I. Ausgangspunkte
Neben der Gewährung von Krediten zu besonders günstigen Konditionen (Kapitalhilfe) für Infrastruktur-und Industrialisierungsmaßnahmen bildet die personelle Entwicklungshilfe, auch Technische Hilfe genannt, seit der Aufnahme der Entwicklungshilfe vor rund 25 Jahren den Schwerpunkt der Leistungen von Industrieländern und internationalen Organisationen für die wirtschaftlich unterentwickelten Länder der Dritten Welt. Die personelle Hilfe zielt auf die Vermittlung von Wissen und Können (know how) in den verschiedensten Fachbereichen (z. B. Landwirtschaft, gewerbliche Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, Gesundheitswesen, Verkehrswesen, Informationswesen) durch die Entsendung von Experten oder durch fachliche Aus-und Fortbildung von Menschen aus Entwicklungsländern in den Industrieländern. Im Rahmen der personellen Hilfe halten sich gegenwärtig Zehntausende sowohl von Experten als auch von Studenten und Praktikanten aus Entwicklungsländern in den Industrieländern auf
Seit mehreren Jahren wird in zunehmendem Maße Kritik an der personellen Entwicklungshilfe aus fast allen großen Industrieländern, aber in immer massiverer Form auch aus Entwicklungsländern selbst laut, z. B. aus Indien, Algerien, Tansania, Nigeria oder in Zusammenhang mit lateinamerikanischen Dependencia-Theorien (besonders pointiert Ivan Illich: Der Weg zur Armut ist mit Technischer Hilfe gepflastert). Bei dieser Kritik steht die Tätigkeit ausländischer Experten in Entwicklungsländern ganz im Vordergrund.
Die ersten, weltweit Aufmerksamkeit erregenden Ansätze dieser Kritik finden sich bereits 1959 in Lederers und Burdicks Buch „The Ugly American". Ähnliche Aufmerksamkeit verursachte im deutschsprachigen Raum Sperlings 1965 erschienenes Buch „Die Rourkela-Deutsehen“, in dem die Verhaltensweisen deutscher Techniker beim Aufbau des Stahlwerks Rourkela in Indien kritisch untersucht werden.
In den Entwicklungshilfe-Administrationen der großen Geberländer begann die kritische Diskussion über die personelle Hilfe erstaunlicherweise erst vor wenigen Jahren anläßlich der Zwischenbilanzen zu Beginn der zweiten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen.
In Deutschland vollzog sich diese Kritik bisher nur sehr zögernd und fast unter Ausschluß der allerdings an Problemen der Dritten Welt sowieso kaum interessierten Öffentlichkeit.
Von einigen Beiträgen in Fachzeitschriften mit geringer Auflagenhöhe abgesehen sind lediglich drei größere Zeitungsartikel zum Thema Expertenkritik erwähnenswert die reichlich undifferenziert als Nestbeschmutzung oder als typisches Produkt jenes bundesrepublikanischen Sachverhalts, daß wir mit der Dritten Welt eigentlich noch nicht umgehen könnten, abqualifiziert wurden. Diese z. T. von deutschen Experten in Entwicklungsländern stammende Abqualifizierung der Kritik hat indessen das für Entwicklungshilfe zuständige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) nicht davon abhalten können, die bisherige Konzeption der personellen Hilfe, d. h. sowohl die Entsendung von Experten in Entwicklungsländer als auch die Ausbildung in der Bundesrepublik, einer kritischen Würdigung zu unterziehen und erste, noch darzulegende Konsequenzen daraus abzuleiten. Ehe die tieferen Ursachen der Krise der personellen Entwicklungshilfe erläutert werden, bedarf es zum besseren Verständnis der Kritik eines Rückblicks auf die Grundsätze der klassischen personellen Entwicklungshilfe, dargestellt am Beispiel der deutschen Technischen Hilfe, die fast 20 Jahre lang auf folgenden, 1974 allerdings modifizierten Leitlinien basierte: 1. Grundsätzlich wurde nach der Regel „Keine Mark ohne Mann" verfahren. Die Lieferung von Sachgütern wie z. B. Traktoren für landwirtschaftliche Versuchsgüter oder medizinische Apparaturen für Krankenhäuser, die dringend benötigt, aber im betreffenden Entwicklungsland nicht hergestellt wurden, erfolgte nur in Verbindung mit der Entsendung von Experten, selbst wenn diese vom jeweiligen Land zunächst gar nicht beantragt wurden, da einheimische oder aus anderen Ländern entsandte Experten zur Verfügung standen. Hinter diesem Junctim stand u. a.der auf einem grundsätzlichen Mißtrauen begründete, in manchen Einzelfällen sicher berechtigte Gedanke, das gelieferte Material werde ohne Kontrolle durch deutsche Experten nicht zweckentsprechend verwendet. Konsequenz: In vielen Fällen akzeptierten Entwicklungsländer Experten nicht, weil sie gebraucht wurden, sondern als mehr oder minder unliebsames Anhängsel dringend benötigter Sachgüter. Andererseits zeugen mancherlei Entwicklungsruinen, vor allem landwirtschaftliche Mustergüter der Anfangsjahre, zur Genüge davon, daß geliefertes Material trotz (oder sogar wegen!) des Einsatzes deutscher Experten nicht sinnvoll genutzt worden ist. 2. Technische Hilfe wurde dem Empfängerland in der Regel kostenlos zur Verfügung gestellt, d. h. Expertengehälter und Beschaffungskosten für Sachgüter einschließlich der Transportkosten wurden von der Bundesregierung übernommen. Man bestand jedoch bei jedem Einzelprojekt auf bestimmten Partnerschaftsleistungen des Empfängerlandes, deren z. T. mit hohen Belastungen des Budgets verbundene Erbringung als Ausdruck des Eigeninteresses des jeweiligen Landes am konkreten Projekt bewertet wurde. Zu diesen Partnerschaftsleistungen gehörten neben den Betriebs-und Instandhaltungskosten eines Projekts sowie der Bezahlung des einheimischen Fach-und Hilfspersonals vor allem die Bereitstellung von adäquaten Wohnungen für die Experten nebst Familienangehörigen bzw. die Übernahme der Kosten dafür, die Bezahlung von Inlandsdienstreisen der Experten, die Steuerbefreiung für die Expertengehälter, die Zollbefreiung für die von den Experten eingeführten persönlichen Gegenstände einschließlich von Pkw’s und Gebrauchsgütern (sog. Whisky-Klausel) und in vielen Entwicklungsländern auch die Finanzierung von projektbezogenen Baumaßnahmen.
3. Uber jedes einzelne Projekt der Technischen Hilfe wurde zwischen der Bundesregierung und der Regierung des Empfängerlandes ein Regierungsabkommen geschlossen. Die Grundsatzfragen (Partnerschaftsleistungen, Expertenstatus etc.) waren in Rahmenabkommen über Technische Hilfe geregelt, auf welche die Projektabkommen in der Regel Bezug nahmen.
4. Planung, Durchführung und Evaluierung der Projekte einschließlich Beschaffung des aus Mitteln der Technischen Hilfe finanzierten Materials aus Deutschland lagen weitgehend in den Händen von deutschen Experten bzw.der zuständigen deutschen Organisationen (BMZ, Deutsche Förderungsgesellschaft für Entwicklungsländer GAWI — jetzt Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ —, z. T. private Consultings). Den Entwicklungsländern wurde, solange ein deutscher Projektleiter im Projekt war, ein mehr oder minder formales Mitspracherecht eingeräumt, das u. a. darin zum Ausdruck kam, daß sie für jedes Projekt einen einheimischen Direktor bestellten und daß das aus Deutschland gelieferte Material für ein Projekt mit Grenzübertritt in ihr Eigentum überging, allerdings den deutschen Experten zur Disposition stand.
5. Rechtlich, disziplinarisch und fachlich unterstanden die deutschen Experten ihrem deutschen Arbeitgeber, d. h. in den meisten Fällen der GAWI (neuerdings GTZ), mit der sie im Normalfall auf zwei Jahre befristete Arbeitsverträge mit Verlängerungsmöglichkeiten hatten. Bei größeren Projekten mit mehreren Experten übernahm der Projektleiter Vorgesetztenfunktionen vor Ort. Der Verwaltung des Entwicklungslandes gegenüber besaßen die Experten meistens einen Berater-status. In manchen Fällen besetzten sie auch Stellen in der Exekutive.
6. Eine wichtige Rolle in der Technischen Hilfe spielten die sog. Counterparts, d. h. einheimische Fachkräfte, die von Projektbeginn an mit den deutschen Experten eng zusammenarbeiten und sie nach Übergabe des Projekts in die alleinige Verantwortung des Ent31 wicklungslands ersetzen sollten. Da die Technische Hilfe als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden wurde, waren die Projekte von diesem Selbstverständnis her theoretisch darauf angelegt, sobald wie möglich in die Eigenregie des Empfängerlandes übergeben zu werden. Die Experten sollten sich möglichst schnell überflüssig machen. Dies hing vom Vorhandensein geeigneter Counterparts ab. Die meisten Counterparts wurden während der anfänglich viel zu knapp bemessenen Laufzeit des Projekts (heute rechnet man mit durchschnittlichen Laufzeiten von 10— 15 Jahren) auf Kosten der Bundesregierung für ein bis zwei Jahre zur fachlichen Fortbildung nach Deutschland geschickt.
7. Von den Counterparts abgesehen wurden im Rahmen der Technischen Hilfe an projekt-ungebundene Praktikanten und Studenten aus Entwicklungsländern Stipendien zur Ausbildung in Deutschland vergeben. Jedem Entwicklungsland wurde eine bestimmte Quote pro Jahr zur Verfügung gestellt. Die Auswahl der Stipendiaten erfolgte durch die deutsche Botschaft im Einvernehmen mit der jeweiligen Regierung. Eine besondere Vorbereitung der Stipendiaten auf den Deutschlandaufenthalt vor ihrer Ausreise erfolgte nicht. Vor Beginn des eigentlichen Praktikums bzw. Studiums absolvierten die Stipendiaten in Deutschland einen mehrmonatigen Sprach-kurs entweder an einem Goethe-Institut bzw. im Rahmen eines Vorsemesters an einer deutschen Universität. Das Praktikum selbst dauerte in der Regel zwischen ein und zwei Jahren und fand je nach Fachrichtung in privaten deutschen Betrieben oder an besonderen Ausbildungsstätten, z. B. für Rundfunk-und Fernsehfachkräfte, statt. Die Praktikanten waren meistens in Ausländerwohnheimen oder privat untergebracht. Um ihre Betreuung kümmerte sich die Carl-Duisberg-Gesellschaft in Köln mit ihren Außenstellen in den Bundesländern und ihren Ausländerkreisen in nahezu allen deutschen Großstädten. Nach Abschluß der Ausbildung erhielten die Praktikanten ein offizielles Diplom der Bundesregierung. Die Stipendien zum Studium an einer deutschen Fachhochschule oder Universität waren meistens auf mehrere Jahre bemessen.
