Die Entwicklung des Berlin-Konflikts 1965— 1971
Während der beiden großen Berlin-Krisen von 1948/49 und 1958— 1962 hatte die Sowjetunion den Angriff ausschließlich oder vorwiegend gegen die Anwesenheit der Westmächte in der Teilstadt gerichtet Die Berlin-Prä-senz der Westmächte wurde als unrechtmäßig und unerträglich bekämpft. West-Berlin wurde der Status einer „Freien entmilitarisierten Stadt“ zugedacht. Mit dem westlichen Schutz sollte die Unabhängigkeit vom Osten direkt beseitigt werden.
Seit 1963 jedoch begann die sowjetische Seite die westliche Berlin-Präsenz zunehmend von den Attacken zu verschonen und dafür den Stoß gegen die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu verlagern. Die Bundesrepublik erschien in der Rolle des alleinigen Berlin-Störenfrieds; den Westmächten wurde Unbeteiligtheit suggeriert.
Auf diese Weise versuchte die sowjetische Seite, die Bundesrepublik in der Berlin-Frage aus der westlichen Solidaritätsfront herauszulösen und in eine Lage verwundbarer Isolation zu versetzen. Dahinter stand das Kalkül, daß West-Berlin in der gleichen Weise, wie es des westlichen Schutzes bedürfe, auf die Gemeinschaft mit dem westdeutschen Staat (samt der damit verbundenen materiellen Unterstützung) angewiesen sei. Gelang es, die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik wesentlich zu schwächen, dann konnte der westliche Schutz allein die Existenz der Stadt nicht länger gewährleisten. In diesem Falle mußte dann auch die westliche Anwesenheit in Berlin unhaltbar werden. Der Angriff gegen die bundesrepublikanische Rolle in Berlin richtete sich daher indirekt auch gegen die westliche Präsenz in der Stadt Das neue Konzept kam nach dem Machwechsel in Moskau vom Herbst 1964 voll zum Tragen. Dementsprechend wurden die folgenden Berlin-Konflikte dadurch ausgelöst, daß die Sowjetunion im Zusammenwirken mit der DDR gegen angeblich widerrechtliche Berlin-Aktivitäten der Bundesrepublik Stellung nahm und dabei massiven Druck gegen West-Berlin ausübte. Anfang April 1965 reagierten die UdSSR und die DDR auf ein Zusammentreten des Deutschen Bundestages in West-Berlin erstmals mit weitreichenden Schikanen an den Zugangswegen. Die Regierung der DDR ordnete an, daß „für die Zeit der Durchführung der geplanten Plenarsitzungen“ den beteiligten Abgeordneten die Durchfahrt durch ostdeutsches Gebiet nicht gestattet sei Die östliche Seite verlieh ihrem Einspruch gegen die Bundestagssitzung durch massive Störmaßnahmen an den Zugangswegen Nachdruck. Warschauer-Pakt-Manöver, die ursprünglich bei Frankfurt an der Oder stattfinden sollten, wurden an die Durchfahrtsrouten westlich Berlins verlegt. Unter Hinweis auf die Truppenübungen stoppten die DDR-Behörden den West-Berlin-Verkehr sechsmal für jeweils viele Stunden völlig; im übrigen erfolgte eine sehr langsame Abfertigung. Die Wartezeiten an den Grenzübergängen betrugen daher bis zu eineinhalb Tagen. Der Betrieb auf den Wasserwegen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik wurde für nahezu eine Woche eingestellt. Vorübergehend erschien auch die Sicherheit des westlichen Flugverkehrs in den Luftkorridoren durch drohende sowjetische Aktionen gefährdet
Am 6. Januar 1968 stellte die sowjetische Januar 1968 stellte die sowjetische Seite in einem der Bundesregierung übergebenen Papier einen Katalog von beanstandeten Aktivitäten der Bundesrepublik Deutschland in West-Berlin auf. Danach waren nicht nur Plenarsitzungen des Bundestages, sondern auch die sogenannten Parlamentarischen Wochen — d. h. die Tagungen von Bundestagsausschüssen — unzulässig. Auch die Abhaltung von Kabinettssitzungen, die Tätigkeit von Außenstellen der Bundesministerien und anderer Bundesbehörden, die Ausübung offizieller Funktionen durch Politiker der Bundesre-publik, die Veranstaltung von Tagungen und Kongressen westdeutscher Parteien, das Stattfinden von bundesrepublikanischen Länderbehördenkonferenzen und ähnliches sollten in West-Berlin nicht mehr erlaubt sein. Auch die Wahl des Regierenden Bürgermeisters zum Präsidenten des Bundesrates wurde als rechtswidriger Akt der staatlichen Verflechtung zwischen West-Berlin und Westdeutschland verurteilt. Die sowjetische Seite stellte ihre Forderungen als Verlangen nicht nach einer Veränderung, sondern nach einer Bewahrung des bestehenden Zustandes hin 5).
In einer wenig später verfaßten offiziösen Analyse des Berlin-Problems wurden außerdem noch der Einschluß West-Berlins in das Rechts-, Wirtschafts-, Finanz-, Handels-und Zollsystem der Bundesrepublik, der Aufenthalt von Bundespolitikern in der Stadt und die Wahrnehmung von auswärtigen Interessen West-Berlins durch Organe der Bundesregierung kritisiert. Die Westmächte erschienen in der sowjetischen Darstellung als Opponenten der angeblichen Übergriffe Bonns, auch wenn sie gleichzeitig einer verschiedentlich allzu großen Duldsamkeit beschuldigt wurden. Hinter dieser taktischen Argumentation verbarg sich ein scharf antiwestlicher Standpunkt: Nach sowjetischer Ansicht waren die westdeutschen Berlin-Aktivitäten letztlich darum illegitim, weil die Westmächte, die diese Aktivitäten zuließen, zu einer derartigen Gewährung gar nicht berechtigt waren. Nur die UdSSR, so lassen die sowjetischen Rechtsbehauptungen vermuten, sollte als Inhaberin der obersten Rechte in West-Berlin über Änderungen an dem 1944/45 festgelegten Zustand befinden können. Die Einwände gegen die bestehenden Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik dienten klar dem Zweck, der Stadt einen — auf die Dauer unhaltbaren — Eigenstaatlichkeitsstatus im Verhältnis zum Westen zuzuweisen. Solange sich West-Berlin nicht in der geforderten Weise von der Bundesrepublik trennte, wurden nach sowjetischer Auffassung die Rechte der DDR gröblich verletzt. Pressionen an den Zugangs-wegen, so hieß es, dienten der DDR legitimerweise dazu, ihrem verletzten Recht doch noch Geltung zu verschaffen 6). Dem theoretischen Konzept folgte die praktische Durchführung. Seit Mitte Januar 1968 starteten die Sowjetunion und die DDR eine Pressekampagne gegen die angeblichen Berlin-Provokationen der Bundesrepublik. Dabei OTrde ein drohender Ton angeschlagen. Am 4 März 1968 stellten die DDR-Regierung und die Ost-Berliner Sowjetbotschaft restriktive Maßnahmen für den Fall in Aussicht, daß die Sicherheitsinteressen" der DDR durch die Berlin-Politik der Bundesregierung weiterhin beeinträchtigt würden. Am 10. März 1968 erließ die Regierung der DDR ein Einreise-und Durchreiseverbot für alle, die der NPD angehörten oder sich sonst „im neonazistischen Sinne'betätigten. Dieses Vorgehen hatte vor allem prinzipielle Bedeutung: Die Verantwortlichen der DDR demonstrierten den Anspruch, daß sie nach eigenem Ermessen darüber bestimmen könnten, wer zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik hin-und her-reisen dürfe. Geschickterweise wählten sie für diese Demonstration einen Bereich von sehr geringer praktischer Relevanz aus und führten sich als Vorkämpfer gegen die angeblich anbrandende neonazistische Gefahr auf.
Am 13. April 1968 wurde der Aufenthalt von Bundesinnenminister Benda bei seiner Familie in West-Berlin zum Anlaß genommen, um eine Polemik gegen die angeblichen rechtswidrigen Einmischungen der Bundesrepublik in der Teilstadt zu entfalten und als Gegenmaßnahme die Durchreise von „Ministern und leitenden Beamten der westdeutschen Bundesregierung" durch die DDR zu verbieten. Am 11. Juni 1968 dekretierte die DDR eine Paßund Visumspflicht für alle Durchreisenden, legte Gebühren für die Ausgabe dieser Visa fest, verfügte hohe Transitabgaben im Güter-verkehr und untersagte den Transport von , NPD-Materialien" Alle diese Schritte wurden einseitig und im Einvernehmen mit der Sowjetunion unternommen.
Im Sommer 1968 nahmen die Geschehnisse in der reformkommunistischen Tschechoslowakei die Aufmerksamkeit der sowjetischen Führung voll in Anspruch. Der Berlin-Konflikt ruhte daher zeitweilig. Danach ging er über einen Streit mit Worten nicht hinaus Seit der Jahreswende 1968/69 wurde in Bonn diskutiert, ob die Bundesversammlung wieder wie in den Jahren 1954, 1959 und 1964 in West-Berlin tagen solle, um den Bundespräsidenten zu wählen. Die sowjetische Seite scheint daran interessiert gewesen zu sein, daß sich der Bundestagspräsident für einen anderen Tagungsort entschied, weil sie einerseits die als „demonstrativ" empfundene Veranstaltung nicht tatenlos hinnehmen wollte, andererseits aber einer krisenhaften Zuspitzung in Berlin lieber aus dem Wege ging.
Als dann Anfang Februar die Bundesversammlung trotz inoffizieller sowjetischer Warnung nach West-Berlin einberufen wurde, reagierte die UdSSR zusammen mit der DDR sehr scharf. Auf das nachdrückliche Engagement der westlichen Verbündeten hin reduzierte die sowjetische Seite jedoch ihre Attacken so weit, daß es nur noch zu lautstarken Protesten kam. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt gesamtpolitisch keine Belastung des Verhältnisses zu den Westmächten brauchen
Als Anfang 1970 die Verhandlungen der vier Mächte über Berlin in Sichtweite rückten, stellte die sowjetische Seite das volle Ausmaß ihrer gegen die Berlin-Aktivitäten der Bundesrepublik gerichteten Einwände heraus. Nicht nur die Abhaltung von Sitzungen durch Bundestagsgremien, sondern auch alle Besuche offizieller bundesdeutscher Persönlichkeiten, die Tätigkeit von Bundesdienststellen oder auch nur das Stattfinden westdeutscher Ausstellungen sollten als unrechtmäßige, völkerrechtswidrige Handlungsweisen gelten. Die administrative, politische und wirtschaftliche Verflechtung West-Berlins mit der Bundesrepublik sollte ein Ende finden. Dementsprechend verwahrte sich die sowjetische Spitze gegen alle möglichen Bekundungen der Zu-sammengehörigkeit West-Berlins und der Bundesrepublik. Die Teilstadt sollte eine vom westdeutschen Staat völlig getrennte staatliche Existenz erhalten. Im Hinblick auf den West-Berlin-Verkehr stellte sich die UdSSR auf den Standpunkt, daß alle Regelungen im freien Ermessen der DDR lägen Mehrfache Störungen an den Zugangswegen — so namentlich aus Anlaß von Ausschuß-und Fraktionssitzungen in West-Berlin Ende Januar 1970 — demonstrierten die Härte der östlichen Position nach außen. Am 28. April 1970 erhöhte die DDR-Regierung die Abgaben für den Durchgangsverkehr um 20— 30 °/o.
Nach dem Abschluß des Moskauer Vertrages am 12. August 1970 begann sich die sowjetische Seite mit offiziellen Protesten zurückzuhal. ten. Von Ende 1970 bis Anfang Februar 1971 und dann nochmals Anfang März 1971 konnte die DDR-Regierung mit sowjetischem Rückhalt anläßlich verschiedener Sitzungen von Bundestagsfraktionen August 1970 begann sich die sowjetische Seite mit offiziellen Protesten zurückzuhal. ten. Von Ende 1970 bis Anfang Februar 1971 und dann nochmals Anfang März 1971 konnte die DDR-Regierung mit sowjetischem Rückhalt anläßlich verschiedener Sitzungen von Bundestagsfraktionen in West-Berlin erneut zu Behinderungen an den Zugangswegen übergehen. Dabei hatte man freilich den Eindruck, daß die Initiative zu den Zuspitzungen um Berlin von der DDR ausging und der sowjetische Rückhalt nur widerwillig gewährt wurde. Anscheinend hatte die UdSSR die sonst absolut gewahrte Kontrolle über die Berlin-Politik der DDR zeitweilig verloren 11). Während der folgenden Monate freilich mußte sich die SED-Führung gegen ihren Willen zu einer sehr weitreichenden Anpassung an die sowjetische Berlin-Politik bereitfinden*).
Die Ausgangslage der vier Mächte bei den Berlin-Verhandlungen
Auf den ersten Blick besaßen die Sowjetunion und die DDR in Berlin einen überwältigenden Vorteil. Ihre lokale Machtüberlegenheit war unwiderstehlich; im Falle eines militärischen Konflikts konnte die westliche Seite West-Berlin nicht verteidigen. Diese Einseitigkeit des lokalen Kräfteverhältnisses war im Krisen-und sogar im Normalfall nicht ohne Bedeutung: Die Führer der westlichen Staaten mußten — anders als ihre östlichen Gegner — bei Entscheidungen darüber, wie weit sie gegebenenfalls verschärfte Auseinandersetzungen riskieren konnten, ihre in diesem Fall wachsenden Schwierigkeiten im Auge behalten.
Die westliche Situation war allerdings nicht so ungünstig, wie sie zunächst erscheinen mochte. Da die NATO-Staaten und vor allem die USA die Sicherheit West-Berlins zu einem untrennbaren Bestandteil ihrer eigenen Sicherheit erklärt hatten, war nicht das lokale Kräfteverhältnis in Berlin allein ausschlaggebend. Die Sowjetunion mußte bei Verwicklungen in Berlin mit der Möglichkeit rechnen, daß der Konflikt nicht auf den lokalen Bereich beschränkt blieb, sondern sich auf die Gesamtheit des Verhältnisses zu den westlichen Staaten ausweitete. Die Siegeschancen, die der UdSSR im Falle eines militärischen Konflikts auf dem Berliner Schauplatz winkten, mußten daher gegen die Risiken abgewo-gen werden, die mit dem möglichen militärischen Zusammenstoß in einem global-nuklearen Rahmen verbunden waren. Dieses Risiko ist den sowjetischen Führern seit 1948 stets hinreichend untragbar erschienen, um sie bei den verschiedenen Berlin-Krisen vor kriegs-trächtigen Entscheidungen zurückzuhalten.
Mit der Entspannungspolitik in Europa, die die sowjetische Führung seit Anfang 1969 anzustreben begann, ergaben sich weitere zügelnde Gesichtspunkte für das östliche Berlin-Vorgehen. Wenn nämlich die Männer im Kreml in verschiedenen (wenngleich eng begrenzten) Bereichen an einem Zusammenwirken mit maßgeblichen westlichen Regierungen interessiert waren, dann konnten sich Spannungszustände in Berlin nur störend auf die sowjetische Westpolitik auswirken. Jede Berlin-Krise beschwor die Gefahr herauf, daß die begonnene Ost-West-Kooperation zerbrach und daß die sowjetische Führung mit ihrem Bemühen um die westliche Seite wieder neu beginnen mußte. Darüber hinaus hatte sich seit 1948 immer wieder gezeigt, daß die sowjetischen Attakken gegen West-Berlin gerade darum, weil sich die Teilstadt in einer so schwierigen und verwundbaren Lage befand, ein hervorragendes Moment der gesamtwestlichen Solidarisierung bildeten. Wenn die sowjetische Füh-rung nunmehr versuchte, durch eine Entspannungspolitik den Zusammenhalt zwischen den westlichen Staaten aufzulockern oder sogar aufzulösen, dann konnte es nicht in ihrem Sinne liegen, einen derartigen Solidarisie-rungsfaktor fortwirken zu lassen. Alle diese Uberlegungen mochten in Moskau den Schluß nahegelegt haben, daß ein Ost-West-Arrangement wünschenswert sei, das auf der westlichen Seite den Eindruck eines über-vundenen Berlin-Konflikts hervorzurufen geeignet sei.
Dementsprechend wies der sowjetische Aulenminister Gromyko in seinem Rechenschaftsbericht vor dem Obersten Sowjet der UdSSR am 10. Juli 1969 darauf hin, daß West-Berlin ein Punkt sei, „der die angespannte Aufmerksamkeit der sowjetischen Außenpolitik erfordert". Die Stadt, so erläuterte er, besitze einen „einzigartigen völkerrechtlichen Status“: Sie liege als ein staatlich-sozialer, wirtschaftlicher und währungsmäßiger Fremd-
im Zentrum der DDR und könne ihre körper Verbindung zur Außenwelt „nur unter Benutung ihrer [der DDR] Kommunikationswege" aufrechterhalten. Gromyko machte deutlich, daß nach sowjetischer Auffassung „die Quelle der Reibereien nicht hier" lag. Statt dessen sah er die Mißhelligkeiten begründet in den . illegalen Anschlägen der BRD auf West-Berlin" und in den westdeutschen „Versuchen, das Territorium der Stadt zu Zwecken auszunutzen, die der DDR, der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten ländlich sind".
West-Berlin war nach der Darstellung des sowjetischen Außenministers eine selbständipolitische Einheit mit Sonderstatus; eine Mißachtung dieser angeblichen Rechtslage tnd eine Verletzung der Interessen der und der DDR sollten künftig ausge-UdSSR sein. Unter dieser Zielperspektive shlossen »klärte Gromyko die Bereitschaft seines Lanfe, mit den drei Mächten, „die ihren Anteil Verantwortung für die Lage in West-Berlin"
tigen, in einen Meinungsaustausch darüber „wie man jetzt und künftig Komplikationen um West-Berlin vorbeugen könneDabei kämen keinerlei Regelungen in Be-
tacht, „die den rechtmäßigen Interessen der
Deutschen Demokratischen Republik und dem Sonderstatus West-Berlins Schaden zufügen würden" Damit war ein Verhandlungsangebot unterbreitet — allerdings ein Verhandlunsangebot, das auf eine Entscheidung des Konflikts in sowjetischem Sinne ausgerichtet war.
Die Prämisse der Unterstellungen Gromykos war, daß die DDR faktisch und rechtlich im Besitz einer uneingeschränkten souveränen Verfügungsgewalt über die Verkehrswege zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik sei. Nach dieser These konnte es keine Verhandlungen über die Befriedigung eines westlichen Rechtes auf Zugang nach West-Berlin geben. Das östliche Vorgehen auf den Zugangswegen während der vorangegangenen Jahre, besonders im Frühjahr 1968 und im ausgehenden Winter 1969, hatte in der westlichen Öffentlichkeit zuweilen die Vorstellung hervorgerufen, als sei der Zugangsverkehr zwar nicht der Rechtslage, wohl aber den Tatsachen nach völlig in der Gewalt der DDR.
Bei genauerer Betrachtung ergibt sich freilich, daß die amtliche östliche These von der uneingeschränkten Verfügungsgewalt der DDR über die Verbindungen West-Berlins zur Außenwelt ebenso wenig den Realitäten entsprach wie die westliche Rechtsauffassung von einem den Einwirkungen von UdSSR und DDR völlig entzogenen West-Berlin-Zugang. Die Verantwortlichen in Moskau und in OstBerlin besaßen zwar unzweifelhaft die Machtmittel, um den Land-, Wasser-und notfalls sogar Luftverkehr durch die DDR nach ihrem Belieben einzuengen und abzuwürgen. Sie machten aber aus gutem Grunde von diesen Mitteln nur sehr vorsichtigen Gebrauch.
Wiederholter Drohungen ungeachtet, waren die westlichen Flugverbindungen in den festgelegten Luftkorridoren niemals in Frage gestellt worden. Die generellen Restriktionen der DDR-Behörden für die Benutzung der Land-und Wasserwege wurden selbst im Frühjahr 1968 so dosiert, daß davon nur Persönengruppen betroffen waren, die entweder ohnehin mit dem Flugzeug reisten (Bundesminister, Bundesbeamte im dienstlichen Auftrag) oder aber zahlenmäßig nicht ins Gewicht fielen und zugleich allgemeiner Antipathie sicher sein konnten (NPD-Mitglieder und andere neonazistische Elemente). Ernster — aber nicht lebensbedrohend — für West-Berlin war der informell gehandhabte Aus-Schluß derjenigen Personen, die auf „schwarzen Listen" der DDR erfaßt waren. Allerdings zogen es die Betreffenden ohnehin im Interesse ihrer persönlichen Sicherheit fast durchweg vor, das Flugzeug statt des Zuges oder des Autos zu benutzen. So gut wie überhaupt nicht fielen die zeitweiligen Durchfahrtsverbote für die Teilnehmer an inkriminierten West-Berliner Veranstaltungen (wie z. B. von parlamentarischen Sitzungen) ins Gewicht, weil die Betreffenden schon aus Zeitgründen den Luftweg vorzogen.
Psychologisch und wirtschaftlich belastend wirkten sich dagegen die zeitweiligen Stör-maßnahmen an den Autobahnen nach West-Berlin sowie die Visums-und Gebührenzwänge aus. Aber auch bei dem schärfsten Vorgehen der DDR blieb das sowjetische Bestreben erkennbar, Maßnahmen zu vermeiden, welche die Westmächte zu energischen Reaktionen provoziert hätten. Dementsprechend wurde das Leben West-Berlins zwar zunehmend erschwert, aber nicht entscheidend gestört.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine derartige Zurückhaltung nicht in einer Mäßigung der östlichen Ziele, sondern in der Rücksichtnahme auf westliche Toleranzgrenzen begründet lag. Vor allem die Führer der DDR haben wiederholt erkennen lassen, daß sie eine ungleich radikalere und offensivere Berlin-Politik befürworteten. Sie mußten jedoch ihre Wünsche zügeln nach Maßgabe dessen, was die sowjetische Seite im Blick auf ihre Gesamtpolitik für tragbar erachtete. Die östliche Handlungsfreiheit wurde somit durch den Gesichtspunkt eingeschränkt, daß die Repressalien gegen West-Berlin den Westmächten noch zumutbar erscheinen müßten. Die sowjetische Rücksichtnahme führte insbesondere dazu, daß die UdSSR der westlichen Rechtsauffassung von Präsenz-und Zugangs-rechten, auch wenn sie diese grundsätzlich ablehnte, in der politischen Praxis nicht direkt entgegenwirkte.
Die östlichen Attacken gegen West-Berlin fanden daher wesentlich in Bereichen statt, auf die sich die interalliierten Berlin-Vereinbarungen von 1944/45 nicht — oder jedenfalls nicht unmittelbar — erstreckten. Derartige Bereiche gab es in großer Zahl, weil die prospektive Lage Deutschlands, welche die Unterhändler der Siegermächte während des Zweiten Weltkrieges ihren Überlegungen zugrunde gelegt hatten, sich radikal von dem dann später eingetretenen Zustand unterschied. Gerade für die entscheidenden Probleme West-Berlins konnte 1944/45 keine Vorsorge getroffen werden, weil die Spaltunq Deutschlands und Berlins und demgemäß die Insellage West-Berlins nicht vorausgesehen worden waren.
Das bedeutete, daß 1944/45 den zwei zentralen Berlin-Problemen der Nachkriegszeit — der Sicherung des zivilen Durchgangs zwischen West-Berlin und Westdeutschland über östlich beherrschtes Territorium hinweg und den Modalitäten der Anbindung der beiden Berliner Stadtfragmente an die beiden deutschen Staaten — keine Aufmerksamkeit zugewandt worden war. Daher ließen sich die Rechte und Pflichten der Westmächte einerseits und der Sowjetunion andererseits in diesen zwei Punkten nur mittelbar aus Argumentationen ableiten, die auf der Basis der Berlin-Vereinbarungen von 1944/45 unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Verhältnisse formuliert wurden. Auch wenn dabei für den westlichen Standpunkt offensichtlich überzeugendere Gründe sprachen als für die — verschiedentlich willkürlich gewechselten — sowjetischen Thesen, so konnte doch die sowjetische Seite aus der Tatsache, daß die fraglichen Streitpunkte nicht direkt geregelt worden waren, das Recht zum Dissens für sich ableiten.
