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Was wird aus Chile?. Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation unter der Militärdiktatur heute | APuZ 18/1976 | bpb.de

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APuZ 18/1976 Was wird aus Chile?. Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation unter der Militärdiktatur heute Die Krise der personellen Entwicklungshilfe

Was wird aus Chile?. Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation unter der Militärdiktatur heute

Dieter Nohlen /Achim Wachendorfer

/ 69 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In wenigen Monaten wird die Militärjunta unter General Pinochet ebenso lange die Regierungsgewalt in Chile ausüben wie die demokratisch gewählte Regierung der Volks-einheit, die Salvador Allende anführte. Die Junta hat Chile in den fast drei Jahren ihrer Herrschaft stärker und auf dramatischere Weise verändert als die Vorregierung. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit der Art und den Auswirkungen dieser Transformation. Zunächst fragen die Verfasser nach den Ursachen der Machtergreifung durch die Streitkräfte und nach den politischen Zielen der herrschenden Militärs; sodann befassen sie sich mit der Struktur der Institution, die die politische Macht übernommen hat. Die Politik der Junta steht auf zwei Säulen, deren eine die brutale Abrechnung mit der Regierung Allende, die Ausschaltung der politischen Opposition und die Verfolgung politisch Anders-denkender ist. Die zweite Säule bildet die Wirtschaftspolitik, die der Restauration eines abhängigen Kapitalismus dient. Wirtschaftsmodell und Konjunkturverlauf werden im einzelnen dargestellt, und es wird aufgezeigt, daß sich in verschiedenen Bereichen Widersprüche ergeben haben, die ihren Ausdruck finden in drastischen Einbußen am Realeinkommen der Bevölkerung, in unverändert hohen Inflationsraten und in der wachsenden internationalen Isolierung der Militärjunta. Im Anschluß daran werden Verfassungsvorstellungen und politische Perspektiven der Opposition zur Junta untersucht und u. a. auf den Konflikt der katholischen Kirche mit der Junta und auf die Freische Schrift einer demokratischen Alternative zur Militärjunta eingegangen.

Das Interessse der Weltöffentlichkeit an Chile ist erlahmt. Nur hin und wieder vermögen . Nachrichten über die Andenrepublik noch Schlagzeilen zu machen. Der „Fall Chile" ist zu einem akademischen Gegenstand geworden, diskutiert in Seminaren und Organen, die ein breiteres Publikum nicht mehr erreichen. Dort, wo Chile noch interessiert, steht die Zeit der Allende-Regierung im Zentrum der Debatte. An ihrer Einschätzung scheiden und reiben sich noch, immer die Geister.

In wenigen Monaten wird die'Militärjunta ebenso lange die Regierungsgewalt ausüben wie Salvador Allende. Sie hat Chile in den fast drei Jahren ihrer Herrschaft stärker und auf dramatischere Weise verändert als die Vor-regierung. Die Untersuchung der Art und der Auswirkungen dieser Transformation hilft uns, eine Antwort auf die im Titel dieses Aufsatzes gestellte Frage zu finden.

Ursachen der Machtergreifung durch die Militärjunta

Daten zur Wirtschaftsentwicklung Chiles 1970— 1975 Quellen: Nohlen, Chile (s. Anm. 2); Nohlen/Nuscheler, Handbuch der Dritten Welt, Band III (s. Anm. 18); Informe Econmico (s. Anm. 59); Chile-America, 14— 15/1976; Mercurio, Edicin Internacional, 22— 28 Februar 1976.

Eine Analyse der Entwicklung Chiles unter der Militärdiktatur ist an eine Vielzahl von Voraussetzungen geknüpft, die dieser Beitrag kaum alle nennen, geschweige denn im einzelnen gewichten kann *). Bereits die Tatsache, daß Chile ein Entwicklungsland ist, bedingt eine Reihe von Strukturen innerhalb der chilenischen Gesellschaft sowie zwischen ihr und anderen Gesellschaften (vornehmlich den westlichen Industrieländern), deren Kenntnis unabdingbar ist für eine Bewertung konkreter Politikabläufe Ebenso wichtig erscheinen uns die singulären Merkmale der sozioökonomischen und politischen Entwicklung Chiles, die kaum vergleichbar ist mit der anderer Länder des Subkontinents Sie kulminierte in dem einzigartigen Versuch der Volkseinheit, auf ein demokratisches Mandat gestützt, innerhalb eines bürgerlich-demokratischen Institutionensystems den Sozialismus einzuführen. Die Voraussetzungen des „chilenischen Weges zum Sozialismus", seine Strategie und die verschiedenen Gegenstrategien (des ausländischen Kapitals, der inländischen Opposition, der Linksextremisten), die innen-und wirtschaftspolitische Entwicklung unter Allende und die Polarisierung der Auseinandersetzung zur Alternative „Sozialismus (der Diktatur des Proletariats) oder Faschismus" sind zentral für das Verständnis der militärischen Intervention vom 1. September 1973.

Diese jüngste Geschichte Chiles ist nicht einfach nur „Vor" -Geschichte der Militärdiktatur, sondern in ihr liegen die gesellschaftlichen und politischen Ursachen der Machtergreifung der Militärs in einem traditionell zivil regierten Land. Die Krise der bürgerlichen Demokratie, in deren Rahmen die Regierung der Volkseinheit die Grundlagen für den Übergang zum Sozialismus schaffen wollte, und die Krise der Ökonomie lassen sich nur multikausal erklären. Die Bedeutung einzelner Faktoren, von denen wir schon die US-imperialistische Gegenoffensive, die inländische Opposition in ihrer gemäßigten und radikalen Variante und die sozialistische Alternativstrategie der Ultralinken nannten, zu denen primär entscheidende Schwächen und Fehler der Allende-Regierung zählen, wird wohl immer umstritten bleiben. Unbestritten hingegen ist, daß von der Krise der Okonomie unter der Volkseinheit besonders die Mittelschichten sich betroffen fühlten, das mittlere und kleinere Bürgertum sowie verschiedene Schichten der Arbeiter (Facharbeiter, vor allem im Kupferbereich), die somit zur sozialen Basis des Militärputsches wurden. In einer Situation des relativen Gleichgewichts zwischen Volkseinheit und Opposition, wie sie seit den Kommunalwählen vom April 1971 bestand und sich bei den Parlamentswahlen vom März 1973 bestätigte entschied das Militär als Bündnispartner der Mittelschichten die Auseinandersetzung. Die Mittelschichten waren temporär bereit, auf die politische Macht zugunsten der Absicherung ihrer bedrohten sozialen und ökonomischen Macht, welche sie mit den Mitteln des bürgerlichen Staates infolge der fortschreitenden Aushöhlung seiner Gesetze und Institutionen nicht mehr aufrechterhalten konnten, zu verzichten.

In seiner Genesis ist das chilenische Militärregime ökonomisch-sozialstrukturell als Konterrevolution der Mittelschichten zu verstehen. Der Vergleich mit der Marx’schen Bonapartismus-Analyse und deren Aufnahme und Weiterverarbeitung in August Thalheimers Faschismustheorie vermag bei einigen Einschränkungen zur Erklärung der Entstehung des Militärregimes beizutragen. Thalheimers These, daß Hitler an die Macht kommen werde, wenn die verschiedenen Gruppen der Bourgeoisie nicht mehr in der Lage wären, die Macht durch und über das Parlament auszuüben, das Proletariat seinerseits noch nicht fähig sei, die volle Macht im Staate zu erringen, ist auf die Machtergreifung der chilenischen Militärjunta anwendbar Nach dem 11. September hat die Militärherrschaft jedoch Züge angenommen, die zwar eine verstärkte Faschisierung bedeuten, aber im Vergleich mit dem Bonapartismus nicht mehr erfaßt werden können.

Ehe wir erneut im Zusammenhang mit der Frage nach den politischen Alternativen zur Militärdiktatur auf Klassifikationsbestrebungen zurückkommen, wollen wir im folgenden die Entwicklung Chiles unter dem Militärregime in den zweieinhalb Jahren, die es nun an der Macht ist, untersuchen. Zunächst befassen wir uns mit der Ideologie und der politischen Zielsetzung der herrschenden Militärs einerseits und der Struktur der Institution, die die politische Macht übernommen hat, andererseits. Was die Politik der Junta anbetrifft, so werden hauptsächlich die zwei Säulen untersucht, auf denen sie beruht. Die erste Säule (oder das politische Modell) ist die Repression, die brutale Abrechnung mit der Regierung Allende, die Ausschaltung politischer Opposition und die Verfolgung poli-tisch Andersdenkender. Die zweite Säule (oder das ökonomische Modell) bildet die Wirtschaftspolitik, die der Restauration eines abhängigen Kapitalismus dient.

Es ist davon auszugehen, daß die Militärs das politische und das ökonomische Modell in engem Funktionszusammenhang stehend begreifen. In der Tat ist nicht von der Hand zu wei-sen, daß die eingeschlagene Wirtschaftspolitik mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf die unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung anders als repressiv nicht durchzusetzen wäre. Doch ergibt sich in der Praxis keineswegs ein problemloses Sich-Ergänzen beider Modelle, deren Durchsetzung im übrigen hinsichtlich der Repression auf die Militärs, hinsichtlich der Wirtschaftspolitik überwiegend auf Zivilisten aufgeteilt ist. Vor allem in den Außenbeziehungen, und hier insbesondere in den Wirtschaftsbeziehungen, die für die wirtschaftliche Entwicklung Chiles infolge der weltwirtschafts-integrativen Strategie der Militärregierung von großer Bedeutung sind, haben sich Widersprüche ergeben, die in der i : wachsenden internationalen Isolierung Chiles ebenso ihren Ausdruck finden wie in der Verschärfung der ökonomischen Krise vor allem im Jahre 1975. Die Zielsetzung wirtschaftlichen Wachstums hat sich mit der Politik, Auslandsinvestitionen anzureizen, und insbesondere mit der gesteigerten Repression als nicht vereinbar erwiesen. Die ausländischen Regierungen, Unternehmen und internationalen Organisationen scheinen aufgrund dieses bislang dysfunktionalen Zusammenhangs von Repression und Wirtschaftsentwicklung mehr Einflußmöglichkeiten auf die Innen-und Wirtschaftspolitik Chiles zu besitzen als die politische Opposition des Landes, über deren Verfassung, politische Orientierung und Alternativstrategie zur Militärjunta anschließend gesprochen wird. Besonderes Gewicht soll dabei auf die jüngste Debatte über die programmatische Schrift von Expräsident Eduardo Frei gelegt werden, die als politische Herausforderung des Militärregimes anzusehen ist. Abschließend werden in stärker systematischer Perspektive Elemente der Herrschaftspraxis und der Entwicklung des Militärregimes herausgearbeitet.

Politische Zielsetzung der Militärjunta

Der gemäßigte Teil der politischen Opposition zu Allende hatte angenommen, daß die Militärs recht bald nach dem Putsch den zivilen Kräften, die bei den Parlamentswahlen vom März 1973 eine Mehrheit errungen hatten, (die Regierung Chiles wieder überlassen würden und folglich die repräsentative Demokratie vollends wiederhergestellt werde. Diese Aussicht begründete die Anerkennung respektive Legitimierung des Militärputsches, wie sie etwa von selten der Christlich-Demokratischen Partei Chiles erfolgte und förderte die Kollaboration bürgerlich-demokratischer Kräfte Doch ebenso, wie die Volks-einheit während ihrer Regierung die Streitkräfte als entscheidenden Machtfaktor im politischen Prozeß nicht richtig einzuschätzen wußte, täuschten sich auch die Mittelschichten und ihre politischen Vertreter über die

Militärführung Die Erwartung, bald selbst wieder die Regierungsgewalt zu übernehmen, erfüllte sich nicht. Zwar sprach Juntachef Au-gusto Pinochet Ugarte drei Tage nach dem Putsch davon, daß sie Militärs, aber keine Politiker seien, wohl gerüstet dafür, militärische Operationen, Schlachten zu lenken, nicht aber, um ein Land zu regieren, ein Land zu lenken Einmal an der Macht, richteten sich die Putschisten auf eine lange Zeit der Militärdiktatur ein. Zur Legitimation ihrer Machtausübung wurde die anfängliche Argumentation sehr bald auf den Kopf gestellt: nicht Pinochet sei kein Politiker, sondern das chilenische Volk sei politisch nicht reif. Da der chilenischen Bevölkerung politisches Bewußtsein schlechterdings nicht abgesprochen werden konnte — kaum ein Land der Welt ist so politisch, so politisiert wie Chile —, lautet die These, Chile müsse politisch umerzogen werden — und diese Aufgabe brauche Jahre.

Mit dieser Politik der politischen Umerziehung stellen sich die Militärs gegen zwei Drittel der Wahlbevölkerung. Sie richtet sich insbesondere gegen jene politischen Parteien, die seit Mitte der sechziger Jahre die Sozial-und Wirtschaftsstrukturen Chiles veränderten. Christdemokraten, Kommunisten und Sozialisten lösten in jenem Jahrzehnt die traditionellen Parteien (Konservative, Liberale und Radikale) in der politischen Vorherrschaft ab. Eduardo Frei setzte 1964— 1970 einen Teil seines Programms der „Revolution in Freiheit" durch: Chilenisierung des Kupfers, Verfassungsreform, Gesetz zur Agrarreform. Er initiierte die Mobilisierung und anschließende Organisierung der marginalen Bevölkerung, die in der von Ober-und Mittelschichten getragenen parlamentarischen Demokratie des peripheren Kapitalismus bislang nur geringen politischen Einfluß und eine noch geringere Teilhabe an den im Lande erwirtschafteten Gütern besaßen 11). Freilich genügten diese gegen den erbitterten Widerstand der Rechten, deren ökonomische Macht ungebrochen war, durchgeführten Reformen den marxistischen Parteien nicht. Doch wie die Parteien der Volkseinheit und Allende forderten auch die Christdemokraten unter Führung von Radomiro Tomic im Wahlkampf von 1970, diese Politik zu vertiefen und in schnellerem Rhythmus fortzusetzen. Allende und Tomic vereinten fast zwei Drittel der Wählerstimmen auf sich. Beim zweiten Wahlgang im chilenischen Kongreß stimmten die Christdemokraten für Allende in dessen Regierungszeit grundlegende Strukturreformen durchgeführt wurden (Nationalisierung des Kupfers, Aufhebung des Latifundiums, Ausbau des verstaatlichten Wirtschaftssektors etc. Auch wenn es darüber zur innenpolitischen Polarisierung zwischen Volkseinheit und Christdemokratie kam, so ist doch festzuhalten, daß die Differenzen im Lager der sozialrevolutionären Parteien Chiles nicht in der Notwendigkeit und auch nicht in der Zielsetzung der verschiedenen Reformen bestanden, sondern in den Methoden ihrer Durchsetzung.

Die führenden Militärs betrachten nun die seit Regierungsantritt von Eduardo Frei, der seinerzeit 56 °/o der Wählerstimmen erhielt, einsetzende sozialreformerische 'Politik als dekadente Entwicklung. Dies ist äußerst wichtig für die politische Einschätzung des Militärregimes: Auch der von den Mittel-schichten getragene Reformismus wird als Fehlentwicklung bezeichnet und die Regierung der Volkseinheit, die tiefgreifendere und schnellere Strukturreformen herbeiführte, nur als Höhepunkt eines Irrweges verstanden. Folglich könne nach dem Sturz Allendes die Geschichte Chiles nicht einfach wieder bei 1970 aufgenommen werden. Die Militärs bildeten keine Regierung zwischen zwei Partei-regierungen, die sich gleichen. Zunächst müßten sich gänzlich neue sozio-politische Strukturen ergeben, ehe ein von politischen Parteien getragenes Regierungssystem wieder eingerichtet werden könnte. In einem solchen System hätten nicht nur marxistische Parteien keinen Platz, sondern auch die bisherigen bürgerlich-demokratischen Parteien nicht.

Das ist eine klare Absage an die Christdemokraten, denen (wie selbstverständlich auch den Marxisten) vorgeworfen wird, fremdländische Ideen nach Chile importiert und von ausländischen Geldern gelebt zu haben Die Christdemokratie wird des weiteren beschuldigt, in Chile dem Marxismus die Tür geöffnet zu haben: „. . . um den Marxismus im Lande auszurotten, ist es notwendig zu verhindern, daß Christdemokraten erneut Macht-Positionen erringen" 15). Die Zielsetzung der Militärjunta ist auf die Zerstörung der Volks-einheit und die Ausschaltung einer bürgerlich-demokratischen Alternative zum gegenwärtigen Regime gerichtet. Darin erfüllen die Militärs die politischen Ziele der oligarchischen Gruppen und der faschistischen Reaktion. Pablo Santillana hat zu Recht gewarnt:

„Daß kein fortschrittlicher bürgerlicher Politiker sich täusche: die monopolistische und pro-imperialistische Bourgeoisie hat mit Hilfe ihres bewaffneten Arms die totale politische Macht im Lande übernommen." 16)

Mit der Kritik an den politischen Parteien verbindet sich die Ablehnung Die Zielsetzung der Militärjunta ist auf die Zerstörung der Volks-einheit und die Ausschaltung einer bürgerlich-demokratischen Alternative zum gegenwärtigen Regime gerichtet. Darin erfüllen die Militärs die politischen Ziele der oligarchischen Gruppen und der faschistischen Reaktion. Pablo Santillana hat zu Recht gewarnt:

„Daß kein fortschrittlicher bürgerlicher Politiker sich täusche: die monopolistische und pro-imperialistische Bourgeoisie hat mit Hilfe ihres bewaffneten Arms die totale politische Macht im Lande übernommen."

