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Die Deutschen und Amerika | APuZ 26/1976 | bpb.de

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APuZ 26/1976 keine Die Deutschen und Amerika Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten

Die Deutschen und Amerika

Hartmut Wasser

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Obwohl die Vereinigten Staaten im zwanzigsten Jahrhundert mehrfach die deutsche Entwicklung entscheidend beeinflußt haben, zählen bis heute objektive Kenntnisse über Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der USA zur Mangelware in unserem Land, präsentiert das deutsche Amerikabild in Vergangenheit und Gegenwart eine seltsame Mischung aus Vorurteil, Legende, Halbwahrheit und Irrtum. Wo in Deutschland seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert über Amerika geurteilt wird, geschieht dies aus europazentrischer Perspektive wie etwa in der spekulativen Geschichtsphilosophie Hegels oder bei Marx und Engels, ferner aus jenem organisch-historischen Weltverständnis der Romantik, dem das junge transatlantische Gemeinwesen als seelenlos-mechanistische Zivilisation, unfähig zu echter kultureller Hervorbringung, erscheinen will. Wo Vormärz-Liberale wie Mohl, Rotteck oder Welcker über das verfassungspolitische Modell Amerika reflektieren, um Anregungen für die konstitutionelle Neugestaltung Deutschlands zu gewinnen, demonstriert das Scheitern der Paulskirchenbewegung die Wirkungslosigkeit solcher Bemühungen, die erst 1919 in den Verfassungsdiskussionen der Weimarer Nationalversammlung neue Aktualität erlangen. Wenngleich seit der Jahrhundertwende die sozialwissenschaftliche Amerikaforschung rasch zunahm (Weber, Sombart, Jellinek, Troeltsch u. a.), ist doch das Amerikabild der deutschen Öffentlichkeit weiterhin von traditionellen Klischees bestimmt geblieben, wie sie die politische Führung im Ersten Weltkrieg und seit der nationalsozialistischen Machtübernahme aus durchsichtigen Motiven bekräftigt hat. Ignoranz und Arroganz haben an jener Kontinuität der Irrtümer im deutschen Amerikaverständnis mitgewirkt, deren politische Folgen in beiden Weltkriegen deutlich geworden sind. Nach 1945 hat sich unter dem Drude der weltpolitischen Ereignisse die Notwendigkeit einer intensiveren Beschäftigung mit den USA für die deutsche Gesellschaft verstärkt. Phasen eines unreflektierten Proamerikanismus und eines emotionalen Antiamerikanismus haben sich abgewechselt. Als Aufgabe aber ist geblieben, die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf ein vorurteilsfreies und nüchternes Amerikaverständnis zu gründen, um sie dauerhaft zu konsolidieren.

^Zweihundert Jahre Unabhängigkeit der USA 3 bieten derzeit Anlaß zu mancherlei Reflexionen, zu historisierender Rückschau auf den Entwicklungsgang des transatlantischen Gejmeinwesens ebenso wie zu gegenwartsbezogeiner Analyse des soziopolitischen „Systems" IUSA und seiner Position im Rahmen der Internationalen Politik. Sie mögen angesichts der Bedeutung der Vereinigten Staaten für den Gang der deutschen Geschichte im zwan9 zigsten Jahrhundert und vor allem für das politische und kulturelle Selbstverständnis der Bundesrepublik auch eine Rückbesinnung auf I das deutsche Amerikabild der letzten zwei j Jahrhunderte rechtfertigen, jene seltsame I Komposition aus Mißverständnis, Verzerrung, I Halbwahrheit und Legende, die eigentlich erst I in unserer Gegenwart realistischere Züge ge winnt.

Welch unheilvolle Rolle jene hybride Uber[Schätzung des „deutschen Weges" im europäisch-atlantischen Raum, der festverwurzelte I Glaube an die höhere Effizienz eines politisch-gesellschaftlichen Autoritarismus, geI paart mit höhnender Geringschätzung demo-I kratisch verfaßter Gemeinwesen, im geschichtf liehen Leben unseres Volkes gespielt hat, oft fenbart sich in schonungsloser Klarheit gerade im deutsch-amerikanischen Beziehungsgeflecht. Vom „Neuen Kurs" wilhelminischer . Außenpolitik erstreckt sich die Kontinuität I des Irrtums zu nationalsozialistischer Weltanschauung und Handlungsstrategie bis hin zum bitteren Ende des Jahres 1945; was Lite! raten-überheblichkeit und klischeeverhaftete an „Amerika-Deutung"

vorbereitet hatten, gebar nach 1890 unheil-trächtige politische Konsequenzen. Der Irrtum in der verantwortungslosen Leichtfertigkeit an, mit der die Oberste Heeresleitung unter den Generalen Hindenburg und Luden

Umrisse einer Beziehung

dorff die Macht der USA öffentlich bagatellisierten, um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu erzwingen; er brachte sich zu Gehör in Hitlers wildem Trotz, die ganze Welt in die Schranken zu fordern, eben und gerade auch die Vereinigten Staaten, die doch vor kurzem erst einen Weltkrieg gegen das Deutsche Reich entschieden hatten; er wirkt weiter in jenem irrational getönten Antiamerikanismus des politischen Extremismus unserer eigenen Zeit.

Dem deutschen Amerika-Bild in Vergangenheit und Gegenwart soll im folgenden umrißhaft nachgespürt werden 1). Nach dem Gesagten mag ein solcher Versuch auch zur Skizze politisch-psychologischer Verfehlungen deutscher Geistes-und Sozialgeschichte.der letzten zwei Jahrhunderte geraten. Der knapp bemessene Raum gebietet unserer Darstellung äußerste Reduktion eines komplexen Sachverhalts; daß sie den Vorwurf der Simplifizierung nach sich ziehen könnte, läßt sich wohl kaum vermeiden. Dennoch mag der Aufweis von Grundmustern, die das deutsche Denken über Amerika kontinuierlich durchziehen, insofern gerechtfertigt sein, als sie die schwer durchschaubare Realität auf nachvollziehbare Weise erhellt und gleichzeitig das Bedürfnis nach einer intensiveren Beschäftigung mit unserem Thema wecken kann 1

I. Die USA im Spiegel deutschen Denkens von der amerikanischen zur französischen Revolution

Europa weiß seit langem, daß das Jahr 1776 eine neue Epoche der Weltgeschichte eingeläutet hat. Politische Ideen europäischen Ursprungs verwirklichten sich in Amerika und gewannen universalen Charakter, angelsächsische Ansätze einer modernen Regierungsund Institutionenordnung wurden in der Neuen Welt ausgebaut und systematisiert: Die Idee staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit (wenngleich von der Verfassung dem indianischen und schwarzen Bevölkerungselement vorenthalten), das Prinzip des auf Volkssouveränität und Gesellschaftsvertrag gegründeten Gemeinwesens, der Glaube an die Gestaltungskraft der Vernunft im politisch-sozialen Raum, Lehren vom rationalen Machterwerb, Machtkontrolle und Machtverlust, angelsächsische Selbstverwaltungstraditionen und britische Parlamentarismustendenzen, die Idee der Repräsentation und des Föderalismus (zumindest letztere eine genuin amerikanische Schöpfung), neue Legitimationsweisen der Politik in Großgesellschaften also, die künftig Herrschafts-und Willensbildungsprozesse demokratisch verfaßter Flächenstaaten bestimmen sollten

Haben die deutschen Zeitgenossen der Jefferson und Washington, der Franklin, Paine, Hamilton und Madison: haben die Kant, Goethe, Schiller, Herder und Lessing, hat die öffentliche Meinung insgesamt die weltpolitische Bedeutung des amerikanischen Geschehens im Zeichen von Unabhängigkeitskrieg und Staats-gründung erkannt und gewürdigt? Trotz intensiver Nachforschungen deutscher und amerikanischer Historiker hat sich kein nennenswerter Widerhall der transatlantischen Vorgänge in Deutschland feststellen lassen.

