; Hochschulprofessor)

Auf linksrheinischem Gebiet hielten sich bis zum Fall der Remagener Brücke Schüler aus Jülich auf. Sie erlebten zunächst im Zusammenhang mit der Schlacht im Hürtgenwald, kurz bevor die alte Kreisstadt Jülich zu 90 0/0 zerstört werden sollte, ihren „Karfreitag":

„Am Morgen waren im Ausbesserungswerk Waggons verladen worden, und dabei griffen Lightnings und Thunderbolts an, und da haben wir geschossen, drei Stück abgeschossen. Dann hatten wir den ganzen Tag über diesen „Sturen" da (Aufklärer), und der hat uns fotographiert. Und gegen Nachmittag, gegen 4— 5 Uhr, kamen die Bomber in einer Höhe, daß wir gar nicht hätten schießen können. Die ersten Bomben lagen genau in der Batterie — alle Geschütze unbrauchbar, verbogen, verdreckt" (Luftwaffenhelfer Jülich, Jhg. 1927). „Der NN, der fing auf einmal an zu weinen. Da hab ich ihn zu mir geholt. Komm, Du teilst alles mit mir! Was Dir passiert, das passiert, mir auch! Und dann hat er sich wieder beruhigt. Es war eben die Angst, wir haben damals zwei verloren, einen Luftwaffenhelfer" (Zugführer; 2. Zug Jülich).

Kurz danach war die Beerdigung des gefallenen Klassenkameraden. „Anfang Oktober, man muß sich die Beerdigung vorstellen! Das war für uns so schockierend: die Mutter weinte, der Vater war mehr gefaßt, die drei Brüder waren Soldaten. Dann die Frontnähe ... Artilleriefeuer hörte man sehr gut. Jabos oben drüber. Und dann noch eine Gruppe Flaksoldaten: Zur Salve hoch! Legt an! Feuer! Wir vergaßen fast Atem zu holen." (le. Flak Battr. Jülich, Luftwaffenhelfer Jhg. 1927).

Von Jülich ging es nach Liblar und Weilerswist. Es kam die Zeit der täglichen Duelle mit den Jabos. „Wir haben grundsätzlich beim Anflug geschossen. Solange du die sehen konntest, war eben keine Gefahr. Man hatte nachher irgendwie im Gefühl: Die treffen nicht. Wir haben bestimmt ein Dutzend Maschinen runtergeschossen. Man sagte sich als K 1: Du kannst den anderen (K 4) nicht im Stich lassen. Und dann haben wir geböllert, bis einer runter-kam. Ich betone es immer wieder, das war keine , Tapferkeit', das war reine Selbstverteidigung: Der oder ich! Mit . Heldentum'und , Ein Volk steht auf hatte das nichts zu tun: da war unsere Kinderstube so, daß die dafür nichts übrig hatte." (Luftwaffenhelfer Jülich, Jhg. 1928).

Gegen Jahresende lag man irgendwo am Rande des Vorgebirges. Was da nun geschah, ist für den Berichterstatter noch heute „der Gipfel des ganzen Unsinns":

„Wir saßen den ganzen Tag rum und taten nichts. Wir kosteten unsere . Überlegenheit'aus. Alle mußten Holz holen zum Baracken-bau, nur die sechzehnjährigen, die taten nichts . . . Wir waren die einzigen in unserem Zug, die in der Lage waren zu schießen. Die konnten das alle nicht, das waren Invaliden, kamen von der schweren Flak, denn jeder, der nur ein bißchen was leisten konnte, der wurde hier im Westen in den Fronteinsatz geschickt: Ardennenoffensive usw. Die ärmsten Teufel, die von der Waffe nichts verstanden, die sie nirgendwo unterzubringen wußten, die kamen zur Flak. Wenn die Geschütze auf die Lafetten gebracht werden mußten, da war da ein Ober-gefreiter, der ein bißchen Ahnung hatte. Ohne uns wären die Kanonen stehen geblieben; wir gingen von Geschütz zu Geschütz. Man muß sich das einmal vorstellen, daß ein Flakzug angewiesen ist auf drei Sechzehnjährige. Der Zugführer war völlig ahnungslos: Ich weiß ja nicht, was Ihr hier tut, aber macht mal! Das war also nun das Ende! Wenn man sich vorstellt, daß die Feuerbereitschaft, die Verteidigung, von ein paar Knaben abhängt, die dann sogar noch ihre Laune an den Leuten auslassen" (Luftwaffenhelfer Jülich, Jhg. 1928, 2. Zug).

