Mit der Auflösung des portugiesischen Uberseereiches schlug auch im Süden Afrikas die Stunde der Machtergreifung von Guerillaorganisationen — jenen meist militant organisierten Minderheitsgruppen, die sich als „Befreiungsbewegungen" deklarieren. Auch in den ehemaligen britischen, französischen, belgischen und italienischen Kolonien Afrikas hatte es Befreiungsfronten gegeben, doch war ihr Anteil am Unabhängigkeitskampf relativ gering und zeitlich begrenzt. Um so heftiger war der „Nachholbedarf" in den großen portugiesischen Territorien. Während in Mozambique — trotz zahlreicher Machtkämpfe — die Initiative eindeutig bei der Freiimo lag, konnte in Angola in einem blutigen Bürgerkrieg nur dank massiver sowjetisch-kubanischer Intervention die marxistisch orientierte MPLA ihren Anspruch auf Alleinherrschaft durchsetzen. Als die neuen Operationsziele schwarzafrikanischer Befreiungsbewegungen gelten nunmehr in erster Linie Rhodesien, in zweiter Hinsicht Südwestafrika und als Fern-und Endziel die Republik Südafrika. Doch ist in der Realität dieser „Befreiungsfahrplan" noch sehr diffus. Die für Schwarzafrika typischen Stammesrivalitäten spielen verwirrend in das Unabhängigkeitsstreben hinein; persönliche Machtkämpfe verfilzen sich mit ideologischen Zerwürfnissen; die Guerillaverbände sind ständig von Spaltung bis zur Zellteilung bedroht; zwischen den im Lande selbst und den im Exil operierenden Gruppen steigert sich mit dem Auseinanderleben und der Entfremdung die Spannung. Die Aktivitäten der Befreiungsbewegungen wachsen rasch in internationale Dimensionen hinaus. Sie haben Rückhalt in der afrikanischen Einheitsorganisation OAU, vor allem aber in den heute von radikalen Kräften majorisierten Vereinten Nationen. Sie suchen und finden Protektoren und so auch Waffenlieferanten in aller Welt — vor allem in dem von Moskau beherrschten Machtbereich, wo man im Kampf Schwarz gegen Weiß die Chance erblickt, der kommunistischen Weltbewegung in Afrika neue Einflußzonen zu schaffen.
Das Jahr 1976 hat alle Aussicht, als „das Jahr Afrikas" in die Annalen der internationalen Politik einzugehen. Nach der Auflösung des britischen und des französischen Kolonial-reiches lag der Schwarze Kontinent lange im Schatten der großen Geschehnisse in der Dritten und Vierten Welt; mit dem Vietnamkrieg und den Waffengängen auf dem indischen Subkontinent war der Scheinwerfer des öffentlichen Interesses auf Asien konzentriert. Er ist auf Afrika umgeschwenkt, auf das südliche Afrika, wo nach dem Umsturz in Lissabon 1974 als Nachzügler der Dekolonisation sich das portugiesische überseereich auflöste. Damit schlug auch im Süden des Erdteils die Stunde der Machtergreifung schwarzafrikanischer Guerilla-und Untergrundorganisationen, die — meist militant organisierte Minderheitsgruppen — sich als „Befreiungsbewegungen“ deklarieren.
Der Versuch, den Weg der einzelnen Gruppen und ihren Anteil am Unabhängigkeitskampf nachzuzeichnen, kann nur eine Rohskizze sein. Ihre Vorgeschichte ist oft bloß schattenhaft bekannt; die für Schwarzafrika typischen Stammesrivalitäten spielen verwirrend — teils anfeuernd, teils lähmend — in das Unabhängigkeitsstreben hinein. Persönliche Machtkämpfe verfilzen sich mit ideologischen Zerwürfnissen. Alle diese Befreiungsfronten sind ständig von Spaltungen bedroht. Zwischen den im Lande selbst und den im Exil operierenden Gruppen steigert sich mit dem Auseinanderleben und der zunehmenden Entfremdung die Spannung. Zugleich wachsen die Aktivitäten der Befreiungsbewegungen rasch in internationale Dimensionen hinaus. Sie suchen und finden Protektoren und so auch Waffenlieferanten in aller Welt — in erster Linie in dem von Moskau beherrschten Machtbereich, wo man im Kampf Schwarz gegen Weiß die Chance erblickt, der kommunistischen Weltbewegung in Afrika breite, neue Einflußzonen zu schaffen
Auch in den britischen, französischen, belgischen und italienischen Kolonien Afrikas hatte es Befreiungsfronten gegeben. Doch war ihr Anteil am Unabhängigkeitskampf relativ maßvoll und zeitlich begrenzt. Großbritannien begann bereits 1945, seinen Kolonien im tropischen Afrika den Weg zur Selbstregierung zu öffnen; afrikanische Nationalbewegungen beschleunigten den Prozeß durch Mobilisierung der Bevölkerung, Propagandafeldzüge, Streiks und andere Mittel des politischen Kampfes. Ähnliches gilt für die Auflösung des französischen Kolonialbesitzes in Schwarzafrika; auch dort waren bis 1960 alle Territorien in die staatliche Unabhängigkeit entlassen.
Belgien eiferte im Kongo 1960 ohne psychologische oder administrative Vorbereitung dem britisch-französischem Beispiel nach. Die Folge des überstürzten belgischen Abzugs waren fünfjährige chaotische Wirren, bei denen sich Freiheitsbewegungen mit Sezessionsbewegungen der Ost-und der rohstoffreichen Südprovinz Katanga verfilzten. Erst die Machtergreifung Mobutus und der von ihm gegründeten Revolutionären Volksbewegung (MPR) leitete 1965 eine Stabilisierung des dann in Zaire umbenannten Kongo ein.
Das französische Kongo-Brazzaville geriet 1960 nach der Unabhängigkeitserklärung unter den Einfluß junger linksradikaler Intellektueller; nach mehreren Putschen und Umstürzen firmiert die kleine Republik seit 1969 als Volksdemokratie. Auf Madagaskar hatte die Demokratische Bewegung für die Erneuerung (MDRM) 1947 in einem blutigen Aufstand vergeblich Frankreich einen Autonomiestatus abzutrotzen versucht; 1960 wurde dann auch der großen Insel vor der Ostküste Afrikas die staatliche Selbständigkeit zuerkannt. Als Frankreichs letzter Kolonialbesitz in Afrika hat sich bis heute Dschibuti am Südausgang des Roten Meeres behauptet. Doch ließ Paris um die Jahreswende 1975/76 wissen, daß es dem als „Territorium der Afar und Issa“ bezeichneten Überseegebiet — wenn auch unter Beibehaltung eines Militärstützpunktes — in Kürze die Unabhängigkeit gewähren würde. Für die Selbständigkeit der Hafenstadt mit schmalem Hinterland tritt maßvoll die vom Afar-Führer dirigierte „Nationale Union" ein, während die radikalere „Volksliga" offenkundig den Anschluß an das benachbarte, stark unter sowjetischem Einfluß stehende Somalia betreibt.
Im ostafrikanischen Küstenland Kenia war in der Stammesgruppe der Kikuyu schon 1920 eine Freiheitsbewegung gegen die britische Kolonialherrschaft entstanden. Aus ihr ging nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung des heutigen Staatspräsidenten Kenyatta die Kenya African Union (KAU) hervor, die mit Geheimbünden — der Mau-Mau-Verschwörung — die Vorrechte der weißen Siedler mit Terror zu brechen suchte. Der Ende 1963 erlangten staatlichen Unabhängigkeit ging in Kenia eine zehnjährige Periode von Guerilla-Unternehmen mit Verhängung des Ausnahmezustandes voraus. Das Kenia südlich benachbarte Tanganjika hatte auf Drängen der Nationalbewegung TANU (Tanganjika African National Union) 1960 von Großbritannien die Autonomie erhalten. Dem war 1961 die Unabhängigkeitserklärung und 1964 nach föderativem Zusammenschluß mit der Insel Sansibar unter dem einstigen TANU-Führer Nyerere als Staatspräsidenten die Ausrufung der Vereinigten Republik Tansania gefolgt.
Aus dem 1923 als britische Kolonie konstituierten Rhodesien entließ Großbritannien 1964 die Nordregion in die Unabhängigkeit, die unter dem Namen Sambia von Kaunda als Staatspräsidenten zur Republik ausgerufen wurde. Die Südregion erklärte, nunmehr unter dem Namen Rhodesien, 1965 einseitig die Unabhängigkeit von Großbriannien und hielt unter Führung von Premierminister Jan Smith an der Vorherrschaft der Weißen gegenüber der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung fest.
