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Der Kampf um die Hochschulen oder Das Hochschulrahmengesetz - Guntram von schenck | APuZ 29/1976 | bpb.de

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APuZ 29/1976 Kritik an Deutschland Der Kampf um die Hochschulen oder Das Hochschulrahmengesetz - Guntram von schenck

Der Kampf um die Hochschulen oder Das Hochschulrahmengesetz - Guntram von schenck

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Zusammenfassung

Das am 27. Januar 1976 in Kraft getretene Hochschulrahmengesetz schließt eine jahrelange und mit äußerster Erbitterung geführte Diskussion um die Reform der deutschen Hochschulen fürs erste ab. Umstritten wie kaum ein anderes Gesetz der sozial-liberalen Koalition, stößt das Hochschulrahmengesetz an den Hochschulen auf Ablehnung und Kritik, wobei die Akzente von Professoren, Studenten und Mittelbau freilich unterschiedlich gesetzt werden. Die Entstehung des Gesetzes erhellt die Gründe, die zu dem Gesetz in der vorliegenden Form führten. Hochschulreform war in Deutschland immer mehr als eine Reform der Hochschulen im engeren Sinne. Stets waren gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge Auslöser und Bestimmungsfaktoren der Krisen der Hochschule gewesen. Auch die Diskussion um das Hochschulrahmengesetz macht davon keine Ausnahme. Die Verfechter des universitären Ansatzes einer Hochschulreform sahen die Chance, die anstehende Reform der Hochschulen zu antikapitalistischen Strukturreformen zu nutzen und in den Hochschulen eine neue Gesellschaft zu antizipieren. Ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Der alle Prognosen und Planungen übersteigende Massenansturm auf die Hochschulen und die damit verknüpften Kapazitätsprobleme machten sie ebenso unmöglich wie die mangelnde Absicherung des Konzepts im gesamtgesellschaftlichen Bereich. Der Bundesgesetzgeber vollzog letztlich nur Entscheidungen, die ohne sein Zutun bereits vorher, z. B. durch das Bundesverfassungsgericht, gefallen waren. Grund zur Resignation besteht allerdings nicht. Es wird darauf ankommen, die Möglichkeiten, die das Hochschulrahmengesetz entgegen aller Verteufelung bietet, zu nutzen.

Krisen der deutschen Universitäten waren stets mit gesamtgesellschaftlichen Krisen zusammengefallen. Die Erschütterungen der Französischen Revolution und die Existenzbedrohung Preußens durch die Heere Napoleons führten nach heftigen Auseinandersetzungen zur Gründung der Universität Berlin durch W. von Humboldt. Er schuf 1809 die neue Universität, die beispielgebend für die anderen Universitäten im deutschsprachigen Raum war. 1848 wurde die Revolution von dem erfolglosen Versuch begleitet, die Universitäten zu reformieren. Schließlich ist nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches in der Weimarer Republik mit einem gewissen Teilerfolg der Versuch der Neugestaltung unternommen worden.

Die Französische Revolution hatte den alten feudalen Staat zertrümmert und ungeheuere Energien freigesetzt. Anders als in Frankreich oder England war im Deutschland jener Tage das Bürgertum wirtschaftlich und sozial noch sehr schwach. Dennoch sind die Impulse, die von Frankreich ausgingen, in Deutschland aufgenommen worden, vor allem in der Philosophie. Auch wer anders als Georg Lukacs oder Ernst Bloch z. B. in der Philosophie des jungen Hegel keine Philosophie der Revolution zu sehen vermag, wird nicht umhin können, ihren die bürgerliche Freiheit atmenden Geist zu konstatieren. Insoweit antizipierte die deutsche Philosophie das bürgerliche Zeitalter. Die Berliner Universitätsgründung sollte im Sinne ihrer Befürworter (vor allem Fichtes) die Geburtsstätte einer neuen Gesellschaft, der bürgerlichen Gesellschaft werden.

Die deutsche Universität bis 1965

Bildung der Persönlichkeit durch Wissenschaft war das hehre Ziel der Ausbildung der Studenten, das der Universität Humboldts gesteckt war. Für wenige nur erreichbar, für die meisten eine leere Formel, sei solches Bildungserlebnis durch Wissenschaft einer jener glückhaften Momente im Leben eines jungen Menschen, der unvergessen bleibt und stets INHALT Die deutsche Universität bis 1965 Die Studentenrebellion und die Folgen Das Kapazitätsproblem und der Reform-ansatz der Kultusbürokratie Kritik der Reformansätze Der fehlerhafte Ansatz Leussinks Die Einengung des politischen Spielraums Der Gesetzentwurf Dohnanyis Gründe und Auswirkungen des Prioritätsverlustes der Bildungs-und Hochschulpolitik Die Verschiebung der Probleme im Hochschulbereich Die Regelungskomplexe des Hochschulrahmengesetzes Der Kampf geht weiter positiv nachwirkt. Die Wissenschaft — so die Überzeugung Humboldts und seiner Freunde — bilde auch den Charakter um. Wissenschaft wird daher als ständiger Prozeß des Mühens um Wahrheitserkenntins aufgefaßt, in den der Staat nicht eingreifen durfte. Der bürgerlich-liberalen Auffassung folgend betonte Humboldt, daß die Einmischung des Staates immer hinderlich sei und „daß die Sache an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde" Die absolute, uneingeschränkte Freiheit der Wissenschaft wird postuliert und gegen die gängelnden Gewalten Kirche und Staat verteidigt.

Aber Humboldt geht noch weiter. Er fordert vom Staat, daß dieser von den Universitäten nichts fordern dürfe, „was sich unmittelbar und geradezu auf ihn bezieht, sondern die innere Überzeugung haben (soll, d. Verf.), daß wenn sie ihren Endzweck (Förderung der Wissenschaft und Ausbildung der Studenten, d. Verf.) erreichen, sie auch seine Zwecke, und zwar von einem viel höheren Gesichtspunkte aus erfüllen, von einem, von dem sich viel mehr zusammenfassen läßt und ganz andere Kräfte und Hebel angebracht werden können, als er in Bewegung zu setzen vermag" Die Interessen der Gesellschaft sind Humboldt zufolge bei der Wissenschaft in einem höheren, vom Staat weder kritisierbaren noch zu beeinflussenden Sinne aufgehoben, die Wissenschaft setzt die Maßstäbe und ist Motor von Veränderungen, die auch den Staat betreffen.

Die institutionell gesicherte Autonomie der Hochschule ist die konsequente Folgerung im Konzept Humboldts. Politisch-praktisch ist er freilich ganz Kind seiner Zeit und als politischer Realist gezwungen, Abstriche zu machen und Kompromisse einzugehen. Dem Staat gesteht er das wesentliche Recht zu, die Professoren einzusetzen und gegebenenfalls die Meinungsvielfalt — heute würde man von Wissenschaftspluralismus reden — durch geeignete Ernennungen herzustellen. Hier ist er der Repräsentant einer fortschrittlichen Kultusbürokratie, der bestrebt ist, seine Reform gegen die beharrenden Elemente der alten Universitäten abzusichern.

Kompromißlos ist Humboldt in seiner Forderung nach einer scharfen Trennung von Universität und Schule. Der Staat darf die Universitäten weder als Gymnasien noch als Spezial-schulen behandeln. Auf der anderen Seite soll der Staat das Schulwesen so ordnen, daß es den wissenschaftlichen Hochschulen in die Hände arbeitet. Die Schulen sollen weder den Unterricht der Universitäten vorwegnehmen noch sollen die Hochschulen eine Art höhere Schulklasse sein. Die Schule soll den Zögling so auf die Universität vorbereiten, daß er sich an der Universität selbständig „zur Wissenschaft erhebt" Einer Verschulung der Hochschulen hat Humboldt also gewiß nicht das Wort geredet. Wenn aber heute noch das Abitur nur auf das Studium hinführt, ansonsten jedoch eine Sackgasse ist, so ist auch das ein Teil des Erbes von Humboldt.

Die Studentenrebellion und die Folgen

Bis in die Mitte der sechziger Jahre herrschte an den Universitäten und bei den verantwortlichen Politikern die Überzeugung vor, daß die deutsche Hochschule im Kern gesund sei. Gleichwohl war die Diskussion um eine Reform der Hochschulen seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr verstummt, doch konnte sie die Trägheitsmomente der alten Universität nicht überwinden und verpuffte wirkungslos in grauer Unlust. Bis dahin waren die Hochschulen nur in quantitativer Hinsicht ausgebaut worden; strukturelle Änderungen waren zwar erwogen, doch nicht ernstlich angepackt worden. Der Reform fehlte die Schub-kraft, der Motor, der feste und entschlossene Wille, aus der Summe der kleinen und größeren Mängel und Fehlentwicklungen die Konsequenz zu einer umfassenden Neuordnung zu ziehen.

Die Studentenrevolte, die 1966 in Berlin begann und sich in den folgenden Jahren über das ganze Bundesgebiet ausbreitete, veränderte die Landschaft grundlegend. Obwohl es sicherlich interessant wäre, den politischen, sozialen und sozialpsychologischen Gründen der studentischen Protestbewegung nachzugehen, muß hier darauf verzichtet werden. Nur soviel sei festgehalten: die Studentenrebellion hatte ihre Ursachen nicht nur im universitären Bereich. Sie war auch nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, sondern war in unterschiedlicher Ausprägung eine Erscheinung in fast allen westlichen Industrieländern. :

In der Bundesrepublik löste sie eine Veränderung der geistig-politischen Landschaft aus, die weit über die eigentliche studentische Szene hinausreichte. In der Literatur, in den Massenmedien, im gesamten kulturellen Bereich fand eine Neubesinnung und Neubestimmung der Werte statt, die man zutreffend als . Sinnkrise" bezeichnet hat. Die Renaissance des Marxismus in den Sozialwissenschaften und der Philosophie überraschte Kritiker und 'Altmarxisten in gleicher Weise. Politische Bedeutung erlangte die Neue Linke durch die Jugendorganisationen der SPD und FDP (Jusos und Judos).

Ausgegangen waren die Impulse vom SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, von dem sich die SPD 1961 getrennt hatte. Die Stoßrichtung war von Anfang an antikapitalistisch, theoretisch jedoch scharf vom orthodoxen Kommunismus Moskauer Prägung abgegrenzt. Ziel war die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik, wobei die Frage der Strategie weitgehend offen blieb. Im wesentlichen behielt der SDS, der unbestritten als Wortführer der Studentenrevolte auftrat, diese Position bis zu seiner Selbstauflösung und Spaltung im Jahre 1969 bei.

Die skizzenhafte Schilderung der ideologischen Position des SDS ist an dieser Stelle kein Zufall. Wie sich bei der Reform Humboldts gezeigt hat, geht eine Hochschulreform immer über den eigentlichen Hochschulbereich hinaus und begreift das Bild einer neuen Gesellschaft ein. Hochschulpolitisch forderte der SDS, in seinem Gefolge der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB) und andere studentische Hochschulgruppen, eine tiefgreifende Demokratisierung der Hochschule, wobei vielfach auch rätedemokratische Vorstellungen mit einflossen

Versucht man die in zahlreichen, heute kaum mehr zugänglichen Publikationen verstreuten hochschulpolitischen Forderungen und Auffassungen der Studentenbewegung jener Zeit in eine Gesamtschau zu bringen, so kann man sie überraschenderweise ohne grobe Verzerrungen unter das Motto „zurück zu Humboldt" fassen. Die Parallelität ist verblüffend. Wie bei Humboldt wird der Wissenschaft eine kritische, gesellschaftsverändernde Kraft zugeschrieben, wobei freilich nicht mehr die bürgerliche, sondern die sozialistische Gesellschaft als Ziel vor Augen steht. Die Universität ist der Ort, in dem die künftige Gesellschaft im Ansatz vorweggenommen ist und vorbereitet wird. Dazu bedarf die Universität der Autonomie, um sich jeglicher Einmischungsversuche des Staates oder der kapitalistisch strukturierten Gesellschaft erwehren zu können.

Die geistigen Mentoren und führenden Köpfe der Studentenbewegung haben sich in der hochschulpolitischen Diskussion bis etwa 1970 zum Teil ausdrücklich auf Humboldt berufen, um ihre Forderungen argumentativ abzustützen. Die Parallelität der grundlegenden Situation nach der Französischen Revolution in Preußen und die Lage in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in der Bundesrepublik war, wenn auch in den realen Gegebenheiten kaum oder gar nicht vorhanden, so doch unter Umständen antizipierbar. Die erste Krise des Wirtschaftssystems der Bundesrepublik in der Rezession 1966/67, die mit der sichtlichen Erschöpfung der bis dahin staatstragenden Parteien CDU und CSU zusammenfiel, hatte das grundlegende Sicherheitsgefühl erschüttert. Eine andere Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung war zumindest nicht mehr gänzlich ausgeschlossen. Insofern konnte eine neue, reformierte Universität, wie einst die Universität Humboldts, eventuell Elemente einer neuen, sozialistischen Gesellschaft vor-wegnehmen und ihr den Weg bereiten.

Doch nicht in allen Einzelheiten konnte Humboldt unbesehen als Vorbild übernommen werden. Die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, von Humboldt einst als hervorragendes Ferment der Entwicklung der Wissenschaften gepriesen, war unter den Bedingungen der modernen Massenuniversität auch dem Anspruch nach nicht mehr aufrechtzuerhalten. In dem Bereich der Lehre hatte sich sogar ein Interessengegensatz zwischen Hochschullehrern und Studenten entwickelt, der auf studentischer Seite in die Forderungen nach Studienreform und einer besseren, vielfach noch zu entwickelnden Hochschuldidaktik einmündete, wobei auf Mitsprache-und Mitbestimmungsrechte abgehoben wurde.

Die Spaltung und Auflösung des SDS im Jahre 1969 markiert einen neuen Abschnitt in der Studentenbewegung, die äls Motor der Hochschulreform ausfiel. Am folgenreichsten war sicherlich das Einströmen von Teilen der Studentenbewegung in die Parteiorganisationen von SPD und FDP. Der Verband der Jungso15 zialisten wurde 1970 von den Linken übernommen und erhielt einen Vorstand, der sich fast ausschließlich aus alten SHB-Kadern zusammensetzte. Der linke Flügel der SPD, der seit Verabschiedung des Godesberger Programms. 1959 ein Kümmerdasein gefristet hatte, erhielt durch das Bündnis von Alt-und Jungsozialisten neuen Auftrieb, der sich vor allem in einer theoretischen Neubesinnung der SPD, z. B. im Orientierungsrahmen, niederschlug. Bei den Jungdemokraten (Judos) war der Einfluß der Studentenbewegung schwächer, bei den Unionsparteien CDU und CSU wurde er von vornherein abgeblockt.