Auf der Sperrmauer der Urfttalsperre hatte, umgeben von Fesselballons, ein Zug Jülicher Flakhelfer bei der Vierlingsflak ausgehalten, bis die Amerikaner bei Roetgen die Grenze erreichten. Man verlegte sie zum Schutz eines Nachtjägerflugplatzes nach Dortmund:

„Aldenhoven bei Jülich war schon eingenommen, da dachten wir: , Es ist Zeit, daß wir abhauen!'In der folgenden Nacht gingen wir zu Fuß nach Unna und schlugen uns nach Much durch, wo der Onkel meines Kameraden einen Hof hatte. Unsere Eltern kamen, brachten uns Kleider mit und holten uns nach Hause. Etwa 14 Tage später stand Feldgendarmerie in der Wohnstube; mein Freund saß schon draußen im Wagen. Man brachte uns zuerst nach Jülich in die Zitadelle. Die Feldgendarmen waren sehr gut zu uns, wir waren ja erst 16 Jahre alt. Dann wurden wir nach Dortmund in Marsch gesetzt. Es hieß, wir kämen vor ein Kriegsgericht . . . Der Kriegsgerichtsrat, der uns vernahm, war ein sehr vernünftiger Mann. Er versuchte gar nicht, uns in Widersprüche zu verwickeln. Etwa 14 Tage später war ein Impftermin, zu dem die Batterie geschlossen antreten mußte. Uns Ausreißern wurde befohlen, feldmarschmäßig anzutreten, mit Stahlhelm und Gasmaske. Wir wußten, was das hieß. Dann mußten wir vortreten, das Urteil wurde verlesen: Wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe zehn Tage Kasernenarrest! Mein Freund und ich wurden zusammen eingeschlossen, und in dieser Zeit fielen mehrere Angriffe auf den Flugplatz. Ich weiß noch, da hatten wir furchtbare Angst: Wir sahen die Bomben fallen, konnten aber nichts tun und waren schutzlos ausgeliefert..."

Luftwaffenhelfer der 2/889 aus Alsdorf erlebten das Kriegsende in einem französischen Kriegsgefangenenlager. Den Weg dorthin beschreibt einer ihrer Unteroffiziere, der sich als Studienassessor auch um ihre „schulische Betreuung" zu kümmern hatte. „Von Alsdorf ging es beim Herannahen der Amerikaner zunächst nach Belgien zum Schutz der Eisenbahnbrücke bei Montzen, die wir im August gegen Jabos zu sichern hatten. Dann sollten wir zur Stadtverteidigung Aachens eingesetzt werden und schanzten auf der Flöhe Verlautenheide-Würselen. Schließlich ging es aber nach Jülich, wo wir 14 Tage blieben und von da nach Beuel in eine Stellung bei Hersel. Am Ende galt es einen rheinischen Brückenkopf zu sichern nach dem Fall der Remagener Brücke. Unter heftigem Beschuß der Amerikaner setzten wir dann auf das rechte Rheinufer hinüber und verloren bei dieser Aktion einen der Jungen. Im März kapitulierten wir in unserer letzten rechtsrheinischen Stellung und wanderten über Kriegsgefangenenlager im Ahrtal und in Belgien nach Nordfrankreich. Die Luftwaffenhelfer wurden von dort aus schon früh entlassen und haben meiner Frau mitgeteilt, daß ich noch lebte" (Stud. Dir.; Uffz. bei der le. Flak; Jhg. 1912). Teile dieser leichten Batterie waren wie vorher die Flakhelfer aus Monschau schon im Frühjahr 1944 zu den Aachener schweren Bat-f terien versetzt worden. Sie traten z. B. ihre Odyssee im Rahmen der 2. Batterie zum 'I Schutz des Ruhrgebiets an: 1 Von Marl-Hüls, wo sie die Hydrierwerke -schützen sollten, wurden die Schüler der 3. « Battr. nach Wesel verlegt und bauten dort eine «neue Stellung. Beim Anrückeh der Engländer I ging es dann »weiter auf die Flaktürme Ham'burgs. Hier erlebten die Flakhelfer Bomben-t teppich auf Bombenteppich bei den schweren amerikanischen Tagesangriffen. Andere ver-