Mit der Kritik an den politischen Parteien verbindet sich die Ablehnung der repräsentativen Demokratie von Seiten der Junta — eine antidemokratische Gesinnung, die am entschiedensten von General Gustavo Leigh vertreten wird: „Die sogenannte Parteiendemokratie innerhalb des Parlamentarismus, wie sie bis zum 11. September in unserem Land praktiziert wurde, entspricht einem historisch überlebten System, das sich in der ganzen Welt in fortschreitender Krise befindet. Darauf bestehen, es einfach wieder einzuführen, würde bedeuten, sich ins Abseits der Geschichte zu stellen." Zwar hatte die Junta relativ bald nach dem Putsch eine Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung eingesetzt, die bereits zum 26. November 1973 ein Memorandum vorlegte, jedoch die rasch vorangeschrittenen Beratungen täuschten Absichten vor, die die führenden Militärs entweder nicht hatten oder aufgaben, als sich die gesellschaftliche Basis ihrer Herrschaft verringerte. Die seither von den Juntamitgliedern sporadisch propagierten Vorstellungen einer „neuen Demokratie“, mit denen auch außenpolitisch eine Front gegen linksorientierte Länder zu bilden versucht wird 18), sind nichts anderes als korporativstaatliche Ideen, die uns aus faschistischen oder faschistoiden Systemen der europäischen Verfassungsgeschichte geläufig sind.

Als Resümee der politischen Vorstellungen der Junta ergeben sich folgende Punkte 19):

1. Die Streitkräfte und die Polizei übernehmen die gesamte politische Macht. Im Juni 1974 wurde mit dem Statut der Regierungsjunta der Prozeß der Institutionalisierung der Militärherrschaft eingeleitet. Die Junta gab sich die verfassunggebende, die legislative und die exekutive Gewalt. Die Exekutive wurde in die Hände des Juntachefs gelegt, der zugleich Präsident der Republik ist.

2. Die Junta schränkt die Dauer ihrer Herrschaft zeitlich nicht ein, legt folglich auch keinen Stufenplan der Redemokratisierung vor, sondern setzt sich politische Ziele, von deren Erreichung sie ihre Herrschaftsdauer abhängig macht.

3. Die marxistischen Parteien und Bewegungen werden zu zerstören und die Christdemokraten — als bürgerliche Alternative zur Militärdiktatur — auszuschalten versucht. Alle Organisationen zwischen Individuum und Staat werden entpolitisiert. In der „neuen Demokratie" Chiles werden politische Parteien keine Rolle spielen; die marxistischen Parteien werden verboten bleiben.

4. Die „neue chilenische Demokratie" wird „organisch, sozial und partizipatorisch" sein, also korporativstaatlich. Die Beteiligung des Volkes an der Politik soll über Familie, Gemeinde, Region und Berufsverband erfolgen.

Institutionelle Aspekte der Militärherrschaft

Die Ausübung der Regierungsgewalt durch das Militär in Chile weist verschiedene institutioneile Merkmale auf, welche das chilenische Militärregime nicht nur von anderen Formen der Militärherrschaft in Lateinamerika und anderswo unterscheiden, sondern auch Hinweise auf seine innere Struktur und Entwicklungsmöglichkeiten zulassen. In Chile übernahm die aktive Militärführung die politische Macht. Während in anderen Ländern

Lateinamerikas die Streitkräfte sich der Regierungsgewalt bemächtigten und die führenden Militärs zugleich mit der Übernahme politischer Funktionen aus dem aktiven Militär-dienst ausschieden oder die politische Macht im Namen der Streitkräfte von einem General ausgeübt wurde, der die Führung der Streitkräfte oder einer Waffengattung niemals innehatte bildeten in Chile die Chefs der verschiedenen Waffengattungen die Militärjunta und verblieben im aktiven Militärdienst. Neben der unmittelbaren Identifizierung der Regierungspölitik mit der Institution der Streitkräfte hatte dies zur Folge, daß die militärische Hierarchie — die Gewichtung der Waffengattungen und die Einstufung im Rangsystem der militärischen Organisation — die Struktur der politischen Führung und den Führungsstil bestimmt. Die militärische Autoritätsstruktur (Hierarchie), in der chilenischen Tradition verankert, ersetzte die traditionelle politische Struktur.

Konkret folgte daraus, daß die Hierarchie der Waffengattungen innerhalb der Streitkräfte — Heer, Marine, Luftwaffe, Polizei (in dieser Reihenfolge) — beachtet wurde und ebenso die Rangfolge der Generäle innerhalb der Waffengattungen. Der oberste Befehlshaber des Heeres, der stets zugleich der oberste Befehlshaber der Streitkräfte ist, übernahm den Vorsitz der Junta. Die zeitlich begrenzte Stellvertretung (bei Auslandsreisen des Juntachefs) erfolgt in der festgelegten Reihenfolge der Waffengattungen. Gegen die in der militärischen Tradition verankerte Dominanz des Heeres setzte sich das anfänglich ins Auge gefaßte rotative System für die politische Führung Chiles, demzufolge die Chefs der Waffengattungen nacheinander den Vorsitz der Junta übernehmen sollten, nicht durch. Pinochet baute vielmehr das kollegiale Führungsorgan in eine persönliche Führung um, wobei ihm neben der traditionellen Autoritätsstruktur innerhalb der Streitkräfte die Übernahme der Präsidentschaft und damit die erheblichen Machtbefugnisse einer willkürlich angewandten und formal nicht außer Kraft gesetzten präsidentiellen Verfassung zustatten kamen.

Zwar wurden verschiedene Regierungsfunktionen auf die Waffengattungen verteilt: Die Marine erhielt die Wirtschaft, die Luftwaffe den sozio-kulturellen Bereich und die Polizei die Landwirtschaft als spezielles Aufgabengebiet; doch spiegelte sich diese Differenzierung nicht immer in der Besetzung der Ministerposten wider. Besonders die mit der Wirtschaft befaßten Ministerien wurden von Zivilisten eingenommen, die direkt von Pinochet abhängig sind. Luftwaffenchef Gustavo Leigh vermochte allerdings die Ministerien seines Aufgabenbereichs mit Zivilisten zu besetzen, die seine politischen Vorstellungen teilen. Die von Militärs geleiteten Ministerien wurden ihrer Bedeutung nach an die Waffengattungen verteilt, wobei freilich auch die Stellung des Inhabers in der militärischen Hierarchie entscheidend für die Bedeutung eines Ministeriums wurde

Wir können hier nicht weiter in die Eigentümlichkeiten dieser Verquickung von militärischer und politischer Führung vordringen. Zwei Konstanten in der bisherigen Entwicklung‘des Militärregimes seien hervorgehoben: 1. die Verfestigung der militärischen Autoritätsstruktur in der politischen Führung und als Leitlinie ihres inneren Prozesses; 2.der Ausbau der Stellung Pinochets als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Juntachef und Staatspräsident zu einer persönlichen Führung, die ihren Grund, aber auch ihre Begrenzung in der traditionellen Befehlsstruktur der chilenischen Streitkräfte hat.

Wirtschaftsmodell und Reprivatisierungspolitik

Mit der Einrichtung einer zeitlich unbegrenzten, reaktionären Militärdiktatur wurde eine zweite Erwartung der gemäßigten politischen Opposition zu Allende hinfällig, die man an eine nur vorübergehende Militärregierung geknüpft hatte, nämlich die, daß die gesetzlich vereinbarten Strukturreformen und die sozialen Errungenschaften der lohn-und gehalts-abhängigen Bevölkerung aufrechterhalten und zugleich die Existenz der mittelständischen Betriebe von Industrie, Handel und Verkehr gesichert würden. Die Restaurationsabsicht der führenden Militärs versteht sich jedoch weniger politisch (ihre Herrschaft ist die Negation der traditionellen Regierungsweise Chiles) als ökonomisch und sozial. Basis der neuen Wirtschaftsordnung ist das freie Unternehmertum und der individuelle Besitz an den Produktionsmitteln. Der Staat zieht sich auf eine Rolle zurück, die freie Konkurrenz der Individuen zu kontrollieren, damit keine „Formen des Mißbrauchs oder des Monopols" auftreten können. Auch soll er die wirtschaftlichen Aktivitäten im allgemeinen planen, doch nur in dem Maße, wie die staatliche Planung nicht die freie Initiative der Wirtschaftssubjekte abwürgt Hier liegt die entscheidende wirtschaftspolitische Wende: Nicht der Staat, der historisch die entscheidende Rolle der Industrialisierung und des Wirtschaftswachstums des strukturell unterenwickelten Landes gespielt hat sondern der Unternehmer soll die Hauptfigur in einer Wirtschaftsordnung darstellen, von der wirtschaftliches Wachstum erwartet wird. Die Reprivatisierung der Wirtschaft wurde folglich zur leitenden Maxime der Ökonomen der Junta, teilweise kaschiert durch das wirtschaftspolitische Konzept der Reduzierung der Staatsausgaben zur Bekämpfung der Inflation

Die in den letzten Jahrzehnten und besonders intensiv unter der Allende-Regierung verstaatlichten Unternehmen wurden weitgehend reprivatisiert. Auf Anweisung der Militärregierung versteigerte die seit 1939 existierende staatliche Entwicklungsgesellschaft Corporaciön de Fomento (CORFO) allein 1975 staatliche Unternehmen im Werte von 200 Mio. US-Dollar Mit Ausnahme von 19 strategisehen'Betrieben (ohne die Kupfergesellschaften, die im Februar 1976 zu einer Gesellschaft Corporaciön Nacional del Cobre de Chile [CODELCO] zusammengeschlossen wurden soll der gesamte öffentliche Sektor an privates Kapital übertragen werden. Die Investitionen für die staatlichen Unternehmen wurden im Budget für 1976 um 40 0/0 reduziert. Ein anderer Indikator für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft und der Planung des Entwicklungsprozesses ist die drastische Verringerung der Beschäftigtenzahl bei der CORFO von 6000 auf 700. Diese Entlassungen stellen jedoch nur einen kleinen Teil der insgesamt etwa 100 000 Staatsbediensteten dar, denen seit Ende 1973 gekündigt wurde

Auch die Agrarreform wurde rückgängig gemacht oder ausgehöhlt. Etwa 30 °/o des unter Allende e °/o des unter Allende enteigneten Landes wurde an die ehemaligen Besitzer zurückgegeben, weil die Enteignung illegal erfolgt sei. Im Rahmen einer „neuen Agrarreform" erhielten bis Ende 1975 19 000 von insgesamt 60 000 sogenannten Asentados, die enteignetes Land bebauen und zu Landeigentümern gemacht werden sollen, Besitztitel ausgehändigt. Ihnen steht es frei, das Land wieder zu verkaufen, was angesichts der Schließung der für die landwirtschaftliche Entwicklung zuständigen Institutionen, die den Bauern technische und kreditive Hilfen gaben, eine naheliegende Konsequenz sein dürfte 29).

Schließlich wurden den US-Kupferunternehmen Kennecott und Braden, die unter Allende einstimmig vom chilenischen Kongreß und mit Zustimmung durch den Obersten Gerichtshof Chiles entschädigungslos enteignet worden waren, Entschädigungen in Höhe von insgesamt 363 Mio. US-Dollar gewährt, von denen 75 Mio. sofort ausgezahlt wurden 30). Die US-Gesellschaft ITT, deren Telefongesellschaft in Chile nach der Aufdeckung der konspirativen Tätigkeit gegen den Regierungsantritt von Allende entschädigungslos enteignet worden war, wurde mit 125 Mio. US-Dollar abgefunden.

Entwicklung des Kupfersektors

Dieser großzügige Ümgang mit Devisen, der angesichts der hohen Auslandsverschuldung Chiles und des großen Kapitalbedarfs der Wirtschaft nur erstaunen kann, diente vor allem der politischen Flurbereinigung mit den USA und war möglich aufgrund der allgemeinen Hausse der Weltmarktpreise für Rohstoffe 1973/74, an der auch das Kupfer teilhatte. Die Kupfernotierung erreichte im Frühjahr 1974 mit rund 1, 5 US-Dollar pro Pfund fast das Dreifache dessen, was als Mittelwert zu Zeiten Allendes erzielt wurde. Zusammen mit einer erheblichen Produktionssteigerung in den Kupferminen von teilweise bis zu 40 °/o konnte allein im ersten Jahresdrittel 1974 ein Handelsbilanzüberschuß von 180 Mio. US-Dollar erreicht werden Ira letzten Drittel des Jahres 1974 fiel jedoch der Preis zeitweise auf 53 Cent, wesentlich bedingt durch die Erdölkrise und durch japanische Notverkäufe Die in der CIPEC zusammengeschlossenen kupferexportierenden Länder beschlossen zur Stützung des Preises eine Drosselung der Produktion um 10% und 1975 um weitere 5 %, was in Chile zur zeitweisen Schließung der Kupferminen Exötica und Chuquicamata führte, ohne daß eine wesentliche Verbesserung des Preises eintrat. Für das Jahr 1974 verblieb schließlich eine Steigerung der Kupferproduktion gegenüber dem Vorjahr von 9, 5 % und ein Jahresdurchschnitt des Weltmarktpreises von 93, 7 Cent, so daß Chile aus dem Kupferexport 1, 65 Mrd. US-Dollar einnahm und einen Handelsbilanzüberschuß von 146 Mio. US-Dollar erzielte. Die erstmals seit 1970 wieder positive Handelsbilanz ging auch auf eine drastische Reduzierung der Importe zurück, die 1974 mit etwa 555 Mio. US-Dollar um etwa 145 Mio. geringer waren als im Rekordjahr 1973. Die Importverringerung betraf vor allem den Nahrungsmittelbereich, was zu einer erheblichen Verschärfung der Ernährungslage der unteren Bevölkerungsschichten führte

Die relativ günstige Export-und Devisensituation Chiles im Jahre 1974, die kaum für produktionsfördernde Investitionen genutzt wurde — neben den teilweise verfassungswidrigen Entschädigungszahlungen wurden die Devisen hauptsächlich für Waffenkäufe in den USA ausgegeben —, verkehrte sich infolge des weiteren Absinkens der Kupfernotierung im Jahre 1975 in ihr Gegenteil. Während die Devisenerlöse aus dem Kupferexport im Zeitraum Januar bis Oktober 1974 bei 1, 029 Mrd. US-Dollar lagen, sanken sie im gleichen Zeitraum des Jahres 1975 auf 435 Mio. US-Dollar ab Der Jahresdurchschnitt des Weltmarktpreises lag im letzten Jahr mit 55, 9 Cent aber noch beträchtlich über den Werten, die während der Allende-Regierung 1971 und 1972 erzielt wurden, so daß für die wirtschaftliche Entwicklung Chiles, die in starkem Maße vom Kupfer abhängig ist, konstatiert werden muß: 1974 war ein außergewöhnlich gutes Jahr für den Exportsektor, 1975 ein normales Keinesfalls kann die Krise der chilenischen Wirtschaft im Jahre 1975 mit dem Preisverfall des roten Metalls erklärt werden.

Wirtschaftspolitik

Als Zielsetzung der Junta im wirtschaftlichen Bereich wurde in sämtlichen offiziellen Dokumenten und Verlautbarungen die Normalisierung der ökonomischen Lage des Landes betont, verstanden als Steigerung der Produktion, Erhöhung der Investitionen und Reduzierung der Inflation. Hier muß daran erinnert werden, daß die Wirtschaft bei der Übernahme durch die Militärs in einem chaotischen Zustand war: extreme Inflationsraten, schwere Versorgungsmängel und schwarze Märkte, Rückgänge der Investition und Produktion (besonders im Agrarbereich), horrende Verlu-ste in den staatlichen Betrieben, ein 40prozentiges Budgetdefizit, eine stark negative Handelsbilanz bei erhöhten Importbedürfnissen vor allem im Nahrungsmittelbereich, Kredit-schwierigkeiten und für 1973 ein negatives Wachstum des BIP von — 5, 8 % Die Ökonomen der neuen Machthaber, zum Teil Technokraten aus den Verwaltungen Alessandri (1958— 1964) und Frei, mußten zwangsläufig einschneidende Maßnahmen zur Reduzierung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte einleiten. Dazu wurde der oben bereits gekennzeichnete marktwirtschaftliche Weg eingeschlagen, der beinhaltete, „die unter der vorhergehenden Regierung verstärkte staatliche Kontrolle der Wirtschaft abzubauen (und) die Preisbildung durch die Marktlage bei einer weitgehenden Liberalisierung der Importe sich selbst regulieren zu lassen" Diese Politik folgte der konservativen Doktrin des Chicagoer Wirtschaftstheoretikers Milton Friedman die auf verschiedenen Annahmen beruht und unter anderem davon ausgeht, „daß die . realen Kräfte ein Gleichgewicht herstellen, während Abweichungen wie Inflation oder Arbeitslosigkeit die . Schuld des Geldes'sind und durch eine richtige Politik der Geldbehörden vermieden werden könnten" Diese Doktrin vertritt weiterhin die These, daß der staatliche Sektor auf Kosten der Privatindustrie wachse und ein Wachstum des Monopolsektors der Wirtschaft sowohl die Expansion des staatlichen Sektors als auch der staatlichen Unkosten verhindern könne Der Chicagoer Wirtschaftstheorie folgend, gründeten die Ökonomen der Junta, weitgehend Friedman-Schüler (daher Chicago Boys genannt), ihre Wirtschaftspolitik auf Preisfreiheit, strenger Kontrolle der Geldausgabe, Reduzierung des Staatsbudgets und jeglicher möglichen Garantie für ausländische Investitionen

In der Anwendung der wirtschaftstheoretischen Lehrsätze sind zwei Phasen zu unterscheiden: eine erste gemäßigte unter Wirtschaftsminister Fernando Leniz (September 1973 bis April 1975) und eine zweite radikale Phase (sog. „Schock" -Behandlung; seit April 1975) unter Finanzminister Jorge Cauas, in welcher ohne Rücksicht auf die sozialen und sozialstrukturellen Folgekosten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen an der orthodox-monetären Lehre ausgerichtet wurden. Ihre Fortsetzung wurde im März 1976 verkündet.