Aus Njassaland war nach Auflösung der Zentralafrikanischen Föderation 1964 unter Banda als Staatspräsidenten der südafrikanische Kleinstaat Malawi geworden, das sich alsbald eng an das wirtschaftlich potente Südafrika anzulehnen begann. Auch das frühere britische Protektorat Betschuanaland — nach der Unabhängigkeitserklärung 1966 die Republik Botswana — ist ähnlich wie Malawi ökonomisch stark mit Südafrika verflochten. Das politische Gewicht beider Länder ist kaum schwerer als das der fast ganz von südafrikanischem Territorium umschlossenen Zwergstaaten Lesotho und Swasiland.
Ausgespart vom Prozeß der Entkolonialisierung blieben im südlichen Afrika vorerst die großen portugiesischen Territorien Angola und Mozambique (wozu als Teilstücke des portugiesischen Uberseereiches in Westafrika noch die Inselgruppe Sao Tome/Principe, das kleine Guinea-Bissau und der ihm im Atlantik vorgelagerte Archipel der Kapverden kamen). Auf diese Gebiete konzentrierten nunmehr die schwarzafrikanischen Befreiungsbewegungen ihre Aktivitäten. Eine offene Frage war auch die geblieben, wie sich im Rhodesien der weißen Minderheitsherrschaft künftig der Status zwischen Schwarz und Weiß gestalten würde.
Einen Sonderfall auf dem Kontinent bildet die Republik Südafrika mitsamt der ihr 1919 als Mandatsgebiet des Völkerbundes unterstellten einstigen deutschen Kolonie Südwestafrika. Für das wirtschaftlich hochentwickelte und auch politisch straff durchstrukturierte Südafrika gelten andere Maßstäbe als für das noch weithin unterentwickelte Schwarzafrika. Die weißen Südafrikaner, vor allem die Buren, blicken auf eine dreihundertjährige Geschichte zurück; ihre Vorfahren nahmen ein kaum besiedeltes Land in Besitz; sie sind, anders als die weißen Siedler in ehemaligen Kolonialgebieten, „Eingeborene". Doch ist auch Südafrika, wo neben vier Millionen Weißen mehr als sechzehn Millionen Schwarze und fast drei Millionen Farbige und Inder leben, von Befreiungsbewegungen konfrontiert, die nach dem Verbot im Lande selbst vom Exil her agieren.
Zur nationalen, nationalistischen oder auch nur stammesgebundenen Grundtendenz schwarzafrikanischer Befreiungsbewegungen kommt eine starke internationale Komponente. Sie findet bei einzelnen Gruppen, bei Regierungen, bei Mächten innerhalb und außerhalb Afrikas Unterstützung — mit Ideologie, politischen Aktionen, mit Geld und vor allem mit Waffen. Die Rebellion richtet sich gegen Kolonialismus, Feudalherrschaft, gegen den „Kapitalismus der Besitzenden" und auch gegen die missionarische Botschaft der christlichen Kirchen. Das antikolonialistische Motiv vermengt sich mit klassenkämpferischen Tendenzen. Die Mischung aus Antikolonialismus, nationaler Befreiung und sozialer Revolution schafft in den Ländern der kolonialen oder halbkolonialen Welt eine Atmosphäre, in der der Kleinkrieg in Busch und Dschungel als der klassische Kampf des Schwachen zur Überwindung des Starken erscheint. Unverkennbar ist der antiwestliche, antiamerikanische Grundzug der Rebellion.
Dies wieder ruft die Sowjetunion auf den Plan, die in ihrer Propaganda und Agitation die Ziele der Freiheitsbewegungen in der Dritten und Vierten Welt mit denen der kommunistischen Weltbewegung zu synchronisieren versucht. Auch China als die mit Moskau konkurrierende kommunistische Supermacht sieht hier die Chance, seiner Lesart der Weltrevolution in Afrika Einflußzonen zu schaffen. Die Verbindung von Kriegshandlung und Klassenkampf ist der Kern der Lehre Mao Tsetungs, der als Schöpfer der revolutionären Volksbefreiungskriege gilt.
Die Sowjetunion und in ihrem Auftrag andere Länder des Ostblocks haben an schwarzafrika-nische Befreiungsfronten große Mengen Waffen geliefert; den bisherigen Höhepunkt umschreibt der Angolakrieg zu Anfang des Jahres 1976. Moskau hat Militärberater und Agitatoren für Kaderschulung entsandt und auch afrikanische Guerillas in sowjetischen Lagern militärisch und ideologisch trainiert. Wo die Sowjets selbst es für unangebracht halten, mit regulären Streitkräften zu intervenieren, schicken sie moderne Waffen, Techniker und Berater, während ein kommunistischer Vasallenstaat wie Kuba die Truppen stellt. Die rund 12 000 in Angola gelandeten kubanischen Soldaten sind offenbar kein bloßes Expeditionskorps mehr. Sie könnten nach Heranholung ihrer Familien zu kolonialen Siedlern werden, die das von den Portugiesen hinterlassene Vakuum füllen. Vielen Anzeichen zufolge ist ihnen die Funktion von militärischen Ausbildern aller nationalistischen Bewegungen des südlichen Afrika zugedacht. Was hier im Zeichen des Antikolonialismus, Antirassismus, Antiimperialismus geschieht, läuft auf eine massive Intervention des sowjetischen Imperialismus hinaus, der sich nach Rückschlägen in Ägypten, im Sudan und in anderen Teilen der arabischen Welt heute um so mehr in Schwarzafrika Expansionsfelder schaffen will. Der Ruf der Befreiungsbewegungen nach Selbstbestimmungsrecht wird von einer Macht aufgegriffen, die innerhalb ihres eigenen Herrschaftsbereichs weder Freiheit noch Selbstbestimmung und schon gar nicht eine Einflußnahme von außen duldet. Um diese Widersprüche zu überdecken, ist die kommunistische Dialektik um Definitionen bemüht, was als „legitime Befreiungsbewegung" und was als „imperialistische Verschwörung" zu gelten hat. Das Eingreifen in Angola wird als „Aktion der Solidarität mit dem gerechten Kampf der Völker im historisch unumkehrbaren Prozeß des Fortschritts der Menschheit" umschrieben, der sich die Sowjetunion „getreu ihrer internationalistischen Pflicht" unterzieht, während der anrüchige Begriff „Intervention" ausschließlich für amerikanische, westliche Einflußnahme reserviert ist. (Einen Katalog dieser „Definitionen" bringt an Hand der Angolakrise die von der Bonner Botschaft der UdSSR herausgegebenen Monatsschrift „Sowjetunion heute" im Februarheft 1976.)
Der Geländegewinn des sowjetischen Rivalen bedeutet für China in seiner Rolle als ideologischer Lehrmeister und Waffenlieferant afrikanischer Befreiungsbewegungen eine empfindliche Einbuße. Man sprach früher im Blick auf die Aktivitäten Pekings speziell an der Ostflanke des Schwarzen Erdteils vom „Sprung des chinesischen Drachen über den Indischen Ozean" — doch heute erlebt China eine bestürzende Umkehr seiner afrikani-sehen Glanzzeit in den sechziger Jahren. Im Bürgerkrieg in Angola hat es nur verbal mit Anklagen speziell gegen die Moskauer „Sozialimperialisten" interventiert und auf Unterstützung der antisowjetischen afrikanischen Befreiungsfronten verzichtet. Auch in Mozambique ist Moskau mit Erfolg bemüht, den während der Kampfzeit in der Freiimo starken chinesischen Einfluß zurückzudrängen und zu eliminieren.
In Tansania halten sich chinesische und sowjetische Einflüsse noch etwa die Waage. Dort haben sich mit dem Bau der zweitausend Kilometer langen Eisenbahn vom Hafen Daressalam zur Kupferregion im Binnenstaat Sambia die Chinesen Achtung erworben. Auch sonst sollte man den Einfluß Chinas als Entwicklungshelfer nicht unterschätzen. Mit dem Zurücktreten der militanten, revolutionären Komponente profilieren sich die Chinesen gerade in Afrika durch eine emsige Entwicklungstätigkeit und hüllen sich gleichzeitig in undurchsichtige Bescheidenheit. So könnte sich auf längere Sicht erweisen, daß im ideologischen Wettstreit mit Moskau Peking in Afrika die besseren Karten hat.