(schlug es in die Nähe Stettins, von wo man 4 sie zum Einsatz gegen russische Panzer ver-

1 wendete, nachdem sie das zweitgrößte deut-1 sehe Hydrierwerk in Pölitz gegen Luftangriffe verteidigt hatten, bis es nach zwei Großangriffen der USAAF zu mehr als 70 °/o zerstört i War. i Sie waren an einem der letzten großen Ab-

wehrerfolge der Flak beteiligt, wenn der Gewährsmann auch meint, ungünstige Witterung j habe beim ersten Großangriff auf das Hydrierwerk in Pölitz den Mißerfolg der Ame-: rikaner verursacht, so weiß doch die Chronik:

I „Innerhalb von 15 Minuten jagten 400 Flak-geschütze 40 000 Granaten den 240 Feindbombern entgegen, irritierten die Pfadfinderma-

j schinen dadurch so, daß sie die Rauchzeichen t verspätet setzten und die Bombenteppiche die Werke verfehlten" (Schätz, a. a. O., S. 274).

I Von hier aus ging die Batterie zum Einsatz • gegen die vorrückenden russischen Armeen, gehöste mithin zu den 41 schweren und 35 j leichten Flakeinheiten, die jenseits der Oder I untergingen. „Und dann war es wohl so: es wurde dieser I Status des Luftwaffenhelfers von heute auf morgen aufgehoben, und zwar noch bevor die kamen. Aus dem einfachen Grunde, so hieß es damals, weil diese jungen Leute I mit den HJ-Armbinden von den Russen als und Spione angesehen würden, I jedenfalls nicht als Angehörige des Militärs, j und dementsprechend behandelt würden ... Zwei Tage später:

Als wir nun auf diesen abgeschossenen Pan-> zer und die Toten da zukamen, und dieser Offi-I zier, dieser Flakoffizier, uns kommen sah, wir I waren, glaub ich, zwei so im Alter von 17 Jah; ren, da weiß ich noch, daß der zu einem Un; teroffizier da Was sagte: „Leg mal schnell da ein paar Decken drüber, da kommen zwei Jungens! Die müssen da wohl fürchterlich ausgesehen haben, so verbrannt oder sowas, zerfetzt oder wie ..." (Jhg. 1928; vorm. 3/514).

Flucht vor den Russen brachte die einen nach Mecklenburg, die anderen ließen sich von den Engländern im „Alten Land" auf den Obstwiesen vor Hamburg internieren, sofern sie nicht vorher in die Orte entlassen worden waren, wo die Evakuierung Aachens ihre Eltern hingeschwemmt hatte, mit der Auflage, sich beim Wehrbezirkskommando zu melden.

Für diejenigen, die von der Heimat abgeschnitten waren, wurde die Batterie nach und nach doch noch zur Ersatzheimat. Ein Erlaß des OKL Luftwaffenwehramt vom 22. 12. 1944 (Bundesarchiv: R. 21/529 fol. 21) bestimmte: „Luftwaffenhelfer mit Spezialausbildung und durch die Kriegsereignisse heimatlos gewordene Luftwaffenhelfer sollen dagegen bis zuletzt im Einsatz bleiben." Dankbar erinnern sich wallonische Schüler an die Hamburger Batterie, wo ihnen noch fast bis zuletzt Unterricht erteilt wurde und wo sie Lehrer fanden, die sehr viel Verständnis für sie aufbrachten, und auch an Batterieführer, die ihnen 1944 über ein trauriges Weihnachtsfest hinwegzuhelfen versuchten und bei den ersten Nachrichten über die Erfolge der Ardennenoffensive bereit waren, entgegen aller Vorschrift Urlaub zu gewähren.

