1. Aktionsfeld UNO
Der sowjetische Vorstoß gegen ein künftiges Satellitenfernsehen
Am 8. August 1972 legte der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko der Vollversammlung der Vereinten Nationen den Entwurf einer Konvention über den Gebrauch von künstlichen Weltraumkörpern für die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen vor. Danach sollten „Übertragungen von Fernsehprogrammen mit Hilfe künstlicher Erdsatelliten in andere Staaten, die ohne klar ausgesprochenes Einverständnis dieser Staaten erfolgen", Lais rechtswidrig angesehen" werden. Es wurde vorgesehen, daß die entsprechenden Staaten „sich völkerrechtlich dafür zu verantworten" hätten. Wann immer ein Staat den Aufbau eines Satellitenfernsehsystems plane, soll er, wenn die vorgesehenen Sendungen „anderen Staaten potentiell schaden oder zu unbeabsichtigter Ausstrahlung auf deren Territoxium führen" könnten, vorher zur Aufnahme , entsprechender Konsultationen" mit den Regierungen der möglicherweise betroffenen Länder verpflichtet sein.
Für den Fall, daß ein Staat dies nicht tun oder auswärtigem Einspruch nicht stattgeben würde, waren Sanktionen anvisiert. Jeder Teilnehmerstaat, so hieß es, könne „alle ihm mög-liehen Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, daß auf seinem Territorium rechtswidrig Fernsehsendungen ausgestrahlt werden." „Sol(ehe Maßnahmen" könne „er auf seinem eigenen Territorium, aber auch im Weltraum und in anderen, außerhalb der nationalen Jurisdiktion irgendeines Staates stehenden Bereichen treffen". Alle Unterzeichner der Konvention sollten überdies die Verpflichtung über-nehmen, „in vollem Maße zur Unterbindung rechtswidriger Fernsehsendungen beizutragen"
Der Vorstoß. wurde von zahlreichen Rechtfertigungsthesen begleitet. Die Hauptthese war, daß die Souveränität der Staaten absolut zu respektieren sei und. daß sie daher auch in den Fragen des Informationsaustausches zu gelten habe; Dementsprechend bezeichnete es Gromyko als ein zentrales Erfordernis, „die Souveränität der Staaten vor jeglicher Einmischung von außen zu schützen" Wie es hieß, entsprach die Festlegung einer uneingeschränkten Verfügungsgewalt der einzelstaatlichen Regierungen über den Informationsfluß in ihrem Lande „voll und ganz den allgemein anerkannten Normen der staatlichen Souveränität und dem Recht jedes Staates, selbständig alle Fragen des inneren Lebens auf seinem Territorium zu bestimmen"
Das erklärte Hauptziel war, die — als „teuflisch" bezeichnete — „bürgerliche Propaganda" des Westens im sowjetischen Herrschaftsbereich zu unterbinden, die es darauf abgesehen habe, „nicht den demokratischen Prozeß zu intensivieren, sondern ihn auf Abwege zu leiten" Im Namen der einzelstaatlichen Souveränität solle den Regierungen das ausschließliche Recht zustehen, darüber zu bestimmen, welche Informationen ihrer Bevölkerung angeboten würden. Diese Entmündigung der Völker wurde paradoxerweise in der sowjetischen Auslandsagitation mit dem Argument verteidigt, daß man jedem Volk zuge-stehen müsse, „völlig selbständig die Ideen auszuwählen, die ihm am anziehendsten erscheinen" Diese Verdrehung des wirklichen Sachverhalts beruht auf der unausgesprochenen-Prämisse, daß die jeweilige Regierung das Volk darstelle.
Gleichzeitig machten die Sowjetunion und ihre Verbündeten geltend, daß die internationale Kommunikation nur dem Guten, nicht aber dem Schlechten förderlich sein dürfe. In diesem Sinne forderte Gromyko, man müsse „Bedingungen herstellen, unter denen diese neue Form der Raumtechnik (das Satellitenfernsehen) nur den hohen Zielen des Friedens und der Völkerfreundschaft dienen" werde. Es gehe darum „zu verhindern, daß die direkte Fernsehübertragung zu einer Quelle internationaler Konflikte und zu einer Belastung der Beziehungen zwischen den Staaten werde"
Nur „ein solcher Informationsaustausch" solle statthaft sein, „der nicht nur zur Erzeugung von Feindseligkeit und Mißtrauen zwischen den Völkern nicht nutzbar gemacht wird, sondern auch umgekehrt die Entwicklung ihrer gleichberechtigten, wechselseitig vorteilhaften Zusammenarbeit fördern wird" „Die Kanäle und Mittel der Masseninformation", so heißt es, müßten „sauber sein" und „ebenso beschützt und verteidigt werden wie die Umwelt". Nur dann könnten sie „der gegenseitigen Verständigung der Völker, der gegenseitigen Bereicherung der nationalen Kulturen und dem sozialen Fortschritt dienen" Wie ausdrücklich hinzugefügt wird, könnten darum Informationen aus dem Westen nur bedingt in den sowjetischen Herrschaftsbereich Eingang finden, denn sie widersprächen oft der „sowjetischen Gesetzgebung und der Moral der sozialistischen Gesellschaft"
Im Blick auf die westliche Öffentlichkeit wird bevorzugt das Argument verwendet, daß es — namentlich im Widerstand gegen Pornographie und Verbrechensdarstellung — um eine moralische Reinhaltung gehe. Damit verbindet sich die Anklage, daß „die moderne bürgerliche Gesellschaft einen empfindlichen Mangel an Menschlichkeit" aufweise, der sich „zerstörend auf die Persönlichkeit" auswirke und „zu ihrer sittlichen Deformation" führe
An die Führungsgruppen in den Entwicklungsländern dagegen wendet sich die sowjetische Seite hauptsächlich mit dem Argument, daß die kulturellen, religiösen und sozialen Grund-! lagen der Staaten vor fremder Bedrohung ge-j schützt werden müßten In der VollverSammlung der Vereinten Nationen verbanden) die sowjetischen Vertreter beide Argumentationen miteinander: Die Staaten, so erklärten) sie, müßten sich in die Lage versetzt sehen,) ihre Bevölkerungen vor der vom Ausland her propagierten Amoralität, Gewaltverherrlichungi und Kulturlosigkeit zu beschützen
Die Leiter der sowjetischen Politik appellier-) ten an die Herrschaftseliten in der Dritten j Welt, deren Länder einseitig der westlichen;) namentlich amerikanischen Sendetätigkeit aus-) gesetzt sind. Der „Informationsimperialismus" so heißt es, müsse ein Ende finden. Mit der; These, daß es unverantwortlichen Monopolisten nicht mehr gestattet sein solle, den Informationshunger im Ausland für ihre Zwecke auszunutzen, wird der Kampagne ein ausschließlich gegen westliche Nachrichtenträger gerichteter Sinn gegeben
Die Parole lautet, daß die westliche Konzeption einer internationalen Informationsfreiheit auf eine Diskriminierung der früheren Kolonialgebiete und auf eine Privilegierung der früheren Kolonialmächte — also auf eine zwar verschleierte, aber außerordentlich gefährliche Form des Neokolonialismus — hinauslaufe Die UdSSR benutzt mit ihren Verbündeten die Problematik der Entwicklungsländer für ihre völlig andersartigen Ziele und fordert „gleiches Recht" für alle Staaten beim Genuß der Vorteile, die mit der Ausstrahlung von Fernsehprogrammen verbunden sind. Damit es nicht zur „Anarchie" komme, welche die Schwachen benachteilige, wird eine vertragliche Regelung der Nachrichtenübermittlung im internationalen Bereich für unerläßlich erklärt
Ein anderes Mittel der SympathieWerbung bei den — die UNO zahlenmäßig beherrschenden — Staaten der Dritten Welt ist die These, derzüfolge die künftig zu unterbindende „Desinformation" weithin als die Verbreitung rassistischen Gedankengutes hingestellt wird Im Lichte ihrer Gegnerschaft zu Südafrika und ihres Mißtrauens hinsichtlich einer westlich-südafrikanischen Zusammenarbeit soll es den Führern der Entwicklungsländer, namentlich Schwarzafrikas, als notwendig dargestellt werden, die Verbreitung westlicher Information zu stoppen.
Das den sowjetischen Vorstoß bestimmende Gesamtkonzept Hinter dem Konventionsentwurf vom 8. August 1972 steht ein prinzipielles Konzept mit weitreichenden praktischen Konsequenzen. Seine Verwirklichung würde die Regierungen der informationsaussendenden Länder rechtsverbindlich zu Adressaten der Beschwerden und Einsprüche seitens der Regierungen der informationsempfangenden Länder gegen den Inhalt der grenzüberschreitenden Nachrichten machen und sie vertraglich dazu zwingen, allen derartigen Einwänden ohne Rücksicht auf ihre sachliche Berechtigung zu entsprechen. Das würde den Informationsfluß nach dem willkürlichen Ermessen repressiver Regimes einschränken oder auch völlig beseitigen. Zugleich würden die Regierungen anderer Staaten, von deren Territorium Nachrichten in auswärtige Gebiete übermittelt werden, zu Kontrolleuren und Zensoren ihrer Gesellschaften. Denn auch die Sendungen aus nicht-offizieller Quelle werden ausdrücklich in die „ Verantwortlichkeit" einbezogen, die den Regierungen der informationsgebenden Länder zugemutet wird.
Die Freiheit der Meinungsäußerung, die für die Gesellschaften des westlich-demokratischen Typs grundlegend ist, ließe sich dann grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten — eine Forderung, die in den östlichen Aussagen mehr oder minder deutlich ausgesprochen wird Die sowjetischen Äußerungen, die außerhalb der UNO fielen, lassen keinen Zweifel daran, daß sich das sowjetische Verlangen nicht nur auf das Satellitenfernsehen, sondern auf die Massenmedien überhaupt bezieht. Dem sowjetischen Entwurf vom 8. August 1972 kommt dabei lediglich die Funktion eines initiierenden und bahnbrechenden Instruments zu.
Die sowjetischen Vertreter bei den Vereinten Nationen machten nachdrücklich geltend, daß der Informationsfluß über die Grenzen hinweg nicht von „unverantwortlichen privaten Firmen und Gesellschaften", sondern von „verantwortlichen Regierungsfunktionären" seinen Ausgang nehmen solle Diese Forderung war im Sinne des sowjetischen Konzepts konsequent. Denn je mehr die öffentliche Meinung eines Landes verstaatlicht ist, desto leichter kann der betreffenden Regierung eine uneingeschränkte Verantwortlichkeit für Auswahl und Ausrichtung der publizierten Information zugemutet werden.