Nicht nur im kommunistischen Machtbereich und in Staaten der Dritten Welt — wie in Algerien oder im Libyen des jeder Untergrund-organisation rings um den Globus zugeneigten Oberst Gaddafi — können afrikanische Befreiungsfronten mit Zuspruch und materieller Hilfe rechnen. Auch in westlichen Ländern haben sie einen nicht zu unterschätzenden Kreis von Sympathisanten. Er beschränkt sich nicht auf linksextreme Zirkel etwa in der radikalen Parolen zugetanen Studentenschaft, die gern für die „totale Befreiung Afrikas vom weißen Kolonialjoch" demonstriert. Auch in Kreisen der bürgerlichen Mitte wurden private Organisationen zur Unterstützung afrikanischer Kampfverbände gegründet. Unter dem Stichwort „humanitäre Hilfe" steuern in westeuropäischen Ländern, insbesondere in Schweden und Dänemark, auch Regierungen zu dem Kampffonds von Guerillaverbänden bei. Das gilt besonders für den auf „Antirassismus" eingeschworenen Weltkirchenrat, der für die Bekämpfung des „Rassismus vor allem im südlichen Afrika" einen Sonderfonds errichtet hat, in den die protestantischen Glied-kirchen einzahlen. Der Verzicht auf Kontrolle der gespendeten Gelder trug dem Weltkirchenrat den Vorwurf ein, in unkritisch-ideologischem Engagement in der südlichen Hemisphäre Kräfte des Terrorismus, Exponenten einer zutiefst unchristlichen Politik der Gewalt zu finanzieren — und zugleich kommunistischen Zwangssystemen eine nahezu unbeschränkte Toleranzmarge zu gewähren.
Internationalen Rückhalt haben die Befreiungsfronten institutionell ferner in der 1963 gegründeten Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und mit mehr und mehr Nachdruck bei den von den Ländern der Dritten und Vierten Welt majorisierten Vereinten Nationen. Die OAU erkennt Freiheitsbewegungen in Afrika prinzipiell an und finanziert sie aus einem eigenen Fonds, sofern sie sich gegen weiße Vorherrschaft richten. Ihre Befreiungs-Strategie ist im Kern gegen die Republik Südafrika gerichtet. Ihr Appell, mit Beseitigung der Herrschaft der weißen Minderheit das politische System Südafrikas fundamental zu ändern, ist ein Aufruf ausdrücklich für die Anwendung von Gewalt. Ähnlich wie in der in sich zerspaltenen arabischen Welt der Kampfruf gegen Israel ist in den 47 in der OAU vertretenen Ländern des afrikanischen Kontinents die Dauerkampagne gegen Südafrika als ein Integrationsfaktor gedacht, der auseinanderstrebende Interessen an ein gemeinsames Ziel bindet und so zahllose innere Zerklüftungen überblendet. Dabei fällt die OAU als „Clearingstelle" für Krisen und Konflikte innerhalb Schwarzafrikas weitgehend aus. Befreiungsfronten, die sich gegen schwarzafrikanische Regierungen richten, werden von der Organisation für Afrikanische Einheit beharrlich ignoriert. Die von den Kolonialmächten oft freihändig mit dem Lineal gezogenen Grenzen sollen — selbst wenn dabei Stammesgebiete auseinandergerissen und Willkürregime stärkerer über schwächere Volksgruppen begründet wurden — auch für die jungen Nationen Gültigkeit haben; jede Änderung der Landkarte soll vermieden werden. So bringen Sezessionsbewegungen, die unter dem Begriff „Befreiungsbewegungen" firmieren, die OAU in große Verlegenheit. Die OAU stand Ende der sechziger Jahre hilflos dem Bürgerkrieg in Nigeria gegenüber, der durch die Forderung der Ibos nach einer unabhängigen Republik Biafra ausgelöst war. Ebenso war es bei der langjährigen Rebellion der negroiden Bevölkerung im Süden des Sudan gegen den Herrschaftsanspruch des arabisch-islamischen Volksteils in der Zentralregion und im Norden. An dem in der Weltöffentlichkeit zu beobachtenden Verfahren, den Sezessionskampf Eritreas totzuschweigen, beteiligt sich auch die OAU. In der 1962 von Kaiser Haile Selassie annektierten Küstenprovinz am Roten Meer stehen den äthiopischen Regierungstruppen in der sozialistisch ausgerichteten ELF (Eritrean Liberation Front) und der eher nationalistisch-muslimisch orientierten PLF (Eritrean People's Liberation Forces) in zahlenmäßig etwa gleicher Stärke zwei Guerillaverbände gegenüber, die sich weitgehend auf die Zustimmung der Bevölkerung stützen. Der größte Teil Eritreas befindet sich heute wenn nicht unter der Kontrolle, so doch unter dem Einfluß von Befreiungsbewegungen, die von der in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba residierenden OAU kaum zur Kenntnis genommen werden.
Ähnlich wie für die OAU sind auch für die UNO afrikanische Befreiungsbewegungen nur dann relevant, wenn sie sich — wie heute im südlichen Afrika — gegen weiße Vorherrschaft richten. Der Einfluß radikaler Kräfte in der im Zuge der Dekolonialisierung auf 138 Mitgliedsländer angeschwollenen Weltorganisation führt zu Mehrheitsbeschlüssen, die terroristischen Gruppen Gehör, ja der arabischen Freischärler-Organisation PLO sogar einen Beobachterstatus geben. Damit einher geht der Versuch der überwiegend aus weltpolitisch peripher gelegenen Ländern gebildeten Majorität, Israels Stimme zum Schweigen zu bringen oder, in arabisch-schwarzafrikanischer Übereinkunft, Südafrika überhaupt aus der UNO auszuschließen. In der Rolle des Fürspreches der Kräfte des Extremismus in der Dritten Welt fand der Sowjetblock im Forum am East River in New York einen Resonanzboden, der ihm gerade in Schwarzafrika zu eklatanten Einflußzonen verhülfen hat. Ingeniös bedient sich Moskau des Instrumentariums der UNO, um aktuelle und potentielle Gegner seines globalstrategischen Konzepts matt zu setzen.
Das alles sind generelle Aspekte oder auch Perspektiven. Sie zeigen den Hintergrund, vor dem sich im südlichen Afrika die Aktivitäten der Befreiungsbewegungen abspielen, die für die Regionen Angola, Mozambique, Rhodesien, Südwestafrika und Südafrika nun im einzelnen skizziert werden sollen.
Angola
Als am 11. November 1975 nach fast fünfhundertjähriger portugiesischer Herrschaft Angola als ein unabhängiger Staat proklamiert wurde, standen sich drei Befreiungsorganisationen unversöhnlich gegenüber. Es hatte mannigfache Versuche zu einer Einigung gegeben, doch waren die Vereinbarungen immer wieder gebrochen worden. Die Folge der Spaltung war ein Bürgerkrieg Schwarz gegen Schwarz; das Land versank in Chaos und Anarchie. Der Krieg wuchs rasch in internationale Dimensionen hinaus. Mit dem Machtkampf in Angola war zum erstenmal seit der Kongokrise der sechziger Jahre Schwarzafrika wieder in das Spannungsfeld der Supermächte geraten. Gegenüber einem zögernden, resignierenden und Schließlich kapitulierenden Westen ging dank massiven sowjetisch-kubanischem Engagements aus dreimonatigen erbitterten Kämpfen die linksextreme MPLA (Movimento Populär de Libertacao de Angola) als Gewinner hervor. Die Offensive ist Teil der global-imperialistischen Strategie der kommunistischen Weltmacht. Für das ganze südliche Afrika zeichnen sich Entwicklungen unabsehbaren Ausmaßes ab.