Der westliche Wille zur Selbstbehauptung in Berlin wurde maßgeblich getragen von dem Gefühl, gegenüber den östlichen Herausforderern für die Sache des Rechtes einzustehen. Daraus folgte zum einen, daß die Westmächte auch da strikt an den rechtlichen Grundlagen ihrer Berlin-Anwesenheit festhielten, wo dies ihren Handlungsspielraum einschränkte. Das galt insbesondere für die Vorbehalte, mit denen die drei Mächte die von ihnen dringend gewünschte Einbeziehung West-Berlins in das System der Bundesrepublik belasteten. Zum anderen ergab sich aus der betonten Rechts-konformität der westlichen Berlin-Politik die Neigung, sich mit Reaktionen gegen östliche Herausforderungen zurückzuhalten, wenn nicht ein hinreichend klar festgelegtes eigenes Recht davon betroffen war. Es ist kein Zufall, daß sich die Amerikaner bei der Berliner Blockade 1948 auf die Verteidigung ihres Rechts auf Flugverkehr über das sowjetisch besetzte Gebiet hinweg zurückzogen: Die» war das einzige Recht, das die sowjetische Seite unzweideutig in schriftlicher Form anerkannt hatte und mit dessen Verletzung sie sich eines klaren Vertragsbruches schuldig gemacht hätte.
Der Umstand, daß man bei östlichen Protesten gegen die Bundespräsenz in West-Berlin und bei begrenzten Repressalien auf den Zugangs-wegen keine eindeutige Formulierung in der Hand hatte, mit der sich der Unrechtscharakter des östlichen Handelns beweisen ließ, schwächte die westliche Widerstandsbereitschaft gegen kleinere Übergriffe der UdSSR und der DDR erheblich. Unter diesen Umständen war das westliche Interesse darauf gerichtet, ein Arrangement mit der Sowjetunion herbeizuführen, das in einer mit den westlichen Bedürfnissen zu vereinbarenden Weise die Rechte und Pflichten der westlichen und der östlichen Seite möglichst genau fixierte. Je klarer eine derartige Regelung ausfiel, desto weniger Grauzonen des eventuellen Zwei-fels gab es, in denen die UdSSR und die DDR abweichende Standpunkte geltend machen konnten, ohne daß ihnen im Westen jede denkbare Rechtsüberzeugung abgesprochen wurde. Mit der Einengung dieses Toleranzbereichs für die östliche Berlin-Politik ließen sich zwar die Probleme West-Berlins nicht grundlegend lösen wohl aber von Erschwernissen befreien. Seit die sowjetische Führung ab Anfang 1969 teilweise die Kooperation der westlichen Regierungen suchte (so im Blick auf die angestrebte Europa-Konferenz oder KSZE), konnte sie sich kompromißträchtigen Verhandlungen nur noch schwer entziehen. Die sowjetische Führung konnte nicht länger in der bisherigen Weise selektive Entspannung betreiben, d. h. an die Entspannungsbereitschaft einzelner westlicher Länder appellieren und zugleich im Namen der Entspannung gegen andere westliche Länder Front machen. In der Berlin-Frage hieß dies, daß die Gleichzeitigkeit von taktischer Schonung der Westmächte und heftiger Attackierung der Bundesrepublik sich nicht aufrechterhalten ließ. Das galt um so mehr, als den Männern im Kreml deutlich war, daß ohne die Einwilligung der Bundesregierung auch die anderen westlichen Staaten nicht an den Konferenztisch kommen würden.
Nach dem Zustandekommen der sozialliberalen Koalition in Bonn ergriff überdies die Bundesrepublik die entspannungspolitische Initiative. Die Bundesregierung erklärte sich zur Förderung des sowjetischen Konferenz-projekts bereit, wenn zunächst durch eine Ausräumung der bilateralen Ost-West-Konflikte in Mitteleuropa die geeigneten Vorbedingungen für einen Erfolg der Europa-Konferenz geschaffen würden. Die Auseinandersetzungen mit dem Osten, welche die westdeutsche Politik belasteten, sollten beigelegt werden; dafür wurden anschließend der UdSSR Verhandlungen in dem von ihr anvisierten europäischen Rahmen in Aussicht gestellt. Die Initiatoren der „neuen Ostpolitik“ strebten im einzelnen eine einvernehmliche Regelung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, eine Normalisierung des Verhältnisses zu den osteuropäischen Ländern und einen Modus vivendi in der Berlin-Frage an.
Anfang Dezember 1969 signalisierten die Warschauer-Pakt-Staaten auf sowjetische Veranlassung hin der Bundesrepublik ihre Bereitschaft, vor dem Zusammentritt der Europa-Konferenz in Verhandlungen über die mitteleuropäischen Streitpunkte einzutreten. Etwa zur gleichen Zeit waren die Westmächte, ausgehend von Gromykos Offerte vom 10. Juli 1969, mit der UdSSR zu einem Einvernehmen über Berlin-Verhandlungen gelangt.
Das westliche Interesse an einer Berlin-Regelung richtete sich vor allem darauf, daß die Sowjetunion die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik akzeptierte und daß sich die östliche Seite zu einer uneingeschränkten Respektierung des westlichen Rechts auf freien Zugang verpflichtete. Beiden Forderungen lag das gleiche Motiv zugrunde: Wenn die UdSSR auf eine Infragestellung der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik verzichtete, dann entfiel damit zugleich der Vorwand für östliche Repressalien auf den Zugangswegen. Das sowjetische Bestreben ging in entgegengesetzter Richtung. Von irgendwelchen Verpflichtungen bezüglich des Durchgangsverkehrs zwischen West-Berlin und Westdeutschland sollte keine Rede sein; gleichzeitig war daran gedacht, eine strikte Trennung zwischen der Stadt und der Bundesrepublik durchzusetzen. Die beiden nicht miteinander zu vereinbarenden Standpunkte schienen zunächst keine Aussicht auf einen Verhandlungserfolg zu eröffnen.
Erst der weitere Verlauf der Ost-West-Verhandlungen leitete eine Wende ein. Am 12. August 1970 unterzeichnete Bundeskanzler Brandt zusammen mit Generalsekretär Breshnev den Moskauer Vertrag. Damit war das Inkrafttreten des Vertrages jedoch noch keineswegs gesichert. Die Bundesregierung machte geltend, daß an eine Ratifizierung nicht zu denken sei, wenn es nicht auch zu einer annehmbaren Berlin-Regelung komme, überdies ließ sich eine Normalisierung des westdeutschen-sowjetischen Verhältnisses, wie sie das Ziel des Moskauer Vertrages war, nicht mit einem Fortbestehen des Berlin-Konflikts vereinbaren. Denn die Öffentlichkeit der Bundesrepublik war an dem Schicksal West-Berlins so vital interessiert, daß Spannungen um Berlin notwendigerweise die Beziehungen zur UdSSR störten. Außerdem war die sozialliberale Regierung in Bonn innenpolitisch nicht stark genug, um den Moskauer Vertrag gegen heftigen Widerstand der CDU/CSU durchsetzen zu können. Nur durch eine Berlin-Regelung, die allgemein als im deutschen Interesse liegend anerkannt wurde, konnte die Opposition dazu veranlaßt werden, den Moskauer Vertrag passieren zu lassen.
Aus westdeutscher Sicht gab es weitere Gesichtspunkte, die eine annehmbare Berlin-Regelung zur unerläßlichen Voraussetzung der Ost-West-Entspannung machten. Wenn die beiden deutschen Staaten zu einem „geregelten Miteinander" finden sollten, war eine vorherige Anerkennung des westlichen Rechts auf einen unbehinderten West-Berlin Verkehr notwendig. Andernfalls konnte eine Respektierung der DDR-Staatlichkeit, wie sie in jeder zwischendeutschen Übereinkunft enthalten sein würde, das Mißverständnis nach sich ziehen, daß damit zugleich der ostdeutsche Anspruch auf eine uneingeschränkt souveräne Verfügungsgewalt über die Zugangs-wege anerkannt sei.
Außer durch das Interesse am Inkrafttreten des Moskauer Vertrages sah sich die sowjetische Führung auch durch ihr Interesse am Zustandekommen der Europa-Konferenz dazu veranlaßt, in den Berlin-Verhandlungen Zugeständnisse an die westliche Seite ins Auge zu fassen. Das galt um so mehr, als der Standpunkt der Bundesrepublik seit Herbst 1970 nachdrücklich durch die NATO-Staaten unterstützt wurde, die eine befriedigende Berlin-Regelung zur Vorbedingung der Europa-Konferenz erklärten. Je länger, desto mehr wurde im Bewußtsein der westlichen Regierungen und Öffentlichkeiten ein Einvernehmen über Berlin, das dem westlichen Standpunkt Rechnung trug, zu einem Test der sowjetischen Entspannungsbereitschaft. Die sowjetische Führung sah sich damit in die Lage versetzt, daß sie, bevor sie die angestrebte Europa-Konferenz bekommen konnte, zu einem Eingehen auf die westlichen Berlin-Vorstellungen genötigt war.
Das Berlin-Abkommen vom 3. September 1971 und die Folgevereinbarungen
Der Status Berlins im Verhältnis zu den vier Mächten Seit 1948 war klar, daß Berlin bis auf weiteres nicht die ihm in den Vereinbarungen von 1944/45 zugedachte Funktion eines gesamtdeutschen Entscheidungszentrums übernehmen würde und daß auch der festgelegte Status eines interalliierten Sondergebietes durch die Spaltung der Stadt beeinträchtigt war. Es stellte sich damit die Frage, inwieweit von einem Fortbestehen des Berlin-Status die Rede sein konnte.
Die Westmächte hielten, ungeachtet der eingetretenen realpolitischen Veränderungen, mit ihrem Rechtsverhalten an dem interalliiert festgelegten Berlin-Status fest. Sie versahen die faktisch weitreichende Eingliederung West-Berlins in die Bundesrepublik mit Vorbehalten, die den bisherigen Status Berlins rechtlich weiter aufrechterhielten. Sie unterließen es auch, die aus der festgelegten Verantwortlichkeit der vier Mächte für Gesamt-Berlin resultierenden interalliierten Institutionen in den Westsektoren — das Kriegsverbrechergefängnis in Spandau und das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten — zu beseitigen. Auch die Sowjetunion zögerte seit 1949, den alten Berlin-Status in aller Form aufzuheben. Vor allem bis 1955, aber in erheblichem Umfange auch bis Anfang der sechziger Jahre wahrte die UdSSR in Ost-Berlin vielfach die rechtliche Konformität mit den Vereinbarun-gen von 1944/45, denen zufolge Gesamt-Berlin ein interalliiertes Sondergebiet darstellte. Erst danach stimmte die sowjetische Seite einer fast vollständigen Eingliederung Ost-Berlins in die DDR zu. Es blieben freilich bis heute in Ost-Berlin einige Residuen des früheren Sonderstatus bestehen: Die Gesetze der Volkskammer erlangen in der Stadt erst nach Verkündigung in dem „Verordnungsblatt für Groß-Berlin" Rechtskraft, die Ost-Berliner Mitglieder der Volkskammer heißen „Vertreter“ (nicht „Abgeordnete", wie sonst üblich) Und werden nicht gewählt, sondern von der Stadtverordnetenversammlung delegiert, die westlichen Garnisonen schicken zur Demonstration ihres; Zutrittsrechts regelmäßig ohne Einreiseformalitäten Konvois nach Ost-Berlin, die alliierte Luftsicherheitszentrale funktioniert auf Viermächte-Basis und trifft Verfügungen über den gesamten Berliner Luftraum. Dieser — nur aus dem Gesamt-Berliner Status herzuleitenden — Besondernheiten ungeachtet stellt sich die sowjetische Seite gegenüber den Westmächten auf den Standpunkt, daß es keinen Gesamt-Berliner Status mehr gebe. Soweit die Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes in West-Berlin durch die drei westlichen Staaten eine Fortgeltung von Viermächte-Kompetenzen mit sich bringe, bezögen diese sich ausschließlich auf West-Berlin.
Mit dieser These meldete die sowjetische Seite seit Mitte der sechziger Jahre praktisch einen Anspruch auf einseitige Mitentscheidung in West-Berlin an. Nach sowjetischer Darstellung ergab sich der postulierte Zustand aus den interalliierten Vereinbarungen von 1944/45. In diesen, so hieß es, sei „nur eine administrative Verantwortlichkeit" der westlichen Militärbehörden in den Westsektoren vorgesehen worden, „aber nicht mehr“. Nach dieser Behauptung sollte Berlin stets ein Teil der Sowjetzone gewesen sein, der sich von dem übrigen östlichen Besatzungsgebiet nur dadurch unterschieden habe, daß die sowjetischen Okkupationsbehörden der westlichen Seite zum Zwecke der Teilnahme an der gemeinsamen Regierung Deutschlands ein beschränktes und widerrufliches Anwesenheitsrecht eingeräumt hätten
Aus dieser angeblichen Überordnung der sowjetischen Gewalt über das westliche Recht resultiere der Anspruch, daß die Sowjetunion •weiterhin bestimmte Rechte und Pflichten sowohl bezüglich West-Berlin als auch in West-Berlin selbst" aufrechterhalte und daß s>e dort „gegen unrechtmäßige Akte der Besatzungsbehörden und des Senats einzuschrei-ten“ habe, wenn „ihre Rechte und Interessen und ebenso die Interessen verbündeter Staaten" berührt seien
Die Forderung der UdSSR lief darauf hinaus, daß ihr eine Aufsichtsfunktion über die westlichen und deutschen Behörden in West-Berlin zukomme. Diesem Standpunkt entsprechend postulierten die sowjetischen Unterhändler zu Beginn der Viermächte-Gespräche über Berlin, das abzuschließende Abkommen könne nicht Gesamt-Berlin, sondern lediglich West-Berlin betreffen. Der östliche Teil der Stadt war nach sowjetischer Ansicht unwiderruflich und vollständig ein Teil der DDR geworden; er sollte daher keinesfalls Verhandlungsgegenstand sein. Wenn die Westmächte der sowjetischen Linie gefolgt wären, dann hätten sie indirekt der UdSSR das Recht zur Mitsprache in West-Berlin zuerkannt, während sie zugleich aller Ansprüche bezüglich Ost-Berlins aufgrund des 1944/45 vereinbarten Gesamt-Berliner Status entsagt hätten.
Die westlichen Unterhändler wandten sich energisch gegen die sowjetischen Vorstellungen. Vor allem suchten sie alle Ansätze zu eliminieren, auf Grund deren die UdSSR einseitig die Rolle einer Statusmacht in den Westsektoren von Berlin hätte beanspruchen können. Nach westlicher Ansicht beruhte die Anwesenheit der Westmächte in Berlin auf dem gleichen originären Recht wie die sowjetische Präsenz. Die UdSSR war nach diesem Konzept rechtlich nicht in der Lage, durch einseitiges Vorgehen Ost-Berlin aus dem Vier-mächte-Gebiet herauszunehmen und an die DDR zu übergeben. Demnach bestand die alte Rechtslage fort, die den Westsektoren und dem Sowjetsektor gleichermaßen die Rolle eines interalliierten Sondergebiets zuwies.
Der grundlegende Dissens darüber, auf welchen territorialen Bereich sich das künftige Abkommen beziehen sollte, ließ die Verhandlungen im Frühjahr und Sommer 1970 stagnieren. Als Botschafter Abrassimov Anfang Oktober 1970 versuchte, durch eine Viermächte-Erklärung über das Verhältnis West-Berlins zur Bundesrepublik indirekt eine einseitige Kompetenz der UdSSR für die Westsektoren zu etablieren, rief er damit erneut den heftigsten Widerstand seiner westlichen Verhandlungspartner hervor.
Der sowjetische Abkommensentwurf vom 26. März 1971 zeigt, daß die grundlegende Dif-ferenz auch während des folgenden halben Jahres nicht überwunden werden konnte. Danach sollten sich die Westmächte dazu verpflichten, „sicherzustellen, daß die Interessen der UdSSR in Berlin (West) gebührend respektiert werden". Mit der Anerkennung besonderer „Interessen" in West-Berlin hätte die sowjetische Seite in der Teilstadt die Basis für Rechtsansprüche erhalten, die über das auf auswärtigem Territorium übliche hinausgegangen wären. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß eine privilegierte Rolle festgelegt werden sollte, von der aus Forderungen auf Mitentscheidung in West-Berlin geltend gemacht werden konnten. Dieser Eindruck wird durch die Tatsache verstärkt, daß der Entwurf eine besondere Form der sowjetischen Präsenz in der Stadt vorsah. Es sollten ein Generalkonsulat der UdSSR und andere sowjetische Dienststellen entstehen, deren Personal ein festes Wohnrecht in West-Berlin erhalten sollten und damit vermutlich auch nicht dem üblichen Ausweisungsvorbehalt für den Fall eines Mißbrauchs ihres Immunitätsstatus unterworfen gewesen wären.
In dem sowjetischen Entwurf deuteten noch weitere Klauseln darauf hin, daß die Urheber von einer Funktion der UdSSR als Status-macht in West-Berlin ausgingen. Die vier Mächte sollten sich im Blick auf die Teilstadt vertraglich die Vermeidung alles dessen zusichern, was „in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Normen des Völker-rechts auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer hinauslaufen würde oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören könnte". Durch eine derartige Bestimmung wäre die Sowjetunion zu einer Macht geworden, die zusammen mit den Westmächten über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit innerer Vorgänge und Entwicklungen in West-Berlin hätte befinden können und entsprechende Forderungen an die drei westlichen Besatzungsmächte zu stellen legitimiert worden wäre.
Von dieser Zielperspektive her war es logisch, daß sich die Westmächte gegenüber der UdSSR dazu verpflichten sollten, in West-Berlin die „Bestimmungen über die Entmilitarisierung" durchzuführen und „neonazistische oder ähnliche Aktivitäten zu verhindern, die die öffentliche Ordnung stören oder Spannung in diesem Gebiet schaffen können". Eine solche Festlegung wäre darauf hinausgelaufen, der sowjetischen Seite einen Anspruch darauf zu bescheinigen, daß sich West-Berlin ihr gegenüber wohlzuverhalten habe.
Die unausgesprochene Prämisse, daß die UdSSR in der gleichen Weise wie die Westmächte über West-Berlin zu bestimmen habe kam auch darin zum Ausdruck, daß die Übereinkunft über die Wahrnehmung der auswärtigen Interessen dieser Stadt, welche die Form einer westlichen Deklaration gegenüber der Sowjetunion annehmen sollte, erst durch eine daraufhin erfolgende sowjetische Einverständniserklärung rechtsgültig werden sollte. Nach sowjetischer Ansicht war es also von einer ausdrücklichen Genehmigung der UdSSR abhängig, ob die von den drei westlichen Besatzungsmächten formulierte Regelung in Kraft treten konnte
Das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 gab dem sowjetischen Anspruch auf einseitige Kompetenzen in West-Berlin keinen Rückhalt. Das Problem wurde als Grundsatzfrage aus den Verhandlungen ausgeklammert, Dementsprechend fand es in dem Abkommen, das aus diesen Verhandlungen hervorging, keine ausdrückliche Regelung: Die vier Mächte kontrahierten „unbeschadet ihrer Rechtspositionen" miteinander. Das zeigte sich unter anderem darin, daß der geographische Bereich, auf den sich das Abkommen erstreckt, nicht genau ausgesprochen wurde, Statt dessen war von dem „betreffenden Gebiet" die Rede, unter dem sich sowohl Gesamt-Berlin (wie es der westlichen Auffassung entsprach) als auch West-Berlin (wie . es nach sowjetischer Absicht hätte heißen müssen) verstehen ließ. Außerdem sprach das Abkommen von „Gebieten, die an diese Sektoren [die Westsektoren] grenzen", und vonden „Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht an diese Sektoren grenzen". Im ersten Fall waren der Berliner Sowjetsektor und der DDR-Bezirk Potsdam gemeint (d. h. die beiden Gebiete, welche die Berliner Westsektoren umschließen und von denen eines, nämlich der Sowjetsektor, hinsichtlich seiner rechtlichen Zugehörigkeit zur DDR umstritten ist), während im zweiten Fall die übrige DDR angesprochen war (deren rechtlicher Status unstreitig ist, weswegen der Staatsname hier Eingang in den Abkommens-text finden konnte) Die vier Mächte for-mulierten praktische Regelungen, ohne eine Übereinkunft über den rechtlichen Status von Gebieten zu erzielen, in denen die Regelun-qen Gültigkeit haben sollten. Die Westmächte erkannten somit die sowjetischen Rechtsbehauptungen ausdrücklich nicht an.
Auch wenn die gegensätzlichen Prinzipien-standpunkte keinen Gegenstand des Abkommens bildeten, ließen sich doch indirekte Bezugnahmen nicht ganz vermeiden. Wie von Anfang an klar war, bedurfte es praktischer Regelungen zwar nur für West-Berlin (weil nur dieser Teil der Stadt widrigen Aktionen ausgesetzt war und daher Absicherungen und Verbesserungen brauchte), doch war darum die Frage, ob sich das Abkommen auch auf Ost-Berlin beziehe, keineswegs irrelevant. Denn wenn die Viermächte-Regelung OstBerlin nicht umfaßte, besaß das vertragliche Verbot einer einseitigen Lageveränderung in dem „betreffenden Gebiet" keine Gültigkeit für Ost-Berlin. Die östliche Teilstadt konnte dann, wenn die UdSSR dies für richtig erachten sollte, noch weiter als bisher in die DDR eingegliedert werden. Zugleich hätte die sowjetische Seite in diesem Fall argumentieren können (auch wenn sich dabei kein schlüssiger Beweis erbringen ließ), daß West-Berlin als ausschließliches Objekt der Vier-mächte-Regelung auch das ausschließliche Objekt eines entsprechenden Viermächte-Regimes bilde.
In der Präambel beziehen sich die Abkommenspartner auf die „Grundlage ihrer Vier-mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten und der'entsprechenden Vereinbarungen und Beschlüsse der vier Mächte aus der Kriegs-und Nachkriegszeit". Diese Rechte und Verantwortlichkeiten waren in den Jahren 1944 bis 1947 hinsichtlich Deutschlands und Gesamt-Berlins formuliert und wahrgenommen worden. Damit wurde das Abkommen vom 3. September 1971 mittelbar auf eine Basis gestellt, die eher auf ganz Berlin als nur auf West-Berlin hindeutete. Weiterhin ist das Abkommen in einen Teil I „Allgemeine Bestimmungen" und in einen Teil II „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen", gegliedert. Das spricht für die Annahme, daß die praktischen Regelungen bezüglich West-Berlins als ein besonderer Teil anzusehen sind, dem ein allgemeiner Teil vorausgeht. Der allgemeine Teil dürfte einen weiterreichenden Bezug haben — und dieser müßte dann Gesamt-Berlin sein. Im Teil I ist von der „Beseitigung von Spannungen" und der „Verhütung von Komplikationen", von dem Verzicht auf den Gebrauch von Gewalt und von einer friedlichen Streitbeilegung sowie von einer nur in wechselseitigem Einvernehmen zulässigen Veränderung der Lage in dem Gebiet die Rede, auf das sich das Abkommen bezieht. Diese Normierungen ergeben einen vernünftigen Sinn am deutlichsten dann, wenn man sie auch auf Ost-Berlin bezieht.
Im Unterschied zu dem sowjetischerseits vorgeschlagenen Terminus „Berlin (West)" spricht das Abkommen stets von den „Westsektoren Berlins" — eine Formel, die nur verständlich wird, wenn man von der Existenz eines weiteren Sektors, also des Sowjetsektors, ausgeht. Die drei westlichen Botschafter haben im übrigen bei den Verhandlungen der sowjetischen Seite klar zu verstehen gegeben, daß sich nach ihrer Ansicht das Abkommen demzufolge unzweideutig auf ganz Berlin beziehe
Dem sowjetischen Wunsch nach einem Generalkonsulat in West-Berlin wurde zwar entsprochen, doch erhielt diese Vertretung der UdSSR keinen privilegierten oder besonderen Charakter. Die Errichtung basierte ausdrücklich auf der „Genehmigung" der Westmächte. Dem sowjetischen Personal wurden keine Anwesenheitsrechte und Immunitäten zugestanden, die über das gewöhnliche Gastrecht im Ausland hinausgingen. Die Kompetenzen wurden eng begrenzt: Es durften „keine politischen Funktionen" ausgeübt werden; die Behandlungen von irgendwelchen „mit den Viermächte-Rechten und -Verantwortlichkeiten in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten“ (also das Geltendmachen sowjetischer Ansprüche auf Mitsprache in West-Berlin) war untersagt. Das sowjetische Generalkonsulat konnte demnach keinen Ausgangspunkt mehr für die Etablierung einer Art sowjetischer Besatzungsbehörde in West-Berlin bilden.
Die Frage des Zugangs nach West-Berlin
Das westliche Interesse an einer Berlin-Regelung war entscheidend von dem Bestreben geleitet, eine vertragliche Abmachung herbeizuführen, die den zivilen Durchgangsverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin zu Lande und zu Wasser von der Willkür und der Störung seitens der DDR-Behörden befreien würde. Um dieses Zweckes willen schien es der westlichen Seite unerläßlich, daß das aus der westlichen Berlin-Präsenz resultierende Zugangsrecht von der UdSSR — und damit praktisch auch von der DDR — akzeptiert wurde. Der Militärverkehr der drei Westmächte und die westlichen Verbindungen durch die Luftkorridore dagegen waren nach westlicher Ansicht keiner Vereinbarung bedürftig, weil das westliche Recht auf der Basis der interalliierten Übereinkünfte von 1944/45 in der Praxis keinen Anfechtungen ausgesetzt war.
