Bedingungen entwicklungspolitischer Sensibilisierung ")
I. Krisentendenzen?
Für den Alltag der Menschen in unserer Gesellschaft scheint ein Ereignis, das viele einmal tief schockiert hat, zum modernen Märchen vom bösen Zauberer zu werden: Es waren einmal Ölprinzen aus dem Morgenlande, die sorgten in ihrer Bosheit dafür, daß in der Bundesrepublik die Autos stillstanden und daß Gefahr drohte, man könne die gewohnte Zimmertemperatur nicht mehr halten. Da stan-den Propheten auf im Lande und predigten: Tuet Buße, kehret um! Leistet Verzicht auf grenzenloses Wachstum, drosselt eure Konsumgelüste und ändert eure Erwartungshaltungen.
Diese böse Geschichte hat zwei Aspekte gehabt: Zum einen gab es einen Wirklich-keitsschock in der Ölpreiskrise zum anderen einen Wissensschock durch Publikationen wie „Grenzen des Wachstums" oder „Die Menschheit am Wendepunkt". Die alarmierenden Studien zeugten eine Menge Folgeliteratur, die teilweise den Charakter von Horrorgeschichten annahm und das ganze Genre negativer Utopien durchspielte: Robert L. Heilbroner antwortete — indem er gegenüber früheren Erwartungen eine ziemliche Kehrtwendung machte — auf die selbstgestellte Frage, ob wir uns die Zukunft anders denn als Fortsetzung von Dunkelheit, Grausamkeit und Unordnung der Vergangenheit vorstellen könnten, mit „Nein"; „und auf die Frage, ob noch Schlimmeres bevorsteht, müssen wir sagen: ja"
Für die vorgestellte Lage wurden und werden Anleitungen produziert, Rezeptwissen für das individuelle Verhalten wie für die Steuerung der Gesamtgesellschaft. B. F. Skinner beispielsweise empfiehlt eine Sozialtechnologie für das Sichabfinden mit der Lage „jenseits von Freiheit und Würde"; daneben gibt es nicht nur gutgemeinte, sondern auch durchaus plausible moralische Programme für den Hausgebrauch Mit geradezu wütender Gegnerschaft gegenüber dem wachstumsorientierten Industriesystem und in ruheloser Diskussion von Alterhativen kommt Ivan Illich bislang nur zu einer gewissen Bevorzugung von Selbstbegrenzung, die „Konvivialität“ möglich macht, während Wolfgang Harich — in Verehrung des Führers der „Verschwörung der Gleichen", Gracchus Babeuf, — nur noch an ein „umfassendes System rationierter Verteilung" glauben kann
Es ist anzunehmen, daß es unterschwellig eine verbreitete Angst im Blick auf die so beschriebene Zukunft gibt, eine Angst, die durch Klassen und Systeme teilweise hindurchgeht. Darauf zielen wohl Erhards Epplers Bemerkungen zur „Krise der Hoffnung": „.. . während die Bundesrepublik ökonomisch bislang weniger als andere Industriestaaten getroffen wurde, scheint sie psychologisch eher stärker betroffen zu sein" Dem widerspricht nicht, daß an der Oberfläche bislang nur erhebbar ist, daß die Menschen eher noch unwilliger geworden sind, wirtschaftliche Eigeninteressen in größeren, schließlich globalen Zusammenhängen zu problematisieren: Entwicklungspolitik z. B. wird nicht als politisches Handeln im Blick auf die eigene Zukunft mit anderen verstanden, sondern als ärgerliche Tatsache, bestenfalls als Zeugnis eigener Großzügigkeit und Überlegenheit. Ohne große Ableitungen über kollektive Verdrängungsprozesse heranziehen zu können, muß man davon ausgehen, daß die Angst mit einem erheblichen Potential für irrationale Reaktionen verbunden ist.
Resignativ stellt das Memorandum der Gemeinsamen Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen zur UNCTADIV 1976 in Nairobi fest: „Eine neue Zusammenarbeit zwischen Entwicklungs-und Industrieländern kann nur erfolgreich sein, wenn die notwendigen Änderungen der wirtschaftlichen Strukturen, der politischen Prioritäten und auch des persönlichen und Gruppenverhaltens von der Mehrheit der Bevölkerung in unserer Gesellschaft akzeptiert werden. Gegenwärtig scheint das allgemeine Bewußtsein bei uns in dieser Hinsicht noch immer . unterentwickelt'zu sein. Die Entwicklungspolitik gehört nicht zu jenen Bereichen, in denen ein entsprechendes Wahlverhalten der Bevölkerung Druck auf politische Parteien und Regierung ausüben könnte." Entsprechend geringe Erwartungen artikulierte Egon Bahr bei der Übernahme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit: „Ich kann kein positives Image für die Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit schaffen. Aber ich kann das Thema neutralisieren."