Dieser Tatbestand läßt sich schwerlich mit Informations-und Kommunikationsdefiziten am Ausgang des 18. Jahrhunderts erklären; Nachrichten aus Amerika strömten durch mancherlei Kanäle nach Europa. Zwar fällt bei einer vergleichenden Betrachtung der Buchpublikationen, die in verschiedenen Sprachen über Amerika zwischen 1760 und 1790 erschienen sind der Umstand ins Auge, daß Deutschland nur mit Campes 1780 veröffentlichten Werk „Die Entdeckung von Amerika" vertreten ist. Daraus jedoch die Annahme abzuleiten, es seien die Informationsquellen über die Vereinigten Staaten hierzulande allzu spärlich geflossen, wäre angesichts der Wirklichkeit eines Zeitschriften-, vor allem aber eines Buchmarktes völlig verfehlt^ dessen international-französischer Charakter sich auch in Deutschland sowohl in der Publikation französischer Werke als auch in vielfältigen Übersetzungen ausländischer Neuerscheinungen niederschlug. Wo Besitz und Bildung nicht ausreichten, um solche Informationschancen zu nutzen, sorgten amerikanische Propagandaschriften, wohl auch Berichte heimkehrender Soldaten, für weiterreichende Möglichkeiten öffentlicher und privater Meinungsbildung. In Berlin förderte Friedrich der Große, obzwar durchaus kein Bewunderer rebellischer Untertanen, die Veröffentlichung manchen proamerikanischen Pamphlets, um seinem Unmut über die britische Kontinentalpolitik Luft zu machen;

in süddeutschen Landen regten sich Sympathien für die amerikanische Sache, die etwa der Journalist und Poet Schubart vor und nach seiner langjährigen Haft auf dem Hohenasperg in der „Deutschen Chronik" und der „Vaterlandschronik" enthusiastisch artikulierte. Doch blieb insgesamt die deutsche Beschäftigung mit dem amerikanischen Revolutionsphänomen am Rande des zeitgenössisch-europäischen Amerikastreites angesiedelt Eine so bedeutsame Schrift wie die „Federalist Papers", kongeniale Interpretation von Wesen und Zielen der amerikanischen Verfassung, geschrieben während ihrer Beratung und Ratifikation von einflußreichen Denkern und Politikern wie Hamilton, Madison und Jay, ist den deutschen Zeitgenossen, wissen wir es recht, gänzlich unbekannt geblieben und auch erst in unseren Tagen ins Deutsche übertragen worden. In einem Lande, das inzwischen unbeschränkte Monarchenwillkür überwunden, sie zum aufgeklärten Absolutismus geläutert hatte, der, obzwar drückend genug, doch rechtsstaatliche Ansätze erkennen ließ und bürgerlicher Emanzipation keine unüberwindbaren Schranken zu setzen schien, fanden die Auseinandersetzungen zwischen dem aufklärerisch-rationalistischen Prinzip der Volkssouveränität und monarchisch-parlamentarischem Machtanspruch Großbritanniens offensichtlich geringeren Widerhall als etwa beim französischen Nachbarn, wo ein allzu rigider Absolutismus die Gesellschaft Von einer Krise in die andere taumeln ließ.

Mehr noch: Das kleinstaatliche Gepräge des Deutschen Reiches ließ keine Weltoffenheit gedeihen, keine den eng begrenzten Horizont sprengenden Perspektiven. Historiker, Soziologen und Psychologen haben Wurzeln k und Wirkungen des deutschen Provinzialismus ausführlich analysiert und die spezifisch deutsche Philosophie der „Innerlichkeit“ aus politisch-sozialpsychologischen Gegebenheiten abgeleitet. Was anders als eben diese Philosophie tritt uns in Goethes Bemerkungen über Amerika entgegen? Es sei die Welt interessiert gewesen, so hat er in „Dichtung und Wahrheit" kundgetän, als ein ganzes Volk Miene machte, sich zu befreien; „ich selbst und mein engerer Kreis befaßten uns mit Zeitungen und Neuigkeiten; uns I; war darum zu tun, den Menschen kennen zu I lernen: die Menschen überhaupt ließen wir gewähren." Gewiß hat der reife Goethe der Weimarer Zeit solch apolitische Haltung gerade auch den Vereinigten Staaten gegenüber revidiert; doch kennzeichnet unser Zitat viel schärfer den Zustand deutschen Denkens, das die Erkundung und Vermittlung politisch-sozialer Aktualität nicht einmal da betrieb, wo es die weltgeschichtliche Dimension des Geschehens ahnend erfaßte.

Unter der Wucht der revolutionären Ereignisse in Frankreich ist das transatlantische Geschehen nicht nur in Deutschland vollends in den Hintergrund gerückt. Manfred Henning-* sen hat das Amerikabild der Europäer als Ausdruck einer sozial-und geistesgeschichtlichen „Verdrängung" der Vereinigten Staaten aus dem europäischen Bewußtsein interpretiert: Seit der Französischen Revolution habe Amerika in der Sicht der Europäer nur ein unselbständiges Anhängsel, einen epigonalen Ableger abendländischer Kultur gebildet, Verkörperung eines allein auf „weltlichen Nutzen“ (Heine) ausgerichteten Gemeinwesens „furchtbarster Nüchternheit" (Lenau). Gerade für Deutschland glaubt Henningsen eine Kontinuität der Verdrängung nachweisen zu können, vor allem im Gefolge hegelianischer Traditionen, und zwar von der Zeit ihres Begründers bis hin zu den Tagen der Frankfurter Schule und der „Neuen Linken"; in ihr erblickt er die eigentliche Ursache des deutschen Antiamerikanismus von der Romantik bis hin zur Gegenwart. Zweifelsohne überspitzt Henningen seine These: „Verdrängung" und Ablehnung Amerikas gehören nicht so eng zusammen, wie er uns suggerieren will. Oft mögen Indifferenz und Indolenz eine größere Rolle dabei gespielt haben, gerade etwa auch in Hegels Amerikabild. Ebenso ließen sich Beispiele für Zusammenhänge ganz anderer Art anführen: Der Anti-Amerikanismus des Nationalsozialismus etwa speiste sich viel eher aus der Anerkennung Amerikas als eigenständiger, wenngleich „artfremder" Realität; auch die gegenwärtige antiamerikanische Agitation politischer Extremisten „verdrängt" das Faktum Amerika nicht, sie sieht vielmehr in der Weltmacht USA und ihrem „Globalismus" ein Phänomen sui generis, das es zu bekämpfen gilt. Sicher kann man aber Henningsens These zustimmen, daß, wann und wo immer Deutsche nach 1789 über Amerika reflektierten, dies in europazentrischer Perspektive geschehen sei.

Konservative Publizisten wie die Hannoveraner Kanzleiräte Ernst Brandes und August Wilhelm Rehberg, beide im Umkreis der Göttinger Georgia Augusta-Universität tätig, haben ebenso wie der spätere Sekretär Metternichs, Friedrich Gentz, das amerikanische Geschehen durch die Brille der Französischen Revolution gedeutet: Der scharfen Kritik an dem radikaldemokratischen Credo, der angeblich ahistorischen Attitüde und abstrakt-doktrinären Verfassungstheorie der Franzosen kontrastierte die positive Würdigung der amerikanischen „Rebellion", die als konservative Verteidigung althergebrachter Rechte gegenüber britischer Machtarroganz und als realitätsnahe Fortentwicklung von geschicht5 lieh Gewachsenem und Respektiertem gedeutet wurden Diese Wertungen sind einigermaßen befremdend für den, der unbefangen die Verfassungsdokumente vergleicht. Ein so intimer Kenner der entwicklungsgeschichtlichen, politischen und rechtshistorischen Bezüge der Menschenrechts-Deklarationen wie der Staatsrechtler Georg Jellinek ist zu einem ganz anderen Ergebnis gelangt: „Die Vergleichung der amerikanischen mit der französischen Erklärung zeigt zunächst, daß die Aufstellung abstrakter und darum vieldeutiger Prinzipien beiden gemeinsam ist, nicht minder das Pathos, mit dem sie vorgetragen werden. Die Franzosen haben nicht nur die amerikanischen Ideen, sondern auch die Form rezipiert, die sie jenseits des Ozeans empfangen haben. Gegenüber dem Wortreichtum der Amerikaner zeichnen sich die Franzosen sogar durch eine im Charakter ihrer Sprache gelegene Kürze und Bündigkeit aus."