Die sowjetische Seite stellte sich bis zum Sommer 1970 uneingeschränkt auf den Standpunkt, daß die Frage des Durchgangsverkehrs nicht verhandlungsfähig sei, weil sie in die alleinige Zuständigkeit der souveränen DDR falle. Damit verband sich die Ansicht, daß es allein von dem Belieben der DDR abhänge, inwieweit und wie lange Durchfahrtsrechte an die westliche Seite gewährt würden. Dieser Anspruch wurde prinzipiell auch im Blick auf den Flugverkehr erhoben. Lediglich die Kompetenz bezüglich des westlichen Militär-verkehrs behielt sich die UdSSR ausdrücklich vor
Im September 1970 fanden sich die sowjeti.sehen Unterhändler bereit, über den Durchgangsverkehr zu sprechen, falls zuvor ihrem Verlangen nach Festlegung eines Eigenstaatlichkeitsstatus für West-Berlin entsprochen worden sei. Diese Konzession bedeutete freilich nicht, daß die sowjetische Seite damit einverstanden gewesen wäre, die Frage im Viermächte-Rahmen auf der Basis eines westlichen Zugangsrechtes zu regeln. Im Oktober 1970 fiel die sowjetische Vorbedingung weg
Etwa zur gleichen Zeit modifizierten die drei westlichen Botschafter ihr Konzept. Sie hielten daran fest, daß die UdSSR für die Wahrung des freien Zugangs nach West-Berlin verantwortlich zu machen sei und daß sie dementsprechend eine Regelung über einen unbehinderten zivilen Durchgangsverkehr mit ihrer Unterschrift besiegeln müsse. Sie gestanden aber zu, daß die DDR in beschränktem Umfang an der auszuhandelnden Übereinkunft beteiligt werden könne. Die vier Mächte sollten in ihrem Abkommen den Rahmen des Arrangements über den Durchgangsverkehr festlegen. Anschließend sollten die Westmächte der Bundesrepublik und die Sowjetunion der DDR den Auftrag erteilen, stellvertretend die Einzelheiten der Regelung auszuarbeiten.
Die sowjetischen Vertreter weigerten sich jedoch strikt, einen derartigen Auftrag an die DDR ins Auge zu fassen, weil damit der unselbständige Charakter der von der DDR zu führenden Verhandlungen — und folglich der Mangel einer ostdeutschen Verfügungsgewalt über die Verkehrswege nach West-Berlin — dokumentiert worden wäre. Die westliche Seite sah sich schließlich veranlaßt, von dem Verlangen nach einem ausdrücklichen sowjetischen Auftrag an die DDR Abstand zu nehmen, hielt aber weiterhin daran fest, daß die vier Mächte einen Rahmen setzen müßten, der dann von den beiden deutschen Staaten aufgrund faktischer Viermächte-Veranlassung auszufüllen sei.
Die sowjetische Seite ging in dem Abkommensentwurf vom 26. März 1971 formal auf den westlichen Vorschlag ein, ohne ihm inhaltlich zu folgen. Die „Aufrechterhaltung und Entwicklung breiter Verbindungen und Kontakte zwischen Berlin (West) und dem Ausland" auf den verschiedensten Gebieten setzten danach unter anderem voraus, „daß zwischen den zuständigen Behörden Abkommen über den zivilen Transitverkehr nach und von Berlin (West) abgeschlossen werden, so daß dieser Transitverkehr auf der Grundlage herkömmlicher internationaler Formen ohne Unterbrechung durchgeführt werden wird". Dementsprechend wollte die UdSSR die drei Westmächte darüber informieren, daß die DDR zum Abschluß einer Vereinbarung über den Transitverkehr nach bestimmten Grundsätzen gewillt sei. Unter anderem war vorgesehen, daß im Falle auftretender Komplikationen die beteiligten deutschen Seiten Konsultationen pflegen sollten
An diesen Formulierungen war entscheidend, daß sich die UdSSR nur dazu bereit fand, als Sprachrohr der DDR in Erscheinung zu treten. Die Regierung der DDR sollte nach eigenem Ermessen „mit den interessierten Parteien" auf der westdeutschen Seite — d. h. mit der Bundesregierung und dem Senat — Abkommen über den Transitverkehr schließen. Die sowjetische Seite wollte in dem Viermächte-Abkommen auf diese Bereitschaft der DDR lediglich hinweisen. Die Formel, daß die zu schließenden Vereinbarungen auf den „herkömmlichen internationalen Normen" basieren würden, hatten nach östlichem Verständnis den Sinn, daß der Grundsatz der uneingeschränkten Verfügungsgewalt der DDR über ihr Territorium und über die auf diesem verlaufenden Verkehrswege zum Ausgangspunkt der Verhandlungen gemacht wurden. Die Rede von den Verbindungen zwischen „Berlin (West) und dem Ausland" und die Anknüpfung von separaten Transitverhandlungen mit dem Berliner Senat dienten dem Zweck, West-Berlin praktisch in die Rolle einer .selbständigen politischen Einheit" zu drängen.
Das sowjetische Konzept setzte sich nicht durch. Das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 enthält Rahmenbestimmungen über den zivilen Eisenbahn-, Auto-und Schiffsverkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik. Die vier Mächte legten dabei von sich aus ein Behinderungsverbot und ein Begünstigungsgebot fest. Den „zuständigen deutschen Behörden" wurde die Aufgabe zugewiesen, die „konkreten Regelungen" zu treffen, d. h. die Ausführung im einzelnen zu vereinbaren. Das Ergebnis dieser anschließenBen zwischendeutschen Verhandlungen wur-de zusammen mit dem Viermächte-Abkom-men am 2. Juni 1972 durch die Unterzeich-nung eines Viermächte-Schlußprotokolls in Kraft gesetzt. Damit war unzweideutig klargestellt, daß die Ergebnisse der Verhandlungen mit der DDR Bestandteil des Viermächte-Abkommens waren und daher nicht aus eigener Machtvollkommenheit der Beteiligten, sondern aus einer Ermächtigung seitens der vier Mächte resultierende Akte darstellten.
Dies entsprach der westlichen Auffassung, der zufolge die UdSSR 1944/45 gegenüber den Westmächten die Verbindlichkeit übernommen hatte, den ungehinderten Zugang nach Berlin zu gewährleisten. Im Verlauf der zwischendeutschen Verhandlungen konnte die Bundesregierung erreichen, daß die Regierung der DDR von dem Verlangen nach separaten Abkommen mit Bonn und West-Berlin abrückte und die bundesdeutsche Seite als alleinigen Partner in den Fragen des Verkehrs zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik akzeptierte. Damit wurde verhindert, daß West-Berlin als eine „selbständige politische Einheit" behandelt wurde, deren Interessen nicht von der Bundesrepublik hätten wahrgenommen werden können. An diesem Ergebnis ändert auch der Gebrauch des Wortes „Transitverkehr" im Abkommenstext nichts, obwohl diesem Ausdruck in östlichen Verlautbarungen der Sinn unterlegt worden war, daß es sich um den Verkehr zwischen zwei selbständigen Völkerrechtssubjekten über den Boden eines souveränen Drittstaates handele: Der Begriff „Transit" ist in internationalen Verträgen verschiedentlich nicht in diesem Sinne verwendet worden
Nach dem Viermächte-Abkommen sollte der zivile Verkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik „in der einfachsten, schnellsten und günstigsten Weise erfolgen, wie es in der internationalen Praxis vorzufinden ist“. Soweit das möglich war, sollte der Anlaß zu Uberprüfungsmaßnahmen der DDR-Behörden durch den Einsatz von durchgehenden Zügen und Bussen (bei Personen) und durch das Anlegen vom Plomben (bei Gütertransporten) von vornherein eliminiert werden. Aber auch dann, wenn dies nicht machbar war, sollten sich die Kontrollen grundsätzlich auf eine Identifizierung der Personen und auf eine Prüfung der Begleitdokumente beschränken. Nur bei Vorliegen von spezifischen Verdachtsmomenten für einen Mißbrauch der Verkehrswege sind Durchsuchungen zulässig.
Dabei ist „Mißbrauch" definiert als eine Nutzung der Verkehrswege für Zwecke, „die nicht mit der direkten Durchreise von und nach den Westsektoren West-Berlins in Zusammenhang stehen und die den allgemein üblichen Vorschriften bezüglich der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen“. Darunter fallen das Aufnehmen von Flüchtlingen und die Verbreitung von Informationsmaterialien. Die vier Mächte sahen weiter vor, daß die Transitreisen von den bisherigen individuellen Benutzungsgebühren befreit würden. Statt dessen sollte die Bundesrepublik der DDR eine festzusetzende Jahressumme überweisen. Das bedeutete, daß sich für die Durchreisenden die Abfertigung vereinfachte und daß die DDR-Behörden die Gebühren nicht einseitig erhöhen konnten.
Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 17. Dezember 1971 legte in Ausfüllung der Viermächte-Vereinbarung die Modalitäten der Durchreise und die Höhe des Pauschalbetrages für die Jahre 1972 bis 1975 fest. Die DDR hielt an der Visumspflicht fest. Es wurde zugesagt, daß die Visa an den Grenzübergangsstellen schnell ausgestellt würden. Von besonderer Bedeutung war die Mißbrauchsklausel. Danach können als Mißbrauch nur Fälle behandelt werden, in denen Durchgangsreisende Materialien verbreiten oder auch mitnehmen, Flüchtlinge schmuggeln, ohne Anlaß oder Erlaubnis die Transitwege verlassen, Straftaten begehen und die Straßenverkehrsvorschriften verletzen. Es wurde ausdrücklich festgelegt, daß, wenn eine weitergehende Kontrolle als üblich vorgenommen werden soll, handgreifliche Verdachtsgründe vorliegen müssen. Bestätigt sich ein derartiger Verdacht, dann dürfen die Organe der DDR „in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Mißbrauchshandlung entsprechend den allgemein üblichen Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik" vorgehen, wobei nur in Extremfällen ein Ausschluß von der Benutzung der Transitwege oder gar eine Festnahme vorgesehen ist. Aufgrund früherer und andersartiger Vorwürfe soll niemandem die Durchreise verweigert werden können. Eine „Kommission zur Klärung von Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung" des Abkommens wurde vorgesehen. Eine derartige Frage kann freilich auch im Rahmen der Viermächte-Konsultationen behandelt werden, die das Abkommen vom 3. September 1971 zur Regelung aller damit verbundenen Mißhelligkeiten ins Auge gefaßt hat. In dieser Sachlage kommt deutlich zum Ausdruck, daß die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR dem Viermächte-Abkommen nachgeordnet sind. Die Festlegung eines Verfahrens zur friedlichen Streitbeilegung bedeutet im übrigen, daß die östliche Seite im Falle von vermeintlichen Übergriffen der Bundesrepublik in West-Berlin keine Repressalien an den Zugangswegen ergreifen kann, sondern statt dessen die Frage zur diplomatischen Erörterung bringen muß. Die frühere östliche Praxis, den Beschwerden bezüglich der Zuordnung West-Berlins zur Bundesrepublik durch'Störmaßnahmen gegen den West-Berlin-Verkehr Nachdruck zu verleihen, ist daher nach der Berlin-Regelung von 1971 eindeutig zu einem rechtswidrigen Unterfangen geworden.
Das Problem des innerstädtischen Kontakts über die Sektorengrenze hinweg
Seit den Absperrmaßnahmen der DDR im Jahre 1952 war es den West-Berlinern verwehrt, in die Berliner Umgebung zu reisen. Der Bau der Mauer 1961 unterbrach auch den Kontakt zwischen beiden Teilen der Stadt. Während die Bewohner Westdeutschlands und des westlichen Auslands die Genehmigung zum Passieren der Sektorengrenze an bestimmten Stellen erhalten konnten, wurde den West-Berlinern eine derartige Möglichkeit versagt. Nur während begrenzter Perioden machten Passierscheinregelungen davon eine Ausnahme. Das letzte Arrangement dieser Art hatte es jedoch im Frühjahr 1966 gegeben; danach blieb den West-Berlinern im allgemeinen der Zutritt nach Ost-Berlin verwehrt. Das Konzept der „menschlichen Erleichterungen", dem die Bundesregierung seit Herbst 1969 folgte, schloß auch das Verlangen nach einer Beseitigung oder wenigstens Verringerung der innerstädtischen Trennungen ein.
Die drei westlichen Besatzungsmächte in West-Berlin machten sich die Forderung im Interesse der ihnen anvertrauten Teilstadt zu eigen. Sie waren überdies der Ansicht, daß der fortbestehende Viermächte-Status Ge samt-Berlins eine Kappung aller Verbindungen zwischen dem westlichen und östlichen Teil der Stadt nicht zulasse. Die sowjetische Seite lehnte diese Argumentation ab, schein aber von Anfang an keine prinzipiellen Bedenken dagegen gehabt zu haben, daß WestBerliner in begrenztem Umlang und in kontrollierter Form Besuchserlaubnis im Osten erhalten könnten. Sie war jedoch der Meinung, daß diese Frage nicht in die Zuständigkeit der vier Mächte falle, sondern vom Berliner Senat mit der DDR-Regierung ausgehandelt werden müsse. Die westlichen Unterhändler bestanden demgegenüber auf der Viermächte-Kompetenz. Nur wenn diese akzeptiert wurde, ließ sich nach ihrem Dafürhalten ausschließen, daß die zu treffende Regelung von der DDR als eine Bestätigung der Herausnahme Ost-Berlins aus dem Vier-mächte-Gebiet Gesamt-Berlin gewertet wurde. Außerdem waren die Dauerhaftigkeit und die Unwiderruflichkeit der Vereinbarung nur dann gesichert, wenn die DDR an einen ihr vorgeordneten Willen gebunden wurde.
Dem sowjetischen Abkommensentwurf vom 26. März 1971 zufolge informierte die UdSSR die Westmächte lediglich über die Bereitschaft der DDR, mit dem West-Berliner Senat eine Besuchsvereinbarung anzustreben. Die . Einwilligung" der DDR fungierte ausdrücklich als Voraussetzung der sowjetischen Information. Mit anderen Worten: Die DDR-Regierung würde demnach ausschließlich in Wahrnehmung ihrer souveränen Befugnisse gehandelt haben; sie wäre auch keine Verbindlichkeit bezüglich des Ergebnisses der Verhandlungen mit dem Berliner Senat eingegangen. Der Verwischung des Unterschieds zwischen Inner-Berliner Verkehr und Verbindungen über die Stadtgrenzen hinaus hätte es gedient, daß vom „Territorium der DDR, einschließlich deren Hauptstadt", die Rede sein sollte
Ebenso wie bei der Zugangsregelung lehnte «die sowjetische Seite zwar ab, der DDR-Regierung einen ausführenden Verhandlungsauftrag zu erteilen, zeigte sich schließlich aber zu einer Regelung bereit, bei der die vier Mächte den Rahmen festlegten, den die deutschen Seiten anschließend mit Details ausfüllten. Dementsprechend erklärte die so-
wjetische Regierung in den „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen", von Sch aus, daß die Kommunikationen zwischen den Westsektoren Berlins und den umliegenden Gebieten verbessert würden und daß die 7
West-Berliner diese Gebiete zu vergleichbaren Bedingungen wie andere Personen besuchen könnten. Im Anschluß daran bestätigte die sowjetische Regierung den drei West-, mächten „nach Konsultationen und nach Übereinkunft mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik“ in einer beigefügten Mitteilung die gemachte Zusicherung und sagte die Eröffnung zusätzlicher Übergangsstellen zu.
Die Mitwirkung bei den nachfolgenden Detailverhandlungen wurde von den Westmächten dem Senat des Landes Berlin übertragen. Dies erschien richtig, weil es sich um ein innerstädtisches Problem handelte. Die resultierende Vereinbarung vom 20. Dezember 1971 legte die Einreiseformalitäten, die Besuchsdauerlimitierungen (maximal 30 Tage jährlich) und die Antragsbearbeitungsfristen im einzelnen fest. Wichtig war die Klausel, nach der zusätzliche Erleichterungen nicht ausgeschlossen wurden. Auf diese Weise blieb der Weg für Verbesserungen offen, ohne daß dann die getroffene Übereinkunft insgesamt neu ausgehandelt werden müßte. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten bei der Anwendung und Durchführung der Vereinbarung wurden Treffen von Beauftragten beider Seiten vorgesehen. Die DDR-Regierung gab eine — in den Verhandlungen abgesprochene — Erklärung ab, welche die Höhe der Gebühren und Zwangsumtauschsätze fixierte. Danach war eine Einreisegenehmigung für einen Tag mit 5 DM, eine solche für mehrere Tage mit 15 DM zu honorieren. Bei Aufenthalten bis zu zwei Tagen waren 5 DM pro Person und Tag in ostdeutsche Währung umzutauschen. Bei längeren Besuchen erhöhte sich der Satz auf 10 DM. Kinder bis zu 16 Jahren und Rentner wurden von der Umtauschpflicht befreit. Diese Erklärung bildete einen integrierenden Bestandteil der getroffenen Übereinkunft. Das Problem der Bundespräsenz in West-Berlin Das Interesse, das die sowjetische Führung an den Berlin-Verhandlungen nahm, galt wesentlich einer Beseitigung der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik Deutschland. West-Berlin sollte als ein „eigengearteter staatlich-politischer Organismus", als „besondere administrative-territoriale Einheit" und als „besonderes staatlich-politisches Gebilde vom Typ der . internationalisierten'oder .freien Territorien'und der .freien Städte'" in Erscheinung treten, auch wenn die „Unabge11 schlossenheit der Regelung seiner völkerrechtlichen Lage und die fremde Besetzung zusammen mit den rechtswidrigen Ansprüchen Bonns es bisher daran gehindert" hätten, „in vollem Ausmaß diese Merkmale zu zeigen". Nach dieser Auffassung befand sich die Stadt „im Stadium der Umwandlung in ein Subjekt des internationalen Rechts" und durchlebte „den Prozeß der Bildung seiner Eigenstaatlichkeit, der noch nicht zum Abschluß gekommen" sei, aber — wie das sowjetische Handeln erkennen läßt — diesem Abschluß immer näher gebracht werden sollte
Aus diesen Vorstellungen folgte, daß die sowjetische Seite in die Berlin-Verhandlungen eintrat mit dem Ziel, eine strikte völkerrechtliche Trennung West-Berlins von der Bundesrepublik durchzusetzen. Noch im Herbst 1970, als die sowjetischen'Unterhändler von ihren extremen Ausgangspositionen abzurücken begannen, wurde ein vollständiger Verzicht auf die Tätigkeit von Bundesbehörden in der Teil-stadt gefordert. Nur unter dieser Vorbedingung sollte es möglich sein, daß über die Tolerierung von nicht-staatlichen Beziehungen zwischen West-Berlin und Westdeutschland und über andere Punkte (wie insbesondere eine Transitregelung) gesprochen wurde. Erst Ende Oktober fiel dieses Junktim.
Demgegenüber hatte die westliche Seite ein ausgesprochenes Interesse daran, daß die bestehenden Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik von der UdSSR anerkannt wurden, damit für die östliche Seite kein Anlaß zu Attacken an den Zugangswegen mehr entstand. Dabei erschien es vertretbar, die symbolische Präsenz der Bundesrepublik (durch die zeitweilige Anwesenheit westdeutscher Verfassungsorgane in der Stadt) notfalls zu reduzieren.
In dem Abkommensentwurf vom 26. März 1971 wollte die sowjetische Seite festgelegt wissen, daß West-Berlin „kein Teil der BRD" sei und „nicht von ihr regiert" werde. Alle gegenteiligen Bestimmungen sollten außer Kraft gesetzt werden; die Beziehungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik sollten auch sonst „zu dieser Tatsache nicht im Gegensatz stehen". Damit war ein totaler Abbau der staatlichen Zuordnung West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland anvisiert. Dementsprechend wurde das Verhältnis West-Berlins zur Bundesrepublik in den Rah men der „Verbindungen und Kontakte zwi sehen Berlin (West) und dem Ausland“ einge ordnet. Das hätte die Stadt grundsätzlich au gleiche Distanz zum westdeutschen Staat wi zu anderen Staaten gebracht.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß das russi sehe Wort für „Verbindungen" (svjazi) weni ger die Konnotation von „Verflechtungen'oder „Zusammengehörigkeiten" hat, sondert eher Verbindungen in einem sozusagen tech nischen Sinne (einschließlich Verkehrs-unt Nachrichtenverbindungen) bezeichnet. Konse quenterweise sollte das völkerrechtliche Ein mischungsverbot auf die Beziehungen dei Bundesrepublik zu West-Berlin angewandt werden. Alle diese Bestimmungen, die West Berlin galten, sollten nach sowjetischer Ab sicht von den vier Mächten dekretiert wen den, d. h. die UdSSR nahm für sich das gleiche Recht wie die Westmächte in Anspruch, das Verhältnis zwischen West-Berlin und dei Bundesrepublik zu regeln.
Die drei Westmächte sollten — dem sowjetischen Entwurf zufolge — der UdSSR im einzelnen zusichern, „daß der Bundespräsident, die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat sowie deren Ausschüsse und Fraktionen, die Bundesversammlung und andere Regierungsinstitutionen des Bundes oder der Länder der BRD in Berlin (West) keinerlei oifizielle Akte oder Tätigkeiten durchführen sollen, die einer Ausdehnung ihrer Zuständigkeit auf Berlin (West) gleichkommen würden". Außerdem sollte die westliche Seitegewährleisten, daß die genannten Organe der Bundesrepublik sich nicht in West-Berliner Angelegenheiten einmischen würden und daß sie das West-Berliner Territorium nur in einer von den östlichen Staaten gebilligten Weise benutzen würden.
Auch nicht-regierungsamtliche Verbindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik sollten, so forderte die sowjetische Seite, nur so weit zulässig sein-wie sie nach sowjetischer Ansicht mit der totalen Nicht-Zugehörigkeit der Stadt zum westdeutschen Staat vereinbar waren. „Bundestagungen und -kongresse von BRD-Parteien und Organisationen" sollten in West-Berlin unter allen Umständen verboten sein In dem Abkommen vom 3. September 1971 hat sich die westliche Seite wohlweislich nicht auf irgendwelche Viermächte-Vorschriften über das Verhältnis West-Berlins zur Bundesrepublik eingelassen. Alle Festlegungen sind in einer Erklärung und in einer Mitteilung enthalten, welche die drei Westmächte im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen gegenüber der Sowjetunion abgegeben haben. Die drei Mächte berufen sich dabei ausdrücklich darauf, daß sie „in Ausübung ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten" handelten. Damit ist deutlich gemacht, daß die UdSSR bezüglich der Zuordnung West-Berlins zur Bundesrepublik keine Entscheidungskompetenz für sich in Anspruch nehmen kann.
Das Abkommen sieht vor, „daß die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden". Dabei soll berücksichtigt werden, „daß diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden". Mit dem Ausdruck „aufrechterhalten" ist festgelegt, daß die bisherige Beziehungsstruktur grundsätzlich fortdauern soll. Wenn gleichzeitig von einer Entwicklung der Bindungen die Rede ist, dann wird damit in positivem Sinne ein dynamischer Fortschritt in Aussicht gestellt. Die westliche Seite hat während der Verhandlungen darauf hingewiesen, daß demnach eine Vermehrung der Bundesbediensteten und der Bundesdienststellen in West-Berlin zulässig sei.
Die Worte des englischen und französischen Originaltextes für „Bindungen" (ties, liens) haben eine dem deutschen Ausdruck gleichartige Bedeutung. Demgegenüber kann der russische Terminus (svjazi) auch etwas weniger Substantielles als Zusammengehörigkeit und Zuordnung bezeichnen. Ein ähnlicher Befund ergibt sich bei den negativen Qualifikationen des Verhältnisses zwischen West-Ber-
lin und der Bundesrepublik Deutschland. Die englischen und französischen Ausdrücke für hie Art und Weise, in der die Stadt nicht zum westdeutschen Staat gehören kann (constituent part, lment constitutif), lassen darauf schließen, daß die Stadt nur in eingeschränktem Sinne — nämlich als voll staatsbildender Teil — der Bundesrepublik nicht zuzurechnen st. Das russische Wort dagegen (sostavnaja cast) bedeutet soviel wie „Bestandteil" und markiert damit keinen allzu deutlichen Unterschied zu dem seitens der UdSSR anfänglich gewünschten Wort „Teil“ (cast’).