„Eigentlich darf ich dich nicht ins Frontgebiet entlassen", wurde einem Jungen aus St. Vith erklärt. Zwei andere aus Malmedy erhielten kurz nach Sylvester Urlaub nach Euskirchen. Von den dreien konnten zwei in die Schnee-Eifel gelangen. Sie gerieten in den deutschen Rückzug, versteckten sich beim Abrücken der Wehrmacht in Kellern und gelangten in ihre Heimatdörfer. Für den einen war eine Odyssee beendet, den anderen schleppte amerikanische Militärpolizei vom Tisch der Eltern weg in Straflager bei Verviers, Welkenraedt und Huy; belgische Behörden verdächtigten ihn zu Unrecht der Spionage, um ihn wenige Zeit später zum Dienst in der belgischen Armee einzustellen, wo man ihn und seine Landsleute beim Einrücken in Lüttich ausdrücklich ermahnte, nur ja kein Deutsch zu sprechen. Berliner Unteroffiziere hatten ihn und seine Klassenkameraden kaum zwei Jahre vorher in Aachen noch „Saufranzosen“ ausgeschimpft. Dem dritten glückte die Heimkehr nicht, obwohl er sich einmal bei Roetgen und zweimal bei Udenbreth bis in die Hauptkampflinie vorstehlen konnte und seinen Urlaub um 16 Tage überschritt (O. Sch. Malmedy, Jhg. 1928): In Hamburg dagegen ging bei den sich selbst überlassenen jungen Aachenern Flakhelfern der Heldenklau um und suchte Freiwillige für die Wehrmacht, vor allem für die Waffen-SS. Die Luftwaffenhelferbatterien scheinen für diese Menschenfänger bevorzugtes Jagdgebiet gewesen zu sein. Aus Aachen und Essen gibt es gleichzeitig ausführliche Beschreibungen: „Essen, den 17. 5. 1944 ... Vor 14 Tagen bin ich zum Lüftwaffen-Oberhelfer befördert worden. Vorige Tage müßten alle vom Jahrgang 1928 zur Polizei kommen. Dort wurde ihnen eingeredet, sie sollten zur Waffen-SS gehen; wenn nicht, würden sie zu den Sturmpionieren oder zur Infanterie geschrieben. Nur diejenigen, die sich schon freiwillig zu irgendeiner Waffengattung gemeldet haben, sind davon ausgeschlossen. Den höheren Schülern wurde gedroht, wenn sie sich nicht zur SS melden würden, würden sie von der Penne fliegen ..." „In der Batterie wurde für die Waffen-SS geworben, und einige hatten sich auch breitschlagen lassen. Ich kam nun auf'die Idee zu sagen: , Ich kann mich da nicht entscheiden, ich bin noch nicht 16 Jahre alt, ich muß zuerst meine Eltern fragen.'Diese Ausrede habe ich ein paar Mal mit Erfolg benutzt. Dafür bekam ich allerdings, wie ich später gemerkt habe, einen Vermerk in meine Papiere: . politisch nicht zuverlässig'" (Luftwaffenhelfer Jhg. 1928; O. Schule Monschau).

Dieser Schülersoldat war der letzte Luftwaffenhelfer einer Hamburger Batterie, und die sonst so gefährliche Eintragung in die Personalpapiere brachte ihm ein vertrauliches Gespräch mit seinem Batterieführer: „Als die Engländer sich Hamburg näherten, rief mich der Batterieführer eines Tages zu sich und sagte: . Junge, wie denkst du darüber? —-Die Engländer kommen immer näher, und'

ich seh dich da noch mit deiner Hakenkreuz-binde herumgehen. Ich glaube, es ist besser, [wir machen dich zum Soldaten. Du bekommst eine Soldatenuniform und ein Soldbuch, und } dann bist du Soldat und nicht mehr Luftwaffen-; helfer. Man weiß nie, wie die Engländer dar-• über denken.'"

Derselbe Junge hatte in Aachen nach dem großen Angriff selbst seine HJ-Binde abgelegt, als er auf Urlaub zurück in die Voreifel wollte.'Er dachte: „Die schlagen mich tot, wenn die das Hakenkreuz sehen." Genau dasselbe befürch-tete nun auch sein Leutnant.

Kaum eine Begebenheit könnte besser veranj schaulichen, auf welche Weise der Wahnsinn ; Methode bekam, als man Obertertianer zu Solj daten machte, 15jährige zu Kombattanten. Kämpfen sollten sie, auch sterben, aber nicht I als Soldaten gelten. Noch ihr Tod sollte bili liger sein als der eines Wehrmachtsangehöri-„Die Überführung der Leiche hat auf dem I billigsten Wege zu erfolgen, nämlich in einem . gut abgedichtefen Sarg, dessen Boden mit einer 5 bis 10 cm stärken Saugschicht aus Torfmull oder Sägespane bedeckt sein muß ... ; Den Angehörigen wird für Sarg und Beerdigungskosten ein Betrag von 150 RM und für die Beschaffung eines Grabsteins werden I weitere 50 DM gewährt ..." (BA, 21/526 fol. 221).