Der Maßstab, unter dem wir im folgenden die Wirtschaftspolitik der Militärjunta bewerten wollen, ist zum einen die Erreichung der selbstgesetzten Ziele und zum anderen die Verteilung der sozialen Kosten. In enger Verbindung mit dem zweiten Aspekt stehen dabei die soziostrukturellen Veränderungen.

Gemäßigte Phase

Um die Diskrepanz zwischen nationaler Produktion und Importkapazität einerseits und umlaufender Geldmenge bzw. kaufkräftiger Nachfrage andererseits zu verringern, gaben die Ökonomen der Militärjunta die Preise frei unter anfänglicher Aufrechterhaltung des bisherigen Lohn-und Einkommensniveaus. Die bisher von staatlicher Seite geleisteten Subventionen für Grundnahrungsmittel, die vor allem den unteren Schichten zugute kamen, wurden sukzessive abgebaut. Damit wurde ein neuer Inflationsschub erzeugt, der neue Ungleichgewichte zur Folge hatte, von dem allerdings angenommen wurde, daß er eine unabdingbare Voraussetzung für eine entscheidende Abnahme der Inflation im folgenden Jahr sei. Die erhoffte Reduzierung der Inflation trat jedoch nicht ein. Im Jahre 1974 betrug die Inflation nach offiziellen Angaben 375, 9 °/o, nach einem geheimen Bericht der Weltbank sogar 600 % In den ersten vier Monaten des Jahres 1975 lag die Inflationsrate bei 125%; 25% höher als im Vorjahr. Um das Defizit des Staatshaushaltes abzudecken, wurde die Geldmenge zwischen 1974 und 1975 um 300% erhöht. Zwischen dem 1. Oktober 1973 und dem 20. März 1975 wurde die chile-nische Währung 48mal abgewertet. Die Parität zum US-Dollar veränderte sich von 280 auf 3250 Escudos Unter der Allende-Regierung war versucht worden, die Löhne und Gehälter der Inflationsrate anzupassen. Als dies 1973 nicht mehr gelang, griff die Vorregierung zur Absicherung der Realeinkommen der Arbeitnehmer zum (allerdings sehr fragwürdigen) Mittel der Naturallöhne. Die Militärjunta, die die Streitkräfte zu Spitzenreitern in den Gehaltsangleichungen (Reajustes) machte, zeigte sich gegenüber den Einbußen in den Realeinkommen der Bevölke-rungsmehrheit, die dramatische Ausmaße annahmen, ziemlich unempfindlich. Während der Minimallohn durch verschiedene Reajustes vom 10. September 1973 bis Januar 1974 versechsfacht wurde, stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel (Brot) um das 55fache, für Ol um das 64fache, für Milch um das 43faehe, für Zucker um das 50fache und für Transport um das 38fache

Nach einem Bericht der katholischen chilenischen Monatszeitschrift Mensaje vom Dezember 1974 sank die Kaufkraft einer Familie, deren Einkommen auf Lohn basierte, innerhalb eines Jahres um beinahe die Hälfte. Allein im ersten Halbjahr 1975 verloren die Löhne 40% ihrer Kaufkraft. Der Mindestlohn lag bei 100 000 Escudos (ca. DM 90, —). Ein Sandwich in einem billigen Restaurant kostete allein 2 000 Escudos Der Anteil der Löhne am Bruttosozialprodukt, der zwischen 1970 und 1972 bei 55% lag, sackte unter der Militärdiktatur innerhalb eines Jahres auf 37% ab Radomiro Tomic errechnete, daß ca. eine Milliarde US-Dollar aus den Händen von drei Millionen Lohnempfängern auf einige tausend Unternehmer übergegangen sind. Die Arbeitslosigkeit, die unter der UP-Regierung bei 4 % lag, stieg nach offiziellen Angaben auf 16%, nach inoffiziellen auf 20%, bedingt durch die Massenentlassungen von Staatsangestellten und die schlechte Lage von kleineren und mittleren Industriebetrieben

Der von der Junta betriebene Wirtschaftsliberalismus hatte für die Bevölkerung katastrophale Folgen. Die steigenden Lebensmittel-preise drückten die Kaufkraft der lohn-und gehaltsabhängigen Bevölkerung auf oder unter das Existenzminimum In einem Vorort von Santiago mit 200 000 Einwohnern waren 1974 die Hälfte der Männer arbeitslos; die Löhne derjenigen, die einer Arbeit nachgingen, lagen knapp über der Hälfte dessen, was eine fünfköpfige Durchschnittsfamilie zum Lebensunterhalt braucht In seiner Neujahrsbotschaft für 1975 berichtete der später in die Provinz versetzte Hilfsbischof von Santiago, M. Fernando Ariztia, daß in dem Santiagoer Vorort Barrancas ein Drittel der Kinder unterernährt sei. Er wies auf die sozialen Folgen der Wirtschaftspolitik der Militärs hin: Arbeitslosigkeit, Zunahme der Prostitution, vermehrte Bettelei bei Kindern, Unterernährung von Kindern, Anstieg des Alkoholismus. Dazu komme ein starkes Ansteigen der Kriminalität.

Die Verarmung der chilenischen Bevölkerung macht natürlich auch nicht vor den Mittel-schichten halt, einst Stütze und Rekrutierungsbasis der Militärs. Mangelnde Kaufkraft aufgrund realer Einkommensrückgänge und wegen Entlassungen drückten ihre Konsumkapazität derart herab, daß viele zu Verkäufen ihres Besitzes gezwungen waren. Nach Angaben des Angestelltenverbandes muß ein Gehaltsempfänger mit zwei Kindern durchschnittlich 20 bis 25 % seines Verdienstes zur Deckung des Brot-und Milchbedarfs aufwenden. Betroffen sind auch der mittlere und kleine Handel und die kleineren und mittleren Industriebetriebe — beide in vorderster Linie der ehemaligen Streikfront gegen Allende. Mangelnde Massenkaufkraft und deflationistische Politik bewirken, daß empfindliche Investitions-und Produktionsrückgänge, Entlassungen, Bankrotte und Geschäftsaufgaben das Bild im Industriesektor bestimmen.

Während der traditionell dynamische Sektor der chilenischen Wirtschaft 1974 kein Wachstum zeigte und die nationalen Investitionen stagnierten, ging die Industrieproduktion in den ersten drei Monaten des Jahres 1975 im Vergleich zum Vorjahr um 17% zurück. Zum anderen erfolgte eine zunehmende Konzentration dei’ ökonomischen Macht und die Bildung von Monopolen, vor allem in der petrochemischen, Nahrungsmittel-und Bauindustrie sowie im Versicherungswesen. Gleichzeitig entstand ein unkontrollierter Kapitalmarkt, von dem vor allem Spekulanten profitieren. Auch die landwirtschaftliche Produktion, welche anfangs durch Freigabe der Erzeugerpreise eine Steigerung um 10% erreicht hatte, kämpfte bald mit Schwierigkeiten und erlitt teilweise erhebliche Produktionsrückgänge. Es ist nicht verwunderlich, daß auch aus den Reihen der bisherigen Juntaanhänger die Kritik immer stärker zunahm. In der Zeitung „La Tercera" kritisierte Orlando Saenz, ehemaliger Präsident des Industriellenverbandes SO-FOFA und Protagonist des mittleren Unternehmertums gegen die Monopole, die Wirtschaftspolitik der Junta. Selbst Leon Vilarin, der den Streik der Lastwagenbesitzer gegen die Allende-Regierung führte, und Pablo Rodriguez, Gründer der faschistischen Bewegung Patria y Libertad', wandten sich gegen die von den Militärs betriebene Wirtschaftspolitik.

Phase der „Schockbehandlung"

Die interne Kritik an den offensichtlichen Fehlschlägen der Wirtschaftspolitik veranlaßte Wirtschaftsminister Fernando Leniz unter Aufrechterhaltung der ordnungspolitischen Zielvorstellungen der Junta zu Anpassungen im wirtschaftspolitischen Instrumentarium. Ende März 1975 verkündete er eine Reihe von Maßnahmen, deren Details die Handschrift des Weltwährungsfonds verrieten und primär dazu bestimmt waren, mit dessen Segen auf der Tagung des „Club of Paris" über die Umschuldungsverhandlungen vorgelegt zu werden. Die neuen Leitlinien beinhalteten eine Abwertung zur Ermutigung des Exportsektors, Preiskontrolle von Monopolprodukten, verbesserte Buchführungsmethoden in staatlichen Konzernen, realistische Preise für Benzin, was eine Verteuerung der städtischen Verkehrsmittel zur Folge hatte, eine gewisse Lohnangleichung und einige öffentliche Arbeiten Doch als am 9. April des Jahres 1975 das gesamte Kabinett demissionierte, um Pinochet die totale Freiheit der Aktion zu geben, wurde Wirtschaftsminister Leniz zugunsten von Jorge Cauas geopfert. Mit seinen Vorschlägen hatte Leniz die herrschende Doktrin des Wirtschaftsliberalismus verletzt.

Bereits im Januar 1975 hatte sich Friedman bei einem Besuch in Chile über die mageren Resultate der Wirtschaftspolitik beklagt und sie auf die unentschlossene und ungenügende Anwendung seiner Theorie zurückgeführt. Bei einem neuen Aufenthalt in Chile schlug er eine „Schockbehandlung" vor, welche nach eigenem Bekunden eine „Vermehrung der Armut" mit sich bringen würde. Seinem ergebenen Schüler Jorge Cauas wurde als eine Art Superminister das Finanzministerium übertragen, darüber hinaus die Kontrolle über weitere acht Ministerien. Der alte Posten von Leniz, das Wirtschaftsministerium, wurde mit eingeschränkten Funktionen einem anderen „Chicago Boy“, Sergio de Castro, überlassen. Die Friedman-Schüler beherrschen jetzt fast uneingeschränkt die Wirtschaftspolitik.

Die „neue" Wirtschaftspolitik bedeutete nur eine Verschärfung der bisherigen. Superminister Cauas verkündete als wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung der Inflation die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben um 15 bis 20 % an. Als direkte Folge erhöhte sich die Arbeitslosigkeit weiter. Nach Angaben der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Chile lag sie im Oktober 1975 im Großraum Santiago bei 22, 5% und im Landesdurchschnitt bei 17, 4 % Diese Quote liegt unterhalb der Schätzungen ausländischer Beobachter und berücksichtigt nicht die hohe Unterbeschäftigung und die massive Auswanderung von Fachkräften. Eine wesentliche Verschlechterung der Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen im Gesundheits-und Erziehungswesen, insbesondere im Hochschulbereich, wurde bewußt in Kauf genommen. Einkommensteuer und Luxussteuer wurden um jeweils 10% erhöht, weitere Subventionen auf lebenswichtige Produkte der einfachen Bevölkerung abgebaut. Nicht von den Kürzungen betroffen sind die riesigen Ausgaben für das Militär und den Repressionsapparat. Das Budget des Verteidigungsministeriums hat höhere Mittel zur Verfügung als das Innen-, Außen-, Justiz-, Landwirtschafts-, Boden-, Arbeits-, Sozial-, Gesundheits-, Bergbau-, Wohnungs-und Transportministerium zusammen

Augenscheinlichster Mißerfolg war, daß trotz des einschneidenden Programms einer haushaltspolitischen Austerity’ die Inflationsrate im Jahre 1975 nicht entscheidend gesenkt werden konnte. Sie betrug 340, 7 %, wobei die Repräsentativität des ihrer Berechnung zugrunde gelegten Warenkorbs zu bezweifeln ist. Die wichtigsten Grundnahrungsmittel verzeichneten wesentlich höhere Preissteigerungen als der Mittelwert aus 300 Artikeln: Milch 400 %, Brot 367 %, Kartoffeln 850 %, Karotten 1 589% etc. Die Lohn-und Gehaltsangleichungen blieben auch 1975 weit hinter den Preissteigerungsraten zurück. Im März 1975 wurden 33 %, im Juni 71 %, im September 24 0/0 und im Dezember 28 0/0 Reajuste gewährt. Für das gesamte Jahr 1975 lag die Lohn-und Gehaltserhöhung von 260, 9 % um 79, 8 Prozentpunkte unter der Inflationsra-te Die Bevölkerung mußte einen weiteren Kaufkraftschwund hinnehmen. Nach Berechnungen, welche von der Confederacin de Empleados Particulares (CEPCH), einem Mittelstandsgremium, im November 1975 angestellt wurden, braucht eine Durchschnittsfamilie pro Kopf ihrer Mitglieder 1 031 Pesos (ca. 100 US-Dollar) monatlich für Essen, Wohnung, Kleidung und Transport. Doch liegen die Einkommen bei nur 574 Pesos monatlich

Neben Inflation und Arbeitslosigkeit trat 1975 ein Produktionsrückgang in allen Sektoren hinzu, der insgesamt eine Abnahme des Bruttoinlandprodukts von 12% bedeutete. Zwar wurde nach Angaben des Landwirtschaftsministers, General Tucapel Vallejo, 1975 über eine Mio. t. Weizen geerntet (1965: 1, 1; 1974: 0, 94 Mio. t) und die Reisproduktion verdoppelt, doch sind diese Daten kritisch zu bewerten, da verschiedene Regierungsstellen stark variierende Statistiken veröffentlichten. Am ehesten scheinen die Angaben der Empresa de Comercio Agricola (ECA) zuzutreffen, wonach die Weizenproduktion 800 000 1 betrug. Die Kartoffelernte ging von knapp einer Mio. t (1973/74) auf 738 000 t, also um 27% zurück; die Maisproduktion verringerte sich um 9, 5 %. Die Reduzierung der Weizenimporte von 881 300 t im Jahre 1974 auf etwa 400 000 t im Jahre 1975 läßt keinen Schluß auf eine wesentliche Steigerung der inländischen Produktion zu, sondern zeigt die extrem verringerte Versorgung und gedrosselte Kaufkraft der unteren Bevölkerungsschichten an Die industrielle Produktion verringerte sich 1975 laut Angaben des Unternehmerverbandes SOFOFA um 24, 1 %, das Volumen der Verkäufe um 20 % Die Bruttoinvestitionsrate ging um 40 % zurück. Das Bruttosozialprodukt Chiles erreichte 1975 gerade den Stand von 1968, das Pro-Kopf-Einkommen sackte auf den Stand von 1961 ab

Bilanz des ökonomischen Mißerfolgs und Kritik

Die ökonomischen Ziele der Junta sind also nicht annähernd erreicht worden. Die zur Bekämpfung der Inflation angewandten Maßnahmen erzeugten, ohne die Preissteigerungsrate entscheidend zu verringern, neben den verheerenden sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit und des drastischen Absinkens des Lohnniveaus einschneidende Produktionsrückgänge. Die neuen Probleme, die sich mit der forcierteren Anwendung der Friedmanschen Theorie verstärkten, sind wahrscheinlich schwieriger zu lösen als die inflationäre Tendenz der chilenischen Wirtschaft, deren Bekämpfung sie u. a. auslösten. Die Krise der chilenischen Ökonomie ist nach den uns vorliegenden Daten (s. Tabelle) unter dem Gesichtspunkt ihrer Ausdehnung umfassend — sie erfaßt sämtliche Bereiche der Produktion und der Redistribution — und unter dem Gesichtspunkt ihrer Begründungsfaktoren und inneren Struktur zirkular. Ihre zirkulare Struktur bedingt, daß eine ständige Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen ihren verschiedenen Faktoren besteht (fehlende Konsum-und Sparfähigkeit, Rückgang der Investitionen und der Produktion, erhöhte Arbeitslosigkeit und höhere Gestehungskosten der Waren, Preissteigerungen, Lohn-und Gehaltserhöhungen unterhalb der Inflationsrate). Die Politik der Junta hat nicht nur keinen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden, das für die Ökonomien vieler Entwicklungsländer charakteristisch ist, sondern die Krise spiralförmig verschärft.

Aufgrund der herrschenden Zensur sind der Kritik an der Wirtschaftspolitik der Junta in Chile selbst enge Grenzen gezogen. Trotzdem wurden kritische Stimmen laut, wobei man allerdings wird unterscheiden müssen zwischen Stellungnahmen, die die globalen Zielvorstellungen der führenden Militärs teilen und nur in den Instrumenten, sie zu verwirklichen, abweichen, und solchen, die die wirtschaftspolitischen Maßnahmen und die ordnungspolitischen Vorstellungen der Junta ablehnen, aufgrund der Beschränkungen der Meinungsfreiheit nur eine Kritik der Mittel und nicht der Ziele führen können. Innerhalb der die Junta unterstützenden Rechten hat die Wirtschaftspolitik zu erheblichen Gegensätzen zwischen Monopolisten und mittleren und kleineren Unternehmen geführt, die öffentlich ausgetragen werden und den Charakter einer scharfen Kritik an der offiziellen Wirtschaftspolitik annehmen können.