Wo jedoch der historische Sinn unsere drei Konservativen immerhin noch vor allzu un-differenzierten Gleichsetzungen bewahrte, gerieten im politischen Tagesstreit um Für und Wider revolutionärer Legitimation das transatlantische Gemeinwesen und seine liberaldemokratischen Verfassungsprinzipien ganz in den Sog der Französischen Revolution, die als die eigentliche Zäsur der Moderne und als Modell globaler Relevanz gewertet wurde.

Wir können in diesem Beitrag nicht der Frage nachspüren, worin und inwieweit Amerika und Frankreich gleiche oder getrennte Wege gingen, ob der Calvinismus der puritanischen Begründer Neuenglands, der aufklärerische Deismus des 18. Jahrhunderts oder das Erlebnis von „Wildnis" und „Grenze" nicht eine spezifisch amerikanische Identität, ein eigentümlich geordnetes Muster gesellschaftlicher Interaktion zeugten, ein Selbstverständnis von politisch-sozialer Verfaßtheit, die mit den Maßstäben europäischer Geschichtserfahrung nicht adäquat zu fassen waren; für unseren Zusammenhang genügt der Hinweis, daß sich deutschem Denken über Amerika diese Frage gar nicht stellte. Das amerikanische Phänomen mochte günstigenfalls auf distanzierte Sympathie im Lager derer stoßen, die mit frankophil-revolutionären Parolen nicht hinterm Berg hielten; es rief erbitterte Ablehnung dort hervor, wo man es mit der verhaßten Eruption von 1789 ursächlich verband. Im Widerstreit der politischen Positionen wollten Versuche nicht gedeihen, die Interpretation der USA am Maßstab historischer Objektivität zu orientieren.

II. Zur Entwicklung des deutschen Amerikabildes im 19. Jahrhundert

Versuchen wir, die langsam steigende Flut deutscher Amerika-Interpretationen im 19. Jahrhundert auf Grundmuster zu reduzieren, so lassen sich drei Ebenen der literarischen Beschäftigung erkennen: Zum einen spielt die Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlichen Institutionengefüge der USA eine wichtige Rolle in den politischen Reformbemühungen des Vormärz-Liberalismus und der deutschen Revolution von 1848, wie denn verfassungspolitisches Interesse am Modell USA stets dann erwachen wird, wenn Deutschland selbst dem Wagnis konstitutionellen Neubeginns ausgeliefert ist. Zu solch pragmatisch-politisch orientierter Perspektive kann auch die wirtschaftliche Dimension gerechnet werden: Von Friedrich List über Georg von Siemens bis hin zu Walter Rathenau und einflußreichen Wirtschaftskreisen der Weimarer Republik sind Forderungen nach ökonomischer Modernisierung Deutschlands unter Berufung auf den Vorbildcharakter amerikanischen Wirtschaftens artikuliert worden. /Zweitens rückt Amerika ins Blickfeld philosophischer Spekulation; dabei frappiert die europazentrische Unbekümmertheit der Betrachtungsweise, die sowohl den intellektuell-philosophischen wie den sozio-ökonomischen Deutungsversuch des weltgeschichtlichen Entwicklungsganges bestimmt. Und drittens läßt sich ein im engeren Sinne kulturelles Räsonieren über das Phänomen Amerika beobachten, das von romantischer Welt-und ILebensschau geprägt wird und eine Fülle an-I tiamerikanischer Ressentiments und Vorurtei1 le zeugt

1. Das verfassungspolitische Modell Amerika in deutscher Sicht

Bis zur Paulskirchenbewegung von 1848 stößt I das Verfassungsrecht der USA auf das vitale I Interesse einer deutschen Staatswissenschaft I liberaler Prägung, die über konstitutionelle ! Reformen im Deutschen Bund wie seinen Mit-> gliedsstaaten reflektiert. Die Führer des südI westdeutschen Liberalismus — Robert von I Mohl, Karl von Rotteck und Karl Theodor \ Welcker — hatten sich seit den zwanziger Jahren ebenso wie der norddeutsche Verfassungshistoriker Gustav Waitz dem Studium des amerikanischen Herrschaftsmodells zugewandt und brachten 1848 ihre Kenntnisse als Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung in deren Verfassungsberatungen ein Vor allem hat sie bei ihren Untersuchungen das Phänomen bundesstaatlicher Ordnung fasziniert: Daß „der nordamerikanische Bundesstaat für seinen umfassenden Zweck und den dadurch bestimmten Inbegriff innerer und äußerer Regierungsrechte eine, wenn auch beschränkte, doch wirkliche souveraine Oberregierungsgewalt über das ganze Bundesgebiet, allgemeine Gehorsams-und Unterthanenpflicht, für die Regierungen und Bürger und eine große Beschränkung selbst der persönlichen Souverainität der ersteren (begründet, d. Verf.), so daß dieselben nie unbeschränkt souverain’ genannt oder gar die Bewahrung ihrer . Souverainität'als Bundes-zweck erklärt werden könnte* j daß wvierundzwanzig verschiedene Staaten in einen einzigen Körper vereinigt, das Beispiel einer wirksamen und gegen Außen und Innen trotz mancher Mängel schützenden gemeinschaftlidien Regierung geben" — beweise dies nicht, „daß es wenigstens manchmal der Mensch selbst in großer Masse über sich gewinnen kann, die kleinlicheren Interessen der Erreichung höherer Zwecke aufzuopfern"? Dies wird mit erstaunter Genugtuung konstatiert und zur Nachahmung empfohlen.

Wenngleich die Schattenseiten amerikanischer VerfassungsWirklichkeit durchaus gesehen wurden, überwog im Amerikabild dieser Liberalen doch die bewundernde Anerkennung für den gelungenen Versuch der freiheitlichen Gestaltung eines modem-progressiven Großflächenstaates, die allerdings in dem Maße ihre politische Wirksamkeit einbüßte, wie nach dem Scheitern der Paulskirchenbewegung konservativ-reaktionäre Ordnungsmodelle einmal mehr in Deutschland dominierten. Zwar wiesen in den Jahren der deutschen Einigung Historiker wie Heinrich von Treitschke oder Konstantin Frantz bei Erörterungen des künftigen Verhältnisses von Gesamtstaat und Einzelstaaten in Deutschland noch einmal auf die amerikanische Verfassungsordnung hin. Ebenso beschäftigten sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung im Jahre 1919 ausführlich mit Vorzügen und Schwächen des transatlantischen Ordnungsmodells, tun Anregungen für die eigene Arbeit zu gewinnen. Gerade das Werk der Weimarer Nationalversammlung offenbarte jedoch die fortdauernde Aktualität der Warnungen Robert von Mohls, die dieser schon 1824 gegen „gefährliche Theorienweisheit" und „metaphysische Hirngespinste" im Bereich der Staatseinrichtungen und konstitutionellen Grundprinzipien erhoben hat. Denn weit davon entfernt, den Entwurf einer praktikablen und freiheitssichemden Herrschaftsordnung zu fördern, hat das amerikanische Verfassungsphänomen, wie es den Weimarer Debatten vorschwebte, eher zu einer Mischung letztlich inkompatibler Staatsgestaltungsprinzipien geführt. Selbst ein so gelehrter Mann wie der Staatsrechtler und Publizist Hugo Preuß, von FriedrichEbert im November 1918 in das Amt des Staatssekretärs des Inneren berufen und mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs für die künftige deutsche Republik betraut, ist über das amerikanische Phänomen gestolpert. Er, der eine „Präsidialverfassung" befürwortete, die einen nach amerikanischem Vorbild mit weitreichenden Machtkompetenzen ausgestatteten Präsidenten an die Spitze des Staates stellen sollte, lehnte das präsidentielle System der USA ab, weil es zum einen allzusehr den Dualismus von Exekutive und Legislative des deutschen Konstitutionalismus widerspiegele, den es gerade zu überwinden gelte, und weil es zum andern durch „geistige Verarmung und politische Verödung des Parlaments" und durch das altbekannte „Beutesystem bei der Besetzung der Verwaltungsämter" charakterisiert sei Ernst Fraenkel hat zu Recht angemerkt, daß ein solches Urteil nicht eben intime Kenntnis des amerikanischen Systems verriet, wenig Vertrautheit auch mit der praktischen Umsetzung amerikanischen Verfassungsrechts in politische Wirklichkeit Es blieb Preuß verborgen, daß der politische Einfluß eines Parlaments keineswegs ausschließlich davon abhängt, daß die Regierung durch ein Mißtrauensvotum gestürzt werden kann; der Politikwissenschaftler und kommende Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow 'Wilson, hatte in seinem kurz zuvor erschienenen Werk über „Congressional Government" den Nachweis geführt, daß gerade im Rahmen einer Präsidial-demokratie das Parlament einen überragenden Einfluß auszuüben vermöge. Auch ließ sich das „Beutesystem" keinesfalls aus strukturellen Gegebenheiten einer Präsidialdemokratie ableiten; vielmehr verkörperte es singuläre amerikanische Methoden bei der Rekrutierung des „Civil Service", die zu Preuß'Zeiten weitgehend schon bürokratischen Auswahlusancen kontinentaleuropäischer Prägung gewichen waren. Mangelhafte Vertrautheit mit amerikanischer Verfassungswirklichkeit hat letztlich die Weimarer Verfassungsväter veranlaßt, jenes Mischsystem aus plebiszitärer Präsidialdemokratie und repräsentativ-parlamentarischer Herrschaftsstruktur zu entwerfen, dessen problematische Konsequenzen sich rasch abzeichneten.