Natürlich wissen die maßgeblichen Funktionäre in Moskau, daß der angestrebte Endzustand in den westlichen Ländern nicht ohne weiteres — und vor allem nicht auf einmal — zu erreichen ist. Daher wurde, solange dort noch regierungsunabhängige Massenmedien eine Rolle spielten, ausdrücklich die Forderung nach einer vollen Regierungsverantwortlichkeit auch für die privaten Organe der öffentlichen Meinung angemeldet Indirekt soll also auf jeden Fall eine Regierungskontrolle gewährleistet sein. Dieses Verlangen bezieht sich grundsätzlich nicht nur auf die Medien der grenzüberschreitenden Information. Vielmehr sollte ausnahmslos gelten, daß der Staat „die Kontrolle über die grundlegenden Sphären des gesellschaftlichen Lebens verwirklicht"
und daher auch „die Informationsströme so regelt, daß sie auf beste Weise die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Ländern fördern und den Floffnungen der ganzen Menschheit insgesamt entsprechen" 19a).
Einige frühere zwischenstaatliche Übereinkünfte mit propagandapolitischen Wohlverhaltensklauseln — wie insbesondere die amerikanisch-sowjetische Vereinbarung über die Auf-nähme diplomatischer Beziehungen von 1933 und die Völkerbundskonvention über die Nutzung des Rundfunks von 1936 — wurden als Beweise dafür angeführt, daß eine derartige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit bereits geltendes Völkerrecht darstelle " Den gewünschten Prozeß einer Umstrukturierung des Informationssystems in den westeuropäischen Staaten suchte die sowjetische Seite unter anderem dadurch zu fördern, daß sie die internationale Zusammenarbeit zwischen den Rundfunk-und Fernsehanstalten möglichst auf die staatlich kontrollierten Institutionen im Westen beschränken wollte
Die Auseinandersetzungen in der UN-VollVersammlung
Der sowjetische Vorstoß in der UN-VollverSammlung fand nicht den Beifall der Mehrheit. Vor allem scheint der Gedanke, daß die von Gromyko vorgeschlagene Konvention eine Rechtsgrundlage für den Abschuß von Satelliten und damit für gewaltsame Konflikte im Weltraum bilden könnte, abgeschreckt zu haben Allerdings wurde das Argument, daß eine hemmungslose Informationsverbreitung internationale Konflikte schüren, moralische Grundlagen erschüttern und nationale Eigenständigkeiten gefährden könnte, darum nicht völlig abgelehnt. Der Gedanke, daß regulierende völkerrechtliche Vereinbarungen getroffen werden müßten, blieb daher im Raum. Dementsprechend stimmten, nachdem die sowjetische Delegation ihr Maximalverlangen vorerst fallengelassen hatte, am 9. November 1972 alle Mitglieder der UN-Vollversammlung außer den Amerikanern einer Resolution zu, nach der Grundsätze über den Einsatz künstlicher Erdtrabanten für direkte Fernsehübertragungen ausgearbeitet werden sollten.
Während der folgenden Arbeitsgruppenberatungen suchten die Repräsentanten Schwedens und Kanadas 1974 durch einen Formulierungsentwurf zu vermitteln, demzufolge das Satellitenfernsehen nur in diejenigen Länder ausgestrahlt werden sollte, die sich durch ihre Regierungen damit einverstanden erklärt hatten. Da gleichzeitig von freier Information die Rede war, muß angenommen werden, daß sich die Urheber der weitreichenden Auslegbarkeit ihrer ersten Formel nicht bewußt waren
Beratungen in der UNESCO
Die Situation fand auch ihren Ausdruck in j einer Deklaration der UNESCO vom Novern-; ber 1972 über den Gebrauch des Satelliten-fernsehens für Bildungszwecke. Darin . war von den Grundsätzen des'Friedens, der Freundlichkeit und der Zusammenarbeit unter den Nationen die Rede. Die „Souveränität und Gleichberechtigung aller Staaten" sollte respektiert werden. Dementsprechend wurde jedem Land das Recht zugebilligt, „über den Inhalt der Bildungsprogramme zu entscheiden, die über Satelliten an sein Volk ausgestrahlt werden". Es sei notwendig, so hieß es, „daß die Staaten unter Berücksichtigung des Prinzips der Informationsfreiheit im voraus Vereinbarungen treffen oder betreiben bezüglich direkter Fernsehübertragungen an die Bevölkerung von anderen Ländern als dem Übermittlungsursprungsland" Diese Bestimmungen hatten allerdings nur den Charakter einer unverbindlichen Empfehlung an die Mitgliedsstaaten.
Die Experten der UNESCO berieten während ihrer Sitzung im Jahre 1974 einen Deklarationsentwurf über die Rolle der Massenmedien. In Überschrift und Präambel wurde als das Ziel herausgestellt', alle Ideen der Kriegs-verherrlichung, des Rassismus und der Apart-. heid zu bekämpfen. Die „wechselseitige Ach-'tung der Rechte und der Würde der Staaten und Völker" sollte zusammen mit den Prinzipien der Charta und der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen die orientierende Norm bilden. Den Staaten war die Verantwortlichkeit zugedacht, ihre Massenmedien, dementsprechend zu „ermutigen". Den Staaten wurde das Recht zugesprochen, Informa-. tionen über „nationale Ereignisse" im Ausland zu verbreiten
Die drei Delegationen der Sowjetunion brachten eine Reihe von Veränderungsvorschlägen ein. Sie wünschten, daß die Hinweise auf die UN-Menschenrechtsdeklaration und auf die Freiheit der Meinungsäußerung wegfielen. Statt dessen sollte das „Prinzip der Achtung für die nationale Souveränität", verbunden mit dem Gebot einer Förderung der zwischenstaatlichen Verständigung mittels der Massenmedien, ausschließlich im Mittelpunkt stehen. Nach sowjetischer Absicht sollte auch die anti-• rassistische Tendenz noch stärker hervortreten. Als Kernbestimmung wurde angeregt: „Die Staaten sollen verpflichtet sein, alle notwendigen Schritte einschließlich rechtlichen Vorgehens zu unternehmen, um supranationale Körperschaften daran zu hindern, in den Territorien von Staaten Propaganda zu verbreiten, die mit dem Prinzipien der UN-Charta und dieser Erklärung unvereinbar sind.“ Außerdem wollten die sowjetischen Vertreter unzweideutig ausgesprochen wissen, daß sich das vorliegende Dokument auf die gesamte Tätigkeit aller Massenmedien — und nicht etwa nur auf Teilbereiche davon — erstrecke
Die Delegation der DDR schlug eine Formulierung vor, nach der „die Ausübung des Rechtes der Informationsfreiheit besondere Verantwortung nach sich" ziehe. Dementsprechend sollte es die „Pflicht der Staaten, die Information verbreiten," sein, „wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine Regelung des Gebrauchs der Massenmedien gerichtet sind, damit wahrscheinliche Informationsmißbräuche unterdrückt werden". Außerdem wurde gefordert, daß den Staaten ausdrücklich eine „Verantwortung für die Aktivitäten der nationalen Massenmedien" zufallen solle und daß sie daher „Informationen in einer Weise" zu verbreiten hätten, „die mit der wechselseitigen Achtung der Rechte und der Würde aller Staaten Und Völker vereinbar" sei. An die Stelle eines Hinweises auf die Menschenrechte, auf den die sowjetische Seite nicht Bezug genommen hatte, sollte die Berufung auf die „Prinzipien des Völkerrechts" treten
Die UNESCO-Experten nahmen diese Auseinandersetzungen im Dezember 1975 wieder auf. Die Vertreter der kommunistisch regierten Staaten forderten, daß ein vermehrter Informationsaustausch an die Bedingungen der Friedensdienlichkeit, der Vertrauensverstärkung und der Kulturförderlichkeit geknüpft werden müssen. Aus diesem Grund sollten genau umschriebene Prinzipien für den Gebrauch der Massenmedien formuliert werden, die ohne Rücksicht darauf, in wessen Besitz sich diese Medien befänden, Geltung zu beanspruchen hätten. Ein derartiges Abkommen müsse selbstverständlich auf den allgemein anerkannten Völkerrechtsgrundsätzen der nationalen Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten beruhen.
Auch bei zahlreichen Vertretern der Entwicklungsländer machte sich eine deutliche Reserve gegenüber der Vorstellung von einer totalen staatlichen Informationskontrolle bemerkbar. Der Staat und die Medien, so hieß es, hätten unterschiedliehe Aufgaben zu erfüllen. Nur in Extremfällen solle die staatliche Gewalt eingreifen, um Auswüchse und Mißbräuche zu Verhindern.
Die Repräsentanten der westlichen Staaten wiesen auf den bis vor kurzem vorhandenen Konsens über einen freien Informationsaustausch hin, der etwa in der Menschenrechts-deklaration der UNO oder in der Verfassung der UNESCO seinen Ausdruck gefunden habe. Sie räumten jedoch ein, daß im Interesse eines nicht zur einseitigen Informationsflusses über die Grenzen hinweg Rücksichten erforderlich seien. Daher, so erklärten sie, sei der Gedanke von einer Verantwortung der Medien legitim, doch müsse diese Verantwortlichkeit bei den Medien selbst — und nicht etwa bei den Regierungen — liegen.
Das Ergebnis der Diskussionen war ein Entwurf, der sowohl die politischen und. sittlichen Verpflichtungen der Medien unterstrich als auch den Informationsaustausch über die Grenzen hinweg schlechthin zu einem positiven Faktor des internationalen Lebens erklärte. Neben die volle Respektierung der einzelstaatlichen Souveränitätsrechte wurde das Recht der einzelnen Länder und ihrer Massenmedien gesetzt, Nachrichten über nationale Ereignisse nach auswärts zu verbreiten. Von entscheidender Wichtigkeit war, daß den staatlichen Gewalten kein Wächter-und Richteramt darüber zugewiesen wurde, ob die Informationsorgane im In-und Ausland den Geboten des politisch und moralisch Guten entsprechend handelten. Das bedeutete, daß die Medien als selbstverantwortlich behandelt wurden. Der Entwurf enthielt zwar viele Formulierungen, welche die Sowjetunion und ihre Verbündeten in ihrem Sinne auszunutzen versuchen konnten, ließ aber die deutliche Tendenz der meisten UNESCO-Experten erkennen, mögliche Mißbräuche einer unumschränkten Informationsverbreitung nicht mittels staatlicher Aufsicht und staatlicher Repression abzustellen
2. Aktionsfeld KSZE
Die Ausgangslage
In Europa standen den Staaten des sowjetischen Lagers fast ausschließlich Länder mit westlich-demokratischer Organisation und Tradition gegenüber, die an einem freien Nachrichtenwesen interessiert waren. Daher operierte die sowjetische Seite hier nicht in erster Linie mit Thesen, die den freien Informationsfluß als solchen zu einer Gefahr hochstilisierten. Vielmehr bildeten Parolen des Friedens und der Entspannung den Ausgangspunkt der Argumentationen. Zu Beginn der multilateralen Vorgespräche zur KSZE freilich suchte Moskau die Frage überhaupt auszuklammern: Es stünden, so hieß es, nur die zwischenstaatlichen Verhältnisse — nicht aber Fragen der Beziehungen zwischen den Gesellschaften — zur Verhandlung. Daher könnten die Probleme der Informationsverbreitung im Zusammenhang der KSZE überhaupt nicht erörtert werden. Jedes — angeblich der Aufgabenstellung der KSZE zuwiderlaufende — Verlangen, eine freiere Übermittlung von Nachrichten und Ideen zu behandeln, war demnach automatisch mit einer Sabotage an der Konferenz gleichbedeutend. Unterstützend wurde geltend gemacht, die Systemunterschiede in Europa seien so groß, daß an kein Einvernehmen hierüber zu denken sei und daß infolge dessen eine Behandlung dieses Themas nur darauf abzielen könne, die KSZE zum Scheitern zu bringen
Nachdem Breshnew unter dem Eindruck einer geschlossenen Gegnerschaft der atlantischen und der neutralen Staaten am 21. Dezember 1972 einer Erörterung der Informationsverbreitung zugestimmt hatte, machte die sowjetische Seite das Prinzip der uneingeschränkten einzelstaatlichen Souveränität und das Postulat der Friedens-und Moraldienlichkeit zu den Eckpunkten ihrer Verhandlungsposition. Das lief auf eine Strategie der doppelten Absicherung gegen das Verlangen nach einer freieren Informationsverbreitung hinaus. Wenn die sowjetische Führung und ihre Verbündeten völkerrechtlich die absolut souveräne und ungebundene Verfügungsgewalt über die ihren Bevölkerungen angebotenen Informationen zugesprochen erhielten, dann konnten sie jede ihnen unerwünschte Nachricht aus dem Westen auf der Basis eines Ost-West-Konsenses als illegitim bezeichnen und behandeln. Wenn nur diejenigen Informationsgehalte als zulässig anerkannt würden, die nach der Meinung der Herrschenden in den östlichen Empfangs-ländern einem guten Verhältnis zwischen den Staaten und dem moralischen Wohlbefinden der Völker zuträglich waren, dann könnten alle unerwünschten geistigen Einflüsse als diesen Anforderungen nicht entsprechend abgelehnt werden.