Eindeutiger ist der Sinn jener Formulierung, welche die Übereinstimmung des vom Vier-mächte-Abkommen vorgesehenen Verhältnisses zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik mit dem bis dahin bestehenden Verhältnis deutlich macht. „Wie bisher“ (po preznemu) und „auch weiterhin" (i vpred’) lauten im Deutschen und im Russischen die beiden Schlüsselbegriffe, welche die Kontinuität des Vergangenen mit dem Vereinbarten ausdrücken. Im Englischen und Französischen ist die Kontinuität noch deutlicher bezeichnet: Die konstitutive Nicht-Zugehörigkeit der Teilstadt zum westdeutschen Staat und die Exemtion der Teilstadt von der Bonner Regierungsgewalt „fahren fort" (continue, continuent), die Beziehung der Bundesrepublik zu West-Berlin zu kennzeichnen. Es wird also kein neuer Zustand geschaffen; es wird lediglich das Bisherige festgeschrieben.
Nachdem die drei Westmächte seit 1949 konsequent darauf bestanden haben, daß die Eingliederung West-Berlins in die Bundesrepublik nicht bis zu einer vollständigen und vorbehaltlosen Einbeziehung vorangetrieben werden könne, und demgemäß alle deutschen Rechtsakte suspendiert haben, die West-Berlin in der gleichen Weise wie die anderen Bundesländer dem westdeutschen Staat angegliedert hätten, bedurfte es keiner Statusänderung mehr, wenn West-Berlin innerhalb der Bundesrepublik den Sonderstatus eines unter Besatzungsregime stehenden Gebietes mit einer entsprechend eingeschränkten Bundeszugehörigkeit haben sollte. Die Hinweise auf das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der bestehenden Bindungen und die Betonung der Kontinuität des vereinbarten mit dem bisherigen Zustand lassen klar darauf schließen, daß nach dem Viermächte-Abkommen ein besonderes Zusammenhangsverhältnis zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik vorliegt und daß keine Aufspaltung in zwei getrennte Völkerrechtssubjekte beabsichtigt ist. Im übrigen deutet die Wahl des Ausdrucks „Westsektoren Berlins" statt des sowjetischerseits vorgeschlagenen Terminus „Berlin (West)" darauf hin, daß die Teilstadt nicht als abgeschlossenes, eigenes Gebilde angesprochen werden sollte.
Die Eingliederung West-Berlins in die politische, administrative, rechtliche und wirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik bleibt unangetastet. Das bedeutet unter anderem, daß die permanente Bundespräsenz in Form der West-Berliner Bundesbehörden akzeptiert ist. Eingschränkt wird lediglich die symbolische Bundespräsenz, die in der zeitweiligen Tätigkeit von Bundesorganen in der Stadt zum Ausdruck kommt. Auch in diesem Fall handelt es sich nicht um einen grundsätzlichen Verzicht: Diese Spielart der Bundespräsenz wird ebensowenig wie alle anderen eliminiert. Im einzelnen wurde festgelegt, daß die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland — namentlich solche der Regierung und des Parlaments — in West-Berlin lediglich „keine Verfassungsoder Amtsakte vornehmen" dürfen, welche die Stadt zu einem konstitutiven, von Bonn her regierten Teil des westdeutschen Staates machen würden. Die drei westlichen Botschafter erläuterten in einem Brief an den Bundeskanzler den Sinn der entsprechenden Bestimmungen näher. Danach dürfen Organe der Bundesrepublik Deutschland keine „Akte in Ausübung unmittelbarer Staatsgewalt über die Westsektion Berlins" vollziehen. Ein bundesdeutsches Tätigwerden ist daher nicht generell, sondern nur in einer spezifischen Beziehung untersagt.
Im einzelnen sollen Plenarsitzungen des Bundesrats, des Bundestags und Sitzungen der Bundesversammlung generell nicht stattfinden. Dagegen sind Tagungen von Parlamentsausschüssen, die „im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen" zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik stehen, ohne terminliche Überschneidung weiterhin vorgesehen. Das gleichzeitige Zusammentreten mehrerer Ausschüsse ist, wie mündlich vereinbart worden ist, ebenfalls zulässig, wenn die betreffenden Ausschüsse gemeinsam mit West-Berliner Angelegenheiten befaßt sind Die zeitweilige Anwesenheit von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland in West-Berlin ist damit weiterhin gegeben.
Das Viermächte-Abkommen schreibt auch die „Verbindungsbehörde der Bundesregierung in den Westsektoren Berlins" fest. Dieses Amt, an dessen Spitze der Bundesbevollmächtigte in Berlin steht, hat nicht — wie es die sowjetische Seite gerne sehen würde — die quasi-diplomatische Funktion einer Vertretuna der Bundesregierung beim Senat des Landes Berlin, sondern bildet den Kern der administrativen Bundespräsenz in West-Berlin. Die Rechtskonstruktion der Verbindungsbehörde ermöglicht die Anwesenheit von Bundesdienststellen in der Stadt, ohne daß diese Dienststellen als Instrumente einer westdeutschen Regierungstätigkeit gegenüber der Teil-stadt in Erscheinung treten. Indem die West-Berliner Zweigstellen der Bundesministerien der Verbindungsbehörde als Abteilungen eingegliedert sind, erhalten sie einen durch das Viermächte-Abkommen ausdrücklich bestätigten Status als Elemente einer gebilligten institutioneilen Liaison zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik
Die Vertretung der Interessen West-Berlins nach außen
Im Einklang mit dem Bestreben, eine vollständige Trennung zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik herbeizuführen, drängte die sowjetische Seite auf eine möglichst weitreichende Etablierung West-Berliner Eigenstaatlichkeit im diplomatischen Bereich. Vor allem der Wahrnehmung West-Berliner Interessen durch die Bundesrepublik sollte ein Ende gesetzt werden. West-Berlin besitze, so hieß es, ähnlich wie andere selbständige Gebiete ein diplomatisches und konsularisches Korps, das lediglich „formell aus Tradition bei der Militäradministration akkreditiert" sei, jedoch „in Wahrheit beim Senat" seine Tätigkeit ausübe
Wenn dieser Darstellung zufolge das Ausland diplomatische und konsularische Vertretungen beim Senat unterhielt, dann schien es nur folgerichtig, daß dieser seine auswärtigen Interessen durch eigene Organe wahrnehmen sollte. Es stellte sich unter dieser Prämisse allenfalls noch die Frage, inwieweit West-Berlin als ein durch das westliche Besatzungsregime an der vollen Entfaltung seiner Eigen-staatlichkeit gehindertes Gebilde bestimmte Außenkompetenzen den drei Westmächten überlassen muß. Der Bundesrepublik dagegen gebührte nach anfänglichem sowjetischen Verlangen keinerlei Recht, sich in die Außenbeziehungen West-Berlins einzuschalten. 27 Während des ersten Jahres der Viermächteverhandlungen sah sich die sowjetische Seite veranlaßt, ihren extremen Standpunkt abzuschwächen. Dementsprechend wurde in den Entwurf vom 26. März 1971 der Bundesrepublik Deutschland in beschränktem Umfang eine Mitwirkung bei der Wahrnehmung der auswärtigen Interessen West-Berlins zugestanden. Das sollte freilich nur periphere Ausnah-mefälle betreffen. Die drei Westmächte sollten erklären, sie würden „ihre Zuständigkeit in Angelegenheiten, die die Beziehung zwischen Berlin (West) und anderen Staaten betreffen, auch weiterhin wahrnehmen“. Sie sollten „die Interessen von Berlin (West) in politischen Angelegenheiten vertreten sowie in Sicherheitsfragen und auf anderen Sicher-heitsgebieten, bei alliierten Viermächte-Ent-Scheidungen und insbesondere auf Gebieten, die die Abrüstung und die Entmilitarisierung betreffen". . Ohne Einschränkung" dieser Kompetenz sollte es zulässig sein, „daß die BRD für ständige Bewohner von Berlin (West) im Ausland konsularische Dienste übernimmt und deren Interessen in Zivilrechtsfragen schützt". Au-Berdem sollte es nach Maßgabe der „Sonderabkommen zwischen den vier Mächten“ und unter dem Vorbehalt der fallweisen Einwilligung der jeweils beteiligten Staaten möglich sein, „die Anwendung von nicht-militärischen und nicht-politischen Verträgen (Konventionen, Abkommen) zwischen der BRD und anderen Ländern auf Berlin (West) auszudehnen'. Diese von den Westmächten abzugebende Erkärung sollte durch eine ausdrückliche Bekundung sowjetischen Einverständnisses rechtlich wirksam werden. Damit nahm die UdSSR das Recht einer Statusmacht in West-Berlin für sich in Anspruch; die von den Westmächten für West-Berlin getroffenen Regelungen konnten demnach nur im Einvernehmen mit der Sowjetunion Wirklichkeit werden.
Die sowjetische Seite wollte bei der Erklä-rung ihres Einverständnisses die restriktiven Aspekte des Arrangements hervorheben. Au-Berdem wurde dabei stipuliert, daß die West-Berliner „nicht die Eigenschaften von BRD-Bürgern erhalten" dürften und daß sie mit West-Berliner Pässen (Personalauswei-sen" ins Ausland reisen müßten. Auf diese Weise wäre mittelbar eine eigene West-Ber-iner Staatsbürgerschaft eingeführt worden.
Weiterhin sah der sowjetische Vorschlag eine Ausnahmeregelung für das Verhältnis zwischen West-Berlin und der DDR vor: In diesem Falle sollte der Senat selbst die Angelegenheiten der Stadt nach außen hin wahrnehmen. Wenn die UdSSR sich mit ihren Vorstellungen durchgesetzt hätte, dann wäre die Außenvertretung West-Berlins dreigeteilt worden. Dabei wäre die Kompetenz der Bundesrepublik in weltweitem Umfang (also auch in den Staaten außerhalb des sowjetischen Lagers) auf die Bereiche des Zivilrechtlichen, Wirtschaftlichen und Kulturellen reduziert worden — und auch diese Zuständigkeit hätte nicht verbindlichen, sondern nur fakultativen Charakter erhalten
Das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 unterscheidet sich wesentlich von dem sowjetischen Vorschlag. Dies gilt zunächst einmal für die Form: Die entsprechenden Bestimmungen sind in einer Mitteilung der drei Westmächte enthalten, die von der UdSSR in faktisch wortgleichen Formulierungen zur Kenntnis genommen wird, nicht aber einer zusätzlichen und ergänzenden Bestätigung der Sowjetunion unterliegt. In inhaltlicher Hinsicht wird der Bundesrepublik Deutschland eine Außenvertretung für West-Berlin nur in „Angelegenheiten der Sicherheit und des Status" generell verwehrt. Die drei Westmächte erklären sich damit einverstanden, daß „die Bundesrepublik Deutschland die konsularische Betreuung der Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins ausüben kann“ und daß „in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren völkerrechtliche Vereinbarungen und Abmachungen, die die Bundesrepublik Deutschland schließt, auf die Westsektoren Berlins ausgedehnt werden können, vorausgesetzt, daß die Ausdehnung solcher Vereinbarungen und Abmachungen jeweils ausdrücklich erwähnt wird". Diese Formulierung läßt sich kaum so verstehen, daß es sich um eine Kann-Bestimmung handele. Vielmehr geht es darum, daß die drei Besatzungsmächte in ihrer Machtvollkommenheit bezüglich West-Berlins die Bundesrepublik ermächtigen, die auswärtigen Belange der Teilstadt unter dem Vorbehalt der obersten westlichen Gewalt wahrzunehmen. Das Erfordernis der ausdrücklichen Erwähnung eines Einschlusses West-Berlins in Abmachungen der Bundesrepublik dient dem Zweck, einer automatischen Erstreckung dieser Uber-einkünfte auf West-Berlin (die eine uneingeschränkte Zugehörigkeit der Stadt zum westdeutschen Staat implizieren würde) vorzubeugen. Von einem fallweise bei den jeweiligen Vertragspartnern seitens der Bundesregierung einzuholenden Einverständnis ist nicht die Rede; der entsprechende Passus des sowjetischen Entwurfs ist ersatzlos weggefallen. Die konsularische Betreuung für Personen mit Wohnsitz in West-Berlin schließt — einer mündlichen Absprache zwischen den vier Botschaftern zufolge — nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen (d. h. Organe des Senats) ein Es wäre im übrigen eine logische Ungereimtheit gewesen, wenn die Konsularvertretungen der Bundesrepublik den West-Berlinern während deren Auslandsaufenthalten hätten Rechtshilfe leisten dürfen, zugleich aber an der Gewährung der gleichen Rechtshilfe gehindert worden wären, sobald West-Berliner darum von ihrer Heimatstadt aus — notwendigerweise unter Einschaltung eines einheimischen Gerichts — ersucht hätten. In derartigen Fällen geht es, auch wenn formal staatliche Institutionen (die Gerichte) tätig werden, nicht um die Interessen von Behörden, sondern um die Interessen von Personen, die als Prozeßparteien, Erben, Nachlaßgläubiger und ähnliches in der Auseinandersetzung mit Partnern im Ausland ihr Recht suchen.
Die Bundesrepublik Deutschland sollte weiterhin die „Interessen der Westsektoren Berlins" in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen vertreten können. Bewußt war nicht von einer Vertretung der Westsektoren die Rede, weil dies dem Eindruck hätte Vorschub leisten können, als nehme die bundesdeutsche Seite auf Grund eines vertraglichen Vertretungsrechts die Belange eines anderen Völkerrechtssubjekts wahr. Außerdem sah das Viermächte-Abkommen die gemeinsame Teilnahme von West-Berlinern und Westdeutschen an internationalen Austauscharrangements und an internationalen Ausstellungen vor. Bei der Durchführung internationaler Veranstaltungen in West-Berlin sollten die Einladungen entweder vom Senat oder gemeinsam von diesem und der westdeutschen Seite ausgesprochen werden. In einem vereinbarten Verhandlungsprotokoll wurde festgelegt, daß weiterhin Bundespässe für West-Berliner ausgestellt werden dürfen, wobei durch einen Stempel-aufdruck ausdrücklich auf die Übereinstimmung dieses Verfahrens mit dem Abkommen vom 3. September 1971 verwiesen werden soll. Damit war dem sowjetischen Verlangen nach besonderen West-Berliner Ausweisdokumenten, das auf die Schaffung einer separaten Staatsbürgerschaft abzielte, der Boden entzogen.
Entsprechend der festgelegten Befugnis der BundesrepublikDeutschland, die Interessen West-Berlins in internationalen Organisationen zu vertreten, nimmt die westdeutsche UNO-Vertretung auch die West-Berliner Belange wahr. Das sowjetische Einverständnis hierzu mußte allerdings erst durch starken westlichen Druck — nämlich mit der unausgesprochenen, aber deutlichen Androhung eines Vetos gegen die UNO-Mitgliedschaft der DDR — erzwungen werden.
Im Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972 setzte die westdeutsche Seite nach langem Hin und Her durch, daß die Vertretung der Bundesrepublik in der DDR die „Interessen von Berlin (West)" wahrzunehmen berechtigt ist. Was die Erstreckung der Abkommen und Regelungen zwischen beiden deutschen Staaten auf West-Berlin anbelangt, so erreichten die Unterhändler der DDR eine restriktivere Formel, als sie im Viermächte-Abkommen über Berlin enthalten war. Es hieß nämlich, daß eine derartige Erstreckung „im jeweiligen Fall vereinbart werden“ könne
Gesamtwertung des Berlin-Abkommens Die Berlin-Regelung von 1971 hat zweifellos bisherige Grauzonen der Unklarheit durch präzisere Übereinkünfte beseitigt und damit die Rechtssicherheit im Raume Berlin erhöht. Politisch gesehen, läuft dies darauf hinaus, daß sich der Handlungsspielraum für die Seite einschränkt, die auf dem lokalen Schauplatz die Überlegenheit besitzt. Denn überall dort, wo eine eindeutige Abgrenzung der wechselseitigen Rechte und Pflichten vorgenommen worden ist, müßte sie zum Mittel des offenen Vertragsbruches greifen, um weiterhin Pressionen ausüben zu können. Sie müßte damit ein Odium auf sich nehmen, das Staaten im allgemeinen scheuen, solange sie nicht von dem Gefühl unbegrenzter Macht durchdrungen sind bzw. nicht auf einen hemmungslosen Konflikt zusteuern.
Insofern kommen alle Präzisierungen der Lage Berlins, die im Viermächte-Abkommen und in den Folgevereinbarungen enthalten sind, tendenziell der westlichen Sicherheit zugute. Nur soweit die UdSSR und die DDR den Eindruck von Lücken in der Berlin-Regelung her-vorrufen können, sind sie weiterhin in der Lage, ohne größere negative Rückwirkungen auf ihre Gesamtpolitik politischen Druck gegen westliche Positionen in Berlin auszuüben. Selbstverständlich konnte die Berlin-Regelung keine neuen Machtverhältnisse im Bereich der früheren deutschen Hauptstadt schaffen und daher auch nicht die sicherheitsrelevanten Gegebenheiten grundlegend verändern: Im Extremfall einer scharfen Ost-West-Konfrontation wäre West-Berlin kaum sicherer als vorher. Wenn man aber von der Situation einer im Zeichen der Entspannung gedämpften Konfliktlage ausgeht, dann bedeuten die Klarstellungen, welche die Vereinbarungen gebracht haben, einen Zuwachs an Sicherheit für West-Berlin.
Es kann dabei kaum einem Zweifel unterliegen, daß die UdSSR und die DDR auch nach 1971 an ihrem Streben nach einer allmählichen Neutralisierung der Stadt und nach einer anschließenden Einbeziehung der Stadt in den östlichen Machtbereich festhalten Dem steht aber eine Einengung der östlichen Handlungsmöglichkeiten gegenüber, solange beide Staaten sich im Interesse eines leidlich guten Verhältnisse zu wichtigen Ländern des Westens zu Rücksichtnahmen veranlaßt sehen.
An Überlegungen dieser Art ist gelegentlich der Gedanke geknüpft worden, daß das Vertragswerk über Berlin lediglich ein „Schön-Wetter-Abkommen" darstelle, das in guten Zeiten überflüssig sei und in Spannungssituationen keinen Wert mehr besitze. Diese Auffassung geht jedoch in doppelter Weise an den Tatsachen vorbei. Das Verhältnis der Ost-West-Entspannung ist keineswegs von wechselseitiger Harmonie bestimmt, die alle Probleme und Konflikte ausschließen würde. Daher ist es sehr wichtig, daß auch in diesen relativ guten Zeiten Hemmnisse in die östlichen Vorgehensneigungen eingebaut werden. In Perioden verstärkter Spannung gilt, daß die andere Seite, solange sie nicht jedweden Konflikt wollen kann, weiterhin in gewissem — wenn auch vermutlich verringerten — Umfange Rücksichten zu nehmen hat. Je deutlicher die Kriterien markiert sind, an denen das östliche Verhalten von den westlichen Staaten gemessen wird, desto größer ist auch in schlechten Zeiten der hemmende Effekt.
Das bedeutet nicht, daß die westliche Seite in einem illusionären „Glauben an die Macht des Papiers" allein auf die Wirksamkeit abgeschlossener Vereinbarungen vertrauen könnte. Die Machtmittel, die den beteiligten Seiten zur Verfügung stehen, behalten ihre grundlegende Bedeutung. Auf dem Hintergrund einer relativen globalen Machtbalance sind jedoch einvernehmlich getroffene Festlegungen wichtige Instrumente zur Behauptung eigener Positionen.
Gegen die Berlin-Regelung wurde verschiedentlich als Kritik geltend gemacht, daß keine uneingeschränkte Einbeziehung West-Berlins in die Bundesrepublik erreicht worden sei. Dieser Einwand verkennt die Lage, in der sich die Teilstadt befindet. Eine volle Eingliederung West-Berlins in die Bundesrepublik hat es nie gegeben; der Besatzungsstatus der Teilstadt hat sie nicht zugelassen. Eine Ablösung dieses Besatzungsstatus durch das Berlin-Abkommen kam nicht nur wegen der Haltung der drei westlichen Okkupationsmächte nicht in Betracht. Sie hätte auch zur Folge gehabt, daß die Grundlagen der Sicherheit West-Berlins erschüttert worden wären — ein Resultat, an dem die deutsche Seite kein In-33 teresse haben konnte. Der Besatzungsstatus ist also für West-Berlin unverzichtbar.
Das hängt zum einen damit zusammen, daß jedes überleben der Stadt von der Möglichkeit des ungehinderten westlichen Zugangs zu ihr abhängt und daß dieser Zugang nur auf der Basis der besatzungsmäßigen Präsenz der Westmächte in West-Berlin rechtlich wie politisch zu verteidigen ist. Zum anderen ist es für West-Berlin ein entscheidender Unterschied, ob das Engagement der Westmächte für den Schutz der Stadt aus deren besatzungsrechtlicher Anwesenheit oder aus deren Bündnispflichten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland resultiert. Die Westmächte sind bei östlichen Übergriffen gegen die Teil-stadt ungleich direkter herausgefordert, wenn diese in gewisser Hinsicht sozusagen deren eigenes Gebiet darstellt. Alle politischen und militärischen Attacken gegen West-Berlin richten sich dann notwendigerweise zugleich direkt gegen die Westmächte als die Inhaber der Herrschaftsgewalt und der Sicherheitsverantwortlichkeit in West-Berlin. Wäre daggen West-Berlin ein uneingeschränkter territorialer Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, dann wäre zunächst der westdeutsche Staat gehalten, für den Schutz der Teilstadt gegenüber fremden Übergriffen zu sorgen.
Anders als die USA verfügt jedoch die Bundesrepublik Deutschland nicht über die globalen Machtmittel, die der UdSSR Rücksicht-nahmen nahelegen. Die Wahrscheinlichkeit einer für West-Berlin lebensbedrohenden Krise wäre also ungleich größer. Käme es dann zu einer Situation potentieller Gewaltanwendung, dann könnte die Bundesrepublik zwar die NATO um Beistand ersuchen, doch wäre es — in Anbetracht des nicht automatischen Charakters der Bündnisverpflichtungen und der militärischen Unhaltbarkeit West-Berlins — höchst unsicher, ob daraufhin ein rascher wirksamer Beistand erfolgen würde. Solange jedoch die drei Westmächte Besatzungsfunktionen in West-Berlin innehaben obliegt ihnen der Schutz West-Berlins. Diese Sachlage ist natürlich auch der sowjetischen Führung klar.
Die Fortdauer des Besatzungsstatus ist für die Situation nicht nur in Berlin, sondern auch in ganz Europa von großer Wichtigkeit. Die amerikanische Anwesenheit in Berlin beruht auf originären Rechten und Verantwortlichkeiten. Sie ist daher nicht, wie es eine auf Bündnisverträgen basierende Präsenz wäre, von periodischen Verlängerungsakten abhängig. Damit ergibt sich für die amerikanische Anwesenheit in Europa ein Fixpunkt, der als Konstante in Rechnung zu stellen ist. Das ist — nicht zuletzt im Hinblick auf die zeitweilig starken isolationistischen Tendenzen in den USA — ein entscheidendes Element, das die Amerikaner in Europa festhält. Wenn die amerikanische Anwesenheit in Berlin durch das Viermächte-Abkommen gegenüber der Sowjetunion festgeschrieben worden ist, dann ergibt sich daraus eine zusätzliche Nötigung zur weiteren Behauptung dieser Position
Das Problem der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik seit Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens
Am 3. Juni 1972 trat das Viermächte-Abkommen in Kraft. Sehr bald zeigte es sich jedoch, daß der vertraglichen Übereinkunft kein vollständiges Einvernehmen entsprach. Die vereinbarten Texte wurden von der Sowjetunion und der DDR in einigen Punkten anders interpretiert als von den Westmächten und der Bundesrepublik. Daraus folgten stellenweise unterschiedliche Vorstellungen darüber, was in West-Berlin zulässig und angebracht sei. Die Differenzen konzentrierten sich in Bereichen, die vor Abschluß des Viermächte-Abkommens besonders kontrovers gewesen wa-ren. Daher ergaben sich vor allem bei den Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik Probleme pas Zentralorgan der SED, „Neues Deutschland", setzte am 13. September 1972 mit einer lückenhaften Zitierung des Viermächte-Abkommens die Leitmaße. Darin, so hieß es, sei klar und eindeutig festgelegt, daß West-Berlin so wie bisher kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland“ sei „und auch weiterhin nicht von ihr regiert werden" könne. Es wurde der Eindruck erweckt, als habe dem Abkommen zufolge West-Berlin nichts mit der Bundesrepublik zu tun. Auf der Basis dieser Wiedergabe, welche die gleichzeitig erfolgte Bestätigung der bestehenden limitierten Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik außer Betracht ließ, erhielt jede Bekundung der Zusammengehörigkeit den Anschein einer schwerwiegenden Vertragsverletzung.
Von dieser Position her begann vor allem die DDR — wenn auch nicht durchgängig und nur zurückhaltend — verschiedene Formen der Bundespräsenz in West-Berlin zu monieren, Die sowjetischen Einwendungen hatten zunächst wenig Nachdruck. Es scheint in Moskau vor allem darum gegangen zu sein, den Eindruck der Zustimmung zu Symbolen der Einheit zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik zu vermeiden.