Der Kampf um Angola hat eine lange, verwirrende Vorgeschichte, die hier nur summarisch rekapituliert werden kann. Die 1956 gegründete MPLA setzt den Beginn der eigentlichen Unabhängigkeitskämpfe auf den Februar 1961 an, als es unter ihrer Regie zu einem Angriff auf das Gefängnis und die Rundfunkstation in der angolanischen Hauptstadt Luanda kam. Die Rebellion wurde blutig niedergeschlagen. Im Gegensatz zu den anderen Unabhängigkeitsverbänden ging die MPLA bei ihrer Werbung um Anhänger und Kombattanten nicht von der Stammesbindung aus; sie wollte sich als eine Nationalbewegung für ganz Angola verstanden wissen. Unter ihren Gründern waren viele Mischlinge, vor allem Mulatten; sie breitete sich vornehmlich in den Städten und unter den entwurzelten Arbeitern auf den Plantagen aus. In ihrer Führungsmannschaft hatten „Linksintellektuelle" die Vorhand, die aus ihrer Sympathie für Marxismus, Leninismus, Kommunismus keinen Hehl machten. Zwar bemühte sich die MPLA auch um die militärische Unterstützung Chinas. Doch kam der größte Teil der Hilfe von der Sowjetunion — was Moskau dann, als nach dem Abzug der Portugiesen der MPLA der alleinige Herrschaftsanspruch streitig gemacht wurde, mit einem Strom von Waffenlieferungen und dem Einsatz von Kubanern als Kampftruppen in unmittelbare militärische Intervention umsetzte.
Moskau und der MPLA-Chef Dr. Antonio Agostinho Neto sind schon seit langem Partner. Der durch gezielte Sowjethilfe zum Präsidenten der „Volksrepublik Angola" avancierte Neto erscheint als der Typ des intellektuellen Afrikaners. Dafür sprechen dichterische Neigungen und das Medizinstudium, das der heute 54jährige Neto an Portugals berühmter Universität Coimbra absolvierte. Früh schon schloß er sich der portugiesischen KP an, mehrfach saß er wegen Teilnahme an Demonstrationen gegen das Salazar-Regime im Ge7 fängis. Ende der fünfziger Jahre kehrte er als Landarzt nach Angola zurück. 1961 drängte Neto seine Mitstreiter, die Mulatten Anrade und Cruz, auf Randpositionen ab; ein Jahr später hatte er sich als MPLA-Chef durchgesetzt. Der Sohn eines Methodistenpfarrers aus dem im Hinterland der Hauptstadt Luanda ansässigen Stamm der Kimbundu proklamierte in seiner Befreiungs-und Staatsphilosophie für ganz Angola eine „Sozialistische Transformation". Sie zielte auf eine „doppelte Revolution": auf Abschaffung des kolonialen Systems und auf die Bildung eines neuen, nationalen Bewußtseins durch Mobilisierung der Massen. Wesentlich für die politische Strategie der MPLA ist die Rolle der Partei, die gerade auch zur Überwindung von Stammesbindungen das ganze Land kontrollieren soll. Die Hauptaktivitäten verlagerten sich ins Exil;, vor allem diente der kleine, linksextrem regierte Staat Kongo-Brazzaville der MPLA, speziell der Neto-Gruppe, als sichere Basis. Ähnliches gilt für die angolanische Unabhängigkeitsbewegung FNLA, die Frente Nacional de Libertacao de Angola, die Nationale Befreiungsfront Angolas. Sie hatte ihr Hauptquartier, eine Art Exil-Regierung, in dem Angola mit einer 2 600 Kilometer langen Grenze benachbarten Zaire, dem .früheren Belgisch-Kongo, wo sie in dem 1965 zur Macht gelangten Präsidenten Mobutu einen regen Förderer fand. Die Querverbindung wurde dadurch verstärkt, daß der FNLA-Chef Holden Alvero Roberto ein Schwager Mobutus ist.
Der heute 53jährige Roberto wurzelt nicht so sehr in Angola, sondern in seinem Stamm der Bekongo, der teils in Angola, teils in Zaire lebt. Schon 1954 hatte er unter den Bekongos eine Oppositionsbewegung gegründet, die sich „Vereinigung der Völker Angolas"
(UPA) nannte und Rückendeckung in den Vereinigten Staaten besaß. 1962 wurde die UPA nach Zusammenschluß mit anderen Gruppen zur FNLA; in seiner Organisation hat Roberto eine große Zahl von Intrigen und Meutereien überlebt. Wie sein sozialistisch-kommunistischer Gegenspieler Neto hat der ideologisch nur vage fixierte Roberto die Zeit des eigentlichen Kolonialkrieges im Exil verbracht. Er organisierte von Belgisch-Kongo (Zaire) aus den Widerstand gegen die Portugiesen. Ebenso wie Roberto und Neto zählt auch der dritte der miteinander rivalisierenden Guerillachefs, Jonas Savimbi, zum Kreis der angolanischen Intellektuellen. Der heute 41jährige Savimbi studierte in Lausanne Politikwissenschaft, promovierte dann in Portugal als Mediziner. Neun Monate lang ließ er sich in China militärisch ausbilden. Wie Roberto ist auch Savimbi ethnisch gebunden; er stützt'sich vor allem auf den Ovimbundu-Stamm im Süden des Landes. Anfang der sechziger Jahre arbeitete er eng mit Roberto zusammen, in dessen „Exilkabinett" er als Außenminister fungierte. Dann überwarf er sich mit seinem Partner und gründete 1966 als neue Befreiungsbewegung die UNITA (Uniao Nacional para a Independencia Total de Angola). Er hat Charisma, spricht mehrere Sprachen und ist schlagfertig — die von ihm geführte UNITA hatte in der Bevölkerung Angolas die stärkste Verankerung.
Im Gegensatz zu seinen beiden Rivalen war Savimbi stets aktiver Partisan. Er rühmte sich, als einziger der drei angolanischen Guerillachefs ständig innerhalb Angolas gekämpft zu haben. Ideologisch befürwortete er einen „unabhängigen afrikanischen Sozialismus", doch hat er dem nie schärfere Konturen gegeben. Als „aufgeklärter Sozialist" hieß er das Privatkapital willkommen. Auch setzten nach dem Machtwechsel in Lissabon im April 1974 die damals rund 600 000 Weißen Angolas auf ihn, nachdem er ihre Mitarbeit beim Aufbau des Landes für unerläßlich erklärt hatte.
In dem nach der Unabhängigkeitserklärung vom November 1975 ausgebrochenen Bürgerkrieg paktierte Savimbis UNITA mit Robertos FNLA. Doch konnte auch das Zusammenwirken der beiden nichtkommunistischen, sowohl von Sambia wie von Zaire aus unterstützten Befreiungsbewegungen nichts daran ändern, daß an der Südfront die UNITA und an der Nordfront die FNLA dem konzentrischen Druck des mit sowjetischen Waffen jeden Kalibers ausgerüsteten, von sowjetischen Experten dirigierten kubanischen Expeditionskorps erlag. In die dann folgende diplomatische Anerkennung des MPLA-Regimes reihte sich auch in einer Kehrtwendung das Zaire Mobutus ein — mit dem Versprechen, den von Roberto angekündigten Buschkrieg der in den Untergrund abgedrängten FNLA zu unterbinden. Dem folgte ein Ausgleich auch mit Sambia, was dem von der UNITA Savimbis propagiertem Guerillakrieg viel an Stoßkraft nahm.
Die Ideologen der nun zur Staats-und Einheitspartei avancierten MPLA weisen den Gedanken zurück, Angola sei Sprungbrett des sowjetischen Imperialismus in Afrika geworden. Moskaus doktrinärer Marxismus passe, erklären sie, ebensowenig in die afrikanische Szene wie eine nach westeuropäischem Muster angelegte demokratische Verfassung, vielmehr strebe die MPLA einem „arteigenen 1 afrikanischen Sozialismus" zu. Die Proklama-I tionen aus Luanda klingen ähnlich wie die Pro-I gramme der Freiimo in Mozambique oder der ITanu-Politiker in Tansania, deren Führer den i Vorwurf, daß sie sowjetische oder auch chinesische Modelle kopierten, beharrlich zu-f rückweisen. Aber diese Rechnungen afrikaniI scher Befreiungsbewegungen mit der Beteuei rung, man vertrete eine „blockfreie Außenpo-I litik", die keiner fremden Macht Stützpunkt-rechte einräume, sind ohne den Wirt geI macht. Die Sowjetunion hat sich nicht in An-I gola und anderen Regionen Schwarzafrikas I massiv engagiert, um nach dem Sieg ihrer Proteges ihre mühsam, mit eminenter Rüstungshilfe erreichte Präsenz wieder abzubauen.