Der Verzicht auf die Absicht, die von den NATO-Staaten verlangte Diskussion über einen „freieren Austausch von Personen, Informationen und Ideen" auf der KSZE nicht zuzulassen, bedeutete keinen Verzicht auf den diplomatischen Kampf gegen die nach Osteuropa sendenden westlichen Rundfunkstationen. Die Aufmerksamkeit galt vor allem den Anstalten, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik tätig waren. Unter der Leitthese, daß „Radio Liberty", „Radio Free Europe", der RIAS, die „Deutsche Welle" und der „Deutschlandfunk" die zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa unerträglich belasteten, erwog die sowjetische Führung Diskussionen des Fragenkomplexes auf der KSZE. Ein enger Berater von Generalsekretär Breshnew, Vladimir Smirnow, soll ein Papier darüber ausgearbeitet haben, wie die fünf Sender als „geistige Aggressoren" in einen Gegensatz zur Entspannung gerückt werden könnten. Falls es nicht gelinge, ihre Schließung zu erreichen, sollte sich die Bundesregierung wenigstens dazu verstehen, den genannten Anstalten jede Propaganda gegen die UdSSR und andere Länder, mit denen sie freundschaftliche Beziehungen unterhalte, zu untersagen
Das östliche Vorgehen im Frühjahr und Sommer 1973
Durch Breshnews Wendung vom 21. Dezember 1972 wurde die Informationsverbreitung zwischen Ost und West zum offiziellen Konferenz-thema. Auf der Moskauer Konferenz der War-schauer-Pakt-Staaten vom 15. /16. Januar 1973 koordinierte die sowjetische Seite die KSZE-Strategie der verbündeten Staaten mit ihrer neuen Linie Zum Wiederbeginn der Vorgespräche schlug der sowjetische Vertreter am 22. Januar 1973 vor, daß unter anderem über eine „Ausdehnung der kulturellen Zusammenarbeit und Kontakte zwischen Organisationen und Einzelpersonen sowie Verbreitung von Informationen" gesprochen werden solle
Einige Tage später trat der polnische Chefdelegierte mit dem Verlangen hervor, die Teilnehmerstaaten der KSZE müßten eine Verantwortung dafür übernehmen, daß von ihrem Gebiet aus nur Einflüsse im Sinne des Friedens, der Gutnachbarlichkeit und der Moral auf andere Länder ausgingen. Vertreter anderer Östlicher Staaten, namentlich auch der UdSSR, griffen diesen Vorschlag auf und machten ihn zur zentralen Forderung gegenüber der westlichen Seite Die UdSSR und ihre Verbündeten stießen'freilich mit ihren Wünschen bei den anderen Teilnehmerstaaten auf wenig Gegenliebe. Da die Vorgespräche nur der Festlegung einer Tagesordnung galten, stand die Frage jedoch vorerst noch nicht zur Entscheidung.
Auf einer Pressekonferenz, die der polnische Außenminister Stefan Olszowski am 13. April 1973 während eines Besuchs in Kopenhagen gab, ließ er sich von Journalisten seines Landes fragen, wie er die Tätigkeit von „Radio Free Europe" im Zusammenhang mit der-KSZE beurteile. Olszowski gab zur Antwort, daß er die Angelegenheit nicht mit dem dänischen Außenminister erörtert habe, da dessen Land für diese Rundfunkstation nicht verantwortlich sei. Diese Verantwortung liege bei den Vereinigten Staaten und bei der Bundesrepublik, mit denen das Problem besprochen werde. Die Frage der freieren Information müsse unter dem Gesichtspunkt der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und der Achtung für ihre Kulturen und Traditionen gesehen werden. „Radio Free Europe" entspreche diesen Anforderungen nicht, sondern stelle eine „Spionage-und Subversionsorganisation" dar
Die Aussagen des polnischen Außenministers setzten einen Akzent, der von da an ständig in den, öffentlichen Argumentationen der östlichen Staaten wiederkehren sollte: Die Ausstrahlung von Information von einem Land in ein anderes sei als ein Anschlag auf die Souveränität des Empfängerstaates und als Einmischung in dessen innere Angelegenheiten zu werten.
Während der Außenministertagung der KSZE vom 3. bis 8. Juli 1973 kamen in den verschiedenen Stellungnahmen generelle Grund-haltungen zum Ausdruck. Die meisten Außenminister auf atlantischer und neutraler Seite plädierten nachdrücklich für eine freiere Informationsverbreitung. Die Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten dagegen wollten davon nichts wissen. Für die Sowjetunion sprach Gromyko dezidiert von einer „Ausweitung der kulturellen Zusammenarbeit sowie der Kontakte von Organisationen und Menschen" — also von einer staatlich manipulierten und kontrollierten Kooperation, die einen freien Austausch ausschloß. Anschließend legte er ausführlich die Souveränitäts-und Dienlichkeitsvorbehalte seines Landes dar
Der sowjetische Entwurf für eine General-deklaration vom 4. Juli 1973 enthielt gleichartige Formulierungen. Dabei wurde die als oberstes Gebot herausgestellte Nichteinmischung als die Pflicht der Teilnehmerländer definiert, „die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen der anderen Staaten zu respektieren" Der kulturellen Zusammenarbeit, den Kontakten und dem Informationsaustausch wurde ein eigener Entwurf gewidmet, als dessen Urheber aufgrund einer blockinternen Absprache Polen und Bulgarien auftraten. Die Präambel enthielt dem Sinne nach erneut die Souveränitäts-und Dienlichkeitsvorbehalte. Die weiteren Ausführungen vermieden verbindliche Festlegungen und verwiesen auf den — als wünschenswert bezeichneten — Abschluß künftiger zwischenstaatlicher Vereinbarungen über kulturelle Zusammenarbeit, über Kooparation im. Bildungswesen, über geregelten Informationsaustausch sowie über interinstitutionelle und touristische Kontakte. Damit war indirekt zum. Ausdruck gebracht, daß die internationalen Beziehungen in den genannten Bereichen hinfort ausschließlich nach Maßgabe zwischenstaatlicher Regelungen — also nach Maßgabe des freien Ermessens der beteiligten Regierungen — bestimmt werden sollten
Der Verlauf der Expertenphase der KSZE
Während der Genfer Sachverständigenverhandlungen seit dem 18. September 1973 kamen die Fragen der Informationsverbreitung in der Unterkommission 9 (Information) der Hauptkommission III im einzelnen zur Sprache. Als im Oktober 1973 die Diskussion auf den italienischen Vorschlag einer freien internationalen Verbreitung von Zeitungen kam, wandte sich die sowjetische Seite gegen die Sendungen der nach Osteuropa ausstrahlenden Stationen. Mit Unterstützung seitens der Verbündeten wurde den Rundfunkanstalten eine auf Systemveränderung abzielende Einmischung vorgeworfen. Demgegenüber stellten sich die westlichen Vertreter auf den Standpunkt, daß es um das Recht der Völker auf freie Information gehe (wobei jederzeit die Möglichkeit zum individuellen Abschalten unerwünschter Nachrichten bestehe
Seit Herbst 1973 forderte die sowjetische Seite in der Hauptkommission III, es müsse eine Präambel formuliert werden, welche die volle Achtung der zwischenstaatlichen Verhaltens-prinzipien, insbesondere der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, bei Respektierung der Souveränität, der Gesetze und der Praktiken jedweden Staates zum obersten Gebot der Zusammenarbeit, des Kontaktes und des Informationsaustausches über die Grenzen hinweg zur obersten Pflicht mache. Die westlichen Delegierten wandten dagegen ein, daß dies den Regierungen als Legitimation für den Rückzug von allen Verpflichtungen dienen könnte, die in der Unterkommission für Information beschlossen werden würden. Zusammen mit den Vertretern der neutralen Länder bestanden sie darauf, daß in den Unterkommissionen Punkt für Punkt vorzugehen sei, bevor irgendwelche allgemeine Prinzipien festgelegt würden. Zugleich sollten nur solche grenzüberschreitenden Kooperations-und Austauschbeziehungen stattfinden können, die — natürlich nach sowjetischer Ansicht — geeignet sein würden, der Erhaltung des Friedens und der Bereicherung der Völker zu nützen
In der Folgezeit versuchte die östliche Seite, ihre Präambelforderung damit durchzusetzen, daß sie ein anschließendes Gespräch über die von den anderen Staaten angestrebten konkreten Verbesserungen bei der grenzüberschreitenden Verbreitung in Aussicht stellten.
Nach langen und heftigen Auseinandersetzungen kam es unmittelbar vor der Sommerpause 1974 zu einem Kompromiß. Unter dem Vorbehalt, daß die strittigen Einzelheiten noch ir befriedigender Weise geregelt würden, stimmten die westlichen Vertreter einer Präambel zu. Diese legte die wechselseitige Achtung voi dem Recht jedes'Teilnehmerstaates zur Wahl seines gesellschaftlich-politischen Systems und zur Bestimmung seiner Gesetze und Verordnungen fest. Zugleich verpflichteten sich die Staaten zu einem dem Völkerrecht und den KSZE-Beschlüssen konformen Verhalten und zu einer weiteren Verbesserung der wechselseitigen Kooperation und Informationsverbreitung. Eine derartige Verbesserung wurde als vorbehaltlos im Interesse von Frieden und Verständigung liegend bezeichnet.
