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Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaats? Zum Thema: „Politischer Terrorismus und Rechtsordnung“ | APuZ 13/1976 | bpb.de

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APuZ 13/1976 Artikel 1 Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaats? Zum Thema: „Politischer Terrorismus und Rechtsordnung“ Die Strategie des Terrorismus

Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaats? Zum Thema: „Politischer Terrorismus und Rechtsordnung“

Rudolf Wassermann

/ 48 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Terroristischen Aktivitäten kann kein Staat tatenlos zusehen, ohne sich selbst aufzugeben, schon gar nicht der Rechtsstaat, der die Herrschaft von Willkür durch die des Rechts zu ersetzen bemüht ist. Nicht das „ob" staatlicher Reaktionen auf den politischen Terrorismus steht daher zur Debatte, sondern allein das „wie". Da die Angst, die der Terror erzeugt, die Bereitschaft erhöht, Freiheitsrechte gegen Sicherheit und Ordnung einzutauschen, besteht die gleichsam natürliche Reaktion des Bürgers wie des Politikers darin, nach härteren Strafgesetzen zu rufen und die Freiheitsrechte zu reduzieren. Was man im demokratischen Rechtsstaat der Sicherheit hinzufügt, geht jedoch häufig der Freiheit verloren. Wenn nicht abwägend und mit Bedacht verfahren wird, besteht die Gefahr, daß die Reaktionen auf den politischen Terrorismus den freiheitlichen Rechtsstaat nicht sichern, sondern aushöhlen — und damit den Zielen der Terroristen entsprochen wird. Der Beitrag untersucht, ob und inwieweit die Gesetzesänderungen, die seit der Ermordung des Präsidenten des Berliner Kammergerichts im November 1974 vorgeschlagen wurden, diese Gefahr des „Reagierens im Übermaß" vermeiden. Im Mittelpunkt steht eine kritische Würdigung der Vorschläge zur Überwachung von Verteidigern, zur Verschärfung des Haft-und Demonstrationsrechts, zur Einführung des „Kronzeugen", zur Strafbarkeit von Gewaltbefürwortung und zur Zulässigkeit des gezielten Todesschusses. Zum Schluß setzt sich der Beitrag mit der Frage auseinander, was junge Menschen dazu bringt, anstelle der sozialen Demokratie der Bundesrepublik mit ihren Entwicklungsund Verbesserungschancen notfalls mit Gewalt für ein anderes gesellschaftliches System einzutreten.

Im Vorwört zu dem vom Autor herausgegebenen, in diesen Tagen im Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied, erscheinenden Sammelband „Terrorismus contra Rechtsstaat" heißt es: „Müssen wir, um uns der Gefahren des politischen Terrorismus zu erwehren, rechtsstaatliche Errungenschaften der Bundesrepublik rückgängig machen? War das, was in den sechziger Jahren unserer politischen Ordnung an freiheitlichen Elementen hinzugefügt wurde, nur für die Schönwetterdemokratie bestimmt? Oder ist Rechtsstaatlichkeit ein so zentraler Wert für unsere Gesellschaft, daß um seinetwillen Behinderungen bei der Bekämpfung politischer Terroristen in Kauf zu nehmen sind? Es sieht so aus, als ob der Rechtsstaat der Verlierer sein muß, wenn er durch den politischen Terrorismus herausgeiordert wird. Vielleicht besteht aber doch die Chance, die Krise, in die uns die Aktivitäten der Terroristen gestürzt haben, für einen Denkprozeß nutzbar zu machen, in dem das Bewußtsein für den Wert freiheitlicher Rechtsprinzipien in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft geschärft wird." Aus dem Buch wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages auszugsweise der Beitrag des Autors „Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaats?" abgedruckt. Andere Beiträge des Bandes befassen sich mit der Erklärung von Extremismus und Terrorismus (Klaus von Beyme, Frank Benseler, Hans Josef Horchern), mit der Abwehr des politischen Terrorismus (Wilhelm H. Mensing) und mit der Strafjustiz in den Terroristenprozessen (Josef Augstein, Theo Rase-horn, Peter Doebel).

Liberty dies by inches Die Freiheit stirbt zentimenterweise Englisches Sprichwort

I.