Mozambique
In Mozambique, dem nach Angola zweitgröß; ten Portugals, lag trotz der Afrika-Territorium I auch hier wirren Machtkämpfe die Initiative im Unabhängigkeitskampf eindeutig bei der ! Befreiungsorganisation Freiimo (Frente de Li-I bertacao de Mozambique). Damit blieb, als es I 1974 nach dem Umsturz in Lissabon zur Ablö-I sung der portugiesischen Herrschaft in Afrika Mozambique im Gegensatz zu Angola I ein Bürgerkrieg zwischen miteinander rivaliI sierenden Befreiungsbewegungen erspart. Die Freiimo ging 1962 aus dem Zusammenschluß von drei Organisationen hervor. Die Gründung erfolgte in Daressalam, der Hauptstadt Mozambique im Norden benachbarten I Tansania. In Daressalam blieb auch in der I Folge — unter dem pfleglichen Protektorat des tansanischen Präsidenten Nyerere — das Hauptquartier der Freiimo; die mozambiquanische Befreiungspolitik wurde weithin vom Exil her dirigiert.
Bereits 1963 wurde die Freiimo von der OAU anerkannt. 1964 begannen mit der Infiltration des Nordens von Mozambique Guerillaaktionen gegen die Portugiesen. Die aus Tansania eindringenden Rebellen konnten sich auf Grenzstämme, die Makonde und die Nyanja, stützen, während die Portugiesen zum Teil von anderen Stämmen, so etwa von den zahlenmäßig weit bedeutenderen Makua, Beistand erhielten. Zur Abwehrstrategie der Portugiesen gehörte die Anlage von „Wehrdörfern", in die weite Teile der Bevölkerung Mozambiques umgesiedelt wurden. Nicht zuletzt ist die Freiimo wegen ihrer Attacken auf die Zufahrtswege zum Staudamm von Cabora Bassa bekanntgeworden, gegen dessen Errichtung vom kommunistischen Ostblock ebenso wie von Verbänden der westlichen Linken eine weltweite antikoloniale Kampagne angefacht worden war.
Auch sonst konnte die Freiimo über Mangel an internationaler Resonanz nicht klagen, weder moralisch noch materiell. Experten schätzen, daß sie von allen Befreiungsfronten in Afrika die meiste Hilfe aus dem kommunistischen Machtbereich wie auch aus westlichen Ländern erhielt. China leistete über Tansania massive Unterstützung. Dies wiederum spornte die Sowjetunion und ihre Satelliten zu erhöhter Hilfe speziell in der Ausrüstung der Guerillas mit modernen Waffen an. Auf jeden Fall war die Freiimo auf eine lange Kampfzeit eingerichtet und überrascht, als nach zehnjähriger Guerillakampagne mit dem Machtwechsel in Lissabon und der jähen Preisgabe der afrikanischen Territorien durch Portugal 1974 plötzlich der Weg zur Unabhängigkeit frei wurde.
Nach einer verworrenen Geschichte von Stammesfehden und persönlichen Rivalitäten war Dr. Eduardo Mondlane erster Chef der Freiimo geworden. Er stammte aus einer Thonga-Häuptlingsfamilie im Süden Mozambiques und hatte, nach Besuch einer protestantischen Missionsschule, in Lissabon und später in den USA studiert, wo er in Antropologie promovierte und eine Amerikanerin heiratete. Anfang 1969 wurde Mondlane durch eine Sprengstoffladung, die ihm mit einem Bücherpaket ins Haus geschickt worden war, in Daressalam getötet. Die Urheber des Anschlags konnten nicht eindeutig festgestellt werden.
Man tippte auf die portugiesische Geheimpolizei, gleichzeitig aber auch auf radikale Gegner Mondlanes in der Freiimo oder in. ihrer Konkurrenzorganisation Coremo, die ihn wegen seiner gemäßigten Haltung und seiner Neigungen für den Westen beseitigen wollten.
Es bedurfte eines längeren Machtringens, bis sich 1970 Samora Moises Machel zum neuen Frelimo-Präsidenten durchgekämpft hatte. Er wurde 1933 als Sohn eines Bauern in der Provinz Gaza geboren und nach vier Jahren Grundschule zum Krankenpfleger ausgebildet. Machel gehörte zur ersten Gruppe von Frelimo-Rebellen, die Mondlane 1963 zur Guerilla-Ausbildung nach Algerien geschickt hatte. Die Freiimo führte er meist von einer der Kampfzonen in Mozambique aus und nicht wie sein Vorgänger Mondlane aus einem Büro in Tansania. Enge Verbindungen zu Moskau haben weder Mondlane noch Machel je bestritten — was freilich beide nicht hinderte, während des Unabhängigkeitskampfes intensive Beziehungen auch zu China zu unterhalten.
Im Juni 1975, vierzehn Monate nach dem Umsturz in Lissabon, zog Machel vom Exil in Daressalam aus als Staatschef der „Volksrepublik Mozambique" in Lourenco Marques ein. Er proklamierte einen „sauberen afrikanischen Sozialismus", der nach dem vergleichsweise milden Regime der Portugiesen durch Umerziehung zu Härte und Arbeitsleistung das Denken der neun Millionen Mozambiquaner verändern soll. Das während des Guerillakampfes von den Portugiesen entwickelte Konzept der „Wehrdörfer" wurde beibehalten, jedoch spricht man im Frelimo-Staat von „Friedensdörfern", die sich von Arbeitslagern mehr und mehr zu Konzentrationslagern wandeln. Eine Kette von Säuberungs-und Verhaftungsaktionen gegen Korruption, Unmoral, Alkoholismus (von Machel als „imperialistische Erz-übel" bezeichnet) führte Mitte Dezember 1975 zu einem Aufstandsversuch, den der Frelimo-Chef blutig niederschlug.
Mit der Aufgabe, ein Land, dreimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, bewohnt von rund zwanzig größeren Stämmen, zu regieren, ist die zur Einheitspartei umorganisierte Frelimo offenkundig überfordert. Mit Portugals überstürztem Abzug und dem Massenexodus der weißen Bevölkerung kam die Unabhängigkeit um Jahre zu früh. Trotz aller Rückschläge erklärt Machel unverdrossen, daß er mit Verstaatlichung, Arbeitsdienst, strikter Kontrolle des Privatlebens und Verdammung der katholischen Kirche als „reaktionärer Organisation" das Land weiter auf den Weg zum Sozialismus und Kommunismus führen wolle. Die Befreiungskämpfer von gestern sind nach all ihren Proklamationen auf dem Wege, in Mozambique ein totalitäres Polizeiregime zu errichten.
Vorsichtiger ist der Frelimo-Chef, wenn es außenpolitische Konsequenzen aus seinem Innenkurs zu ziehen gilt. Er spart zwar nicht mit Solidaritätserklärungen gegenüber dem angolanischen MPLA-Chef Neto und kündigt gleichermaßen wie Neto die „Zertrümmerung der weißen Vorherrschaft" in dem Mozambique in Richtung Angola benachbarten Rhodesien an. Doch steuert er dem „weißen Südafrika" gegenüber einen eher pragmatischen, von der Ideologie des Antirassismus kaum beeinflußten Kurs. Dies hat seinen Grund in der Verflechtung des wirtschaftlich unterentwikkelten Mozambiques mit der Industriegroßmacht, wie sie Südafrika darstellt. Rund 120 000 in die Goldminen Südafrikas abgestellte Arbeiter garantieren Mozambique einen steten Zufluß von Devisen; nach Mozambique fließen aus südafrikanischen Kassen die Transport-und Hafengebühren für in Maputo, dem früheren Lourenco Marques, umgeschlagene Güter; für den Strom aus dem neuen Riesen-kraftwerkCabora Bassa ist gegen harte Währung in erster Linie ebenfalls Südafrika der Abnehmer.
Rhodesien
Die Geschichte der afrikanischen Befreiungspolitik in Rhodesien ist voll von Spannungen, Zerwürfnissen und Fehden der verschiedenen Unabhängigkeitsbewegungen, die zu entwirren es eines Spezialstudiums bedarf.
Dies beschwört die Parallele zu den Vorgängen in Angola herauf, wo der Konflikt -zwischen den drei Befreiungsbewegungen das Land in Chaos und Bürgerkrieg versinken ließ. Doch liegt ein gewichtiger Unterschied darin, daß die weißen Siedler in Angola vor der Preisgabe des Landes durch Portugal politisch nur eine diffuse, relativ schwache Rolle spielten, während in Rhodesien die überwiegend britischen Siedler (rund 270 000 Weiße neben nahezu sechs Millionen schwarzen Rhodesiern) unter der Führung des eigenwillig-eigensinnigen Premierministers Jan Smith ein straffes, ökonomisch solide unterbautes politisches System schaffen konnten.