Der Grundgedanke der Übereinkunft bestand darin, daß die Konferenzteilnehmer, ungeachtet des Hinweises auf die einzelstaatlichen Selbstbestimmungsrechte, es vermieden, die einzelstaatlichen Regelungen zu Normen bei der Durchführung der Zusammenarbeit, des Kontaktes und der Informationsverbreitung zu erklären. Außerdem wurde durch den Rückbezug der grenzüberschreitenden Kooperation und Informationsverbreitung auf den gesamten Prinzipienkatalog gewährleistet, daß den Grundsätzen der Souveränität und der Nicht-einmischung (welche letztere überdies im Sinne eines Verbots interventionistischer Gewalteinwirkung definiert wurde) keine Zentralfunktion zukommen würde. Auch legten sich die Teilnehmerstaaten inhaltlich auf eine Förderung der menschlichen Kontakte, der Informationsverbreitung und der kulturellen Zusammenarbeit zwischen den Völkern fest Die westlichen Teilnehmerstaaten wünschten unter anderem, daß im Sinne einer freieren Informationsverbreitung die Tätigkeit von Störsendern dauernd eingestellt werden sollte. Die UdSSR hatte zwar zu Beginn der Genfer Sachverständigenverhandlungen die technischen Gegenwirkungen gegen die meisten westlichen Rundfunkprogramme (darunter freilich nicht der beiden Münchener Sender) aufhören lassen, war aber nicht bereit, diesen Schritt unwiderruflich festzulegen. Tatsächlich begannen weitere Störungen im Januar 1974, wenn auch nur zeitweilig. Das westlich-neutrale Drängen auf ein Verbot von Störsendern stieß daher auf unüberwindliche östliche Ablehnung. Alle westlichen und neutralen Forderungen nach einer freien Informationsver-breitung über den Äther führten nur zu Gegenvorwürfen über angebliche Mißbräuche dieser Informationsverbreitung und zu dem Verlangen nach Maßnahmen hiergegen.
Eine Übereinkunft schien ausgeschlossen. Erst unmittelbar vor dem Ende der KSZE wurde auf amerikanisches Drängen „die Ausdehnung bei der Verbreitung von Information durch Rundfunksendungen" festgestellt. Die Teilnehmerstaaten drückten dabei „die Hoffnung auf Fortsetzung dieses Prozesses aus, so daß das dem Interesse an gegenseitiger Verständigung zwischen den Völkern und den von der Konferenz festgelegten Zielen entspricht". Mit diesen verklausulierten Wendungen war gemeint, daß die Reduzierung der östlichen Störtätigkeit begrüßt würde und daß ein weiterer Abbau als wünschenswert gelten sollte. Damit sollte, wie die westliche Seite bei den Verhandlungen deutlich machte, die Informationsverbreitung über den Äther in jedem Fall ohne inhaltliche Vorbehalte als im Interesse der Völkerverständigung und der Konferenzziele liegend gelten. Im übrigen wurde eine „Zusammenarbeit im Bereich der Information auf der Grundlage kurz-oder langfristiger Abkommen oder Vereinbarungen" in Aussicht genommen
Kontroversen um die Interpretation der KSZE-Beschlüsse
Mit der gemeinsamen Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte in Helsinki am 1. August 1975 waren die Auseinandersetzungen nicht abgeschlossen. Sie verlagerten sich lediglich von den Verhandlungen über die strittigen Punkte in den Streit um die Interpretation der diese betreffenden Beschlüsse. Das ließ bereits die Rede von Generalsekretär Breshnew auf der Abschlußsitzung erkennen. Der Parteichef sprach sich zwar für einen „breiteren Informationsaustausch" aus, schränkte dabei aber ein, daß dieser „im Interesse des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern" erfolgen müsse. Dabei fügte er erläuternd hinzu, „daß die Informationsmittel den Zielen des Friedens und des Vertrauens dienen können, aber auch in der Welt das Gift des Zwistes zwischen den Ländern und Völkern verbreiten können". Nach sowjetischer Absicht sollten „die Ergebnisse der Konferenz als richtige Orientierung für die Zusammenarbeit auch in diesen Bereichen dienen" Breshnew suchte damit in der Weltöffentlichkeit den falschen Eindruck zu erwecken, als habe sich das Konzept, das er am 21. Dezember 1972 umrissen hatte, auf der KSZE durchgesetzt.
Diese Thesen kehrten seither in vielen einschlägigen sowjetischen Stellungnahmen wieder. Interpretierend hieß es dazu, die Resultate der KSZE orientierten „auf eine Verbreitung von wahrhaftiger Information", und niemand habe „das Recht, diese Resultate als die Gewährung der Freiheit auszulegen, in der Welt das Gift der Feindschaft, der Desinformation und der Verleumdung auszustreuen" Die sowjetischen Kommentatoren hoben auch hervor, daß die Teilnehmerstaaten der KSZE ohne jede Einschränkung oder Bindung das Prinzip der einzelstaatlichen Souveränität im Blick auf den internationalen Informationsaustausch beschworen hätten Dabei störte es sie nicht, daß in der Schlußakte Hinweise auf einzelstaatliche Kompetenzen sorgfältig und untrennbar mit der Bekundung gemeinsamer Absichten im Sinne der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und der Kommunikationsverbesserungen verknüpft worden waren
Als Rechtfertigung diente das sowjetische Konzept für die Strukturierung der geistigen Austauschbeziehungen zwischen Ost und West, demzufolge ausschließlich eine staatlich organisierte und gelenkte Zusammenarbeit vorgesehen war. Die Vereinbarkeit mit den beschworenen Menschenrechten und Grundfreiheiten wurde dadurch hergestellt, daß die „öffentliche Ordnung, die den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung dient," zum Ausgangspunkt der Argumentation gemacht wurde. Die Mehrheit, so hieß es, habe das Recht, daß die ihnen dienende öffentliche Ordnung den Vorrang erhalte und „nicht nach der Willkür der einen oder anderen Person oder Gruppe", die andere Ansichten vertrete, in Frage gestellt werden dürfe. Daher müsse das „Recht auf freien Ausdruck der Meinung und auch den Empfang von Informationen", „wenn dies für die Respektierung der Rechte und des Ansehens anderer Personen, für den Schutz der Staatssicherheit, der Gesellschaftsordnung, der Gesundheit oder der Moral notwendig ist", angemessenen Einschränkungen unterliegen Während die DDR besonderen Wert auf die These legte, daß die auf der KSZE sanktionierte „Unverletzlichkeit der Grenzen" als deren Undurchdringlichkeit für ungebetene auswärtige Informationen auszulegen sei stellte die Sowjetunion — im Widerspruch zum Text der Schlußakte — die postulierte Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten als ein völkerrechtliches Verbot jeder westlichen Nachrichtenübermittlung nach Osteuropa hin, die nicht auf zwischenstaatlicher Vereinbarung mit den Regierungen der betroffenen Warschauer-Pakt-Staaten beruhe Die Informationsfreiheit, von der in den KSZE-Beschlüssen die Rede sei, könne daher nicht aufgefaßt werden als eine „Verpflichtung (für die Warschauer-Pakt-Staaten), die Türen weit für eine antisowjetische subversive Propaganda zu öffnen". Der Rahmen des „Verzichts auf Verleumdung, auf das Schüren von Haß und Mißtrauen, auf ideologische Diversionen und auf die subversiven Methoden des . psychologischen Krieges"'müsse von der westlichen Seite unbedingt eingehalten werden.
Die USA seien — auch aufgrund frührerer bilateraler Vereinbarungen — verpflichtet, dementsprechend mit der „subversiven Tätigkeit der Radiostationen . Liberty'und Free Europe'Schluß zu machen". Die „Überwindung des Erbes des . kalten Krieges'in allen Sphären einschließlich der propagandistischen Tätigkeit" bedeute freilich nicht für die östliche Seite die „Beendigung des ideologischen Kampfes", der „objektiv bedingt" sei und daher weitergehen müsse. Der prinzipielle Antagonismus zum Westen sei durch den Klassenunterschied historisch bedingt; die UdSSR und ihre Verbündeten könnten daher „nicht die Verpflichtung auf sich nehmen, den sozialen . Status quo'in der Welt zu garantieren und die durch die objektiven Gesetze der historischen Entwicklung hervorgebrachten Prozesse des Klassen-und Nationalbefreiungskampfes anzuhalten"
3. Die politische Bedeutung der in den Warschauer-Pakt-Bereich ausgestrahlten westlichen Rundfunkprogramme
Der Umfang und die Zusammensetzung der östlichen Hörerschaft
Die westlichen Sendungen, welche die Bevölkerung der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten erreichen, stellen die einzige kontinuierliche und wirksame Durchbrechung des offiziellen Informationsmonopols dar. In der UdSSR werden die Programme von „Radio Liberty" täglich von durchschnittlich 4, 5 bis 5 Millionen Sowjetbürgern empfangen. Auf einen ganzen Monat bezogen, liegt die Zahl zwischen 35 und 40 Millionen. Davon drehen über 50 °/o ihr Gerät regelmäßig an. Die Einschaltquoten der anderen westlichen Rundfunkanstalten — namentlich der „Stimme Amerikas" und der „BBC" — erreichen ähnliche Einschaltquoten. Die „Deutsche Welle" findet eine zwar geringere, aber im Vergleich zu ihrer sehr kurzen Sendezeit doch eine ungewöhnlich große Resonanz. Der Empfängerkreis der verschiedenen Stationen überlappt sich freilich weitgehend, wenn man davon absieht, daß „Radio Luxemburg" und seit einiger Zeit auch die „Stimme Amerikas" ein anderes, nämlich vornehmlich an unpolitischer Unterhaltung interessiertes Publikum haben. Die Einschaltungen bedeuten nicht notwendigerweise eine Billigung des Tenors der empfangenen Sendungen: Das Informationsbedürfnis ist vielfach so groß, daß auch hinsichtlich ihrer Tendenz mit Skepsis beurteilte Programme gehört werden, vor allem wenn sie Nachrichten enthalten.