VII. Dreißig Jahre danach

Es war ein Verbrechen, so sagen heute die meisten ehemaligen Flakhelfer. Viele hatten Schwierigkeiten, Anschluß ans normale Leben zu finden. Ohne abgeschlossene Ausbildung waren sie zur Aufnahme eines Studium oder eines Berufes nicht berechtigt. Einige brachten nicht mehr die Energie auf, wieder die Schule zu besuchen, vom Jahrgang 1928 z. B. mehr als 70 %. Die anderen begannen von neuem als Oberstufenschüler; diese Umstellung fiel den meisten nach Jahren, in denen sie wie Erwachsene ihren Mann gestanden hatten, sehr schwer. Die meisten wägen im Rückblick sorgfältig ab, stellen Soll und Haben gewissenhaft gegenüber: meistens überwiegt das Defizit. Besonders gravierend ist es bei den ehemaligen Flakhelfern aus den belgischen „Ostkantonen"; „Ich sehe es als ein großes Unrecht an, so junge Menschen in einen solchen Dienst hineinzustopfen. Was mag die Menschen'bewegt, haben, die das glaubten-verantworten zu können" (Leutnt. und Zugführer der le. Flak; jetzt evahgel. Pfarrer). „Es war manchmal hart, umzuschalten. Dieses Jahr Luftwaffenhelfer hat mich vollständig zum Schwejk gemacht. Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Man hat gese-hen, daß der preußische Unteroffizier kein Herrgottt war" (Bauunternehmer; eh. G. L. Schule).

„Geschadet hat das absolut nichts, im Gegenteil. Wir haben dort einiges profitiert, gelernt, uns unterzuordnen ... und das ist doch für gewisse Seiten des Charakters kein Nachteil" (Zahnarzt; Jhg. 1928).

„Ich halte nichts vom . Barras’ als Schule der Nation ... Aber alles, was ich erlebt habe, hat mich geprägt; diese Jahre, die gehören zur Persönlichkeit. Es ist so abgelaufen — eine andere Entscheidung kann ich mir nicht mehr vorstellen ..." (Luftwaffenhelfer Jhg. 1926; jetzt Oberstudiendirektor).

„Die Luftwaffenhelferzeit mit ihrer Gewöhnung an strenge Disziplin bei nicht ganz abgerissener Verbindung zum Elternhaus war ein günstiger Übergang und eine gewisse Vorbereitung auf den Wehrdienst, wo man ganz von der Familie wegkam ... Ähnliches würde man sicher seinen eigenen Kindern nicht wünschen, zumal man ihnen oder niemandem einen Krieg wünscht. Doch rechtzeitige Gewöhnung an Disziplin wünschte ich ihnen schon" (Oberkreisdirektor; Jhg. 1927). „Es gibt auch während der Luftwaffenhelferzeit Erlebnisse, die einen weitergebracht haben. Doch um die ernstere Seite des Lebens kennenzulernen, braucht das ein junger Mensch nicht, was wir erleben mußten. Erziehung zur. Selbständigkeit und Härte gegen sich selbst kann auf anderem Wege stattfinden" (Industrieller; Jhg. 1926).