Wer den politischen Terrorismus als eine Geißel der Menschheit definiert, mit der wir uns nicht abfinden dürfen, hat meine volle Zu-c Stimmung. Während dieser Beitrag in den Satz ging, tobte der Bürgerkrieg in Irland und Angola, herrschten bürgerkriegsähnliche ZuStände in Beirut. Unruhen, wohin man auch blickt, über terroristische Aktivitäten wird iaus Südamerika, dem Nahen Osten, Südostasien, Japan, Argentinien, den Vereinigten Staaten, Kanada, Italien und Großbritannien berichtet. In den Niederlanden wurden gleich zwei Geiseldramen auf einmal inszeniert, das eine auf der Eisenbahn in Beilen, das andere in Amsterdam. In dem sonst so friedlichen Wien haben Terroristen das Generalsekretariat der OPEC überfallen, sich der Minister jener Staaten bemächtigt, die sich in dieser Erdölorganisation zusammengeschlossen ha3 ben. „Piratenweihnacht" war denn auch der Leitartikel der Neuen Zürcher Zeitung überschrieben.

Politischer Terrorismus ist also ein internationales Phänomen. In der Bundesrepublik sind wir bisher vergleichsweise sogar glimpflich davongekommen, jedenfalls, wenn wir etwa an die Verhältnisse denken, unter denen z. B. Großbritannien leidet. Dort gehören das Hilton-Hotel in London, das Nobelkaufhaus Harrod und das Mayfair-Restaurant „Scotts" ebenso zur Front des Guerilla-Krieges wie das nordirische Ulster-Gebiet, wo offener Terror herrscht. Als der britische Bürger Ross McWhirter für die Ergreifung von Bombenlegern eine Belohnung von 50 000 Pfund aussetzte, bezahlte er dafür mit seinem Leben: die Terroristen demonstrierten ihre Macht. „Living with Terrorism" setzte Richard Clutterbuck, früher Generalmajor der britischen Armee und heute englischer Hochschuldozent, als Titel über sein 1975 erschienenes Buch über den internationalen Terrorismus Aus der Rand Corporation, der berühmten amerikanischen „Denkfabrik“, wird prophezeit, daß der Terrorismus nicht etwa seinen Höhepunkt überschritten hat, sondern noch weiter zunehmen wird

Man kann verstehen, daß Besucher aus Großbritannien unter diesen Umständen die Bundesrepublik als Insel des Friedens betrachten. Aber ist dies Bild nicht trügerisch? Auch wir haben allen Anlaß, uns mit dem politischen Terrorismus zu beschäftigen. Als am 31. Oktober 1968 das Landgericht Frankfurt am Main gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin u. a. wegen vorsätzlicher menschengefährdender Brandstiftung eine Freiheitsstrafe von jeweils drei Jahren verhängte hatte wohl niemand geahnt, daß die späteren Aktivitäten der Terroristen die bundesdeutsche Gesellschaft in Furcht und Schrecken versetzen, zu innenpolitischen Krisen und zu heftigen geistigen und politischen Auseinandersetzungen führen würden. 1972 schien die Gefahr gebannt, als kurz nacheinander Baader, Meins, Raspe, Ensslin und Ulrike Meinhof festgenommen wurden. Zwei Jahre später, im November 1974, wurde aber der Präsident des Kammer-gerichts in Berlin ermordet, und nur wenige Monate vergingen, bis der Terror in der Bundesrepublik im Februar 1975 mit der Entführung des Berliner Abgeordneten Lorenz seinen spektakulären Kulminationspunkt erreichte. Auch der Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm am 24. April 1975 muß der bundesdeutschen Terroristenszene zugerechnet werden. Seither sind die Maßnahmen zur Fahndung nach den Terroristen außerordentlich aktiviert worden. Keine Stelle oder Person kann aber garantieren, daß die Erfolge der Polizei die Guerilla-Gruppen zerschlagen, aus der Bundesrepublik vertrieben oder in ihrer Aktivität so eingeschränkt haben, daß künftig keine Anschläge mehr zu befürchten sind.