Die Bereitschaft der Sowjetbürger, westliche Informationssendungen anzustellen, wächst mit dem Grad ihrer Bildung. Dementsprechend finden „Radio Liberty“, BBC und „Deutsche Welle" vor allem bei den Universitätsstudenten und bei der technischen, wissenschaftlichen oder literarischen Intelligenz ihre Hörer. Sehr hoch ist auch der Anteil an politisch interessierten Jugendlichen. Mitglieder der KPdSU sind am relativ schwächsten vertreten, doch schaltet selbst aus dieser Gruppe jeder Dritte wenigstens gelegentlich die Westsender an. Bei den ethnischen Minderheiten der UdSSR ist die Resonanz größer als bei den Russen. Bei den meisten Hörern — nämlich bei weit mehr als einem Drittel — steht das Interesse an politischen Kommentaren und Erörterungen im Vordergrund. Außerordentlich stark ist das Interesse an den Nachrichten, namentlich an denen aus dem Warschauer-Pakt-Bereich. Der Empfang von „Radio Liberty" ist wegen der sowjetischen Störsendetätigkeit besonders schlecht. Die BBC und die „Deutsche Welle" lassen sich wesentlich besser empfangen
In Polen und in der Tschechoslowakei hören zwei Drittel der Bevölkerung oder mehr westliche Rundfunkprogramme. Den größten Anteil daran hat mit etwa der Hälfte dieses Empfängerkreises (bei häufigem Mehrfachempfang) „Radio Free Europe". Große Anteile haben auch „Radio Luxemburg", die „Stimme Amerikas" und die BBC. In der Tschechoslowakei sind auch „Radio Wien" und die „Deutsche Welle" sehr erfolgreich. Die verschiedenen sozialen Gruppen sind annähernd proportional repräsentiert. Im Durchschnitt hören mehr junge als alte Leute.
In der DDR können westdeutsche Rundfunk-sendungen überall ohne allzu große Schwierigkeit gehört werden. Die westdeutschen Fernsehprogramme, die von den Grenzgebieten der Bundesrepublik und von West-Berlin her ausgestrahlt werden, lassen sich nur an der äußersten Südostecke des Landes nicht empfangen. Das jahrelange Bemühen der SED, die Bevölkerung an der Einschaltung des westdeutschen Fernsehens zu hindern, blieben erfolglos. Im Frühjahr 1973 ergab eine Umfrage des Instituts für Meinungsforschung beim Zentralkomitee der SED, daß 70 °/o der annähernd fünf Millionen Fernsehzuschauer normalerweise die westdeutschen Sendungen bevorzugten. Daraufhin gestand Parteichef Honecker den DDR-Bürgern resigniert zu, daß sie die westdeutschen Äthermedien „nach Belieben ein-oder ausschalten“ könnten. Die Sendungen des RIAS wurden allerdings weiterhin gestört 52a).
Die innenpolitische Relevanz
Die Führer des sowjetkommunistischen Lagers sehen sich also in ihren Ländern mit einer Situation konfrontiert, in der das von ihnen beanspruchte Informationsmonopol — und damit eine wichtige Grundlage ihrer unumschränkten Herrschaft — durchlöchert ist. Augenscheinlich sehen sie die Gefahr für ihre Machtpositionen nicht nur in der Sympathiewerbung, welche die westlichen Sendungen im eigenen Land bewirken können, sondern in erheblichem Ausmaße auch in der bloßen Verbreitung von Informationen, welche die amtlich kontrollierten Massenmedien unterdrücken oder entstellen.
Der Umstand, daß verschiedene westliche Stationen auch unter eindeutigen Gegnern ihrer nachrichtenpolitischen Tendenzen bis hinauf in obere Parteiränge regelmäßige Rezipienten haben, läßt die weite Verbreitung des Bedürfnisses nach regierungsunabhängiger Information in den Warschauer-Pakt-Staaten deutlich werden. Mit der Verfügbarkeit der westlichen Nachrichtenkonkurrenz gewinnen weite Kreise die Möglichkeit, zu eigenen politischen Urteilen zu gelangen. Damit reduziert sich die Manipulation, die das Regime durchführen kann. Unter diesen Umständen ist die Öffentlichkeit im sowjetischen Machtbereich vor allem an einer Information über die Entwicklungen in den eigenen Ländern und über die außenpolitischen Vorgänge im Ost-West-Verhältnis interessiert.
Dieses Interesse kann, wie das duldsame Verhalten der polnischen Parteispitze bis zum Jahre 1968 zeigt, bis in die obersten Führungskreise hinein einen entscheidenden Gesichtspunkt darstellen. Im Zuge der verschärften inneren Spannungen innerhalb des sowjetischen Machtbereiches, wie sie aus dem Widerspruch zwischen der zwischenstaatlichen Entspannungspolitik mit dem Westen und der ideologischen Konfrontationspolitik gegen den Westen resultieren, hat allerdings überall bei den Regierenden das Interesse an einer Eliminierung der westlichen Nachrichtenkonkurrenz die Oberhand gewonnen. Dem entspricht auf der anderen Seite, daß die Publizität mittels der westlichen Äthermedien für die Dissidenten, namentlich in der UdSSR, zu der wichtigsten Möglichkeit einer Einwirkung auf die Verhältnisse des eigenen Landes geworden ist Die Führungen der UdSSR, der DDR, Polens und der Tschechoslowakei suchen, solange die westlichen Länder nicht zu einer Einstellung oder wenigstens zu einer Informationsentleerung ihrer Sendetätigkeit bewogen werden können, der Nachrichtenkonkurrenz auf verschiedene Weise entgegenzuwirken. Die Ideologiesierungskampagnen, wie sie seit etwa 1970 gehäuft zu beobachten sind, sollen u. a. auch mittels einer Stärkung des „sozialistischen Bewußtseins" die Anziehungskraft der westlichen Informationsträger brechen. Der Betrieb von Störsendern erschwert den Empfang beträchtlich, namentlich in den Ballungszentren. Am wirksamsten wäre es freilich, wenn die Qualität der eigenen Nachrichtengebung die Konkurrenz ihrer Attraktivität berauben würde. Aber eine Entwicklung der Massenmedien wie in der Tschechoslowakei 1968 erscheint den Regierenden im Warschauer-Pakt-Bereich undenkbar. Daher gilt das Bemühen kleinen — und daher nicht allzu wirksamen — Verbesserungen. Da übernehmen osteuropäische Rundfunkanstalten Programmformeln von „Radio Free Europe" und passen sie ihren eigenen Zielen an Die amtlichen Massenmedien sehen sich veranlaßt, ihr Nachrichtenangebot zu vergrößern, um der westlichen Seite nicht die Alleinberichterstattung über bestimmte heikle Vorgänge zu überlassen
Die außenpolitische Relevanz
Die Einwirkung der westlichen Rundfunkstationen ist nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch von größter Wichtigkeit. Die Führungen der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten erlangen im politischen Verkehr mit den Männern im Kreml eine umfassendere Orientierung und damit potentiell einen größeren Handlungsspielraum. Insbesondere verfügen sie auf diese Weise über Kontrollinformationen auch in den Fällen, in denen sie sonst ausschließlich auf sowjetische Darstellungen angewiesen wären.
Auf einen weiteren Gesichtspunkt hat Aleksandr Solshenizyn aufmerksam gemacht. In der „Unterbrechung der Information zwischen den Teilen des Planeten" erblickt er die „grimme Gefahr", daß der Unterschrift unter internationale Abkommen kein Wert mehr zukomme: „Innerhalb einer zum Schweigen gebrachten Zone bereitet es keine Mühe, jedweden Vertrag umzudeuten oder, noch einfacher, zu zerreißen; es ist, als hätte er niemals existiert."
4. Fazit
Entspannung als Kampf gegen die westlichen Informationsträger
Das sowjetische Entspannungskonzept verbindet sich aufs engste mit dem Bestreben, eine Übermittlung ungefilterter Information von den westlichen Ländern in den sowjetischen Machtbereich zu verhindern. Statt dessen soll eine Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtenorganen auf beiden Seiten zustande kommen, die der sowjetischen Führung und ihren Verbündeten eine lückenlose Vorzensur hin-* sichtlich aller eindringenden Informationen einräumen würde
Der Kampf gegen die der westlichen Seite bisher offenstehenden Möglichkeiten, sich an dem Informationsaustausch zwischen Ost und West frei zu beteiligen, hat sich im Verlauf der Entspannungsphase außerordentlich intensiviert. Er spielt sich in den verschiedensten Bereichen ab: während der bi-und multilate-ralen zwischenstaatlichen Verhandlungen, bei Demarchen gegenüber westlichen Regierungen, in der propagandistisch-agitatorischen Tätigkeit, bei Kontakten mit gesellschaftlichen Gruppen westlicher Länder und schließlich in geheimdienstlichen Operationen. Nur ein geringer Teil dieser Einwirkungsversuche ist öffentlich bekanntgeworden; die Aktivitäten dürften ein Vielfaches dessen betragen, was sich aufweisen läßt.
Zentrale Wichtigkeit wird dabei der Beeinflussung des Meinungsklimas in den westlichen Ländern beigemessen. Eine Befriedigung des sowjetischen Verlangens soll im allgemeinen Bewußtsein als das Korrelat der Ost-West-Entspannung gelten; von daher, so wird erwartet, werden auch widerstrebende Entscheidungsträger in den westlichen Länderri schließlich genötigt sein, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Kanäle eines freien Informationsflusses von Westen nach Osten wieder zuzuschütten.
Das östliche Vorgehen bietet das Bild einer Aktion. konzertierten Die verschiedenen Kampfformen sind eng aufeinander bezogen. Die publizistischen Kampagnen etwa sind jeweils auf eine Unterstützung der diplomatischen Schritte ausgerichtet. Umgekehrt lassen diese wiederum nicht selten auf die Absicht schließen, das breite Publikum im Westen zu beeinflussen. Die publizistischen und informellen Stellungnahmen gehen in Inhalt und Form erheblich weiter als die amtlichen diplomatischen Aussagen, die meist zurückhaltender und vorsichtiger formuliert sind und auf Adressaten wie Sachverhalt vielfach nur indirekt Bezug nehmen. Vor allem auf der KSZE wurde manches eher angedeutet als ausgesprochen.
Das östliche Vorgehen ist seit spätestens 1970 zwischen den Warschauer-Pakt-Staaten mit Ausnahme Rumäniens (das sich aus Eigenständigkeitsinteresse heraus abseits hält) abgestimmt. Dabei findet offensichtlich eine Arbeitsteilung statt, bei der den Organen der einzelnen Länder bestimmte Rollen und Initiativen zugewiesen werden Kennzeichnend ist weiterhin, daß verschiedentlich Forderungen angemeldet werden, die sich zunächst nicht gegen die bisherige Praxis richten, in ihren Konsequenzen jedoch längerfristig auf deren Beseitigung angelegt sind.
Dies gilt insbesondere für das sowjetische Verlangen nach einem Verbot von Satellitenübertragungen auslandsgerichteter Fernsehprogramme, soweit diese nicht jeweils von den Regierungen der Empfängerstaaten gebilligt worden seien. Würde eine derartige Konvention zustande kommen, dann wäre die These, daß die einzelstaatlichen Führungen eine uneingeschränkte informationspolitische Herrschaft innerhalb ihres Territoriums ausübten, als ein allgemeiner Völkerrechtsgrundsatz festgelegt. Unter diesen Umständen würde auch die bisherige Praxis der freien Ausstrahlung von Rundfunksendungen über die Grenzen hinweg zu einem unzulässigen Akt der Verletzung fremdstaatlicher Souveränitäten.