III. Ursachen der Krise
1. Experteneinsatz in Entwicklungsländern
Die Kritik sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern an der klassischen personellen Entwicklungshilfe konzentriert sich im wesentlichen auf drei in sich verknüpfte Punkte: Die Rolle des ausländischen Experten im Entwicklungsprozeß der Entwicklungsländer, die mangelnde Mitsprache und Eigenverantwortung der Entwicklungsländer bei Planung, Durchführung und Evaluierung der Projekte der Technischen Hilfe und das System der Partnerschaftsleistungen.
a) Expertenmüdigkeit
Seit mehreren Jahren erheben sich in vielen Entwicklungsländern in zunehmendem Maße Zweifel an der Nützlichkeit von Auslandsexperten für die eigene wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Dies gilt gleichermaßen für Länder mit einem mittlerweile beachtlichen eigenen Potential an Fachkräften wie z. B. Indien oder Algerien als auch für sog. Least Developed Countries wie z. B. Tansania, in denen noch auf Jahre hinaus ein breiter know-how-Bedarf vorhanden sein wird. Diese Zweifel haben in erster Linie politische Ursachen. Anstelle der Euphorie der ersten Entwicklungsdekade ist vor allem in der Dritten Welt, aber auch in den Industrieländern Ernüchterung und Enttäuschung über die z. T. reichlich naiv erwarteten, dann aber ausgebliebenen Erfolge der Entwicklungshilfe getreten. Die in der Tradition kolonialer Denkgewohnheiten versuchte unkritische Übertragung eigener, auf völlig verschiedener Ausgangsbasis beruhender, für gänzlich andere Problemstellungen entwickelter Modelle der Industrieländer auf die Entwicklungsländer, ob es sich dabei um parlamentarische Demokratie, Kapitalismus, Marktwirtschaft, Leistungs-und Konkurrenzprinzip oder unsere Bildungssysteme, modernen Technologien und Organisationsformen handelte, mußte angesichts der andersartigen, übrigens auch innerhalb der Dritten Welt völlig unterschiedlichen natürlichen, ökonomischen, politischen und soziokulturellen Bedingungen fast zwangsläufig scheitern. Auslandsexperten gelten als Promotoren dieser Modelle, als Change Agents im negativen Sinn.
Es kommt hinzu, daß in der Dritten Welt mittlerweile eine neue, selbstbewußte Generation herangewachsen ist, die die Kolonialzeit nicht mehr aus eigener bewußter Erfahrung kennt, ihr aber z. T. voller Haß und Verbitterung gegenübersteht. Das Bewußtsein dieser Generation, die ihre Ausbildung häufig an amerika-B nischen oder europäischen Universitäten absolvierte und dort Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre den Aufstand der jungen Generation gegen die von pervertiertem Materialismus und Verschwendung geprägte Wohlstandsgesellschaft und das sie repräsentierende politische und wirtschaftliche Establishment miterlebte, ist geschärft durch die Mißerfolge von drei Welthandelskonferenzen und die zunehmende Solidarisierung der Dritten Welt, wie sie auf den letzten internationalen Konferenzen über eine Neuordnung der Weltwirtschaft zum Ausdruck gekommen ist. Sie hängt in ihrer Mehrheit längst nicht mehr dem Irrglauben an, das nachahmen zu können oder zu müssen, was das Abendland in seiner Überfluß-und Wegwerfgesellschaft vorexerziert. Anstelle der unkritischen Bewunderung dafür ist das Vertrauen in die eigene Kraft (Self-Reliance) und die Suche nach nationaler Identität getreten. Die Afrikaner haben im Zuge eines Selbstreinigungsprozesses die afrikanische Kultur und Geschichte wieder-entdeckt, in Lateinamerika haben Dependencia-Diskussion, CIA und multinationale Konzerne zu einer tiefen Entfremdung von den USA geführt, in Asien hat der Rückzug der Amerikaner den letzten Anstoß zu einer Rückbesinnung auf das unter der Oberfläche eigentlich nie verunsicherte eigene Weltbild gegeben.
Der Gedanke der Self-Reliance breitet sich in der Dritten Welt unaufhaltsam aus und entwickelt sich häufig zu einem — mit einer Abkapselung nach außen verbundenen — übersteigerten aggressiven Nationalismus, mittels dessen kollektive Unterdrückungs-und Abhängigkeitsneurosen kompensiert werden. Nach der formalen politischen Unabhängigkeit möchte man jetzt die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die Entwicklungshilfe in der bisherigen Form wird immer mehr als nutzlos, ja sogar als hinderlich auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels angesehen. Die Entwicklungsländer sind sich längst der mit dieser Hilfe verknüpften massiven politischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen der Industrieländer bewußt geworden. UN-Statistiken über Capital-Inflow und -Outflow haben den letzten Zweiflern die Augen geöffnet Vorbehaltlos akzeptiert wird die klassische Hilfe vor allem noch von denen, die persönlich am meisten davon profitieren — und das sind angesichts der z. T. archaischen Sozialstrukturen in der Dritten Welt nicht wenige.
Größere wirtschaftliche Unabhängigkeit verspricht man sich in erster Linie nicht von der Gewährung von Krediten und der Entsendung von Experten, sondern von einer neuen Welt-wirtschaftsordnung, gekennzeichnet durch Rohstoffabkommen, Kartelle der Rohstofferzeuger nach dem OPEC-Muster, Indexierung der Rohstoffpreise (Bindung an die Preise für Industriegüter), Verstaatlichung ausländischen Eigentums nach nationalem Recht, d. h. im Zweifel ohne Entschädigung, Öffnung der Märkte der Industrieländer, Verbindung der Sonderziehungsrechte des IWF mit Entwicklungshilfe (sog. Link), Neuordnung des internationalen Währungssystems etc. Die Mäßigung der Entwicklungsländer auf der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen im September 1975 ändert nichts an diesen Forderungen, sondern ist allenfalls Zeugnis der Ohnmacht der Entwicklungsländer, die erkannt haben, daß Konfrontation um jeden Preis nicht weiterführt.
Ausländische Experten mit ihren völlig anders gelagerten Bewußtseinsstrukturen und Erfahrungshorizonten gelten im Zweifel als Fremdkörper in dem angestrebten Prozeß eigenständiger Entwicklung, den sie durch „schädliches" Gedankengut negativ beeinflus1 sen könnten. Man hat längst erkannt, daß Entwicklungshilfe, vor allem personelle Hilfe, nicht wertfrei sein kann, mag sie auch noch so fachlich ausgerichtet sein. Jeder ausländische Experte überträgt bewußt oder unbewußt und sicherlich je nach Funktion in unterschiedlichem Maß seine dem eigenen Kulturkreis entstammenden Wertvorstellungen, Erfahrungen und gesellschaftspolitischen Überzeugungen auf die Menschen in den Entwicklungsländern, mit denen er es im Rahmen seiner Aufgabe zu tun hat.
Man kann einen derartigen, einseitig gelenkten Kulturwandel natürlich als einzig sinnvolles Ziel der Entwicklungshilfe deklarieren (Anklänge an diese Kreuzzugsideologie finden sich in der Rede des CDU-Vorsitzenden Kohl anläßlich des entwicklungspolitischen Kongresses der CDU im September 1975), muß sich aber dabei über die berechtigte Gegnerschaft der Entwicklungsländer im klaren sein, die ein derartiges Konzept von vornherein zur Erfolgslosigkeit verurteilt, übrigens wenden sich die meisten Entwicklungsländer heute mit derselben Entschiedenheit gegen entsprechende ideologische Beeinflussungen seitens der Ostblockstaaten, von deren geringen finanziellen Leistungen und handelspolitischem Entgegenkommen man bitter enttäuscht wurde. Von Kapitalismus und Kommunismus abendländischer Prägung hat man, von einigen Ausnahmen abgesehen, also übergenug — auch dies ist Anlaß genug, sich künftig auf sich selbst zu verlassen. Allenfalls die VR China, die ihre beachtlichen Entwicklungserfolge aus eigener Kraft ohne ausländische Unterstützung errungen hat, wird noch als Vorbild anerkannt. In diesem politischen Kontext hat der Einsatz von Auslandsexperten nach bisherigem Muster künftig also kaum noch Chancen.
Dies gilt um so mehr, als viele als Experten entsandte Ausländer den von den Gastländern gestellten wachsenden fachlichen Anforderungen nicht genügen. So mag z. B.der Allround-Landwirt in den Anfangsjahren der Entwicklungshilfe durchaus nützlich gewesen sein (in den vernachlässigten Regionen einiger Least Developed Countries ist er es sicherlich immer noch). Heute werden allenfalls fachlich hochqualifizierte Spezialisten benötigt, die jedoch auf den Arbeitsmärkten der Industrieländer schwerer für Entwicklungshilfeaufgaben zu bekommen sind. Die Kritik bezüglich mangelnder fachlicher Qualifikation gewinnt übrigens in den Ländern noch an Gewicht, in denen wie z. B. in Indien infolge fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten in einzelnen Fachbereichen ein beträchtliches akademisches Proletariat entstanden ist. Hier werden ausländische Experten als Leute angesehen, die einheimischen Akademikern Arbeitsplätze wegnehmen.
Die fachlichen Probleme beginnen, vor allem in der Bundesrepublik, bereits bei der Personalauswahl. Die deutsche Arbeitsmarktsituation hat es in den vergangenen Jahren sehr schwer gemacht, hochqualifizierte Experten in Berufen mit starker Inlandsnachfrage für Aufgaben der Entwicklungshilfe zu gewinnen. Das bis heute geltende System der kurzfristigen Expertenverträge (in der Regel zwei Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit) der entsendenden Organisationen hat das Seine dazu beigetragen. Wer setzt angesichts des ausgeprägten persönlichen Sicherheitsstrebens in unserer Gesellschaft schon seine berufliche Karriere für einige Jahre Entwicklungshilfe mit anschließender Ungewißheit im Hinblick auf einen adäquaten Arbeitsplatz nach der Rückkehr aufs Spiel? Allenfalls eine kleine Minderheit von Idealisten. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit wie der jetzigen schrumpfen die Möglichkeiten, qualifizierte Experten zu finden, noch mehr. So verengt sich das Angebot, abgesehen von dem Kreis derer, die schon seit langem dazu gehören, vorwiegend auf jüngere Leute mit gerade abgeschlossenem Hochschulstudium, denen es an der dringend erwünschten praktischen Berufserfahrung noch fehlt. Darunter befinden sich übrigens in zunehmendem Umfang Opfer der deutschen Bildungspolitik wie z. B. Architekten, Geologen, Diplomlandwirte, die im Inland auch zu Vollbeschäftigungszeiten infolge Überfüllung der entsprechenden Fachbereiche kaum mehr Arbeitsplätze finden.