Politische Parteien, Regierungen und politische „Lager" bieten vielfach den Untergrund für die verbreitete Stimmung gegen die Überwindung nationaler Eigeninteressen, und das nicht nur, weil Regierbarkeit weiterhin auch abhängig ist von Abgrenzung. Offensichtlich ist, daß dem Handeln der kapitalistischen Länder weiterhin ein Systemvertrauen darauf zugrunde liegt, daß die im System erzeugten kritischen Lagen durch weitere Leistungen des Systems selbst behoben werden können. Denen, die Krisentendenzen im System oder gar eine Krise des Gesamtsystems diagnostizieren zu können glauben, wird „Krisengerede" vorgeworfen, das erst herstellen solle, was gar nicht vorhanden sei Dabei scheint Systemvertrauen — im Blick auf die erfolgreiche Steuerung der Gesamtgesellschaft im globalen Zusammenhang — auch die Anstrengungen der staatssozialistischen Länder zu prägen, wenigstens in der propagierten Ideologie. So schreibt selbst Jürgen Kuczynski in einer Kritik der Theorien des Null-Wachstums, daß. z. B. die Rohstoffrage für die Länder des realen Sozialismus zwar eine Ärgerlichkeit sei, aber kein fundamentales Problem: „Das heißt, alle Probleme, die die Autoren (der . Grenzen des Wachstums'u. a.; F. W. M.) als . fundamentale Weltprobleme'aufgerollt haben, sind in den sozialistischen Ländern heute entweder überhaupt keine Probleme oder solche, die im Laufe der Zeit gelöst werden. In einer sozialistischen Welt, in der der Sozialismus überall gesiegt haben wird, werden sie alle schnell gelöst sein."
Erlauben aber die Problemlösungskapazitäten beider Gesellschaftssysteme solch starke Aussagen? Flat die berechtigte Kritik an den Weltmodellen von Forrester und Meadows, aber auch an den schon differenzierteren von Mesarovic und Pestel die Feststellung lebensbedrohender Krisentendenzen als übertrieben erwiesen? Hat insbesondere die Einsicht, daß Globalstudien dieser Art als Disziplinierungsmittel für die Dritte Welt taugen und auch eingesetzt wurden, die Problematik der Entwicklung als eines weltweiten Prozesses auf-gelöst? Hat sich die Lage wieder „entkrampft“ oder ist weiter davon auszugehen, daß in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts eine fundamentale Zäsur stattfindet, durch die ein neuer epochaler Trend eingeleitet wird?
Eine Art Schwellenbewußtsein’ begegnet uns gegenwärtig in vielfachen Ausformungen, nachdem das Strohfeuer eilfertiger Äußerungen herabgebrannt ist: In seinem überaus erfolgreichen (was sagt hier ein Bucherfolg?) Buch „Ein Planet wird geplündert" schreibt Herbert Gruhl: „Dieses Buch ist die Antwort eines Politikers auf die Herausforderungen einer weltgeschichtlichen Situation, die es noch nie gab, solange Menschen auf diesem Plane-ten leben. Insofern lassen sich auch keine ähnlichen Krisen aus der Geschichte heranziehen, um daraus Lehren für die weitere Entwicklung zu ziehen." Ralf Dahrendorf spricht von einem historischen Themenwechsel, dessen Ansätze in der Energiekrise von 1973 gebündelt und bewußt geworden seien;
er bezeichnet den historischen Wechsel als den von der Expansion zur Melioration (vom Wachstum zur qualitativen Verbesserung). Erhard Eppler formuliert: „Wir müssen erst einmal begreifen, daß wir an einem historischen Wendepunkt stehen: von einem Zeitalter der Grenzüberwindung zu einem Zeitalter der Grenzbestimmung, von einem Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten zu einem der möglichen Begrenzungen, von einem Zeitalter partiellen Überflusses zu einem Zeitalter, wo wir erkennen, was überflüssig ist."
Zufällig handelt es sich bei den zitierten Autoren um Repräsentanten der drei im Bundestag vertretenen Parteien (zufällig deshalb, weil man nicht sagen kann, ihr Problembewußtsein sei Allgemeingut der bundesrepublikanischen Volksvertreter; jeder von ihnen hatte in seiner Partei Schwierigkeiten). Aus welchen Motivlagen auch immer diese sich ankündigende Grundübereinstimmung entstanden ist — es wäre töricht, sie mit einer Verschwörertheorie der bürgerlichen Parteien abzuwerten.