Argumentation und Motivation dieser Politik
Die Argumente, die in der östlichen Kampagne Verwendung finden, haben rein instrumentale Funktionen. Die Prinzipien der Souveränität und der Nichteinmischung werden bemüht, um in der breiten, juristisch nicht versierten Öffentlichkeit der verschiedenen Länder den Eindruck zu erwecken, als setzten sich die UdSSR und ihre Verbündeten mit voller völkerrechtlicher Legitimation gegen eine willkürliche Piraterie zur Wehr. Das Geltendmachen inhaltlicher Kriterien für die grenzüberschreitende Information wie „Frieden", „Gutnachbarlichkeit" oder „Moralität" dient dem Zweck, das östliche Begehren als eine von allen Gutwilligen zu unterstützende Angelegenheit hinzustellen. Die These, daß allen Ländern ohne „Diskriminierung" ein „gleiches Recht" im Informationsbereich gebühre, dient ebenfalls dem Appell an die Gefühle der Rechtlichkeit. Zugleich hat sie im Blick auf die Dritte Welt antiwestliche, insbesondere antiamerikanische Unter-töne. Das Argument schließlich, daß die Menschen und Völker nicht der manipulativen Willkür meinungsmachender Machtkonzentra-tionen ausgesetzt werden dürften, sondern statt dessen den Interessen und Bedürfnissen der breiten Öffentlichkeit zu dienen hätten, richtet sich eindeutig gegen Massenmedien in den „kapitalistischen" Staaten.
Die Darstellung verdreht dabei oft die wirklichen Sachverhalte. So heißt es beispielsweise, die westlichen Rundfunstationen nötigten der Bevölkerung in Osteuropa Ideen auf, die diese gar nicht wünsche In Wirklichkeit aber geht es gerade darum, der Bevölkerung Informationen zu versagen, die sie wünscht. Denn es braucht niemand Sendungen einzuschalten, die er nicht hören will. Den Sorgen der Parteiführungen im sowjetischen Machtbereich liegt freilich zugrunde, daß die Bevölkerung die Nachrichten aus dem Westen nicht ablehnt, sondern aufnimmt. Wenn inhaltliche Kriterien für die Information postuliert werden, dann heißt dies: Es können, weil sich die Kriterien beliebig auslegen lassen, beliebige Anforderungen an die Ausrichtung der Nachrichtenpolitik gestellt werden.
Aus sowjetischer Perspektive ist dabei klar, daß Theorie und Praxis in der UdSSR der gesetzten Norm entsprechen und daß daher die sowjetischen Aussagen stets nur positiv zu bewerten sind. Folglich ist alles der sowjetischen Generallinie Widersprechende als friedens-und moralwidrig zu verdammen.
Alle Bekundungen des „Antisowjetismus" und „Antikommunismus" haben, auch wenn sie nur in der Verbreitung unkommentierter Nachrichten bestehen, als unzulässig zu gelten, wohingegen die östliche Polemik gegen den Westen, weil sie notwendigerweise dem „Frieden" und der „Wahrheit" dient, für legitim zu erachten ist. Die westliche Seite soll also auf unerwünschte Kritik an den Konzepten und Handlungen des sowjetischen Lagers verzichten. Die östlichen Akteure dagegen sollen die Möglichkeit haben, das westliche Vorgehen beliebig zu attackieren und sogar das ideologische Feindbild von dem unveränderten „kapitalistischen" Gegner (das seit 1969/70 an die Stelle der früher stärker national akzentuierten Feindbilder getreten ist) in das Bewußtsein der Menschen einzupflanzen
Die sowjetische Praxis läßt diese Asymmetrie deutlich hervortreten: „Radio Moskau" und „Radio Frieden und Fortschritt" beschränken sich keineswegs auf Information und Diskussion über verschiedene Themen aus sowjetischer Sicht, sondern polemisieren hemmungslos etwa gegen die Bundesrepublik und mischen sich ungeniert in alle möglichen innerwestdeutschen Angelegenheiten ein (wie beispielsweise während des Herbstes 1975 bei der Frage, welche Bedingungen in der Bundesrepublik für die Aufnahme in den Beamtendienst gelten sollten).
Die gegensätzliche Bewertung der „sozialistischen" und der „kapitalistischen" Informationstätigkeit zielt auf die Herstellung eines Zustandes ab, bei dem die Nachrichten und die Ideen in Ost-West-Richtung ungehindert fließen, während sie in Ost-West-Richtung nur unter strikter Kontrolle und Manipulation der östlichen Herrschaftsträger verkehren können Die Anstrengungen um einen starken Ausbau des sowjetischen Auslandsfunks kontrastieren mit dem Verlangen, daß im Namen der Entspannung die Schließung der nach Osteuropa sendenden westlichen Stationen notwendig sei
Auch das — scheinbar auf völlige Gegenseitigkeit abzielende — sowjetische Verlangen nach informationspolitischer „Nicht-Diskriminierung", demzufolge jedes Land nur die von seiner Regierung zugelassenen auswärtigen Nachrichten empfangen soll, läuft praktisch auf eine starke Asymmetrie zu westlichen Ungunsten hinaus. Denn während die staatlichen Führungen der UdSSR und ihrer Verbündeten beispielsweise in Bonn laufend wegen ihnen mißliebiger Aussagen in westdeutschen Me-dien vorstellig werden, hat die Bundesregierung in den osteuropäischen Hauptstädten noch niemals gegen dortige publizistische Berichterstattungen protestiert. Der Grund hierfür war gewiß nicht eine größere Zurückhaltung in der Polemik auf östlicher Seite, sondern das Maß an Duldsamkeit, das eine Demokratie im Unterschied zu einem sowjet-kommunistischen Regime aufbringt. Werden aber westliche Toleranz und östliche Intoleranz zu Maßstäben dessen gemacht, was der jeweils anderen Seite erlaubt ist, dann läßt sich unschwer die Etablierung einer perfekten Ost-West-Einbahnstraße für die Informationsverbreitung in Europa voraussehen
Schließlich ist die Problematik vor dem Hintergrund der Machtrelationen zu sehen. In allen einschlägigen sowjetischen Aussagen heißt es, daß der gegenwärtig erreichte Zustand der „friedlichen Koexistenz" zwischen Ost und West der westlichen Seite durch den wachsenden politischen und militärischen Druck der UdSSR und ihrer Verbündeten „aufgezwungen" worden sei. In einer weiteren „Verschiebung des Kräfteverhältnisses" zu östlichen Gunsten wird eine Garantie dafür gesehen, daß sich der „Kapitalismus" dieser Koexistenz nicht wieder entziehen kann und darüber hinaus zu weiteren Verbesserungen hinsichtlich der Bedingungen des „ideologischen Kampfes" genötigt werden wird. Das läßt vermuten, daß die sowjetische Führung bei der Informationsverbreitung zwischen Ost und West nicht zuletzt mittels eines wachsenden machtpolitischen Übergewichts in wichtigen Bereichen immer größere Vorteile durchzusetzen sucht.
Methoden und Orientierungen
Die Vorgehensweise, mit denen die östliche Seite ihren Wünschen Geltung zu verschaffen bemüht ist, reichen von der Mobilisierung politischer Interessen in den westlichen Ländern bis zur Ausübung deutlichen Drucks auf westliche Regierungen oder andere westliche Institutionen. Der Hinweis auf die Macht der „sozialistischen Staaten", deren Belange nicht mißachtet werden dürften, kann dabei ebenso eingesetzt werden wie die Inaussichtstellung von Zusammenarbeit, deren Zustandekommen freilich eine Übereinkunft in dem gewünschten Sinne voraussetze.
Sehr wesentlich jedoch machen sich die östlichen Akteure bestimmte, in der westlichen Welt weit verbreitete psychologische Dispositionen zunutze. Die Ansicht, daß die Entspannung dem bisherigen Ost-West-Konflikt ein Ende bereite und einen Prozeß der wechselseitigen Verständigung, Annäherung und Versöhnung in allen Bereichen einleite, steht zwar in diametralem Gegensatz zu den sowjetkommunistischen Vorstellungen, läßt sich aber als eine an diesem Punkt nützliche Illusion des „Klassenfeindes" ausbeuten. Die Gegensätze zwischen verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen in den westlichen Ländern — wie etwa die Spannungen zwischen der SPD-FDP-Koalition in Bonn und den überwiegend CDU/CSU-orientierten Leuten in der Osteuropa-Abteilung der „Deutschen ebenfalls — lassen verwenden.
Dabei kommt es für die östliche Seite darauf an, daß die innerwestliche Auseinandersetzung um größere oder kleinere Einflußanteile umfunktioniert wird zu einem Kampf für die Schließung oder doch wenigstens für die Restriktion der nach Osten ausstrahlenden Medien. Eine Einengung der Sendetätigkeit auf möglichst harmlose — d. h. das politische motivierte Interesse des osteuropäischen Publikums nicht mehr ansprechende — Themenbereiche wie nationale Selbstdarstellung oder entpolitisierte Kulturdarbietung (unter Verzicht von Informationen über die innen-und außenpolitischen Angelegenheiten der „sozialistischen Gemeinschaft") kann dabei in so-17 wjetischer Sicht nur eine Ubergangslösung sein, der früher oder später die Einstellung der unkontrollierten auswärtigen Informationstätigkeit zu folgen hat
Das sowjetkommunistische Konzept für die Regelung des internationalen Informationsaustausches über den Äther basiert auf dem Leitgedanken, daß die einzelstaatlichen Regierungen uneingeschränkt darüber zu befinden haben, was die Bevölkerung auf dem von ihnen beherrschten Territorium an Information empfangen darf. Dementsprechend sollen sie nicht nur die Kompetenz beanspruchen können, die Massenmedien des eigenen Landes nach ungebundenem Ermessen zu überwachen und zu lenken. Sie sollen darüber hinaus das Recht zugesprochen erhalten, auch darüber zu bestimmen, welche Informationen aus anderen Ländern auf die einheimische Bevölkerung ausgestrahlt werden dürfen. Wie der sowjetische Entwurf einer Konvention über eine weltweite Fernsehübertragung mittels Satelliten erstmals postuliert hat, sollen bei der Verteidigung dieses Rechts in bestimmten Grenzen auch Akte der Gewalt statthaft sein
In der Hauptsache freilich sollen zwischenstaatliche Einsprüche und entsprechende Pressionen das Informationsmonopol der Regierungen in den von ihnen beherrschten Ländern nach außen hin absichern. Daher ist in den östlichen Vorschlägen vorgesehen, daß die Regierungen der informationsaussendenden Staaten gegenüber den Regierungen der informationsempfangenden Staaten Rechenschaft darüber abzulegen haben, ob die ausgesandten Informationen dem wechselseitigen Einvernehmen entsprechen und dem Geiste des „Friedens", der „Gutnachbarlichkeit" und der „Völkerbereicherung" dienlich sind.