Das Angebot umfaßt Leute mit den unterschiedlichsten Motiven, seien es Abenteuerlust, Wandertrieb, persönliche Fluchtgründe, Wunsch nach mehr Sozialprestige, Bildungstrieb oder gute Verdienstmöglichkeiten, von denen angesichts der hohen Anforderungen die wenigsten Motive auf längere Dauer tragfähig sind. Bei weitem im Vordergrund dürften finanzielle Motive stehen, zumal der deutsche Entwicklungshilfeexperte heute im internationalen Vergleich am meisten verdient.
Monatsgehälter von durchschnittlich 6 000 DM (steuerfrei) für Akademiker, in der Spitze bis zu 10 000 DM mit Sozialleistungen wie Beihilfen, Mietzuschüssen, Zuschüssen zu Renten-und Krankenversicherung etc. und damit ein Mehrfaches dessen, was Minister, ja sogar Staatspräsidenten in vielen Entwicklungsländern verdienen, locken auch Leute an, die sich ansonsten für die Probleme der Dritten Welt nicht interessieren. Einschließlich der Kosten für Vorbereitung und Betreuung kostet ein deutscher Experte den Steuerzahler gegenwärtig im Jahr etwa 150 000 DM. Zwar muß eine bewußt reflektierte entwicklungspolitische Motivation nicht vorgegeben sein; der Experte muß jedoch von seiner Persönlichkeit her die Voraussetzungen mitbringen, sich mit den Zielsetzungen der Entwicklungshilfe identifizieren zu können. Eine ausschließlich materielle, auf die eigenen Interessen abgestellte Motivationsstruktur macht eine solche Identifikation in der Regel unmöglich. Echtes solidarisches Engagement findet sich am ehesten noch bei den Entwicklungshelfern der Freiwilligen-Dienste und der kirchlichen Entwicklungshilfe, deren Gehälter übrigens um ein Mehrfaches niedriger liegen.
Die fachliche Qualifikation eines Experten, zu der pädagogisches Geschick untrennbar gehört, steht auch in Korrelation zur Dauer des Auslandseinsatzes. Wer sich länger als vier bis fünf Jahre hintereinander in einem Entwicklungsland aufhält, droht erfahrungsgemäß den fachlichen Anschluß an die Entwicklung im Heimatland zu verlieren und vermag damit seinem Gastland häufig nichts mehr zu bieten, zumal es bis vor kurzem unmöglich gewesen ist, über einige Ansatzpunkte hinaus eine systematische fachliche Fortbildung für die entsandten Experten zu organisieren. Neben den fachlichen spielen die menschlichen Anforderungen an die Experten eine wachsende Rolle. Dazu gehören Einfühlungsvermögen, Teamfähigkeit, Belastbarkeit, Selbstbeherrschung, Fähigkeit zur interkulturellen Zusammenarbeit. Der Experte muß in der Lage sein, sich auf die neue Umwelt und ihre fremden Wertsysteme einzustellen, seine Arbeit selbstkritisch zu reflektieren, seine Vorurteilshaltung abzubauen, die Bewohner des Gastlandes in ihren Eigenschaften zu respektieren. Es wird erwartet, daß der Experte für die Ziele der Entwicklungshilfe und ihre politisch-ökonomischen Zusammenhänge offen ist, daß er sich mit den politischen Zielvorstellungen des Gastlandes identifizieren kann. Auch muß er damit fertig werden können, unter ganz anderen klimatischen, ökonomischen und soziokulturellen Umweltbedingungen zu leben als zu Hause..
Leider sind die Erfahrungen der Vergangenheit, zum Teil infolge mangelhafter Auswahl und unzureichender Vorbereitung der Experten, insoweit überwiegend negativ. Das Bild des häßlichen Experten wurde in der Dritten Welt im wesentlichen durch seine mehr oder minder offen zutage getretenen menschlichen Schwächen, die in erster Linie sozialpsychologische Ursachen haben, geprägt. So sind z. B. viele Experten nebst Angehörigen, vor allem Ehefrauen, nicht in der Lage, den mit dem Auslandseinsatz verbundenen Zuwachs an Einkommen und Sozialprestige psychisch zu verkraften. Dies gilt vor allem für die in den Haupt-und Großstädten der Entwicklungsländer lebenden Experten, von denen sich viele — ob sie wollen oder nicht — an Verhaltensweisen und einen Lebensstil gewöhnt haben, die man nur schwer wieder ablegen kann. Man gehört, in der Regel aus mittleren Schichten kommend, plötzlich zur High Society, verkehrt in exklusiven Zirkeln und mit dem Diplomatischen Corps — mit Einheimischen übrigens nur in Ausnahmefällen —, hat selbst ein großes Haus mit dienstbaren Geistern, ist Mitglied im Golf-oder Segelclub, geht zur Großwildjagd oder zum Tiefsee-Tauchen, sammelt Kunstschätze, kann sich praktisch alles leisten — ein Hauch von Jet-Set und süßem Leben prägt fast zwangsläufig den Lebensstil, dessen Folge die soziale Isolierung im Gastland ist. Damit verschließt man sich gleichzeitig den Zugang zur lebendigen Kultur eines Entwicklungslandes, der nur über die Menschen dieses Landes führen kann. Der einheimischen Bevölkerung einschließlich der Oberschicht, mit der eine gesellschaftliche Kommunikation so gut wie nicht stattfindet und unter den gegebenen Voraussetzungen auch kaum möglich sein dürfte, wird auf diese Weise ein Lebensstandard vorgelebt, der den sowieso schon großen Abstand ins Unermeßliche wachsen läßt und zudem falsche Eindrücke über die Verhältnisse in den Industrieländern entstehen läßt. Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, daß das Leben in den meisten Entwicklungsländern trotz des geschilderten Luxus mit mancherlei Entbehrungen verbunden ist. Das fängt beim ungewohnten Klima an, setzt sich mit Ernährungs-und Gesundheitsproblemen (insbesondere für Kleinkinder) fort und reicht bis zum Fehlen eines kulturellen Angebots, wie es Europäer in der Regel gewohnt sind. Auf diese Weise findet mancher zu ausgefallenen Freizeitbeschäftigungen, die sich hierzulande nur eine exklusive Minderheit leisten kann. Auch der Beschäftigung von Hauspersonal läßt sich angesichts der Massenarbeitslosigkeit in der Dritten Welt durchaus eine positive Seite abgewinnen. Die Bandbreite zwischen luxuriösem Lebensstil und einem Leben in Sack und Asche, das angesichts der äußeren Lebensbedingungen (Klima, Hygiene, etc.) selbst vom größten Idealisten nicht erwartet werden kann, ist eben in der Dritten Welt erheblich geringer als in den Industrieländern. Vielen Experten bleibt insofern gar keine echte Alternative, sie sind gewissermaßen — häufig ohne es zu bemerken — Opfer der Verhältnisse.
Die meisten Experten, die sich erst einmal an diesen Lebensstil gewöhnt haben, sträuben sich, obwohl nicht wenige von ihnen ihr Gastland sehr kritisch sehen, gegen eine Rückkehr in den Alltag ihres Heimatlandes, wo man wieder in der Anonymität verschwindet und auf viele liebgewordene Attribute des Wohllebens verzichten muß. Manche fachlich nicht zu verantwortende Projektverlängerung der Vergangenheit erklärt sich auf diese Weise. Je länger man draußen war, desto größer ist die Furcht vor der Rückkehr mit ihren Wiedereingliederungsproblemen. Die Vertragsverlängerung oder das Anschlußprojekt werden zum Trauma. Die berufliche Wiedereingliederung wurde in der Vergangenheit in Deutschland häufig auch dadurch erschwert, daß Ausländserfahrung weder in der privaten Wirtschaft noch in der Verwaltung honoriert wurde, vielen Betroffenen statt dessen sogar karrieremäßige Nachteile entstanden. Eine derartige Einstellung, die natürlich auch die Gewinnung hochqualifizierter Experten beeinträchtigt, ist allenfalls dann erklärlich, wenn im Einzelfall der fachliche Anschluß verlorengegangen war. Diese Schwierigkeiten schrecken zusätzlich vor einer Rückkehr ab. Die Zahl der Experten, die bisher mehr als acht Jahre ununterbrochen sich im Auslandseinsatz befinden und dadurch der Heimat fachlich und menschlich häufig entfremdet sind, nimmt allmählich einen besorgniserregenden Umfang an
Nationale und auch internationale Organisationen der Entwicklungshilfe sind nicht in der Lage und auch nicht willens, diese Lebenszeit-experten in den inländischen Zentralen aufzunehmen. Besonders prekär ist die Lage bei Berufszweigen, bei denen sowieso kaum Inlandsnachfrage besteht, z. B. bei Landwirten. So entsteht mit der Zeit ein wachsendes Heer von heimatlosen, in der Dritten Welt umherziehenden Söldnern der Entwicklungshilfe, deren Zukunftsaussichten angesichts der geschilderten Umstände alles andere als rosig sind. Hier kommt auf die Entwicklungshilfe-geber eine soziale Verantwortung zu, der sie sich schon deshalb nicht entziehen können, weil sie diese Entwicklung mitverursacht haben. überdies haben die meisten Experten subjektiv ihr Bestes gegeben. Viele haben überdies echte Entbehrungen auf sich genommen. Dies gilt in erster Linie für die abseits der Städte in Projekten lebenden Experten, vor allem Landwirte, die auf jeglichen Luxus der geschilderten Art völlig verzichten müssen, statt dessen zum Teil äußerst primitive Lebensumstände in Kauf nehmen müssen (z. B. Mangel an Strom-und Trinkwasserversorgung). Aus dieser Situation heraus kam es übrigens bei Projekten der deutschen Technischen Hilfe häufig zum Aufbau der berüchtigten Expertenkolonien mit Wohnhäusern nach Vorschriften der Bundesbauordnung, gebaut unter Aufsicht deutscher Architekten, die vom Bauen in den Tropen kaum etwas verstanden, und mit deutlich sichtbarer sozialer Stufung gegenüber den einheimischen Counterparts, denen man großzügigerweise auch Wohnhäuser baute, jedoch entsprechend ihrer geringeren Verantwortung kleiner! Man ist in diesen kleinen Deutschlands auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, Gruppendynamik entfaltet sich, man kann sich bald nicht mehr ausstehen, die aufgestauten Aggressionen, vor allem der in tropischem Klima aufgrund der zahlreichen Unzulänglichkeiten leichter reizbaren Frauen, suchen nach nicht vorhandenen Auswegen . . .