Entwicklungspolitische Sensibilisierung sollte von diesem Basis-Konsens über die „Unteilbarkeit der Entwicklung der ganzen Welt"
(Peter/Hauser) ausgehen sie muß aber die Gefahr, daß mit Hilfe einschüchternder Lagebeschreibungen sozio-politische Fügungsstrukturen durchgesetzt werden sollen, in ihr Kalkül mit aufnehmen. Das bedeutet, daß sie nicht als Weckung von Bewußtsein bei sozialpolitisch Starken für die „ganz anderen" Probleme sozial Schwacher konzipiert werden darf, sondern als Aktivierung und Mobilisierung für die kritische Lage der Menschheit. Dies soll nicht aus-, sondern einschließen, daß der jeweils „richtige" Entwicklungspfad nicht vorgeschrieben bzw. erpreßt, sondern in einem Prozeß möglichst umfassender Beteiligung der Betroffenen selbstbestimmt (authentisch)
gewählt werden kann
II. Sensibilisierung für die Lage der Menschheit?
Entwicklungspolitische Sensibilisierung soll also vorgestellt werden als Prozeß in sozialen Einheiten (welche Einheiten gemeint sind, wird noch unter dem Stichwort „Adressaten" zu verhandeln sein), wobei die globale Lage als letzter Bezugsrahmen gilt. Die Erde kommt als konkrete (nicht nur gedachte, entworfene) Einheit in den Blick — nicht mehr, nicht weniger.
Nicht mehr: Es wird davon ausgegangen, daß es derzeit und auf absehbare Zeit keine nennenswerten außerirdischen Hilfsmittel zur Lösung von Problemen der Menschheit gibt Nicht weniger: Die Probleme, für die sensibilisiert werden soll, sind die der Menschheit, selbst wenn sie in ganz kleinen Einheiten „verarbeitet" werden müssen. Das Problem entwicklungspolitischer Sensibilisierung kann geradezu definiert werden als eine didaktische' Aufgabe, wieweit umfangreiche, den Alltag scheinbar nicht betreffende Probleme in teilweise sehr kleine Dimensionen vermittelt werden können.
Auf verschiedenen Ebenen der Argumentation wird nun bestritten, daß es notwendig, ja, daß es möglich sei, „Weltweites" auf folgenreiche Weise an die Menschen in ihrer Alltagswelt heranzubringen. Der Bezug des moralischen Bewußtseins auf die Menschheit insgesamt — so wird behauptet — sei immer eine fromme (im Christentum eine mehr verzweifelt als wirkungsvoll festgehaltene) Selbsttäuchung gewesen, internationale Solidarität werde häufig zur Verschleierung ganz anderer Interessen benutzt. Der Sozialphilosoph Arnold Gehlen meinte daher, man müsse den Solidaritätskomplex strikt innerhalb der Familienorganisationen lokalisieren. Würden das Sippen-Ethos bzw. die Verhaltensregulationen über die Großfamilie hinaus ausgedehnt und entdifferenziert, so entstehe „eine Art abstrakter Familiarität", die nicht mehr organisierbar sei Als Folge einer Ausdehnung des Adressatenkreises von der (familiären) Solidarität auf die „Menschheit" unter der „Ideologie von der substanziellen Gleichheit aller Menschen" erwartet er gerade ein zunehmendes Verblassen von Verpflichtungsgehalten, eine Hemmung unterscheidender Rechte gegenüber anderen Gruppen. Das wiederum müsse schließlich en-den in der „Vorherrschaft des zahlenstärksten Volkes kraft seiner biologischen Mächtigkeit". Gehlen sieht zumindest der Alleinherrschaft dieses Ethos solange mit Besorgnis entgegen, „als es keine Weltgesellschaft in einem Weltstaat gibt und es daher noch offenbleibt, welcher Kontinent einmal seine Eigeninteressen als die der Menschheit ausgeben wird" Gehlen hält die Bundesrepublik — in seiner Sicht eine politisch ohnmächtige Ge-Seilschaft — für den Ort einer sehr hörbaren Propaganda dieser überspannten humanitaristischen Weltbürgergesinnung und konnte sich besser im Bemühen des russischen und chinesischen Kommunismus „um die eigentlich politischen Tugenden" wiederfinden
Daß die Gesellschaft „dem Handeln des einzelnen gar nicht zugänglich" sei davon geht auch der systemtheoretisch orientierte Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann aus. Er stellt die Möglichkeit und Notwendigkeit in Frage, sich für eine Steuerung weltgesellschaftlicher Probleme noch auf normative Mechanismen beziehen zu können, zumal wenn diese von der Motivation einzelner oder von Gruppen abhängig sind. Ganz im Sinne Gehlens hält er Politik für nach wie vor darauf angewiesen, den benötigten (regionalen) Konsens aus „Gefahren", Frontenbildungen und Interessengegensätzen zu gewinnen, die eigene soziale Lage also in bezug auf Grenzen zwischen Menschen zu stabilisieren. Für Luhmann vermag das umfassende Sozialsystem „Weltgesellschaft" vor allem durch kognitive Mechanismen wechselseitiger Anpassung integriert werden: durch Wissenschaft und Technologie, Wirtschaft, öffentliche Kommunikation oder internationale Verhandlungen Diese Mechanismen können oder müssen sogar abgekoppelt werden davon, was die Menschen der beteiligten Gesellschaften unvermittelt denken und fühlen.