Eine Verwirklichung dieses Konzepts hätte nicht nur für das Ost-West-Verhältnis, sondern auch für die Innenstruktur der westlichen Länder weittragende Folgen. Denn um eine Verantwortung für die Ausrichtung von Massenmedien im eigenen Lande übernehmen zu können, müßte jede — also auch eine westliche — Regierung die Befugnis erhalten, auf eine Beseitigung eventuellen Fehlverhaltens dringen zu können. Das würde auf entscheidende Einschränkungen hinsichtlich des Grundrechts der freien Meinungsäußerung hinauslaufen. Gelegentliche östliche Bemerkungen, daß die These der Meinungsfreiheit keinen „Vorwand" für die westlichen Regierungen bilden dürfe, sich der ihnen zufallenden Verantwortung zu entziehen, haben diese Konsequenz offen zutage treten lassen.
Die östliche Seite hat auch nicht verfehlt, deutlich zu machen, wie die westlichen Regierungen ihrer Ansicht nach die Voraussetzungen für die ihnen zugedachte Verantwortungsübernahme am besten schaffen könnten. In Moskau und in den osteuropäischen Hauptstädten sähe man es augenscheinlich als einen gewissen Fortschritt an, wenn die ostwärts wirkenden westlichen Massenmedien in unmittelbare Regierungsregie übergingen. Demgegenüber gil denjenigen Rechtskonstruktionen, die den be treffenden Rundfunk-und Fernsehanstaltei einen völlig regierungsunabhängigen Statu: gewährleisten, ein extremes Maß an Feindseligkeit. Damit setzt sich die UdSSR in Widerspruch zu den Argumentationen ihrer „antikapitalistischen" Westpropaganda, denen zufolge eine Konzentration von Meinungsmacht im Westen ein Übel darstellt
Die östliche Vorliebe für Regierungssender in den westlichen Ländern hat freilich einleuchtende praktisch-politische Gründe: Je offizieller der Charakter einer westlichen Station ist, mit desto größerer Erfolgsaussicht läßt sich der Versuch unternehmen, mittels diplomatischer Demarchen bei der betreffenden Regierung Programmkorrekturen im gewünschten Sinne durchzusetzen oder gar auf eine Beendigung des Sendebetriebes (als eines angeblichen Hindernisses für gute wechselseitige Beziehungen) zu dringen. Soweit jedoch, so heißt es auf sowjetischer Seite, in einem Land Senderechte an inoffizielle Körperschaften vergeben würden, müsse „der Staat deren Tätigkeit kontrollieren und dafür internationale Verantwortung tragen
Besonders unerwünschte Informationsinhalte
Weitere Präferenzen der sowjetischen Führung und ihrer Verbündeten fallen ins Auge. Es ist keineswegs so, daß die am schärfsten antisowjetisch oder antikommunistisch akzentuierten Programme notwendigerweise auf die stärkste Ablehnung stoßen. Eher gilt, daß eine Versachlichung der Information, ein Bemühen um ausgewogene Wertungen und der Hinweis auf stellenweise Gemeinsamkeiten oder auf mittlere Verständigungsmöglichkeiten besonders heftige Abwehrreaktionen hervorrufen. Besondere Empfindlichkeiten zeigen sich auch, wenn über Probleme der interkommunistischen Beziehungen oder über Entwicklungen auf der maoistischen oder sonstwie sowjetunabhängigen Linken berichtet wird. Die Darstellung der pluralistischen Meinungsvielfalt in den westlichen Ländern gilt innerhalb des sowjetischen Machtbereichs ebenfalls als eine absolut unzulässige „ideologische Diversion".
Extrem antisowjetisch oder antikommunistische Bekundungen dagegen fallen nur dann in diese Kategorie, wenn ihnen Tatsachen-und Anschauungsmaterial beigefügt ist, das die Wirklichkeit in der „sozialistischen Gemeinschaft" überzeugend ihrer amtlichen Legitimationsbasis entkleidet. Augenscheinlich werden die Parteiführungen in den Warschauer-Pakt-Staaten durch scharfe, aber nur mit gedanklich-theoretischen Argumenten geführte Angriffe wenig beeindruckt: Derartige Attacken bestätigen ihnen und der Bevölkerung lediglich das von der offiziellen Propaganda entworfene Bild eines wütend geifernden, uneingeschränkt feindlichen Westens.
Verwirrend — und damit di anerzogenen ideologischen Abwehrreaktionen potentiell unwirksam machend — wird der Inhalt der westlichen Kommunikation vornehmlich, wenn die westliche Seite nicht die erwartete Rolle des ideologischen Erzfeindes spielt, sondern — ohne Einschwenken auf die sowjetische Generallinie — die Fähigkeit zur Sachlichkeit, zum Differenzieren, zum Verstehen und zur Auffassungspluralität bekundet. Wenn die westliche Seite sich so liberal und vielschichtig darbietet, wie sie ist, greifen die Schemata der amtlichen Einordnung nicht mehr; die ideologisch vorgeschriebenen Wertungen werden unsicher und machen Platz für individuelles Nachdenken mit unvorhersehbaren Resultaten. Das aber halten die Parteiführungen für ebenso gefährlich, als wenn die mit ihrer Herrschaft verbundenen, bislang sorgfältig verhüllten Unrechtstatbestände ans Licht gebracht werden.
Das Ausmaß der angestrebten Informationskontrolle
Jede Informationsverbreitung, die dem Zugriff der Männer im Kreml und ihrer osteuropäischen Bundesgenossen entzogen ist, wird als potentiell gefährlich empfunden. Das gilt selbst dann, wenn sie nicht unmittelbar im War-schauer-Pakt-Bereich stattfindet. Denn aller Abschirmungsmaßnahmen an der Ost-West-Scheidelinie ungeachtet, gibt es im Zeitalter zunehmenden Kontaktes (selbst wenn dieser noch so sorgfältig eingedämmt und überwacht wird) verschiedene Möglichkeiten, daß im Westen bekanntgewordene aufsehenerregende Nachrichten sich auch innerhalb des sowjetischen Machtbereichs herumsprechen. Daher ist mit dem östlichen Verlangen, daß die westlichen Regierungen für eine den östlichen Wünschen entsprechende Restriktion der ostwärts gerichteten organisierten Informationstätigkeit sorgen müßten, nur die erste Stufe der Offensive gegen das System freier Massenmedien in den westeuropäischen Ländern markiert.
In deutlichen Umrissen wird bereits die zweite Stufe dieser Offensive sichtbar, deren Stoß dahin geht, alle westeuropäischen Träger der Masseninformation ohne Rücksicht darauf, ob sie sich nun an das Ausland oder an das Inland wenden, den Kriterien des „Friedens", der „Gutnachbarlichkeit" und der „Völkerbereicherung" in deren sowjetischer Interpretation zu unterwerfen. Eine derartige Forderung hat eindeutig interventionistischen Charakter. Als Modell für den angestrebten künftigen Zustand wird ausdrücklich das Beispiel Finnland herausgestellt — ein westlich-demokratisches Land, in dem die Massenmedien unter sowjetischem Druck nur einen eng begrenzten Bewegungsspielraum besitzen
Diese Zielsetzung entspricht der traditionellen Neigung der sowjetischen Führer, in denjenigen Ländern, die in die Reichweite ihres Einflusses geraten, zuerst und zuvörderst auf eine Zügelung des öffentlichen Nachrichtenwesens in ihrem Sinne zu dringen Der Umstand, daß die sowjetische Seite ihr Ziel in Westeuropa gegenwärtig so weit zu stecken sich anschickt, läßt Rückschlüsse auf den außerordentlich großen Umfang des Stärkegefühls zu, das sie während der letzten Jahre auf dem europäischen Schauplatz erworben hat.
Unter der Parole der Nichteinmischung sucht sich die sowjetische Seite mit ihren Verbündeten in die Sendepolitik von Äthermedien auf westdeutschem Boden einzumischen. Die Wohlverhaltensforderung richtet sich nicht auf begrenzte Punkte. Der Anspruch betrifft vielmehr ein breites Spektrum aller derjenigen Nachrichten und Kommentare, die in Moskau und in anderen osteuropäischen Hauptstädten generell unter politischen oder moralischen Gesichtspunkten als unerwünscht gelten. Das östliche Verlangen zielt langfristig darauf ab, die staatliche Gewalt auch im Westen zum Regulator des öffentlichen Informationswesens zu machen und damit das Recht der freien Meinungsäußerung im Prinzip aufzuheben.
Das betrifft grundsätzlich alle Massenmedien in den westlichen Ländern, auch wenn verständlicherweise der nach Osten ausstrahlende Teil von ihnen zunächst am stärksten attackiert wird. Ein Unterschied zwischen den Auslands-und Inlandsmedien wird auf östlicher Seite nur insofern gemacht, als im Blick auf die Ostsender deren Eliminierung gefordert wird, während die Organe der innerstaatlichen Informationsverbreitung denkbarerweise nicht der Abschaffung, sondern nur einer Disziplinierung unterliegen können.
Die Etablierung einer staatlichen Aufsicht über die Massenmedien ist in östlicher Sicht eine unerläßliche Voraussetzung für das Zustande-kommen einer Ost-West-Zusammenarbeit im Bereich des Informationswesens, wie sie auf der KSZE vorgesehen worden ist. Alle bisher wirksamen Elemente einer freien Konkurrenz der Nachrichten und der Ideen in den War-schauer-Pakt-Staaten, bei der die Bevölkerung unter den Angeboten auswählen konnte und daher die Rolle der gunstgewährenden Seite spielte, sollen künftig verschwinden. Statt dessen soll es eine Art zwischenstaatlichen Medienkartells geben, in dem nach Maßgabe östlicher Wünsche die Grenzen der zulässigen Informationsinhalte abgesteckt sind. Im Rahmen eines derartigen Systems würde die Führung jedes Landes die Informationsprogramme für die eigene Bevölkerung festzulegen haben und sich dabei nach freiem Ermessen auf der Basis internationaler Vereinbarungen auch auswärtiger Teilprogramme bedienen können.
Informationskontrolle als Mittel der Konfliktdämpfung?
Als Motivation für die geforderte internationale Eliminierung kontroverser Informationsinhalte wird angeführt, daß die Massenmedien dazu beitragen müßten, Konflikte zu überwinden und den Frieden zu fördern. Dem steht freilich entgegen, daß die sowjetische Führung und ihre Verbündeten von den Bevölkerungen ihrer Länder mit größtem Nachdruck die intensive Führung eines unerbittlichen „ideologischen Kampfes" gegen den Westen verlangen. Untersucht man genauer, warum einströmende Informationen aus dem Westen in Moskau und in anderen osteuropäischen Hauptstädten als unerträgliche Herausforderungen gelten, dann zeigt sich deutlich, daß die Sorge der Parteifunktionäre nicht die Störung von Frieden und Einvernehmen zwischen Ost und West, sondern die Abschwächung der antiwestlichen Militanz der eigenen Bevölkerung betrifft.