Zum Bild des häßlichen Experten gehört auch der häufig anzutreffende biologische Kurz-Schluß, der soziale Erscheinungen rassisch begründet und durch entsprechende Vorurteile bestärkt Andersartigkeit mit Minderwertigkeit gleichsetzt. Vielen Experten fehlt zum Teil auch als Folge mangelhafter Vorbereitung auf den Auslandseinsatz das, was Alexander Mitscherlich als Sozialbildung bezeichnet hat, nämlich die Fähigkeit, die Andersartigkeit der mit ihnen lebenden Menschen kritisch zu reflektieren, anzuerkennen und sich auf ein gemeinsames Leben mit ihnen einzustellen, ohne ständig den Vergleich zu den von Haus aus gewöhnten Maßstäben zu ziehen. Der bei den Deutschen sowieso stark ausgebildete Ethnozentrismus verstärkt sich zu kultureller Arroganz, ja sogar zu Verachtung, die sich in Unduldsamkeit, Schulmeisterei und Grobheit äußert. Manchen deutschen Experten ist es bis zum letzten Tag ihres Auslandseinsatzes infolge mangelnder Einsicht in die eigene kulturelle Determiniertheit unbegreiflich gewesen, daß man nicht überall ihre Art von Fleiß, Disziplin und Ordnung wünscht. Es ist evident, daß eine derartige Überlegenheitshaltung Experten für eine echte Kooperation zutiefst unfähig macht.
Die Fähigkeit zu interkultureller Zusammenarbeit wird schließlich durch mangelnde pädagogische Qualifikation und durch die Sprachbarriere beeinträchtigt. Die meisten Experten unterziehen sich nicht der Mühe, die Landessprache zu erlernen, obwohl die große Mehrheit der Menschen in der Dritten Welt des Englischen, Französischen oder Spanischen, der Sprache der ungeliebten Kolonialherren, nicht mächtig ist. Diese Experten verfügen daher über gar kein Medium, um zu einem Verständnis für die jeweilige Kultur und Gefühlswelt zu gelangen. Auch die ungewohnte und unbeaufsichtigte Vorgesetzten-eigenschaft trifft viele Experten unvorbereitet. Manche Projektleiter sind in ihren Projekten kleine Könige, demokratische Methoden der Entscheidungsfindung und Konfliktbewältigung sowie Enthierarchisierung werden bisher klein geschrieben.
b) Erziehung zur Unmündigkeit
Dem Streben nach eigenständiger Entwicklung sowie dem ausgeprägten Selbstbewußtsein der Entwicklungsländer entspricht in der Realität der Projekte und Hilfsmaßnahmen die nachdrückliche Forderung nach Eigenverantwortung und stärkerer Beteiligung am Entscheidungsprozeß. Betrachtet man diese Realität, soweit es um deutsche Hilfsmaßnahmen geht, aus der Nähe, kommt man an dem Vorwurf nicht vorbei, daß sich die bisherige personelle Hilfe in vielen Fällen als Erziehung zur Unmündigkeit und Unselbständigkeit erwiesen hat. Projekte der Technischen Hilfe sind von der Planung über die Durchführung bis zur Evaluierung und rechnungsmäßigen Überprüfung deutsche Projekte und damit Fremdkörper, die nur schwer in ihre Umwelt passen und nach Abzug der Experten häufig zu Ruinen verfallen, auf jeden Fall aber nicht auf demselben Niveau weitergeführt werden. Nach bisheriger Praxis werden die Entwicklungsländer weder an der Expertenauswahl wirklich beteiligt, noch erhalten sie Projekt-gutachten, regelmäßige Projektleiterberichte oder Evaluierungsstudien. Abweichende Regelungen bzw. Mitspracherechte, wie z. B. in Indien und einigen anderen Ländern mittlerweile üblich, mußten von den betreffenden Ländern mühsam erkämpft werden. Self-Reliance läßt sich mit dieser Realität schwerlich auf einen Nenner bringen. Auch das offiziell bisher nicht aufgehobene, als Ausdruck der Souveränität der Entwicklungsländer empfundene Antragsprinzip — jede Hilfsmaßnahme setzt einen formellen Antrag der Regierung des Entwicklungslandes voraus — ist immer mehr ausgehöhlt worden. Viele Projekte werden den Entwicklungsländern im Wettstreit der Geber, der Consultings und der Industrie aufgeredet, wobei die letzteren mit Schmiergeldern — im Fachjargon nützliche Kosten genannt — nicht kleinlich sind, hat sich doch die Entwicklungshilfe für sie als lukratives Geschäft erwiesen
Die Verwaltungen der Geber ihrerseits drükken nicht selten beide Augen vor dieser Praxis zu, da ihnen vor allem daran gelegen ist, die zur Verfügung stehenden Mittel überhaupt ausgeben zu können. Quantität geht so vor Qualität — eine negative Konsequenz des 0, 7 °/o-Ziels
Da alle wichtigen Projektentscheidungen ausländischen Experten obliegen, die überdies z. T. in Unkenntnis oder ohne Berücksichtigung der entwicklungspolitischen Zielvorstellung des Gastlandes handeln, sind einheimische Kräfte nicht in der Lage, ausreichende Berufserfahrung zu sammeln und in Füh-rungsaufgaben hineinzuwachsen. Von wirklicher Partnerschaft, die Eigenverantwortung auf beiden Seiten und Gleichberechtigung voraussetzt, kann bisher schon vom Ansatz dieser Hilfe her keine Rede sein. Eine fast tragisch zu nennende Rolle in den Projekten der deutschen Technischen Hilfe spielen die einheimischen Counterparts, die von der konzeptionellen Zielsetzung her die deutschen Experten nach ihrem Abzug ersetzen sollen. Sie sind vielfach ihrer fachlichen Qualifikation nach (formale Ausbildung, praktische Erfahrung) keine echten Partner für die deutschen Experten, sondern eher Praktikanten und Lehrlinge. Wäre es anders, hätte man ja die Experten nicht nötig. Dieses Schicksal ist den Counterparts jedoch nicht etwa, wie vernünftigerweise erwartet werden könnte, nur in der Anfangszeit eines Projektes beschieden. Die gängige Counterpart-Ideologie degradiert vielmehr die einheimischen Fachleute de facto zu Hilfsarbeitern, solange die deutschen Experten im Projekt sind, d. h. bei den heutigen Projektlaufzeiten über lange Zeit hinweg.
Dies gilt auch für den in der Vergangenheit immer häufiger gewordenen Fall, daß den Experten offiziell nur ein Beraterstatus eingeräumt ist, während die Counterparts formal Exekutivfunktionen innehaben. Die Möglichkeit eigenverantwortlicher Entscheidung bleibt ihnen verschlossen. Viele Experten besitzen weder die Erfahrungen, die didaktischen Fähigkeiten noch das Interesse, die ihnen zugewiesenen Counterparts sachgerecht und so schnell wie möglich zu eigenverantwortlichen Partnern heranzubilden. Die hierarchische Struktur und die Betonung des deutschen Charakters der Projekte mindern überdies die Bereitschaft zu Initiative und Kreativität sowie den Verantwortungswillen der Counterparts. Dazu trägt natürlich auch der übersteigerte Lebensstil vieler Experten und der ungeheure Abstand der Gehälter bei. Die Startbedingungen für eine echte Partnerschaft auch in der Verantwortung oder gar ein umgekehrtes Vorgesetzten-Verhältnis sind in diesem System sozialer und organisatorischer Unangepaßtheit der Hilfe sozialpsychologisch von Anfang an nicht vorhandenen. So nimmt es nicht wunder, daß das Verhältnis zwischen Counterparts und Experten, insbesondere zwischen deutschen Projektleitern und den von der Regierung eingesetzten Projekt-direktoren, zwangsläufig häufig reichlich getrübt ist, vor allem wenn der Counterpart trotz der geschilderten ungünstigen Voraussetzungen auf mehr Verantwortung drängt. Ein außerdienstlicher Verkehr findet infolge des unterschiedlichen sozialen Status sowieso so gut wie nicht statt. Was übrig bleibt, ist oft ein verkrampftes Verhältnis auf beiden Seiten, das bestimmt nicht zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beiträgt, sondern eher Vorurteile festigt.
c) Kostspielige Partnerschaftsleistungen der Entwicklungsländer
Zu einem Bumerang für die Entwicklungshilfe insgesamt, vor allem aber für den Experten-einsatz, hat sich das Prinzip der Partnerschaftsleistungen in der bis vor kurzem bei der deutschen Hilfe praktizierten Form entwickelt. Diese Partnerschaftsleistungen führten nämlich trotz des Geschenkcharakters der personellen Hilfe dazu, daß Experten für viele Entwicklungsländer fast unvertretbar teuer und zu einem Ärgernis obendrein wurden. Bei der Festlegung der Partnerschaftsleistungen kümmerte man sich jahrelang aus Gründen der Prinzipienreiterei überhaupt nicht um die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Entwicklungslandes. Insbesondere die Wohnungsgestellung bzw. das Wohnungsgeld führten häufig zu Meinungsverschiedenheiten, die nicht zuletzt darin begründet waren, daß das vom Entwicklungsland für einen Experten angesichts dessen Anspruchsniveau monatlich zu entrichtende Wohnungsgeld in der Regel höher lag als das Monatsgehalt eines höheren einheimischen Regierungsbeamten. Man versetze sich einmal in die psychologische Situation eines derartigen Beamten, der mit Auslandsexperten zu tun hat!
Auch die zollfreie Einfuhr von Verbrauchsgütem, vor allem Alkohol, verursachte infolge des damit verbundenen Mißbrauchs viele Konflikte. Es soll Experten geben, die bis zum Streichholz und zur Stecknadel alles aus Deutschland importieren und damit dem einheimischen Handel trotz vorhandenen Angebots kaum einen Pfennig lassen. Zollfrei importierte PKW's und Haushaltsgeräte werden bei der Ausreise nicht selten unter Umgehung bestehender Vorschriften mit horrenden Gewinnen an Einheimische verkauft.