Die theoretischen Positionen von Gehlen und Luhmann wurden angedeutet, weil sie zum einen in vielschichtigen Vermittlungen Wirkung zeitigen, wobei die Verdünnung der Gedanken den Wirkungen keinen Abbruch tut; zum anderen sind sie selbst schon die Theoretisierung verbreiteter Überzeugungen, die durch die theoretische Formulierung den Anschein unumstößlicher Gesetzmäßigkeit erlangen. Die Ausformulierungen dieser Standpunkte schaffen entlastende Rechtfertigungen für den Verzicht von einzelnen oder Gruppen auf Anstrengungen in Richtung einer Beteiligung an „großer Politik", entmutigen den, der sich noch Chancen einer Mitsprache und Mitwirkung ausgerechnet hat. Als Beschreibung breiter gesellschaftlicher Praxis ist es ja nicht falsch, festzustellen, daß sich die Menschen überwiegend mit den Abziehbildern weltweiter Ereignisse anfüllen, aber die nähere Umgebung mit ihren Vorgängen nicht verstehen; daß sie vor den Bruchstücken der „großen Lage" nur abstumpfen können oder sich entrüsten — allenfalls „leidenschaftlich gefühlsgereizt, aber tatenarm" Und die Tagespolitik rechnet durchaus damit, daß sich Zustimmung eher durch „Gefahren", Polarisierungen und Ausspielen von Interessengegensätzen „im nationalen Interesse" als durch „Zugeständnisse"
erreichen läßt: „Daß es eine Solidarität mit den Leidenden geben könnte, die über Staatsgrenzen hinausreicht, gilt immer noch als , Ideologie', daß es keine geben könne, als Realismus."
Die Möglichkeit und Notwendigkeit — auch das anfängliche Gelingen — solcher Solidarität voraussetzend, haben auch Oskar Negt und A. Kluge in einer (Selbst-) Kritik der „Neuen Linken" festgestellt, daß in der Studentenbewegung die Wechselwirkung zwischen unmittelbarer und vermittelter Erfahrung nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Für Bevölkerungsmehrheiten seien weltgeschichtliche Zusammenhänge nur zu jener abstrakten Gegenwärtigkeit gelangt, wie sie die Massenmedien in der zusammenhanglosen Vorstellung von Ereignissen bewirke (eben zu jener Abziehbild-Erfahrung Gehlens, die eine Form der Verhinderung auch mittelbarer Erfahrung ist). Diese abstrakte Gegenwart aber „stieß auf bereits formulierte politische und moralische Haltungen und Bewertungen, die Ausdruck der Erfahrung der Aussichtslosigkeit konkreter politischer Einflußnahme auf das System waren" Langsam erst wuchs die Einsicht, daß das Begreifen einer Totalität in mittelbarer Erfahrung nur praktisch werden kann, wenn sie in den Lernrhythmus unmittelbarer Erfahrung einbezogen wird. Die unterschiedliche, aber in der Miserabilität gleiche Lage der Länder der Dritten Welt und deren Verflechtung mit der eigenen kann also bei Mehrheiten nicht durch moralische Appelle und politische Wertabstraktionen einsichtig und herausfordernd gemacht werden.
Die Aufmerksamkeit wird nach diesen Einwänden auf soziale Einheiten und Prozesse gelenkt, die als Zwischenglieder einer Vermittlung von Alltagserfahrung und moralischpolitischem Globalbewußtsein dienen können. Es soll weiter festgehalten werden dar-an, daß die Vermittlung sich nicht (allein) auf gesellschaftliche Eliten oder gar auf subjektlose Prozesse beziehen sollte, sondern Be-völkerungsmehrheiten im Auge hat. Wenn gesellschaftliche Wirklichkeit als von Menschen gemachte anzusehen ist, dann können die zitierten Vorstellungen zwar zur Vorsicht und Sorgfalt mahnen, nicht aber den Entwurf einer auf Mehrheiten abgestützten politischen Aktivierung und Mobilisierung von vornherein unter den Bann der Vergeblichkeit stellen. Entwicklungspolitische Sensibilisierung wird daher vorläufig verstanden als das Bewirken handlungsorientierender Betroffenheit von der globalen Lage bei Bevölkerungsmehr-heiten, die objektiv von dieser Lage immer schon betroffen sind.