Es lag in der Natur der Sache, daß das Engagement von zahlreichen Neumitgliedern in der SPD und FDP, die sich selbst noch in der Hochschule oder anderen Bildungseinrichtungen in der Ausbildung befanden, zu einer Aufwertung der Bildungspolitik, insbesondere der Hochschulpolitik, führen mußte. Dieser Trend wurde noch dadurch verstärkt, daß die Führungsspitzen von SPD und FDP diesen jungen Menschen, die sich für eine demokratische Veränderung der Gesellschaft entschieden hatten, in ihrer Partei eine politische Heimat geben wollten. Folgerichtig räumte Willy Brandt der Bildungspolitik in seiner Regierungserklärung von 1969 höchste Priorität ein.

Der in der Bundesassistentenkonferenz (BAK) zusammengeschlossene Mittelbau der Hochschulen hat die von der Studentenrevolte ausgehenden Impulse frühzeitig aufgenommen und mit großer theoretischer Klarheit ausformuliert, was in der Studentenschaft mitunter verschwommen angestrebt wurde. Ausgangspunkt war ein neues Verständnis von Wissenschaft, niedergelegt im sogenannten Kreuznacher Hochschulkonzept von 1968, aus dem hier zitiert sei: „Der umfassende Begriff der Wissenschaft ist erst dort gewonnen, wo er sich durch die technologische Rationalität hindurch zur kritischen Rationalität erweitert hat und wissenschaftliche Erkenntnis nicht als Produktiv-kraft im Industriesystem aufgeht, sondern als die Kraft realer Emanzipation in der Gesellschaft eingeht. . . . Die schlimmen Folgen, welche eine an das Lebensrecht des Menschen und die ihm dienende gesellschaftliche Ordnung nicht gebundene wissenschaftliche Forschung gerade aufgrund der stetig zu vermehrenden Herrschaft haben kann, machen es unvermeidbar, daß die wissenschaftliche Rationalität um die Dimension einer . Orientierung im Handeln'erweitert wird. . . . Rationales Denken kann nicht bei der Ausbeutung der Natur und der Verwaltung der sozialen Organisation enden; es ist-vielmehr gerichtet auf die Verwirklichung der Freiheit des einzelnen, auf die Vermehrung von Gerechtigkeit und Glück, auf die Vermeidung von Leid und den Abbau der Herrschaft von Menschen über Menschen, auf die demokratische Gestaltung aller Bereiche der Gesellschaft und den Ausgleich der Konflikte in einer internationalen Friedensordnung."

Daraus folgert die Bundesassistentenkonferenz die Notwendigkeit der Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie, die durch eine Demokratisierung der Hochschule ergänzt werden muß, die „eine unerläßliche Voraussetzung der gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit (ist), die in ihr geleistet werden soll" Organisatorischer Rahmen ist die Gesamthochschule. Die tragenden Leitlinien des Modells waren Integration aller Gruppen des Lehrkörpers zu einer einheitlichen Hochschullehrerschaft ohne diskriminierende Trennung in verschiedene Ebenen und die didaktische Neugestaltung der Ausbildungsgänge an den Hochschulen nach dem Prinzip des „forschenden Lernens". Das Gesamthochschulkonzept der Bundesassistentenkonferenz stellt das organisatorische und institutionelle Modell dar, das entschieden Demokratisierung und Emanzipation der Gesellschaft über den Sozialisationsbereich Hochschule als politische Reformstrategie entwickelt.

Man kann die Vorstellungen, wie sie vor allem von der Studentenbewegung und der Bundesassistentenkonferenz zur Hochschulreform geäußert werden, als „universitären Ansatz einer Hochschulreform" bezeichnen. Träger der Hochschulreform waren danach die Mitglieder der Hochschule selbst, die in Anknüpfung an Humboldt unter dem Schutz der Autonomie in einer demokratisierten Hochschule über die Inhalte von Forschung und Lehre im Sinne eines emanzipatorischen Wissenschaftsbegriffes mitbestimmen. Dieser Begriff eines „universitären Ansatzes der Hochschulreform" wird hier eingeführt, um diese Vorstellungen knapp von einem „technokratisch-administrativen Ansatz der Hochschul-reform" unterscheiden zu können, der von der Kultusbürokratie favorisiert wurde. Mit dem Mitgliederschub, den SPD und FDP im Gefolge der Studentenrebellion aus dem Hoch-schulbereich erhielten, haben diese Parteien auch wesentliche Teile des „universitären Ansatzes" in ihre Parteiprogrammatik übernommen.

Das Kapazitätsproblem und der Reformansatz der Kultusbürokratie

Bis zur Mitte der sechziger Jahre war das Interesse der politisch verantwortlichen Stellen in den Ländern — der Bund erhielt erst durch die Finanzverfassungsreform von 1969 Kompetenzen im Hochschulbereich — auf den Ausbau der Hochschulen in den überkommenen Strukturen gerichtet. Beim quantitativen Ausbau der „im Kern gesunden Universität" ging es in den fünfziger Jahren um die Alternativen: Ausbau der vorhandenen Hochschulen oder Neugründungen. Da Neugründungen immer ein Moment der Innovation innewohnt, setzte sich in der restaurativen Phase der Bundesrepublik die Meinung durch, daß die zusätzlichen Mittel in erster Linie dem Ausbau der alten Universitäten zugute kommen sollten.

Anfang der sechziger Jahre wurde dieses Konzept unter dem Druck der Kapazitätsprobleme aufgegeben. Der Wissenschaftsrat, in dem Bund und Länder mitvertreten waren, empfahl 1960 die Gründung von drei neuen Universitäten in Nord-u-nd Süddeutschland und im Bereich des Ruhrreviers Ausgangsbasis für diese Empfehlung war die Prognose der Studenten-zahlen, die sich auf etwa 240 000 bis 260 000 im Jahre 1970 belaufen sollten — Zahlen, die von der tatsächlichen Entwicklung erheblich überschritten wurden. Seine Entsprechung fand diese Empfehlung im „Abkommen über die Finanzierung neuer wissenschaftlicher Hochschulen", das von den Ländern — ohne den Bund — am 4. Januar 1964 geschlossen wurde Danach sollten neue Hochschulen zu 75 °/o aus einem gemeinsamen Topf der Länder und zu 25 0/0 aus dem Haushalt des Landes, in dem die Neugründung lag, finanziert werden.

Erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzt sich langsam die Erkenntnis durch, daß man selbst bei äußerster Steigerung der Inve-stitionen das Kapazitätsproblem der Hochschulen über den Ausbau der bestehenden Hochschulen nicht würde lösen können. Die Bundesregierung der Großen Koalition ging im Bundesbericht Forschung II von 1967 davon aus, daß 1970 280 000 und 1980 560 000 Studenten immatrikuliert sein würden — wiederum Zahlen, die von der tatsächlichen Entwicklung beträchtlich übertroffen wurden. Daraus folgerte die Bundesregierung die Notwendigkeit struktureller Reformen, um das Kapazitätsproblem in den Griff zu bekommen: „Eine mögliche Lösung besteht darin, daß etwa im Rahmen von Gesamthochschulen neben die Ausbildungsgänge, die vorwiegend auf die Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses gerichtet sind, andere treten, die eine spezifizierte Ausbildung zu nichtwissenschaftlichen Berufen und eine erweiterte Allgemeinbildung vermitteln. . . . Durch diese Art der Ausbildung kann zudem eine erhebliche Senkung der Ausbildungskosten erreicht werden. An Fachhochschulen, wo die Studenten rascher zum Abschluß gebracht werden, weniger Studenten das Studium ohne Examen abbrechen und keine kostspielige Forschung betrieben wird, kostet ein Absolvent die öffentliche Hand nur etwa den fünften Teil dessen, was der Absolvent einer wissenschaftlichen Hochschule kostet. Die wachsende Studentenzahl und die Bedürfnisse von Staat und Wirtschaft werden notwendig machen, daß ein immer größerer Teil von Studenten derartige Ausbildungsgänge durchläuft. . . . Dabei sind neue Formen der Kooperation zwischen Universitäten und Fachhochschulen im Rahmen einer Gesamthochschule denkbar." \ Die Gesamthochschule wird in diesem Zusammenhang nicht als ein Instrument inhaltlicher Reform — Studienreform, Personalstrukturreform — gesehen, sondern als Maßnahme zur Kapazitäts-und quantitativen Effizienzsteige-rung anvisiert. Mittel hierzu sind die bessere Nutzung gemeinsamer Einrichtungen, gemeinsamer Forschungs-und Lehrmittel. Die Studienreform wird zur bloßen Aufnahme nicht-wissenschaftlicher Ausbildungsgänge des Fachhochschulbereichs in das Ausbildungssystem des tertiären Bildungssystems verkürzt. Es versteht sich, daß die Gewährleistung der staatlichen Rahmenzielsetzung unter diesen Umständen nur durch ein Zurückdrängen der Autonomie-Ansprüche der Hochschulen durchgesetzt werden kann.

Auch der Wissenschaftsrat nimmt 1967 in seinen Empfehlungen über die reine Investitionsplanung hinaus zum erstenmal Stellung zu den Strukturproblemen des Hochschulbereichs Lösungsvorschläge vermag er allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht anzubieten, aber er wirft die Fragen zu diesem Bereich mit Nachdruck auf. Strukturkonzepte werden dann in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 1970 „Zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970" niedergelegt Darin fordert er insbesondere die Bildung integrierter Gesamthochschulen, eine neue Verwaltungsorganisation der Hochschulen und die Überwindung der sachlich nicht gerechtfertigten Unterscheidungen in der Struktur des an den Hochschulen tätigen wissenschaftlichen Personals.

Die ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) hat in ihrem Beschluß von 1968 „Grundsätze für ein modernes Hochschulrecht und für die strukturelle Neuordnung des Hochschulwesens" neben dem Investitionsproblem zum erstenmal strukturelle Fragen der Neugliederung des Hochschulbereichs einbezogen Da die Verantwortung für den Kulturbereich infolge des Kulturföderalismus 1968 fast ausschließlich bei den Ländern lag, war die Kultusministerkonferenz sicherlich das wichtigste staatliche Gremium für die Fragen der Hochschulreform. Die Kultusministerkonferenz stellt den „Grundsätzen" einige bemerkenswerte Leitlinien voraus, in denen sie ihre feste Absicht bekundete, das Bildungswesen auf allen Ebenen so auszubauen, daß die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte gewährleistet ist.

Ein Numerus clausus sollte danach unter allen Umständen vermieden werden. Bedarf und Nachfrage sollten allerdings so aufeinander abgestimmt werden, daß die Bedürfnisse der Wirtschaft und Gesellschaft in etwa befrie-digt würden.

Zur Steigerung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen spricht sich die Kultusminister-konferenz für eine administrative Stärkung der Universitätsspitze (Präsidialverfassung oder mehrjähriges Rektorat) und die Zusammenfassung von Lehrstühlen zu größeren Einheiten (Fachbereich etc.) aus. Bei der Reform der Lehrkörperstruktur wird keine Vereinheitlichung angestrebt, sondern lediglich auf die Feststellung der Art und des Umfangs von Lehrveranstaltungen, auch der Assistenten, abgehoben. Assistenten und Habilitanten sollen aus Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber dem Lehrstuhlinhaber herausgelöst, vakante Lehrstühle öffentlich ausgeschrieben werden. Alle an Forschung und Lehre beteiligten Gruppen sollen in den akademischen Organen eine funktionsgerechte Mitsprache erhalten.

Größtes Gewicht legte die Kultusministerkonferenz auf die Studien-und Prüfungsreform.

Hauptziel war die Verkürzung der tatsächlichen Studiendauer, was angesichts der stets ansteigenden durchschnittlichen Verweildauer der Studenten an den Hochschulen und der damit verknüpften Kapazitätsprobleme sicherlich ein kardinales Problem ist. Zur besseren Übersicht über das Studium sollten Studienpläne, Studienordnungen und Prüfungsordnungen erstellt werden. Bisher waren die Studenten beim Aufbau ihres Studiums weitgehend sich selbst und einem chaotischen Studienangebot überlassen geblieben. Der besseren Durchführung des Studiums sollten auch eine institutionalisierte Studienberatung und studienbegleitende Arbeitsgemeinschaften sowie hochschuldidaktische Arbeitsgruppen dienen. Die Semestereinteilung sollte zur besseren Kapazitätsnutzung durch das Studienjahr abgelöst werden. Schließlich sollten für bestimmte akademische Berufe kürzere Studiengänge nach Entwicklung entsprechender Berufsbilder eingeführt werden.

Unschwer erkennt man, daß die Kultusbürokratien der Länder das Schwergewicht auf die Kapazitätsnutzung der Hochschulen legten. Die Reform des Lehrkörpers und seiner Struktur wird auf die Festlegung von Art und Dau18 er der Lehrverpflichtungen verkürzt. Der Mittelbau soll stärker zur Lehre und zu Prüfungsaufgaben herangezogen werden. An den Lehrveranstaltungen während der bisher semester-freien Zeit soll vor allen Dingen der akademische Mittelbau mitwirken. Mit anderen Worten bedeutet das eine Ausweitung der Regellehrverpflichtung vor allem des Mittelbaus zu Lasten eigener Forschung. Die Studienzeit soll gleichzeitig verkürzt und durchrationalisiert werden, für einige akademische Berufe sollen kürzere Studiengänge eingeführt werden. Es überrascht dabei nicht, daß die Kultusminister sich vor allem jener Instrumentarien bedienen, auf die sie selbst Einfluß haben, nämlich die Lehrverpflichtungen des Lehrkörpers und die Studien-und Prüfungsordnungen bei Studiengängen, die mit einer Staatsprüfung abschließen.

Der administrativ-technokratische Ansatz der Kultusbürokratien ist unverkennbar. Dem Glauben an die Selbstheilungskräfte der demokratisch ausgestalteten Hochschulen, wie er damals in der Öffentlichkeit und an den Hochschulen selbst weit verbreitet war, stand man offensichtlich äußerst skeptisch gegenüber. Der Grundsatz der funktionsgerechten Mitsprache aller Gruppen, die an Forschung und Lehre beteiligt sind, einschließlich der Studenten, vermag diesen Gesamteindruck nicht zu entkräften, zumal die Mitsprache nicht in Mitbestimmungsrechten, z. B. in Fragen der Berufung von Hochschullehrern oder der Studienreform, konkretisiert wurde. Auch der Begriff der Gesamthochschule taucht in den Grundsätzen der Kultusministerkonferenz nicht auf. Gleichwohl beinhalten die Grundsätze der Kultusministerkonferenz Strukturveränderungen erheblichen Ausmaßes gegenüber der überkommenen Hochschule. Die Ordinarienuniversität, in der der Lehrstuhlinhaber unumschränkt über Assistentenstellen und Habilitationen sowie über den Umfang und Inhalt eigener und fremder Lehrveranstaltungen verfügte, war damit im Kem getroffen. Man kann die Bedeutung der „Grundsätze" der Kultusministerkohferenz nicht genug unterstreichen. Im System des kooperativen Kulturföderalismus, der in der Bundesrepublik die fehlende, vereinheitlichende bundesstaatliche Kompetenz ersetzt, hat die Kultusministerkonferenz ein besonderes Gewicht. In ihr konkretisiert sich der Minimalkonsens der Länder in einem für alle tragfähigen Kompromiß. Gerade in Zeiten bildungspolitischer Polarisierung zwischen den verschiedenen, in den Ländern regierenden Parteien ist in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz jener gemeinsame Nenner abzulesen, auf den sich auch der Bund mangels eigener Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten letztlich zuzubewegen hat. Die sog. Finanzverfassungsreform von 1969, die dem Bund über eine Grundgesetzänderung gewisse Kompetenzen im Hochschulbereich eingeräumt hat, konnte diese Machtverhältnisse im Grunde genommen nicht ändern, auch wenn man sich seitens des Bundes zeitweilig einigen Illusionen nicht ganz entzogen hat.