Am 1. Mai 1975 wurden auf einem Treffen der Mittelklassegremien im halbvollen Teatro Caupolicän, dessen Teilnahme Pinochet und Cauas erst im letzten Moment absagten, neben den gewohnten Lobeshymnen auf die Junta solche kritischen Stimmen laut. Unter anderem beklagte Carlos Ortega Rocco, Vorsitzender des Gremiums der Bankangestellten, -daß die Arbeiter drangsaliert würden und daß niedriger Lohn zur Norm würde. Als Protagonist der mittleren und kleineren Industrie, die trotz niedrigster Löhne und erzwungenen Arbeitsfriedens vor dem Bankrott steht, weil sie ihre Produkte aufgrund der geringen Massen-kaufkraft nicht absetzen kann, griff erneut Orlando Saenz die Politik des Wirtschaftsliberalismus scharf an und sprach sich für gemäßigte dirigistische Maßnahmen aus. Die Haltung der Kirche legte Kardinal Silva Henriquez am l. Mai in der übervollen Kathedrale in Anwesenheit des Arbeitsministers General Nicanor Diaz Estreda dar. Der Kardinal attakkierte die freie Marktwirtschaft und den wirtschaftlichen Liberalismus und erklärte: „Die führende Kraft im wirtschaftlichen Leben einer Nation kann nicht der Profit sein, noch muß ihr Grundgesetz das freie Spiel von Angebot und Nachfrage sein." Eduardo Frei verurteilte erstmals im Mai 1975 öffentlich die Wirtschaftspolitik des Militärregimes ehe er Ende des gleichen Jahres eine grundsätzliche Alternative zum gegenwärtigen Regime vorschlug, auf die wir noch zurückkommen werden.

Politische Repression

Um ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen durchsetzen zu können, muß die Junta zu harter politischer Repression greifen. Bei zahlreichen Gelegenheiten haben die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen den bis heute herrschenden Terror angeprangert. Die Zahl der Toten seit dem Putsch beläuft sich selbst nach Schätzungen der CIA auf über 25 000. Die Parteien der Unidad Populär, die noch bei den Märzwahlen 1973 44 °/o der Wähler reprä-sentierten, sowie die Bewegung der revolutionären Linken (MIR) wurden verboten, ihre Mitglieder werden bis heute verfolgt. Die anderen Parteien wurden „suspendiert", wobei die christdemokratische Partei ständig unter dem Verbotsdruck steht. Sämtliche gewerk-schaftlichen und politischen Aktivitäten wurden untersagt, das Land unter ständig verlängertem Ausnahmezustand gehalten Folter und Mord an politischen Gefangenen wurden Bestandteil der „politischen Kultur" einer Regierung, die vorgibt, dem Christentum und dem Abendland verpflichtet zu sein.

Ein Volk unter der Kontrolle des Terrors ist das offensichtliche Ziel, das General Leigh offen zugab Dieser Absicht dienen eine Reihe von Gesetzen, die im allgemeinen die Lage der chilenischen Bevölkerung seit September 1973 verschlechtert und die Rechtssicherheit ausgehöhlt haben. Hierzu zählt auch der Erlaß, daß alle Chilenen bis zum 35. Lebensjahr ständig als Reservisten zu den Waffen gerufen werden können, oder die Einführung der Expatriierung. Unliebsamen Personen wird die Ausbürgerung angedroht, unter zynischem Verweis auf die im Lande bleibenden Verwandten und Freunde, deren Angabe auch zu den Ausreiseformalitäten ins Ausland reisender Chilenen gehört. Freie Meinungsäußerung wird durch die strikt gehandhabte Pressezensur unterdrückt und durch die Erweiterung des Staatsschutzgesetzes von Mitte 1975 noch verschärft. Zwischen dem 11. September 1973 und März 1974 wurden ungefähr 60 000 Personen verhaftet, verhört und zum Teil wieder freigelassen. Diese ungeordneten Verhaftungen sollten vor allem der Einschüchterung der Bevölkerung dienen

Mit der Gründung der geheimen Staatspolizei (Direcciön de Inteligencia Nacional) DINA im Juni 1974, deren Mitglieder sich zum großen Teil aus der faschistischen Bewegung „Patria y Libertad" rekrutieren und die direkt dem Juntachef Pinochet unterstehen und verantwortlich sind, begann die Phase der selektiven und systematischen Repression. Diese Systematisierung des Terrors wurde im Oktober 1974 auch von der Internationalen Juristen-kommission konstatiert, die berichtete, daß die Unterdrückung schärfer als je zuvor sei und auf eine Freilassung zwei Festnahmen kämen. Außerdem würden überfallartige, massive Razzien in Arbeitervierteln durchgeführt, verbunden mit der meist kurzfristigen Festnahme von Hunderten von Personen. Nach einer Statistik von Menschenrechtsorganisationen wurden von August 1974 bis 1975 monatlich 266 Verhaftungen vorgenommen. 88 % der Verhaftungen wurden durch bewaffnete Zivilpersonen, die sich weder aus-wiesen noch einen Haftbefehl vorzeigten, meist in Form von Entführungen durchgeführt

Nach Angaben eines vom Weltfriedensrat eingerichteten Ausschusses befanden sich zwei Jahre nach dem Putsch noch 8 000 Menschen in Haft, darunter Frauen und Kinder, sowie Soldaten, die sich geweigert haben sollen, Gefangene zu erschießen. Dazu kommen noch 1 500 bis 1 800 Personen, deren Festnahme von Angehörigen bezeugt wird und die bis jetzt nicht wiederaufgetaucht sind. Seit dem 16. Juli 1975 erklärt die Junta, die verschwundenen Personen seien alle außer Landes.

Größeres Aufsehen in Chile und ganz Lateinamerika erregten Berichte in der chilenischen Presse vom Juli 1975, nach denen 119 chilenische Staatsbürger, die zu den 1 500 bis 1 800 Verschwundenen gehörten, bei internationalen Auseinandersetzungen zwischen Guerillagruppen oder Schießereien mit der Polizei in verschiedenen lateinamerikanischen Staaten und Frankreich ums Leben gekommen seien Allen 119 Personen war gemeinsam, daß Familienangehörige bestätigen konnten, daß diese von der chilenischen Geheimpolizei festgenommen worden seien. Zudem war die Verhaftung und Verschleppung fast aller dieser Personen dem „Friedenskomitee" der chilenischen Kirchen gemeldet worden. Nachforschungen ergaben, daß die erste Liste mit 59 Namen aus einer brasilianischen Zeitung stammen sollte, die jedoch seit zehn Jahren nicht mehr existierte. Die zweite Liste mit den Namen von 60 Personen wurde in der argentinischen Zeitung „Lea" veröffentlicht, deren einzige erschienene Nummer mit 20 000 Exemplaren im Wohlfahrtsministerium des später gestürzten Lopez Rega hergestellt worden war. Bei einigen dieser 119 Personen, die angeblich in Argentinien umgekommen sind, wurde durch Vermittlung des später abgelösten chilenischen Konsuls in Buenos Aires eine Identifizierung durch Familienangehörige ermöglicht, welche die Leichen ihrer an-geblichen Verwandten als Fremde bezeichneten. Manche der chilenischen Personalausweise waren neu und trugen andere Nummern als die echten Papiere der Verschwundenen Offensichtlich arbeitete die chilenische mit der argentinischen Geheimpolizei zusammen, um die chilenische Regierung von dein Vorwurf freizumachen, daß die 119 Gefangenen in chilenischer Haft ums Leben kamen. Die Kirche hat sich um die Aufklärung dieses Falls sehr verdient gemacht. Die unrühmliche Rolle der chilenischen Justiz, die noch die Fiktion ihrer Unabhängigkeit unter der Militärdiktatur aufrechterhält, zeigt der Antrag Eduardo Freis auf eine Untersuchung des Schicksals der 119 Verschwundenen. Er wurde vom obersten Gericht mit 7 zu 5 Stimmen abgelehnt.

Auch gegen jede Form der politischen Alternative zu ihrer Politik innerhalb der Streitkräfte wendet die Junta ihren Terror. General Bachelet, der als Konstitutionalist zur Regierung Allende stand, wurde im Verhör durch Folter umgebracht. General Carlos Prats, ehemaliger Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Gegner der militärischen Intervention, ging wenige Tage nach dem 11. September nach Argentinien ins Exil, wo er ein Jahr später einem Attentat zum Opfer fiel. Der Tod von General Bonilla, dem rangältesten General des Heeres nach Pinochet, Ex-Innenminister und Verteidigungsminister sowie der einzige Militär innerhalb des Oberkommandos, zu welchem die Christdemokraten Verbindungen — wenn auch problematischer Natur — hatten, kam im März 1975 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Verschiedene Gerüchte in Chile, die einen gewaltsamen Tod des Generals annahmen, erhielten dadurch Auftrieb, daß einen Monat später der Hubschrauber mit den beiden französischen Experten abstürzte, die die Todesursache untersuchen sollten

Einer internen Säuberung der Streitkräfte dienten auch die Prozesse, die gegen Offiziere und Soldaten aller drei Waffengattungen durchgeführt wurden, die sich loyal zu Allen-de verhalten hatten. Diese Prozesse vor Militärgerichtshöfen bilden einen Bestandteil der großen Zahl von Gerichtsverfahren gegen Anhänger und Sympathisanten der gestürzten Regierung. Die willkürliche, in krassem Widerspruch zum chilenischen Recht und den Menschenrechten stehende Prozeßführung und die Anschuldigungen werden regelmäßig von internationalen Organisationen und Institutionen scharf kritisiert. Auf ihren Druck hin wurden eine Reihe von Todesurteilen in Haftstrafen von 30 Jahren umgewandelt

Noch unübersehbar sind die mittel-und langfristigen Folgen der Intervention der Militärjunta in Bildung und Forschung. Durch die massenhafte Entlassung von Lehrkräften, Reduzierung der staatlichen Zuschüsse, Schließung ganzer Institute und Erhöhung der Studiengebühren wurden die großen Fortschritte im Ausbau des Bildungswesens unter den Vorregierungen wieder rückgängig gemacht. Die Funktionsfähigkeit der Universitäten, deren Autonomie zum erstenmal in der chilenischen Geschichte aufgehoben wurde, wurde durch die Politik der „Depolitisierung und Restrukturierung" grundlegend in Frage gestellt. An der Katholischen Universität von Santiago beliefen sich die Kürzungen im Lehrangebot, in den staatlichen Zuschüssen und in den Forschungsmitteln für die Jahre 1974/75 jeweils auf etwa 25 °/o. Hier wie an anderen Universitäten wurden die sozialwissenschaftlichen Institute geschlossen. Die staatlichen Kürzungen waren geeignet, die fortgesetzte Entlassung marxistisch-orientierter, christdemokratischer und junta-kritischer Professoren mit ökonomisch-administrativen Zwängen zu begründen; doch selbst die traditionelle Rechte an der Universität, die sich der Universitätsreform 1968— 1972 vehement widersetzt hatte, bezeichnete die Entlassungen als primär politisch motiviert Die Entlassungen nahmen Anfang 1976 nach der Ernennung von Luftwaffenoberst Julio Tapia Falk zum neuen Interventor der Universität von Chile wieder zu — eine direkte Folge der wachsenden christ-demokratischen Opposition zur Junta und der Frei-Schrift. Die von Pablo Rodriguez geforderte und von General Leigh verantwortete Fortsetzung der Säuberung richtet sich seither gegen verbliebene Kader christdemokratischer Orientierung an der Universität und Dissidenten der Junta-Politik. Tapia ließ 270 Professoren in leitenden Positionen der Militärgewalt unterstellen und erreichte neben einer Vielzahl von Entlassungen die Beendigung der durch Wahl zustande gekommenen Ämterbesetzungen. Die Politik der „Depolitisierung der Universität" ist der Versuch, eine regimeergebene, unkritische und gegängelte Universität zu schaffen. Die Bedingungen freier Lehre und Forschung wurden ebenso zerstört wie die ökonomischen Grundlagen der wissenschaftlisehen Forschung in Chile und wie der Zugang breiter Bevölkerungsschichten zur Universität. Die Studiengebühren lagen für das erste Studiensemester 1975/76 zwischen 800 (Universität von Chile) und 2 080 Pesos (Universität von Concepcion). Wenn bedacht wird, daß ein mittlerer Angestellter monatlich 800 Pesos verdient und etwa 80 °/o seines Gehalts für Ernährung ausgeben muß, so wird die katastrophale sozial-und bildungspolitische Konsequenz der Junta-Politik deutlich Was die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung in Chile angeht, so stellte der Informe Universitario des Ercilla im März 1976 fest: „Das schlimmste ist, daß ein Wissenschaftler nirgendwo anders als in der Universität forschen kann. Das Land bietet keinen anderen Ort. Die einzige Möglichkeit, die einem Wissenschaftler bleibt, ist auszuwandern. Und das haben sie getan. Ganze Universitätsabteilungen befinden sich. im Ausland, beispielsweise das Departement für Physik der Universität von Chile." Der Bericht resümiert: „Dies alles ist eine Bedrohung der wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Entwicklung des Landes. Je länger sie anhält, desto mehr Zeit wird für die Rekuperation notwendig sein, weil die anderen Länder voranschreiten."

Die politische Repression hat demnach seit dem Putsch nicht nachgelassen. Sie steht in keinem Verhältnis zur Gefährdung des Regimes. Sie läßt sich aus drei Faktoren erklären: 1. Aus der tiefen Verwurzelung demokratischer Grundwerte im chilenischen Volk, aus der Stärke der gesellschaftlichen Organisationeu und der politischen Parteien sowie der Tradition demokratischer Regierungsweise; 2. aus der antidemokratischen, reaktionären und faschistoiden Zielsetzung der Junta und 3. aus dem Mangel des Militärregimes an Methoden indirekter sozialer Kontrolle, zu deren Einrichtung zwar Pläne und Absichten bestehen, die sich aber gegen den Willen des Volkes infolge der Verfestigung demokratischer und sozial-fortschrittlicher Überzeugungen nur schwer verwirklichen lassen Angesichts dieses Engpasses hat das Regime bislang entschieden intensiver den Ausbau des Repressionsapparates verfolgt als sich um eine zivile Bewegung zu seiner Unterstützung bemüht. Da zivile Unterstützung und politische Repression in einem reziproken Verhältnis stehen, scheint bei unveränderter politischer Zielsetzung der Junta die weitere Aufrechterhaltung bzw. Verschärfung der Repression eine logische Folge.

Die wichtigsten Instrumente der Repression und Kontrolle sind:

1. Die Streitkräfte. Etwa 61 000 Mann dürften unter Waffen stehen, davon etwa 38 000 beim Heer, 15 000 bei der Marine und 8 000 bei der Luftwaffe

2. Die Carabineros. Sie umfassen etwa 24 000 Mann und wurden unter der Militärjunta dem Verteidigungsministerium unterstellt, nachdem sie vorher dem Innenministerium unterstanden hatten.

3. Der militärische Geheimdienst SIM (Servicio de Inteligencia Militär), dessen Tätigkeit sicherlich den Putsch, die Inhaftierung der Allende-Anhänger und die Zerschlagung oppositioneller Gruppen im Untergrund, vor allem der MIR-Führung, erleichtert hat. 4. Die geheime Staatspolizei DINA, die Kontrollfunktionen auch gegenüber dem Militär ausübt und zu einem Instrument der persönlichen Herrschaftsausübung Pinochets geworden ist. 5. Die Militärjustiz und in zunehmendem Maße auch die ordentliche Justiz, deren oberste Vertreter die Verletzung der Menschenrechte in Chile eher zu kaschieren bemüht sind als daß sie sich für deren Beachtung einsetzen. 6. Die Zensur, die zweifellos verschärft wurde und nicht nur für marxistische Ideen und Schriften besteht, sondern auch für christlich-humanistisches Gedankengut, hinter dem christdemokratische Parteipolitik oder dissideute Positionen vermutet werden.

7. Die Interventoren, die sog. rectores delegados, die die . Säuberung’ der Universitäten betreiben.

Bereits zweieinhalb Jahre nach dem Putsch ist die Bilanz der Unterdrückung des Militärregimes, bezogen auf die Einwohnerzahl des Landes, vergleichbar mit der des Franco-Regimes in Spanien nach dem Ende des Bürgerkriegs, wobei allerdings zu bedenken ist, daß anders als in Spanien von 1936 bis 1939 die chilenischen Militärs sich nach nur kurzem Kampf gegen die Verteidiger des Allende-Regimes und der legalen Verfassung durchsetzten

Internationale Beziehungen

Um das äußerst negative Echo auf den Militärputsch und insbesondere auf die nachfolgende brutale Repression, das in der öffentlichen Meinung der Welt überwiegt, haben sich die führenden Militärs wenig geschert.