III. Wer soll entwicklungspolitisch sensibilisiert werden?
Gerade wenn man das über die Krisentendenzen und die Bestimmung der globalen Lage als Bezugsrahmen Gesagte ernst nimmt, leuchtet es nicht unbedingt ein, Bevölkerungsmehrheiten als Adressaten entwicklungspolitischer Sensibilisierung anzuzielen. Skinners Präparierung der Individuen zur Einfügung in die , kulturellen Kanäle'oder Harichs drakonische Verteilungsdiktatur scheinen — je zutreffender die politischen Diagnosen sind __ aussichtsreicher für die notwendigen Korrekturen des Bewußtseins zu sein. Niemand kann aber letztverbindlich sagen, was das Aussichtsreichste in der gegenwärtigen Lage ist; das Projekt entwicklungspolitischer Sensibili-sierung muß mit langen Sequenzen im lebensgeschichtlichen Wandel von Menschen, mit ihrer kulturellen und sozialen Geschichte rechnen. An den Dingen, für die die Zeit drängt bzw. bei denen kaum mehr etwas zu helfen ist, kann sie in keinem Falle noch etwas ändern. Von einem Satz wie dem: „Die Verschiebung einer . drastischen Bevölkerungspolitik'in Südasien von 1990 auf 1995 würde — da die Lebensgrundlagen fehlen — den Tod von 170 Millionen Kindern bewirken" könnten sich Änderungswillige entmutigt fühlen. Wäre es für das überhaupt noch Mögliche gleichwohl nicht besser, sich mit dem Programm der Sensibilisierung an Eliten, an vordefinierte Entscheidungs-und Handlungsträ. ger, nicht aber an Entscheidungsbetroffene zu wenden? Die Bevorzugung von Bevölkerungsmehrheiten muß also noch genauer begründet werden, was dadurch geschehen kann, daß man sowohl nach der größeren Effektivität wie der Legitimation der Eliten fragt, die hier zur Debatte stehen können.
Die gegenüber einer Sensibilisierung vermutlich widerständigsten Eliten dürften jene sein, die — in welcher Form immer — vom gegenwärtigen Stand der Beziehungen zwischen Metropolen und Peripherie und vom Verhältnis der Mehrheiten zueinander profitieren. Gemeint sind damit vor allem jene Träger des Wachstumsmythos, für die ökonomische Produktivität und technische Rationalität beherrschend sind. Peter L. Berger spricht im Hinblick auf sie von einem „Praxismaterialismus" Ihre ausdrückliche Ablehnung als alleinige „Adressaten" und „Multiplikatoren" erscheint allerdings nicht mehr so willkürlich, wenn man bestimmte Äußerungen über ihre „Verantwortung" zur Kenntnis nimmt Jenseits ideologischer Unterschiede verbindet die technischen und wirtschaftlichen Eliten in kapitalistischen, staatssozialistischen und unterentwickelten Ländern eine „praxismaterialistische" Orientierung. Solche Eliten neigen dazu, sich gleichsam „oberhalb" von Konsensformungsprozessen vor allem auf der Grundlage technischer und wirtschaftlicher Prozesse zu arrangieren. (Konsensformung meint „aufwärtsgerichtete", die „Basis" einbeziehende Prozesse, durch die die Übereinstimmung von Zielen, Mitteln und Prioritäten in der Politik erhöht wird
Bei diesen Eliten des Geldes und des technischen Wissens ist — im Sinne unseres Konzepts — eher eine Gegenbewegung erwartbar, eine Erhöhung der Wahrnehmungsund Handlungsbereitschaften gegen Sensibilisierungsprozesse, zumal wenn sie die ökonomische Produktivität und technische Rationalisierung in Frage stellen. Unterstützung finden sie bei Meinungsführern von Medien, die die gleichen Grundüberzeugungen teilen. In einem Leitartikel der FAZ schreibt zum Beispiel E. -O. Maetzke, Entwicklungspolitik reduziere sich letztlich auf „die Geldhergabe für irgendwelche Dritte"; Sinn habe sie, wenn sie dazu beitrage, „der deutschen Politik über die Run-den zu helfen, beispielsweise im Blick auf die Energie-und Rohstoffversorgung"
Man kann also sehr direkt sagen: Die Manager eines multinationalen Konzerns und dieser Konzern als Akteur sind keine Adressaten für Sensibilisierung und Aktivierung. Denn selbst wenn sie ihrem Programm nach, ja selbst wenn sie faktisch „zum Wohle der Menschheit" arbeiteten, würde dieses vom Verfahren her unserem Projekt nicht weiterhelfen, denn jene Arbeit geschieht abgekoppelt von Konsensformungsprozessen. Solche Aussage über ökonomische und technische Eliten schließt nicht aus, daß sich von dieser Elite distanzierende einzelne oder Gruppen wichtige Signalfunktionen für Sensibilisierung übernehmen können Es geht dann aber eben eine Abkehr von der „praxismaterialistischen Orientierung" voraus. Entsprechend der Kritik an formaldemokratischen Verfahren überhaupt ergeben sich auch Einwände gegen eine Bestimmung der politischen Eliten, auch der multi-und internationalen, als vorzügliche Adressaten Gegen diese Zielgruppe seien folgende Argumente angeführt:
— Der Staat handelt — auch für den Durchschnittsbürger zuweilen erkennbar — unter dem „Postulat der Unwissenheit" Oft ist in Situationen zu handeln, die chronische Mängel an Analyse, Interpretation und Vorhersage aufweisen. Das letzte ist für die in Rede stehende Problematik besonders schwerwiegend, weil sie definitionsgemäß „zukunftsweisend" ist: Es ergibt sich notwendig zuzeiten eine verhängnisvolle Entsprechung zu der Anleitung „Kauf'heute, zahl'später". Die plausible Empfehlung, nur solche politischen Entscheidungen zu treffen, durch die keine negativen Folgen erwartbar sind, bleibt weitgehend ein frommer und einseitiger Wunsch, weil sich über die vermutlichen Grenzen von Politik und ihren jeweils wahrscheinlichen Preis wiederum kaum Einigkeit erzielen läßt und überdies auch Nichthandeln verhängnisvoll sein kann. Für Politiker, die zu die Tages-und Parteipolitik übergreifenden Überlegungen befähigt sind, ist diese Knappheit an Information und Zeit eine bedrückende Dauererfahrung
— Verstärkend kommt das Eigeninteresse jeder Regierung hinzu. So erklärt Erhard Eppler, in den Industrieländern verbreite der Verlust von einer Million Wählerstimmen bei Regierung wie Opposition mehr Schrecken als der Hungertod von einer Million Menschen in Südasien. Es werde überall nur das getan, was die Machtverhältnisse zu erlauben oder zu gebieten scheinen, nicht, was die Zukunft der Menschen sichert: „. . . die Energien einer Regierung wenden sich um so weniger den Zukunftsaufgaben zu, je dringender dies geboten wäre" — Entwicklungshilfe ist in der staatlichen Politik ein ausgesprochenes Seitenthema Diskussionen um die Auflösung eines eigenen Ministeriums für diese Aufgaben bei Regierungsbildungen und -Umbildungen, um die Übernahme seiner Aufgaben durch die Ministerien für Wirtschaft und/oder Äußeres zeigen an, daß Entwicklungshilfe überwiegend als abhängige Variable der politischen Zentralthemen gewertet wird. Demgegenüber muß das Konzept entwicklungspolitischei Sensibilisierung jedoch von einer Umwertung ausgehen, wie sie Erhard Eppler verlangt: „Erst wenn Entwicklungspolitik eine Dimension unserer Rohstoff-, Energie-, Agrar-, Handels-und Strukturpolitik, ja sogar unserer Forschungspolitik und unserer Einkommenspolitik wird, kann Entwicklungshilfe mehr sein als ein Ablaßpfennig zur Beruhigung des eigenen mehr oder minder schlechten Gewissens." 34) — Die staatliche Entwicklungspolitik knüpft mehr oder weniger entschieden am technologischen und ökonomischen Eigeninteresse un-serer Gesellschaft an, wie es von Experten definiert wird. Dieses Eigeninteresse orientiert sich an der Leistungsfähigkeit und Konkurrenz gesamtgesellschaftlicher Akteure, unterstellt immer noch einen weitgehend funktionierenden Marktmechanismus und hält alle Leistungen für konjunkturabhängig. Zwar wird auch unser Projekt von der Annahme bestimmt, es sei bei der Sensibilisierung auszugehen von den Bedürfnissen und Eigeninteressen, meint damit aber die der konkret existierenden Menschen in ihrer Alltagswelt, nicht die der gesellschaftlichen Makro-Akteure 35).
Wirtschaftliche und professionell-politische Eliten sollen damit als Adressaten von Sensibilisierung nicht schlechthin abgelehnt werden. Da ihre besondere und so eben nicht verallgemeinerungsfähige Interessenlage jedoch dem Ziel universaler sozialer Gerechtigkeit widerstreitet, müssen sie zumindest selbst in den Prozeß der Konsensformung eintreten. Die Vertretung der Interessen der Dritten Welt kann sonst nur durch Zufall dann zu ihrem Programm werden, wenn sie mit den eigenen Interessen übereinstimmt (natürlich ist der Fall denkbar, daß sich ein Konzern mit der Bevölkerung etwa gegen die nationale Oberschicht zu verbünden versucht).
Aus strukturellen Erwägungen ist ähnliches auch anzunehmen für jene Experten, die das gesamtgesellschaftlich, verfügbare Grundlagenwissen über das Problem makrostruktureller Entwicklung produzieren. Offenkundig ist dies für jene apologetische bzw. affirmative Forschung, die Herrschafts-und Rezeptwissen für aller Art „Eindämmungsstrategien" gegen die Ansprüche der unterentwickelten Gesellschaften produziert. Gegenüber aller Wissens-produktion in diesem Bereich läßt sich Bergers Postulat des „kognitiven Respekts" anwenden, das auch ein Erbteil von gewissen Ansätzen der Ethnologie und Kulturanthropologie ist Dieser Respekt erwächst aus der Einsicht, daß jeder Mensch als Experte seiner Alltagswelt gelten kann und Skepsis angebracht ist, wenn ein Außenstehender behauptet, ein überlegenes Wissen über die Welt eines in ihr Lebenden zu haben: „Im Bereich der Entwicklungspolitik häufen sich die Fälle, in denen kostspieliges Unheil zu vermeiden gewesen wäre, hätten die politisch Verantwortlichen weniger auf die von außen heran-geholten Experten gehört •— und entsprechend mehr auf das, was die Betroffenen zu sagen gehabt hätten."