2. Ausbildung in Industrieländern
Industrieländer und internationale Organisationen leisten personelle Hilfe an Entwicklungsländer nicht nur durch Entsendung von Experten, sondern durch die Gewährung von Stipendien an Studenten und Praktikanten aus Entwicklungsländern zur Aus-und Fortbildung in Industrieländern. So erhalten von gegenwärtig etwa 20 000 Studenten und Praktikanten aus Entwicklungsländern in der Bundesrepublik mehr als die Hälfte mehrjährige Stipendien im Rahmen der Technischen Hilfe. Der Rest finanziert — von wenigen privaten Stipendiaten abgesehen — die Ausbildung in der Bundesrepublik selbst.
So begrüßenswert die Ausbildung von Menschen aus Entwicklungsländern in Industrie-ländern aus Gründen des interkulturellen Austausches und der Völkerverständigung auf den ersten Blick auch aussehen mag, so ergibt sich bei näherer Betrachtung eine Reihe von Nachteilen, die diese Form der personellen Hilfe, wie sie nachstehend am Beispiel der nicht universitätsbezogenen deutschen Praktikantenausbildung dargelegt wird, immer fraglicher erscheinen läßt.
a) Kulturschock
Die Probleme beginnen bereits vor der Ausreise nach Deutschland, denn die ausgewähiten Stipendiaten erhalten aus unerklärlichen Gründen bis heute zu Hause von Amts wegen nach ihrer Auswahl weder eine systematische sprachliche noch eine länderkundliche Vorbereitung auf den Deutschlandaufenthalt, obwohl die Goethe-Institute sich dafür geradezu anbieten. In den einschlägigen Richtlinien wird eine sprachliche Vorbereitung zwar als notwendig bezeichnet, aber an entsprechenden offiziellen Maßnahmen fehlt es bisher.
Die Stipendiaten zimmern sich also ihr Deutschlandbild — wenn überhaupt — weitgehend selbst zurecht. Einige von ihnen, vor allem Counterparts, verfügen bereits über ein solches durch den Umgang mit deutschen Experten. Aufgrund der geschilderten Experten-probleme ist es jedoch nicht unbedingt positiv. Der offizielle deutsche Beitrag besteht allenfalls darin, daß der im Zweifel sowieso hoffnungslos überlastete zuständige Sachbearbeiter der deutschen Botschaft dem Stipendiaten anläßlich des mühsamen Formularkriegs einige Broschüren über Deutschland aushändigt, manchmal noch dazu in deutscher Sprache und damit zunächst unverständlich. Die mangelnde Vorbereitung hat zur Folge, daß die meisten Stipendiaten bei der Ankunft in Deutschland einen beträchtlichen Kultur-schock erleiden. Sie geraten übergangslos mit einer von ihrer bisherigen Erlebniswelt samt Einbindung in Familien-und Freundeskreis völlig verschiedenen politischen, ökonomischen, soziokulturellen und klimatischen Umwelt in Berührung, in der sie trotz offizieller Betreuung auf sich allein gestellt sind, und zu der sie schon mangels Sprachkenntnissen zunächst kaum Kontakt finden. Die zwangsläufig vorhandene Verunsicherung schlägt nach den ersten negativen Erfahrungen mit dieser fremden Umwelt bald in Enttäuschung um.
b) Menschliche Diskriminierung, problematische Ausbildung
Diese negativen Erfahrungen sind sowohl menschlicher als auch fachlicher Art. Die Stipendiaten, insbesondere solche anderer Hautfarbe, stellen schnell fest, daß die deutsche Bevölkerung ihnen in der Regel abweisend entgegentritt, wofür meistens rassische Vorurteile gepaart mit völligem Unverständnis für andere Lebensformen ursächlich sind; sie machen insofern z. T. noch schlechtere Erfahrungen als Gastarbeiter. Echte persönliche Kontakte mit Deutschen, vor allem in der Freizeit, sind große Ausnahmen. Statt dessen finden vielfach tiefgreifende Frustrations-und Vereinsamungsprozesse bis hin zu psychischen Erkrankungen statt, denen die meisten dadurch zu entgehen versuchen, daß sie sich mit Landsleuten zusammenschließen. Die anerkennenswerte Betreuungsarbeit deutscher Institutionen wie der Carl-Duisberg-Gesellschaft oder der Kirchen mit ihren vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern vermag diese Situation kaum zu bessern.
Auch in fachlicher Hinsicht ist der Erwartungshorizont der Stipendiaten vielfach falsch gespannt. Infolge mangelnder Sprachkenntnisse geht mindestens das erste halbe Jahr, das großteils für Sprachkurse reserviert ist, für das eigentliche Ausbildungsziel sowieso verloren. Aber auch danach vermögen die Stipendiaten den hohen Anforderungen des ungewohnten deutschen Theorieunterrichts zunächst kaum zu folgen, zumal sie hierbei mit fachlichen Problemen konfrontiert werden, von denen sie bisher noch nie etwas gehört hatten und für die ihnen mangels unterschiedlicher Ausgangslagen auch jegliches Verständnis fehlt. Besonders enttäuschend verläuft für viele von ihnen das etwa einjährige betriebliche Praktikum, das sich in der Regel in Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft abspielt. Nicht selten begegnet man ihnen dort mit Mißtrauen („Die spionieren hier nur herum!") oder man betrachtet sie als Hilfsarbeiter, die man nur deshalb nimmt, weil man für sie nicht bezahlen muß, oder man unterweist sie an modernen Maschinen und mit Verfahren, denen sie zu Hause nie begegnen werden.
Von den insgesamt 22 000 Praktikanten aus Entwicklungsländern, die bisher im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe in Deutschland aus-und fortgebildet wurden, hat aller Wahrscheinlichkeit nach nur der geringere Teil eine wirklich bedarfsbezogene und auch menschlich reibungslos verlaufene theoretische und praktische Ausbildung erhalten. Eine ähnliche Vermutung läßt sich für die universitäre Ausbildung aufstellen. Eine systematische Evaluierung dieser Ausbildung unter Einbeziehung des Anwendungsgrades nach der Rückkehr ist bisher unterblieben.
c) Schwierige Reintegration
Trotz der dargelegten menschlichen und fachlichen Probleme wollen viele Stipendiaten, darunter ganz vorwiegend Fachhochschulund Hochschulstudenten, die sich mehrere Jahre in der Bundesrepublik aufgehalten haben, nach Beendigung ihrer Ausbildung nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren. Die Ursache dafür ist in erster Linie eine zwischenzeitlich eingetretene Entfremdung von den Heimatländern, die um so größer ist, je länger die Abwesenheit von zu Hause gedauert hat. Diese Entfremdung geht von den Verhältnissen aus, die die jungen Menschen aus der Dritten Welt in der westlichen Wohlstandsgesellschaft vorfinden. Sie gewöhnen sich trotz knapp bemessener Stipendien — häufig wird die Ausbildung auch durch Neben-und Ferienjobs finanziert — an einen von den vielen Annehmlichkeiten der westlichen Zivilisation geprägten Lebensstandard, den sie sich nach ihrer Rückkehr schon mangels Vorhandenseins dieser Annehmlichkeiten auf keinen Fall erhalten können. Diese Umstände verleiten gerade die Tüchtigsten häufig dazu, in den westlichen Ländern zu bleiben oder später wieder dorthin zurückzukehren. In Mangelberufen sind ihre Chancen dabei besonders gut, z. B. bei Ärzten, Krankenschwestern, im Dienstleistungsgewerbe. Wer wollte für einen jungen afrikanischen Mediziner kein menschliches Verständnis aufbringen, der — nach Beendigung seiner Ausbildung in Deutschland vor die Wahl zwischen einer gut dotierten Stelle an einem deutschen städtischen Krankenhaus oder der Rückkehr in den Busch gestellt — beschließt, in Deutschland zu bleiben, obwohl er natürlich zu Hause dringendst benötigt würde. Er kann in Deutschland nicht nur in einem Monat das verdienen, wofür er zu Hause ein Jahr arbeiten müßte. Wenn er Facharzt ist, kann er darüber hinaus seine in Deutschland erworbenen Spezialkenntnisse zu Hause häufig gar nicht anwenden, weil es im Buschhospital außer einem Stethoskop allenfalls noch ein Mikroskop gibt, aber keine modernen technischen Geräte und Medikamente, mit deren Umgang er vertraut ist. Dasselbe gilt für Chemiker, Physiker, Ingenieure etc. In einigen Entwicklungsländern ist überdies infolge mangelnder Bildungsplanung die Zahl der ar-39 beitslosen Hochschulabsolventen in bestimmten Fachrichtungen derart angestiegen, daß Rückkehrer mit Arbeitslosigkeit rechnen müssen Oft sind, vor allem bei ethnischen oder religiösen Minderheiten, auch politische Motive für einen Verbleib im Ausland bestimmend, wo man z. B. die zu Hause eingeschränkte oder gar unterdrückte Meinungsfreiheit schätzen gelernt hat. Schließlich hat sich auch erwiesen, daß Stipendiaten mit deutschen Diplomen und Ausbildungszertifikaten infolge der Nichtanerkennung ihrer Studienabschlüsse in einigen Entwicklungsländern nichts anfangen können.
d) Exodus der Intelligenz
Der Brain Drain, d. h. die Abwanderung der Intelligenz der Dritten Welt in die westlichen Industrieländer, hat in den letzten Jahren ein erschreckendes Ausmaß erreicht und ist damit zu einem der größten Verlustposten im Etat vieler Entwicklungsländer geworden. In einer Studie der UNCTAD wurde festgestellt, daß 1970 allein 9 000 Fachleute aus asiatischen Entwicklungsländern in die USA einwanderten, wobei Ärzte aus Indien und Krankenschwestern aus den Philippinen an der Spitze der Statistik stehen. Die UNCTAD-Studie berechnete, daß 1970 durch Brain Drain Kapital in Höhe von 3, 7 Mrd. US-$in die USA übertragen worden ist. Diese Zahl gewinnt ihre eigentliche Dimension aber erst, wenn man sie in Vergleich zur öffentlichen amerikanischen Entwicklungshilfe setzt, die 1970 3, 1 Mrd. US-$betrug.