Die Aufenthalte von Amtspersonen und Verfassungsorganen der Bundesrepublik in West-Berlin wurden während des ersten Jahres nach dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens ohne Protest hingenommen. Die DDR-Führung bekundete jedoch bei einigen Gelegenheiten — insgesamt 14mal — über die Nachrichtenagentur ADN offiziös ihr Mißfallen. Beispielsweise wurden das Zusammentreten von Leitungsgremien der CDU/CSU, eine Konferenz der Staats-und Senatskanzleien der Länder mit dem Bundeskanzleramt und eine Umweltschutztagung der Bundesländer als unvereinbar mit dem Abkommen vom 3. September 1971 hingestellt.
Am 23. Januar 1973 wurde gegen einen Besuch des Bundespräsidenten eingewandt, daß seine Rolle als Schirmherr der „Grünen Woche" nicht rechtens sei. Als sich dann jedoch der Bundespräsident vom 6. bis 9. April 1973 erneut in West-Berlin aufhielt und dabei ausdrücklich die Übernahme von Schirmherrschaften sowie die Eröffnung von Ausstellungen für legitim erklärte, erhob sich kein Widerspruch. Ein Besuch der Bundestagspräsidentin in West-Berlin vom Januar 1973 dagegen stieß auf offiziösen Protest in der DDR. Eine Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates Ende März 1973 wurde in „Izvestija" und „Neues Deutschland" kritisiert. Schwierigkeiten entstanden in der Anfangszeit immer wieder, ’ wenn Fahnen gezeigt wurden. Auf der sowjetischen Industrieausstellung, die vom 30. April bis zum 13. Mai 1973 in West-Berlin stattfand, weigerte sich die Ausstellungsleitung, die Fahne der Bundesrepublik neben der West-Berliner Flagge aufzuziehen, und suchte damit zu dokumentieren, daß sich die Veranstaltung ausschließlich im Zuständigkeitsbereich West-Berlins befinde. Dementsprechend wurde auch die Anwesenheit eines Bundesministers von der sowjetischen Seite ignoriert. Auf der Ostsee-Woche in Rostock hißten die DDR-Behörden am 9. Juli 1973 die West-Berliner Fahne neben der Flagge der Bundesrepublik, um der These von der staatlich getrennten Existenz beider Seiten Nachdruck zu verleihen. Der sowjetische Generalkonsul in West-Berlin konnte im Herbst 1973 mehrere Monate lang sein Amt nicht antreten, weil er dem Aufziehen der Bundesflagge neben der West-Berliner Fahne nicht zustimmen wollte. Eine DDR-Publikation, die im Frühjahr 1973 erschien, bildete neben Staats-fahnen aus aller Welt eine „Nationalflagge" West-Berlins ab. Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 zum Grundlagenvertrag reagierten Sowjetunion und DDR unter anderem darum mit großer Heftigkeit weil dieses nach deutschem Recht — ungeachtet der suspendierenden Wirkung des überlagernden westlichen Besatzungsrechts — West-Berlin zu einem Land der Bundesrepublik Deutschland erklärte.
Auch andere Formalitäten sollten dazu herhalten, in der Öffentlichkeit den Eindruck hervorzurufen, als stehe West-Berlin nicht in irgendeinem Zuordnungsverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Im April 1973 er-klärte „Neues Deutschland“ die offizielle Bezeichnung „Land Berlin" für abkommenswidrig. Wenig später zögerte sowjetischer Widerstand gegen die Verwendung dieses Terminus den Grundstückskauf hinaus, der die Etablierung des vorgesehenen sowjetischen Generalkonsulats ermöglichen sollte. Anfang 1973 bestand das sowjetische Außenministerium darauf, daß der Regierende Bürgermeister bei einem geplanten Besuch in der UdSSR für sein Programm nicht die Dienste der bundesdeutschen Botschaft in Anspruch nehmen könne und den von ihm vorgesehenen Empfang nicht in den Räumen der Botschaft geben dürfe. Daraufhin sagte Klaus Schütz seine Reise nach Moskau ab.
Am 16. April 1973 sprach der Chefredakteur der sowjetischen Zeitschrift „SA" vor einem westlichen Publikum aus, welche Absicht hinter dem erbitterten Ringen um sprachliche und protokollarische Feinheiten stand. Er ging davon aus, daß West-Berlin die Rolle einer „selbständigen politischen Einheit“ zu spielen habe. Der Dissens, der sich an dieser Stelle zwischen westlicher und östlicher Seite auftat, konnte in keinem Fall überwunden werden. Der Ausweg bestand meist darin, Regelungen zu finden, die das Problem umgingen: Die westliche Seite vermied eine Bestätigung, und die östliche Seite hielt ihre These aufrecht. Das gilt bis heute. So erklärte das Zentralorgan der SED, gestützt auf eine Aussage von „Radio Moskau", erneut am 13. Januar 1976 die Bezeichnung „Land Berlin" für rechtswidrig und wies West-Berlin den Status einer „besonderen politischen Einheit" zu.
Im Flaggenstreit gelang es, einen dauerhaften Kompromiß zu finden. Ein Verfahren, das auf einer Moskauer Buchausstellung im Herbst 1972 und auf einer Moskauer Maschinenausstellung im September 1973 für das gemeinsame Auftreten von Westdeutschen und West-Berlinern angewandt worden war, setzte sich allmählich durch. West-Berlin wurde nicht mit eigener Fahne und nicht als selbständiges Land aufgeführt. Dafür jedoch mußten die West-Berliner einen kleinen Wimpel zeigen und eine Hinweistafel mit dem Text des Vier-mächte-Abkommens anbringen, der ihre Einbeziehung in Delegationen und Veranstaltungen der Bundesrepublik genehmigte.
Diese Praxis ließ Raum für die Deutungen beider Seiten: West-Berlin konnte danach ebensogut als ein unter bestimmten Vorbehalten der Bundesrepublik eingegliedertes Gebiet wie als ein fallweise mit der Bundesrepublik gemeinsam in Erscheinung tretendes Territorium gelten. Der Umstand freilich, daß Nennung und Symbol der Bundesrepbulik für das Ganze gültig sind und daß die Hinweise auf West-Berlin untergeordneten Charakter haben, deutet nach westlicher Ansicht hinreichend klar auf die — wenn auch eingeschränkte — Zugehörigkeit der Teilstadt zum westdeutschen Staat hin.
Die Einbeziehung West-Berlins in das Rechtssystem der Bundesrepublik wurde auf östlicher Seite zwar grundsätzlich hingenommen, stieß aber in Einzelheiten auf Kritik. Als das West-Berliner Abgeordnetenhaus einer Bund-Länder-Konvention über polizeiliche Zuständigkeiten im Sommer 1972 zustimmte, bezeichnete „Neues Deutschland“ am 22. August diesen Akt als dem Abkommen vom 3. September 1971 widersprechend. Diese Linie setzte sich konsequent fort. Der auf der Basis der genannten Konvention erfolgende Einsatz westdeutscher Polizeikräfte in West-Berlin anläßlich der Entführung von Peter Lorenz durch Terroristen wurde am ll. Män 1975 im Zentralorgan der SED als „eindeutige und ernste Verletzung“ des von den vier Mächten festgelegten Status bezeichnet. Unter dem Vorwand des Notstandes, so hieß es, versuche die westdeutsche Seite, ihre Gewalt auf West-Berlin auszudehnen. Noch schärfer reagierte die DDR darauf, daß West-Berlinern die Möglichkeit gegeben ist, als Freiwillige in der Bundeswehr Dienst zu tun. Am 13. August 1973 formulierte ein amtlicher Sprecher einen entsprechenden Protest. Wenig später löste die Teilnahme des West-Berliner CDU-Abgeordneten Wohlrabe an einer Bundes-wehrübung einen weiteren Einspruch der DDR aus.
Von Anfang an gab es auch bei den gesellschaftlichen Beziehungen zwischen West-Berlin und den östlichen Staaten gelegentliche Schwierigkeiten, weil die Sowjetunion und die DDR auch hier ihrer These von der Eigenstaatlichkeit West-Berlins zuweilen demonstrative Geltung verschaffen wollten. Die internationalen Veranstaltungen, die in West-Berlin stattfanden, waren zwar in aller Regel nicht mit Problemen verbunden, doch meldete die östliche Seite in Einzelfällen Vorbehalte an. Als sich im Januar 1973 auch sowjetische Favoriten an einem Reit-und Springturnier beteiligten, erklärte die Sowjetbotschaft in der DDR, daß diese Teilnahme nicht als eine Teilnahme an der „Grünen Woche“ anzusehen sei, in deren Rahmen das Turnier stattfand. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die UdSSR die „Grüne Woche" in ihrer derzeitigen Form als unzulässig betrachte. Die Veranstalter hatten nämlich nicht dem sowjetischen Verlangen entsprochen, daß die Bundesrepublik als ausländischer Teilnehmer genannt werden müsse.
Im Frühjahr 1973 scheiterte ein Vertragsabschluß zwischen dem Sender Freies Berlin (SFB) und dem Sowjetischen Rundfunk-und Fernsehkomitee an der sowjetischen Forderung, daß der SFB als eine West-Berliner Institution seine Bindungen zur westdeutschen Organisation ARD lösen müsse. Der Streitpunkt konnte auch in den folgenden Jahren nicht überwunden werden; der SFB sieht sich daher von östlicher Seite boykottiert. Ende Juni 1973 kam zum Abschluß eines UdSSR-Besuches westdeutscher Journalisten kein Kommunique zustande, weil die sowjetische Seite die West-Berliner als eine gesonderte Delegation aufführen wollte. Auch die Verhandlungen zwischen den Sportverbänden der Bundesrepublik und der DDR liefen im Frühjahr und Sommer 1973 immer wieder an der Frage fest, ob West-Berlin einbezogen werden solle. Erst am 8. Mai 1974 kam es zu der Unterzeichnung eines Protokolls über die Sportbeziehungen beider Seiten, dessen Gültigkeit sich auch auf West-Berlin erstreckte. Im September 1973 boykottierten die War-schauer-Pakt-Staaten die in West-Berlin stattfindenden Weltmeisterschaften im Fünfkampf. Einen Monat später brach eine Gruppe sowjetischer Gewerkschaftler ihren Besuch in der Bundesrepublik ab, um nicht, wie vorher vereinbart worden war, auch nach West-Berlin fahren zu müssen. Im großen und ganzen jedoch beteiligten sich die östlichen Staaten an Veranstaltungen in West-Berlin und akzeptierten, auch eine gemeinsame Beteiligung der West-Berliner und der Westdeutschen an den Veranstaltungen in ihren Ländern.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1973 wurde die Frage der Präsenz von Bundesinstitutionen in West-Berlin zu einem kritischen Ost-West-Problem. Ende August gab Bundesinnenminister Genscher dem Regierenden Bürgermeister Schütz die Zusage, das geplante Bundesamt für Umweltschutz werde in West-Berlin errichtet. Dabei berief man sich in Bonn unter anderem auf die Bestimmung des Viermächte-Abkommens, welche die Entwicklung der Bindungen West-Berlins an die Bun-
desrepublik vorsah. Nach westlicher Ansicht war damit auch die Neuerrichtung von Bun-
desbehörden in der Teilstadt für rechtens erklärt.
In Moskau und in Ost-Berlin rief der Plan scharfen Widerstand hervor. Eine Pressekampagne wurde gestartet, die den vorgesehenen Standort des Bundesamtes als rechtswidrig hinstellte: Die Bundesrepublik, so hieß es, wolle eine Dienststelle außerhalb ihres Hoheitsgebiets etablieren und damit ihre Regierungsgewalt entgegen dem Abkommen vom 3. September 1971 auf West-Berlin ausdehnen. Ende September 1973 wandte sich der Berlin-Experte bei der Sowjetbotschaft in der DDR mit einer förmlichen Demarche an die Vertreter der drei Westmächte. Am 10. Oktober protestierte die UdSSR formell bei den Westmächten. Eine Delegation des Deutschen Bundestages, die Ende September und Anfang Oktober in Moskau weilte, wurde vom stellvertretenden Außenminister Kusnezov und von Staatspräsident Podgornyj auf die angebliche Unzulässigkeit des westdeutschen Vorhabens hin angesprochen.
Die Regierung der DDR erklärte der Bundesregierung am 13. September, daß die Errichtung des Bundesamtes in West-Berlin „im Widerspruch zu Buchstaben und Geist des vierseitigen Abkommens" stehen würde. In einer Note vom 6. November wiederholte sie ihren Einspruch. Auch gegenüber dem Senat von Berlin erhob die DDR-Regierung Protest
Drohende Töne wurden in einer sowjetischen Demarche bei den drei Westmächten am 20. Dezember 1973 und im Zentralorgan der SED vom 24. Januar 1974 angeschlagen.
Nachdem der Bundestag am 19. Juni 1974 einstimmig den Aufbau des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin gutgeheißen hatte, protestierte am folgenden Tag ein Sprecher des DDR-Außenministeriums dagegen. Dem folgte eine Pressekampagne in der DDR und in der UdSSR. Am 19. Juli protestierten das sowjetische Außenministerium und die DDR-Regierung mit scharfen Erklärungen. Das sowjetische Außenministerium bezeichnete es als einen „Grundgedanken" des Abkommens vom 3. September 1971, daß die „Tätigkeit staatlicher Organe der BRD in West-Berlin" einzuschränken sei. Falls es statt dessen durch die Errichtung des Umweltbundesamtes zu einer Ausweitung dieser Tätigkeit komme, ergebe sich die „Notwendigkeit", „entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um den Versuchen einer Verletzung des vierseitigen Abkommens entgegenzuwirken und die legitimen Interessen der Sowjet-Union und der mit ihr befreundeten Deutschen Demokratischen Republik zu schützen". Auf eine westliche Gegenerklärung hin bekräftigte die sowjetische Botschaft in OstBerlin am 31. Juli den sowjetischen Standpunkt. Die nächsten Wochen standen im Zeichen heftiger östlicher Pressepolemiken. Repressalien der DDR auf 'den Transitwegen führten zu ernsten Ost-West-Spannungen. Es bedurfte schärfsten westlichen Drucks, um die Sowjetunion und die DDR schließlich zur Hinnahme des Umweltbundesamtes zu veranlassen und eine Normalisierung der Situation herbeizuführen. In der westlichen Öffentlichkeit entstand jedoch weithin der Eindruck, daß ein ähnlicher Kraftakt des Westens kaum noch einmal möglich sein werde.
In der angespannten Atmosphäre, die sich während der Diskussion und der Entscheidung über das Bundesamt für Umweltschutz entwickelte, verschärfte sich auch die östliche Haltung gegenüber den zeitweiligen Aufenthalten von Amtspersonen und Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland in West-Berlin. Im Herbst 1973 wandte sich die DDR gegen Sitzungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und des Bundestagsinnenausschusses in West-Berlin. Außerdem bezeichnete die DDR das Auftreten von Bundespräsident Heinemann auf einer Tagung des Bundes der Mitteldeutschen in West-Berlin als eine schwere Belastung der Entspannung. In den Herbst 1973 fällt auch der erste formelle Protest gegen die Sitzung eines bundesdeutschen Gremiums in der Teilstadt. Ein Sprecher des DDR-Außenministeriums erhob Einspruch gegen die Tagung des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen am 7. November 1973. Das Hauptargument lautete, der Ausschuß sei „ein Instrument jener Kräfte in der BRD, die die alte revanchistische Politik mit neuen Verträgen weiterführen und die reale Lage in Europa ... nicht anerkennen" wollten. Erst in zweiter Linie wurde bemängelt, daß die Tätigkeit des Ausschusses angeblich einen Akt staatlicher Machtausübung der Bundesrepublik in West-Berlin darstellte. Hinfort, so hieß es, sollten Bundesregierung und Senat „alles unterlassen", „was sich gegen die internationale Entspannung richte"
Während des folgenden Halbjahrs häuften sich die Proteste der DDR. Die Einwände rich38 teten sich vor allem gegen verschiedene Veranstaltungen in West-Berlin — gegen ein europäisch-israelisches Parlamentariertreffen gegen eine Sitzung des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Beziehungen und gegen einen Besuch des Bundespräsidenten. Daneben wurde die Teilnahme der West-Berliner Abgeordneten an der Wahl des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten für rechtswidrig erklärt. Das Auftreten des Regierenden Bürgermeisters in Israel wurde ebenfalls zum Anlaß eines Protestes. Schließlich wurde der Umstand, daß West-Berlin im Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik als ein Bundesland bezeichnet worden war, zum Gegenstand des Vorwurfs.
Der Streit um die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin scheint der sowjetischen Seite einen starken Anstoß dazu gegeben zu haben, ihre Rechtsauffassungen über den Charakter des Verhältnisses zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik grundsätzlich zu formulieren. In den amtlichen östlichen Stellungnahmen gegen den Aufbau der neuen Bundesbehörde taucht überdies erstmalig die These auf, daß das Abkommen vom 3. September 1971 eine Reduzierung der Bundesbehörden in West-Berlin vorgesehen habe. In diesem Sinne äußerten sich auch SED-Chef Honecker und ein stellvertretender Leiter der Abteilung für internationale Fragen im ZK-Sekretariat der KPdSU, Vadim Sagladin. Der sowjetische Funktionär sprach darüber hinaus die Ansicht aus, daß eigentlich alle Bundesbehörden in West-Berlin kein Daseinsrecht hätten. Wenn das Abkommen vom 3. September 1971 eine Entwicklung der Verbindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik zulasse, dann betreffe dies ausschließlich die nicht-staatlichen Verbindungen, besonders im Bereich der Wirtschaft und der Kultur Es wurde also eine Unterscheidung zwischen staatlich-politischen Verbindungen (die nicht entwickelt, sondern verringert werden sollten) und sonstigen Verbindungen (die als allein entwicklungsfähig anerkannt wurden) eingeführt.
Diese Differenzierung läßt sich in keiner Weise auf das Viermächte-Abkommen zurückführen. Als ihre Basis kommt allein der sowjetische Abkommensentwurf vom 26. März 1971 in Frage. Die These, daß die vier Mächte sich über einen Abbau der politischen Tätigkeit der Bundesrepublik in West-Berlin verständigt hätten und daß die ausbaufähigen Verbindungen West-Berlins zur Bundesrepublik wirtschaftlichen, kulturellen und wissensdiaftlidi-technischen Charakters seien, tauchte jedoch von da an in den einschlägigen sowjetischen Publikationen immer wieder auf Nur gelegentlich hieß es zwischendurch etwas zurückhaltender, daß die Bundesrepublik ihre staatliche Aktivität in West-Berlin nicht ausweiten dürfe Einmal wurde Vertretern der Bundesregierung ausdrücklich das Recht bestritten, Beschlüsse mit Wirkung für West-Berlin — insbesondere über die Einrichtung von Dienststellen in der Teil-stadt — zu fassen Die Behauptung, daß der Bundesrepublik in West-Berlin prinzipiell keine staatlich-politische Anwesenheit zu-stehe, verband sich mit Hinweisen auf den angeblichen Eigenstaatlichkeitscharakter der Teilstadt
Seit 1975 mehrten sich die östlichen Proteste gegen die zeitweiligen Aufenthalte westdeutscher Amtspersonen und Verfassungsorgane in West-Berlin. Am 24. Mai 1975 gab der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin, Pjotr Abrassimov, eine Presseerklärung ab, in der er den Besuch des Bundesaußenministers Genscher zusammen mit seinem amerikanischen Amtskollegen Kissinger in West-Berlin als einen gegen das Abkommen vom 3. September 1971 und gegen die Entspannung verstoßenden Akt bezeichnete. Ende September 1975 wandte sich die sowjetische Seite an die drei Westmächte mit der Beschwerde, daß die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern in West-Berlin Sicherheitsfragen berühre und daher rechtswidrig sei. Im Mai 1976 erfolgte zweimal hintereinander eine ähnliche Demarche anläßlich einer Sitzung der CDU-Landtags-Fraktion von Schleswig-Holstein in West-Berlin.
Diese Einzelfälle sollten freilich nicht übersehen lassen, daß die große Masse der zeitweiligen Aufenthalte bundesdeutscher Amtspersonen und Verfassungsorgane in West-Berlin ohne Beanstandung verlief. Immerhin ist es seit dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens zu mehr als zweihundert derartigen Besuche gekommen. Es fällt auf, daß die Anmeldung östlicher Einwendungen keiner klaren, berechenbaren Kasuistik folgt. Beispielsweise hatte der Besuch des Bundesaußenministers, der im Mai 1975 zu nachhaltigem sowjetischen Einspruch führte, in früheren Fällen keinerlei Kritik hervorgerufen. Ebenso waren Sitzungen der CDU-Fraktion anderer Bundesländer (Bayerns, Baden-Württembergs und Bremens) in West-Berlin unbehelligt verlaufen, bevor die sowjetische Seite bei den drei Westmächten gegen den Aufenthalt der Schleswig-Holsteinischen CDU-Fraktion intervenierte.
Die Repräsentation der Bundesrepublik in internationalen Gremien durch West-Berliner Amtsträger wurde 1975 und 1976 wiederholt zum Gegenstand scharfer sowjetischen Demarchen. Seit dem ausgehenden Winter 1975 wenden sich die sowjetische und die ostdeutsche Diplomatie immer wieder bei den verschiedensten Gelegenheiten dagegen, daß die Bundesregierung den Präsidenten des in West-Berlin ansässigen Bundeskartellamts zum Leiter ihrer Delegation in der UN-Kommission für transnationale Unternehmen ernannt hat. Die östliche Seite berief sich in ihrer Argumentation zunächst darauf, daß die Nominierung im Widerspruch zu den Bestimmungen des Abkommens vom 3. September 1971 stehe. Später wurde jedoch diese Begründung fallengelassen. Statt dessen machten die UdSSR und die DDR geltend, die nach dem Abkommen bestehende Pflicht zur Beseitigung von Spannungen und zur Vermeidung von Komplikationen in dem „betreffenden Gebiet" erfordere den Verzicht auf die Tätigkeit derartiger Bundesinstitutionen in West-Berlin. Dem liegt die Ansicht zugrunde, eine Behörde wie das Bundeskartellamt sei seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren darum illegal, weil ihre Tätigkeit mit anordnenden Funktionen verbunden ist und darum angeblich die Ausübung von Regierungsgewalt in West-Berlin bedeutet. Die sowjetische Regierung erhob bei der französischen Regierung Anfang 1976 Einspruch dagegen, daß der Regierende Bürgermeister des Landes Berlin als Beauftragter der Bundesregierung bei der Vor-29 bereitung eines westdeutsch-französischen Kulturabkommens fungierte.
In der offiziösen Form von Pressedarstellungen wandten sich die Sowjetunion und die DDR Ende Januar 1975 gegen die „Grüne Woche" in West-Berlin, die als eine Veranstaltung der Bundesrepublik für rechtlich unzulässig zu erachten sei. Seit dem Herbst 1974 läuft in den Medien beider Staaten eine Kampagne gegen den Plan einer Deutschen Nationalstiftung, die einen Fonds für kulturelle Zwecke darstellen und in West-Berlin ihren Sitz haben soll. Die publizistischen Warnungen verfolgen augenscheinlich den Zweck, die westdeutsche Seite von einer weiteren Verfolgung des Planes abzuhalten.
Wie es scheint, haben sich die sowjetischen Auffassungen darüber, was als Ausdruck unzulässiger Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu gelten habe, besonders seit 1975 verschärft. Eine Äußerung des amerikanischen Vizepräsidenten, Nelson Rockefeller, in der die Zugehörigkeit West-Berlins zur westlichen Gesellschaft betont worden war, wurde Mitte Mai 1976 zur Zielscheibe einer heftigen östlichen Polemik. Das sowjetische Parteiorgan „Pravda" stellte am 23. Juni 1976 eine auch nur „gewisse Zugehörigkeit" West-Berlins zur Bundesrepublik in Abrede. In dem Freundschafts-und Beistandspakt vom 7. Oktober 1975 sprachen die UdSSR und die DDR — statt von der im Viermächte-Abkommen vorgesehenen Entwicklung der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik — unter Berufung auf das Abkommen von einer Entwicklung ihrer eigenen Verbindungen zu der Teilstadt
Die sowjetische Seite bemühte sich auf alle möglichen Weisen, ihrem Grundsatzstandpunkt von einer strikten Trennung zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Ausdruck zu geben. Während einer Unterredung mit dem französischen Botschafter in Bonn, der zu diesem Zeitpunkt das Sprachrohr der drei westlichen Botschafter in der Berlin-Frage war, ging Abrassimov am 24. Mai 1976 so weit, daß er eine bevorstehende Tagung des Zentralverbandes deutscher Schornsteinfeger in West-Berlin als Beispiel für eine unverständliche westdeutsche Anwesenheitssucht in der Teilstadt anführte. An der Forderung, daß eine gesonderte Einladung durch den Senat (statt einer gemeinsamen Einladung von Bundesregierung und Senat gemäß dem Viermächte-Abkommen) ergehen müsse scheiterte die sowjetische Teilnahme an den West-Berliner Eisschnellaufmeisterschaften vom 6. und 7. März 1976.