Dieses erkenntnisleitende Postulat wird von Berger durch das politische nach „kognitiver Mitbestimmung" ergänzt, die ausgeht von der „Fähigkeit derjenigen, auf die eine Politik abzielt, an den zu treffenden Entscheidungen mitzuwirken". Wiederum auf die Entwicklungspolitik angewandt, fordert er als Minimum „Respekt vor der Vielfalt und vor der Wesensart traditioneller Wirklichkeitsauffassungen" Ob solche Zurückhaltung jedoch zu einer Politik der radikalen Nicht-Einmischung führen sollte oder überhaupt kann, muß man bezweifeln; denn z. B. Hilfe beim Widerstand gegen bloße Modernisierung könnte erwünscht und zu rechtfertigen sein
Von dem Gesagten her verbietet sich auch, an den Doppeladressaten Forschungsautorität (bei uns zumeist die Elite von Hochschule und Instituten) und Kontrollautorität (politische Elite) zu denken. Die Praxis anwendungsorientierter Wissenschaft lehrt, daß Experten, die Grundlagenforschung für die Suche nach politischen Alternativen treiben, sich von Interessen nicht freihalten können;
ebenso sind Politiker geneigt, die jeweils „passende" Expertise einzuholen: „Zum Thema der Gefährlichkeit von Kernkraftwerken kann sich der Politiker heute jede Art von wissenschaftlichem Gutachten bestellen, weil er im voraus weiß, welcher Wissenschaftler welche Meinung vertritt." Diese Möglichkeiten setzen bei beiden Partnern nicht von vornherein Korruption von Wissen oder von Macht voraus, sondern deuten auf die unauflösbare Verwobenheit von Realitätsprüfung und -bewertung hin.
Angesichts der Mechanismen von staatlicher Forschungsförderung und wissenschaftlicher Politikberatung bildet sich auch häufig ein Problemkonformismus aus, der Blindheit für fruchtbare Alternativen erzeugt und Kontrollmechanismen ausschaltet. Bevorzugt werden positivistische Wissenschaftler oder jedenfalls solche, die „Handfestes" für das politische Management bieten; Zukunftsforscher werden leicht als Sonntagsredner eingestuft (und auch wohl eingesetzt). „Theoretiker mit Zweifeln und Politiker mit Skrupeln" (Berger) haben zumeist einen schweren Stand.
Die Folgediskussionen und -entwicklungen der Studentenbewegung lassen es geraten erscheinen, auch die Intellektuellen und die aktiven Teile der Studentenschaft nicht exklusiv als Kern einer Sensibilisierungs-Strategie anzusehen. Selbst wenn man ihnen die Funktion gesellschaftlicher Fundamentalkritik zutraut, sie von ihnen erwartet und in verschiedenen Situationen auch im Blick auf unser Thema bewährt findet, ist ihr Status zu labil und machtlos, um darauf allein die beabsichtigte Mobilisierung und Aktivierung zu bau-en. Ihnen gelingt es im günstigen Fall, Themen gesamtgesellschaftlich einzuführen und wachzuhalten, die das Ensemble der für selbstverständlich gehaltenen Grundannahmen in Frage stellen. Im Zusammenhang einer politischen Ästhetik trifft Ähnliches auch für künstlerische Kritik zu.
Die Durchsicht möglicher Adressaten entwicklungspolitischer Sensibilisierung ergibt also bislang: Den Eliten des Geldes, der Macht und des Wissens ist in einem Konzept entwicklungspolitischer Sensibilisierung zwar Rechnung zu tragen, sie können in dieses Konzept aber nicht als die hauptsächlichen Adressaten eingeführt werden.
Die Frage nach den Adressaten entwicklungspolitischer Sensibilisierung ist nur scheinbar verknüpft mit der geschichtsphilosophischen nach dem „Subjekt der Geschichte", im Marxismus der nach dem „revolutionären Subjekt" und zwar deshalb, weil Sensibilisierung nicht ausgehen darf von einer Subjekt-Objekt-Spaltung in dem Sinne, daß eine klare Scheidung in Sensibilisierende und zu Sensibilisierende möglich und wünschenswert ist. Wenn es richtig ist, daß Sensibilität erst hergestellt werden muß, diese Sensibilität also zunächst und zumeist nicht da ist, so betrifft diese Aussage die gesellschaftliche Gesamtheit.
Im Verlauf eines solchen Prozesses kann man versuchen, Stufen der Sensibilisierung herauszubilden und von daher Chancen weiterer Sensibilisierung abzuschätzen.
Durch ein Ausschlußverfahren wurden bis-lang Elite-Minderheiten als primäre Adressaten von Sensibilisierung verneint; ein solches Verfahren muß sich nun auch erstrecken auf Differenzierungen im Begriff „Bevölkerungsmehrheiten“.