Nach anfänglich hilflosem Erstaunen über die negative Beurteilung ihrer Intervention und ihrer Politik haben sie die anhaltende scharfe Kritik mit der Behauptung einer internationalen marxistischen Kampagne gegen Chile abzuwehren und die Bevölkerung zu immunisieren versucht und ihren harten Kurs unbeirrt fortgesetzt. Angesichts der bestehenden innenpolitischen Machtverhältnisse kann diese rigorose Politik nur kritisch werden, wenn sie die wirtschaftlichen Beziehungen Chiles vor allem •zum westlichen Ausland entscheidend beeinträchtigt. Dies scheint sich im Bereich der Kapitalimporte abzuzeichnen. Bereits kurze Zeit nach dem Militärputsch appellierte die Junta an das Auslandskapital, in Chile zu investieren

Durch ihre Wirtschaftspolitik versuchten die Militärs, die nach ihrer Meinung idealen Bedingungen für ausländische Investitionen zu schaffen. Aus diesem Grunde provozierte Chile die bisher schwerste Krise des Andenpaktes. Durch das Gesetzesdekret 600 wurde eine Regelung für ausländische Investitionen erlassen, die in krassem Widerspruch zum Vertrag von Cartagena, in welchem die Grundsätze des Andenpaktes festgelegt sind, stand Im Beschluß 24 wurden die Bedingungen für ausländisches Kapital genau definiert mit dem Ziel, eine eigenständige Entwicklungsstrategie voranzutreiben. Das neue chilenische Auslandskapitalgesetz akzeptierte hingegen ausländisches Kapital ohne Bedingungen und legte auch dem Gewinntransfer keine Beschränkung auf. Nachdem das chile-nische Gesetzesdekret im September 1974 als unvereinbar mit dem Beschluß 24 erklärt worden war, kam es zum offenen Eklat zwischen Chile und den anderen Mitgliedern des Andenpaktes. Nach langen Verhandlungen fand man endlich eine Kompromißformel, derzufolge Chile seine Bestimmungen denen des Beschlusses 24 anpaßte, das Gesetzesdekret 600 jedoch für eine Reihe von Sonderinvestitionen in Kraft blieb. Nach einer Verlautbarung der chilenischen Zentralbank von Anfang 1976 kann ausländisches Kapital in Zukunft bereits nach acht Monaten reexportiert werden, anstatt wie bisher nach 18 Monaten

Trotz der intensiven Bemühungen der Militärjunta um ausländisches Kapital sind die bis-her erzielten Ergebnisse mager. Die miserable Wirtschaftslage, die riesige Inflation und die innenpolitischen Verhältnisse schreckten ausländische Investoren ab. Hemmend wirkte auch die Empörung relevanter gesellschaftlicher Sektoren in den Gläubigerländern über den fortdauernden Terror in Chile. Zwar erklärten chilenische Regierungsstellen im Herbst 1974, daß im Bergbausektor allein Auslandsanlagen von etwa 1 500 Mio. US-Dollar zu erwarten seien, während die sonstigen Investitionen bei 600 Mio. US-Dollar liegen würden, doch flossen nach Schätzungen aus Bank-und Wirtschaftskreisen nach Verkündung des Investitionsstatuts vom 13. Juli 1974 im Jahre 1974 nur 20 bis 25 Mio. US-Dollar Auslandskapital nach Chile Im März 1975 gab die Militärregierung bekannt, daß für 385 Mio. US-Dollar Investitionen geplant seien, von denen aber zu diesem Zeitpunkt erst 119 Mio. US-Dollar genehmigt und die restlichen noch im Stadium der Vorverhandlung waren. Von den 119 Mio. US-Dollar entfällt der weitaus größte Teil auf zwei Großprojekte. Die „Westdeutsche Metallgesellschaft AG" will 32 Mio. US-Dollar in die Förderung von Blei und Zink investieren Doch soll vorher noch geprüft werden, ob die Investition machbar sei. Die größte Privatinvestition in Höhe von 62 Mio. US-Dollar zur Erschließung einer Gold-, Silber-und Platinmine wird von einem holländischen Unternehmen geplant. Doch diese Privatinvestitionen, ebenso wie die Gründung der Gesellschaft „Cyprus Chile Mining Company" durch das US-amerikanische Bergbauunternehmen „Cyprus Mines", bilden bislang eher die Ausnahme. Besonderer Erwähnung bedarf der 60 Mio. US-Dollar-Kredit der VR China, der im Konflikt Moskau—Peking begründet . liegt. Teilweise schon zugesagte Kredite europäischer Länder wurden von der Wiederherstellung der Menschenrechte abhängig gemacht oder wie im Fälle des 21-Mio. -DM-Kredites der Bundesrepublik mit der Freilassung politischer Gefangener verknüpft.

Zu Anfang des Jahres 1975 erhielt die Junta aus den USA einige kleinere Kredite sowie 77 Mio. Sonderziehungsrechte des Weltwährungsfonds (1 SZR = 1, 21 US-Dollar). Ein chilenischer Antrag über einen 20-Mio. -US-Dollar-Kredit bei der Weltbank wurde abschlägig beschieden. Die wachsende Isolierung der Junta zeigte sich auch bei den Umschuldungsverhandlungen Chiles mit dem „Club of Paris" im März 1976, in welchem die 14 Staaten zusammengeschlossen sind, auf welche sich Chiles auswärtige Schulden verteilen Während bei der letzten Sitzung des „Club of Paris" der Militärjunta weitaus günstigere Bedingungen als 1972 der Allende-Regierung eingeräumt wurden, stellte sich März 1975 die Situation für die Junta bedeutend schwieriger dar. Der Erklärung Großbritanniens und Italiens, aus politischen Gründen die Umschuldungsverhandlungen zu boykottieren, schlossen sich Dänemark, Schweden, Norwegen, die Niederlande und Belgien an. Die deswegen erfolgte Verschiebung der Sitzung war ein empfindlicher Schlag für die Junta — obwohl sich die USA als weitaus bedeutendster Schuldner sowie die Bundesrepublik Deutschland und Spanien zu bilateralen Verhandlungen bereit erklärt hatten — und ein Erfolg für die Parteien der Unidad Populär, deren Repräsentanten im Exil ebenso wie verschiedene internationale Organisationen den Boykott propagiert hatten

Ein für die Verbesserung der Kupferproduktion vorgesehener Kredit in Höhe von 33 Mio. US-Dollar wurde Chile von der Weltbank im Januar 1976 nur auf Druck der USA und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gewährt. Mit Ausnahme Irlands unterstützte kein westeuropäisches Land den Antrag-, die skandinavischen Länder stimmten geschlossen dagegen

Auf dem politischen Sektor ist die Isolierung Chiles beinahe noch ausgeprägter als auf dem ökonomischen. Die Beziehungen Chiles zu den anderen lateinamerikanischen Staaten sind nur zu ähnlich repressiven Militärregimen und zu Argentinien befriedigend. Mexiko brach im November 1974 die diplomatischen Beziehungen zu Chile ab. Die Beziehungen zu den europäischen Staaten wurden von der Militärjunta in einem internen Rundschreiben von Ende März 1975 als negativ bezeichnet. Ausnahmen bildeten nur Spanien und die Schweiz 86). Von den meisten internationalen Organisationen werden die repressiven Praktiken der Militärjunta angeprangert und scharf verurteilt, so von der „International Labour Organisation" (ILO) im Juni 1974, der Menschenrechts-kommission der Organisation der amerikanischen Staaten (Juli 1974), der UNO-Vollversammlung (November 1974), der UNESCO, der Internationalen Juristenkommission, Amnesty International etc. Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde am 11. November 1975 eine Resolution eingebracht, in der die Verletzung der Menschenrechte in Chile scharf verurteilt wurde. Für die Resolution stimmten 88 Länder, darunter die USA, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreic Länder, darunter die USA, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, dagegen 11 (lateinamerikanische) Länder, 20 Staaten enthielten sich der Stimme, 21 blieben der Abstimmung fern 87).

Die internationalen Organisationen, deren Kritik von der Junta als Teil einer internationalen marxistischen Kampagne gegen Chile zurückgewiesen wird, bleiben weiterhin bemüht, unter schwierigen Bedingungen die Fortsetzung und teilweise Verschärfung der Repression zu dokumentieren. Im Februar 1976 legte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen einen Bericht zu Chile vor. Ihr war im Juli 1975 die Einreise nach Chile verweigert worden, so daß sie ihre Untersuchungen außerhalb des Landes durchführen mußte. Das Dokument, das die verschiedenen Methoden der Folterung politischer Gefangener aufzeigt, die unter der Junta üblich sind, macht 77 Chilenen namhaft, die als Hauptverantwortliche für Mißhandlungen anzusehen sind 88).

Die fortgesetzte Verletzung der Menschenrechte hat seit Mitte 1975 auch die Haltung der USA zu Chile verändert. Die USA, nicht unbeteiligt an den ökonomischen Schwierigkeiten und am Sturz der Regierung Allende, unterstützten zunächst als einzige der großen Industrienationen die Militärjunta in mehr oder weniger offener Weise, auch wenn ihnen eine rasche zivile Lösung erstrebenswert erschien. Dahin gehende Pläne wurden angesichts der Verfestigung der Militärjunta in der Macht zugunsten einer verstärkten Einwirkung auf eine innenpolitische Liberalisierung Chiles aufgegeben. Präsident Ford machte davon die weitere Bereitstellung von Kapitalhilfe abhängig. Die Weigerung Santiagos, den Untersuchungsausschuß der UN-Menschenrechtskommission ins Land zu lassen, verschlechterte die Beziehungen derart, daß die Einstellung der US-Militärhilfe von Präsident Ford erwogen zu werden schien Diese Politik machte sich der US-Senat zu eigen. Bei der Debatte über das Auslandsmilitärhilfegesetz stimmte der US-Senat am 19. Februar 1976 mit 48 gegen 39 Stimmen gegen sämtliche Waffenlieferungen und -Verkäufe an Chile, einschließlich der bereits vereinbarten. Eines der einflußreichsten Senatsmitglieder, Edward Kennedy, bezeichnete das chilenische Militärregime bei dieser Gelegenheit als „das repressivste Regime ganz Lateinamerikas und selbst der Welt“, und Ex-Vizepräsident Hubert Humphrey äußerte sich dahin gehend, die USA sollten nicht „eine Gruppe von Generälen unterstützen, die wie Strolche handeln und sich ihren Weg zur Macht freigeschossen haben" Das US-Repräsentantenhaus lehnte jedoch am 4. März 1976 die Vorlage des Senats mit 266 gegen 139 Stimmen ab und bestätigte nur die Einstellung der Militärhilfe

Die wachsende internationale Ächtung der Militärjunta sucht das Regime durch eine Verbesserung der Beziehungen Chiles zu seinen Nachbarn zu unterlaufen, ausgenommen Peru. Die in der chilenischen und peruanischen Presse überdramatisierten Spannungen zwischen beiden Ländern scheinen beide Regime zu benötigen, um Rüstungsausgaben und andere innenpolitische Maßnahmen rechtfertigen zu können. Besonderes Entgegenkommen zeigt die chilenische Militärjunta gegenüber Bolivien, nicht ohne damit Peru zu reizen. Chile will Bolivien an seiner Grenze zu Peru einen Landkorridor abtreten und damit ein Problem aus der Welt schaffen, das seine Beziehungen zu Bolivien seit fast einem Jahrhundert belastet, nachdem im Pazifischen Krieg die Siegermacht Chile sich die ehemals bolivianische Küstenprovinz Antofagasta einverleibte. Bolivien verlor damit seinen direkten Zugang zum Meer. Aufgrund bestehender Verträge muß Peru solchen Veränderungen an seiner Grenze zustimmen. Santiago bestand hingegen angesichts der peruanischen Widerstände gegen eine Neuregelung auf der Bilateralität der Frage und trieb die Verhandlungen mit Bolivien inzwischen so weit voran, daß bolivianische Stellen bereits die Zone besichtigen konnten, die Chile an Bolivien abtreten will Peru sah sich schließlich gezwungen, in Verhandlungen einzuwilligen, wollte es nicht unbeteiligt wichtigen Veränderungen an seiner Grenze und in der politischen Landschaft zusehen Denn durch einen bolivianischen Landkorridor, durch den Chile und Peru geographisch auseinanderrücken, wird Brasilien an der Pa-zifikküste präsent. Die ökonomischen Interessen Brasiliens (transkontinentale Eisenbahnverbindung Sao Paulo—Arica) und die ideologische Affinität der Regime in Brasilia, La Paz und Santiago sind neben dem genannten Bedürfnis der chilenischen Militärjunta, sich in Lateinamerika Freunde zu verschaffen, die entscheidenden Gründe für die chilenische Konzessionsbereitschaft

Verfassung und Perspektive der Opposition

Die Perspektive der Opposition zur Militärjunta, auf welchem Wege auch immer einen Regimewandel oder eine Ablösung der Militärherrschaft herbeizuführen, ist nicht nur aufgrund der Konzentration aller Macht (d. h.der Mittel, Gewalt anzuwenden und Gehorsam zu erzwingen) bei den Streitkräften schlecht. Die innere Verfassung der Opposition ermöglicht keine konsistente Gegenstrategie. Wegen der Heterogenität der Opposition sollte deshalb besser von „Oppositionen" gesprochen werden. Zwischen den verschiedenen Oppositionsgruppen bestehen fundamentale Differenzen hinsichtlich der Alternative, die die Junta ablösen soll. Die programmatischen Positionen und strategischen Überlegungen der Oppositionen reflektieren dabei die Mängel in der Gesellschaftsanalyse und die ideologischen Verkürzungen, die bereits mit ausschlaggebend waren für das Scheitern des „demokratischen Sozialismus" in Chile, und noch verstärkt durch die falschen Lehren, die aus dem „Fall Chile" gezogen werden.

In der Bewertung des Militärputsches vom 11. September 1973 durch die christdemokratische Partei (PDC), der größten des Landes, auf die sich die Hoffnungen auf einen bürgerlich-demokratischen Neubeginn konzentrierten, zeigten sich schon von Anfang an divergierende Einschätzungen. Parteipräsident Patricio Aylwin und Eduardo Frei, bis zum 11. September 1973 Präsident des Senats, stellten sich hinter die Militärs und rechtfertigten in Chile und im Ausland deren Verhalten. Zwölf führende Christdemokraten, unter ihnen Bernardo Leighton, unter Frei Vizepräsident der Republik, und Renan Fuentealba, Vorgänger von Aylwin, veröffentlichten dagegen am 13. September 1973 eine Erklärung, der sich auch später Radomiro Tomic anschloß, in welcher der Putsch verurteilt wurde Die Differenzen blieben bestehen, obwohl auch bei Frei und Aylwin und der von ihnen angeführten PDC-Mehrheit ein Wandel in der Einstellung zur Militärregierung eintrat. Etwas vereinfacht läßt sich heute zwischen Exil-Christdemokraten und im Lande verbliebenen PDC-Mitgliedern unterscheiden. Die Exil-PDC brandmarkt die Junta als reaktionär und faschistisch Das Militärregime antwortet mit der Ausbürgerung oder dem Versuch der Liquidierung. Im Oktober 1975 wurde auf Bernardo Leighton und seine Frau in Rom ein Attentat verübt, das die Opfer nur schwerverletzt überlebten. Die inländische PDC muß zwangsläufig sehr vorsichtig operieren, kann dabei aber für sich verbuchen, trotz schwerster Behinderung bei der Verteidigung der Menschenrechte konkrete Hilfe und Solidarität anzubieten. Nicht von ungefähr berichtet Radio Moskau, in Chile zu einer wichtigen Informationsquelle avanciert, mehr über christdemokratische Aktivitäten als über den Widerstand marxistischer Gruppen. Bei einer Umfrage unter den im Lande befindlichen PDC-Funktionsträgern sprach sich der weitaus größte Teil gegen jede Zusammenarbeit mit dem Militärregime und für eine kritische und aktive Unabhängigkeit aus Einige Junta-Kollaborateure wurden aus der Partei ausgeschlossen. Andererseits wird die Zusammenarbeit mit der marxistischen Linken weitgehend abgelehnt. Diese Grundposition der Inlands-PDC wurde von Eduardo Frei Anfang 1976 noch verstärkt, als er für ein Bündnis von Christdemokraten und sozialdemokratischen Gruppen unter Ausschluß der Marxisten den Führungsanspruch bei der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in Chile erhob

Demgegenüber hat Radomiro Tomic, diezweite große Figur der chilenischen Christdemokratie, in Anknüpfung an seine Bestrebungen von 1969, ein Linksbündnis von Christdemokraten und Marxisten zustande zu bringen die Notwendigkeit einer „Konvergenz dreier gewichtiger Kräfte, (eines Bündnisses) zwischen den demokratischen Kräften der Linken ....den Marxisten . .. und den Streitkräften" geäußert Wie richtig es sicherlich auch ist, die Streitkräfte als entscheidenden Machtfaktor und damit wichtiges Element des politischen Wandels in Chile zu begreifen, so scheinen in naher und mittlerer Zukunft die Aussichten doch äußerst gering zu sein, ein derart umfassendes Bündnis in die Wege zu leiten

Die Exil-PDC hat sich vor allem darum bemüht, eine Annäherung zwischen Christdemokratie und marxistischen Parteien, insbesondere den gemäßigt-linken Sektoren der Volks-einheit, zu erreichen in der Absicht, ein neues linkes Bündnis zustande zu bringen, das nicht einfach eine Addition von PDC und Volkseinheitsparteien sein soll, sondern eine neue Konfiguration sozialer und politischer Kräfte

Wichtigstes Ergebnis dieser Politik ist bisher die Zusammenkunft von Colonia Tovar (Caracas) im Juli 1975, bei der eine gemeinsame Erklärung von Mitgliedern der PDC, der Radikalen Partei, der Sozialistischen Partei und der Izquierda Cristiana verabschiedet wurde Inhaltlich wurde darin freilich nicht viel ausgesagt. Neben einer Charakterisierung der Junta (diktatorisches und faschistoides Regime als Basis einer Restauration des abhängigen Kapitalismus, der nur einer kleinen Minderheit dient und der Mehrheit des Volkes immense Opfer aufbürdet) wurde programmatisch nur die Vision einer demokratischen Alternative angedeutet, die den Aufbau einer Neuen Gesellschaft in sich birgt.