Wenn Irrtümer und Fehleinschätzungen des amerikanischen Phänomens schon in den Reihen derer anzutreffen waren, zu deren Profession die vergleichende Analyse des internationalen Verfassungswesens gehörte, wie mochte es dann um das Amerikabild derer bestellt sein, die aus der Höhe philosophischer Schau über den Gang der Weltgeschichte spekulierten? 2. Amerika im Spiegel der deutschen Geschichtsphilosophie Fragmentarisches Wissen um das Phänomen Amerika kennzeichnet auch die großen Versuche des 19. Jahrhunderts von Hegel über Marx/Engels bis hin zu Nietzsche, die Weltgeschichte einer Gesamtdeutung zu unterwerfen. Hegel, von der Französischen Revolution fasziniert, in seiner Philosophie beständig um dieses epochale Ereignis kreisend erkennt dem amerikanischen Geschehen, wo er es denn erwähnt, nur periphere geschichtliche Bedeutung zu. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte umreißt er den stufenweisen Aufbau der Geschichte der Menschheit als Phasen der Selbstentfaltung des Weltgeistes. Von Amerika ist ganz sporadisch im einführenden Teil die Rede, auf ganzen vier Seiten, die von .der „Neuen Welt" handeln. Daß dieses Amerika nicht weltgeschichtsfähig sei, zumindest nicht in absehbarer Zeit, steht für den Philosophen ganz außer Frage, schon deshalb, weil zu viele Hindernisse einer konsolidierten Staatlichkeit der USA entgegenstehen. „Was das Politische in Nordamerika betrifft", schreibt Hegel, „so ist der allgemeine Zweck noch nicht als etwas Festes für sich gesetzt. . . Nordamerika ist noch nicht als ein gebildeter und ausgereifter, sondern als ein Staat zu betrachten, der noch im Werden ist; er ist noch nicht soweit vorgerückt, um das Bedürfnis des Königstums (!) zu haben." Amerika wird seine weitere Europäisierung abwarten müssen, ehe es am Prozeß der Weltgeschichte teilhaben kann. Getrost schließt Hegel seine Reflexionen über die Neue Welt: „Nachdem wir die Neue Welt und die Träume, die sich an sie knüpfen können, abgetan, gehen wir nun zur Alten Welt über, das heißt zum Schauplatz der Weltgeschichte.. 17).

Auch Marx und Engels wollen den USA historische Potenz nur für eine Zukunft einräumen, die, wie Henningsen treffend bemerkt, i als „eine Extrapolation der europäischen Ge- schichte'erscheint. Ihre europazentrisch orientierte Amerika-Interpretation mutet um so erstaunlicher an, wenn man das wohlI meinende Interesse und den eindringlichI analytischen Eifer der beiden in Sachen USA I mit dem ideologisch verzerrten und Fakten [souverän negierenden Antiamerikanismus des i orthodoxen Marxismus späterer Jahrzehnte [vergleicht.

Daß das Amerikabild von Marx und Engels auf positive Grundtöne gestimmt war, läßt sich an vielen Stellen ihres Werkes nachweisen 18).

Von unverkennbarer Sympathie getragen sind schon die frühen Äußerungen der beiden über die kommunistischen Sozialexperimente in der Neuen Welt, die eines Tages, wer mochte es wissen, als Fanal für die so fatalistisch abwartende europäische Intelligenz wirken konnten 19). Voller Ungeduld hofften sie auf die Hebelkraft der sozialistischen Theorie, welche die amerikanischen Massen „via Sozialismus" in Bewegung setzen würde. Was sich in Marx'Achtzehntem Brumaire des Louis von 1852 andeutete — die InterpretationBonaparte der amerikanischen Gesellschaftsstruktur als eines auf dem Wege zur Klassenfixierung befindlichen Phänomens — bricht sich in jener Grußadresse der Internationale heftig Bahn, die Marx zur Wiederwahl von Abraham Lincoln Ende 1864 verfaßte: „Vom . Anfang des amerikanischen Titanenkampfes fühlten die Arbeiter Europas instinktmäßig", so formulierte Marx, „daß an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing ... Die Arbeiter Europas sind von der Überzeugung durchdrungen, daß, wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Mittelklasse einweihte, so der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird. Sie betrachten es als Wahrzeichen der kommenden Epoche, daß Abraham Lincoln, dem starksinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Race und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen." Was Ernst Nolte anhand seiner eindringlichen Analyse der Marxschen Bonapartismustheorie konstatiert hat — das widerspruchsvolle Spannungsverhältnis zwischen einer „Idealsoziologie" und einer „Realsoziologie'21) —, das charakterisiert auch das Marxsche Amerikabild: Der empirische Analytiker Marx hat sich — man lese seine Artikel über die inneren Vorgänge in den bürgerkriegsgeschüttelten USA für die Leser der Wiener Presse — der uneuropäischen Entwicklung der USA nicht zu verschließen vermocht; die „Idealsoziologie“ des spekulativen Geschichtsphilosophen jedoch verdrängte die historisch singuläre Praxis durch ihre gewaltsame Einbettung in die globale Theorie des Klassenkampfes und verfehlte so, wie schon zuvor der Philosoph Hegel, die genuine Essenz amerikanischer Wirklichkeit.

3. Amerika in der kulturkritischen Beurteilung der Deutschen

Der Grundtenor deutschen Reflektierens über Amerika wird durch das ganze 19. Jahrhundert von Vorstellungen beherrscht, wie sie sich im Bereich der Romantik entfalteten; und manches heutige Klischee, manch aktuelle Legende über das Land jenseits des Atlantiks wurzeln im Dunstkreis dieser Tradition. Einer so ganz dem Glauben an die Bedeutung historisch-organischen Wachstums für die Hervorbringung von Kultur verpflichteten Bewegung wie der deutschen Romantik mußte das transatlantische Gemeinwesen gleichsam als Nichts erscheinen, unfähig in jedem Falle zu kultureller Schöpfung. Mochten Rationalismus und Materialismus, wie man sie im revolutionären Geschehen und der Verfassungsentwicklung Amerikas von 1776 bis 1789 am Werke sah, auch zivilisatorische Formen schaffen, so waren diese doch von den kulturellen Errungenschaften europäischer Staaten nicht nur geographisch meilenweit entfernt