Etwa 300 afrikanische Ärzte praktizieren allein in London. Die meisten stammen aus Ghana, Nigeria, Kenia und Sierra Leone, in denen Ärzte dringend gebraucht werden. 8 000 Nigerianer und 300 Kenianer sind nach Abschluß ihres Universitätsstudiums in den USA geblieben. 20 000 Universitätsabsolventen aus Senegal, Guinea, Elfenbeinküste und den zentralafrikanischen Staaten leben in Frankreich. Ein von der ceylonesischen Regierung eingesetzter Untersuchungsausschuß hat herausgefunden, daß dem Land durch Brain-Drain finanzielle Verluste von jährlich über 30 Mio. DM entstehen, es aber nur 22 Mio. DM an technischer Hilfe erhalte. Von 1971 bis 1974 verließen über 1 000 Ärzte, Ingenieure, Lehrer und Universitätsprofessoren Sri Lanka, wobei die meisten von ihnen nach den USA und Kanada auswanderten. Unter den etwa 5 000 Fachkräften mit Hochschulabschluß aus Ländern der Dritten Welt, die in der Bundesrepublik leben, sind allein 1 250 iranische Ärzte; 3 000 von insgesamt 10 000 südkoreanischen Krankenschwestern überhaupt arbeiten in Deutschland. Die Zahl der aus dem kleinen westafrikanischen Staat Dahomey stammenden Fachkräfte mit Hochschulabschluß, die sich in Frankreich und anderen Staaten der EG aufhalten, wird auf über 4 000 geschätzt. Eine weitere Schätzung besagt, daß allein von den Hochschulabsolventen aus der Dritten Welt in USA, Kanada, Australien, Großbritannien und der Bundesrepublik etwa 20 °/o nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren. Diese zur geistigen Elite ihrer Länder zu rechnenden Menschen gehen dem Entwicklungsprozeß verloren — ein Verlust, der sich mit Zahlen überhaupt nicht belegen läßt. Auf der anderen Seite entsenden die Industrieländer jährlich Tausende von Ärzten, Lehrern, Technikern etc. mit all den dargelegten Problemen in die Entwicklungsländer, um die entstehenden Lücken zu füllen. Einige Entwicklungsländer versuchen, dieser wahrlich paradoxen Situation dadurch abzuhelfen, daß sie verstärkt für die Rückkehr ihrer Landsleute werben. Die indischen Bemühungen, etwa 30 000 indische Wissenschaftler, die in den Industrieländern leben, zur Heimkehr zu bewegen, verlaufen seit Jahren ergebnislos. Nicht viel besser ergeht es bisher Olländern wie Iran, Irak und Nigeria, obwohl sie ihre Landsleute mit kostenloser Rückreise, Krediten und attraktiven Gehaltsangeboten locken. Anderen Untersuchungen zufolgen hat der Brain Drain infolge der weltweiten Rezession seit 1973 stark abgenommen.
In der Bundesrepublik glauben neuerdings einige Verwaltungsbehörden und -gerichte, das Brain-Drain-Problem durch Entziehung von Aufenthaltserlaubnissen lösen zu müssen. Die Ausweisung von Afrikanern und Asiaten, die bereits länger als 10 Jahre, in einem Fall sogar 17 Jahre, in Deutschland leben, deutsche Frauen geheiratet und Kinder haben, bringt sicherlich keine Lösung, sondern heißt das Kind mit dem Bade ausschütten und ist unmenschlich obendrein. Die Wurzeln des Übels liegen viel tiefer, nämlich in der überholten Form der Ausbildungshilfe, die nachweisbar den Brain Drain fördert. Darüber trösten auch von offizieller Seite unbeeindruckt weitergepriesene Maximen wie Wichtigkeit der Völkerverständigung, Gewinnung von good will für Deutschland etc. nicht hinweg, bei dem zuvor geschilderten negativen Deutschland-bild, das die meisten Stipendiaten — wenn sie überhaupt zurückkehren — nach Hause mit-nehmen, schon gar nicht. Die von einigen Unbelehrbaren bis zum heutigen Tag gehegte Hoffnung, mittels Ausbildung in Deutschland junge Menschen aus Entwicklungsländern zu bestimmten politischen Überzeugungen zu bekehren, hat sich längst als trügerisch erwiesen.
IV. Suche nach neuen Wegen
1. Bedarf an Know-how?
Die Suche nach neuen Wegen der personellen Hilfe setzt zunächst die Beantwortung der Frage voraus, ob in den Entwicklungsländern überhaupt ein Bedarf an Know-how besteht. Diese Frage kann bei ernsthafter Betrachtung der Fülle dort zu lösender Probleme nicht verneint werden. Entwicklung im Sinne von Problemlösung impliziert Veränderung und damit zumindest teilweise Abkehr von traditionellen Wertungen und Strukturen, Über-windung des Status quo. Die Entwicklungsländer stehen, auch im Hinblick auf die weltweiten Interdependenzen, längst nicht mehr vor der Wahl zwischen einer Rückkehr zu traditionellen Gesellschaftsformen oder Modernisierung. Wer die durch Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unwissenheit gekennzeichnete Realität der Dritten Welt aus eigener Anschauung kennt, kann trotz aller Skepsis gegenüber der auf die unverantwortliche Plünderung unseres Planeten ausgerichteten modernen technischen Zivilisation nicht daran zweifeln, daß es für die Entwicklungsländer kein Zurück mehr gibt, wenn nicht nur Stagnation, sondern völlige Verelendung der ständig wachsenden Bevölkerungsmassen vermieden werden soll. Die Entwicklungsländer haben sich jenseits aller politischen Unterschiede nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis heraus längst für den Fortschritt entschieden, ob es sich um Tansania oder Brasilien, Algerien oder Chile, Kuba oder Südkorea, Indien oder die VR China handelt. Fortschritt aber bedeutet Rationalität, soziale Disziplin, Produktivität, Anstieg des Lebensstandards, Erfüllung elementarer Lebensbedürfnisse, soziale und wirtschaftliche Gleichstellung. Diese Modernisierungsideale klingen sehr „westlich". Ihre geistigen Wurzeln können ebensowenig geleugnet werden wie die Tatsache, daß sie in den Industrieländern schon in einem Ausmaß realisiert sind wie dies in den Entwicklungsländern in ferner Zukunft nicht erreichbar und, von der Gleichstellung abgesehen, auch gar nicht wünschenswert ist. Es wäre jedoch ein völliger Irrtum, diese Modernisierungsideale etwa mit dem kapitalistischen System oder der parlamentarischen Demokratie westlichen Musters gleichzusetzen. Sie sind vielmehr gleichermaßen unentbehrliche Grundlage sozialistischer Systeme. So wären z. B. die überaus beachtlichen Entwicklungserfolge der VR China ohne sie nicht erreichbar gewesen.
Das Bekenntnis der Entwicklungsländer zum Fortschritt sagt also noch gar nichts über die Frage des politischen Weges und die Veränderungsrichtung aus. So könnte es künftig andere Spielarten des Modells einer technischen Zivilisation geben, deren Unterschiede zu dem unsrigen vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich liegen. Die von den Entwicklungsländern bei der Verwirklichung solcher Modelle gemachten Erfahrungen könnten trotz der unterschiedlichen Ausgangslage durchaus lebenswichtige Rückwirkungen für unsere eigene Gesellschaft bewirken. Besondere Bedeutung, gerade auch im Hinblick auf den Know-how-Bedarf, kommt der Frage zu, inwieweit es den Entwicklungsländern gelingt,, traditionelle Strukturen und Verhaltensweisen sowie ihr kulturelles Erbe mit dem Fortschritt in Übereinstimmung zu bringen. Dies müßte in vielen Fällen durchaus möglich sein, ob es sich z. B. um Formen der sozialen Kooperation oder um Bekleidungssitten, um die Familienstruktur oder die Verbundenheit der Bevölkerung zur eigenen Geschichte, Literatur oder Kunst handelt. In anderen Fällen entstehen gleichwohl schwer lösbare Konflikte, denen bei der Entwicklungsplanung auf jeden Fall Rechnung getragen werden muß. In der Vergangenheit ist gerade hierbei oft gesündigt worden, indem die soziokulturellen Faktoren zugunsten einer rein ökonomischen Betrachtungsweise vernachlässigt wurden. Kostspielige Entwicklungsruinen, ob es sich um landwirtschaftliche Mustergüter, komplizierte Großkrankenhäuser oder vollautomatisierte Fabriken handelt, sind bleibende Zeugen dieser Periode der Naivität. Nachdem die 60er Jahre für die meisten Entwicklungsländer im Zeichen des Versuchs einer unkritischen Modernisierung nach westlichem Muster, die mit einer Übertragung der Mängel unserer Gesellschaftsordnung verbunden war, und die erste Hälfte der 70er Jahre im Zeichen des als Reaktion darauf manchmal überspitzten Self-Reliance-Gedankens verbunden mit einer starken Abneigung gegen technische Zivilisation und der Wiederbelebung von traditionellen Werthaltungen gestanden waren, gilt es jetzt zu einer vernünftigen Synthese zwischen beiden Tendenzen zu gelangen. Der Stellenwert der personellen Hilfe, d. h.der Deckung des Know-how-Bedarfs mit Hilfe des Auslands, muß in diesem Kontext gesehen werden. Dies bedeutet sowohl unter regionalen als auch sektoralen Aspekten eine wesentlich differenziertere Betrachtungsweise als bisher. Der Know-how-Bedarf in Least Developed Countries wie Mali oder Nepal ist sicherlich wesentlich größer als in stärker entwickelten Ländern wie Brasilien, Malaysia oder Algerien, wo in den meisten Sektoren mittlerweile eigene Fachleute zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite sagt die Größe des Bedarfs allein überhaupt noch nichts darüber aus, wie er gedeckt werden soll. Die Bedarfsdeckungsmöglichkeiten differieren je nach Sektor. So sind z. B. im Bereich des Erziehungswesens angesichts der völlig unterschiedlichen strukturellen und geistigen Bedingungen Experten aus Industrieländern kaum in der Lage, nützliche Beiträge zur Problemlösung zu erbringen. Auch Aus-und Forhildung von Fachkräften aus Entwicklungsländern in Industrieländern hilft, vom Brain Drain und menschlichen Problemen einmal ganz abgesehen, in diesem Bereich nicht weiter. Von überragender Bedeutung ist allein das, was die Entwicklungsländer selbst zu tun beschließen und was sie im Hinblick auf die Erziehungsreformen erfolgreich zustande bringen. Dabei vermag allenfalls ein Erfahrungsaustausch untereinander einschließlich Ausbildung im jeweiligen Nachbarland von Nutzen sein. Ähnliches gilt oberhalb eines bestimmten Niveaus für das Gesundheitswesen, wo z. B.der Bau von modernen Großkrankenhäusern, die Entsendung von Fachärzten und die Ausbildung von Ärzten aus Entwicklungsländern in Industrieländern an den Bedürfnissen vorbeigeht, oder für bestimmte technische Bereiche, wo sowohl durch Entsendung von Experten als auch durch Ausbildung in Industrieländern für Entwicklungsländer nicht passende Produktionstechniken oder Verfahren übertragen werden. Demgegenüber sind die Möglichkeiten personeller Hilfe für Least Developed Countries im landwirtschaftlichen Bereich einschließlich Fischerei, Forstwirtschaft und Tiermedizin wesentlich größer. Auch im Bereich des betrieblichen und administrativen Managements ist ausländisches Know-how durchaus sinnvoll.