Die Parteien, die das Bündnis der Volkseinheit bildeten, wurden durch die Brutalität des Putsches und der Herrschaftsausübung am schwersten getroffen. Ein großer Teil der Führung wurde getötet, interniert (Luis Corvalän, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, wartet noch auf einen Prozeß) oder ins Exil getrieben. Parteimitglieder und aktive Gewerkschaftler, die nicht der Verfolgung durch die Militärs zum Opfer fielen, wurden von ihren Arbeitsplätzen entlassen. Am besten scheinen die Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) und die Kommunistische Partei als Organisationen den Putsch überstanden zu haben. Am schwersten wurde die sozialistische Partei getroffen, die auch nach dem Putsch den längsten Widerstand gegen die Machtübernahme der Militärs leistete. Nach einer Phase der Verwirrung und Entmutigung sind die Parteien der Linken heute dabei, ihre Organisationen wieder aufzubauen, was allerdings angesichts der enormen Repression auf große Schwierigkeiten stößt. So hat etwa der MIR, dessen politische Führung im Lande verblieben war, erhebliche Verluste im Führungskader zu verzeichnen gehabt. Die Parteien der UP und der MIR sind nach langen internen Diskussionen zu der Einschätzung gelangt, daß in der gegenwärtigen Phase die bewaffnete Auseinandersetzung mit dem Militär die Kräfte der Linken übersteigt. Aber der zivile Widerstand wächst; Beerdigungen werden mitunter zu politischen Demonstrationen, z. B. als der ehemalige Innen-und Verteidigungsminister und persönliche Freund Allendes, Jose Toha, infolge der Behandlung während seiner Inhaftierung auf Dawson im März 1974 starb und unter der Anteilnahme von 3 000 Demonstranten beerdigt wurde. Politische Informationen gehen von Mund zu Mund, Kleinstflugblätter gehen von Hand zu Hand und werden in den Arbeitervierteln verteilt. Hilflos reagierte die Junta mit dem Verbot, Gerüchte zu verbreiten. Die immer noch relativ häufig stattfindenden Streiks werden oft von der Junta brutal beendet. Auch wirtschaftliche Sabotage wird zur Form des Widerstands gegen die Junta. Jeder 11. eines Monats wird zum Tag des Protests. Diese verschiedenen Formen und Aktionen des Pro-tests können natürlich den Bestand der Junta nicht gefährden; sie sind jedoch sichtbares Zeichen einer wachsenden Bereitschaft vieler Chilenen, sich aktiv gegen die Militärdiktatur zu stellen.

Die Erneuerung des Bündnisses der Unidad Populär durch Vertreter der Volkseinheitsparteien, die sich im Exil befinden, ist in jüngster Zeit das hervorstechende Ereignis. In der Erklärung von Berlin (Ost) vom 27. Juli 1975 bezeichnen die UP-Parteien den Sturz der faschistischen Militärdiktatur als wichtigstes Ziel und erklären alle Methoden, die diesem Ziel dienen, für anwendbar. Zwar wird der bewaffnete Kampf nicht ausdrücklich als Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels genannt, doch dürfte in dieser generellen Leitlinie des Kampfes gegen die Junta insbesondere die Vereinbarkeit des bewaffneten Kampfes mit anderen Methoden des Widerstands ausgedrückt worden sein Das Bündnis soll sowohl dem MIR — unter der Bedingung, daß er eine spalterische Politik unterlasse (hier äußern sich die

Vorbehalte der Kommunistischen Partei gegenüber dem MIR) — und Sektoren der Christ-demokratie offenstehen, insbesondere der Exil-PDC und dem Gewerkschaftsflügel der Partei. Diese Einladung nach links und rechts von der Volkseinheit soll zwei Ziele verfolgen: 1. eine antifaschistische Einheitsfront, zu deren Bildung die Unidad Populär bereits am 1. Mai 1974 aufgerufen hatte die bislang aber noch nicht verwirklicht wurde; 2. eine Erweiterung des Kampfes und des Widerstands zu einer Massenbewegung und zu einem Massenkampf, in welchem die Volkseinheit „den entscheidenden Faktor zur Veränderung der gegenwärtigen Situation" sieht.

Die Offenheit in der taktischen Frage bzw. in der Ebene und in den Methoden des Kampfes ist jedoch nicht ohne weiteres eine Stärke der marxistischen Opposition, sondern eher Ausdruck ihrer Schwäche sowohl angesichts des militärischen Repressionsapparats als auch hinsichtlich ihrer internen Verfassung. Zwar kann die politische Opposition zur Junta auf zwei Prozesse verweisen, die ihr Auftrieb geben können; das ist zum einen die unzweifelhafte Verminderung der gesellschaftlichen Basis der Militärregierung und zum anderen die wachsende Übereinstimmung in der Charakterisierung des Regimes als faschistische Militärdiktatur, die politisch-strategisch von großer Bedeutung sein kann. Beide Prozesse haben aber die gravierenden Differenzen der Oppositionen hinsichtlich ihrer politischen Alternativvorstellungen zur Junta, ihrer Strategien und Methoden zur Herbeiführung politischer Veränderungen in Chile nicht verringert.

Ausgehend von der bereits unter der Allende-Regierung verkündeten unheilvollen Formel „Sozialismus oder Faschismus" verharrt die marxistische Linke auf dem Standpunkt, daß der Faschismus die letzte Phase bürgerlicher Herrschaft in Chile bedeute. Sie hält folglich eine Redemokratisierung und Entfaschisierung mit der Perspektive, daß sich langfristig wieder eine parlamentarische Demokratie westlichen Musters herstellt, für ausgeschlossen, wobei die unterschiedlichsten Begründungen auftauchen, aber kaum eine Theorie angeboten wird, welche die gesellschaftlichen, historischen und politischen Bedingungen eines Regimewechsels mit einbezieht Die katholische Kirche Chiles zählt zu den wichtigsten Institutionen, die in Opposition zur Militärjunta stehen. Ihre anfänglich unbestimmte Haltung gab sie in dem Maße auf, wie die Militärjunta Gewalt und Terror zur Grundlage ihrer Herrschaftsausübung machte Die Kirche ist aufgrund ihrer relativ gesicherten Position heute das sichtbarste Zentrum des zivilen Widerstands und öffentlicher Kritik an der Junta. Daß sie auch Zwängen unterliegt und sich mit der Diktatur arrangieren muß, sollte ihr solange nicht zum Vorwurf gemacht werden, wie sie mutig Gegenpositionen vertritt und den Verfolgten und Hungernden aktive Hilfe leistet Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die Kirche weder neutral noch abseits geblieben ist. Bereits im April 1974 kritisierte das chilenische Episkopat entschieden die Wirtschaftspolitik und die politische Repression der Junta Zum 11. September 1974 verweigerte das Episkopat der Militärregierung ein Tedeum. Am 1. Mai 1975 kritisierte Kardinal Silva Henriquez in der vollbesetzten Kathedrale aufs schärfste die Wirtschaftspolitik der Junta. Bei einem Gottesdienst in der Basilika von Lourdes am Stadtrand von Santiago, an dem 4 000 Personen teilnahmen, forderte der katholische Priester die Junta auf, Auskunft über das Schicksal der 119 verschwundenen Chilenen zu geben Die Kirche hat sich von der Kanzel aus, in bischöflichen Erklärungen und in ihrem Organ „Mensaje" bislang mutig gegen die Juntapolitik und die juntaapologetische Presse eingesetzt.

Als wichtiger erwies sich noch die tätige Solidarität der Kirche mit den Menschen, die „in Furcht, Arbeitslosigkeit, ohne Nahrung und im Elend leben müssen" Das von den chilenischen Kirchen und Religionsgemeinschaften gegründete , Komitee für den Frieden'(Comite pro paz) bildete für viele Chilenen die letzte Rettung. Es betreute seit Oktober 1973 in zwei Jahren 33 000 Menschen in 20 Niederlassungen in der Provinz, organisierte 200 , comedores‘ (Volksküchen) in Armenvierteln, wo ca. 10 000 unterernährte Kinder Essen erhielten unterstützte finanziell Initiativen zur Selbsthilfeorganisation von Arbeitslosen und kümmerte sich um die ärztliche Versorgung in den Armenvierteln. Da das Komitee sich auch mit der Dokumentation der repressiven Maßnahmen von Militär und Geheimpolizei befaßte und den politischen Gefangenen und deren Familien humanitäre Hilfe leistete, war es ständig den Angriffen der juntatreuen Presse ausgesetzt. Wegen der internationalen Unterstützung des Komitees zögerte die Junta, direkte Maßnahmen gegen die Organisation zu unternehmen. Im September 1975 führte die Militärjunta einen ersten Schlag gegen das Komitee, indem sie dem Bischof der lutherischen Kirche in Chile, Helmut Frenz, nach einem Aufenthalt in Genf die Wiedereinreise nach Chile-verweigerte. Bischof Frenz war einer der führenden Mitglieder des Comite pro paz, was ihm die Gegnerschaft einer Reihe von konservativen deutschstämmigen Gemeinden eingetragen hatte, die auch eine Ausweisung von Frenz betrieben hatten

Eine günstige Gelegenheit für die Militärs, den Druck auf das Komitee zu verstärken, ergab sich, als einige Kleriker und Kirchenleute auf der Flucht befindlichen Mitgliedern des MIR humanitäre Hilfe leisteten. Aus diesem Fall konstruierte die reaktionäre Rechte eine Verbindung zwischen dem Komitee und im Untergrund arbeitenden linken Gruppen. Darauf folgte eine heftige Auseinandersetzung zwischen Jaime Güzman Erräzuriz, Chefideologe und Fernsehkommentator der politischen Rech-ten und enger Pinochet-Vertrauter, und dem Pressesekretariat von Kardinal Silva Henriquez. Auf die heftige Attacke gegen den Kardinal antwortete die Kirche mit der Drohung, Güzman zu exkommunizieren, woraufhin dieser sich gezwungen sah, nachzugeben Anfang November 1975 wurden mindestens sechs Mitglieder des Komitees verhaftet Am 11. November forderte schließlich General Pinochet Kardinal Silva Henriquez auf, das politisch unbequeme, im Ausland hohes Ansehen genießende Komitee aufzulösen Die Kirche wich diesem Druck am 14. November, als sie die Auflösung des Komitees der Kirchen zum 31. Dezember 1975 zugestand 7. Die katholische Kirche richtete allerdings zu Jahresbeginn 1976 ein „Vikariat der Solidarität" ein, das die gleichen Funktionen wie das aufgelöste Friedenskomitee ausüben soll. Die neue Organisation ist eine Einrichtung innerhalb der katholischen Kirche und verspricht deshalb, dem Druck der Junta besser widerstehen zu können

Die Konfrontation Kirche — Junta wird jedoch von beiden Seiten betrieben. Junta und politische Rechte versuchen, bestehende Gegensätze zwischen konservativen und fortschrittlichen Priestern zu schüren. Ihre Absicht ist, das Ansehen des Kardinals und jener religiösen Gruppen, die die Menschenrechte verteidigen, zu unterminieren und den Bischof von Valparaiso, Emilio Tagle, der die Juntapolitik gutheißt, gegen die Kirchenführung aufzubauen. Sie schrecken selbst vor einer Spaltung der Kirche nicht zurück Zentrum dieser spalterischen Aktivitäten ist die Organisation Fiducia der „Chilenischen Gesellschaft zur Verteidigung von Tradition, Familie und Eigentum", zu deren Gründungsmitgliedern der gegenwärtige Botschafter der Junta beim Vatikan, Hector Riesle, gehört. Fiducia veröffentlichte im Januar 1976 eine Dokumentation zur Entwicklung der Kirche in Chile seit 1964, die heftigste Angriffe gegen die Bischöfe, die Kirchenführung und insbesondere Kardinal Silva Henriquez enthält Den Kirchenmännern wird vorgeworfen, den Marxismus in Chile unterstützt zu haben und die Katholiken des Landes einer Art „Kirche des Schweigens" unterworfen zu haben. Die Autoren der Dokumentation rufen die Gläubigen auf, sich den Lehren und Entscheidungen der chilenischen Bischöfe zu widersetzen. Die Kirche hat darauf wegen Aufrufs zum Ungehorsam gegenüber den Seelsorgern und wegen schwerster Beleidigungen eines Kardinals der katholischen Kirche die Exkommunizierung von Fiducia eingeleitet Der päpstliche Nuntius in Chile hat in einer öffentlichen Erklärung „mit aller Energie die schmerzlichen Vorwürfe" gegen Kardinal Silva Henriquez zurückgewiesen und „die Einladung zum Ungehorsam verdammt"

Eduardo Frei: Juntakritik und Alternativposition

Die Veröffentlichung der juntakritischen Schrift von Eduardo Frei: „Der Auftrag der Geschichte und die Forderungen der Zukunft" zum Jahresbeginn 1976, die trotz einer begrenzten Auflage von tausend Exemplaren, welche die Zensur erlaubte, eine große und rasche Verbreitung erreichte, hat die erste intensive öffentliche Debatte in Chile über die Ablösung der Militärjunta ermöglicht. Der „Mercurio" fragte, „ob die in der Schrift vertretene Position eine wirkliche Alternative zum gegenwärtig etablierten Regime darstellt, ohne daß das Land wieder durch sie zur marxistischen Vergangenheit zurückkehrt" Wenn auch die Zensur dafür sorgte, daß sich Pro und Contra zumindest die Waage hielten, so stellte die rege politische Diskussion um die Zukunft des Landes doch eine Infragestellung der Militärherrschaft dar. Die Junta sah sich schließlich gezwungen, weitere Stellungnahmen zum Frei-Buch in der Presse zu verbieten, da sie eine Verletzung des Gebots der Suspendierung parteipolitischer Aktivitäten darstellen

In der Tat stellt die kleine Schrift, die auch in der internationalen Presse große Beachtung fand durch die scharfe Kritik, die sie an der Junta-Politik führt, und durch die historische Begründung der Notwendigkeit eines Regimewechsels eine eindeutige Herausforderung des Pinochet-Regimes dar. Freis vielleicht wichtigste Feststellung ist, daß es sich bei den heutigen Machthabern in Chile um Faschisten handele: „Heute wird die politische Macht in Chile schon nicht mal mehr von den Gruppen der klassischen Rechten ausgeübt — die zweifellos stets eine demokratische Tradition wahrten —, sondern von extremeren Gruppen, deren faschistischer Charakter ganz offen zutage tritt." Diese extreme Rechte, von der Eduardo Frei sich und die Christdemokratie eindeutig distanziert versuche sich durch die Vernichtung einer demokratischen Alternativ© an der Macht zu halten, da es ohne diese dritte Kraft „nur die Wahl zwischen ihr selbst auf der einen oder dem Kommunismus und der äußersten Linken auf der anderen Seite" gebe

Dieser auch von der marxistischen Linken vertretenen, eine eigenständige dritte Position ausschließenden Antithese gegenüber entwirft Frei — unter Anknüpfung an die Politik der christ-demokratischen Regierung von 1964 bis 1970 — das Programm und die Strategie einer demokratischen Alternative zur Militärjunta. Eine demokratische Erneuerung müsse von breiten Schichten der Bevölkerung, von verschiedenen politischen Parteien (von der gemäßigten Rechten bis zu den sozialdemokratischen Parteien hin) und von den gesellschaftlichen Organisationen getragen werden, die in Chile traditionellerweise großes Gewicht haben: Gewerkschaften, Universitäten, Katholische Kirche etc., und müsse natürlich den Machtfaktor erster Ordnung, die Streitkräfte einschließen. Auf dieser Basis habe sich ein Konsens darüber zu bilden, „daß Frieden, Gerechtigkeit und gegenseitige Toleranz herrsche.

Unser Vaterland muß zur Wiederherstellung der Menschenrechte und der Freiheit jedes einzelnen Bürgers kommen, ohne daß jemand dauernd in Angst und Unsicherheit lebt. Wir müssen dieses Ziel als Verpflichtung für alle und für jeden einzelnen auffassen, damit der Übergang zur Normalisierung friedlich sei."

Wie nicht anders zu erwarten war, sind die Frei'schen Vorstellungen auf teilweise heftige Kritik von links und rechts gestoßen. Die marxistischen Parteien haben Frei u. a. vorgeworfen, die Opposition gegen die Junta zu spalten — ein angesichts der Heterogenität der Oppositionen, die keine gemeinsame Zielvorstellung, welche über den Sturz der Junta hinausgeht, und keine Übereinkunft in der Strategie zuläßt, wenig sinnvoller Beitrag. Bosco Parra von der Izquierda Cristiana hat hingegen richtig erkannt, daß „die Initiative von Frei die Masse der Christdemokraten eint und um ihn (Frei) schart, die in ihr die einzige vorstellbare Lösung der gegenwärtigen Situation sieht, den einzigen Weg ihres politischen Wiederaufstiegs" Aufgrund dieser möglichen Auswirkungen sah sich die Juntaführung daher veranlaßt, eine Demonstration der Einheit der Streitkräfte zu veranstalten, bei der alle Mitglieder der Junta sprachen Die Verunsicherung der politischen Führung und insbesondere von Pinochet, der eine Rundreise im Süden Chiles abbrach, zeigte den neuralgischen Punkt des Regimes auf: die Einheit der Streitkräfte

Alternativen im Modell der Militärherrschaft

Die wachsenden Widersprüche der sozio-ökonomischen Entwicklung Chiles unter der Militärjunta haben nicht nur die gesellschaftliche Basis der Militärherrschaft dezimiert und die Oppositionen zur faschistischen Militärdiktatur verstärkt, sondern auch interne Spannungen und Gegensätze unter den Militärs erzeugt.

Zu Jahresbeginn 1976 wurden Rivalitäten und teilweise offene Konfrontationen innerhalb der militärischen Führungsschicht bekannt. Zwei britische Zeitungen berichteten über ein Ultimatum von zehn Generälen an Juntachef Pinochet, seine Politik zu ändern. Kritisiert hätten die Generäle vor allem die erfolglose Wirtschaftspolitik, das schlechte Bild gegenüber dem Ausland sowie den Konflikt, den die Junta mit der Kirche führe. Gefordert hätten sie darüber hinaus die Abschaffung der geheimen Staatspolizei DINA, die außerhalb jeder militärischen Kontrolle nur Pinochet verantwortlich ist Es scheint jedoch mehr als fraglich, ob die zehn Generäle beabsichtigten, die Machtfrage zu stellen. Dann müßte ihr Vorgehen nämlich als ziemlich naiv bezeichnet werden, da innerhalb der gestellten Frist von einigen Wochen Pinochet genug Zeit verblieben wäre, durch Rekurs auf die militärische Befehlsstruktur Pensionierungen und Versetzungen der oppositionellen Generäle vorzunehmen und damit die Situation in seinem Sinne zu bereinigen.