Bevölkerungsmehrheiten in hochkomplexen Gesellschaften begegnen nicht als „Volk";
der Begriff führt in die Irre. Nicht nur spricht dagegen der „demagogische" Gebrauch, der von diesem Begriff unter dem Nationalsozialismus gemacht wurde und der jetzt — natürlich teilweise unter ganz anderen Bedingungen — von kommunistischen Splittergruppen davon gemacht wird. In diesem Begriff wird eine Identität unterstellt, die es nicht gibt;
sein Gebrauch signalisiert dann oft einen Mangel an Realitätsprüfung Deutlich wird das vor allem auch, wenn man den möglichen Gebrauch des Begriffs in der Dritten Welt betrachtet.
Dort ergibt er Sinn zur Bezeichnung jener Mehrheiten, die ohne stärkere Differenzierung und Gruppenbildung zumeist kleinen politischen und gesellschaftlichen Eliten gegenüberstehen.
In solchen Zusammenhängen kann der Begriff einen normativen Klang erhalten, indem er das sich konstituierende Subjekt der Befreiung bezeichnet. Die Formel:
„Populismus gegen Elitismus" klingt in sol-chem Rahmen überzeugender Vergleichbares wäre zu sagen im Blick auf Begriffe wie „Masse", „Massenbasis" oder „Massenlinie". Sie unterstellen letztlich zum Schaden einer differenzierteren Betrachtungsweise unstrukturierte oder einheitlich zusammengefaßte Mengen von Menschen, die „unvermittelt" behandelt oder als handelnd behauptet werden Kritiken an der gedanklichen Übertragung des chinesischen Modells auf westliche Industriestaaten diskutieren diese unzulässige Verwendung.
Positiv sollen unter Bevölkerungsmehrheiten soziale Einheiten verstanden werden, die po-tentiell so viele gesellschaftliche Ressourcen mobilisieren können, daß sie gesamtgesellschaftlich Einfluß zu nehmen in der Lage sind. Der Einfluß muß also nicht bereits vorhanden sein (Sensibilisierung ist der Prozeß seiner Aktualisierung), sondern strukturell möglich (also nicht nur in den Wünschen und Programmen der Einheiten wirklich). Das bedeutet, daß die aktive Beteiligung der in jedem Fall passiv Beteiligten nicht nur als Zielvorstellung formuliert werden kann, sondern eine entsprechende Mittel-und Überleitungsstrategie ausgearbeitet werden muß
Bei der Bestimmung von Bevölkerungsmehrheiten ist also gedacht an ein „Netz" von Kleingruppen, Großgruppen bzw. Teilöffentlichkeiten der Gesellschaft, auf die sich die Eliten in unterschiedlich zugreifendem Maße beziehen. Die Wahrnehmung ihrer Bedürfnis-se und Interessen kann nicht als von vornherein durch diese Eliten gesichert gelten, weil die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen der Eliten nicht per se denen der Mehrheiten entsprechen. Zwar lassen sich Bedürfnisse und Interessen der Mehrheiten nicht von denen der Eliten abkoppeln, wenn sie für ihre Befriedigung und Wahrnehmung Ressourcen, Artikulierungshilfe und Durchsetzungskraft behalten wollen; unser Ansatz verlangt jedoch, daß alle „repräsentierenden", „symbolisierenden" oder „advokatorischen" Funktionen angeschlossen und prüfbar bleiben an Konsensformungsprozessen, an denen Mehrheiten beteiligt sind.
Konkrete Ansatzpunkte findet das Projekt entwicklungspolitischer Sensibilisierung bei all jenen, in deren Alltag sich der „historische Themenwechsel" ankündigt und die in unterschiedlicher Weise vorgreifen auf ein „anderes Leben", dabei aber den politischen Willen haben, „in die Poren der organisati-onsförmig geordneten Lebensbereiche" einzudringen
Um erwartbare Enttäuschungen zu vermeiden, muß man sich gegenwärtig halten, daß Ansätze entsprechender Verhaltensweisen bei Menschen zu finden sind, die sozusagen von Kindesbeinen an „tauschwertorientiert" erzogen wurden und zumindest in bestimmenden Teilbereichen ihrer Lebensführung den Überfluß mit Selbstverständlichkeit genießen und ihn für ihr Leben auch weiterhin voraussetzen. Die einschneidenden und kaum vorübergehenden Folgen der historischen Wende haben den Alltag auch der anfänglich Sensibilisierten nur in Ausläufern erreicht. Die Relativierung des kommerziellen Hedonismus muß noch geleistet werden, die dadurch möglich werdenden alternativen Wertorientierungen und Lebensweisen haben ihre entscheidende Bewährungsprobe noch vor sich; in solchen „mikropolitischen Erfahrungen” (H. v. Heutig) sind sie aber auch schon vorfindbar. In den „Räumen" dieser Erfahrungen müssen die „Graswurzeln" entwicklungspolitischer Sensibilisierung aufgesucht werden.