Die westlichen Informationen vermitteln den Menschen in Osteuropa ein ungleich differenzierteres, konzilianteres und weniger abstoßendes Bild von dem „Klassengegner", als dies den offiziellen östlichen Absichten entspricht. Daher befinden sich die Führungen der KPdSU und anderer Parteien seit langem — vor allem aber seit Beginn der letzten Entspannungsperiode, also seit 1969/70 — in einem ständigen politischen Abwehrkampf gegen die sich in der Bevölkerung ausbreitenden Tendenzen der „Deideologisierung" und des „Versöhnlertums".
Mit der Informationspolitik, welche die sowjetische Führung und ihre Verbündeten im Ost-West-Verhältnis durchzusetzen suchen, werden zwei kaum miteinander zu vereinbarende Ziele verfolgt. Einerseits sollen die Konflikte und Probleme zwischen Ost und West so weit wie möglich verschleiert werden, damit die westliche Öffentlichkeit den Eindruck einer entspannungspolitischen Harmonie erhält, das alte Feindbild von dem Gegner im Osten aufgibt, die Furcht vor der wachsenden sowjetischen Militärmacht verliert und sich der „sozialistischen Gemeinschaft" vertrauensvoll annähert. Andererseits aber soll der „prinziB pielle Standpunkt" der Kommunisten in all seiner antiwestlichen Militanz unverändert erhalten bleiben.
Dementsprechend werden die „ideologischen Gegensätze" der Öffentlichkeit in den War-schauer-Pakt-Staaten mit zunehmender Intensität immer wieder von neuem eingeschärft, damit in ihr keinesfalls Regungen des Verständigungs-oder Annäherungswillens hochkommen. Mit anderen Worten: Die westliche Seite soll nur mit dem östlichen System konforme Informationen verwenden dürfen, während das sowjetische Lager die Auseinandersetzung mit dem Westen als oberste Pflicht anzusehen hat. Die westliche Öffentlichkeit soll das antisowjetische Feindbild abbauen; die Bevölkerung der Warschauer-Pakt-Staaten dagegen wird künstlich auf das — nunmehr in „ideologischen" Begriffen definierte — antiwestliche Feindbild fixiert. Jede Kritik am östlichen System oder an östlichen Aktionen soll als unzulässige „ideologische Diversion" gelten, aber antiwestliche Anklagen und prosowjetische Agitation sollen als „ehrlicher ideologischer Kampf" akzeptiert sein.
Die sowjetische Führung und ihre Verbündeten sehen sich freilich in einem Punkt genötigt, der proklamierten Entspannung ihren Tribut zu zollen. Die früheren national definierten antiwestlichen Feindbilder — wie beispielsweise der „westdeutsche Revanchismus" oder der „amerikanische Imperialismus" — sind in Wegfall gekommen; auf der rein zwischenstaatlichen Ebene gibt es also eine östliche Zurückhaltung im Austragen von Konflikten. Der sowjetischen Führung und ihren Verbündeten erscheint dieses Kampffeld entbehrlich, weil sie — anders als die westlichen Regierungen — an eine für alle verbindlich gemachte Ideologie appellieren kann, um auf „Wachsamkeit" gegenüber der anderen Seite zu dringen und den Willen zur Niederringung der politischen Rivalen zu nähren. Der Hinweis darauf, daß Konflikte nur auf der ideologischen Ebene ausgetragen werden dürften, gewinnt daher den politischen Sinn, den Zustand der Entspannung nur für die östliche, nicht aber für die westliche Seite mit einem kämpferischen Akzent zu versehen. Das läuft auf eine einseitige östliche Einflußnahme auf die westlichen Gesellschaften hinaus.
5. Schlußfolgerungen
Es ist kein Zufall, daß in einer Phase der Ost-West-Entspannung die Frage der grenzüberschreitenden Information erhöhte Bedeutung gewonnen hat und zum Gegenstand einer intensivierten Infragestellung von östlicher Seite her geworden ist. Je weniger offensichtlich die Ost-West-Konflikte sind und je weniger Entscheidungen mit den Mitteln der politischen Pression und des bewaffneten Einsatzes gesucht werden, desto wichtiger wird, wer in welchem Umfang über die Einflußnahme auf das Bewußtsein großer Menschengruppen Vorgänge auszulösen und zu steuern vermag. Die Aufrechterhaltung des westlichen Systems der freien Meinungsäußerung und die Verteidigung wie die Ausweitung der bestehenden Möglichkeiten westlicher Informationsausstrahlung nach Osteuropa müssen dabei als zentrale Erfordernisse gelten.
Es geht dabei nicht nur darum, in Anbetracht zahlloser Möglichkeiten der östlichen Einflußnahme auf die westlichen Gesellschaften (von denen die sehr umfangreiche Tätigkeit der westgerichteten Rundfunkstationen nur einen kleinen Teil darstellt) ein minimales Gegengewicht zu wahren und die geistige Auseinandersetzung nicht nur auf westlichem Terri-torium stattfinden zu lassen. Mindestens ebenso wichtig ist, daß, wenn eine allmähliche Verringerung des Ost-West-Gegensatzes das Ergebnis des Entspannungsprozesses bilden soll, das östliche Publikum aus westlicher Sicht Informationen über die Entwicklungsstadien, die Problemstellungen und die Zielperspektiven dieses Prozesses erhalten muß. Nur auf diese Art und Weise kann man hoffen, daß dem konfrontativ antiwestlich ausgerichteten Ideologierungsbemühen der sowjetischen Führung und ihrer Verbündeten kein Erfolg beschieden ist.
Zugleich erscheint es im Interesse der Bevölkerungen in den Warschauer-Pakt-Staaten notwendig, daß deren Bevormundung durch das selektierende, zensierende und manipulierende offizielle Informationswesen ihrer Länder wenigstens an einer Stelle durchbrochen wird. Würden sich die westlichen Regierungen statt dessen darauf einlassen, mit den Parteiführungen im sowjetischen Machtbereich nach deren Konzept eine informationspolitische Zusammenarbeit anzubahnen, dann erhielte die Entspannungspolitik den Charakter einer Komplicenschaft der westlichen Staaten mit den sowjetkommunistischen Regimes, die sich vor allem gegen die Bevölkerungen Osteuropas Und gegen deren Befähigung zu eigener Urteilsbildung richten würde.
Es stellt sich die Frage, mit welcher Art von auszustrahlender Information die westliche Seite eine Verringerung des ideologischen , Konfliktbewußtseins und einer Stärkung demokratischer Urteilsfähigkeit in der Öffentlichkeit der Warschauer-Pakt-Staaten am besten fördert. Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend davon ab, welche Bevölkerungsgruppen vorrangig angesprochen werden sollen. Die Information kann primär auf die Regimegegner abgestellt sein. In diesem Fall würde ihr oberster Zweck darin bestehen, opponierende Personen und Gruppen in ihren Überzeugungen zu bestärken und eine Kommunikation zwischen ihnen herzustellen. Ein derartiges Konzept bringt freilich die Gefahr mit sich, daß lediglich bestehende Westsympathien aufrechterhalten werden.
Eine Alternative könnte darin bestehen, daß ein möglichst breites Publikum als Adressat anvisiert wird. Es ginge dann darum, zumindest diejenigen, die sich bislang mit dem herrschenden Regime nicht voll identifiziert haben, mittels einer verständnisvollen Behandlung der Probleme ihres Landes zum Zuhören zu bringen und zum Nachdenken zu veranlassen. Eine sachliche Information und ein einfühlendes Problemverständnis wären in diesem Fall notwendige Voraussetzungen. Das würde einen Verzicht auf konfrontative Polemik, nicht aber auf zwar fein differenzierte, aber zugleich klar entwickelte Wertungen hinauslaufen. Ein Vorgehen im Sinne der zweiten Alternative würde, so scheint es, nicht nur potentiell breiter wirken, sondern auch dem — unter den gegenwärtigen Umständen leider nur gegen die sowjetische Führung und ihre Verbündeten durchzusetzenden — Entspannungsziel einer allmählichen Dekonfrontation im Ost-West-Verhältnis dienen.
Wichtig ist freilich noch ein weiterer Gesichtspunkt. Da es innerhalb des sowjetischen Machtbereichs keine irgendwie freie öffentliche Diskussion in Angelegenheiten gibt, die auch nur entfernt mit Politik zu tun haben, müssen die nach Osten ausstrahlenden westlichen Massenmedien substitutiv die Funktion eines Forums der freien Meinungsäußerung in ihren Adressatengesellschaften übernehmen, Das heißt: Die Stimmen, die in den betreffenden Ländern unterdrückt werden, müssen den Mitbürgern mittels Sendungen aus dem Westen bekanntgemacht werden. Die Öffentlichkeit in Osteuropa hat dort, wo der Kommunikationsfluß in ihr gewaltsam unterbunden wird, ein Recht darauf, die zurückgehaltenen Aussagen auf andere Weise zu erhalten. Dabei erscheint es freilich wichtig, daß die westlichen Informationsorgane sich sozusagen als ehrliche Makler ihrer osteuropäischen Kommunikatoren und ihrer osteuropäischen Rezipienten betrachten. Sie sollten daher die vertretenen Meinungen repräsentativ und ausgewogen berücksichtigen und dementsprechend darauf verzichten, einzelne Tendenzen auf Kosten von anderen zu Wort kommen zu lassen oder sich mit bestimmten Richtungen selbst zu identifizieren. Das Urteil darüber, was gut oder weniger gut, wichtig oder weniger wichtig ist, muß in das autonome Urteilsvermögen der osteuropäischen Adressaten gestellt sein, wie denn überhaupt die Wünsche und Bedürfnisse der angezielten Adressaten den Leitgesichtspunkt der ostwärts gerichteten journalistischen Arbeit darstellen sollten. Darin liegt ein unerläßlicher Auftrag, den die westliche Demokratie durch ihre ostwärts gerichteten Informationsorgane in den kommunistisch regierten Ländern zu erfüllen hat, wenn sie vor sich selbst und nach außen hin moralisch bestehen will.
Dieses Konzept bedeutet nicht, daß die kommunistischen Parteien, namentlich ihre Spitzen, mit dem Westen verfeindet werden. Wie sich gezeigt hat, sind nicht nur die unteren Ränge in den KPs daran interessiert, Kontrollinformationen zu den offiziellen Nachrichten zu erhalten. Selbst Spitzenfunktionäre haben es in der Vergangenheit nicht selten zu schätzen gewußt, wenn sie einen Überblick über die verschiedenen Tendenzen innerhalb des sowjetischen Lagers bekamen, namentlich auch über amtliche Auffassungsunterschiede, die ihnen von verbündeter Seite vorenthalten wurden. Ein freier Fluß der Informationen bildet, wo immer er sich realisieren läßt, eine optimale Selbstdarstellung der westlich-demokratischen Grundordnung. In ihm liegt zugleich die beste Hoffnung darauf, daß es zwischen Ost und West eines Tages zu mehr wechselseitigem Verständnis und zu einer grundlegenden Annäherung der Standpunkte kommt.'