Die Machtfrage schien hingegen General Arellano Stark, der dritte Mann in der militärischen Hierarchie, zu stellen. Er hatte am 11. September 1973 als Kommandeur eines Truppenteils teilgenommen und sich den unrühmlichen Beinamen „Schlächter des Nordens" erworben, da er Gefängnisstrafen in Exekutionen verwandelt hatte. Im Laufe des Jahres 1974 nahm er zunehmend gemäßigtere Positionen ein. Bereits am 24. April 1974 gab er in einem Interview zu verstehen: „Wir haben die Verpflichtung, . . . ein demokratisches Leben wiederzugewinnen, wie wir es in den letzten Jahren verloren haben." Zehn Tage später wandte er sich gegen die ökonomische Rechte: „Diejenigen, die glauben, daß Opfer nur von den anderen gebracht werden müssen, irren sich; alle haben Opfer zu bringen, nicht nur die Lohnempfänger . . . Unsere Mission ist, den besitzlosen Klassen zu helfen. Wir werden keine neuen Privilegien schaffen, noch werden wir die alten Privilegien dulden.“ Nach dem mysteriösen Unfall von General Bonilla schien Arellano Stark der Kontaktmann der PDC in der militärischen Elite zu werden und zunächst Versuchen Pinochets, ihn auf weniger einflußreiche Posten abzuschieben, widerstehen zu können. Im Januar 1976 mußte Arellano Stark schließlich doch den aktiven Dienst quittieren. Er war der 29. General, der seit September 1973 pensioniert wurde Aus seiner Einschätzung der Pinochet-Politik, die Chile in den Ruin treibe, hat er nach seiner Entlassung keinen Hehl gemacht Durch den Verlust seiner Stellung in der militärischen Flierarchie dürfte Arellano Stark seinen Einfluß auf die Politik weitestgehend eingebüßt haben.

Ein Schlüssel zum Verständnis der Entwicklungsmöglichkeiten des Militärregimes hegt in den oben dargelegten Zusammenhängen von politischer und militärischer Struktur. Diese Zusammenhänge sind recht komplex und gestatten keineswegs einfache Lösungen bzw.

Alternativen zu Pinochet. In der militärischen Befehlsstruktur besitzt Pinochet die festeste Stütze seiner Herrschaft. Solange er den Oberbefehl über die chilenischen Streitkräfte ausübt und damit zugleich Chef der vorrangigen Waffengattung, des Heeres, bleibt, erscheint seine politische Führung nicht ernsthaft in Frage gestellt. Opposition aus Teilen der Streitkräfte kann unter dieser Voraussetzung nur bedeuten, sich einer politischen Entmachtung durch Pinochet zu widersetzen. Beispielhaft hierfür ist die Kritik aus den Streitkräften an der DINA, die Pinochet als Instrument der Kontrolle auch gegenüber den Streitkräften handhabt.

Ein erster Schritt in Richtung auf einen Regimewandel wäre folglich die Lösung von militärischer Hierarchie und politischer Führung. Sie würde einen Rückzug der Streitkräfte aus der direkten politischen Verantwortung bedeuten und des weiteren zweierlei eröffnen 1 1. die Schwächung der politischen Führung, da Erfolg oder Mißerfolg ihrer Politik wieder zum Kriterium ihrer Herrschaftsausübung wird, und 2. die Übernahme der Regierungsgewalt (möglicherweise erneut) durch Militärs aus rang-niederen Waffengattungen. Dieser Wechsel Der Juntachef ließ eine breite Diskussion zur Wirtschaftspolitik zu, während ihm die Streitkräfte volle Handlungsfreiheit dafür gaben, eine neue Regierung zu bilden. Diese Phase endete im März 1976 mit der Bestätigung von Jorge Cauas als Superminister’ und mit dem Beschluß, die „Schockbehandlung" fortzusetzen, da sich kein anderes Wirtschaftsmodell als geeigneter herausgestellt habe. Pinochet warnte zugleich davor, die wirtschaftspolitische Debatte im Sinne einer Infragestellung seiner Herrschaft mißzuverstehen. Nach der grundsätzlichen Entscheidung sei sie nun einzustellen Auch in anderen Bereichen der Politik ist keine Rede mehr von einer Reorientierung. Der Kampf zwischen Junta und Kirche verschärft sich. Die Weichen für 1976 scheinen gestellt. Sozial, kulturell, technisch-wissenschaftlich, politisch und ökonomisch treibt Chile in die schlimmste Dekadenz seiner Geschichte. Je länger eine Alternative auf die gegenwärtige Politik auf sich warten läßt, desto schwieriger wird die Situation des Landes werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Hier sei verwiesen auf einige wichtige Beiträge zur Unterentwicklung und Entwicklung: Dieter Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt, Frankfurt 1972; ders. (Hrsg.), Peripherer Kapitalismus, Frankfurt 1972; Dieter Nohlen und Franz Nuschelet (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. I: Theorien und Indikatoren von Unter-entwicklung und Entwicklung, Hamburg 1974.

  2. Siehe dazu Dieter Nohlen, Chile — das sozialistische Experiment, Hamburg 1973, und ders., Feuer unter der Asche. Chiles gescheiterte Revolution, Baden-Baden 1974.

  3. Diese Alternative wurde von den Ultralinken des MIR und der sozialistischen Partei Chiles propagiert. Sie gingen von der Theorie der unvermeidlichen Faschisierung des bürgerlichen Staates aus, sahen in jeglicher Opposition zu Allende die Konterrevolution am Werk und in der ideologischen und klassenantagonistischen Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung die Grundlage des Sieges der revolutionären Kräfte über die Bourgeoisie.

  4. Bei den letzten Wahlen in Chile errangen die Oppositionsparteien (Christdemokraten und Nationale Partei) 56 °/o der Stimmen, die Parteien der Volkseinheit 44 °/o. Dieses Ergebnis zeigte zwar einen Rückgang der Wählerunterstützung für Allende gegenüber 1971 an, er fiel jedoch mit 6 Prozentpunkten geringer aus, als angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage allgemein erwartet wurde. Die Interpretation des Wahlergebnisses vom März 1973 als Sieg der Volkseinheit von Seiten der Linksparteien, eine Interpretation, die noch immer aufrechterhalten wird, ist eine der vielen Ungereimtheiten in der politischen und gesellschaftlichen Analyse, die zu schädlichen Konsequenzen für die Politik der Volkseinheit führte. Zur Wahlanalyse der Märzwahlen von 1973 s. Dieter Nohlen, Feuer unter der Asche (s. Anm. 2), S. 108 ff.

  5. Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (Dezember 1851 bis März 1852) in: Marx/Engels, Werke Bd. 8, Berlin 1969, S. 101— 204.

  6. August Thalheimer, Uber den Faschismus (1930), in: Wolfgang Abendroth (Hrsg.), Faschismus und Kapitalismus. Theorien über die sozialen Ursprünge und die Funktion des Faschismus, Frankfurt 1967,

  7. So hieß es in der Erklärung der Christlich-Demokratischen Partei vom 12. September 1973: „ . . . vertrauen wir darauf, daß sie (die Militärs) unmittelbar nach Erfüllung der von ihnen übernommenen Aufgaben, um die unsere Nation bedrohende Gefahr der Zerstörung und des Totalitarismus abzuwenden, die Macht dem souveränen Volk zurückgeben werden, damit es frei über sein eigenes Schicksal entscheide." Und die christdemokratische Führung des Kongresses erklärte bei dessen Schließung durch die Militärs: „Wir sind sicher, daß die institutioneile Normalität in Zukunft wieder hergestellt wird. Dies wurde im übrigen von denjenigen bestätigt, die die Regierungsführung übernommen haben" (28. September 1973). Zit. nach: Institut für Internationale Solidarität der Konrad-Adenauer-Stiftung, Materialien zur Entwicklung in Chile, 1970— 1973, hekt. Bonn 1973, S. 119, 145.

  8. Gustavo Leigh bewertete die Kollaborationsbereitschaft ziviler Sektoren just mit deren Plänen, bald wieder die Macht zu übernehmen; s. das Interview mit dem Chef der Luftwaffe in Ercilla vom 12. März 1974. Diese Annahme von Sektoren der Mittelschichten war insofern durchaus plausibel, als das Militär in den 20er Jahren den Mittelschichten zur politischen Macht verhülfen hatte. Hierzu u. a. Jose Nun, Lateinamerika: Die Hegemoniekrise

  9. S. dazu Dieter Noblen und Otto Boye, War die Konterrevolution unvermeidlich? Mittelschichten und Militär in Chile, in: Verfassung und Recht in Übersee, 4/1974, S. 369— 384. Ex post factum versucht Fernando Mires, Die Militärs und die Macht. Thesen zum Fall Chile, Berlin 1975, eine verwegene . objektive'Entwicklungslinie der Militärs von der Einquartierung des Regiments Tacna im Oktober 1969 über die Ermordung von General Schneider zum Putsch von 1973 zu ziehen. Wäre das so einfach, müßten den Politikern ernste Vorwürfe gemacht werden, für diese angebliche Entwicklung blind gewesen zu sein. Mires verschweigt, daß beim Erhebungsversuch gegen Frei 1969 die Sozialistische Partei Allendes die Stunde des gewaltsamen Umsturzes zugunsten einer sozialistischen Entwicklung gekommen sah. Er berücksichtigt den Beitrag nicht, den die Streitkräfte trotz des Attentats auf ihren Oberbefehlshaber bei der Installierung der demokratisch gewählten Regierung Allende leisteten — gegen alle Anfeindungen von innen und außen — und läßt ebenfalls die Regierungsbeteiligung der Streitkräfte seit Oktober 1972 außer acht, durch welche die zivile Opposition gegen Allende gebändigt werden konnte. Die zentrale Frage, warum es der Allende-Regierung nicht gelang, die Streitkräfteführung — zur Verfassungstreue verpflichtet— für die sozialistische Entwicklung Chiles bei der Stange zu halten, wird zugunsten einer angeblich . objektiven'Entwicklungsgesetzlichkeit (der Keim des Putsches von 1973 liegt im sog. Tacnazo von 1969) aufgegeben, die die Volkseinheit von der (zumindest Mit-) Verantwortlichkeit für das Eingreifen der Militärs in die Politik und die daraus erwachsenden ökonomischen und sozio-politischen Folgen freihält. Angesichts der Breite der Ausführungen, die eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Thesen der marxistischen Linken zu Chile annehmen müßte, wird der Leser verstehen, daß die folgenden Darlegungen sowohl des Textes als auch der Anmerkungen auf eine solche Diskussion verzichten.

  10. Augusto Pinochet im Interview mit der Bunten Illustrierten, Nr. 40 vom 27. September 1973, S. 17. 11) Dazu ausführlicher Dieter Nohlen, Chile (s. Anm. 2), S. 91 ff.

  11. Allerdings nicht ohne von Allende in einem Verfassungsstatut die Zusicherung zu verlangen, daß die Politik der Volkseinheit die bestehenden Institutionen und Spielregeln der parlamentarischen Demokratie respektieren würde. Doch muß hervorgehoben werden, daß zwischen Allende und den Christdemokraten weitgehend Übereinstimmung in den antikapitalistischen und antiimperialistischen Strukturreformen (Agrarreform, Nationalisierung des Kupfer, Verstaatlichung strategischer Industrieunternehmen etc.) bestand.

  12. Dazu im einzelnen Dieter Nohlen, Chile, (s. Anm. 2), S. 166 ff.

  13. So die Grundsatzerklärung der Militärregierung; s Repüblica de Chile, Junta de Gobierno: Declaraciön de Principios del Gobierno de Chile, hekt. Santiago 11. März 1974.

  14. Gustavo Leigh, zit. nach Pedro Santillana, Chile: Anälisis de un ano de gobierno militar, Buenos Aires 1974, S. 110.

  15. Ebenda, S. 63.

  16. Ebenda, S. 127.

  17. So etwa in Bolivien (Generäle Barrientos, Ovando, Torres und Banzer) oder in Venezuela (Admiral Larrazabal).

  18. So etwa in Argentinien (General Levingston) oder Brasilien (General Geisel). Das neue Militärregime in Argentinien, das auch dem Putsch vom 24. März 1976 hervorging, kündigte die Übergabe der Regierung an einen Militär an, der der Junta, die von den drei Chefs der Waffengattungen unter Leitung von General Videla, verantwortlich sei. General Videla ließ sich jedoch inzwischen zum Staatspräsidenten proklamieren, so daß das Modell, dem die Militärherrschaft folgen wird, noch offen ist.

  19. Dies betrifft insbesondere die Bedeutung des Innenministeriums, das in der Hierarchie der Ministerien in der präsidialen Demokratie traditionell lerweise den zweiten Platz einnimmt. Unter der Militärregierung trat es diese Position immer dann an das Verteidigungsministerium ab, wenn der Stellvertreter Pinochets im Oberbefehl des Heeres und der Streitkräfte dieses letzte Ministerium inne-hatte. Dies traf zeitweise für General Bonilla zu und besteht gegenwärtig für General Brady.

  20. Nach Grundsatzerklärung (s. Anm. 14).

  21. S. dazu noch immer Osvaldo Sunkel, Cambio y frustraciön en Chile, in: Claudio Veliz, Obstaculos para la trasformaciön de America Latina, Mexiko 1969, S. 112— 144.

  22. Pedro Santillana, Chile (s. Anm. 15), S. 42.

  23. Latin America Economical Report (L. A. Ec. Rep.), 30. Januar 1976, Bd. IV, Nr. 5.

  24. El Mercurio, 29. Februar 1976.

  25. L. A. Ec. Rep. (s. Anm. 26). Nach Chile-America 14— 15, 1976, S. 26, wurde vom 30. 9. 1973 bis 30. 6. 1975 die öffentliche Verwaltung von 332 640 auf 265 630 Funktionäre reduziert.

  26. Bundesstelle für Außenhandelsinformation (BfA), Chile: Wirtschaftliche Entwicklung 1974, Köln 1975, S . 13.

  27. Daten nach CEPAL, Estudo Economico de America Latina 1974, Santiago 1975.

  28. BfA (s. Anm. 30).

  29. L. A. Ec. Rep., 5. Dezember 1975, Bd. III, Nr. 48.

  30. L. A. Ec. Rep., 14. November 1975, Bd. III, Nr. 45.

  31. Chile-America 14— 15, 1976, S. 25 f.

  32. S. dazu im einzelnen Dieter Nohlen und Klaus Schäffler, Die wirtschaftlichen Gründe des Scheiterns von Salvador Allende, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, Jg. 19/1974, S. 43— 65.

  33. BfA (s. Anm. 30), S. 2.

  34. S. die als konservatives Standardwerk angesehene Schrift von Milton Friedman, Kapitalismus und Frieden (1962), Stuttgart 1971.

  35. Joan Robinson, Ökonomische Theorie als Ideologie (1971), Frankfurt 1974, S. 72.

  36. Demgegenüber begründet James O'Connor, Die Finanzkrise des Staates, Frankfurt 1974, die These, daß „je schneller das Wachstum des Monopolsektors ist, desto größer sind die Aufwendungen des Staates für die sozialen Unkosten der Produktion", S. 20.

  37. L. A. Ec. Rep., 9. Mai 1975, Bd. III, Nr. 18.

  38. Le Monde, 23. März 1975. Die Differenzen ergeben sich aus unterschiedlichen Zusammensetzungen der Warenkörbe.

  39. Comercio Exterior: Chile — Dos anos de dictadura, Bd. 25/1975, S. 1016 (Mexiko). Am 29. 10. 1975 wurde die frühere Währung Chiles, der Peso, wieder eingeführt, 1 000 Escudos wurden ein Peso.

  40. Le Monde, 11. März 1975.

  41. Le Monde, 11. April 1975.

  42. Comercio Exterior: Chile (s. Anm. 43).

  43. Ebenda.

  44. Eduardo Frei gab den Kaufkraftrückgang für 1974 im Vergleich zu 1969 mit 35°/o an; Eduardo Frei, El mandato de la historia y las exigencias del porvenir, Santiago 1975, S. 59.

  45. Süddeutsche Zeitung, 25. Juli 1975.

  46. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte etwa wieder den Stand des Jahres 1972. Während der Agrarsektor ein Wachstum von 12, 6 °/o und der Bergbau-sektor von 19, 5% gegenüber dem Vorjahr aufwiesen, erreichte die Industrie nur eine Zunahme von 0, 9 %. Daten nach OEA (Organisation Amerikanischer Staaten): Situaciön, principales problemas y perspectivas de la economa de Chile, Washington, 11. Februar 1975.

  47. L. A. Ec. Rep., 28. März 1975, Bd. III, Nr. 13.

  48. L. A. Ec. Rep., 19. Dezember 1975, Bd. III, Nr. 50.

  49. So Pedro Vüscovic, Ex-Wirtschaftsminister in den ersten Kabinetten Allendes, in: Le Monde, 13. Mai 1975.

  50. Chile-America 14— 15, 1976, S. 29.

  51. Ebenda. Der erste Reajuste für 1976 wurde auf 32 °/o angesetzt und erreicht in etwa die Höhe der Inflation; Mercurio, 4. März 1976.

  52. L. A. Ec. Rep., 13. Februar 1976, Bd. IV, Nr. 7.

  53. L. A. Ec. Rep., 5. Dezember 1975, Bd. III, Nr. 48.

  54. L. A. Ec. Rep., 6. Februar 1976, Bd. IV, Nr. 6; die Daten stimmen mit denen der chilenischen Zentralbank überein, s. L. Monde, 24. Februar 1976.