2. Größere Sorgfalt bei der Bedarfsdeckung
Die Feststellung, daß in bestimmten Entwicklungsländern auf bestimmten Sektoren auch künftig sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten für ausländische Experten vorhanden sind, enthebt weder die Geber noch insbesondere die Entwicklungsländer selbst einer sorgfältigeren Prüfung als bisher, wie der festgestellte Know-how-Bedarf im Einzelfall für das jeweilige Entwicklungsland am zweckmäßigsten gedeckt werden kann. Trotz aller Kritik sind viele Entwicklungsländer immer noch zu schnell bei der Hand, ausländische Experten anzufordern. Sie gehen dabei zum Teil von der kurzsichtigen Annahme aus, daß die Experten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Private Consultings spielen bei derartigen Anforderungen nicht selten eine unrühmliche Rolle.
Auch die Geber sind in der Regel allzu schnell geneigt, den Anforderungen nachzukommen. überholte Vorstellungen über Technische Hilfe („keine Mark ohne Mann") tragen dazu ebenso bei wie der in den letzten Jahren ständig zunehmende Wettbewerb unter den Gebern um interessante Projekte in Entwicklungsländern. Bei sorgfältigerer Prüfung ließe sich der Bedarf in vielen Fällen durch einheimische Fachkräfte decken. Häufig fehlt es nur am erforderlichen Überblick über das vorhandene einheimische Potential. Unzureichende Berufsstatistiken erschweren hierbei die Arbeit ebenso wie Organisationsmängel in der Arbeitsverwaltung. Manchmal sind auch die fachlichen Anforderungen und Erwartungen, gemessen an der durchzuführenden Maßnahme, viel zu hoch geschraubt. Schließlich ist es angesichts der alles andere als attraktiven Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen vielen Entwicklungsländern bisher kaum gelungen, einheimische Fachkräfte auf freiwilliger Basis zu bewegen, in Entwicklungsprojekten auf dem Lande mitzuarbeiten. So ziehen es z. B. in Indien Tausende von ausgebildeten Ingenieuren vor, als Taxifahrer mit geringem Einkommen oder gar völlig arbeitslos in den Großstädten zu leben als in ländlichen Projekten der Regierung zu arbeiten.
In den meisten Entwicklungsländern existiert eine ländliche Gesundheitsversorgung prak-tisch nicht, weil einheimische Ärzte, insbesondere solche mit europäischer oder amerikanischer Ausbildung, nicht bereit sind, die Annehmlichkeiten des Großstadtlebens aufzugeben und überdies in ihren Privatpraxen durch Behandlung der ebenfalls vorwiegend in den Städten lebenden einheimischen Oberschicht und der Ausländerkolonie viel mehr Geld verdienen. Die Versetzung aufs Land gilt heute für die einheimische Intelligenz mehr denn je als Verbannung, gegen die man sich entschieden zur Wehr setzt.
Im Hinblick darauf, daß sich die Zukunft der Entwicklungsländer auf dem Lande entscheidet, müssen sich die Entwicklungsländer Mittel und Wege einfallen lassen, wie sie das in den letzten Jahren in fast allen Bereichen herangewachsene einheimische Fachkräftepotential zur Mitarbeit bei der ländlichen Entwicklung bewegen können. Die Anforderung ausländischer Experten mag insoweit erheblich bequemer sein, ist jedoch auf die Dauer sicherlich nicht der richtige Weg, wenn auf der anderen Seite einheimische Fachkräfte ins Ausland abwandern bzw. von der Ausbildung nicht mehr zurückkehren oder es vorziehen, sogar um den Preis der Arbeitslosigkeit oder einer berufsfremden Arbeit in den Städten zu bleiben. Hier werden sich im Interesse des Gemeinwohls stärkere Eingriffe in individuelle Freiheitsräume vorübergehend nicht vermeiden lassen. Die VR China verdankt ihre Entwicklungserfolge gerade auf dem Lande nicht zuletzt der Tatsache, daß der Arbeitseinsatz von Fachkräften bei der ländlichen Entwicklung nicht der Dispositionsfreiheit des einzelnen überlassen blieb. Wer in den Entwicklungsländern auf Staatskosten ausgebildet wird, dem muß zugemutet werden, nach Abschluß der Ausbildung zumindest vorübergehend dort zu arbeiten, wo es das nationale Interesse verlangt.
In diesem Zusammenhang muß auch die Forderung nach energischen Vorkehrungen zur Eindämmung des Brain Drain erhoben werden. Diese Forderung richtet sich jedoch nicht nur an die Entwicklungsländer, sondern in zumindest demselben Maß an die Adresse der Geber, die bisher durch ihre falsch konzipierte Ausbildungshilfe dem Brain Drain nur Vorschub geleistet haben. Die Ausbildung von Studenten aus Entwicklungsländern muß wesentlich stärker als bisher in die Entwicklungsländer selbst verlagert werden. Sur-place-Stipendien zum Studium an einheimischen Universitäten oder solchen der Nachbarländer bieten sich ebenso als Ausweg an wie Finanzhilfen beim Aufbau von Universitäten und Forschungsinstituten in Entwicklungsländern. Diese Art der Ausbildungshilfe ist überdies wesentlich billiger als die Gewährung von Stipendien zur Ausbildung in Europa oder USA. Demgegenüber versprechen Reintegrations-Programme für die einmal in Industrieländer abgewanderten einheimischen Fachkräfte nach den bisherigen Erfahrungen kaum Aussicht auf Erfolg.
3. Höhere Eigenverantwortung der Entwicklungsländer
Läßt sich der Know-how-Bedarf trotz sorgfältiger Analyse nicht mit einheimischen Fachkräften decken, muß den Entwicklungsländern künftig ein größerer Entscheidungsspielraum bei der Bedarfsdeckung im Ausland eingeräumt werden. Am Ausgangspunkt aller Überlegungen steht daher die Erfüllung der berechtigten Forderung der Entwicklungsländer nach mehr Eigenverantwortung. Hierfür bieten sich das Instrument der Programm-finanzierung, die Aufbindung der Technischen Hilfe sowie die verstärkte Integration ausländischer Experten an.
a) Programmfinanzierung
Bei Ländern, die über ausreichende Planungsund Organisationskapazität verfügen, sollte die ungebundene Finanzierung von regionalen oder sektoralen Entwicklungsprogrammen anstelle der traditionellen Projekthilfe treten. Die gesamte Planung solcher Programme bleibt der Regierung des jeweiligen Entwicklungslandes überlassen. Finden ihre Vorschläge die Zustimmung des Gebers, stellt dieser die Mittel für die Finanzierung der Programme zur Verfügung. Für die Durchführung der Programme ist die Regierung des Entwicklungslandes allein verantwortlich. Zu dieser Verantwortung gehören auch die Auswahl ausländischer Experten, falls keine geeigneten einheimischen Fachkräfte zur Verfügung stehen, und die Beschaffung des benötigten Materials. Sowohl hinsichtlich der Experten als auch des Materials besteht keine Bindung an das Geberland, d. h. die Regierung des Entwicklungslandes kann auch Experten aus anderen Ländern einschließlich anderer Entwicklungsländer unter Vertrag nehmen und das Material dort einkaufen, wo es am günstigsten zu beschaffen ist, z. B. auch im Lande selbst. Die Beteiligung des Gebers beschränkt sich also auf die Prüfung der Programmplanung, die Bewilligung der Mittel und die Mitwirkung bei Evaluierungsmaßnahmen. Darüber hinaus wäre allenfalls eine Service-Funktion bei Personalvermittlung und Sachbeschaffung über Außenstellen (Aid-Missions) der Geber möglich. Derartige Programmfinanzierungen eignen sich sowohl für die Regional-entwicklung als auch für die Förderung bestimmter Sektoren und Subsektoren eines Entwicklungslandes. Sie ermöglichen eine Konzentration der Hilfe und machen damit endlich Schluß mit dem unkoordinierten Nebeneinander verschiedener, zudem als Fremdkörper empfundener Einzelprojekte in verschiedenen Sektoren. Von diesen Vorteilen abgesehen wird diesem neuartigen Hilfstyp mittelfristig in vielen Entwicklungsländern übrigens auch deshalb die Zukunft gehören, weil ein Festhalten am Einzelprojekt herkömmlichen Typs der Entwicklungshilfe-Administration der Geber angesichts der Rationalisierungsnotwendigkeiten schon aus Gründen des Arbeitsaufwands immer größere Schwierigkeiten bereitet.
b) Auibindung der Technischen Hilfe, Integration der Experten
Auch in Ländern mit unzureichender Planungs-und Organisationskapazität, vor allem in den Least Developed Countries, gilt es Möglichkeiten für eine stärkere Eigenverantwortung zu finden, zumal dort die entsprechenden politischen Bestrebungen keineswegs geringer sind als in anderen Entwicklungsländern. Hilfsmaßnahmen zur Stärkung des Planungs-und Organisationsbereichs kommt dabei besonderes Gewicht zu (z. B. Einsatz von Beratern in Ministerien, personelle und materielle Unterstützung beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen und -Institutionen). Auf jeden Fall steht auch in diesen Ländern sowohl der Aufbindung der Technischen Hilfe, d. h.der Loslösung von Experten und Material des jeweiligen Gebers, als auch einer stärkeren Integration der ausländischen Experten in die einheimische Administration nichts im Wege, es sei denn der Widerstand der z. Z. eingesetzten Experten selbst, deren rechtlicher Status durch volle Integration zum Teil erheblich verändert würde.
Die personelle Aufbindung bietet den Vorteil, den Entwicklungsländern den Zugang zu den Arbeitsmärkten anderer Länder, auch anderer Entwicklungsländer, zu eröffnen. Auf diese Weise werden sie in die Lage versetzt, sich entsprechend den eigenen Bedürfnissen an Know-how Experten auszusuchen, die angesichts der erwünschten fachlichen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt des Gebers nicht zu finden sind. Auch die berechtigte Forderung nach stärkerer gesellschaftspolitischer Identifikation der ausländischen Experten mit dem jeweiligen Entwicklungsland läßt sich im Rahmen der von den Entwicklungsländern selbst durchzuführenden Personalauswahl leichter erfüllen. Schließlich wird damit die Möglichkeit eröffnet, sowohl arbeitslose Akademiker anderer Entwicklungsländer zu beschäftigen als auch im Zuge des Brain Drain abgewanderte eigene Fachkräfte wieder ins eigene Land zu ziehen.