Nikolaus Lenau, obzwar zuweilen auch von enthusiastischer Amerikasehnsucht geplagt, entwirft in Briefen, die einer kurzen Amerikareise im Jahre 1833 entspringen, ein düsterpessimistisches Porträt der USA: „Amerika ist das wahre Land des Untergangs", so läßt ei'sich vernehmen, „der Westen der Menschheit. Das atlantische Meer aber ist der isolierende Gürtel für den Geist und alles höhere Leben." „Bruder, diese Amerikaner sind himmelanstinkende Krämerseelen", so schreibt er an einer anderen Stelle, „tot für alles geistige Leben, maustot. Die Nachtigall hat recht, daß sie bei diesen Wichten nicht einkehft. Das scheint mir von ernster, tiefer Bedeutung zu sein, daß Amerika gar keine Nachtigall hat. Es kommt mir vor wie ein poetischer Fluch. Eine Niagarastimme gehört dazu, um diesen Schuften zu predigen, daß es noch höhere Götter gebe, als die im Münzhaus geschlagen werden." Und schließlich:

„Die Bildung der Amerikaner ist bloß eine merkantile, eine technische. Hier entfaltet sich der praktische Mensch in seiner furchtbarsten Nüchternheit. Doch ist selbst diese Kultur keine von innen organisch hervorgegangene, sondern eine von außen gewaltsam und rapid herbeigezogene, bodenlose und dar-um gleichsam mühselig in der Luft schwebend erhaltene .. .“

Die klischeehaften Amerika-Impressionen des Romantikers Lenau finden hörbaren Wider-hall in Äußerungen Heinrich Heines, etwa in seinen 1840 veröffentlichten Briefen aus Hel goland (an Ludwig Börne), oder in den Tagebüchern Friedrich Hebbels. „Was Sie mir über die amerikanischen Verhältnisse schreiben", so Hebbel in einem Brief vom 29. Dezember 1855 an Amalie Schoppe, „überrascht mich gar nicht. Ohne je dort gewesen zu sein, will ich das Land besser malen, als ob ich darin geboren wäre. Die Freiheit besteht darin, daß man nach Lust und Belieben auf Europa schimpfen darf; eine ähnliche Freiheit genießen wir hier und sind also quitt. Im übrigen aber ruht dort ein ganz anderes Joch über Menschen und Dingen wie bei uns; denn alle Zustände sind poesie-und schwunglos von Anfang; sie sind nicht erst geworden, und das ist ein großer Unterschied, der sich immer folgenschwerer zeigen wird."

Klischees für Wirklichkeit, Ressentiments für empirische Analyse zu nehmen, wird zum beliebten Rezept im deutschen Denken über Amerika. Für die öffentliche Meinung werden die Vereinigten Staaten zukünftig das Land der „Gleichheitstyrannei", des platten Utilitarismus, des seelenlosen Materialismus, des traditionslos-künstlichen Modernismus •und der mechanistischen Zivilisation sein. Nicht LudwigBörne formt das Amerika-Verständnis des deutschen Bildungsbürgertums, der in romantisch-intellektueller Überheblichkeit nur einen Ausdruck schmerzlicher Verdrängung der Unzulänglichkeiten eigener Lebenszustände, gesehen hat; viel eher schon der Basler Kulturphilosoph und Historiker Jakob Burckhardt,der Geschichtslosigkeit mit Barbarei gleichsetzt und schreibt: „Und sodann verzichten auf das Geschichtliche noch Amerikaner, d. h. ungeschichtliche Bildungsmenschen, welche es dann doch von der alten Welt . her nicht ganz los werden. Es hängt ihnen alsdann unfrei, als Trödel an. Dahin gehören die Wappen der New Yorker Reichen, die absurdesten Formen der calvinistischen Religion, der Geisterspuk usw., zu welchem allem aus der bunten Einwanderung noch die Bildung eines neu-amerikanischen leiblichen Typus von zweifelhafter Art und Dauerhaftigkeit kommt..."

III. Das deutsche Amerikabild im 20. Jahrhundert — Beharrung und Wandel

Für die Jahrzehnte bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs sollen jene Aspekte in eins gefaßt werden, die wir für das vergangene Jahrhundert aufgefächert hatten; nicht allein aus Raumgründen, auch geistiger Ökonomie zuliebe. Denn deutsches Räsonieren über die Vereinigten Staaten fügt bis in die Tage der Bundesrepublik hinein dem traditionellen Amerikabild kaum neue Facetten zu, bleibt eher in dem bekannten Netz von Vorurteil, Halbwahrheit und Legende befangen. Zwar nimmt das Wissen über die Vereinigten Staaten innerhalb der Sozialwissenschaften sprunghaft zu. Soziologisch-politisches Den-ken in Deutschland konnte schon um die Jahrhundertwende die Augen nicht länger vor dem wachsenden politischen und ökonomischen Gewicht des transatlantischen Gemeinwesens verschließen, das im Ersten Weltkrieg so massiv in die Waagschale der Entente geworfen wurde.

Ebenso förderten intensivierte Kontakte zwischen Deutschland und Amerika, der vermehrte Austausch von Wissenschaftlern und Publizisten etwa, die Zahl und Qualität wissenschaftlicher Amerika-Studien. Ob sich Max Weber den Ursachen und Auswirkungen der innenpolitischen Reformperiode zuwandte, die seit den neunziger Jahren die amerikanische Verfassungswirklichkeit gründlich veränderte, oder ob er sich mit dem Zusammenklang von protestantischer Existenz und kapitalistischem Geiste beschäftigte; ob Werner Sombart der Frage eine gescheite Untersuchung widmete, warum es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus gebe; ob Georg Jellinek über die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte reflektierte und dabei amerikanisches mit französischem Verfassungsdenken verglich; ob Ernst Troeltsch die Auswirkungen neu errungener Weltmachtstellung der USA auf den politisch-ökonomischen und kulturellen Fortgang der Weltgeschichte analysierte:

stets stoßen wir in diesen Publikationen auf wissenschaftliches Mühen um Objektivität und Rationalität des Urteils. Es ließe sich auch die Liste der Historiker, Soziologen, der Staats-und Wirtschaftswissenschaftler erweitern, die sich unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Phänomen USA beschäftigt haben. Doch möchte solche Aufzählung den Eindruck erzeugen, als stehe sie auch für die Breitenwirkung der wissen11 schaftlichen Hervorbringungen. Er wäre des-halb falsch, weil er den Einfluß sozialwissen-1 schaftlicher Erkenntnisse auf Fixierungen der öffentlichen Meinung überschätzte. Wenngleich sich also in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg immerhin eine positive Korrektur des traditionellen deutschen Amerikabildes umrißhaft abzeichnete, blieb sie doch viel zu schwach, um kräftige Dämme gegen die propagandistische Manipulation und Indoktrination der deutschen Öffentlichkeit zu errichten, die mit dem Ausbruch des Krieges in bislang unbekanntem Ausmaß einsetzte. Amerika rückte in dem Augenblick in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte, als sich die Auseinandersetzungen über Chancen und Gefahren des uneingeschränkten U-Boot-Krieges zuspitzten: „Mit einer bis dahin in Deutschland unbekannten Demagogie versuchten die Befürworter des uneingeschränkten U-Boot-Krieges die Bedenken der . Flaumacher'durch eine Bagatellisierung der amerikanischen Macht und eine Diffamierung der amerikanischen Kultur zu zerstreuen. Die alldeutsch-nationalistische, anti-amerikanische Propaganda drohte das an und für sich schon verzerrte Amerikabild der breiten deutschen Öffentlichkeit völlig zu verfälschen, eine Gefahr, die um so größer war, als nach dem Eintritt der USA in den Krieg die allmächtige deutsche Oberste Heeresleitung ähnliche Methoden ihrer psychologischen Kriegführung zugrunde legte." Ignoranz und Überheblichkeit, in Jahrzehnten vorbereitet, fanden jetzt in der fatalen Diffamierung und Unterbewertung des Gegners zusammen, der rasch den Krieg zugunsten der Entente entscheiden sollte.