Kritik der Reformansätze

Bei Prüfung erweisen sich die Reformvorschläge als irreal. Wenn die Kultusminister-konferenz die Absicht der Länder zum Ausdruck bringt, das Bildungswesen so auszubauen, daß alle Ausbildungs-und Berufswünsche erfüllt werden können, so folgt sie darin der allgemein verbreiteten Vorstellung, daß es dem Staat bei einigem guten Willen möglich sein müßte, alle gewünschten Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Die tatsächliche Entwicklung der Studentenzahlen und der Studienanfänger lief jedoch trotz wiederholter Heraufsetzung der staatlichen Planungsziffern allen Prognosen davon.

Die Bundesregierung hatte im Bundesbericht Forschung II von 1967 für 1970 mit 280 000

Studenten, 1980 mit 560 000 Immatrikulierten gerechnet. Der Wissenschaftsrat erhöhte 1970 in seinen „Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970" die geschätzte Gesamtzahl der Studenten von 448 000 im Jahr 1969 auf rund 890 000 bis ca. 1 Million im Jahre 1980. Im Bildungsbericht von 1970 wurde bis 1975 bereits mit einer Zahl von 612 000 Studierenden gerechnet. Der von Bund und Ländern verabschiedete Bildungsgesamtplan prognostizierte für 1975 616 000 Studenten, für 1980 732 000 und für 1985 861 000 bis 961 000 Studierende.

Doch alle diese Zahlen wurden von der Entwicklung überrollt. 1970 gab es bereits 510 000 Studenten, 1973 732 000 und 1975 rund 850 000 Studenten. Stets lagen die tatsächlichen Zahlen um ein Viertel bis ein Drittel über den Planziffern. Die ursprünglich für 1980 vorausgesehenen maximalen Zahlen wurden also bereits 1975/76 erreicht. Alle Planziffern der staatlichen Stellen, die sich freilich auf Ergebnisse der Wissenschaft beriefen, erwiesen sich somit als revisionsbedürftig, und zwar in erheblichem Umfang.

Damit wird auch das von der Kultusminister-konferenz geforderte Instrumentarium der Bedarfsforschung und der Bedarfsprognosen außerordentlich problematisch. Wo die Wissenschaft selbst bei Zugrundelegung politisch gesetzter Richtwerte in ihren Aussagen dermaßen an der Realität vorbeigreift, wird es politisch hochgradig bedenklich, aufgrund solcher Prognosen beratend oder in anderer Weise auf die Nachfrage nach bestimmten Studienplätzen einzuwirken. Mit dem Fehlen einer halbwegs vertretbaren Sicherheit bei Prognosen entfällt eine wesentliche Planungsgrundlage für den Staat, der im eigentlichen Sinne richtungslos dahinsteuert und sich schlecht und recht durchlavieren muß. Die Forderung nach einem verfeinerten Instrumentarium der Bedarfsforschung und der Bedarfsprognosen ist zwar begründet, aber beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht einzulösen.

Neben der Explosion der Studentenzahlen machte auch die politische Entwicklung an den Hochschulen, die in den Unruhen 1968/1969 ihren Höhepunkt erreichten und in den folgenden Jahren nur langsam abklangen, die Realisierung des Konzepts der Kultusminister-konferenz zunächst unmöglich. Der Widerstand in den Hochschulen gegen das administrativ-technokratische Konzept war Ende der sechziger Jahre und Anfang der siebziger Jahre so stark, daß im Grunde nicht daran zu denken war, dieses Konzept in die Wirklichkeit umzusetzen. Die. im „universitären Ansatz einer Hochschulreform" formulierten Vorstellungen entbehrten nicht minder einer realistischen Grundlage. Wenn die Hochschulreform zu einem Vorgriff auf eine neue, sozialistische Gesellschaft werden sollte, so setzte das die Krise des bestehenden gesellschaftlichen und politischen Systems voraus. Die Humboldt'sche Reform, der eine analoge Intention zugrunde lag, war geglückt, weil der alte feudale preußische Staat durch die Französische Revolution in seiner gesellschaftlichen Ordnung und durch die Heere Napoleons in seiner schlichten Existenz bedroht war. Eine ähnliche Krise der Gesellschaftsverfassung der Bundesrepublik gab es jedoch gegen Ende der sechziger Jahre nicht.

Es ist zwar richtig, daß die Wirtschaftsrezession von 1966/67 den naiven Glauben an das stetige wirtschaftliche Wachstum und in die Gewißheit erschütterte, im nächsten Jahr mehr zu verdienen. Doch verursachte diese Rezession keinen tiefergehenden Vertrauens-'Schwund in die kapitalistische Wirtschaftsordnung insgesamt. Man kann vielmehr feststellen, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem in der Bundesrepublik überaus funktionstüchtig ist. Die Bundesrepublik gilt neben den USA in der Welt wohl zu Recht als der effizienteste kapitalistische Staat. Von daher wird ohne weiteres verständlich, daß die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik auf einer festen Massenloyalität bei der deutschen Bevölkerung ruht.

Der allgemeine Eindruck der politischen Erschöpfung der CDU/CSU, die bald 20 Jahre ununterbrochen an der Macht gewesen war, verwandelte sich mit dem Regierungswechsel durch die sozial-liberale Koalition von 1969 in eine Aufbruchstimmung.

Der „universitäre Ansatz einer Hochschulreform" war für viele überzeugend gewesen. Unrealistisch war er trotzdem, da dem Konzept jegliche Analyse und Vorstellung darüber mangelte, welche gesellschaftlichen Kräfte außerhalb der Hochschulen das Konzept aufgreifen und ein Interesse daran haben könnten, es in die Wirklichkeit umzusetzen. Losgelöst von gesellschaftlichen Bezügen, konnte es von politischen Kräften usurpiert werden, die ihm einen anderen Inhalt geben, die ursprünglichen Intentionen abbiegen und eigenen Zielen nutzbar machen konnten. Die Bundesassistentenkonferenz hat diese Gefahr sehr spät erkannt und mit einer gewerkschaftlichen Orientierung — Eintritt in den DGB über die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) — reagiert.

Die Hochschulreformdiskussion befand sich demnach gegen Ende der sechziger Jahre in einer Sackgasse. Unrealistische und sich gegenseitig blockierende Konzepte kennzeichnen eine Situation, die durch Emotionen und ständig akuter werdende Mißstände an den Hochschulen zusätzlich erschwert wurde. Keine Konzeption zeichnete sich ab, der eine wirkliche Chance zur alsbaldigen Realisierung innewohnte, die tragfähig und zukunftsorientiert gewesen wäre.

Der fehlerhafte Ansatz Leussinks

In seiner Regierungserklärung von 1969 räumte Willy Brandt der Bildungspolitik höchste Priorität ein und kündigte ein Hochschulrahmengesetz an. Es ist nützlich zu wissen, welche gesetzgeberischen Kompetenzen der Bund hatte, um eine Reform im Hochschulbereich zu bewerkstelligen. Die alleinige Kompetenz im Kulturbereich lag bei Verabschiedung des Grundgesetzes bei den Ländern. Im Zuge der sog. Finanzverfassungsreform, mit der die Große Koalition 1968/1969 das föderative System der Bundesrepublik auf eine neue Basis stellen wollte, erhielt der Bundesgesetzgeber auch Kompetenzen im Hochschulbereich. Es ist für die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik, insbesondere im Kulturbereich, kennzeichnend, wie der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung im Laufe des Verfahrens bei der Grundgesetzänderung eingeengt wurde.

Der Regierungsentwurf wollte die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes gemäß Artikel 74 Grundgesetz um Zuständigkeiten für den Hochschulbereich erweitern.

Die neue Bundeszuständigkeit wurde jedoch auf die Rahmengesetzgebungsbefugnis gemäß Art. 75 Abs. 1 GG über die „allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens" eingeschränkt. Als Rahmengesetz war das Hochschulrahmengesetz zustimmungspflichtig durch den Bundesrat, in dem die CDU/CSU-regierten Länder die Mehrheit hatten.

Dem Bund war demnach faktisch nur eine schmale, von vielfachen rechtlichen und politischen Schranken eingegrenzte Kompetenz an die Hand gegeben, um im Hochschulbereich auf dem Wege der Gesetzgebung eine Lage zu bereinigen, die der Bundesregierung selbst in ihrem Bildungsbericht '76 „als der größte Krisenherd der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Situation erscheint" Bildhaft ausgedrückt wird man von einer Nußschale reden können, mit der sich die Bundesregierung auf die hochgehende und stürmische See der hochschulpolitischen Reformdiskussion begeben mußte.

Die Bundesregierung hat mit ihrer Analyse der Mißstände im Hochschulbereich und der Ankündigung einer Abhilfe in der Regierungserklärung Willy Brandts vom Oktober 1969 große Erwartungen geweckt. Nach dem Rückstau der Hoffnungen der jungen Generation in der Zeit der Großen Koalition brachen sich diese jetzt um so unbändiger Bahn, war doch mit der sozial-liberalen Koalition eine Regierung angetreten, die sich laut Regierungserklärung zum Träger der Reform-wünsche der jungen Generation machte. Die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten durch die Bundesregierung selbst fand ihre Entsprechung in der überspannten Erwartungshaltung der jungen Generation, die in den linken Parteiflügeln von SPD und FDP eine neue politische Heimat suchte und fand. Der früher oder später unausbleibliche schmerzhafte Ernüchterungsprozeß, der angesichts der realen Gegebenheit der verfassungsrechtlichen Kompetenz eintreten mußte, war vorprogrammiert.

Im Grunde genommen standen dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Leussink, nur zwei Möglichkeiten offen. Die erste Alternative bestand darin, in klarer Einschätzung der Zuständigkeiten des Bundes und der realen Machtverhältnisse im Geflecht des kooperativen Kulturföderalismus, insbesondere der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, die SPD und FDP, deren Bundestagsfraktionen und die Öffentlichkeit von vornherein auf die Kompetenzlage hinzuweisen, die Erwartungen herunterzuschrauben und kurzentschlossen und zügig ein Kompromißgesetz anzusteuern, das dem Konsens der Länder entsprach. Eine Verständigung mit den Ländern auf der Linie der „Grundsätze" der Kultusministerkonferenz unter Ausklammerung einiger Probleme wie der Mitbestimmung wäre immerhin möglich gewesen. Beifall hätte Leussink damit nicht geerntet, aber die dringend erforderlichen Regelungen zur vollen Ausnutzung der Kapazitäten der Hochschulen — Regellehrverpflichtung, Regelstudienzeit/Studienreform — wären rechtzeitig in Kraft getreten. Die Hoffnung, daß die CDU/CSU-regierten Länder angesichts ihrer Mehrheit im Bundesrat rahmen-rechtlichen Regelungen zustimmen würden, die ihren Vorstellungen nicht entsprachen, war ohnehin von Anbeginn an illusorisch.

Die andere Alternative hätte darin bestanden, tendenziell den universitären Ansatz einer Hochschulreform im Gesetz aufzugreifen, der in wesentlichen Teilen ohnehin den offiziellen hochschulpolitischen Parteiprogrammen von SPD und FDP entsprach. Das Gesetz wäre damit freilich vom ersten Augenblick an zum Scheitern verurteilt gewesen. Doch hätte man die Unterstützung an den Hochschulen nicht verloren und die Hoffnung nähren können, bei einem Wahlsieg in einem bisher CDU-regierten Land das Gesetz verabschieden zu können. Die Alternative lautete also unzweideutig: Entweder ein Gesetz auf der Linie des Konsenses der Länder oder kein Gesetz. Leussink mußte sich entscheiden, ob er ein Hochschulrahmengesetz zu diesem Preis wollte oder nicht. Wenn nicht, wäre es richtig gewesen, so zu verfahren, daß die Bundesregierung die Sympathisanten an den Hochschulen nicht verprellte und die Vorstellungen der bildungs-und hochschulpolitisch engagierten linken Flügel in SPD und FDP zum Tragen brachte.

Beide Alternativen waren mit Risiken behaftet. Im Falle einer Kompromißlösung auf der Basis des Länderkonsenses war der Widerstand an den Hochschulen und in den Rängen der Koalitionsparteien schwer kalkulierbar. Das Herunterschrauben der Erwartungen auf ein realistisches, machbares Niveau wäre sicherlich kein leichtes Unterfangen gewesen. Dennoch war es der einzig gangbare Weg, wenn man ein Bundesgesetz mit einigen Minimalvorschriften wollte, um die rein quantitative Entwicklung an den Hochschulen einigermaßen in den Griff zu bekommen. Die andere Alternative war nicht minder riskant, da sie beim Ausbleiben eines Landtagswahlsieges in einem CDU-regierten Land den Verzicht auf eine gesetzliche Regelung überhaupt zur Folge haben würde. Nichts kommt jedoch beim Wähler schlechter an, als der mißlungene Versuch einer Regierung, einen Gesetzentwurf Gesetzeskraft erlangen zu lassen.

Gleichwohl war das die einzige Möglichkeit, die Reformkräfte an den Hochschulen nicht zu verlieren.

Leussink konnte sich zu keiner der beiden Alternativen entschließen und beging damit einen gravierenden Fehler. Er wollte ein Gesetz und das Engagement der Reformkräfte an den Hochschulen und erreichte keines der beiden Ziele. Weder kam auf absehbare Zeit ein Hochschulrahmengesetz zustande, noch konnte er sich mit seinem Konzept auf die Reform-linke in den Parteien und an den Hochschulen stützen. Seinen Weg, der die Alternativen verknüpfen sollte, wollte niemand mitgehen. Das Ergebnis war, daß die CDU/CSU-regierten Länder ihre Zustimmung von immer höheren Zugeständnissen Leussinks und später Dohnanyis abhängig machten, da sie das Dilemma, in das sich Leussink aufgrund seiner Unentschlossenheit begeben hatte, relativ schnell erkannten und weidlich ausnutzten. Auf der anderen Seite gingen die für Reformen engagierten Kräfte an den Hochschulen zum offenen Kampf gegen den Gesetzentwurf über. Die Entscheidung, die Leussink gleich hätte fällen müssen, war praktisch nur verschoben worden und mußte zu einem späteren Zeitpunkt, nicht ohne Gesichtsverlust der Bundesregierung, doch getroffen werden.