Im Oktober 1975 brach eine Delegation sowjetischer Bürgermeister ihre Reise durch die Bundesrepublik ab, um den vorher für die Rückreise vereinbarten Besuch in West-Berlin zu vermeiden. Im Januar 1976 schloß der sowjetische Botschafter in der Bundesrepublik nach einem Symposium zwischen Vertreter des Deutschen Bundestages und des Obersten Sowjets die West-Berliner Teilnehmer dieser Veranstaltung von einem Empfang aus, um deren Nicht-Zugehörigkeit zur westdeutschen Seite zu demonstrieren. Im Februar 1975 wurden Fälle bekannt, in denen konsularische Vertretungen von Warschauer-Pakt-Staaten die Staatsangehörigkeitsangabe „deutsch" in den Visumsanträgen von West-Berlinern durch den Ausdruck „Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren von Berlin" ersetzt hatten. Damit sollte augenscheinlich eine Art eigener Westberliner Staatsangehörigkeit behauptet werden. In die gleiche Richtung weist die seit Februar 1976 eingeführte Praxis, die — von der Bundesregierung ausgestellten — Diplomatenpässe der WestBerliner Bundestagsabgeordneten nicht mehr anzuerkennen
Die Zugehörigkeit West-Berlins zur Europäischen Gemeinschaft (EG), die in früheren Jahren wenig nach außen hin sichtbar geworden war, erregte nach dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens bei der UdSSR allmählich mehr Aufmerksamkeit. Im Februar 1973 preschte die DDR mit publizistisch artikuliertem Protest gegen eine Präsidiumstagung des Europäischen Parlaments in West-Berlin vor. Seit 1974 kommt auch sowjetisches Mißfallen mit den westlicherseits seit langem geschaffenen Rechtstatbeständen zum Ausdruck. West-Berlin ist seit dem Abschluß der Römischen Verträge im Jahre 1957 in die Europäische Gemeinschaft (die zunächst den Namen „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ trug), einbezogen. Im Berlin-Abkommen vom 3. September 1971 ist auf diese Rechtslage nicht Bezug genommen. Der Grund ist darin zu suchen, daß der westlichen Seite die rechtlichen Gegebenheiten problemlos erschienen und daß die politischen Verhältnisse bis dahin zu keinen Konflikten Anlaß gegeben hatten. Aus dem Umstand, daß den Leitern der sowjetischen Politik bei Abschluß des Viermächte-Abkommens die Einbeziehung West-Berlins in die EG bekannt war und daß trotzdem von ihnen dagegen kein Einwand gemacht worden ist, kann man auf eine Hinnahme der bestehenden Rechtslage durch die UdSSR geschlossen werden. Auch sitzen West-Berliner Abgeordnete seit jeher in dem — bisher nicht direkt gewählten — Europa-Parlament, überdies kann die Bestimmung, nach der die Bundesrepublik die Rechte der Berliner Westsektoren in internationalen Organisationen wahrnehmen kann, als eine indirekte Anerkennung dieser Rechtslage gelten.
Als sich jedoch die Kontroverse um die Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik verschärfte, begannen die Leiter der sowjetischen Außenpolitik einen Zusammenhang zur Einbeziehung West-Berlins in die Europäische Gemeinschaft herzustellen. Die offiziöse, wiederholt publizistisch verbreitete These lautete, daß, wenn sich West-Berlin an der politischen Integration der EG-Mitgliedstaaten beteilige, auf diese Weise indirekt über die EG eine Eingliederung der Teilstadt in das staatsrechtliche System der Bundesrepublik erfolgen würde. Damit wäre, so hieß es, die grundlegende Bestimmung des Abkommens vom 3. September 1971 über die Nicht-Zugehörigkeit West-Berlins zum westdeutschen Staat ausgehöhlt. Im Sommer 1976 erreichte die östliche Kampagne unter Bezugnahme auf die in Aussicht stehende Mitwirkung West-Berliner Abgeordneter an der Arbeit eines gewählten EG-Parlaments (auch wenn dem in der Teilstadt parallel zu dem Verfahren beim Bundestag keine Direktwahl vorausgehen würde) weitere polemische Höhepunkte. Als Grundlage diente im weiteren Verlauf eine Erklärung des sowjetischen Außenministeriums vom 3. August 1976.
In privaten Gesprächen mit westlichen Vertretern gaben sowjetische Funktionäre die Begründung, daß, wie den amtlichen Erklärungen der Initiatoren zu entnehmen sei, Westeuropa eine neue Qualität seiner Einigung anstrebe. Die politische Integration schließe notwendigerweise auch die Verteidigung ein. Das aber heiße, daß die Bindungen West-Berlins an die EG über den — von der UdSSR geduldeten — wirtschaftlichen Bereich hinausgingen. Eine politische Eingliederung West-Berlins in die EG stelle etwas völlig Neues dar, das die Sowjetunion nicht hinnehmen wolle 45a).
Im September 1974 nahmen Massenmedien der UdSSR und der DDR eine Tagung des Wirtschafts-und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments zum Anlaß, diesen Akt für unrechtmäßig zu erklären und darüber hinaus gegen jedwede Einbeziehung West-Berlins in die EG zu protestieren. Das Ziel der politischen Integration der Neun, so hieß es, lasse sich nicht mit den Festlegungen des Abkommens vom 3. September 1971 vereinbaren. Dem Beschluß des EG-Ministerrats vom 20. Januar 1975, in West-Berlin ein Europäisches Zentrum für Berufsbildung zu errichten, folgten auf diplomatischem Wege Einwendungen der UdSSR und der DDR. Da die Tätigkeit internationaler Organisation in West-Berlin durch das Abkommen vom 3. September 1971 nicht ausdrücklich vorgesehen worden war, kam sie nach östlicher Ansicht von vornherein nicht in Frage. Hinter dieser Argumentation stand die unausgesprochene Rechtsauffassung, daß nach dem Berlin-Abkommen nur das, was ausdrücklich erlaubt worden sei, als zulässig gelten könne. Die westliche Seite dagegen vertrat den Stand-, punkt, daß die Entfaltungsmöglichkeiten West-Berlins nur da eine Grenze fänden, wo das Viermächte-Abkommen Einschränkungen vorsehe. Keinesfalls könnten vorher bestehende Rechtsverhältnisse, über die keinerlei Übereinkunft getroffen worden sei, als aufgehoben angesehen werden. Die offensichtliche Schwäche der östlichen Rechtsposition könnte ebenso wie das Bestreben, keine kollektive Abwehrfront der drei westlichen Besatzungsmächte und der EG-Mitgliedsstaaten hervorzurufen, die sowjetische Führung zur Vorsicht veranlaßt haben. Der diplomatische Protest erhielt die schwächstmögliche Form einer bloßen Wahrung des entgegenstehenden eigenen Rechtsstandpunktes
Das Vorhaben der Europäischen Gemeinschaft, ihr parlamentarisches Strukturelement auszubauen und dabei die Abgeordneten in den Mitgliedsländern direkt wählen zu lassen, rief in der UdSSR erneut negative publizistische Reaktionen hervor. Als der britische Außenminister James Callaghan Ende Januar* 1976 auf einer Pressekonferenz in West-Berlin ausdrücklich für eine Einbeziehung der West-Berliner — freilich „unter besonderen Modalitäten" — plädierte, hieß es in der sowjetischen Presse, daß ein derartiges Vorgehen im Widerspruch zum Abkommen vom 3. September 1971 stehen würde. Während der folgenden Monate machte die sowjetische Seite noch mehrfach in publizistischer Form geltend, daß West-Berlin, so wie es im Verhältnis zur Bundesrepublik keine staatlich-politischen Bindungen haben könne, auch mit der Europäischen Gemeinschaft keine politische Zusammengehörigkeit entwickeln dürfe. Damit verband sich der erneute Protest gegen die Placierung des Europäischen Zentrums für Berufsbildung in West-Berlin. In der Teilstadt durften nach sowjetischer Ansicht Organe der EG nicht arbeiten. Das sowjetische Verlangen lief auf eine staatlich-politische Isolierung West-Berlins nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch von der weiteren westlichen Welt hinaus.
Die Wahrnehmung der West-Berliner Interessen gegenüber dem Ausland
Das Viermächte-Abkommen rief die Erwartung hervor, daß künftig auch die Sowjetunion und ihre Verbündeten der Wahrnehmung West-Berliner Interessen durch die Bundesrepublik im Ausland nicht entgegenwirken würden, soweit die Westmächte entsprechend ihrer im Abkommen enthaltenen Mitteilung diese Wahrnahme der westdeutschen Seite übertragen. Dementsprechend schien es innerhalb der von den drei westlichen Besatzungsmächten gezogenen Grenzen keine Schwierigkeiten mehr für die Wahrnehmung der WestBerliner Interessen durch die Bundesrepublik in konsularischer Hinsicht, für die Aushandlung von Verträgen mit Berlin-Klausel und für die Beteiligung West-Berlins im Rahmen der westdeutschen Repräsentationen an der Arbeit internationaler Organisationen zu geben.
Sehr bald jedoch stellte sich heraus, daß die sowjetische Führung nicht ohne weiteres und generell bereit war, der Bundesrepublik in dem angegebenen Umfang die Wahrnehmung der auswärtigen Interessen West-Berlins zuzubilligen. Bei den Verhandlungen über ein westdeutsch-sowjetisches Handelsabkommen Mitte 1972 widersetzte sie sich einer Übernahme der sonst gebräuchlichen Berlin-Klausel, welche die Erstreckung des Vertrages auf West-Berlin feststellt. Das Ergebnis der diplomatischen Gespräche war eine veränderte Formel für die Einbeziehung West-Berlins, die nach den Chefunterhändlern auf beiden Seiten die Bezeichnung „Frank-Falin-Formel" erhalten hat: „Entsprechend dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 wird dieses Abkommen in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren auf Berlin (West) ausgedehnt." Das zur Diskussion stehende Abkommen wurde — mit diesem Hinweis versehen — am 5. Juli 1972 abgeschlossen. Die neue Formulierung stellte für die Bundesrepublik insofern eine Verschlechterung gegenüber der außerhalb des Sowjetblocks gebräuchlichen Berlin-Klausel dar, als die sowjetische Seite damit die Interpretation verbindet, daß die Wahrnehmung West-Berliner Interessen gegenüber dem Ausland durch bundesdeutsche Staatsorgane ihre rechtliche Basis im Viermächte-Abkommen — also in einer von der UdSSR mitgetroffenen Entscheidung — habe Das aber widerspricht der westlichen Rechtsauffassung, nach der die Ermächtigung der Bundesrepublik durch die drei westlichen Besatzungsmächte in West-Berlin, die dem Viermächte-Abkommen sachlich und zeitlich vorausgeht und auf welche die vier Mächte lediglich Bezug nehmen, den rechtsbegründenden Akt darstellt. Außerdem läßt sich anhand der sowjetischen Praxis vermuten, daß die Leiter der sowjetischen Außenpolitik der Frank-Falin-Formel weiterhin die Auslegung geben, daß West-Berlin nur insoweit in ein jeweiliges Arrange-fflent einbezogen werden solle und dürfe, wie dies — nach sowjetischer Ansicht — mit den am 3-September 1971 festgelegten Verfahren übereinstimme. Demgemäß erfüllte sich die westdeutsche Erwartung nicht, daß die Frank-
Falin-Formel künftig bei allen einschlägigen Vertragsschließungen von der UdSSR automatisch akzeptiert werden würde.
Mutmaßlich spielt die Sorge, durch eine jederzeitige und fraglose Hinnahme der bundesdeutschen Interessenwahrnehmung eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu vollziehen, bei dem sowjetischen Verhalten eine wichtige Rolle. Zugleich kann die sowjetische Diplomatie immer wieder Vorteil daraus ziehen, wenn die Bundesregierung die von ihr gewünschte Einbeziehung West-Berlins in die zweiseitigen Abmachungen in jedem Einzelfall neu aushandeln muß. Mit den theoretisch formulierten Vorbehalten, daß die eine oder andere Form der Wahrnahme WestBerliner Interessen durch die Bundesrepublik nur unter der Voraussetzung einer getrennten Staatlichkeit und unter Anerkennung des Ausnahmecharakters der westdeutschen Kompetenz erfolgen könne entsprach die sowjetische Seite ihrem Grundsatzstandpunkt. Die These, daß eine derartige Interessenwahrnehmung einer fallweisen Zustimmung der außenpolitischen Partner der Bundesrepublik bedürfe trägt sowohl der prinzipiellen Rechtsauffassung als auch dem pragmatischen Wunsch nach optimalen Verhandlungsausgangspositionen Rechnung.
Die sowjetische Seite operiert, wenn sie die Wahrnehmung West-Berliner Interessen durch die Bundesrepublik einzuschränken sucht, vor allem mit zwei Argumenten. Das Arrangement, um das es gehe, müsse nicht nur durch das Abkommen vom 3. September 1971 ausdrücklich vorgesehen sein, sondern auch für West-Berlin jeweils eine unmittelbare praktische Bedeutung haben. Nur eine derartige Sachnotwendigkeit könne es rechtfertigen, daß eine Regelung nicht nur für Westdeutschland, sondern auch für West-Berlin getroffen werde. Eine Handhabung in diesem Sinne widerspricht dem Interesse, das die Bundesrepublik und West-Berlin an der Wah-rung ihrer Rechtseinheit nehmen: Wenn in völkerrechtlicher Hinsicht viele wichtige Bereiche vorhanden sind, in denen Bestimmungen nur für Westdeutschland, nicht aber für die Berliner Westsektoren Gültigkeit haben, dann entsteht eine Situation unterschiedlichen Rechts für beide Seiten.
Die sowjetische Seite besteht auch darauf, daß die Angelegenheiten der Sicherheit und des Status, die den westlichen Besatzungsmächten als den Inhabern der obersten Souveränität in West-Berlin Vorbehalten sind, sehr weit ausgelegt werden müssen. Dementsprechend soll die Bundesrepublik in keinem Fall, in dem Friedensfragen oder politische Probleme zur Diskussion stehen, im Namen West-Berlins handeln können. Friede, so lautet die Logik, steht in einem Zusammenhang mit Sicherheit; die Kompetenz zur Politik aber entspricht staatlicher Souveränität, die im Falle West-Berlins den drei westlichen Besatzungsmächten vorbehalten ist
In der diplomatischen Praxis läßt sich freilich bei der Sowjetunion und ihren Gefolgschaftsstaaten kaum ein logisch völlig konsistentes Verhaltensmuster beim Abschluß von Verträgen mit der Bundesrepublik feststellen. In weiten Bereichen hängt das Zustandekommen von Vereinbarungen gemäß der Frank-Falin-Formel entscheidend von der moment-oder sachbedingten Opportunität für den jeweiligen östlichen Verhandlungspartner ab. Durchgängig zu beobachten ist lediglich die Tendenz, die Einbeziehung West-Berlins in die Abmachungen mit der Bundesrepublik nicht zu einer von vornherein feststehenden Selbstverständlichkeit zu machen. Daher geht dem Verhandlungserfolg, auch wenn er dann schließlich ohne allzu große Schwierigkeiten erreicht werden kann, meistens ein gewisses Hin und Her um die Berlin-Klausel voraus. Es hat auch verschiedene Fälle gegeben, in denen das gute Ende zunächst außerordentlich fraglich schien, dann aber schließlich doch noch durch eine Wende zustande kam.
Die Liste der westdeutschen Abkommen mit Warschauer-Pakt-Staaten, die auch für West-Berlin gelten, ist lang. Die Bundesreptb! k schloß mit der DDR unter anderem folgende Vereinbarungen: das Protokoll über Post-upd 51 Fernmeldeverkehr vom 30. September 1971 den Verkehrsvertrag vom 26. Mai 1972 den Grundlagenvertrag mit den zugehörigen Abmachungen vom 21. Dezember 1972 die Vereinbarung über die wechselseitige Einrichtung ständiger Vertretungen vom 14. März 1974 das Abkommen über das Gesundheitswesen vom 25. April 1974 und das Post-und Fernmeldeabkommen vom 30. März 1976 Diese Abmachungen konnten freilich zumeist erst nach langen Auseinandersetzungen auch auf West-Berlin erstreckt werden.
Als Beispiel mag das Abkommen über Gesundheitswesen dienen. Im Herbst 1973 suchte die DDR-Regierung nicht nur in ihren Verhandlungen mit der Bundesregierung eine Berlin-Klausel zu vermeiden, sondern auch parallel zu den Erörterungen mit der westdeutschen Seite eine diplomatische Runde über das gleiche Thema mit dem Senat des Landes Berlin einzuleiten. Obwohl dieser Versuch nicht gelang, erhielt das Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten, nachdem es gemäß der Frank-Falin-Formel auf West-Berlin erstreckt worden war, die zusätzliche Klausel: „Vereinbarungen zwischen dem Senat und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu Fragen des Gesundheitswesens werden dadurch nicht berührt." Dieser Satz konnte, da er nicht völlig unzweideutig auf bereits bestehende Vereinbarungen bezogen war, für die DDR die Option künftiger separater Abmachungen mit West-Berlin offenhalten.
Zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik bilden das Handelsabkommen vom 5. Juli 1972, das Kulturabkommen vom 19. Mai 1973 und das Abkommen über wirtschaftliche Kooparation vom gleichen Datum wichtige Marksteine einer Einbeziehung West-Berlins entsprechend der Frank-Falin-Formel. Im wirtschaftlichen Bereich gab es wegen West-Berlin die geringsten Schwierig, keiten: Ähnlich wie die vorangegangenen Übereinkünfte dieses Inhalts machte das Abkommen über die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion vom Oktober 1974 keine erheblichen Schwierigkeiten. Ein Abkommen über die Eröffnung von Touristikbüros in Frankfurt am Main und in Moskau vom 11. Juni 1975 dagegen konnte erst nach längeren Auseinandersetzungen über die Einbeziehung West-Berlins unterzeichnet werden.
Schwierigkeiten entstanden auch, als zum westdeutsch-sowjetischen Kulturabkommen ein Zweijahresprogramm ausgearbeitet werden sollte. Zwar war es grundsätzlich unbestritten, daß auch West-Berliner an dem vorgesehenen Austausch teilnehmen konnten, doch suchte sich die sowjetische Seite anscheinend Möglichkeiten der Einschränkung und der Selektion offenzuhalten. Derartige Unklarheiten trugen dazu bei, daß das Programm liegenblieb. Noch ungleich größer waren die Probleme bei dem Vorhaben eines Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit. Die sowjetische Seite sah sich gemäß ihrer Interpretation der Frank-Falin-Formel nicht veranlaßt, von vornherein die Einbeziehung der West-Berliner Einrichtungen als Verhandlungsgrundlage anzuerkennen. Die Auseinandersetzung spitzte sich auf die Frage zu, ob die in West-Berlin ansässigen Bundesinstitute eine rechtmäßige Existenz hätten und demzufolge in die vorgesehene Kooperation einbezogen werden könnten. Das sowjetische Nein verhinderte die bereits eingeplante Unterzeichnung des Abkommens während Breshnevs Bonn-Besuch im Mai 1973.
Die Kontroverse hatte eine prinzipielle und eine praktische Dimension. Im Grundsätzlichen gingen die sowjetischen Unterhändler von der Ansicht aus, daß es in West-Berlin eine gegen das Viermächte-Abkommen verstoßende und daher illegitime Berlin-Präsenz der Bundesrepublik gebe. Diese Auffassung konnte die Bundesregierung nicht billigen. In praktischer Hinsicht ging es darum, die WestBerliner Forschungseinrichtungen, die der Bund unterhielt, nicht von der westdeutsch-sowjetischen Zusammenarbeit auszuschließen, was auf eine Benachteiligung und Diskriminierung hinausgelaufen wäre. Die Gegensätze erwiesen sich als unüberwindlich. In dieser Lage suchte die westdeutsche Seite schließlich die Stagnation zu überwinden, indem sie eine Regelung unter Ausklammerung der unterschiedlichen Rechtsstandpunkte vorschlug. Danach sollte es eine „personengebundene Lösung" geben: Die West-Berliner Teilnehmer sollten ohne Nennung ihrer Funktionen sozusagen als Privatpersonen an den gemeinsamen Unternehmen und am wechselseitigen Austausch teilnehmen können. Aber auch hierüber kam es zu keiner Übereinkunft, weil die sowjetischen Unterhändler darauf bestanden, daß die leitenden Persönlichkeiten der Bundesinstitute auch auf die vorgeschlagene Weise nicht akzeptiert werden könnten.
Die Erwähnung der Schwierigkeiten, die sich bei der Einbeziehung West-Berlins in bilaterale Vereinbarungen mit östlichen Staaten ergeben haben, kann denkbarerweise einen negativeren Eindruck vermitteln, als berechtigt wäre. Im großen und ganzen haben sich in dieser Hinsicht keine unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten ergeben. Es wurden weit über 30 Abkommen mit Warschauer Pakt-Staaten abgeschlossen, in die West-Berlin gemäß der Frank-Falin-Formel einbezogen ist.
Der prinzipielle Widerstand der Sowjetunion und ihrer Gefolgschaftsstaaten gegen die bestehenden Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik kommt besonders deutlich bei der Behandlung der multilateralen Abkommen und Konventionen zum Ausdruck. Mit der Behauptung, daß West-Berlin nur bei Vorliegen eines gut fundierten Grundes in Verträge der Bundesrepublik eingeschlossen werden könne, wenden sich die UdSSR und die DDR gegen die Einbeziehung West-Berlins in verschiedene multilaterale Abmachungen. Das gilt beispielsweise für das Abkommen über die Rettung von Astronauten und ihrer Ausrüstungen im Notfall. Noch häufiger wird unter Hinweis auf den Vorbehalt des Status und der Sicherheit Einspruch erhoben.
Dementsprechend war die Sowjetunion nicht bereit, die Hinterlegungsurkunde für den Beitritt der Bundesrepublik zum NV-Vertrag, der eine Erklärung über die Einbeziehung West-Berlins beigefügt war, entgegenzunehmen. In diesem Fall war es zwar klarer als bei dem Abkommen über die Bekämpfung der Luftpiraterie, daß die Übereinkunft unter anderem fragen der Sicherheit berührte, doch gab es gleichzeitig Vertragsteile von ausgesprocheuem Interesse für West-Berlin, so die Artikel über die Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Oft wird auch ganz allgemein damit argumentiert, daß West-Berlin „kein Bestandteil" der Bundesrepublik sei und „nicht von ihr regiert werden" dürfe, um die Einbeziehung der Teilstadt in multilaterale Abkommen für unrechtmäßig zu erklären. Die Formulierungen des Viermächte-Abkommens über die Bindungen West-Berlins zur Bundesrepublik und über deren Entwicklung bleiben dabei unerwähnt.
Die Wahrnehmung der West-Berliner Interessen in der UNO, die im Viermächte-Abkommen ausdrücklich erwähnt wird, sucht die DDR mit sowjetischer Unterstützung durch gleichartige Einwände eng einzuschränken. Außenminister Winzer erklärte am 8. November 1973, die Bundesrepublik könne West-Berlin in wesentlichen Fragen bei der Weltorganisation nicht vertreten, da dort Fragen der Sicherheit und des Status im Vordergrund stünden. Die DDR bestreitet auch, seit sie in den UNO-Sonderorganisationen Aufnahme gefunden hat (denen die Bundesrepublik schon seit langem angehört), dort mit sowjetischer Unterstützung dem westdeutschen Staat das seit jeher ausgeübte Recht, West-Berliner Interessen wahrzunehmen.
Eine grundlegende Differenz entwickelte sich auf der Basis jener Bestimmung des Vier-mächte-Abkommens, nach der die Bundesrepublik die konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins ausüben kann. Als die Bundesregierung im Sommer 1973 mit der Regierung der CSSR über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhandelte, stellte sich die tschechoslowakische Seite — augenscheinlich gemäß sowjetischem Wunsch — auf den Standpunkt, daß eine derartige Kompetenz nur bei natürlichen Personen, nicht jedoch bei juristischen Personen mit dem Abkommen vom 3. September 1971 zu vereinbaren sei. Dementsprechend wurde der Bundesrepublik das Recht bestritten, den Amts-und Rechtshilfeverkehr für West-Berliner Behörden und Gerichte über ihre künftige Prager Vertretung abzuwickeln. Die tschechoslowakische Interpretation wurde zur offiziellen Auffassung innerhalb des sowjetischen Machtbereichs.