Vom Alldeutschtum, der Vaterlandspartei und der OHL hat sich das Band der Fehleinschätzung Amerikas zum Nationalsozialismus gezogen. Die Überzeugung von der Unfähigkeit demokratisch verfaßter Staaten im allgemeinen, der USA im besonderen, zu koordinierter politischer Aktion, zur Verpflichtung der industriellen Gruppengesellschaft auf ein gemeinsames Ziel, zur politischen oder militärischen Effizienz schlechthin, hat das kaiserliche mit dem nationalsozialistischen Regime geteilt Hermann Rauschning, nach 1933 bis zu seinem Bruch mit Hitler Präsident des Danziger Senats, hat in den Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Hitler mancherlei Äußerungen des Führers über die USA festgehalten. Der aus Ignoranz und Arroganz geflochtene Irrtum, seit 1890 kontinuierlicher Begleiter deutscher Politik, feiert hier einmal mehr Triumphe. Ob Hitler apodiktisch erklärte: „Der Amerikaner ist kein Soldat. Die ganze Unterlegenheit und Dekadenz dieser angeblich

jungen Welt zeigt sich in ihrer militärischen Untüchtigkeit" oder ob er im Hinblick auf die Administration Roosevelt seiner Verachtung für das amerikanische „System"

mit den Worten Ausdruck gab: „Es sind die letzten ekelhaften Todeszuckungen eines überlebten korrupten Systems, das eine Schande für die historische Vergangenheit dieses Volkes ist. Seit dem Bürgerkieg, wo die Südstaaten wider alle geschichtliche Logik und jede geistige Gesundheit unterlagen, befinden sich die Amerikaner im Stadium des politischen und völkischen Verfalls. Damals wurden nicht die Südstaaten besiegt, sondern das amerikanische Volk selbst. Unter der Scheinblüte eines wirtschaftlichen und machtpolitischen Aufstiegs ist seitdem Amerika in die Wirbel einer progressiven Selbstzerstörung geraten" — stets bewegte er sich auf lange gebahnten Wegen eines verzerrten Amerikabildes in Deutschland. Hitler, der in den letzten Tagen seiner Herrschaft im Berliner Bunker geäußert haben soll: „Der Krieg mit Amerika ist eine Tragödie, sinnlos und bar jeder grundlegenden Realität" hat keine Anstrengung unternommen, um die Vereinigten Staaten aus dem Krieg herauszuhalten.

Wenngleich die zeitgeschichtliche Forschung Zweifel hegt, ob Hitler den Krieg mit den USA bereits im Jahre 1941 gewollt habe, glaubte er doch, ihn riskieren zu können.

Wir haben die Jahre zwischen den Kriegen übersprungen; die Chronik deutscher Amerikareflexion leidet nicht sehr darunter. Denn trotz der unverkennbaren Vertiefung der Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und den USA trotz der Ausweitung der Informationsmöglichkeiten hat das Amerika-bild der öffentlichen Meinung in Deutschland seinen diffusen Charakter und negativen Unterton bewahrt, hat es sich weiterhin in vorgebahnten Pfaden bewegt. Eine Aussage Oswald Spenglers, des vielgelesenen und einflußreichen Kultur-und Geschichtsphilosophen, mag als Beleg dieser Feststellung für viele andere stehen: „Flüchtige Beobachter redeten vor 1914 von unbegrenzten Möglichkeiten, nachdem sie sich ein paar Wochen lang umgesehen hatten, und die neue . Gesellschaft' Westeuropas nach 1918, aus Snob und Mob gemischt, schwärmt vom jungen, star-ken, uns weit überlegenen und schlechtweg vorbildlichen Amerikanertum, aber sie verwechseln Rekorde und Dollars mit der seelischen Kraft und Tiefe des Volkstums, die dazugehört, wenn man eine Macht von Dauer sein will, den Sport mit Gesundheit der Rasse und geschäftliche Intelligenz mit Geist... Si-cher ist, daß es hier (in Amerika, d. Verf.) bis-her weder ein wirkliches Volk noch einen wirklichen Staat gibt. Können sich beide durch ein hartes Schicksal noch herausbilden oder schließt das der Typus des Kolonialmenschen aus, dessen seelische Vergangenheit anderswo lag und abgestorben ist? Der Amerikaner redet wie der Engländer nicht von Staat und Vaterland, sondern von this Country.

In der Tat handelt es sich um ein unermeßliches Gebiet und um eine von Stadt zu Stadt schweifende Bevölkerung von Trappern, die in ihm auf die Dollarjagd gehen, rücksichtslos und ungebunden, denn das Gesetz ist nur für den da, der nicht schlau oder mächtig genug ist, es zu verachten. Die Ähnlichkeit mit dem bolschewistischen Rußland ist viel größer als man denkt: Dieselbe Weite der Landschaft, die jeden erfolgreichen An-griff eines Gegners und damit das Erlebnis wirklicher nationaler Gefahr ausschließt und so den Staat entbehrlich macht, infolge davon aber auch ein echt politisches Denken nicht entstehen läßt. Das Leben ist ausschließlich wirtschaftlich gestaltet und entbehrt deshalb der Tiefe, um so mehr, als ihm das Element der echten geschichtlichen Tragik, das große Schicksal fehlt, das die Seele der abendländischen Völker durch Jahrhunderte vertieft und erzogen hat... Und endlich findet sich eine fast russische Form des Staatssozialismus oder Staatskapitalismus, dargestellt durch die Masse der Trusts, die den russischen Wirtschaftsverwaltungen entsprechend Produktion und Absatz bis ins einzelne planmäßig nor-men und leiten. Sie sind die eigentlichen Herren des Landes, hier wie dort. Es ist der fauR fstische Wille zur Macht, aber aus dem organnisch Gewachsenen ins seelenlos Mechaniische übersetzt..

SZuletzt verwundert es nicht mehr, daß man-cher Repräsentant der intellektuellen Elite der Weimarer Republik, soweit sie nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in einem unfreiwilligen Massenexodus nach Amerika emigrierte, dem amerikanischen Phänomen, der neuen Umwelt, hilflos und abwehrend gegenüberstand Gerade die deutschen I Dichter und Literaten haben ihr neues Dasein g nicht in bleibenden Werken einfangen könI nen, sondern sich ins Schneckenhaus der I Amerikaverdrängung verkrochen, über ihr I Asyl nur in Briefen, Tagebüchern oder verI einzelt in Memoiren reflektiert, in bitter-zyni scher Form zumeist, die sich nicht allein aus 'individuellem Emigrantenschicksal erklären läßt.

Anders die deutschen (und österreichischen) Wissenschaftler, die in den USA akademische Arbeitsbedingungen vorfanden, welche keine Entfremdungsprobleme aufkommen ließen. Sie konnten an Universitäten und Forschungsinstitutionen, die im Amerika der dreißiger Jahre ohnehin noch im Banne deutscher Wissenschaftsentwicklung standen, kontinuierlich weitervermitteln, was sie zuvor im europäischen Raum geleistet hatten. „Die Auswanderung schenkte Amerika Einstein, die Relativitätstheorie und die Bombe, Bauhaus auf Park Avenue, die Gestaltpsychologie, die Psychoanlayse, die Spieltheorie, das epische Theater, einige der raffinierteren Methoden der sozialwissenschaftlichen Forschung, einige der esoterischeren Varianten des Neomarxismus und einen guten Schuß logischen Positivismus", so hat David Schoenbaum diesen Tatbestand umschrieben

IV. Das deutsche Amerikabild nach 1945 — Spiegel oder Zerrspiegel?

i Das weltgeschichtliche Geschehen seit 1945 I zwang Deutschland zum erstenmal nach jener kurzen Episode gesteigerter Aufmerksamkeit, , die Woodrow Wilsons Person und Handeln 1917/1919 hervorgerufen hatte, Amerika als Weltmacht zu begreifen, in de-I ren Willen das eigene Schicksal weitgehend beschlossen lag. Die psychologische Reaktion den Vereinigten Staaten gegenüber zeigte Re-I flexe eines besiegten Volkes, die von indolen'ter Passivität bis hin zu feindseligem Trotz i reichten. Morgenthau-Plan und alliierte Bombenteppiche hatten im Zusammenhang mit der anfänglichen amerikanischen Besatzungspolitik, deren offizielle Leitlinien noch von Morgenthauschem Geiste geprägt waren, dem Antiamerikanismus neuen Auftrieb vermittelt, auch wenn er durch heftigere Antipathien gegenüber dem Phänomen des Sowjetkommunismus gedämpft wurde. Entnazifizierung und Umerziehung — ideologische Zielsetzungen der westlichen Vormacht — wurden weithin als Instrumente zur Demütigung und dauerhaften Schwächung des Besiegten empfunden. * Daß vom Frühsommer 1945 an auch kooperative Ansätze zwischen den USA und deutschen Demokraten zum Tragen gekommen waren, drang erst zu einem Zeitpunkt voll ins Bewußtsein der Öffentlichkeit, als sich der Kalte Krieg in Europa während der Berlin-Krise zuspitzte.