Die großen Linien des Gesetzentwurfs für ein Hochschulrahmengesetz von Leussink machen den Kompromißcharakter deutlich. Es handelt sich um eine Verbindung des administrativ-technokratischen Ansatzes, wie er in den „Grundsätzen" der Kultusministerkonferenz von 1968 vorformuliert und vom Wissenschaftsrat 1970 in seinen „Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau des Bildungswesens im Hochschulbereich nach 1970" weiterentwikkelt worden war, mit Elementen des universitären Ansatzes einer Hochschulreform. Flexibler als die Kultusministerkonferenz von 1968 nahm der Gesetzentwurf Leussinks im Sinne einer Pazifizierungsstrategie einige Elemente des universitären Ansatzes auf, um sein technokratisches Konzept nicht schon von vornherein am Widerstand der Hochschulen scheitern zu lassen. Aus der Sicht des CDU/CSU-Länderkonsenses gefährdeten und verhinderten jedoch gerade diese Elemente, die Leussink in sein Gesetz eingebaut hatte, die Durchführung ihrer technokratischen Vorstellungen.

Interessant sind die Ausführungen zum Instrumentarium der Studienreform in der Begründung des Gesetzentwurfs, werfen sie doch ein bezeichnendes Licht auf dessen Kompromißcharakter: „Theoretisch wäre denkbar, daß die Hochschulen diese wichtigen Reformmaßnahmen (Studienreform, Einfügung des Verfassers) von sich aus treffen oder doch anstreben. Es ist nicht zu verkennen, daß alle wesentlichen Reformvorschläge von Hochschulangehörigen stammen. Wenn die Hochschulen hier bislang nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt haben, so hat dazu auch die Tatsache beigetragen, daß sie als Glied in der Kette zwischen dem Schulwesen und der Berufswelt von den Entwicklungen und Stagnationen in diesen beiden Lebensbereichen nicht unabhängig sind. Wo auch immer die Ursachen für das bisherige Nichtzustandekommen der notwendigen Reform liegen mögen — es ist inzwischen völlig deutlich geworden, daß eine nachhaltige Reform nur im Zusammenwirken von Hochschu-B le und Staat als dem Repräsentanten der die Hochschulen tragenden Gesellschaft zustande kommen kann."

Es ist konsequent, wenn sich im Schnittfeld der Interessen um den Regierungsentwurf für ein Hochschulrahmengesetz die Diskussion sehr schnell an den Fragen der Autonomie und Mitbestimmung festlief. Die Verfechter einer Demokratisierung des Hochschulbereichs hatten nur dann eine Chance realer Mitbestimmung und Mitgestaltung, wenn die Hochschulen frei von staatlichem Einfluß und staatlicher Lenkung waren. Die Autonomie der Hochschulen war die Voraussetzung für eine echte Mitbestimmung, die über ein Mitspracherecht in nebensächlichen Dingen hinausging. Gerade um diese entscheidenden Fragen, Autonomie und staatlicher Einfluß, hatte sich der Regierungsentwurf herumgemogelt, indem er ein etwas diffuses „sowohl als auch" vorschlug. Er mobilisierte damit den Widerstand an den Hochschulen, wo die Gefahr einer staatlichen Bevormundung im Sinne einer technokratischen Lösung der Hochschulreform schnell erkannt und entsprechend beantwortet wurde.

Fast gleichzeitig mit dem Regierungsentwurf legte die CDU/CSU-Opposition im Bundestag einen eigenen Gesetzentwurf für ein Hochschulrahmengesetz vor. Der Gesetzentwurf läßt völlig ungeschminkt die Absicht der CDU/CSU erkennen, eine Hochschulreform nur unter eindeutig adminstrativ-technokratischen Vorzeichen zuzulassen. Der maßgebliche Einfluß sollte dem Staat und der Kultusbürokratie zukommen. Die Ablehnung des universitären Ansatzes einer Hochschulreform wird in der Begründung des Gesetzentwurfes der CDU/CSU unzweideutig manifest. Dort heißt es nach einer Aufzählung der gravierenden Mängel des bestehenden Hoch-schulwesens aus der Sicht der CDU/CSU: „Diese Mängel haben dazu beigetragen, daß die in den letzten Jahren in Gesellschaft und Staat sichtbar gewordene Autoritätskrise im Bereich der Hochschulen ihren Flöhepunkt erreichte. Die Tatsache, daß es bisher nicht gelungen ist, die quantitativen und strukturellen Probleme in den Griff zu bekommen, forcierte eine Organisations-und Demokratisierungseuphorie, die einseitig auf die Ablösung aller bisherigen Strukturen gerichtet ist, ohne ein sachgerechtes Modell für eine sinnvolle Hochschulreform anbieten zu können." „Neben derartigen . Demokratisierungsbestrebungen', die die Hochschulen als Kampffeld für Gruppenegoismen mißverstehen, ist bei vielen Hochschulmitgliedern ein übersteigertes Autonomieverständnis zu beobachten, das sich vor allem in einem Mißtrauen gegenüber jeglicher staatlichen Organisationsgewalt äußert. Unter dem Vorzeichen meist sozialistischer Ideologie wurde hier ein Verständnis von Autonomie und Selbstverwaltung deutlich, das in einer für ein modernes demokratisches Staatswesen anachronistischen Weise den dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts eigenen Gegensatz zwischen Selbstverwaltung und Staat aktualisiert."

Die Deutlichkeit des CDU/CSU-Entwurfs läßt nichts zu wünschen übrig. Die CDU/CSU hatte ihrerseits erkannt, daß mit der Hochschulreform der Versuch unternommen werden konnte, über den eigentlichen Hochschulbereich hinauszugreifen und eine neue, sprich sozialistische Gesellschaftsordnung zu antizi--pieren. Und die CDU/CSU war fest entschlossen, diese Entwicklung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Darum galt es für sie, die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten zu erweitern. Ein Zweckbündnis mit dem größten Teil der um ihre Privilegien fürchtenden Ordinarien ergänzte das CDU/CSU-Konzept. Die Befürchtungen der Ordinarien wurden in den Personalstrukturund Mitbestimmungsvorschriften des CDU/CSU-Entwurfs weitgehend ausgeräumt.

Schon das Vorliegen zweier in der Tendenz und in den Einzelbestimmungen stark voneinander abweichender Gesetzentwürfe weist darauf hin, daß sich die Beratungen im federführenden Ausschuß für Bildung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages schwierig und konfliktträchtig entwickeln würden. Nur mühsam konnte sich die SPD/FDP-Koalition im Ausschuß zu einigen Zugeständnissen gegenüber der Opposition durchringen, um ihre Kompromißbereitschaft zu dokumentieren. Nach dem gescheiterten Mißtrauensvotum gegen Willy Brandt im Mai 1972, das die Pattsituation im Bundestag zwischen Regierungskoalition und Opposition offenbarte, war an eine Verabschiedung des Gesetzes allerdings nicht mehr zu denken. Sehr schnell zeichnete sich die Notwendigkeit einer baldigen Auflösung und Neuwahl des Deutschen Bundestages ab. Mit der Blickrichtung auf die Bundestagswahlen im Herbst 1972, die im Zeichen absoluter Konfrontation stattfanden, hatte keine Partei ein Interesse daran, ’ diese Wahlen mit einem Hochschulrahmengesetz zu belasten. Bei dieser Großwetterlage mußte auch der Versuch scheitern, zu einer gesonderten Hochschulzulassungsregelung zu kommen, die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Numerus clausus vom 18. Juli 1972 gefordert worden war. Die Länder haben das Ausbleiben einer Bundesregelung dann rasch genutzt und in dem Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen eine umstrittene Zulassungsregelung geschaffen.

Die Einengung des politischen Spielraums

Der Handlungsspielraum der Bundesregierung ist bis zur zweiten Vorlage eines Regierungsentwurfs für ein Hochschulrahmengesetz durch den Bundesminister von Dohnanyi im Jahre 1973 rechtlich durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts und politisch durch die Entwicklung der Hochschulgesetzgebung in den Ländern erheblich verringert worden.

Das sog. Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 setzt verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Zulassungsbeschränkungen zu den Hochschulen. Die Numerus-clausus-Prolematik erreichte Anfang der siebziger Jahre, insbesondere im Fach Medizin, eine Bedeutung, die eine rechtliche Normierung unausweichlich machte. Die ersten landesrechtlichen Regelungen, die uneinheitlich waren, stießen jedoch auf den Widerspruch zahlreicher abgelehnter Bewerber. Das befaßte Bundesverfassungsgericht nahm die Gelegenheit wahr, grundsätzlich und detailliert Stellung zu beziehen. Es stellte zunächst fest, „daß sich der absolute Numerus clausus am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren bewegt"

Daraus leitet das Bundesverfassungsgericht eine Pflicht von Bund und Ländern ab, einen an der Nachfrage nach Studienplätzen orientierten Ausbau des Hochschulwesens voran-

zutreiben, wobei es freilich ausschließt, daß für jeden Bewerber zu jeder Zeit ein von ihm gewünschter Studienplatz bereitzustellen sei. Ausdrücklich erklärt das Bundesverfassungsgericht eine ausschließliche Ausrichtung an den ohnehin schwierigen Bedarfsermittlungen für verfassungswidrig, da dies auf eine unzulässige Berufslenkung und Bedürfnisprüfung hinauslaufen könnte. Unter gewissen Einschränkungen wird also dem Staat ein nachfrageorientierter Ausbau des Hochschulwesens zur Pflicht gemacht.

Wenn dennoch ein Numerus clausus unumgänglich erscheint, so fordert das Bundesverfassungsgericht, daß der Zugang zu den bereits vorhandenen Ausbildungsstätten nur unter strengen formell-und materiellrechtlichen Voraussetzungen beschränkt werden darf. Danach ist ein absoluter Numerus clausus nur verfassungsmäßig, wenn er in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet wird. Besonderes Gewicht legte das Bundesverfassungsgericht auf die Art und Weise der Kapazitätsermittlung, die zum Kern des Zulassungswesens gehöre. Das Bundesverfassungsgericht forderte, daß auch die Festlegung objektivierter, nachvollziehbarer Kriterien für die Kapazitätsentwicklung in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers falle.

Zu den Kriterien der Zulassung von Bewerbern in Nc-Fächern betont das Bundesverfassungsgericht, daß die Zulassungsregelung jedem zulassungsberechtigten Bewerber eine Chance belassen muß. Eine Auswahl nach Eignung, die durch Leistung (z. B. Abitur) nachgewiesen wird, und nach Wartezeit, wobei die älteren, länger wartenden Bewerber den jüngeren vorgezogen werden, erscheint dem Verfassungsgericht angemessen, wenn gleichzeitig ein Teil der Studienplätze für soziale Härtefälle und für Ausländer bereitgestellt wird.

Eine sog. „Landeskinder" -Vergünstigung, wonach die Bevorzugung von Bewerbern mit Wohnsitz im Lande der Hochschule geregelt wird (sog. Bayern-Bonus), ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Hochschulwesen stellt, so begründet das Gericht seine Auffassung, ein zusammenhängendes System dar, in dem einerseits nicht alle Studiengänge angeboten werden können und das andererseits eine Nutzung der Ausbildungskapazitäten über die Landesgrenzen hinweg erfordert.

Das Bundesverfassungsgericht konstatiert abschließend, daß absolute Zulassungsbeschränkungen eine bundesweite Regelung notwendig machen, weil die Auswahl und Verteilung der Zuzulassenden um so komplizierter wird, als das Bestreben nach baldigem Beginn der gewünschten Ausbildung in der Regel zu gleichzeitigen Mehrfachbewerbungen bei allen oder den meisten Ausbildungsstätten führt.

Das Urteil war in der Öffentlichkeit und bei den staatlichen Organen ohne Kritik aufgenommen worden. Insbesondere die darin formulierte Verpflichtung des Bundes oder der bundesweite, einheitliche -Länder, eine Zulas sungsregelung entsprach einer zu schaffen, schlichten Notwendigkeit. Der Druck, -der da auf die mit Gesetzgeber in Bund und Länder ausgeübt wurde, war heilsam.

Das sog. Mitbestimmungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz stellt einen gravierenden Eingriff in den Handlungsspielraum des Gesetzgebers dar. Obgleich sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen Bestimmungen des Niedersächsischen Vorschaltgesetzes richtet, ist es ein Grundsatz-urteil, das außer dem Land Niedersachsen die anderen Länder und den Bund bindet 17).

Mit dieser Entscheidung verneint das Bundesverfassungsgericht die Ausdehnung der Wissenschaftsfreiheit auf die Hochschule, die als Institution autonom auf dem Wege der Selbstverwaltung den Wissenschaftsprozeß organisiert. Nach dem universitären Ansatz einer Hochschulreform aber steht und fällt die Bedeutung von Mitbestimmung mit der universitären Autonomie; denn die Hochschule wurde als ein durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützter Freiraum angesehen, als ein Subsystem, das der Demokratisierung offen stand und den Formierungstendenzen der Gesellschaft, manifest durch den Zugriffswillen des Staates, widerstehen konnte und sollte. Art. 5 Abs. 3 GG wurde als ein Grundrecht aller am Wissenschaftsprozeß Beteiligter — auch der Studenten und Dienstleister — interpretiert. Zur Wissenschaftsfreiheit gehörte als Voraussetzung, daß der Staat der in öffentlich-rechtlichen Systemen organisierten Wissenschaft finanzielle, sachliche und personelle Mittel zur Verfügung stellt, die ihn allerdings nicht zu inhaltlichen Eingriffen in das Wissenschaftssystem berechtigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 29. Mai 1973 die institutionelle Dimension der Wissenschaftsfreiheit abgelehnt und die Wissenschaftsfreiheit auf ein individuelles Freiheitsrecht eingegrenzt, das im Grunde genommen nur den Professoren zusteht. Er weist den Hochschullehrern eine hervorgehobene Stellung zu und begreift sie als die eigentlichen Grundrechtsträger im -Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG. Damit schneidet es die Rechte aller anderen am Lern-, Lehrund Forschungsprozeß Beteiligten ab. In der des Formulierung abweichenden Minderheitenvotums der Verfassungsrichter Dr. Simon Frau Rupp-von Brünneck wird und diese Interpretation des Senats des Bun der -desverfassungsgerichts treffend charakterisiert: „Ihre Begründung (der Mehrheit des Senats, d. Verfasser) leidet zudem an Unklarheiten über die verfassungsrechtliche Bedeutung objektivierter Wertentscheidungen mit der Folge, daß das vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrecht des Art. 5 Abs. 3 GG einerseits der Gefahr der Relativierung ausgesetzt, andererseits sinnwidrig in ein ständisches Gruppenprivileg und Herrschaftsrecht umgemünzt wird."