Als sich Ende 1963 die Zentralafrikanische Föderation (ein britisches Quasi-Dominion)
auflöste, konnten sich zwar in Sambia unter Kenneth Kaunda und in Malawi unter Hastings Banda unabhängige schwarzafrikanische Staaten konstituieren. Hingegen erklärte sich Süd-Rhodesien — das nunmehr als dritter Binnenstaat im südlichen Afrika unter dem Namen Rhodesien auftrat — in offenem Konflikt mit Großbritannien zu einer weiterhin von der weißen Minderheit regierten unabhängigen Republik. Dies wiederum forderte schwarzafrikanische Widerstandsbewegungen heraus, die nach dem archäologisch umstrittenen, auf das 5. bis 9. Jahrhundert datierten Ruinenfeld am oberen Sambesi Rhodesien in Zimbabwe umtauften. Doch blieb dem 1957 von Joshua Nkomo gegründeten African National Congress (ANC) die Spaltung in verschiedene Lager nicht erspart. Nkomo benannte später seine Organisation in Zimbabwe African People's Organization (Zapu) um, von der unter dem militanten Pfarrer Ndabaningi Sithole mit marxistisch-leninistischen Parolen sich 1964 die Zimbabwe African National Union (Zanu) abspaltete. Mit der 1971 von Robot Chikerema gegründeten neuen Organisation, der Front for the Liberation of Zimbabwe (Frolizi) hatten sich sogar drei miteinander rivalisierende Befreiungsbewegungen formiert. An der Rivalität hat sich auch dadurch wenig geändert, daß Zapu, Zanu und Frolizi sich Ende 1974 in dem wiederum als ANC firmierenden Afrikanischen Nationalrat zusammenschlossen und ihn als Dachverband anerkannten. Auch dieser neue ANC ist inzwischen zerfallen — ein Symptom immer heftigerer Machtkämpfe in den Reihen der Nationalistenführer.
Während der innerrhodesische Zweig des ANC unter Nkomo mit der Regierung Smith in Verfassungsgesprächen über eine evolutionäre Lösung verhandelte, bezeichnete der von Sambia, von Mozambique und Tansania aus agierende Exilflügel des ANC einen sich stetig verschärfenden Guerillakampf als einzige Lösung der Rhodesien-Frage. Vom Exil aus propagiert neben Sithole der schwarze Methodisten-Bischof Abel Muzorewa vehement den „bewaffneten Kampf gegen das weiße Kolonialregime". In Trainingslagern in Tansania, Sambia und Mozambique wurde mit der Aufstellung einer „Befreiungsarmee" begonnen, die ihre Waffen vornehmlich aus dem Ostblock bezieht und als deren Oberbefehlshaber sich der allerdings mehr auf chinesische als auf sowjetische Hilfe vertrauende Zanu-Chef Sithole bezeichnet. Während Rhodesiens nördlicher Nachbar Sambia den Guerillas allmählich die Unterstützung entzog, entstand an der über tausend Kilometer langen Grenze zu Mozambique eine Kette von Stützpunkten, denen die Freiimo Waffen, Proviant, Unterkünfte, vor allem aber Guerilla-Know-how mit Terrorpraktiken zum Einsickern der Freischärler nach Rhodesien vermittelt. Die meisten Guerilla-Führer, Chefs einzelner Gruppen, führen Krieg auf eigene Faust; die rhodesische Nationalisten-Bewegung ist von einer Koordination ihrer bewaffneten Aktionen weiter denn je entfernt.
In Absprache mit dem sambischen Präsidenten Kaunda drang unter Hinweis auf die Gefahr eines „zweiten Angola" Südafrikas Ministerpräsident Vorster auf eine friedliche Lösung des Rhodesien-Problems. Als Geste dafür war der Abzug südafrikanischer Polizeitruppen aus Rhodesien gedacht. Nach Vorsters Vorstellungen könnte der Übergang von der weißen Minderheits-zu einer schwarzen Mehrheitsregierung innerhalb von drei bis fünf Jahren erfolgen — was den ungeduldigen schwarzen Rhodesieren im Exil als eine unerträglich lange Frist erscheint. Jan Smith schwankt, ob er dem Rat Vorsters folgen und den Ausgleich mit den Zimbabwe-Organisationen ansteuern soll. Für Vorster hinwieder hängt die Glaubwürdigkeit seiner Rhodesien-Intervention davon ab, ob und bis zu welchem Grad er mit der schwarzen Bevölkerung Südafrikas auf einer neuen Basis zu einem stabilen Verhältnis der Partnerschaft kommt, das Konfrontation in Kooperation überleitet.
Südwestafrika
Das Dekor, die „einzige anerkannte Befreiungsbewegung für Südwestafrika" zu sein, nimmt, die 1950 gegründete, in Abkürzung als Swapo firmierende South West Africa People’s Organization für sich in Anspruch. In der Tat erkennen sowohl die UNO wie die afrikanische Einheitsorganisation OAU lediglich die Swapo als die gültige Vertretung der Bevölkerung Südwestafrikas an. Dies ist als Vorgriff auf die Beendigung der treuhänderischen Verwaltung gedacht, die Südafrika seit 1919 im Auftrag des Völker-bundes über die frühere deutsche Kolonie ausübt.
Als Vorgriff auf einen künftigen Status der Unabhängigkeit stellt sich auch der 1967 Süd-westafrika von der UNO zugeteilte Name „Namibia" heraus. Er leitet sich aus dem Wort Namib, der Bezeichnung für eine der lebens-feindlichsten Wüsten der Welt, ab, die sich als ein Sperriegel zwischen Binnenhochland und Ozean an der Atlantikküste Südwestafrikas hinzieht. Es ist schwer zu begreifen, was die Vereinten Nationen just auf den Namen dieses Todesstreifens verfallen ließ, in dem nie ein schwarzer Stamm Fuß fassen konnte. In Südwestafrika selbst stößt auch bei politisch führenden Vertretern schwarzer Volksgruppen die Bezeichnung „Namibia" auf Ablehnung, Widerstand und Verachtung. Sie wird als ein Kunstprodukt aus der UNO-Retorte betrachtet und nur von einer kleinen schwarzen Minderheit, dem militanten Kern der Swapo, akzeptiert.
Die Swapo war ursprünglich eine nationalistische Stammesorganisation, die sich in einem Wirrwar von Neugründungen aus der im Norden Südwestafrikas siedelnden Volksgruppe der Ovambos herausgebildet hat. Die Ovambos stellen zwar von den rund 850 000 Bewohnern Südwestafrikas mit etwa 46 Prozent die größte Gruppe dar. Doch wird selbst in dem wieder in sieben Stämme mit unterschiedlichen Dialekten unterteilten Ovambo-Gebiet der Swapo der Anspruch bestritten, alleiniger Vertreter auch nur der Nordregion zu sein. Schon gar nicht kann davon die Rede sein, daß die übrigen schwarzen und farbigen Volksgruppen des Landes den Anspruch der Swapo anerkennen, der einzig legitimierte Vertreter des „Volkes von Namibia" zu sein. Ob Hereros, Damaras, Kavangos oder Namas — sie alle (von den rund 100 000 Weißen des Landes gar nicht zu sprechen) lehnen sich gegen den Alleinvertretungsanspruch einer einzelnen Gruppe auf. Keines der anderen Völker oder Volksgruppen ist bereit, die bisheri11 ge Verwaltung gegen ein von den Ovambo dominiertes Swapo-Regime einzutauschen.
Das läuft auf eine scharfe Absage an den von der Swapo und so auch der UNO sowie der OAU mit der Losung „One Nation — One Namibia" proklamierten Einheitsstaat hinaus. Man verweist auf die ethnische Vielfalt des Landes mit zwölf verschiedenen Völkerschaften und zwanzig verschiedenen Sprachen und fordert an Stelle des Herrschaftsanspruchs einer militant organisierten Minderheitsgruppe ein föderatives System. Eben dies strebt die im September 1975 in der Landeshauptstadt Windhuk einberufene Verfassungskonferenz an, die nach bindender Zusage Pretorias den Weg Südwestafrikas zu einem selbständigen Staat in schiedlich-friedlichem Ausgleich nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch zwischen Schwarz und Schwarz abstecken soll.