„Ich würde mich zu Tode grämen, wenn ich ein Kind wüßte, das das mitmachen sollte" (Kommunalbeamter St. Vith; Jhg. 1928). „Wir mußten Dinge tun, die unsrem Alter nicht angemessen waren ... Man wurde gefordert, es wurden Opfer verlangt, und gerade das ist für junge Menschen bedeutsam ... etwas, das der heutigen Jugend fehlt; in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft Opfer bringen" (Jurist; Luftwaffenhelfer, Jhg. 1927). „Wir sind hoffnungslose Idealisten gewesen. Ich war der Ansicht, es muß klappen. Jetzt kam man mit der Enttäuschung des jungen Menschen, ... und wir standen vor einem Trümmerhaufen. Und nun schlug das ins Gegenteil um. Hier anfangs nach dem Kriege, als man anfing, uns politisch demokratisch zu schulen, haben wir uns dagegen gesperrt, haben uns verschlossen ... Mit Politik sollen sie uns mal alle in Ruhe lassen, wollen wir nichts mehr von wissen. Und als der erste Bundesstaat gegründet wurde, waren wir da noch weit entfernt. Die erste Adenauer-Regierung, die haben wir gar nicht für voll genommen, noch aus einer Enttäuschung heraus, die wir Jahre nicht überwinden konnten ... Allmählich wurden aber die Denkprozesse . die wir eigentlich als junge Leute hätten haben müssen, verstärkt. Wir fingen mit dem Alter-werden an zu vergleichen. Wir konnten endlich sehen, daß die so herrlich glorifizierte deutsche Rasse so herrlich doch nicht über den anderen steht, sondern daß auch die anderen Völker und Rassen durchaus was geleistet haben, während uns vorher immer vorgepredigt wurde, daß das nicht der Fall wäre. Wir kriegten also allmählich andere Gesichtswinkel. Wir haben uns dann zunächst mal aufs Lernen verlegt. Unsere Lücken aufzuholen, war unser erstes Gebot... Wir sind dann also an unsere Berufsausbildung in aller Härte herangegangen ... Wir haben also diese Enttäuschung durch selbst auferlegtes Vorwärtskommenwollen kompensiert ... Allmählich erst haben wir begriffen, daß die demokratischen Formen einer Staatsführung zwar ihre Schwächen haben, aber doch das kleinste Übel sind, wenn man schon nichts von Politik wissen wollte, wie wir das damals noch gesehen haben. Dann haben wir gesehen, wie die totalitären Entwicklungen in der Ostzone weiterliefen, haben mit Leuten gesprochen, die aus der Ostzone rüberkamen; wir hörten Dinge, die ähnlich waren mit denen, die wir jetzt alle aus dem Hitlerreich im Nachgang kennenlernen. Das hat uns den Vergleich aufgezwungen: Da haben wir ja furchtbar Glück gehabt, daß wir nun im Westen sind ...'Wir haben auf einmal erkannt, wie verroht wir in unseren Gedankengängen durch den Krieg gewesen sind, wie weit wir uns von allem humanen Denken abgewendet haben. Unsere Denkungsweise ist dann in einen betonten Humanismus übergegangen, verbunden mit einem starken Hang gegen alle Gewalt und gegen allen Krieg und gegen alles, was damit zusammenhängt. Das heißt: wir sind Pazifisten geworden und die Einstellung ist als Grundprinzip eigentlich bis heute beigehalten worden" (Bauing. Jhg. 1926). „Soweit der einzelne heil herauskam, hat er sicher das eine oder andere Gute für sich persönlich, für seine Entwicklung erleben können; aber im großen und ganzen war es eine sehr ungeordnete, eine zu harte und unnatürliche Anforderung. Ich würde es keinem empfehlen" (Rektor a. d. Grundschule; eh. O. S. Eschweiler). „Manche, wie das bei Schülern so üblich ist, mögen auch gejubelt haben: . Jetzt fällt Französisch aus!'oder so ähnlich. Ich dachte nicht so. Hierin folgte ich meinem Vater, wenn ich auch sonst skeptisch war. Mein Vater war begeisterter Anhänger des Weimarer Staates gewesen. Er war Kriegsteilnehmer, aber dann Anhänger der . Friedensbewegung'. So hat er mich erzogen, und durch die Ereignisse mußte ich ihm recht geben. Das brachte manche Vereinsamung, doch hatte ich einen gleichgesinnten Freund. Obwohl ich, wie jeder in der HJ war, habe ich auf den . verlorenen Krieg'gewartet, auf den „Sieg des besseren Geistes'. Daß es nicht, leicht wurde, habe ich geglaubt, aber es ist ja letztlich nicht so schlimm gekommen, wie ich befürchtet habe. Die Flakzeit muß ich deshalb einordnen in das Gesamterlebnis . Nazismus'und . Krieg’. Nichts daran ist positiv. Ich bin . Zivilist'. Geschadet hat es mir nur, denn uns ist viel verlorengegangen" (Prof., ehern. O. S. Eschweiler; Jhg. 1928). „Das war ein absolutes Verbrechen: Kinder aus den Familien herauszureißen und in einen direkten Militärdienst zu stecken. Wenn ich schon nicht von den Gefahren spreche, die damit verbunden waren, diese Trennung von Fünfzehn-jährigen aus dem Elternhaus, besonders in Jahren, wo man das Elternhaus besonders nötig hat, wenn man es auch nicht glaubt! Da hat man es besonders nötig — und kommt dann in ein . wildes Lager'! Wenn wir auch etwas getrennt waren von den alten Soldaten — wir kriegten alles mit, was bei denen passierte . . . Das war psychologisch eine Vergewaltigung"! (Dr. med.; O. S. St. Vith; Jhg. 1928).