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat mit seiner Eingrenzung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit auf ein Individualrecht für Professoren nicht nur eine Einschränkung der Mitbestimmungsmöglichkeiten anderer Gruppen an den Hochschulen zur Folge, sondern grenzt die Entscheidungskompetenz der Hochschulorgane selbst ein, da deren Autonomie aufgrund der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts künftig des Schutzes des Art. 5 Abs. 3 GG ermangelt. Das Bundesverfassungsgericht hat damit einer zentralisierenden Kultusbürokratie rechtlich den Weg freigemacht, technokratische Konzepte im Hochschulbereich zu verwirklichen. Gleichzeitig hat es den Weg zu einer Demokratisierung im Subsystem Hochschule blockiert und diese auf ein restriktives Mitbestimmungsmo-dell reduziert. Dem universitären Ansatz einer Hochschulreform, der einen neuen Wissenschaftsbegriff, die Autonomie der Hochschulen und die Mitbestimmung aller Gruppen in den Hochschulen, zur Voraussetzung hatte, war damit eine unwiderrufliche Absage erteilt worden.

Nach der Formulierung des Minderheitenvotums bleibt „das wesentliche Bedenken gegenüber dem Mehrheitsergebnis (Urteil des Verfassungsgerichts, d. Verfasser), daß verfassungsgerichtliche Verbote im Unterschied zu inhaltsgleichen Gesetzesregelungen nur schwer korrigierbar sind und die weitere Entwicklung in ihrem Geltungsbereich auch dann zementieren, wenn sie auf Fehleinschätzungen beruhen" Gesetze können novelliert und ihre Bestimmungen an neue Entwicklungen oder Notwendigkeiten angepaßt werden. Hat das Bundesverfassungsgericht einmal Verbote oder Gebote ausgesprochen, so erhalten sie praktisch Ewigkeitscharakter und binden den Gesetzgeber noch in Jahrzehnten. Eine bestimmte Universitätsverfassung wurde vom Bundesverfassungsgericht aus einer momentanen Einschätzung heraus festgeschrieben, und zwar in einer rückwärts-gewandten, die Privilegien der alten Ordinarienuniversität sichernden Weise.

Das Urteil bedeutet auch einen Einschnitt in der Hochschulgesetzgebung der Länder. In den SPD-oder sozial-liberal regierten Ländern war der universitäre Ansatz einer Hochschulreform zum Teil verwirklicht worden, während in den CDU/CSU-regierten Ländern nach einer ersten Phase der Reformbereitschaft bis etwa 1969/70 eine Rückwärtsentwicklung einsetzte. Die Polarisierung der politischen Landschaft in der Bundesrepublik schlug sich damit sehr ausgeprägt im Hochschulbereich nieder. Eine ausführliche Darstellung der Hochschulgesetzgebung in den Ländern kann hier allerdings nicht vorgenommen werden-, sie würde den Rahmen der Arbeit sprengen.

Die auseinanderdriftende Entwicklung der Hochschulgesetzgebung in den Ländern, die in der unterschiedlichen Paritätenregelung ihren treffendsten Ausdruck fand, setzte den Bundesgesetzgeber noch fühlbarer als zuvor unter den Druck, möglichst bald eine bundesweite Regelung zu schaffen, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Hochschulbereich wiederherzustellen und für die Zukunft zu gewährleisten. Zu diesem Zweck waren, dem Bundesgesetzgeber die Rahmenkompetenzen im Jahre 1969 zuerkannt worden; er mußte seiner Verantwortung in diesem Bereich nachkommen. Auch eine CDU/CSU-Bundesregierung hätte sich dieser Verpflichtung nicht entziehen können. Der Kompromiß mit der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat war damit vorgezeichnet.

Der Gesetzentwurf Dohnanyis

Die dem Bundesgesetzgeber verbliebene taktische Variante, entweder von vornherein auf den mutmaßlichen Konsens mit den CDU/CSU-regierten Ländern zuzusteuern oder innerhalb des verbleibenden Rahmens soweit wie möglich den Forderungen des „universitären Ansatzes" entgegenzukommen, entpuppte sich bei näherem Zusehen als nahezu unauflösliches Dilemma. Nur bei Wahrung größtmöglicher Distanz zu den CDU/CSU-Vor-Stellungen war darauf zu hoffen, in Kompromißverhandlungen mit der CDU/CSU ein Minimum eigener Reformansätze zu retten. Auf der anderen Seite riskierte die Bundesregierung jedoch mit dieser maximalistischen Politik das Platzen eines Kompromisses überhaupt oder lief Gefahr, beim Nachgeben Gesichtsverluste bei den eigenen Sympathisanten an den Hochschulen und harte Kritik aus den eigenen Parteien hinnehmen zu müssen. Diese Zwangslage machte aus dem Dohnanyi-Entwurf einen taktischen Balanceakt, der nicht aus dem Dilemma herausführte, sondern das Dilemma noch verstärkte.

Die Bundesregierung legte den 2. Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes am 29. August 1973 vor Die Vorschriften zur Gesamthochschule brachten eine gewisse Annäherung an die Vorstellungen der CDU/CSU. Die integrierte Gesamthochschule, in der die Bundesregierung die notwendige Organisationsform für die Neuordnung des Hochschulwesens sah 21), sollte zwar als Regelhochschule angestrebt werden, doch blieben die Kriterien des § 5 Abs. 2 für die Zusammenlegung, Struktur, Größe, räumliche Entfernung und wirksame Aufgabenerfüllung ohne Richtwerte und Rahmenzahlen unverbindlich. Die umfassende Güligkeit des Konzepts wurde zudem durch § 44 Abs. 3 Ziff. 8 relativiert, indem davon ausgegangen wurde, daß es Hochschuleinrichtungen gibt, „in denen keine entsprechenden Möglichkeiten (für die Bildung von Gesamthochschulen, d. Verf.) bestehen".

Die Mitbestimmungsregelung des Dohnanyi-Entwurfs stand und fiel mit der Einordnung der Assistenzprofessoren als Hochschullehrer. Da nach § 41 Abs. 3 keine Mitgliedergruppe mehr als die Hälfte der gewählten Mitglieder in den Entscheidungsgremien der Hochschulen stellen durfte, Professoren und Assistenz-professoren aber je eine Gruppe bildeten (§ 41 Abs. 2), wurde vermieden, daß die Professoren entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. 5. 1973 allein die Mehrheit in einem Gremium innehaben würden. Das setzte jedoch voraus, daß die Assistenzprofessoren nach ihrer Qualifikation und Funktion Hochschullehrern gleichgestellt würden, obwohl sie im eigentlichen Sinne Hochschullehrernachwuchs waren. Entsprechend hoch waren im Dohnanyi-Entwurf die Anforderungen an die Qualifikation bei der Einstellung von Assistenzprofessoren. Dadurch konnte das Erfordernis der „Homogenität", das vom Bundesverfassungsgericht zum Hochschullehrerbegriff entwickelt worden war, eingelöst werden Dohnanyi ging mit dieser Regelung bis an die Grenze des vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Rahmens.

Auf der anderen Seite schöpfte der 2. Regierungsentwurf den vom Verfassungsgericht eingeräumten Spielraum nicht aus. Er behandelte Fragen der Lehre und solche der Forschung und Berufung gleich, obwohl das Bundesverfassungsgericht in Lehrfragen eine weitergehende Mitbestimmung ermöglichte. Der ausschlaggebende Einfluß der Hochschullehrer wurde zudem nicht auf diese Angelegenheiten beschränkt, sondern auf alle Zuständigkeiten der Gremien ausgedehnt. Nach § 41 Abs. 6 erhielt die Mehrheit der Hochschullehrer überdies die Möglichkeit, gegen eine die Stimmen von Hochschullehrern einschließende Mehrheit im Gremium Berufungsvorschläge zu verhindern oder konkurrierende Vorschläge dem Minister zur Entscheidung vorzulegen.

Die restriktive, über das Bundesverfassungsgericht hinausgehende Mitbestimmungsregelung zugunsten der Hochschullehrer wurde teilweise aufgefangen durch die Zugehörigkeit des Hochschullehrernachwuchses zur Gruppe der Hochschullehrer. Die Entscheidung bleibt nicht allein den Professoren Vorbehalten. Die Mitbestimmungsregelung war jedoch in sich nicht schlüssig, da sie einerseits die Grenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts fast überspannte, andererseits aber hinter das Urteil zurückging. Folgerichtig richteten sich die Angriffe der Gegner effektiver Mitbestimmungsregelungen gegen die korporationsrechtliche Zuordnung der Assistenzprofessoren zu den Hochschullehrern Die Zuordnung der Assistenzprofessoren zu den Hochschullehrern bildete den eigentlichen Schwachpunkt der Mitbestimmungsregelung des Dohnanyi-Entwurfs. Verfassungsrechtlich umstritten sollte sich die Figur des Assistenzprofessors auch unter praktischen und finanziellen Gesichtspunkten als unhaltbar erweisen.

Der Zugang zur Hochschule war ein zentrales Kapitel des Gesetzentwurfs. Die Regelung stellte nicht mehr in erster Linie auf die Qualifikation ab, die durch eine auf das Studium vorbereitende Schulbildung nachgewiesen wird (Abitur), sondern gleichermaßen auf die Art und Dauer einer Tätigkeit, die seit dem Erwerb der Qualifikation für das gewählte Studium ausgeübt worden ist. Diesem Vorschlag lag der an sich richtige Gedanke zugrunde, daß es für die jungen Menschen besser sei, die Zeit bis zur Zulassung zum Studium durch eine berufspraktische Tätigkeit zu überbrücken und damit ihre Zulassungschancen zu verbessern, als in einem anderen Studium zu „parken" oder nur auf die Zulassung zum Studium zu warten. Ein gewollter Nebeneffekt war eine engere Verbindung, Wechselwirkung und Mobilität zwischen Studium und Berufsleben Der 1974 und noch stärker 1975 zutage tretende Mangel an Ausbildungsplätzen in der beruflichen Bildung und die Jugendarbeitslosigkeit ließen diese Vorschläge jedoch bald als weitgehend undurchführbar erscheinen.

Ein Drittel der Hochschulplätze sollte nach dem Dohnanyi-Entwurf aufgrund der Noten der Schulbildung, ein Drittel aufgrund der berufspraktischen Tätigkeit und ein Drittel an soziale Härtefälle, Ausländer und Bewerber für ein Zweitstudium vergeben werden. Für Studiengänge, in denen eine Auswahl der Bewerber nur nach Schulleistungen ungeeignet wäre (z. B. Medizin) oder eine Auswahl nach Art und Dauer der berufspraktischen Tätigkeit wegen einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Bewerbern zu unzumutbaren Wartezeiten ein - führen war besonderes Ein gangsverfahren vorgesehen (§ 33). Schließlich sollte ein Schulgutachten auf Antrag des Bewerbers erstellt werden, das eine zusammenfassende Beurteilung enthalten sollte, die für die Entscheidung über die Zulassung zum Studium von Bedeutung sein konnte (§ 35).

Letzteres stieß auf den Widerspruch aller Institutionen, Verbände und Sachverständigen, so daß diese Vorschrift sehr schnell fallengelassen wurde.

Die unschlüssige, in sich widersprüchliche und in einigen Bereichen praktisch undurchführbare Anlage des Dohnanyi-Entwurfs ließe sich noch an anderen Punkten nachweisen. Es spiegelt sich darin das ungelöste Dilemma des Bundesgesetzgebers, der politisch nahezu im-mobil war. Der Gesetzentwurf konnte es konsequenterweise auch niemandem recht machen. Die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, der sich bei einigen der vorgeschlagenen Vorschriften auch sozial-liberal regierte Länder anschlossen, machte bei einem Gesamt-text von 86 Paragraphen beispielsweise über 200 Einwände, Änderungs-und Streichungswünsche geltend. Keine der angehörten Institutionen oder Verbände konnte sich mit der Grundanlage des Gesetzentwurfs befreunden. Als schlichter Euphemismus muß angesichts dieser Tatsache die Einlassung von Bildungsminister von Dohnanyi gewertet werden, der Gesetzentwurf sei gut, denn er erhalte von allen Seiten Kritik, weil er einen Mittelweg eingeschlagen habe

Gründe und Auswirkungen des Prioritätsverlustes der Bildungs-und Hochschulpolitik

Eine Veränderung der politischen Prioritäten zu Lasten der Bildungspolitik konnte nicht ohne Auswirkungen auf die finanzwirksamen Regelungen der Hochschulgesetzgebung bleiben. Die höchste Priorität, die Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung der Bildungspolitik eingeräumt hatte, hatte ihren Niederschlag im Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission vom 15. Juni 1973 gefunden. Darin war eine Steigerung der Ausgaben des Bildungsbudgets und der Ausgaben für die Groß-und Ressortforschung von 4, 5 0/o des Bruttosozialprodukts im Jahre 1970 auf 7, 6 °/o im Jahre 1985 vorgesehen Bei einer Zugrundelegung von konstanten Preisen sollten die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung von 1970 bis 1985 mit durchschnittlich 7, 7 % jährlich steigen, während die* Ausgaben für die übrigen Bereiche — bei einem durchschnittlichen Wachstum aller Ausgaben von 5, 7 % — nur um 5, 2 °/o zunehmen könnten.

Für den Hochschulbereich bedeutete das unter anderem eine Zunahme der Studentenzahlen von ca. 500 000 im Jahre 1970 auf ca. 1 Million im Jahre 1985 und eine Studentenquote von 20 0/o bis 23 0/o der jeweiligen Alters-jahrgänge bis 1985 oder eine jahresdurchschnittliche Zunahme der Finanzausgaben im Fünfjahreszeitraum von 6, 6% bis 1975, 6, 4 °/o bis 1980 und 4, 8% bis 1985 (konstante Preise) 27). Der Hochschulsektor genoß damit gegenüber den anderen Bildungsbereichen noch erhöhte Priorität. Finanzierungsprobleme mußten im Hochschulbereich zu gravierenden Einschnitten führen, zumal hier die an die Planungen geknüpften Erwartungen besonders hoch gespannt waren. Es wäre nicht ohne Reiz, das Ringen um die Bildungsfinanzierung im Zusammenhang mit dem Bildungsgesamtplan darzustellen. Man könnte daran demonstrieren, wie schwierig es ist, neue politische Prioritäten in der Finanzplanung mittel-und langfristig abzusichern. Hier muß genügen festzustellen, daß die Finanzminister des Bundes und der Länder am 1. /2. Mai 1974 in Stuttgart mit ihrer Zustimmung zum Gutachten „Bildungsfinanzierung und Gesamthaushalt" der Staatssekretäre den entscheidenden Schlag gegen eine weitere Ausdehnung des Bildungsanteils im Gesamthaushalt geführt haben. Der Rücktritt Willy Brandts wegen der Guillaume-Affäre, der nur wenig später erfolgte, und die Wahl des Finanzministers Helmut Schmidt zum Bundeskanzler kam einer Absegnung des Vetos der Finanzminister gleich.