Das Nein der Swapo zur Verfassungskonferenz ist mit dem Aufruf ihres militanten Flügels zur „Weiterführung des bewaffneten Kampfes" gepaart. Doch hat der Appell zum bewaffneten Befreiungskampf sich bisher mehr als ein Lippenbekenntnis oder auch Wunschdenken der Guerillas erwiesen, sieht man von gelegentlichen Überfällen im Norden Südwestafrikas — etwa im sogen. Caprivi-Zipfel, dem Verbindungsstück nach Sambia — ab. Auch die Ermordung des der „Kollaboration mit den Weißen" geziehenen Ovambo-Ministerpräsidenten Filemon Elifas im August 1975 gehört in die Kategorie dieser „Kampfaktionen".
In Südwestafrika selbst war die Swapo unter dem schon Anfang der sechziger Jahre zum Vorsitzenden des legalen Flügels gewählten David Meroro nur noch peripher vertreten; auch Meroro lebt seit 1975 im Ausland. Obwohl in Südwestafrika offiziell zugelassen, hat sich die Swapo an Wahlen nie beteiligt. Um so aggressiver macht die von Sam Nujoma angeführte Exil-Swapo von sich reden, die nun schon seit anderthalb Jahrzehnten vom Ausland her eine militante Organisation für die gewaltsame Übernahme des Landes aufzubauen versucht. Das geschah vor allem von Sambia aus. Doch hat Staatspräsident Kaunda im Herbst 1975 der Swapo militärische Operationen gegen Südwestafrika von Sambia aus untersagt und zugleich der Lieferung sowjetischer Waffen an die Swapo Einhalt geboten.
Der im Ausland agierende Swapo-Flügel ist im Laufe der Zeit mehr und mehr unter kommunistischen Einfluß geraten. Wie in Sambia oder Tansania, so setzten sich auch bei den Exilgruppen in westlichen Ländern immer stärker Kommunisten in der Führung durch, die, applaudiert von Moskau und seinen Satelliten, für die „bewaffnete Revolution in Südwestafrika und Südafrika" werben. Offenkundig sind die ideologisch-organisatorischen Querverbindungen zur Freiimo in Mozambique und vor allem zu der von Agostinho Neto geführten „Volksbewegung für die Befreiung Angolas". Nach dem für sie erfolgreichen Ausgang des Bürgerkrieges sieht die MPLA in der Swapo die Speerspitze, mit der von Angola aus die Machtergreifung schwarzafrikanischer Befreiungsbewegungen in Richtung Südwestafrika fortgesetzt werden kann.
Auf dem 25. Parteitag der KPdSU in Moskau verkündete Anfang März 1976 ein führender Vertreter der Swapo, daß „die Kräfte der nationalen Befreiungsbewegung im Süden Afrikas sich jetzt zum Entscheidungskampf gegen die Rassenregime bereit machen". In seiner Erklärung heißt es weiter: „Die Entschlossenheit des afrikanischen Volkes, seine Freiheit zu erlangen, die Unterstützung und Solidarität der Sowjetunion sowie der anderen sozialistischen Länder machen den endgültigen Zusammenbruch der Rassenregime nur zu einer Frage der Zeit. Die Swapo wird alles tun und jedes Opfer bringen, um die totale Vernichtung der südafrikanischen Rassisten in Namibia herbeizuführen. Wir zweifeln nicht daran, daß die Sowjetunion weiterhin unserer Bewegung Hilfe erweist..."
Gegen die aus dem Norden drohende Gefahr sind die Streitkräfte Südafrikas um die Anlage eines „Sicherheitsgürtels" bemüht, der rund 50 Kilometer breit und 1 500 Kilometer lang vom Atlantik bis zur sambesischen Grenze Südwestafrika vor Infiltration und Einbrüchen aus Angola abschirmen soll. Würde der mit der MPLA verbündeten Swapo dennoch der Durchbruch gelingen, so wäre mit der Eskalierung der Guerillataktik Südwest-afrika von einem Krieg nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern nach angolanischem Muster vornehmlich zwischen Schwarz und Schwarz bedroht.
Südafrika
In Südafrika formierte sich eine Protestbewegung der Schwarzen gegen die weiße Vorherrschaft bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Ihre Gründung geht auf das Jahr 1912 zurück: Damals verursachte die Neuregelung des Wahlrechts unter den Bantus (offizielle Bezeichnung für die Schwarzen in Südafrika) eine starke Unzufriedenheit, als Folge derer vier schwarze Rechtsanwälte den African Na-B tional Congress (ANC) ausriefen.. Die Führung lag bei städtischen Intellektuellen, Vorbild war die afro-amerikanische Bürgerrechtsbewegung in den USA.
Während des Zweiten Weltkrieges verstärkte sich das schwarze Nationalbewußtsein; unter der Leitung des Präsidenten Dr. J. S. Moroka wurde der ANC kämpferischer. Er organisierte öffentliche Versammlungen, die mit dem Absingen einer eigenen Nationalhymne eröffnet wurden. Als die Regierung Malan 1948 die Politik der Apartheid verschärfte, trat der ANC mit dem Ziel einer mehrrassischen Sammelbewegung mit anderen oppositionellen Bewegungen von Farbigen, insbesondere Indern, aber auch der Weißen in Verbindung.
1951 kam es zu größeren Protestkundgebungen. Bald danach forderte der ANC zu einem Ungehorsamkeitsfeldzug auf, doch fand die Parole des passiven Widerstandes bei den Massen der schwarzen und farbigen Bevölkerung kaum Widerhall. 1955 einigten sich die vier Verbände auf ein Organisationsprogramm, die Freedom Charter, die „Freiheitsurkunde". Die potentielle Anhängerschaft der ANC fand sich weniger in den Reservaten, den späteren Homelands mit ihrer noch stark ausgeprägten Stammestradition, als bei den weithin entwurzelten städtischen Schwarzen, den Urban Blacks, die zu integrieren bis heute das schwierigste Problem der südafrikanischen Rassenpolitik darstellt.
Mit Albert John Luthuli war 1952 ein Mann von besonderer Prägekraft an die Spitze des ANC getreten. Luthuli stammt aus einer Adelsfamilie der Zulu; er hat eine amerikanische Missionsschule besucht und sich später als Lehrer und als Buchautor betätigt. Als ANC-Präsident vertrat er eine Politik des gewaltlosen Widerstandes im Sinne Gandhis.
1956 wurde er wegen Hochverrats verhaftet, aber nie angeklagt. Seit 1959 lebte er unter Polizeiaufsicht, doch konzedierte ihm 1961 die südafrikanische Regierung die Reise nach Oslo, wo er den ihm verliehenen FriedensNobelpreis entgegennahm. Luthuli starb 1967 an den Folgen eines Unfalls. Seine internationale Reputation stand außer Zweifel; der ANC hat lange von seinem Ruhm gelebt — und mit Berufung auf ihn die zunehmende Radikalisierung in seinen Reihen kaschiert.
Bereits 1957 hatte sich vom ANC ein panafrikanischer Flügel abgespalten. Sein Führer, der Universitätslektor Mangaliso Sobukwe, gründete eine eigene, extremere Bewegung unter dem Namen Pan Africanist Congress (PAC), der mit Parolen eines schwarzen Rassismus die Vision der „Vereinigten Staaten von Afrika" beschwor. ANC und PAC haben sich nie ausgesöhnt, auch nicht nach der Abdrängung beider Verbände in die Illegalität oder ins Exil. Dies hat seinen Grund vor allem darin, daß der PAC vorwiegend in Peking Unterstützung findet, während der ANC von Moskau protegiert wird.
Mit massiven Kampagnen insbesondere gegen die Paßgesetze spitzte sich die Kontroverse Schwarz gegen Weiß weiter zu — bis es 1960 zur Tragödie von Sharpeville kam. In dem Städtchen im südlichen Transvaal war es bei der Revolte gegen die Paßgesetze zu einer großen Protestdemonstration gekommen, bei der die in die Enge getriebene Polizei in die Menge feuerte und 69 Schwarze erschoß. Sharpeville wurde zum Menetekel mit weltweitem Widerhall; die Unionsregierung hatte einen schweren Prestigeverlust erlitten. Beide Widerstandsbewegungen riefen zum Generalstreik auf, der aber nach wenigen Tagen zusammenbrach. Man verhaftete viele Schwarze, Farbige und mit ihnen sympatisierende Weiße. Der ANC und der PAC wurden verboten, was das Aufflackern von Untergrundbewegungen zur Folge hatte, die zu Sabotage und Guerillakampf aufriefen.