  55. S. Informe Econömico vom 7. März 1976, in Ercilla Nr. 2119/1976, S. 30 f.

  56. Zit. nach L. A. Ec. Rep., 9. Mai 1975, Bd. III, Nr. 18.

  57. S. das Interview mit Eduardo Frei in der chile-nischen Wochenzeitschrift Ercilla vom 28. Mai 1975.

  58. Der „estado de sitio" (Ausnahmezustand), der unter zivilen Regierungen die Übertragung der Funktion, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, an die Streitkräfte bedeutet und empfindliche Einschränkungen der persönlichen Freiheiten (etwa Ausgangssperre) und kollektiver Rechte (Versammlungs- und Assoziationsrecht) beinhaltet, ist uneingeschränkt in Kraft. Aufgehoben wurde hingegen am 1. Jahrestag des Putsches der „estado de guerra" (innerer Kriegszustand), der eine höhere Stufe des „estado de sitio" bedeutet mit Militärgerichtsbarkeit im Falle von Verstößen gegen die Ausnahme-Ordnung.

  59. Interview in Ercilla, Nr. 2020 /März 1974, S. 21 ff., hier S. 24.

  60. Süddeutsche Zeitung, 2. /3. und 13. /15. August 1975.

  61. Le Monde, 25. März 1975.

  62. Vgl. El Mercurio, 7. Juli 1975.

  63. Süddeutsche Zeitung, 21. August 1975.

  64. Zum ersten Jahrestag des Todes von General Bonilla ist die Militärführung in den Gedenkfeiern sehr darum bemüht gewesen, dem Gerücht entgegenzuwirken, Bonilla könnte aus dem Wege geräumt worden sein; s. Mercurio, 4. März 1976.

  65. Pedro Santillana, Chile (s. Anm. 15), S. 68.

  66. S. die Kritik des konservativen Philosophen Jorge Millas in: Mercurio, 3. Januar 1976.

  67. In: Mercurio, 9. Januar 1976.

  68. Daten nach Informe Universitario vom 17. März 1976, in: Ercilla, Nr. 2120/1976, S. 27 f.

  69. Ebenda, S. 31. Der Mercurio stellte in seiner Ausgabe vom 3. März 1976 (Edicion Internacional om 6. März 1976) die Tatsache heraus, daß Chile in der Alphabetisierung mit einer Rate von 90 % unter den ersten Ländern der Welt zu finden ist, eine Leistung der Vorregierungen (vor allem seit 1964), die nun die schweren bildungspolitischen Fehlentwicklungen unter der Militärjunta kaschieren helfen soll. Uber die Emigration liegen kaum Da n vor. Seit September 1973 sollen allein in das N barland Argentinien 150 000 Chilenen emifsein. Diese Zahl nannten der Vorsitzende uv der Sekretär der ökumenischen argentinischen F üchtlingskommission, die Pfarrer Emilio Monti und Armin Ihle, in Gesprächen mit Vertretern des Weltkirchenrates und des lutherischen Weltbundes in Genf. Süddeutsche Zeitung, 17. Februar 1976.

  70. Zwar wird in der juntaapologetischen Presse viel von der Notwendigkeit des Aufbaus eines „Movimiento Civico" gesprochen, doch herrscht über die Rolle, die eine solche Bewegung spielen soll, wenig Konsens. An eine Einheitspartei scheint freilich niemand zu denken. Auch wird vermieden, in einer solchen Bewegung eine Alternative zur Machtausübung durch das Militär zu sehen. Die Bewegung soll vielmehr die Prinzipien der Junta aufgreifen und propagieren.

  71. Daten nach Christian Zeegers, Las fuerzas armadas, in: Vision critica de Chile, Santiago 1972, S. 331. Zählt man Streitkräfte und Carabineros zusammen, so hat Chile nach Kuba die größte Zahl von Personen unter Waffen in Lateinamerika, bezogen auf die Einwohnerzahl. Nach dem Putsch wurden technische Ausrüstung und Sold wesentlich verbessert. Der Ausbildungsstand ist hoch, die Disziplin preußisch. Die US-Militärhilfe für Chile (1946 bis 1970: 151, 9 Mio. US-Dollar) wird nur von Brasilien übertroffen. S. Lisa North, Los militares en la politica chilena, in: Chile—America, 10— 11/1975, S. 64— 83.

  72. S.den jüngsten Bericht des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs über seinen Besuch im Lager „ 3 Alamos", Mercurio, 5. März 1976.

  73. Vgl. Klaus von Beyme, Vom Faschismus zur Entwicklungsdiktatur. Machtelite und Opposition in Spanien, München 1971, S. 100 ff.

  74. Siehe dazu noch jüngst die sechsseitige PR-Anzeige im Handelsblatt Nr. 197 vom 14. Oktober 1975: . Investieren in Chile', die über die Wirtschaft in Chile mehr verschweigt als informiert. Daß sich an solchen Werbeaktionen für die Junta auch deutsche Entwicklungshelfer beteiligen (Willy Otten, Arbeitsbedingungen in Chile, in: FAZ, 20. März 1976), muß allerdings höchst erstaunen. Jeder deutsche Investor sollte wissen, daß er sich in den Dienst einer kleinen Minderheit mit wirtschaftlicher Monopolstellung begibt und sich der Ausbeutung des ohnehin schwer leidenden chile-nischen Volkes schuldig macht.

  75. S. G. Pardo K., Comentario al nuevo Estatuto de la Inversion Extranjera en Chile, in: Comercio Exterior, 24/1974, S. 1038— 1043.

  76. L. A. Ec. Rep., 13. Februar 1976, Bd. IV, Nr. 7.

  77. BfA (s. Anm. 30), S. 7 f.

  78. Süddeutsche Zeitung, 25. Juli 1975.

  79. chilenische Die Auslandsverschuldung belief sich zum 31. Dezember 1974 auf insgesamt 4, 47 Mrd. US-$. S. dazu Dieter Nohlen, Chile, in Dieter Nohlen und Franz Nuscheler (Hrsg.), Handbuch der Dritten Welt, Bd. III (s. Anm. 18), Tabelle 20.

  80. Im Jahre 1976 will die Militärjunta keine Umschuldungsverhandlungen aufnehmen, da die Höhe der Schuld, über die verhandelt werden könnte, nach Meinung der Junta keine politischen Konzessionen rechtfertigt, auf die der Club of Paris drängen würde; Chile—America 14— 15, 1976, S. 27.

  81. L. A. Ec. Rep., 13. Februar 1976, Bd. IV, Nr. 7. 86) Chile-Nachrichten, Die Außenpolitik der Junta, Nr. 28, 3. Jg., 4. 7. 1975, S. 7 f.

  82. Frankfurter Rundschau, 12. Februar 1976.

  83. L. A. Ec. Rep., 31. Oktober 1975, Bd. III, Nr. 43; das chilenische Blatt „El Cronista" kommentierte die durchgesickerte Absicht Fords mit der Unterstellung, „Ford verbünde sich mit den Linksradikalen".

  84. Zit. nach Süddeutsche Zeitung, 20. Februar 1976.

  85. Mercurio, 5. März 1976.

  86. Ebenda. Zum Problem s.den Aufsatz in Mensaje, Normalizacion de las relaciones entre Chile y Bolivia, 237/1975, S. 116 f.; Chile—America 14— 15/1976, S.

  87. Mercurio, 31. Januar 1976.

  88. Einen wesentlichen Impuls zur Lösung der Korridorfrage dürften die „Koordinierungsgespräche" der Präsidenten Banzer, Bordaberry, Geisel, Pinochet und Strössner bei der Amtseinführung des brasilianischen Präsidenten Ernesto Geisel im Mai 1974 ausgeübt haben, die Klaus Lindenberg als „Harmonisierungsstrategie bei ähnlichen Interessenlagen auf der Grundlage politischer Affinität" interpretiert. Lindenberg, Wie „abhängig" sind die lateinamerikanischen Militärs, hekt., Caracas 1975, S. 36.

  89. Texte der verschiedenen Erklärungen in: Institut für Internationale Solidarität (s. Anm. 7), S. 119 ft.

  90. Text der Erklärung in: Florencia Varas und Jose Manuel Vergara, Operaciön Chile, Madrid und Buenos Aires 1973. Auch in Pedro Santillana, Chile (s. Anm. 15) S. 208 ff.

  91. S. dazu die von führenden Vertretern der Exil-Christdemokraten in Verbindung mit christlichen Sektoren der Volkseinheit (Izquierda Christiana, MAPU) herausgegebene Informationsschrift zu den Vorgängen in und um Chile: Chile-America, die vom Centro de Estudios y Documentaciön in Rom verlegt wird. S. auch Le Monde, 7. August 1974.

  92. Eduardo Frei, El mandato (s. Anm. 48).

  93. S. Dieter Noblen, Chile (s. Anm. 2), S. 115 ff.

  94. Zit. nach Pablo Santillana, Chile (s. Anm. 15), S. 112.

  95. Radomiro Tomic läßt sich in seinen politischen Analysen allzusehr von Wunschvorstellungen leiten. Es sei nur daran erinnert, daß Tomic 1970 als Kandidat der PDC bei den Präsidentschaftswahlen einen Wahlkampf führte, als sei er der Kandidat eines linken Parteienbündnisses, das er zwar anstrebte, das aber nicht zustande kam. Nach dem Putsch schloß er sich der Erklärung jener Abgeordneten der PDC an, die den Putsch verurteilten, wandte sich aber wenige Wochen später an General Leigh mit der Vorstellung, jetzt sei die Stunde gekommen für ein Bündnis der Militärs mit den fortschrittlichen Parteien zum Aufbau eines Neuen Chile.

  96. So Renan Fuentealba in einem Schreiben an Patricio Aylwin, veröffentl. in El Cronisla, 8. September 1975.

  97. Das Treffen kam anläßlich eines Seminars von ILDIS/Caracas zustande. Die Erklärung unterzeichneten u. a. Renan Fuentealba und Bernardo Leigthon von der PDC, Clodomiro Almeyda (Außenminister unter Allende) und Aniceto Rodriguez von der Sozialistischen Partei, Hugo Miranda, Carlos Morales und Anselmo Sule von der Radikalen Partei sowie Rafael A. Gumucio von der Izquierda Cristiana. Text der Erklärung abgdr. in: Chile— America, 10— 11/1975, S. 144 f.

  98. Text in: Chile—America, 10— 11/1975, S. 138— 144.

  99. Auf diese Charakterisierung einigte man sich und verwarf alle anderen Einordnungsversuche der Militärdiktatur, etwa als „bonapartistisch".

  100. Carlos Altamirano von der Sozialistischen Partei befindet sich folglich innerhalb des taktischen Spielraums, wenn er als einzige Möglichkeit der Gegenwehr gegen die Repression durch die Junta die bewaffnete Aktion propagiert; s. das Interview mit Altamirano in: Mundo, 3. 1. 1976, S. 58 ff., hier S. 59.

  101. Text des Aufrufs in: Pablo Santillana, Chile (s. Anm. 15), S. 236— 249.

  102. Declaraciön de Berlin, zit. nach Chile—America, 10— 11/1975, S. 142.

  103. Stellvertretend für ähnlich ungenaue Analysen der marxistischen Linken, unter denen vor allem solche früherer Mitglieder der PDC hervorstechen (etwa Julio Silva Solar), mögen hier einige Sätze aus der Untersuchung von Pedro Santillana, Chile (s. Anm. 15) stehen: „Die Großbourgeoisie, die Nationalpartei und die militärische Putschkamarilla werden niemals friedlich die PDC an die Macht lassen"; „die PDC kann weder in kurzer noch in mittelfristiger Perspektive die politische Alternative zur Diktatur sein". „Die PDC kann sich nur als Partei rekonstituieren und eines Tages eine Rolle spielen, wenn die Diktatur sich in der Macht verfestigt und über lange Zeit Chile regieren wird." Solche Äußerungen besagen in sich wenig und können vor allem keine Aussicht eines abrupten Regimewechsels zugunsten der marxistischen Linken begründen (a. a. O., S. 114 f.).

  104. S. dazu den Bericht: Die Kirche nach dem Sturz Allendes, in: Herderkorrespondenz 11/1973, S. 549 ff.

  105. Ohne Verständnis für die Situation der Kirche in Chile und mit sektiererischen Implikationen ist die diesbezügliche Kritik: Contradicciones en la iglesia chilena, in: Chile—Amerika, 10— 11/1975, S. 47 ff.

  106. S. Declaraciön de los Obispos de Chile: Chile, pais de hermanos. La reconciliaciön en Chile, April 1974, Santiago.

  107. Süddeutsche Zeitung, 8. August 1975.

  108. Ebenda.

  109. Zur Volksküchen-Aktion s. Mensaje, 240/1975, S. 310 f., 241/1975, S. 341 f.

  110. L. A. Ec. Rep., 10. Oktober 1975, Bd. IV, Nr. 40.

  111. S. die Dokumentation in: Mensaje 245/1975, S. 596 ff. und in: Chile—America 12— 13/1975, S. 41 ff.

  112. L. A. Ec. Rep., 21. November 1975, Bd. IV, Nr. 46.

  113. Brief Pinochets an Kardinal Silva Henriquez, abgdr. in-Chile—Amerika 12— 13/1975, S. 41.

  114. Antwort des Kardinals an Pinochet, abgdr. ebenda, S. 42; L. A. Ec. Rep., 28. November 1975, Bd. IV, Nr. 47.

  115. Chile—America, 14— 15/1976, S. 7 f.

  116. Der Fall humanitärer Hilfeleistung für die MIR-Angehörigen wurde in polemischer Absicht aufgegriffen; s. Jaime Ruiz-Tagle P., Division en la iglesia catölica? El caso de los miristas pröfugos, in: Mensaje 245/1975, S. 543— 546.

  117. La iglesia del silencio en Chile, hrsg. von der Sociedad Chilena de Defensa de la Tradiciön, Familia y Propiedad, Santiago 1976.

  118. S. La excomuniön de Fiducia, in: Ercilla 2120/März 1976, S. 13— 15.

  119. Ebenda, S. 13.

  120. Ediciön Internacional, 25. — 31. Januar, S. 3.

  121. Mercurio, 31. Januar 1976.

  122. Der Spiegel druckte Auszüge der Schrift in Nr. 11/1976, S. 124 ff., ab. Allerdings ist die Vorinformation zu den Auszügen fehlerhaft: Frei hat nicht erstmals mit dieser Schrift, sondern bereits früher die Junta kritisiert, etwa im Interview mit Ercilla vom 28. Mai 1975.

  123. Eduardo Frei, El mandato (s. Anm. 48), S. 10.

  124. Die Bedeutung dieses Bruchs liegt außenpolitisch vor allem in einer weiteren Isolierung der Junta. Auch die CDU hat nun nicht gezögert, auf Oppositionskurs gegen das Pinochet-Regime zu gehen.

  125. Eduardo Frei, El mandato (s. Anm. 48), S. 12 f.

  126. Ebenda, S. 78 f.

  127. Diese Interpretation machen sich auch Teile der Exil-PDC zu eigen, s. etwa: Frei y Colonia Tovar, in: Chile—America, 14— 15/1976, S. 21. Eine besonders böse Entgleisung bei der Kommentierung der Frei-Schrift leistete sich der von Peter Corterier (MdB) herausgegebene Expres Espanol in seiner Ausgabe 67/April 1976, S. 44 f., in der Eduardo Frei des Mordes an Salvador Allende beschuldigt wird. Man muß sich wundern, daß Autoren wie Oscar Weiß, von dem der Beitrag stammt, nun auch in Deutschland erscheinenden Zeitschriften Haß und Zwietracht säen können, nachdem sie bereits unter der Allende-Regierung durch ihre zügellosen Haßtiraden die politische Atmosphäre vergiftet haben.

  128. Bosco Parra, Frei: Diciembre 1975, in: Chile— America, 14— 15/1976, S. 69— 71, hier S. 71.

  129. Texte der Reden, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, in: Mercurio, Ediciön Internacional, 25. — 31. Januar 1976; Kurzfassungen auch in: Chile—America, 14— 15/1976, S. 17— 20.

  130. Die Analysen und Strategien sämtlicher politischer Parteien der Opposition gehen im übrigen von gruppentheoretischen Ansätzen aus. Selbst Carlos Altamirano fundiert seine Überlegungen zum bewaffneten Kampf darauf, daß die Streitkräfte kein monolithischer Block seien (Mundo, 3. 1. 1976, S. 60). Erst recht setzen die gemäßigten Parteien der Mitte und der Mittelschichten auf die ihren politischen Entwürfen gegenüber aufgeschlossenen Gruppen innerhalb der Streitkräfte.

  131. L. A. Ec. Rep., 9. Januar 1976, Bd. V, Nr. 2.

  132. Ercilla, 24. 4. 1974.

  133. Zeitschrift VEA, 2. Mai 1974.

  134. L. A. Ec. Rep., 9. Januar 1976, Bd. V, Nr. 2.

  135. Nach einem Bericht der Corriere della Sera soll Arellano Stark nach seiner Entlassung gesagt haben: „Der Intelligenzquotient des Präsidenten ist gleich null; es ist notwendig, daß er sein Amt räumt, andernfalls ist es der Ruin für uns alle", Corriere della Sera, 9. 2. 1976.

  136. S. La confirmacion de Cauas, in: Ercilla, 2120/1976, S. 9 f.

Weitere Inhalte

Achim Wachendorfer, M. A., Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, Doktorand an der Universität Heidelberg, geb. 1948, Studium der Geschichte, Germanistik und Politischen Wissenschaft, mehrere Lateinamerikaaufenthalte.