Die Bundesregierung dagegen sah sich durch den Text des Viermächte-Abkommens und durch die Vorgänge bei seiner Aushandlung in der Überzeugung bestärkt, daß unter den „Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins" auch juristische Per-35 sonen zu verstehen seien. Die Meinungsverschiedenheiten erwiesen sich als unüberwindlich; im August 1973 wurden die Gespräche der Bundesrepublik mit Bulgarien, mit der CSSR und mit Ungarn ergebnislos abgebrochen. Polen, das bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik keine Einwände gegen eine Einschaltung der westdeutschen Botschaft bei Rechtshilfeersuchen West-Berliner Gerichte erhoben hatte, schloß sich nachträglich dem tschechoslowakischen Vorgehen an: Ab 15. August 1973 trat eine Anordnung für die polnischen Gerichte und für das Staatliche Notariatsbüro in Kraft, nach welcher der Rechtshilfeverkehr mit West-Berlin — im Unterschied zu demjenigen mit der Bundesrepublik — nicht über die konsularische Außenvertretung der ersuchenden Seite, sondern über die polnische Militärmission in West-Berlin zu leiten war
Bundesaußenminister Scheel suchte während seines Besuchs in Warschau im Oktober 1973 die polnische Seite vergeblich zu einer Rücknahme ihrer einseitigen Maßnahme zu bewegen. Bei seinem Aufenthalt in Moskau Anfang November 1973 diskutierte er mit seinem sowjetischen Gesprächspartner eine Kompromißregelung. Danach sollten private juristi.
sche West-Berliner Personen von den Vertretungen der Bundesrepublik in den Warschauer-Pakt-Staaten konsularisch betreut werden können. Die Rechtshilfe dagegen sollte zwischen den osteuropäischen Ländern einerseits und Westdeutschland sowie West-Berlin andererseits nicht unter Einschaltung der Auslandsvertretungen, sondern direkt von Gericht zu Gericht abgewickelt werden. Am 3. November vereinbarte Scheel mit den sowjetischen Führern, daß „entsprechend dem Vierseitigen Abkommen" nach diesem Grundsatz verfahren werden solle. Ende des Monats kam es zu einer gleichartigen Absprache mit der tschechoslowakischen Regierung. Demnach war in Aussicht genommen, daß der Rechtshilfeverkehr entsprechend der Haager Zivilrechtskonvention zu regeln sei. Eine detaillierte Übereinkunft war damit jedoch noch nicht erreicht. Ein konkretes Arrangement steht bis heute aus. Die Angelegenheit wurde jedoch in Bonn nach reiflicher Überlegung nicht für schwerwiegend genug erachtet, um einen Verzicht auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der ÖSSR, mit Ungarn und mit Bulgarien zu rechtfertigen.
Die Anwendung der Transitregelung
Während der ersten eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Berlin-Abkommens blieb der Verkehr auf den Transitwegen unbeeinträchtigt. Sowjetunion und DDR entsprachen damit der westlichen Einstellung, daß der ungehinderte Ablauf des Verkehrs von und nach West-Berlin das Kernstück des Viermächte-'Abkommens bilde und daß die Vertragstreue der östlichen Seite vor allem an dem Verhalten in diesem Punkt zu messen sei.
Der Auftakt war entmutigend. Auf sowjetisches Drängen hin setzten die DDR-Behörden, noch bevor das Viermächte-Abkommen Geltung erlangt hatte, im Frühjahr 1972 wichtige Transiterleichterungen in Kraft. Der westdeutschen Seite sollte auf diese Weise demonstriert werden, daß es sich für sie lohne, um der Berlin-Regelung willen den von der CDU/CSU zunächst bedingungslos bekämpften Moskauer Vertrag zu akzeptieren. Nachdem dieses Ziel erreicht worden war und die Berlin-Vereinbarungen Rechtskraft erhalten hatten, entstanden zeitweilig kleinere Schwierigkeiten. Vom 29. September bis zum 6. Dezember 1973 wiesen die Grenzposten der DDR Transitreisende aus Griechenland und aus der Türkei mit der Begründung zurück, daß dort eine besondere Art der Maul-und Klauenseuche verbreitet sei, die nicht eingeschleppt werden dürfe. Obwohl das Verbot schematisch angewandt wurde und daher auch Bürger aus den genannten Ländern erfaßte, die schon längere Zeit nicht mehr in ihrer Heimat gewesen waren (was aus den Paßeintragungen oft nicht zu ersehen war), beanstandete die westliche Seite das zeitlich begrenzte Vorgehen nicht, weil es einer verschiedentlich auch anderwärts geübten Praxis entsprach. Dagegen werteten es die drei westlichen Regierungen und die Bundesregierung als ein Alarmsignal, als am 26. Januar, 16. Februar und 4. März 1974 die DDR-Behörden rechtswidrig durch generelle Kontrollen und Durchsuchungen in den Transitverkehr eingriffen, wobei die Reisenden verschiedentlich Wartezeiten und Unannehmlichkeiten auf sich nehmen mußten. Die Transitkommission der beiden deutschen Staaten beschäftigte sich zweimal mit den Vorfällen. Die von den DDR-Vertretera für den ersten Behinderungszeitraum gegebene Begründung, daß eine Fahndung nach Verbrechern stattgefunden habe, wurde von der Bundesregierung akzeptiert. Die ostdeutschen Erklärungen zu den beiden weiteren Kontrollverschärfungen jedoch vermochten in Bonn nicht zu überzeugen.
Die Führungen der UdSSR und der DDR setzten in ihrem politischen Kampf gegen die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin ihre Machtstellung an den Verkehrswegen von und nach West-Berlin als Waffe ein. Schon im Jahre 1973 hatten die Proteste beider Staaten gegen den geplanten Aufbau des Bundesamtes für Umweltschutz gelegentlich drohende Formulierungen enthalten, die sich in diesem Sinne verstehen ließen. Als der Deutsche Bundestag ab 19. Juni 1974 das Amt durch Gesetz begründete, beschuldigte ein Sprecher des DDR-Außenministeriums die Bundesrepublik der Nicht-Einhaltung des Abkommens vom 3. September 1971 und stellte ihr die »ganze Verantwortung für die Folgen“ in Aussicht.
Am 19. Juli wandten sich die Außenministerien der Sowjetunion und der DDR mit formellen Erklärungen gegen den westdeutschen Beschluß. Die sowjetische Seite drohte, falls das Bundesamt für Umweltschutz in West-Berlin etabliert werde, ergebe sich die „Notwendigkeit“, „entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um den Versuchen einer Verletzung des Vierseitigen Abkommens entgegenzuwirken und die legitimen Interessen uer Sowjetunion und der mit ihr befreundeten Deutschen Demokratischen Republik zu schützen". Die ostdeutsche Seite fügte hinzu, sie sei, sobald das Gesetz des Bundestages praktisch in Kraft trete, „gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen". „Die Durchreise von Mitarbeitern dieses Bundesamtes der BRD sowie die Beförderung entsprechenden Eigentums und entsprechender Dokumentationen auf den Kommunikationen der DDR“ werde „als ungesetzlich betrachtet". Die Schlußfolgerung lau-tete:
„Demnach gibt es keine Rechtsgrundlage für Transitreisen von Vertretern dieser Bundesbehörde." Die DDR nahm damit für sich das Recht in Anspruch, nach eigenem Gutdünken die vereinbarte Transitregelung einzuschränken.
Die Argumentationsgrundlage hierfür hatte die sowjetische Seite durch vorangegangene Behauptungen über den Rechtscharakter der Transitregelung vorbereitet. Zwar hatte es in der Sowjetunion zunächst auch Stimmen gegeben, die dem Transitabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR eine den entsprechenden Viermächte-Festlegungen nachgeordnete Funktion attestiert hatten doch war es dann recht bald herrschende Meinung geworden, daß die entsprechenden Bestimmungen des Viermächte-Abkommens nur als eine seitens der UdSSR übermittelte Information der DDR anzusehen seien und daß folglich die ostdeutsche Regierung mit der Bundesregierung über den Transit allein aus eigener Zuständigkeit und Machtvollkommenheit verhandelt habe
Die These von der souveränen Verfügungsgewalt der DDR über alle ihre Verkehrswege bildete die Rechtfertigungsbasis für willkürliche Eingriffe in den Transit. Die im Vier-mächte-Abkommen festgelegte Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung und das dementsprechend etablierte Verfahren der Konsultation in einer Transitkommission hinderte die östliche Seite nicht daran, zur Durchsetzung ihres vermeintlichen Rechts in der Frage der Bundesinstitutionen Repressalien auf den Zugangswegen anzuwenden.
Unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin bekräftigte die DDR ihre Entschlossenheit, Mitarbeiter dieser Bundesbehörde vom Transitverkehr auszuschließen. Langwierige Befragungen einiger Reisender an vier Kontrollpunkten dienten dem Zweck, diese Entschlossenheit zu demonstrieren. Am 29. Juli wurde in Marienborn der Chef der Zentralabteilung des Umweltbundesamtes zurückgewiesen, nachdem er sich geweigert hatte, Angaben über seine berufliche Tätigkeit zu machen. Die Maßnahme wurde mit dem Hinweis begründet, daß die DDR-Behörden wegen des Aufbaus des Bundesamtes in West-Berlin auf der Auskunft bestehen müßten. Die vertraglichen Bestimmungen über den Transitverkehr zufolge wa-* ren die ostdeutschen Stellen jedoch nicht berechtigt, eine derartige Auskunft zu verlangen. Fernschriftliche Rückfragen, welche die Bundesregierung deswegen an die ostdeutsche Seite richtete, blieben unbeantwortet. Gleichzeitig machten sowjetische Stellen deutlich, daß die DDR im Einvernehmen mit der UdSSR handele.
Seit dem 11. Juli lief in der DDR außerdem eine heftige publizistische Kampagne gegen die „gewerbsmäßige und verbrecherische Fluchthilfe". Eine große Anzahl von „Fluchthelfer" -Prozessen wurde inszeniert; innerhalb von fünf Wochen erfolgten fünfzig Verurteilungen. Die Regie der Prozeßführung und die Begründung der Schuldsprechung waren gleichermaßen auf den Zweck abgestimmt, der Bundesrepublik aktiven Mißbrauch des Transitabkommens vorzuwerfen. Es wurde der Eindruck erweckt, als trieben massenweise berufsmäßige „Fluchthelfer" ein von den bundesdeutschen Behörden gefördertes Unwesen auf den Verkehrswegen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.
Von Fällen, in denen Flüchtlinge auf andere Weise aus der DDR nach Westdeutschland gelangt waren, war keine Rede, obwohl auf den Strecken nach Skandinavien und durch Osteuropa ungleich mehr Fluchtversuche arrangiert und aufgedeckt wurden. Die über die ostdeutschen Massenmedien weit verbreiteten Argumentationen dienten mutmaßlich dazu, die Öffentlichkeit auf das Geltend-machen der fordernden These vorzubereiten, daß die allzu laxen Kontrollen auf den Transitwegen nicht länger tragbar seien.
Die Situation schien vor einer Zuspitzung zu stehen. Die Westmächte, für die mit der Regelung eines ungehinderten Transitverkehrs das Berlin-Abkommen stand und fiel, sahen Gefahr im Verzüge. Um den Anfängen zu wehren, machten die USA von diplomatischem Druck Gebrauch. Der DDR wurde bedeutet, die vorgesehene wechselseitige Aufnahme von Beziehungen komme nur in Frage, wenn der unbehinderte Transit zwischen West-Berlin und Westdeutschland gewährleistet sei. Gegenüber der Sowjetunion ließ die amerikanische Seite wissen, daß ein ungestörter Ablauf des Verkehrs von und nach West-Berlin eine Voraussetzung, für den Abschluß des beiderseitigen Handelsabkommens sei, an dem Moskau ein erhebliches Interesse gezeigt hatte. Unter diesen Umständen entschloß sich die östliche Seite dazu, ihre Maßnahmen zu beenden. Am 15. August 1974 wurde ein hoher Beamter des Bundesamtes für Umweltschutz von den Transitbehörden genau so rasch und zuvorkommend wie die anderen Reisenden abgefertigt. Seitdem konnten Angehörige und Materialien des Bundesamtes ungehindert passieren.
Es ist nicht klar, in welchen politischen Zusammenhang die Störungen auf den Zugangs-wegen von Ende Oktober und Anfang November 1974 einzuordnen sind. Es kam einige Male zu Stauungen und auch zu abkommenswidrigen Durchsuchungen. Die Erklärung des Leiters der DDR-Delegation in der gemischten Transitkommission, es habe sich dabei um durch starkes Verkehrsaufkommen verursachte Verzögerungen, nicht jedoch um Behinderungen seitens der Grenzbehörden gehandelt, wurde in Bonn und West-Berlin nicht akzeptiert. Die schwerste Verletzung ihrer Pflicht zur Transitgewährung ließen sich die DDR-Behörden mit sowjetischem Rückhalt am 13. August 1976 zuschulden kommen. Der CDU nahestehende Jugendorganisationen hatten in der Bundesrepublik eine Sternfahrt zu einer Kundgebung in West-Berlin organisiert, die dem Protest gegen den Bau der Berliner Mauer vor 15 Jahren Ausdruck verleihen sollte. Die Busse wurden in ihrer Mehrzahl — augenscheinlich soweit die Insassen als Sternfahrt-Teilnehmer erkannt wurden — zurückgeschickt. Die ostdeutschen Grenzpolizisten fragten abkommenswidrig nach dem Zweck des Besuchs in West-Berlin, werteten die Antwortverweigerung als Indiz für einen beabsichtigten Transitmißbrauch und beschlagnahmten in einzelnen Fällen mitgeführte Plakate sowie (in einem Fall) auch Handzettel. Da das Material von außen nicht ersichtlich war, war mit diesem Vorgehen eine über das als üblich vereinbarte Verfahren hinausgehende Inspektion der Fahrzeuge verbunden. Soweit die Zurückweisung überhaupt begründet wurde, war von einem konkreten Verdacht auf Mißbrauch der Transitwege die Rede.
Während der Sitzung der Transitkommission, die am 18. August auf Verlangen der Bundesregierung stattfand, beriefen sich die DDR-Vertreter zur Rechtfertigung des Vorgehens auf Artikel 16 Absatz 1, 2 und 3 des zwischen-deutschen Transitabkommens vom 17. Dezember 1971. Als Beweismittel legten sie Flugblätter und Broschüren vor, welche die Zurückgewiesenen angeblich während des Transits hatten verbreiten wollen. Das „demon strative Auftreten“ der Businsassen, so hieß es habe den klaren Verdacht eines Mißbrauchs der Durchfahrt zu propagandistischen Aktionen erweckt — einen Verdacht, der sich durch das gefundene Material bestätigt habe. Im übrigen hätten die Aufrufe der Veranstalter und die Berichte in den westdeutschen Massenmedien deutlich auf einen beabsichtigten Transitmißbrauch hingewiesen.
Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Nach Aussagen von Transitreisenden, die zur fraglichen Zeit die Autobahn Marienborn-Berlin benutzten, war die Strecke, insbesondere aber jeder Rastplatz, mit Volkspolizeikommandos dick besetzt; ein Ausstreuen von Propagandamaterial aus dem fahrenden oder stehenden Bus hätte daher kaum unbemerkt erfolgen können, wenn es beabsichtigt gewesen wäre. Die Aufrufe und Berichte bezogen sich auf die Teilnahme an der Kundgebung in West-Berlin; von einer weiteren Aktion war keine Rede. Das beschlagnahmte Material war nicht etwa an den Fenstern angebracht, wie es im Falle eines „demonstrativen Auftretens" und einer beabsichtigten DDR-Werbung zu vermuten gewesen wäre. Schließlich haben Teilnehmer der Sternfahrt versichert, die in der Transitkommission vorgelegten Unterlagen stammten — wenigstens größtenteils — nicht aus ihren Bussen. Wenn dies richtig ist, müßte man von einer bewußten Irreführung seitens der DDR-Behörden sprechen.
Der überwiegende Eindruck des Beobachters geht dahin, daß die DDR-Regierung den monierten Transitmißbrauch in der Betätigung gesehen hat, welche die zurückgewiesenen Jugendlichen in West-Berlin vorhatten. Sollte diese Vermutung zutreffen, dann wäre dem Vorgang vom 13. August 1976 als Versuch der DDR zu bewerten, Transitreisende nach politischen Gesichtspunkten zu selektieren, d. h. ihnen als Gegenleistung für die Transitgewährung ein politisches Wohlverhalten abzufordern. Eine derartige Praxis aber würde dem Viermächte-Abkommen und seinen Folgevereinbarungen, die jede politische Wohlverhaltensverpflichtung gegenüber der DDR und der UdSSR ausdrücklich ausgeschlossen haben, eindeutig zuwiderlaufen. Denkbar ist noch eine weitere östliche Absicht. Die sowjetische Führung scheint seit langem der Ansicht zu sein, daß sie in der Berlin-Frage 1971 zu viel Konzessionen gemacht habe und daß dieser Fehlgriff durch Neuverhandlungen korrigiert werden sollte. Ebenso wie andere Berlin-Pressionen könnte das Vorgehen an den Zugangswegen dazu bestimmt sein, der westlichen Seite ebenfalls einen diplomatischen Dialog über Berlin als notwendig darzustellen. Nach einem solchen Konzept würde dann wohl versucht werden, den durch östliches Vorgehen angeblich begründeten Zustand zur Ausgangsbasis der Verhandlungen zu machen und dabei die Bestimmungen des Viermächte-Abkommens dem Vergessen zu überantworten.
Die Besuchsregelung für West-Berliner
Die Regelung für Besuche von West-Berlinern in Ost-Berlin und in der DDR wurde bereits vor dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens zeitweilig praktiziert. Als im Frühjahr 1972 die Ratifizierung des Moskauer Vertrages durch den deutschen Bundestag zweifelhaft war, suchte die sowjetische Führung den Westdeutschen die Vorzüge der Berlin-Regelung, deren Inkraftsetzung mit derjenigen des Moskauer Vertrages gekoppelt war, vor Augen zu führen. Dementsprechend sah sich hie Regierung der DDR veranlaßt, während einer Zeitspanne um die Oster-und Pfingstfeiertage herum die Besuchsregelung vorübergehend so anzuwenden, als hätte das Berlin-Abkommen bereits Gültigkeit erlangt.
Als das Berlin-Abkommen am 3. Juni 1972 gültig wurde, ergaben sich zunächst einige praktische Schwierigkeiten. Die DDR-Behörden wollten hinsichtlich der vorgesehenen Sofortbesuche ein Verfahren praktizieren, das Schnellbewilligungen faktisch weitestgehend ausgeschlossen hätte. Nach einigem Hin und Her fand sich die DDR ab 7. August zu Prozeduren bereit, die Sofortbesuche in größerem Umfang möglich machten. Ein weiterer Standpunkt war, ob die ostdeutsche Seite berechtigt sein würde, West-Berliner abzuweisen, die gegen Gesetze der DDR — insbesondere durch „Republikflucht" nach dem Bau der Mauer — verstoßen hatten. Durch den Erlaß einer Amnestie am 6. Oktober 1972 und durch das Staatsbürgergesetz vom 17. Oktober des gleichen Jahres konnten diese Fragen schließlich auf befriedigende Weise geregelt werden. Ein gewisser Mißstand ergab sich, weil die DDR-Behörden das Personal der Antragstellen nicht, wie es vorgesehen worden war, in Stoßzeiten verstärken. Daraus resultierten manchmal größere Wartezeiten für die Antragsteller. Im Sommer 1973 suchte die DDR-Regierung die Besucherregelung nach eigenem Ermessen zeitweilig einzuschränken. Vor den kommunistischen Weltjugendfestspielen in Ost-Berlin hieß es, das Kontingent der Besucher sei bereits erschöpft. Daher könnten für die Zeit vom 28. Juli bis zum 5. August (d. h. für die Dauer der Festspiele) keine neuen Anträge mehr angenommen werden. Das Motiv für die Ankündigung dürfte gewesen sein, daß die SED-Führung die in-und ausländischen Gäste ihrer Veranstaltung nicht mit Personen und Gruppen in Kontakt kommen lassen wollte, die von West-Berlin herüberkommen würden. Auf westliche Proteste hin, die eine starke Resonanz in der Öffentlichkeit fanden, nahm jedoch die DDR-Regierung ihre Maßnahme wieder zurück.
Zum 15. November 1973 verfügte die DDR-Regierung einseitig eine Erhöhung der am 20. Dezember 1971 im Zusammenhang mit der Besucherregelung vereinbarten Zwangsumtauschsätze. Danach waren bei Tagesbesuchen in Ost-Berlin und bei drei-oder mehrtägigen Aufenthalten in Ost-Berlin und in der DDR künftig hundert Prozent mehr als bisher zum amtlichen DDR-Kurs von 1 : 1 umzuwechseln. Für Tagesbesucher in der DDR und für Zwei-Tage-Reisen nach Ost-Berlin und in die DDR wurde ein vierfacher Mindestumtauschsatz festgelegt. Außerdem wurde die bisherige Befreiung der Rentner von der Umtauschpflicht aufgehoben Dadurch wurde die Einreise nach Ost-Berlin und in die DDR empfindlich verteuert. Dies diente augenscheinlich dem Zweck, den westlichen Besucherstrom zu ver-mindern, ohne zugleich die Deviseneinnahmen der DDR zu schmälern.
Der Senat des Landes Berlin versuchte sogleich, die DDR-Regierung zur Zurücknahme ihrer Maßregel zu bewegen. Das Bemühen blieb ohne Erfolg. Der negative Eindruck, den das Vorgehen der DDR in der westlichen 0f. fentlichkeit hervorrief, scheint jedoch der sowjetischen Seite im Interesse der östlichen Entspannungspolitik wenig gelegen gekommen zu sein. Daher mehrten sich im Laufe des Frühjahrs 1974 die Anzeichen dafür, daß die DDR-Regierung mit sich reden lassen werde. Als dann jedoch der Konflikt um die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz akut wurde, erfüllten sich die westlichen Hoffnungen zunächst nicht. Ende des Jahres lenkte die DDR-Regierung ein, nachdem die westdeutsche Seite die weitere Gewährung eines hohen zinslosen Uberziehungskredits zugesagt hatte und Verhandlungen über einen für die DDR finanziell interessanten Ausbau der Verkehrswege nach West-Berlin in Aussicht genommen worden waren. Sie verringerte mit Wirkung vom 15. November 1974 die bisherigen Zwangsumtauschsätze um 35 % Zum 20. Dezember 1974 wurde die frühere Befreiung der Rentner wieder eingeführt. Die neue Regelung bedeutete, daß die westlichen Besucher, von den Rentnern abgesehen, immer noch wenigstens 30 Prozent mehr als in der Berlin-Regelung festgelegt umzuwechseln hatten. In einigen Fällen lag die Zwangsumtauschquote sogar noch um 160 Prozent höher.
Allerdings gelang es der westdeutschen Seite, der DDR-Regierung verbesserte Einreisemodalitäten abzuringen. Ab 20. Dezember 1974 genehmigten die DDR-Behörden ausnahmslos die Benutzung von Personenkraftwagen — ein Zugeständnis, das in Anbetracht der langwierigen Verkehrsverbindungen in der DDR das Reisen wesentlich beschleunigte. Außerdem wurde die Beschränkung des Aufenthalts in denjenigen Stadt-und Landkreisen, für welche eine Genehmigung nicht beantragt worden war, nunmehr aufgehoben.
Auseinandersetzungen um den Status von Ost-Berlin
Nachdem die beiden deutschen Staaten im Herbst 1973 Mitglieder der UNO geworden waren, erhob sich die Frage, wie die Daten aus beiden Teilen Berlins im Demographischen Jahrbuch der Weltorganisation zu behandeln seien. Ende des Jahres kam es zu einer Übereinkunft, wonach jeder Teil der Stadt zusammen mit dem entsprechenden deutschen Staat aufgeführt werden sollte. Eine Fußnote sollte darauf hinweisen, daß dieses Verfahren „ohne Präjudiz“ sei „für irgendeine Statusfrage, die damit Zusammenhängen könnte". Dessen ungeachtet erschien, als das Jahrbuch dann vorlag, Ost-Berlin als integraler Bestandteil der DDR. Die Westmächte protestierten mit diplomatischen Noten an die UNO gegen dieses Verfahren. Daraus entwickelte sich ein Notenkrieg, in dem die UdSSR „Berlin" zur Hauptstadt der DDR und zu deren vollgültigem Teilgebiet erklärte
Die westliche These, daß alle vier Mächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in allen vier Sektoren weiterhin ausübten, veranlaßte schließlich die sowjetische Seite am 15. Mai 1975 zu einer Grundsatzstellungnahme. In einem Schreiben an den Generalsekretär der UNO hieß es, die „Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik" sei „ihr untrennbarer integraler Bestandteil" und habe „genau denselben rechtlichen Status wie jeder andere Teil des Territoriums der Deutschen Demokratischen Republik". Das Abkommen vom 3. September 1971 stelle ebenso wenig wie die Viermächte-Erklärung vom 9. November 1972 . in irgendeiner Weise die Position als Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik in Zweifel", sondern gehe statt dessen „von dieser Tatsache aus". Die UdSSR behauptete darüber hinaus, die drei Westmächte hätten niemals in Berlin Rechte besessen, die sie nicht durch vertragliche Gewährung seitens der Sowjetunion erlangt hätten. Denn die Stadt sei in ihrer Gesamtheit stets ein Teil der sowjetischen Besatzungszone gewesen.