Hierzu kam es jedoch nur noch selten. Die Widerstandsbewegung konnte, soweit sie nicht ins Exil ausgewichen war, eingegrenzt werden und flachte im Lauf der sechziger Jahre stetig ab. Sharpeville erwies sich als ein isoliertes Ereignis. Mitte der siebziger Jahre unterstrich die Regierung in Pretoria, daß in London, Frankfurt, New York, schon gar nicht zu sprechen vom Nahen Osten, weit mehr Bomben explodiert seien als in Südafrika, wo es so gut wie keine Sabotagefälle gäbe. Südafrika war von einem dichten Netz von Kontrollen überzogen; mit dem Ziel der sofortigen völligen Ausschaltung aller potentiellen Umstürzler wurde jede neue, auf radikale Lösungen tendierende Gruppierung im Keim erstickt. Mitte März 1976 kam es trotzdem zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Bantus, deren Schauplatz das Stadtzentrum von Johannesburg war.
„Südafrika ist ein seltsamer Zwitter, was Polizei und Politik anlangt: weder Demokratie noch Diktatur, sondern eher ein .demokratischer Polizeistaat'oder eine repressive Demokratie"". Wir zitieren den Schweizer Hans O. Staub, Chefredakteur der Zürcher „Weltwoche", der in seinem Mitte 1975 erschienenen „Südafrikareport" ein nüchtern-realistisches Bild von der mit so viel Emotionen, Kurzschlüssen und Fehlinterpretationen beladenen Politik der Rassentrennung gibt. Seine Analyse über die Widerstandsbewegungen im heutigen Südafrika faßt Staub wie folgt zusam13 men: „Von einer Welle des Aufstands, von der Gefahr ausgedehnter Umwälzungen zu sprechen (wie dies aufgeregte Exilpolitiker und ihre Propagandisten nur zu gern tun), wäre abwegig. Und zwar nicht nur, weil das feine Netz polizeistaatlicher Kontrolle jede umstürzlerische Gruppenbildung sogleich erstickt. Für eine antiweiße Bewegung auf breiter Grundlage fehlen derzeit fast alle Voraussetzungen. Ein , schwarzes Bewußtsein'— sorgfältig von Black Power, das heißt schwarzer politischer Macht, zu unterscheiden — erwacht zwar allmählich auch in Südafrika. Aber der Reifeprozeß verläuft nur langsam, und nach wie vor fehlt der Black Consciousness als wesentliche Komponente, durch die allein sie die nötige Durchschlagskraft erlangen könnte: das Gefühl einer unverbrüchlichen Solidarität mit dem übrigen Schwarzafrika. Höchstens eine kleine Schicht Intellektueller — zu dünn, um wirklich ins Gewicht zu fallen — meint, emotionelle Verbundenheit mit den Brüdern nördlich des Sambesi zu empfinden. Bei den übrigen Schwarzen jedoch ist eher Mißtrauen, vielleicht sogar Überheblichkeit oder sogar Abneigung herauszuspüren: Mißtrauen, weil jenes . andere'Afrika nicht eben brillante wirtschaftliche und politische Exempel vorexerziert; Überheblichkeit, weil sich die Schwarzen des Südens gegenüber jenen des Nordens immer noch heimlich als Elite fühlen; Abneigung, weil die übrigen Teile des Kontinents für das zähe, geduldige Ringen der Schwarzen Südafrikas und für die Notwendigkeit einer Kooperation mit dem weißen Regime zu wenig Verständnis aufbringen." Während sich in Südafrika selbst durch die von Premierminister Vorster angesteuerte Politik der „getrennten Entwicklung" mit dem Ziel einer Konföderation von schwarzen und weißen Territorien eine friedliche Lösung des Rassenkonflikts anbahnen könnte, haben sich die Exilpolitiker der Widerstandsbewegungen von der Realität des Landes Schritt für Schritt entfernt. Mit ihrem Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen die weiße Minderheitsregierung klammern sie sich in stereotyper Phraseologie an alte Konzepte, denen die Wirklichkeit längst nicht mehr entspricht. Ob in den Homelands, ob im Bereich der großen Städte und Industrieballungen — vom eminenten Wirtschaftswachstum profitieren Weiße wie Schwarze. Eine gewaltsame Lösung würde zu einer Katastrophe führen, unter der die schwarze Bevölkerung nicht weniger als die weiße zu leiden hätte.
Schon in der Zeit ihrer (1960 dann jäh unterbrochenen) Legalität waren ANC und PAC unter kommunistischen Einfluß geraten. Die mit ihnen verflochtene South African Communist Party (SACP) gewann im Exil mehr und mehr die Oberhand. In „Säuberungsaktionen" wurden die Vertreter eines rein afrikanisch-nationalistischen Kurses ausgeschlossen; der Exekutivausschuß der ANC ist heute von mulattischen, indischen, vor allem aber von weißen Kommunisten beherrscht. Als Werkzeug der kommunistischen Weltbewegung steht so mit seinen Filialen in westlichen Ländern der ANC im Dienst der konzentrisch gegen Südafrika gerichteten sowjetischen Agitation. Dazu gehört eine speziell von der DDR aus gelenkte Kampagne gegen Bonn, die im Zusammenhang mit der Auftrag-vergabe für den Bau von Kernkraftwerken die Bundesrepublik der „atomaren Verschwörung mit dem südafrikanischen Rassistenregime" bezichtigt. Der ANC hat seit seiner Gründung im Jahre 1912 eine wechselvolle Entwicklung genommen — das Erbe Luthulis aber hat er endgültig begraben.
Befreiungsbewegungen — wie aber sieht es mit der Befreiung realiter aus? Zu Volksabstimmungen, die dem von der Kolonialmacht vorenthaltenen Selbstbestimmungsrecht Ausdruck geben sollen, ist es weder in Mozambique noch in Angola gekommen. Hier wie dort ergriffen militant organisierte Minderheitsgruppen ohne Befragung des Volkes die Macht. Der Regelfall für Schwarzafrika sind Diktaturen meist militärischer Observanz, in denen jegliche Opposition ausgeschaltet, bedroht und verfolgt wird. Die „nationale Befreiung", die die Unabhängigkeitsbewegungen fordern, hat zu keiner „demokratischen Befreiung" und auch kaum zu einer „sozialen Befreiung" geführt. Sie hat fast nie eine höhere Lebensqualität gebracht, indem sie zuvor unterdrückte Kräfte für die wirtschaftliche und soziale Entfaltung der Bevölkerung und des Landes freisetzte.
Neuen Herrschaftsschichten, die sich des Instrumentariums der Diktatur und des Einparteiensystems bedienen, stehen unterprivilegierte Stämme und Gruppen gegenüber, die nur durch Umsturz — mit Bildung wiederum von Befreiungsbewegungen — Aussicht auf einen, besseren Status haben. Gewiß, man kann an Schwarzafrika nicht die Maßstäbe westlicher Demokratien und der westlichen Industriegesellschaft legen, der Kontinent muß seinen eigenen Entwicklungsgesetzen folgen. Aber die Bilanz der Dekolonisation Schwarzafrikas deutet vorerst nur auf eine neue kritische Umbruchsphase, die noch wenig vom „Aufbruch zu neuen Ufern" verspüren läßt.
Wolfgang Höpker, Dr. rer. pol., geb. 1909; Studium der Soziologie; 1934 bis 1945 politischer Redakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten"; 1948 Mitbegründer der Wochenzeitung „Christ und Welt", seit 1958 Bonner Redakteur der „Deutschen Zeitung/Christ und Welt"; Reisen in alle Kontinente, Ende 1975 Rundreise durch Süd-und Südwestafrika. Veröffentlichungen u. a.: Die Ostsee — ein rotes Binnenmeer?, Stuttgart 1958; Wie rot ist das Mittelmeer?, Stuttgart 1968; Weltmacht zur See. Die Sowjetunion auf allen Meeren, Stuttgart 1971; Stoßrichtung Atlantik. Die Drohung aus dem Norden, Stuttgart 1973; Wetterzone der Weltpolitik. Der Indische Ozean im Kräftespiel der Mächte, Stuttgart 1975.
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