Die Argumentation der Finanzminister, die mit Varianten immer wieder vorgetragen worden war, ist nicht ohne Plausibilität.

Diese finanzpolitischen Gründe hatten zur Konsequenz, daß der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt, wie er im Bildungsgesamtplan angestrebt wurde, in dem vorgesehenen Zeitraum nicht erreicht werden konnte und daß er sowohl in mittel-als auch in längerfristiger Sicht niedriger angesetzt werden mußte.

Im Bildungsbereich selbst hatte 1973 eine folgenschwere Prioritätenverschiebung weg vom Hochschulbereich hin zur beruflichen Bildung stattgefunden. In der 2. Regierungserklärung Willy Brandts vom 18. Januar 1973 wurde die Reform der beruflichen Bildung erstmals als Ziel der sozial-liberalen Regierungspolitik angesprochen. In der Begründung des am 2. Juni 1974 eingebrachten Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Berufsbildungsgesetz heißt es: „Die Entscheidung der Bundesregierung für den Vorrang der Berufsbildungspolitik ist gefallen, weil einerseits der gesellschaftliche und technische Fortschritt, die wirtschaftliche Zukunft und die soziale Sicherheit in hohem Maße von der Leistungsfähigkeit der beruflichen Bildung abhängen." Die vielfach behauptete Alibifunktion hat die Reform der beruflichen Bildung also keineswegs gehabt. Es war vielmehr die Einsicht in zwingende strukturelle Probleme, die den Vorrang der beruflichen Bildung begründete. Rund 1, 3 Millionen Auszubildende und rund 230 000 Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag mußten instand gesetzt werden, ihre Neigungen und Fähigkeiten zu entfalten, sich im Beruf zu behaupten und sich weiterzubilden.

Die stärkere Gewichtung der beruflichen Bildung konnte nicht ohne Auswirkungen auf den Hochschulsektor bleiben. Der Regierungsentwurf eines Berufsbildungsgesetzes spricht in seiner Begründung den Zusammenhang offen an: „Es kann nicht übersehen werden, daß die Leistungen der öffentlichen Hand und die allgemeine Aufmerksamkeit in der Gesellschaft bisher vor allem weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen zugute gekommen sind. In diesen Bereichen hat eine erhebliche Expansion stattgefunden. Gesellschafts-und bildungspolitische Erkenntnisse und die offenkundigen Ungleich-gewichte in der Entwicklung des Bildungswesens als Gesamtsystem haben jedoch in den letzten Jahren zu einer grundsätzlich anderen Sicht des Verhältnisses zwischen allgemeinem und beruflichem Bildungswesen sowie zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen des Bildungswesens geführt. Die bestehenden Ungleichgewichte zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung haben zu schwerwiegenden Strukturproblemen vor allem in der beruflichen Bildung geführt. Sie sind nur zu bewältigen, wenn sich die Bildungspolitik stärker auf diesen Bereich des Bildungswesens konzentriert."

Die Verschiebung der Probleme im Hochschulbereich

Die lange Dauer der parlamentarischen Beratungen des Hochschulrahmengesetzes hatte eine Verschiebung der Probleme im Hochschulbereich selbst zur Folge. Man kann deutlich eine erste Phase unterscheiden, in der die Probleme Hochschulautonomie und Mitbestimmung die Diskussion beherrschten. Diese Phase stand im Zeichen der Auseinandersetzung um den universitären Ansatz einer Hochschulreform, für den die Autonomie das notwendige Korrelat der Demokratisieruiig* der Hochschulen, war, sollte die Demokratisierung nicht ins Leere laufen. Die Diskussion hatte rasch zu einer Polarisierung geführt, die sich, grob gesprochen, an den Hochschulen im Gegensatz zwischen den im „Bund Freiheit der Wissenschaft" organisierten Ordinarien auf der einen und dem Mittelbau und den Studenten auf der anderen Seite, in den politischen Parteien im Streit zwischen SPD/FDP und CDU/CSU manifestierte.

In dieser Phase, in der angesichts der Entwicklung der Gesetzgebung in einigen SPD-regierten Ländern (z. B. Bremen) ein Durchbruch des universitären Ansatzes nicht völlig ausgeschlossen schien, haben die mächtigen Interessenverbände der Bundesrepublik in die Diskussion eingegriffen. In klarer Erkenntnis dessen, was auf dem Spiel stand, hat der Bundesverband der Deutschen Industrie 1971 „Zur Lage von Forschung, Lehre und Studium an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland 1971" Stellung bezogen Es versteht sich, daß er keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den klar zutage tretenden antikapitalistischen Tendenzen des universitären Ansatzes suchte; er beschränkte sich vielmehr auf die Ablehnung der „Ideologisierung" und „Politisierung" an den Hochschulen und vertrat die Auffassung: „Demokratische Organisationsformen lassen sich nicht auf die Hochschule übertragen." Zur Durchsetzung seiner Forderungen trat er konsequenterweise für die Abschaffung der traditionellen Hochschulautonomie ein

Sehr spät erst griff der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit seinen Forderungen zur Hochschulreform 1973 zugunsten des universitären Ansatzes in die Diskussion ein Im von Maria Weber (CDU) verfaßten Vorwort heißt es: „Der DGB lehnt eine Bildungsreform ab, die lediglich eine rationellere Vermittlung verwertbaren Sachwis -sens anstrebt. ..." Maria Weber fährt fort: „Obwohl die gegebene Entwicklung der Produktivität gesellschaftliche Emanzipation durch Bildung wie nie zuvor in der Geschichte möglich machen würde, wird der Notstand in den Bildungsverhältnissen immer bedrükkender. Darin wird offenbar, daß zwischen Interessen der Gemeinschaft und den auf eine private Gewinnmaximierung ausgerichteten Interessen ein Widerspruch besteht."

Der DGB, der für die integrierte Gesamthochschule eintrat, forderte eine durchgreifende Demokratisierung der Hochschulen. Drittelparitätisch sollten alle Gremien besetzt sein, wobei je ein Drittel der Stimmen auf Arbeitnehmer mit Lehraufgaben (Hochschullehrer), Arbeitnehmer ohne Lehraufgaben (wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Dienstleister) und Studierende entfallen sollten. Eine besondere Gewichtung oder Bevorzugung der Stimmen der Hochschullehrer bei Fragen von Berufungen oder Forschung war im DGB-Konzept nicht vorgesehen. Gleichzeitig forderte der DGB, daß die „Rechtsstellung der Integrierten Gesamthochschule das Recht und die Pflicht umfassen (muß), ihre Angelegenheiten in eigener Zuständigkeit selbst zu verwalten und die Freiheit der Forschung, der Lehre und des Studiums ihrr Mitglieder zu gewährleisten."

Die Parteinahmen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und des Deutschen Gewerkschaftsbundes als der beiden großen antagonistischen Interessenverbände der Bundesrepublik machen deutlich, daß die Hochschulen zur Kampfstätte widerstreitender gesellschaftspolitischer Interessen geworden waren. Die Polarisierung, die der Streit um die Hochschulen schuf, ging weit über Fragen der Hochschulreform hinaus und betraf die Grundprinzipien der gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik. Der politische Streit um die Hochschulen ist allerdings nicht politisch ausgetragen worden. Auf dem Wege der Rechtsprechung wurde ihm durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 (sog. Mitbestimmungsurteil) ein Ende gesetzt, wodurch die Möglichkeit einer Reform, wie sie auch der DGB forderte, abgeschnitten wurde. Die Themen Autonomie und Demokratisierung waren damit obsolet geworden. Der administrativ-technokratischen Lösung einer Hochschulreform war damit der Weg freigemacht worden. Es bedurfte allerdings des Drucks erheblicher Kapazitätsprobleme an den Hochschulen, bis sich Bund und Länder über Einzelfragen der technokratischen Reform einig wurden. Bis zur Bundestagswahl 1972 hatten sich die Regierungen in Bund und Ländern der Hoffnung hingegeben, auf absehbare Zeit die Universitäten so ausbauen zu können, daß — mit Ausnahme der Medizin — alle Studienwünsche erfüllt werden könnten Das Jahr 1973 markiert auch hier einen entscheidenden Wendepunkt. Unter dem Eindruck der Trendanalysen, die bereits für 1978 das Erreichen der für 1985 geplanten Studentenzahlen prognostizierten, wurden sich Bund und Länder bei der Erstellung der Rahmenpläne für den Hochschulausbau rasch darüber klar, daß sich die Numerus-clausus-Problematik in den nächsten Jahren trotz erheblicher Anstrengungen der öffentlichen Hände verschärfen würde Entsprechend wurde die Öffentlichkeit auf diese Entwicklung vorbereitet.

Alle weiteren Maßnahmen im Hochschulbereich mußten notgedrungen unter dem Vorzeichen einer Mängelverwaltung stehen, wobei es nur noch darauf ankam, die beste unter allen schlechten Lösungen zu finden. Während sich die Zahl der Numerus-clausus-Fäeher von Semester zu Semester erweiterte und die Zahl der abgewiesenen Studenten ständig anstieg, wuchs der Druck der Öffentlichkeit auf die Hochschulen und die politisch verantwortlichen Stellen, eine erschöpfende Auslastung der Kapazitäten der Hochschulen zu gewährleisten. Probleme der Kapazitätsberechnung, der Höhe von Lehrdeputaten, der Gewichtung verschiedener Lehrveranstaltungen, die unmittelbar die Interessen der Hochschullehrer und der Universitäten berührten, traten immer mehr in den Vordergrund Die Regellehrverpflichtung für Hochschullehrer wurde das Korrelat der Regelstudienzeit für die Studenten. Die Bewältigung der Engpässe im Hinblick auf die kommenden starken Geburtenjahrgänge — voraussichtlich 125 000 mehr Oberstufenabsolventen jährlich als 1975 — wurde zum alles andere überschattenden Problem.

Die Vorsorge für die nachrückenden Jahrgänge machte auch die Studienreform unter Berücksichtigung von Regelstudienzeiten zur unabweisbaren Aufgabe. Wenn die nachkommende Generation eine Chance zum Hochschulstudium erhalten sollte, mußte versucht werden, die Studienzeiten derer, die bereits einen Studienplatz an der Hochschule inne-hatten, zu straffen und zu verkürzen, um Studienplätze freizumachen. Diese Maßnahme war um so notwendiger, als die mittlere Verweildauer der Studenten an den Hochschulen von 1970 bis 1975 von 5, 7 Jahren auf 6, 5 Jahre sogar noch gestiegen war 39). Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit für die betroffenen Studenten selbst war diese Studienzeitverkürzung vonnöten. Warum sollten diese in der Tat länger unter schwierigen materiellen Bedingungen und in unselbständiger Stellung an den Hochschulen bleiben als unbedingt notwendig, zumal z. B. ihre französischen und britischen Kollegen wesentlich jünger in verantwortungsvolle Stellen im Berufsleben einrücken.

Die Einschätzung des zukünftigen Bedarfs an Hochschulabsolventen veränderte sich seit 1973 ebenfalls radikal. Sah man zuvor unter dem Eindruck des deutschen Nachholbedarfs gegenüber dem Ausland keine Grenzen für den Einsatz ausgebildeter Akademiker, so zeichnete sich bald in einigen Berufen — z. B. Lehrer — ein Überangebot ab. Angesichts der gewaltigen materiellen wie auch menschlichen Investitionen mußte so rasch wie möglich eine Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage nach Akademikern angestrebt werden. Im Zusammenhang mit der Frage der Interdependenz von Arbeitswelt und Ausbildungssystem wurde vor allem das Problem . Bildungssystem und öffentlicher Dienst'akut, da nahezu die Hälfte aller Akademiker eine Tätigkeit im Staatsdienst anstreben. Bestimmte Einstellungs-und Statuserwartungen, die an einen Bildungsabschluß geknüpft werden, mußten zunehmend in Frage gestellt werden.

Trotz der drängenden Probleme und des geringen verbliebenen Entscheidungsspielraums war es lange Zeit offen, ob es zu einer Eini-gung zwischen Bund und Ländern kommen würde. Der Bundesrat hatte gegen das vom Bundestag am 12. Dezember 1974 in 2. und 3. Lesung verabschiedete Gesetz zahlreiche Einwände erhoben und den Vermittlungsausschuß angerufen, der in seinen Verhandlungen nicht vorwärts zu kommen schien. Erst die Mängel der Mängelverwaltung haben letztlich eine Einigung erzwungen. Der bayerische Verfassungsgerichtshof erklärte in einem Urteil vom 1. August 1975 das Bonus-Malus-System des Staatsvertrags der Länder über die Vergabe von Studienplätzen für nichtig und machte damit die Neuregelung der Hochschulzulassung notwendig. Da ein neuer Staatsvertrag der Länder kaum zustande kommen würde — der alte Staatsvertrag war nur gegen erhebliche Bedenken und große Vorbehalte von den Länderparlamenten ratifiziert worden —, brachte das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichts den Durchbruch für eine bundesgesetzliche Regelung des Hochschulzugangs und bahnte damit dem Hochschulrahmengesetz den Weg.

Die Regelungskomplexe des Hochschulrahmengesetzes

Die vom Bundestag am 12. Dezember 1974 in 2. und 3. Lesung beschlossene Fassung des Hochschulrahmengesetzes hatte bereits in den Bereichen Gesamthochschule, Studienreform, Hochschulzulassung und Personalstruktur sowie Mitbestimmung wesentliche Annäherungen an die Vorstellungen der CDU/CSU enthalten. Wenn sie dennoch als deutliches und unübersehbares Kompromißangebot auf zahlreiche Einwände des CDU/CSU-majorisierten Bundesrates gestoßen war, so lag der Grund eher im Unwillen der CDU/CSU, der Regierungskoalition den Erfolg eines Abschlusses dieses so lange diskutierten Gesetzentwurfs zu gönnen, als in tiefgreifenden, grundlegenden Meinungsverschiedenheiten. Erst das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes löste diesen Widerstand der CDU/CSU auf.

In den Bereichen Gesamthochschule und Personalstrukturführten die schließlich gebilligten Verhandlungsergebnisse des Vermittlungsausschusses zu einem Gesetz des „sowohl als auch". Die integrierte Gesamthochschule wurde als Regelhochschule aufgegeben. In § 5 Abs. 1 HRG wird festgehalten, daß Hochschulen als Gesamthochschulen auszubauen oder zusammenzuschließen (integrierte Gesamthochschulen) oder unter Aufrechterhaltung ihrer rechtlichen Selbständigkeit durch gemeinsame Gremien zu Gesamthochschulen zu verbinden sind (kooperative Gesamthochschulen). Damit steht die kooperative Gesamthochschule, wie sie von der CDU angestrebt wurde, gleichberechtigt neben der integrierten Gesamthochschule.