Die „gemeinsame Verwaltung Berlins durch die vier Mächte" sei von westlicher Seite liquidiert worden, indem diese die aus den interalliierten Beschlüssen der Kriegs-und Nachkriegszeit resultierenden Verpflichtungen nicht erfüllt hätten
Mit diesen — völkerrechtlich völlig haltlosen — Thesen nahm die sowjetische Seite eine Argumentation wieder auf, mit der sie zu früheren Zeitpunkten (1948/49, 1958) das Recht der westlichen Anwesenheit in West-Berlin bestritten hatte. Dieser Standpunkt fand in einer Pressekampagne der DDR polemischen Ausdruck, wobei auch Drohungen ausgesprochen wurden. Die sowjetischen Massenmedien gaben der ostdeutschen Seite publizistische Unterstützung, verzichteten dabei jedoch auf Drohungen
Es entsprach üblicher östlicher Taktik, daß die publizistischen Rechtsbehauptungen in der Berlin-Frage ungleich weiter gingen als die Standpunkte, die auf der diplomatischen Ebene formuliert und im politischen Verhalten praktiziert wurden. Augenscheinlich erschien es der sowjetischen Seite richtig, in der westlichen Öffentlichkeit mit den verschiedensten argumentativen Mitteln soweit wie möglich den Eindruck zu schaffen, als habe Ost-Berlin mit dem früheren Viermächte-Status nichts mehr zu tun. Die rhetorischen Attacken gegen das westliche Anwesenheitsrecht in West-Berlin sind dabei wohl so zu werten, daß die Initiatoren den angestrebten begrenzten Überredungserfolg (bezüglich der angeblichen Nicht-Zugehörigkeit West-Berlins zum Viermächte-Gebiet Gesamt-Berlin) für um so wahrscheinlicher erachteten, je weiter sie ihre Rechtsansprüche geltend machten (Bestreitung der rechtlichen Basis für die Existenz West-Berlins).
Im praktischen Vorgehen jedoch hütete sich die sowjetische Seite, den bei Abschluß des Viermächte-Abkommens bestehenden Zustand zu verändern. Als die DDR-Behörden im „Verordnungsblatt für Groß-Berlin" vom April und Mai 1974 die bisherige Bezeichung für OstBerlin, „Groß-Berlin", durch den Ausdruck „Hauptstadt der DDR Berlin" ersetzten, sorgte der sowjetische Verbündete dafür, daß dieser Wechsel wieder rückgängig gemacht wurde. Eine derartig unzweideutige offizielle Bekundung des Anspruchs, daß Ost-Berlin in keiner Weise an dem früheren besatzungsrechtlichen Status von Berlin mehr teilhabe, erschien der UdSSR unerwünscht. Aus dem gleichen Grund scheiterten im Winter 1975/76 die Ver-suche der DDR-Führung, den Ost-Berliner Mitgliedern der Volkskammer den gleichen Abgeordnetenstatus wie den aus der DDR stammenden Mitgliedern zu geben
Zur allgemeinen Einstellung der UdSSR und der DDR gegenüber West-Berlin
Mit dem Abschluß des Viermächte-Abkommens verband sich auf westlicher Seite nicht zuletzt auch die Erwartung, daß West-Berlin nunmehr verstärkt in die Ost-West-Austauschbeziehungen einbezogen werden könne. Auf diese Weise, so schien es, werde die Teilstadt neue Entfaltungsmöglichkeiten erlangen. Es war unter anderem von einer kulturellen Vermittlungsfunktion zwischen Ost und West die Rede. Vor allem aber richteten sich die Hoffnungen darauf, daß die West-Berliner Wirtschaft durch vermehrten Osthandel neue Impulse erhalte. Tatsächlich entwickelte sich das Ostgeschäft seit Abschluß des Viermächte-Abkommens positiv. Die Ausfuhren West-Berlins in die Sowjetunion beispielsweise, die 1971 auf 47, 7 Prozent des Standes von 1963 abgesunken waren, kletterten bis 1975 auf 433, 1 Prozent
Interessanterweise suchten die sowjetischen Statistiken diese Entwicklung in den Jahren 1972/73 zu verschleiern. Sie vermittelten genau den gegenteiligen Eindruck, als hätten sich die sowjetischen Importe aus West-Berlin seit 1971 laufend verringert Damit sollte vermutlich in der westlichen Öffentlichkeit der Ansicht Vorschub geleistet werden, daß die Teilstadt sich wegen der Streitigkeiten um die Auslegung des Viermächte-Abkommens nicht des sowjetischen Wohlwollens erfreuen könne und daher allen Grund habe, sich ein derartiges Wohlwollen erst noch zu verdienen.
Seit Breshnevs Bonn-Besuch im Mai 1973, während dessen der Generalsekretär der KPdSU sich zum Anwalt großer sowjetisch-westdeutscherGemeinschaftsprojekte gemacht hatte, war zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik der Bau eines sowjetischen Kernkraftwerks im Raum von Königsberg im Gespräch. Die Bundesregierung stellte westdeutsche Technologie und westdeutsche Kredite zur Realisierung des Vorhabens in Aussicht, wenn über eine Fernstromleitung von Königsberg über West-Berlin nach Westdeutschland eine anschließende Belieferung westdeutscher Wirtschaftsgebiete mit Nuklearstrom gewährleistet werde.
Auf diese Weise wäre West-Berlin in ein internationales Verbundnetz einbezogen worden, das im Bedarfsfall auch den Transport von Strom aus Westdeutschland in die Teil-stadt zugelassen hätte. Die sowjetischen Verantwortlichen scheinen aus Interesse an der westdeutschen Hilfe bei der Verwirklichung ihres Königsbergs-Projekts einem derartigen Arrangement nicht abgeneigt gewesen zu sein. Die DDR-Führung jedoch leistete hartnäckigen Widerstand. Im Spätherbst 1975 endlich wurde der westdeutschen Seite zu verstehen gegeben, daß der Plan mit Rücksicht auf den ostdeutschen Verbündeten fallengelassen werde Einige Monate später wurde offiziell bekannt, daß die Verhandlungen gescheitert seien.
Die amtlichen sowjetischen Aussagen zur Berlin-Politik lassen seit 1974 eine deutlich verminderte Bereitschaft erkennen, den Bedürfnissen und Standpunkten der westlichen Seite zu entsprechen. Im Mai 1973 stimmte Breshnev nach langen und eingehenden Erörterungen der Formel zu, daß die „strikte Einhaltung und vplle Anwendung“ des Abkommens vom 3. September 1971 erforderlich sei. Der erste Teil der Formel sollte dem sowjetischen Verlangen nach einer engen Auslegung für das Anwesenheitsrecht der Bundesrepublik Rechnung tragen, während der zweite Teil eine Ausnutzung der vorgesehenen Entwicklungsmöglichkeiten des Sonderverhältnisses zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik in Aussicht stellte. Auch wenn damit die Meinungsverschiedenheiten über den Charakter der zulässigen Bundespräsenz in West-Berlin keineswegs ausgeräumt waren, so konnte die ausgehandelte Formel doch als ein Indiz für eine gewisse Flexibilitätswilligkeit der sowjetischen Seite gelten.
Wie es scheint, bewirkten die Auseinandersetzungen um den Aufbau des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin in der sowjetischen Berlin-Politik eine Tendenz zu un-nachgiebiger Härte. Von sowjetischer Kompromißbereitschaft in Berlin ist seither, wie beispielsweise Bundeskanzler Schmidt auf der Abschlußveranstaltung der KSZE in Helsinki erfahren mußte, so gut wie nicht mehr die Rede. Das Leitmotiv der sowjetischen Berlin-Publizistik lautet, die westliche Seite sei zur „strikten und vollen Einhaltung" des Abkommens vom 3. September 1971 verpflichtet. Es ist bezeichnend für die derzeitige sowjetische Intransigenz, daß die -an der westdeutsch-sowjetischen Formel vom Mai 1973 orientierte — Wendung des Osloer Kommuniques der NATO-Außenminister vom 21. Mai 1976, die Bestimmungen über die Wahrnehmung der Interessen West-Berlins im Ausland durch die Bundesrepublik sollten „voll angewendet und strikt eingehalten werden", als eine gegen das Einvernehmen zwischen Ost und West gerichtete Zumutung hingestellt wurde Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, daß in den öffentlichen Stellungnahmen der östlichen Seite gelegentlich auch Drohungen enthalten sind. Als der Regierende Bürgenneister des Landes Berlin im Januar 1976 westlichen Ansichten über den Berlin Status
Ausdruck verlieh und dabei gegen die östlichen Thesen Stellung nahm, meinte das Zentralorgan der SED unter Hinweis auf die von der DDR gewährten Erleichterungen im Reiseverkehr, dieser „Frontstadtjargon" könne „nur zum Schaden der Bevölkerung West-Berlin gereichen". Er täte, so hieß es weiter, besser daran, sich „mehr um die Sorgen der Bürger West-Berlins [zu] kümmern", „denn für Auseinandersetzungen mit der DDR" sei „er ohnehin viel zu schwach". Die „Propagieren der Feindschaft zur DDR" sei „gewiß keine Erleichterung für die Entwicklung des Besucherverkehrs mit der DDR"
Allgemeiner, aber in gleichem Sinne, äußerte sich die sowjetische Führung in ihrer offiziösen Erklärung zum Verhältnis zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik vom 22. Mai 1976. Das Abkommen vom 3. September 1971, so wurde darin ausgeführt, sei „seinem Wesen nach auf normale, gutnachbarliche Beziehungen der BRD zur Sowjetunion, zur DDR und zu den anderen sozialistischen Ländern orientiert". „Es kann erfolgreich in einem solchen und nur in einem solchen Kontext funktionieren". Der Deutlichkeit halber wurde hinzugefügt, daß dies „jene Politiker nicht vergessen" sollten, die das Abkommen „auf seine Festigkeit zu prüfen" suchten Demnach war ein gewisses Wohlverhalten der westdeutschen Seite die Voraussetzung dafür, daß die UdSSR das Berlin-Abkommen in einem positiven Sinne anzuwenden willens war. Derartige publizistische Hinweise haben freilich sehr oft nur den Charakter laut knallender Schreckschüsse; in der politischen Praxis operiert die sowjetische Seite im allgemeinen sehr viel vorsichtiger.
Abschließende Wertung
Auslegung, und Anwendung des Viermächte-Abkommens durch die UdSSR und die DDR sind bisher — vielfachen westlichen Erwartungen zuwider — restriktiv gewesen. In den verschiedensten Fragen haben die Leiter der sowjetischen Politik den Standpunkt eingenommen, daß alles, was der Bundesrepublik durch die Berlin-Vereinbarungen nicht ausdrücklich zugestanden worden sei, als verboten zu gelten habe. Die aufgetretenen Schwiengkeiten liegen jedoch auch noch in anderen Faktoren begründet. Das Viermächte-Abkom-men konnte nur abgeschlossen werden, weil darauf verzichtet wurde, die gegensätzlichen Rechtsauffassungen über den Status Berlins miteinander zu harmonisieren. Der Dissens im Grundsätzlichen ist daher durch die getroffenen Regelungen nicht berührt; in einigen praktischen Einzelpunkten mußte auf eine perfekte Klarstellung des rechtlichen Rahmens verzichtet werden. Unter diesen Umständen hat die sowjetische Seite die Mög-lichkeit, abweichende Ansichten geltend zu machen, die nicht immer nur theoretische, sondern oft auch praktische Relevanz haben. In mehreren Fällen macht die sowjetische Führung darüber hinaus den Versuch, durch eine Uminterpretation klar erscheinender Abkommensbestimmungen die bestehende Rechtslage zu modifizieren und dadurch einen größeren politischen Handlungsspielraum zu erlangen.
Das östliche Verhalten in Berlin läßt bestimmte durchgängige Akzentuierungen erkennen. Das bedeutet freilich nicht, daß es einer ein-für allemal festgelegten Systematik folgen würde. Im einzelnen kann man viel Unregelmäßigkeit, um nicht zu sagen Willkür, beobachten: Was das eine Mal heftig attackiert wird, kann oft das nächste Mal ohne Aufhebens hingenommen werden — und umgekehrt.
Die sowjetische Wachsamkeit gilt vor allem den Bindungen (oder nach östlichem Verständnis den — in einem mehr technischen Sinne aufzufassenden — Verbindungen) West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland. Der einseitige Hinweis auf den Passus des Viermächte-Abkommens, nach dem die Teilstadt „kein Bestandteil" (der die westliche Deutung „kein konstitutiver Teil" gegenübersteht) des westdeutschen Staates ist und von diesem „nicht regiert" werden kann, wird als unzweideutige Bestätigung der östlichen These von der völligen staatlichen Trennung zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik und von der eigenen Völkerrechtssubjektivität West-Berlins ausgegeben. Soweit überhaupt einmal der westliche Einwand zur Kenntnis genommen wird, daß in dem Vier-mächte-Abkommen zugleich von einer Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik die Rede ist, heißt es ohne jede Basis im Abkommenstext, daß damit nur die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und ähnlich gearbeiteten Verbindungen gemeint seien. Außerdem wird das besondere Verhältnis, das nach dem Viermächte-Abkommen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik besteht, durch eine Ausdehnung der auf den westdeutschen Staat gemünzten Aussagen auf alle Länder (nicht zuletzt auch auf die Länder des sowjetischen Machtbereichs) hinwegzudiskutieren gesucht.
Die politische Anwesenheit der Bundesrepublik in West-Berlin erscheint, wenn man von den sowjetischen Umdeutung ausgeht, als ein vertragswidriges Moment. Dementsprechend hat die Publizistik der UdSSR und der DDR von Anfang an immer wieder den Aufenthalt von Verfassungsorganen und Amtspersonen der Bundesrepublik in West-Berlin mit Äußerungen des Mißfallens begleitet. Dagegen wurde die Existenz von Bundes-institutionen in der Teilstadt anfänglich stillschweigend hingenommen. Es ist vermutlich zum Teil als eine Reaktion auf bestimmte Tendenzen der westdeutschen Berlin-Politik zu werten, wenn die UdSSR seit 1973 in dieser Frage ihren Grundsatzstandpunkt stärker geltend zu machen begann. Die Diskussionen über eine Erweiterung des Stimmrechts der West-Berliner Bundestagsabgeordneten im Winter 1972/73, die Festlegung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 auf den Rechtsstatus West-Berlins als eines Landes der Bundesrepublik und das Bemühen um die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin 1973/74 mögen in Moskau den Eindruck hervorgerufen haben, daß Bonn in seinem Verhältnis zu West-Berlin maximalistische Vorstellungen durchzusetzen suche.
Seit Mai 1973 machte die sowjetische Seite bei den verschiedensten Gelegenheiten deutlich, daß sie die Bundesbehörden in West-Berlin als unrechtmäßig ansehe und diese nur um des Friedens willen nicht mit allen Mitteln bekämpfe. Diese Bundespräsenz, so war zu entnehmen, könne allenfalls im bisherigen Umfang geduldet werden — freilich ohne daß die östlichen Staaten durch eine Kooperation mit den betreffenden Institutionen den bestehenden Zustand anerkennen würden. In der Frage des zeitweiligen Aufenthalts von Verfassungsorganen und anderer Personen der Bundesrepublik in West-Berlin verschärfte sich die — schon vorher begonnene — Polemik der DDR. In wenigen Einzelfällen kam es auch zu formellem Protest. Dabei beteiligte sich die UdSSR in direkter Form.
Die Wahrnehmung der Interessen West-Berlins im Ausland durch die Bundesrepublik ist nach östlicher Ansicht nur fall-und ausnahmsweise in unpolitischen Angelegenheiten statthaft. Sie sollen nur in einem eng he-, grenzten und nicht gewohnheitsmäßigen Rahmen ausgeübt werden können, damit West-Berlin in außenpolitischer Hinsicht nicht generell mit der Bundesrepublik zusammengekoppelt erscheint. Dem gleichen Zweck dient das sowjetische Verlangen, daß West-Berlin, wenn es bei internationalen Veranstaltungen gemeinsam mit der Bundesrepublik in ET scheinung tritt, seine Eigenständigkeit deutlich markieren müsse oder sogar einen getrennten Status zu demonstrieren habe. Aus derartigen Forderungen resultieren zahlreiche praktische Schwierigkeiten, soweit West-Berlin und die Bundesrepublik bei der Realisierung ihrer Gemeinschaft nach außen hin mit der UdSSR und ihren Verbündeten zu tun haben und daher auf deren Kooperation angewiesen sind. Wie der Einschluß West-Berlins beispielsweise in die Wirtschaftsabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion oder die Regelung für die Einbeziehung West-Berliner Firmen in bundesdeutsche Ausstellungsblöcke auf Messeveranstaltungen in Osteuropa zeigen, lassen sich bei gutem Willen die praktischen Schwierigkeiten überbrücken, auch wenn die Grundsatzdifferenzen unüberwindlich sind. Das sollte freilich nicht nur dann der Fall sein, wenn — wie im Ökonomischen — das Interesse der östlichen Seite an einem praktischen Einvernehmen besonders groß ist.
Die Transitregelung hat kaum praktische Probleme aufgeworfen. Die Auseinandersetzungen um die Errichtung des Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin jedoch haben erkennen lassen, daß die sowjetische Seite dann, wenn sie sich durch die Praktizierung der Bundespräsenz in West-Berlin besonders herausgefordert fühlt, trotz der im Viermächte-Abkommen enthaltenen Transitregelung das Druckmittel von Behinderungsmaßnahmen auf den West-Berliner Zugangswegen nicht völlig aus der Hand zu geben gewillt ist. Dieser Einstellung liegt der alte östliche Rechtsstandpunkt zugrunde, dem zufolge der Transit von und nach West-Berlin über das Territorium der DDR gemäß „herkömmlichen internationalen Normen" (d. h. in östlichem Verständnis nach dem Ermessen des transitgewährenden Staates) erfolge. Noch ernster wäre es, wenn die DDR, wie beispielsweise am 13. August 1976, einen Anspruch auf politische Selektion von Transitreisenden erheben wollte.
Die sowjetische Führung ist sich freilich ähnlich wie in den sechziger Jahren sehr genau dessen bewußt, daß einseitige östliche Veränderungen an dem bestehenden Zustand gefährliche Krisen nach sich ziehen können, die normalerweise vermieden werden sollten. Der Abschluß des Viermächte-Abkommens hat überdies den Bereich, in dem die UdSSR eine ungeregelte Lage behaupten kann und damit glaubhaft den Anspruch auf Handlungsspielraum zu erheben vermag, fast auf Null redu45 ziert. Und je stärker die sowjetische Führung ihre Westpolitik unter das Motto der Entspannung zu stellen versucht, desto mehr Vorsicht muß sie bei der Anwendung von Druck walten lassen — vor allem, wenn dieser Druck als eindeutige Vertragsverletzung zu qualifizieren wäre.
Die Durchführung der Besuchsregelung für West-Berliner in Ost-Berlin und in der DDR läßt deutlich werden, daß auf die Vertragstreue der SED-Führung bei Nebenabsprachen kein Verlaß ist Sicherlich haben die verantwortlichen SED-Funktionäre in den vergangenen Jahren nicht daran gedacht, durch eine rechtswidrige Aufkündigung der abgeschlossenen Vereinbarung den Besuchen ein Ende zu setzen. Das hätte sie in einen direkten Gegensatz zu dem sowjetischen Interesse daran gebracht, der westlichen Welt Entspannung zu demonstrieren und darum aufsehen-erregende Entspannungswidrigkeiten zu vermeiden. Aber das ostdeutsche Bestreben ist unverkennbar darauf gerichtet, die Modalitäten der Besuchsregelung nach Maßgabe der amtlichen Abgrenzungsbedürfnisse zu verschlechtern. Diese Modalitäten sind nicht unwichtig: Sie bestimmen entscheidend darüber, in welchem Umfang von den grundsätzlich zugestandenen Möglichkeiten des Ost-West-Kontakts in und um Berlin Gebrauch gemacht wird und Gebrauch gemacht werden kann.
Wenn man die Praktizierung des Berlin-Abkommens unter dem Gesichtspunkt der , praktischen Erfordernisse — und nicht unter dem Aspekt theoretischer Prinzipien — analysiert, dann fallen entscheidende Verbesserungen gegenüber dem Zustand vor Abschluß dieses Abkommens ins Auge. Auch wenn zweifellos die Berlin-Gegensätze zwischen dem Westen und dem sowjetisch geführten Lager keineswegs ausgeräumt sind und wenn mit den östlichen Maßnahmen nach wie vor die selbstbestimmte Existenz West-Berlins angegriffen wird, so haben sich doch die konkreten Bedrohungen und die belastenden Unsicherheiten für die Teilstadt wesentlich verringert. An die Stelle der früheren Dauerproteste gegen die zeitweilige Anwesenheit von Verfassungsorganen und Amtspersonen der Bundesrepublik in West-Berlin sind als Regelfall kritische publizistische Kommentierungen getreten. Die UdSSR und ihre Verbündeten nehmen heute in den meisten Fällen unter bestimmten Voraussetzungen die früher generell bekämpfte Wahrnehmung West-Berliner Interessen im Ausland durch die Bundesrepublik und das früher als Unrechtsakt hingestellte gemeinschaftliche Auftreten West-Berlins und der Bundesrepublik im internationalen Rahmen hin. Die Repressalien auf den Zugangswegen, die vor dem Viermächte-Abkommen aus den verschiedensten kleineren oder größeren Anlässen recht willkürlich und wenig vorausberechenbar vom Zaun gebrochen wurden, haben keine praktische Bedeutung mehr — wenn man von dem sowjetischerseits als große „Provokation" betrachteten Fall der Neuerrichtung von Bundesbehörden in West-Berlin absieht. Insgesamt entspricht die Lage in Berlin heute zwar nicht dem, was die westliche Seite bei Abschluß des Vier-mächte-Abkommens mit Recht erwarten zu können glaubte, aber sie trägt doch den zentralen Bedürfnissen der West-Berliner Lebensfähigkeit Rechnung, sofern sich die westliche Seite nicht durch gelegentlichen Ärger und östliche Nadelstichpolitik verunsichern läßt.
Im Laufe des Jahres 1976 sind zwei bedenkliche Neutendenzen der östlichen Berlin-Politik deutlicher hervorgetreten: Die Kontroverse um die Bindungen dient als Hebel des Kampfes gegen mögliche westeuropäische Integrationsentwicklungen; die Sicherheit des Transits soll geschwächt erscheinen und der westlichen Seite politische Rücksichtnahmen nahelegen. Die östliche Weigerung, kooperativ die Versuche zu unterstützen, die West-Berlin eine neue Rolle als Zentrum der Begegnung und des Austausches zwischen Ost und West geben sollen, kann sich negativ auch auf wesentliche Interessen der UdSSR und ihrer Verbündeten auswirken. Schließlich sind die Warschauer-Pakt-Staaten doch bestrebt, der in einer Phase akuter Ost-West-Konflikte etablierten Rolle West-Berlins als einer . Front-stadt des westlichen Kampfes gegen das Sowjetlager'ein Ende zu setzen. Wird es jedoch der Teilstadt verwehrt, eine neue Funktion zu finden, dann ergibt sich nicht nur die Gefahr, daß die . Frontstadtrolle'die einzige reale Möglichkeit bleibt, sondern auch die weitere Gefahr, daß die Enttäuschung der West-Berliner und darüber hinaus großer Teile der westlichen Öffentlichkeit die Konflikt-tendenzen zwischen Ost und West verstärkt. Damit könnten auf längere Sicht wieder Voraussetzungen für ein westliches Frontdenken entstehen.
Die ungewöhnliche sowjetische Beharrlichkeit in allen Fragen, welche die Zusammengehörigkeit zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik berühren, deuten auf die Zielsetzung hin, mittels einer Manipulation des Status von West-Berlin der Teilstadt eine Isolierung vom Westen aufzunötigen, die künftig der UdSSR und der DDR entscheidende Ein-wirkungsmöglichkeiten eröffnen könnte. Eine derartige Absicht läßt sich nicht mit Buchstaben und Geist des Viermächte-Abkommens in Einklang bringen. Ob die sowjetische Führung mit diesem Vorgehen langfristig auf ihre Kosten kommt, ist zweifelhaft. Denn wenn die sowjetische Seite eine Verminderung der politischen Spannungen und eine Zunahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern — und nicht zuletzt mit den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland — erreichen will, dann können Spannungen um Berlin nur hinderlich sein.
Sollte im Verhältnis zum Westen statt Konzilianz und Verständigung latenter Druck auf West-Berlin als Anreiz zur Kooperation mit dem Osten eingesetzt werden, so verspricht dies höchstens vorübergehenden Erfolg, der, wie die Leiter der sowjetischen Politik in der Nachkriegsgeschichte wiederholt erfahren mußten, dann nur allzu leicht auf Kosten des dauerhaften Zusammenwirkens geht.