Trotz allem haben sich Luftwaffenhelfer vielleicht besser als andere in schwierigen Zeiten behauptet, weil sie schon früh psychischen und physischen Grenzsituationen gegenüberstanden. Eine viel breitere Erlebnissphäre, als Jugendliche unserer Zeit sie haben, hat ihre Persönlichkeit geformt, ihren Reifeprozeß beschleunigt, sie aber auch um ihre Jugend betrogen. Eine andere traurige Tatsache darf man jedoch nicht verschweigen: Im Bombenhagel der Viermotorigen, im Duell mit Jabos, amerikanischen Sherman-Panzern und russischen T 34 sind zahllose Luftwaffenhelfer gefallen, viele verwundet worden. Genaue Angaben über die Verluste unter den eingesetzten Luftwaffenhelfer gibt es nur für den Luftgau VII; danach sind 33 Luftwaffenhelfer gefallen, 64 wurden verwundet, 8 starben durch Unfälle oder Krankheiten. Besonders schwere Verluste erlitten die Schüler der Friedrich-Wilhelm-

Schule in Eschwege, wo in der Nacht vom 3.

auf den 4. Oktober 1943 23 Luftwaffenhelfer durch einen Volltreffer in der B-Stelle getötet, weitere 29 verwundet wurden. Am 11. Mai 1944 fielen 16 Schüler der Saarbrückener Oberschulen, am 3. August fanden 22 Jungen aus Friedrichshafen den Tod, 20 wurden verwundet. Von den 78 Schülern, die erstmals in den Sperrfeuerbatterien des Aachener Raumes eingesetzt wurden, sind nach privater Zählung 12 als Luftwaffenhelfer gefallen und 18 verwundet worden. Unvergessen bleiben sollte, welche Opfer an Gesundheit und Leben sie brachten. Ihr Vermächtnis könnte so lauten, wie es einer ihrer damaligen Vorgesetzten vom Meßtrupp formuliert hat: „Man soll den Idealismus der Jugend nicht ausnutzen. Der deutsche Idealismus ist immer eine sehr problematische Sache gewesen. Unsere Jugend sollte so oft wie möglich ins Ausland, damit ein Freund-Feind-Denken nicht aufkommen kann. Wenn heute jemand glaubt, daß zum Mannsein das Kriegserlebnis gehört, so ist das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (Hochschulprof. Jhg. 1902; Uffz.der Meßstaffel 5. Battr.).

Fussnoten

Weitere Inhalte

Paul Emunds, Studiendirektor am Kaiser-Karls-Gymnasium in Aachen, geb. 1923 in Eilendorf b. Aachen; nach dem Abitur 1941 RAD und Kriegsdienst, ab Mai 1942 an der Ostfront; Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft im August 1947; anschließend nach Bautrupptätigkeit Studium der Germanistik, der Romanistik und der Geschichte an der Universität Köln; Staatsexamen 1953; seit 1955 Lehrtätigkeit am Kaiser-Karls-Gymnasium in Aachen. Veröffentlichungen u. a.: Der stumme Protest. Ergebnisse einer Arbeitsgemeinschaft von Unterprimanern des Kaiser-Karls-Gymnasiums über die einzige während des „Dritten Reiches" veranstaltete „Heiligtumsfahrt''des Jahres 1937, Aachen 1963; Primaner erleben Zeitgeschichte, in: GWU 1963, Heft 10; Humanistische Schule im Zeitalter nationalistischer Ideologie. Beitrag in der Festschrift des KKG zum 375. Jubiläum, Aachen 1976 (im Druck).