Die Gesamthochschule stand und fiel, wie oben dargelegt worden war, mit der Einführung eines einheitlichen Lehrkörpers. Überleitungen bisheriger Fachhochschullehrer in die neue Lehrkörperstruktur mußten folglich großzügig gehandhabt und den bisherigen Fachhochschullehrern nachträglich die Möglichkeit zu wissenschaftlicher Qualifikation gegeben werden. Dem restriktiven Votum der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat folgend, wird die Überleitung jedoch nicht mehr nur von der Qualifikation, sondern zusätzlich vom Bedarf in den jeweiligen Fächern und den Länderhaushalten abhängig gemacht. Die Möglichkeit nachträglicher wissenschaftlicher Qualifikation wurde außerdem gestrichen. Dafür kann aber — und darin liegt die Konzession an die SPD/FDP-Seite — ein Fach-hochschullehrer auch ohne hervorragende Promotion oder Habilitation übergeleitet werden, wenn eine qualifizierte Lehrtätigkeit an einer Fachhochschule oder Gesamthochschule nachgewiesen wird.

Zahlreiche Änderungen der Regelungen der Personalstruktur lassen die Finanznot der Länder erkennen. Bei den Professoren wurden Regelungen über Art und Umfang der Lehrverpflichtung getroffen und die Freistellungsmöglichkeit für Forschungsvorhaben gestrichen; der Hochschulassistent hat nicht mehr die Hälfte, sondern nur noch einen „angemessene Teil" seiner Arbeitszeit für die eigene Forschung zur Verfügung; der wissenschaftliche Mitarbeiter kann, soweit dies zur Gewährleistung des erforderlichen Lehrbetriebes notwendig ist, zu unselbständiger Lehre herangezogen werden. Gerade letzteres sollte nach dem ursprünglichen Ansatz der SPD/FDP-Koalition unbedingt vermieden werden, um eine saubere Trennung von Lehrfunktion und Dienstleistungsfunktion zu erreichen. Bei der jetzt in Kraft getretenen Fassung besteht die Gefahr, daß der alte Assistent, der Ausgangspunkt der Diskussion um die Neuordnung der Personalstruktur gewesen war, mit seinen mehrfachen Funktionen als Dienstleister, Lehrender und Hochschullehrernachwuchs auf einer niedrigeren Stufe in der Gestalt des wissenschaftlichen Mitarbeiters wieder neu entsteht. Diese Gefahr ist um so größer, als im Haushaltsstrukturgesetz die Graduiertenförderung auf Darlehen umgestellt wurde, so daß zu erwarten ist, daß die Postgraduierten in die Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter drängen werden.

Die Studienreform war einer der umstrittensten Punkte in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses gewesen. Die Meinungsdifferenzen bestanden aber nicht im Grundsätzlichen, sondern bezogen sich auf die Frage, wie die Studienreform möglichst effizient im Sinne des technokratischen Ansatzes bewältigt werden könne. Die CDU/CSU-Länder traten dabei als Befürworter rigoroserer Lösungen und eines möglichst starken staatlichen Einflusses auf. Auf die CDU/CSU geht die Verschärfung des § 17 HRG zurück, der die Sanktionen gegen Studenten bei Überschreitung der Regelstudienzeiten regelt. Danach verliert ein Student die Rechte aus der Einschreibung, wenn er sich nach Aufforderung nicht zur Vor-, Zwischen-oder Abschlußprüfung meldet. In der Bundestagsfassung vom 12. Dezember 1974 war der Verlust der Rechte aus der Immatrikulation allein an die ausgebliebene Meldung zur Abschlußprüfung geknüpft worden. Die Schutzvorschrift der alten Fassung, wonach die Tätigkeit in der Selbstverwaltung der Hochschule und der Studentenschaft bei der Bemessung einer Nachfrist zu berücksichtigen war, ist gestrichen worden.

Strittig war die Einbeziehung der Studiengänge, die mit einer staatlichen Prüfung abschließen, in den Zuständigkeitsbereich der Studienreformkommissionen. Nach den Vorstellungen der CDU/CSU-regierten Länder sollten diese in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Ministerialbürokratie der Länder fallen. Da nahezu die Hälfte aller Studiengänge mit einer Staatsprüfung abschließen, wäre ein Dualismus in der Studienreform entstanden, der weitreichende Folgen hätte haben können. Der Grund für die Forderung der CDU/CSU-regierten Länder lag im Mißtrauen gegenüber den nach der Bundestagsfassung vom 12. Dezember 1974 mehrheitlich von Hochschulmitgliedern zu besetzenden Studienreformkommissionen. Der CDU/CSU wurde entgegengekommen, indem die Vertreter von staatlichen Stellen in den Studienreformkommissionen bei Studiengängen, die mit einer Staatsprüfung abschließen, mehr als die Hälfte der Stimmen erhielten. In den Studienreformkommissionen, die von den Ländern auf Bundesebene gebildet werden, erhalten die staatlichen Vertreter sogar mindestens zwei Drittel der Stimmen.

Massiver konnte der staatliche Einfluß bei der Studienreform kaum gewährleistet werden. Es ist ein weiter Weg, der damit vom ursprünglichen Konzept Leussinks bis zur endgültigen Fassung zurückgelegt wurde. Im Entwurf Leussinks hatte es geheißen, daß in die Studienreformkommission nur von der Hochschule vorgeschlagene Hochschulmitglieder berufen werden können und daß darunter Studenten sein müssen. Der Vertrauensschwund in die Fähigkeit der Hochschulen zur Selbsthilfe spiegelt sich darin ebenso wider wie die Notwendigkeit, in Sachen Studienreform möglichst bald Resultate vorlegen zu müssen. Hält man sich die ursprüngliche Alternative zwischen dem universitären und dem technokratischen Ansatz einer Hochschulreform noch einmal vor Augen, so ist in den jetzt getroffenen Regelungen zur Studienreform der Kulminationspunkt einer Entwicklung zu sehen, die zum völligen Sieg des technokratischen Ansatzes geführt hat.

Die Hochschulzulassung war der Bereich, in dem eine Einigung zwischen Bund und CDU/CSU-regierten Ländern am schwierigsten schien. Die Bundesratsmehrheit hatte ursprünglich die Streichung des ganzen Kapitels gefordert da das Problem im Staatsvertrag der Länder hinreichend gelöst sei. Erst unter dem Druck möglicher chaotischer Zustände in der Folge des Bonus-Malus-Urteils des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 1. August 1975 haben sich die CDU/CSU-regierten Länder schließlich auf eine Regelung durch den Bund eingelassen. Das anfängliche sozial-liberale Konzept wurde dabei allerdings nicht unerheblich revidiert oder verwässert.

Eine Grundforderung der sozial-liberalen Koalition hatte stets darin bestanden, das Abitur in seiner Bedeutung für die Hochschulzulassung zurückzudrängen. Die geringe Aussage-kraft der Abiturnoten für den späteren Studienerfolg und die Negativauslese z. B. von Einser-Abiturienten für den Arztberuf haben ebenso eine Rolle gespielt wie die inzwischen bestätigte Befürchtung, daß ein solches Ausleseverfahren verheerende Auswirkungen an den Schulen haben werde. Die sozial-liberale Koalition hatte deshalb eine hohe Sonderquote bis zu einem Drittel der Studienplätze eingerichtet, für die die Abiturnote keine Rolle spielen sollte. Dabei sollten vor allem Bewerber berücksichtigt werden, für die die Versagung der Zulassung eine außergewöhnliche, insbesondere soziale Härte bedeuten würde. Damit wollte die sozial-liberale Koalition vor allem Studienbewerbern aus unterprivilegierten Schichten den Hochschulzugang ermöglichen. Sonderquoten waren unter anderem auch für Bewerber, die bereits ein anderes Studium abgeschlossen hatten (Zweitstudium)

und für Studiengangwechsler vorgesehen. Die CDU/CSU-regierten Länder sperrten sich zwar nicht grundsätzlich gegen Sonderquoten, wollten diese jedoch zugunsten der Leistungsbewertung des Abiturs zurückdrängen.

Schließlich einigte man sich auf eine Sonder-quote von bis zu drei Zehnteln der Studienplätze (§ 32 Abs. 2 HRG).

Die Leistungsbewertung nach den Abiturnoten sollte auch nach den sozial-liberalen Vorstellungen keineswegs ganz ausgeschlossen werden. Nach Abzug der Sonderquote sollte der überwiegende Teil der verbleibenden Studienplätze aufgrund der Abiturleistungen oder äquivalenter Hochschulzugangsberechtigungen vergeben werden. Die restlichen Studienplätze freilich sollten nach der Dauer einer Berufstätigkeit oder Berufsausbildung seit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung verteilt werden; die reine Wartezeit oder gar ein Parkstudium in einem anderen Fach hingegen nicht mehr angerechnet werden. Weniger inhaltliche Differenzen über Wert oder Un-wert berufspraktischer Tätigkeiten vor dem Studienbeginn, als vielmehr der Druck der Jugendarbeitslosigkeit haben bewirkt, daß die Wartezeit im endgültigen Text nun doch wieder angerechnet wird. Abiturienten, die in Erwartung eines Studienplatzes in die ohnehin raren Ausbildungsplätze drängen würden, müßten den anderen Jugendlichen, die in ganz anderer Weise auf einen Ausbildungsplatz angewiesen sind, diese Plätze wegnehmen und zu einer Verschärfung des Lehrstellenmangels beitragen. In einer Kann-Vorschrift ist die Möglichkeit der Anrechnung einer berufspraktischen Tätigkeit für die Hochschulzulassung doch noch verankert worden (§ 32 Abs. 3, Satz 2 HRG). Das Parkstudium wird auf die Wartezeit nicht angerechnet.

Für die „harten" Numerus-clausus-Fächer (z. B. Medizin, Zahnmedizin) ist ein besonderes Auswahlverfahren vorgesehen, da ansonsten unvertretbar hohe Anforderungen an die Abiturnoten oder zu lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müßten. Im besonderen Auswahlverfahren werden die Abiturnoten durch ein Feststellungsverfahren ergänzt (§ 33 Abs. 2 HRG). Danach kommt den Abitur-noten sowohl im allgemeinen als auch im besonderen Auswahlverfahren eine mitentscheidende Bedeutung zu. Wegen der unterschiedlichen Benotungspraxis in den Ländern, zu deren Ausgleich der Staatsvertrag der Länder das vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof beanstandete „Bonus-Malus-Verfahren" eingeführt hatte, werden „Länderquoten" gebildet. Jedem Land wird in jedem Studiengang ein bestimmter Teil der Studienplätze im Bundesgebiet zugeteilt; um diesen Teil der Studienplätze konkurrieren dann nur noch die Bewerber, die in dem jeweiligen Land die Hochschulreife erworben haben.

Der Umfang der Landesquote wird errechnet nach dem Anteil der Bevölkerung eines Landes an der gleichaltrigen Bevölkerung des Bundesgebiets (18-bis 21jährige) und dem Anteil der Bewerber aus diesem Land im Verhältnis 2: 1. Für die Stadtstaaten, für die die so berechneten Landesquoten zu starken Einbußen geführt hätten, ist eine Sonderregelung (+ 30%) getroffen worden. Diese Regelung, die einen Kompromiß zwischen den Ländern darstellt, die einen hohen Abiturientenanteil haben und jenen Ländern, deren Ausstoß an Abiturienten vergleichsweise niedrig ist, benachteiligt Hessen und Bayern. Die Hochschulzulassung schlägt somit auf die Schulpolitik der einzelnen Länder zurück. Daß es die SPD/FDP-regierten Länder sind, wo der Abiturientenanteil besonders hoch ist, während die CDU/CSU-regierten Länder eine restriktivere Schulpolitik betrieben haben, konnte den Kompromiß nicht erleichtern.

Unterdessen hat das Land Hessen Verfassungsklage in Karlsruhe erhoben, in der es die „Länderquote" angreift, die die hessischen Landeskinder besonders hart trifft. Die hessische Landesregierung glaubt, daß sie sich dabei auf das Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 berufen kann, das in seinen Urteilsgründen eine Bevorzugung oder Benachteiligung von „Landeskindern" abgelehnt hat. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden Wird und ob der politische Kompromiß einer stringenten rechtlichen Überprü-fung standhalten wird. Wie immer das Ergebnis ausfallen wird, die zufriedenstellende Lösung einer Mängelverwaltung wird auch das Bundesverfassungsgericht für die Hochschulzulassung kaum anbieten können.

Der Kampf geht/weiter

Mit der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes ist die technokratische Hoch. Schulreform verwirklicht worden. Der Kampf um die Hochschulen ist gegen die Kräfte in den Hochschulen, gegen den universitären Ansatz entschieden worden. Nahezu alle Elemente des universitären Ansatzes, die der Leussink-Entwurf noch enthalten hatte, waren im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eliminiert worden. Der alle Prognosen sprengende Massenansturm auf die Hochschulen hatte tendenziell technokratischen Lösungen in die Hände gearbeitet, da auf anderem Wege in absehbarer Zeit kaum eine Bewältigung des Massenandranges zu erreichen war. Der von den Massen-und Kapazitätsproblemen ausgehende Zwang zu rasch wirksamen technokratischen Lösungen kam auch den Vorstellungen der CDU/CSU-regierten Länder entgegen, die sich von vornherein gegen alle Elemente des universitären Ansatzes im Hochschulrahmengesetz ausgesprochen hatten.

Im Ergebnis hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Staat und Hochschule zugunsten des Staates verschoben. Die Autonomie der Hochschulen ist angesichts der Reglementierungsrechte und -bedürfnisse des Staates im Hochschulbereich ein leeres Wort ohne konkreten Inhalt geworden. Wenn sich jetzt die Hochschullehrer über die Aushöhlung der Autonomie beklagen so sind sie freilich nicht ganz schuldlos an diesem Prozeß. War es doch der größte Teil der Professorenschaft, der in Abwehr des universitären Ansatzes einer Hochschulreform zur Verteidigung der eigenen Privilegien den verstärkten Staatseinfluß gefordert hatte. Im Kampf gegen den universitären Ansatz hat die konservative Professorenschaft im Bündnis mit der auf technokratische Lösungen bedachten Kultusbürokratie letztlich den Kürzeren gezogen. Auf der Strecke blieb die autonome, sich selbst be-stimmende Hochschule, die auch die Voraussetzung für einige (nicht alle) Privilegien der Hochschullehrer war.