Im Zeichen eines militanten Antikommunismus, der erfolgreichen sozio-politischen wie ökonomischen Stabilisierung der Bundesrepublik und ihrer Einbettung in das westliche Bündnisgefüge, angesichts weitgehend identischer gesellschaftspolitischer Strukturvorstellungen und ideologischer Überzeugungen hat sich dann in der öffentlichen Meinung der fünfziger Jahre zum erstenmal ein rundweg positives Amerikabild herauskristallisiert, das freilich in seiner extremen Einseitigkeit verwandtschaftliche Spuren mit traditionellen Vorstellungen aufwies. Gerade auch die Sozialwissenschaften haben mit kräftigen Pinselstrichen die Positivität fixieren helfen, um so mehr, als etwa die neugeschaffenen Lehrstühle für Politikwissenschaft an den deutschen Universitäten zunächst mit US-Emigranten besetzt wurden, deren Schriften die amerikanische Demokratie zum Vorbild und Modell auch für die Interpretation des grund-gesetzlichen Demokratie-Verständnisses erhoben

In den sechziger Jahren hat dann unser Amerikabild eine emotionale Polarisierung erfahren, die traditionelle Klischees wieder belebt und neue hat entstehen lassen. Wo einerseits totaler Pro-Amerikanismus und kritiklose Verteidigung amerikanischer Handlungs-und Verhaltensmuster das Denken der deutschen Öffentlichkeit bestimmten, kristallisierte sich im Zeichen von Entspannungspolitik und Vietnam, von neutralistischen und sozialistischen Zielvorstellungen, von Protesthaltungen gegen das Bonner „System" und sein „Establishment" ein linker Antiamerikanismus heraus, der durch selbstkritische Reflexionen in den USA Auftrieb gewann, die um die Rolle der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik und um innergesellschaftliche Probleme und Verdrängungen der westlichen Führungsmacht kreisten. Wo in den fünfziger Jahren ein Au-tor wie Leo L. Matthias einsamer antiamerikanischer Rufer geblieben war stieß sein Buch von der „Kehrseite der USA”, in den sechziger Jahren verfaßt, auf verbreitete Aufmerksamkeit „progressiver" Gruppen, weil es hinter die Fassade amerikanischer „ScheinDemokratie" zu leuchten vorgab

Was Matthias, als deutscher Emigrant über Lateinamerika in die Vereinigten Staaten und dort auf einen Lehrstuhl für Soziologie gelangt, als „Kehrseite" Amerikas präsentierte, geriet in seiner Perspektivenbegrenztheit zum Zerrspiegel mit antiaufklärerischer Wirkung, der von der „Neuen Linken" als repräsentative Analyse amerikanischer Realität ausgegeben und etwa von Rolf Hochhuth auch als Quelle benutzt wurde, aus der er sein antiamerikanisches Theaterstück „Guerillas" speiste Wie ideologischer Doktrinarismus das analytische Vermögen dessen trübt, der sich anschickt, pauschal von einem Volk und seinen gesellschaftlichen Verwirklichungen zu berichten, belegt vor allem Reinhard Lettaus antiamerikanisches Pamphlet, das sich rascher Verbreitung erfreute Daß Lettau nicht einmal die Frage stellt, ob der Faschismus-Begriff als analytisches Instrument zur Erhellung amerikanischer Gegenwart dienen könne, erstaunt angesichts ideologisch geprägter Faschismus-„Theorien" nicht weiter, eher schon der Umstand, daß der Autor seine These vom „täglichen Faschismus"

zwischen Boston, New Orleans und Los Angeles mit Presseberichten dokumentiert, die ganz für sich allein durch die Schärfe ihrer Anklage gegen das eigene „System", durch ihre risikolose Kritik der Mächtigen Amerikas den Lettauschen Faschismus-Vorwurf selber als ideologische Perspektivenverzerrung denunzieren. „Lettau", so hat ganz zu Recht der Faschismus-Kenner David Schoenbaum bemerkt, „sei idiot savant der Art, wie wir sie aus der europäischen Literaturgeschichte kennen, einer. von jenen, deren gute Absichten und unerschütterliche politische Naivität so viel dazu beigetragen haben, die Geschichte der europäischen Linken zu bereichern und zu verwikkeln."

Damit kein Mißverständnis aufkommt: Es gab und gibt genug an den Vereinigten Staaten zu kritisieren. Nicht nur die Nixon-Administration samt Watergate-Skandal haben mancherlei Gründe für Anklage und Empörung frei Haus geliefert. Amerika hat sich in Vergangenheit und Gegenwart als ein Staat präsentiert, der unter anderem auch heuchlerischselbstgerechten Machtmißbrauch und tyrannische Korruption hervorbrachte Und doch sagt gerade Lettaus Buch so gut wie nichts über die wirklichen Schwächen Amerikas aus, weil es sich ganz im Banne altbekannter Klischees bewegt.

Wo sich im Widerstreit der Ideologien das deutsche Amerikabild heute erneut eintrübt, Vorurteil für Wirklichkeit und Glaubensbekenntnis für gesichertes Wissen genommen wird, bleibt die Korrektur der Karikatur Amerika auch künftig eine zu bewältigende Aufgabe In einer historischen Epoche der wechselseitigen deutsch-amerikanischen Schicksalsverflochtenheit steht dabei Wesentlicheres auf dem Spiel als bloß der Kampf gegen traditionelle Mißverständnisse und Legenden um der geschichtlichen Wahrheit willen. Daß Friedrich der Große im Wilhelminischen Zeitalter zum Schutzpatron der nordamerikanischen Kolonien und zum Bewunderer George Washingtons avancierte, daß sich hartnäckig der Glaube an einen „verpaßten historischen Moment" am Leben erhält, der das Deutsche statt des Englischen zur Staats-sprache der USA erheben sollte (wobei vermutlich das vom US-Kongreß im Jahre 1795 mit einer Stimme Mehrheit abgelehnte Gesuch deutscher Immigranten in Virginia, von künftigen Unionsgesetzen auch einen deutschen Text zu publizieren, als Pate der Legende gelten kann) — solche Selbstgefälligkeit stört kaum die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Wohl aber ist jener ideologische Antiamerikanismus von rechts und links problematisch; der eine, vom Morgenthau-Komplex beherrscht, der die USA beschuldigt, seit Jalta und Potsdam mit der Sowjetunion insgeheim konspiriert zu haben mit dem Zweck, ein globales Kondominium auf Kosten europäischer und deutscher Interessen zu errichten; der andere, der vom Trauma kapitalistisch-amerikanischer Weltdurchdringung besessen, auf das Amerika der Börsen-jobber’, des industriell-militärischen Komplexes, der CIA und . Kommunistenfresser'fixiert ist; beide sind letztlich vereint im Kampf gegen die repräsentativ-demokratische Ordnung unseres gesellschaftlichen Lebens, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven. Diesen Antiamerikanismus gilt es im eigenen Interesse abzuwehren. Beherrschte er in Zukunft die öffentliche Meinung unseres Landes, es müßten die politischen Folgen, solche Prophezeiung darf im Licht historischer Erfahrung gewagt werden, verheerend sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die hier gemachten Aussagen werden detaillierter begründet und quellenmäßig abgesichert im Einleitungskapitel eines Amerika-Buches des Verfassers, das 1977 bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart erscheinen wird.

  2. Dazu u. a. Ernst Fraenkel, Amerika im Spiegel gel des deutschen politischen Denkens, Köln/Opladen 1959; Manfred Henningsen, Der Fall Amerika. Zur Sozial-und Bewußtseinsgeschichte einer Verdrängung, München 1974; S. Bauschinger/H. Denkler/W. Malsch (Hrsg.), Amerika in der deutschen Literatur, Stuttgart 1975.