Die Aufbindung bei Sachleistungen verbilligt nachweisbar die Technische Hilfe, wirft zudem weniger Probleme bei Ersatzteilbeschaffung und Service auf und erschließt überdies den Entwicklungsländern selbst durch Käufe bei einheimischen Unternehmen oder im Nachbarland neue Absatzmöglichkeiten. Ungebundene Experten-und Sachbeschaffung wird allerdings angesichts unzureichender administrativer Kapazitäten gerade bei Least Developed Countries von der Bereitstellung eines lokalen Service der Geber abhängen. Den Außenstellen der Geber kommt insoweit eine besondere Bedeutung zu.
Eine echte Integration ausländischer Experten in die einheimische Verwaltungsstruktur setzt voraus, daß das Entwicklungsland rechtlich und disziplinarisch Arbeitgeberfunktion einnimmt. So gesehen sind beim bisherigen System der personellen Hilfe die wenigsten ausländischen Experten integriert, da sie von Institutionen der bilateralen oder multilateralen Geber ausgewählt und unter Vertrag genommen werden. Unzureichende Einpassung in Strukturen und Interessenlagen der Entwicklungsländer sowie begrenzte Steuerungsmöglichkeiten können nur durch eine arbeitsrechtliche Integration vermieden werden, die den Experten dem Entwicklungsland unmittelbar verantwortlich macht und mit einem Verzicht auf seine bisherige vom Entwicklungsland unabhängige privilegierte Stellung verbunden ist. Man muß sich allerdings im klaren darüber sein, daß unter solchen Voraussetzungen wesentlich weniger Experten aus Industrieländern bereit sein werden, in Entwicklungsländern zu arbeiten. Dieser Sachverhalt muß indessen angesichts der geschilderten Expertenprobleme keineswegs nachteilig für die Entwicklungsländer sein. Mit der vollen Integration der ausländischen Experten und der damit verbundenen Einordnung in die einheimische Verwaltungshierarchie würden übrigens auch die Counterpartprobleme gelöst, da es Counterparts im bisherigen Sinne nicht mehr gäbe. Eine weitere Konsequenz dieses Integrationsmodells zeigt sich in der Abkehr von der Projekthilfe bisherigen Typs. Anstelle des in der heutigen politischen Landschaft der Dritten Welt längst wie ein Fossil wirkenden, den Strukturen nicht angepaßten ausländischen Projekts tritt das ein-heimische Projekt, dessen Planung, Durchführung und Evaluierung vollverantwortlich vom Entwicklungsland getragen wird. Die ausländische Mitwirkung hat sich auf ergänzende materielle und/oder personelle Hilfe zu beschränken und zwingt damit das Entwicklungsland zu Selbständigkeit und eigenverantwortlichen Entscheidungen. Die Frage der Partnerschaftsleistungen des Entwicklungslandes, das sowieso den wesentlichen Beitrag erbringt, stellt sich bei diesem Modell ebensowenig wie diejenige der Übergabe von Projekten in die Verantwortung des Entwicklungslandes beim Abzug der Experten. Die kirchlichen Entwicklungsdienste arbeiten übrigens schon seit vielen Jahren auf der Basis völliger Integration und haben mit ihrer Trägerförderung die meisten Schwierigkeiten vermieden, in denen sich heute die staatliche personelle Hilfe befindet.
4. Personelle Hilfe der Bundesrepublik Deutschland: Wenig Mut zur Konsequenz
In der deutschen personellen Hilfe wurde 1974 der Versuch unternommen, durch eine Neuformulierung der Grundsätze für die Technische Hilfe der wachsenden Kritik Rechnung zu tragen. Zu den zumindest auf dem Papier vorhandenen Neuerungen gehören die Aufbindung der Technischen Hilfe, die Preisgabe des Grundsatzes „keine Mark ohne Mann", eine vorsichtige Abkehr vom Einzelprojekt zugunsten von Programmfinanzierungen in fortgeschritteneren Entwicklungsländern, eine Einschränkung der vom Entwicklungsland geforderten Partnerschaftsleistungen sowie eine Modifizierung der Aus-bildungshilfe durch verstärkte Gewährung von Sur-place-Stipendien. Initiative und Trägerschaft des Entwicklungslandes sollen möglichst wenig beeinträchtigt werden (Prinzip des geringsten Eingriffs). Besondere Aufmerksamkeit gilt der Anpassung der Hilfsmaßnahmen an die Verhältnisse des jeweiligen Entwicklungslandes. Ferner wurden in den vergangenen zwei Jahren Instrumente wiederbelebt bzw. neuentwickelt wie z. B. die auf ölproduzierende Entwicklungsländer ausgerichtete Technische Hilfe gegen Entgelt, d. h.der Einsatz von Experten gegen Bezahlung durch die Entwicklungsländer, die Dreieckskooperation, d. h.der Verbund von Kapital aus einem Olland und Know-how aus der Bundesrepublik in einem dritten Entwicklungsland sowie die Bezahlung von Gehaltszuschüssen an integrierte, d. h. vom Entwicklungsland unmittelbar unter Vertrag genommene deutsche Experten. Trotz dieser Neuerungen, die sicherlich größere Flexibilität ermöglichen, sind wichtige Probleme zum Teil im Widerstreit der beteiligten Bundesressorts ungelöst geblieben oder nur halbherzig angepackt worden. So hat man sich z. B. nicht dazu durchringen können, den Entwicklungsländern in vollem Umfang Auswahl und Verpflichtung von Experten aus Deutschland oder anderen Ländern zu überlassen. Die aus Mitteln der deutschen Technischen Hilfe finanzierten Experten sind vielmehr auch in Zukunft nicht voll in die Verwaltung der Entwicklungsländer integriert, da ihr Arbeitgeber wie auch in der Vergangenheit eine deutsche Institution ist (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit oder deutsche Consultingfirmen), der sie rechtlich und disziplinarisch unterstehen. Die personelle Aufbindung der Technischen Hilfe gilt nur beschränkt, da auf Experten aus anderen Ländern erst dann zurückgegriffen werden kann, wenn deutsche Experten nicht zur Verfügung stehen. Die Programmfinanzierung wird vorläufig aus vorwiegend in den Entwicklungsländern selbst liegenden Gründen noch die Ausnahme bleiben. Im Vordergrund steht weiterhin das Einzelprojekt herkömmlichen Typs mit deutschen Experten, das von der Planung über die Durchführung bis zur Evaluierung einschließlich der rechnungsmäßigen Kontrolle durch den Bundesrechnungshof nach den Vorschriften des deutschen Haushaltsrechts letztlich in deutschen Händen liegt. Die notwendige Verlagerung der Planungs-und Entscheidungsprozesse auf die Entwicklungsländer ist ausgeblieben. Damit sind auch die Counterpartprobleme nicht gelöst. Der berechtigten Forderung der Entwicklungsländer nach Partnerschaft und mehr Eigenverantwortung wird nach wie vor unzureichend Rechnung getragen. Schließlich hat man sich in der Ausbildungshilfe trotz der zur Genüge bekannten Problematik der Ausbildung von Studenten und Praktikanten aus Entwicklungsländern in der Bundesrepublik nicht dazu verstehen können, das Ruder entscheidend herumzuwerfen. Die Zahl der Sur-place-Stipendien macht nur einen geringen Bruchteil der Stipendien zur Ausbildung in Deutschland aus. Allerdings gibt es begrüßenswerte Bestrebungen der Bundesregierung, strengere Zulassungsregelungen zum Hochschulstudium für Ausländer zu schaffen.
5. Maxime der Zukunft: Lernen und Helfen
Die Entscheidung der Entwicklungsländer für den Fortschritt hat zur Folge, daß auch in Zukunft ausländisches Know-how für den Entwicklungsprozeß benötigt wird. Die Deckung dieses Bedarfs im Rahmen der personellen Hilfe muß jedoch wesentlich differenzierter erfolgen als in der Vergangenheit. Besondere Ansprüche werden vor allem an die fachliche und menschliche Qualifikation der ausländischen Experten zu richten sein. Der Typ des mit schulterklopfender Überheblichkeit oder in paternalistischem Kolonialherrenstil auftretenden Experten gehört ebenso der Vergangenheit an wie der lediglich durch attraktive Gehälter motivierte, dem Entwicklungsprozeß ansonsten gleichgültig gegenüberstehende Experte. Benötigt wird demgegenüber der angepaßte Experte, der nicht nur bereit ist, sich aus echter Überzeugung mit den politischen Zielen seines Gastlandes zu identifizieren und sich auch in arbeitsvertraglicher Hinsicht voll in die jeweilige Administration einzufügen, sondern der auch das erforderliche Einfühlungsvermögen und die Offenheit für andere Kulturen und Wertvorstellungen, kurz: die entsprechende Sozialbildung mit sich bringt. Das bei Freiwilligen-Diensten und in der kirchlichen Entwicklungshilfe von Beginn an mit Erfolg gehandhabte Prinzip des Lernens und Helfens muß zur Maxime der gesamten personellen Hilfe erhoben werden, wenn die Geber einen echten Beitrag zur Lösung der auch in der eigenen Gesellschaft wurzelnden Entwicklungsprobleme der Dritten Welt erbringen wollen, anstatt — wie bisher die Regel — mit ihren
Experten zusätzliche Probleme für die Entwicklungsländer und auch für sich selbst zu schaffen. Es kommt darauf an, lernbereite Experten zu finden, die ihre Lernprozesse in den Entwicklungsländern nach ihrer Rückkehr in politische und soziale Aktionen innerhalb der eigenen Gesellschaft umsetzen. Insgesamt betrachtet, werden in unserer Gesellschaft angesichts der drohenden Krisen und der weltweiten Interdependenzen sowieso zunehmend mehr Menschen gebraucht, die auf der Grundlage ihrer Entwicklungsländererfahrungen die Situation der eigenen Gesellschaft kritisch reflektieren und zur Lösung politischer und sozialer Probleme bei uns beitragen können. Dieses Verständnis des Experten als change agent oder friedlicher Revolutionär (Eppler) sowohl in fremden Gesellschaften als auch in der eigenen Gesellschaft mag utopisch klingen. Die Zahl der dafür geeigneten und bereiten Menschen in den Industrieländern wird auch sicher gering sein. Gleichwohl zeigt sich kein anderer Weg zur friedlichen Überwindung der wachsenden Konfrontation zwischen Nord und Süd, zum besseren interkulturellen Verständnis und zur immer notwendiger werdenden Weltinnenpolitik im Sinne von Weizsäcker und Eppler. Entwicklung ist kein Einbahnstraßenverkehr, sondern ein Prozeß, in dem alle Beteiligten voneinander zu lernen haben.