Das Heraufkommen der Massenuniversität und die damit notwendig gewordenen Strukturveränderungen im Hochschulbereich haben Ende der 60er Jahre Bruchstellen aufgerissen, die die Verfechter eines universitären Ansatzes der Hochschulreform für ihre Ziele nutzen wollten. Eine Zeitlang schienen ihre Anstrengungen zumindest an einigen Universitäten von Erfolg gekrönt zu sein. Demokratisierung und Autonomie der Hochschulen wurden Teil jener antikapitalistischen Strukturreformen, die eine neue Gesellschaft, einen neuen Staat herbeiführen sollten. Schließlich hat sich der „kapitalistische" Staat doch als stärker erwiesen und seine Organisationsgesetze auch im Hochschulbereich durchgesetzt. Der Freiraum Hochschule, in dem die neue Gesellschaft antizipiert und vorbereitet werden sollte, wurde rechtlich durch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1973 und faktisch durch die mit dem Massenandrang verknüpften Kapazitätsprobleme ausgehöhlt und aufgelöst. Es ist sicher kein Zufall, daß diese Entwicklung mit dem Rückgang des Einflusses der Jungsozialisten und Jungdemokraten in SPD und FDP zusammenfiel.

Es wäre aber grundfalsch, mit einer absolut pessimistischen Beurteilung der Entwicklung im Hochschulbereich abzuschließen. Zum einen bietet das Hochschulrahmengesetz den Ländern nur einen ausfüllungsbedürftigen Rahmen an und es wird darauf ankommen, diesen Rahmen in den SPD/FDP-regierten Ländern soweit wie möglich im Sinne der ursprünglichen Konzeptionen auszufüllen, wenn auch diese Möglichkeit nicht allzusehr überschätzt werden sollte. Zum anderen sollte jedoch nicht übersehen werden, wieviel Terrain trotz der relativ kurzen Phase des teilweisen Durchbruchs des universitären Ansatzes gewonnen werden konnte. Wenn heute der Wissenschaftsrat feststellt, daß im kommenden Jahrzehnt kaum Chancen für den Hochschullehrernachwuchs bestünden, weil alle Stellen in den letzten Jahren besetzt worden seien so bedeutet das auch, daß gerade diejenigen, die als Assistenten usw. die Reform-bestrebungen an den Hochschulen mit getragen hatten, nun Hochschullehrer geworden sind. Es wird viel, ja es wird alles von ihnen abhängen, ob sie ihren kritischen Anfängen treu bleiben und künftigen Studentengenerationen etwas von jenem Aufbruchsgeist vermitteln, der Ende der 60er Jahre an den Hochschulen herrschte.

Ein anderes, wesentliches Moment ist mit diesem Personalschub verbunden. Gab es vor 1965/66 nur einige wenige Lehrstühle, an denen ein emanzipatorischer Wissenschaftsbegriff in Forschung und Lehre praktiziert wurde, so sind heute die Wissenschaftler, die diesen Wissenschaftsbegriff vertreten, Legion. Der Wissenschaftspluralismus, an den deutschen Hochschulen vor 1965/66 nur ein Begriff ohne Realitätsgehalt, ist seit 1970 reale Wirklichkeit geworden. Dies ist ein Novum von ungeheurer Tragweite, das überhaupt nicht überschätzt werden kann und dessen Konsequenzen voraussichtlich erst in zwanzig oder mehr Jahren voll zur Geltung kommen werden. Die Produktivkraft Wissenschaft mit ihren mittel-und langfristig wirklichkeitsverändernden Tendenzen vermag, für die richtigen Ziele eingesetzt, Großes zu leisten. Die jungen Wissenschaftler an den Hochschulen sollten deshalb wegen der derzeitigen Entwicklung im Hochschulbereich nicht resignieren, sondern konsequent auf die langfristigen Auswirkungen emanzipatorischer Wissenschaft setzen. Wissenschaft braucht Zeit, um praktisch zu werden — und sie erfordert viel, sehr viel Arbeit.

Arbeit und Einsatz auch in den Studienreformkommissionen, die demnächst ihre Arbeit aufnehmen müssen. Nichts wäre falscher als eine Verweigerungsstrategie, die jede Mitarbeit in diesen Kommissionen ablehnt, weil sich die Arbeit an Regelstudienzeiten orientieren muß. Die Regelstudienzeit wird kommen, ob man will oder nicht. Es kommt darauf an, in diesen Studienreformkommissionen, eventuell in enger Zusammenarbeit mit den staatlichen Vertretern der SPD/FDP-regierten Länder, Studiengänge zu konzipieren und durchzüsetzen, die durch exemplarisches Studium kritisches Bewußtsein bei den Studierenden wecken können. Insofern fängt der Kampf um die Lehrinhalte an den Hochschulen überhaupt erst an. Man sollte sich keinen Illusionen darüber hingeben, mit welcher Erbitterung um die Neuordnung der Studiengänge gerungen werden muß. Ähnlich wie bei den hessischen und nordrhein-westfälischen Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht, wird die Reaktion, die bei rein organisatorischen Maßnahmen noch lethargisch geschwiegen hatte, auf den Plan treten und jede emanzipatorische Reform gefährden. Gerade deshalb ist Resignation in der Studienreform absolut fehl am Platze. Die Studienreform ist das weite Feld, auf dem sich die junge Hochschullehrergeneration bewähren muß.

Es war der große Fehler gewesen, daß die Reformkräfte an den Hochschulen nicht schon frühzeitig in den 60er Jahren von einer entsprechenden Politik gefolgte Überlegungen anstellten, welche gesellschaftspolitisch relevanten Kräfte ihre Vorstellungen einer demokratischen Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzen könnte und sollte. In einer maßlosen Überschätzung der eigenen Kräfte und Möglichkeiten,, die im Grunde genommen zeigte, daß man den Elfenbeinturm Hochschule gar nicht verlassen wollte, glaubte man an den Hochschulen, losgelöst von der Gesellschaft die notwendigen Veränderungen selbst bewerkstelligen zu können. Als der Irrtum erkennbar wurde und die Waage sich zugunsten einer technokratischen Hochschulreform zu neigen begann, war es mit dem Umdenken bereits zu spät. Als schließlich der Deutsche Gewerkschaftsbund 1973 für eine massive Stellungnahme zugunsten des universitären Ansatzes einer Hochschulreform gewonnen werden konnte, stand das in die entgegengesetzte Richtung weisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz bereits kurz bevor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund konnte sein Gewicht gar nicht mehr voll zur Geltung bringen.

Eine wesentliche Chance war damit vertan worden. Ob die Entwicklung anders verlaufen wäre, hätte sich der DGB früher eingeschaltet, muß dahingestellt bleiben. Es wird in Zukunft jedenfalls darauf ankommen, diesen Fehler zu vermeiden. Die Studienreform bietet einen hervorragenden Ansatzpunkt, die Bande zwischen Arbeitswelt und Hochschule enger zu knüpfen und die Kluft zwischen Gewerkschaften und Hochschule abzubauen. Im Hochschulrahmengesetz werden an den vor-B gesehenen Studienreformkommissionen neben Hochschulvertretern und Vertretern des Staats Fachvertreter aus der Berufspraxis beteiligt (§ 9 Abs. 3 HRG). Zu den Fachvertreitem aus der Berufspraxis zählen auch Gewerkschaftsvertreter. Deren Interessen sind ’ zu hören und die Bedürfnisse der Arbeitswelt bei der Studienreform mitzuverwirklichen. IDie Kriterien, die danach an eine Hochschulausbildung gestellt werden müssen, betreffen iz. B. die Vorbereitung und den Einsatz der Hochschulabsolventen für eine Humanisierung des Arbeitslebens, auch und gerade iwenn Leitungsfunktionen im Betrieb wahrgeinommen werden. Sie betreffen z. B. aber auch IFragen der Arbeitssicherheit und des Unfall-Is. chutzes in der Ingenieurausbildung, der Aribeits-und Vorsorgemedizin bei der Ausbil11 düng von Ärzten usw.

Bin all diesen Bereichen sind bislang in der IHauptsache nur die Interessen der Arbeitgelber, kaum je der Arbeitnehmer zum Ausdruck »gekommen. Das gleiche gilt für die Gegen-3 stände der wissenschaftlichen Forschung an i den Hochschulen, über Drittmittel und Stif-I tungen hat sich die Wissenschaft bisher aus-I schließlich an den Bedürfnissen der Unternehimer orientiert, über geeignete Kooperation (zwischen Gewerkschaften und Hochschulen i muß hier ein Ausgleich geschaffen werden, n um die Wissenschaft auch als Hilfsinstrument die Arbeitnehmer wirksam werden zu lasft sen. Das Deutlichwerden der Hilfsfunktion (der Wissenschaft für die Arbeitnehmer ist um so wichtiger, als Wissenschaft für die Arbeitnehmer bisher als Herrschaftsinstrument erfahren wurde, wie in den betrieblichen Führungs-und Arbeitsmethoden, in den Herrschaftsrollen von Ingenieuren, Technikern, Betriebspsychologen in der analytischen Arbeitsplatzbewertung. Der Abbau der Sprach-barrieren gehört ebenso dazu wie der Verzicht auf Bevormundung der Arbeitnehmer, ein Manko, das bisher die Verständigungsmöglichkeiten zwischen „linken" Hochschulangehörigen und Arbeitnehmern verstellt hat.

Emanzipatorische Wissenschaft findet so ihren konkreten Gegenstand. Nicht abstrakt und bekenntnishaft sondern in konkreter Anbindung an die Nöte und Bedürfnisse der Arbeitswelt muß sie ihren Anspruch einlösen. Nur in dienender Funktion, nicht mit der herrschaftlichen Arroganz der Besserwisserei, wird sie emanzipatorisch wirksam werden können. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt muß freilich gelernt werden. Der gute Wille genügt nicht, es wird eines engagierten und nachhaltigen Einsatzes bedürfen, um die Entfremdung zwischen „Kopf" und „Hand" zu überwinden. Die Erkenntnis der Notwendigkeit einer tiefergehenden Kooperation zwischen Hochschulen und Gewerkschaft wird, wenn sie konsequent aufgebaut wird, eine erhebliche Kräfteverschiebung in der Gesellschaft der Bundesrepublik bewirken. Wissenschaft wird aus einem Instrument der Herrschaft zu einem Instrument der Befreiung. Wissenschaft und Arbeit werden zusammen die deutsche Gesellschaft und damit auch die Hochschulen verändern können. Das Hochschulrahmengesetz verstellt diese Perspektive nicht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Wilhelm von Humboldt, Uber die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: Wilhelm von Humboldts politische Denkschriften, hrsg. von Bruno Gebhardt, 1. Band, Berlin 1903, S. 252.

  2. Ebd. S. 255.

  3. Ebd. S. 256.

  4. Vgl. z. B. SDS-Landesverband Hamburg, Entwurf eines Hochschulgesetzes vom Februar 1968, in: Studentische Politik, 1968, Heft 3, S. 44.

  5. Bundesassistentenkonferenz, Kreuznacher Hochschulkonzept, verabschiedet von der 2. Vollversammlung 1968, Bonn, 1968, S. 12.

  6. Ebd.

  7. Wissenschaftsrat, Anregungen zur Gestalt neuer Hochschulen, 1962, Bonn 1962.

  8. Abkommen über die Finanzierung neuer Wissenschaftlicher Hochschulen vom 1. 4. 1964.

  9. Forschungsbericht II der Bundesregierung, 1967, Bundestags-Drucksache V/2504, S. 14.

  10. Wissenschaftsrat, Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen bis 1970, Köln 1970.

  11. Wissenschaftsrat, Zur Planung neuer Hochschulen, Berlin 1971.

  12. Kultusministerkonferenz, Grundsätze für ein modernes Hochschulrecht und für die strukturelle Neuordnung des Hochschulwesens vom 10. 4. 1968, in: Kultusministerkonferenz, Zu den vordringlichen Fragen der Hochschulpolitik, Dokumentation, Bonn 1968.

  13. Bildungsbericht ‘ 70. Bericht der Bundesregierung zur Bildungspolitik, Bonn 1970, S. 95.

  14. Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes, Bundestags-Drucksache VI/1873, S. 17.

  15. Hochschulrahmengesetz, Gesetzentwurf der CDU/CSU, Bundestagsdrucksache VU 1784, S. 15/16.

  16. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972, 1 BvL 32/70 — 1 BvL 25/71, S. 37.

  17. Ebd. Abweichende Meinung der Richter Dr. Simon und Rupp-von Brünneck, S. 3/4.

  18. Ebd. S. 3.

  19. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes, Bundestags-Drucksache 7/1328.

  20. Ebd. S. 65.

  21. Vgl.: Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes vom 19. Oktober 1973, Bundestags-Drucksache 7/1328, S. 96; Stellungnahme des Bundes Freiheit der Wissenschaft zum Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes, in: Studentische Politik, 1974, Heft 1/2, S. 71.

  22. Regierungsentwurf eines Hochschulrahmenger setzes, Begründung, Bundestags-Drucksache 7/1328, S. 58.

  23. Dohnanyi am 10. Dezember 1973 vor der SPD-Fraktion anläßlich der Vorbereitung der 1. Lesung jes Hochschulrahmengesetzes im Bundestag.

  24. Bildungsgesamtplan, Stuttgart, 1973, Bd. I S. 127.

  25. Ebd. S. 45, 108.

  26. Regierungsentwurf eines Berufsbildungsgesetzes, Bundestags-Drucksache 7/3714, S. 45.

  27. Ebd.

  28. Stellungnahme des Präsidialarbeitskreises tür Forschungspolitik des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V., Heft 2 der Veröffentlichungen des Präsidialarbeitskreises, BDI-Drucksache Nr. 93, Bergisch Gladbach 1971.

  29. Ebd. S. 16.

  30. Ebd. S. 7.

  31. Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Hochschulreform, beschlossen vom Bundesvorstand des DGB am 8. 5. 1973, in: Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Bildungspolitik, beruflichen Bildung, Hochschulreform; Düsseldorf, ohne Datum.

  32. Ebd.

  33. Ebd., S. 44, 47.

  34. Vgl. Bericht der Bundesregierung über Sofortmaßnahmen zum Abbau des Numerus clausus vom 30. Oktober 1970, Bundestags-Drucksache 6/1338; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abg. Dr. Meinecke, Grüner und der Fraktionen der SPD, FDP vom 22. 9. 1972 betreffend „Bildungspolitik", Bundestagsdrucksache 6/3823, S. 7/8.

  35. Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU betr. Maßnahmen gegen den Numerus clausus vom 29. 11. 1973, Bundestags-Drucksache 7/1313.

  36. Vgl. z. B. PiessemiHeilung des Bundesminislers für Bildung und Wissenschaft 163/75 vom 2. 12. 1975.

  37. Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Hochschulrahmengesetzes, Bundestags-Drucksache 7/1328, S. 85.

  38. Vgl. Stellungnahme des Hochschullehrerverbandes vom 14. 2. 1976.

  39. Wissenschaftsrat, Überlegungen zur personellen Situation an den Hochschulen, Köln, 1975 S. 26 ff.

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