  3. Einen guten Überblick über Prinzipien und Bedeutung des amerikanischen Geschehens von 1776 bis 1787 vermitteln Willi Paul Adams, Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit. Die Verfassungen und politischen Ideen der amerikanischen Revolution, Neuwied 1973; Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Köln/Opladen 19622; Alfred Kelly u. Winfried A. Harbison, The American Constitution. Its Origins and Development, New York 19704; Kurt L. Shell, Das politische System der USA, Stuttgart 1975,

  4. Eine diesbezügliche tabellarische Übersicht findet sich bei R. R. Palmer, Das Zeitalter der demokratischen Revolution. Eine vergleichende Geschichte Europas und Amerikas von 1760 bis zur Französischen Revolution, Frankfurt 1970, S. 262 ff.

  5. Dies wird auch deutlich in der einschlägigen Untersuchung von Harold Jantz, Amerika im deutschen Dichten und Denken, in: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsg. v. W. Stammler, Bd. III, 2., überarbeitete Aufl., Berlin 1962, Sp. 310 ff., obwohl der Autor entgegen seinem Untersuchungsbefund mit Erstaunen auf den wertvollen Beitrag der Deutschen zur Deutung des amerikanischen Phänomens hinweist.

  6. Dichtung und Wahrheit, 4. Teil, Buch 17, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. X, S. 114.

  7. Vgl. Brandes'„Betrachtungen über die Französische Revolution", Jena 1790; Rehbergs „Untersuchung über die Französische Revolution nebst kritischen Nachrichten von den merkwürdigsten Schriften, welche darüber in Frankreich erschienen sind", 2 Teile, Hannover und Osnabrück 1793; Friedrich Gentz, Der Ursprung und die Grundsätze der Amerikanischen Revolution, verglichen mit dem Ursprung und den Grundsätzen der Französischen, Berlin 1800.

  8. Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte, München und Leipzig 19274,

  9. Der Verfasser ist sich, bewußt, daß diese Einteilung geistige Prozesse zerlegt, die vielfach zusammenlaufen, daß sie mancherlei Aspekte des facettenreicheren Amerikabildes, etwa den poetischen, übergeht, daß sie auch das Amerika-Erlebnis etwa der europäisch-deutschen Unterschichten ausklammert, deren Massenemigration jedoch, wie Henningsen richtig bemerkt, das „Verdrängungs" -Syndrom in keiner Weise berührt hat.

  10. Eine ausführliche Darstellung der liberalen Beschäftigung mit dem konstitutionellen Vorbild Amerika im frühen 19. Jahrhundert findet sich bei Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. II, Freiburg 1949, S. 90 ff.; zur Diskussion über das amerikanische Regierungssystem in der Frankfurter Paulskirche vgl. Eckhart G. Franz, Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49, Heidelberg 1958; zum damaligen amerikanisch-deutschen Verhältnis vgl. Günter Moltmann, Atlantische Blockpolitik im 19. Jahrhundert. Die Vereinigten Staaten und der deutsche Liberalismus während der Revolution 1948/49, Düsseldorf 1973.

  11. Karl Theodor Welcker, Stichwort „Bund", in: Staatslexikon, hrsg. v. Karl v. Rotteck u. Karl Th. Welcker, Altona 1836, 3. Bd., S. 81 ff.

  12. Robert von Mohl, Das Bundesstaatsrecht der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Stuttgart/Tübingen 1824, S. VI ff.

  13. Hugo Preuß, Deutschlands republikanische Reichsverfassung, Berlin 1920, S. 68.

  14. Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: Recht und Staat, H. 219/220, Tübingen 1958, S. 48 ff.

  15. Dazu J. Ritter, Hegel und die Französische Revolution, Frankfurt 1965.

  16. G. W. F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1955, S. 206 ff.

  17. Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 16, Berlin 1968, S. 18.

  18. Zum romantischen Amerikabild vgl. u. a. H. Meyer, Nordamerika im Urteil des deutschen Schrifttums bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1929; R. Engelsing, Deutschland und die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert, in: Die Welt als Geschichte, 1958, H. 2/3, S. 141 ff.

  19. Brief an E. Reinbeck vom 5. März 1833, in: N. Lenau, Briefwechsel. Unveröffentlichtes und Unbekanntes, hrsg. v. J. Buchowiecki, Wien 1969, S. 30. Die Einstellung Lenaus zu Amerika analysiert u. a. G. A. Mulfinger, Lenau in Amerika, in: Arnericana Germanica, Bd. 1, H. 2, S. 1 ff.

  20. Brief an A. Schurz vom 16. Okt. 1832, zit. bei Fraenkel, ä. a. O., S. 103.

  21. Brief an J. Klemm, 6. März 1833, zit. bei Fraenkel, a. a. O., S. 104.

  22. A. a. O., S. 29 ff.

  23. J. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betraditungen, hrsg. v. R. Stadelmann, o. O., o. J., S. 30.

  24. Fraenkel, a. a. O., S. 39 ff.

  25. Dazu etwa James V. Compton, Hitler und die USA, Oldenburg/Hamburg 1968, bes. S. 9 ff.

  26. H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich/New York 1940, S. 67 ff.

  27. Ebda.

  28. Compton, a. a. O., S. 232.

  29. Dazu vor allem Werner Link, Die . amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921 bis 1932, Düsseldorf 1970.

  30. Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, München 1933, S. 51 ff.

  31. Hinweise darauf in der Anthologie von Robert Boyers (Hrsg.), The Legacy of the German Refugee Intellectuals, New York 1972; bei Joachim Radkau, Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933 bis 1945, Düsseldorf 1971; ebenso bei Henningsen, a. a. O., S. 162 ff. ,

  32. David Schoenbaum, in: Die ZEIT vom 1. Sept. 1972.

  33. Nicht zufällig hat der linke Antiamerikanismus der sechziger Jahre dieser Politikwissenschaft eine „affirmativ" -proamerikanische Haltung vorgeworfen. Auch von rechts ist sie wegen ihrer proamerikanischen „Charakterwäsche" gescholten worden. Siehe etwa C. Schrenck-Notzing, Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen, Stuttgart 1965.

  34. L. L. Matthias, Die Entdeckung Amerikas anno 1953 oder das geordnete Chaos, Hamburg 1953.

  35. L. L. Matthias, Die Kehrseite der USA, Reinbek, 1964.

  36. R. Hochhuth, Guerillas. Tragödie in 5 Akten, Hamburg 1970.

  37. R Lettau, Täglicher Faschismus. Amerikanische Evidenz aus 6 Monaten, München 1971.

  38. David Schoenbaum, Amerika, du mußt büßen!, in: Die ZEIT vom 15. Okt. 1971.

  39. Dazu aus amerikanischer Sicht u. a. J. W. Fulbright, Die Arroganz der Macht, Hamburg 1967; A. M. Schlesinger, Das erschütterte Vertrauen, Bern/München 1969; Th. H. White, Breach of Faith, New York 1975.

  40. Zum heutigen Amerikabild in der öffentlichen Meinung vgl. W. M. Iwand, Politische Aspekte des Amerikabildes in der überregionalen westdeutschen Presse: Deutsch-amerikanische Beziehungen zu Beginn der 70er Jahre, Frankfurt 1975.

Weitere Inhalte

Hartmut Wasser, Dr. phil. habil., geb. 1937; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Germanistik und Anglistik in Tübingen und München; Professor für Politikwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, Gastdozent der Stanford University. Veröffentlichungen u. a.: Die politischen Parteien, Lübeck 1966; Politische Bil-dung am Gymnasium. Problematik und Praxis, Lübeck 1967; Parteiwesen und parlamentarische Demokratie, Heusenstamm 1970; Wehrdienst und Zivildienst. Ein Arbeitsbuch für den Politikunterricht, 2. Aufl. Paderborn 1976; Deutschland deine Legenden. Berichtigungen zur deutschen Geschichte von Bismarck bis Brandt, Stuttgart 1974 (gern, mit Gerhart Binder); Parlamentarismuskritik vom Kaiserreich zur Bundesrepublik. Analyse und Dokumentation, Stuttgart 1974; Demokratie als Prinzip staatlich-politischer Herrschaftsordnung, Stuttgart 1976; Demokratisierung der Gesellschaft — Chancen und Grenzen, Stuttgart 1976 (Klett-Quellenhefte).