Auch die Geschichte hält nur wenig Trost bereit. Sicher, Terroristen kommen und gehen. Aber der anarchistische Terrorismus in Europa und Amerika, in dem viele den Vorläufer heutiger terroristischer Bewegungen sehen, war keine kurzlebige Angelegenheit; seine Blütezeit reichte von 1881 bis 1914. So viele Terroristen man auch hängte oder köpfte, die Bombenanschläge hörten nicht auf. Nach Ravachols Hinrichtung im Jahre 1892, von der man ein Abflauen der terroristischen Bewegung erwartete, fing der Terror erst richtig an. 1894 wurde der französische Präsident Carnot ermordert, 1897 der spanische Premierminister Canovas del Castillo, 1898 die Kaiserin Elisabeth von Österreich, 1900 der italienische König Umberto I. Erst der Terror des Krieges verdrängte 1914 den Terror der Anarchisten. Letztlich schärft der Rückblick auf diese „Propagandisten der Tat", die seinerzeit die dramatischen Möglichkeiten der Gewaltanwendung gleichsam entdeckten (Kropotkin: „Alles ist für uns gut, was außerhalb des Gesetzes liegt") und die Gesellschaft umwandeln wollten, nur den Blick für die erhöhte Gefährdung, die heute besteht.

Mochte ein Anarchist wie Ravachol durch Bomben auch Paris in Schrecken versetzen, so waren doch die technischen Mittel des Terrorismus in jener Zeit begrenzt. Technische Errungenschaften wie der Luftverkehr, neue Waffen und die Verwundbarkeit unserer modenen Gesellschaft spielen dagegen heute den Terroristen in die Hände, nicht zuletzt die Entwicklung der Kommunikationsmittel, die es dem Zuschauer gestattet, am Radio oder Fernseher das Schauspiel zu verfolgen, wenn nicht sich am Kampf der Terrorgruppen oder der staatlichen Behörden stellvertretend zu beteiligen. Die Chance gewalttätiger Minderheiten, Aufmerksamkeit zu erwecken, Menschen aufzurütteln, zu ängstigen, einzuschüchtern, zu Freunden oder aktiven oder passiven Helfern zu gewinnen, ist unter diesen Verhältnissen enorm groß, jedenfalls weit größer als früher.

Daß gerade dies das Ziel terroristischer Aktivität ist, scheint mir ausgemacht zu sein. Terrorismus ist Gewaltanwendung nicht als Selbstzweck, sondern um der Wirkung willen. Er ist ein Mittel der Politik: Schrecken soll Angst hervorrufen und Unsicherheit bewirken. Wer Terror einsetzt, demonstriert seine Handlungsfähigkeit, seine Macht, seinen Kampfwillen, seine Todesbereitschaft, die bewegende Kraft seiner eigenen Ansprüche. Terrorismus ist rechtsfeindlich. Nicht nur, daß er das geltende Recht mißachtet, partiell außer Kraft setzt und die verhöhnt, die es setzen, hüten oder befolgen, er will auch deutlich machen, daß „jedermann jederzeit immer und überall bedroht ist" Während Recht Sicherheit verheißt, den Bürgern die Zusicherung gibt, daß ihnen nichts geschieht, wenn sie sich normgemäß verhalten, Straflosigkeit sogar für jedes Tun verspricht, das nicht vorher für ausdrücklich strafbar erklärt war, plakatiert der Terrorismus bewußt die Willkür. Jeden kann der Terror treffen, ohne Rücksicht auf seine Stellung und seine Nähe zur Sache. „Schuld“ und „Unschuld" sind hier überholte Kategorien, und oft gilt die Gewalt gar nicht den eigentlichen Opfern, sind diese nur die Mittel, Aufmerksamkeit zu erzwingen.

Außer Frage steht indessen auch das Recht unseres Staates, sich gegen Terror zu verteidigen. Terroristischen Aktivitäten kann kein Staat tatenlos zusehen, ohne sich selbst aufzugeben, erst recht nicht der Rechtsstaat, der die Herrschaft der Willkür durch die des Rechts ersetzen will und davon lebt, daß dem Recht Achtung und Gehorsam entgegengebracht werden. Jeder Gewaltakt, der von der Rechtsordnung mißbilligt wird, stellt dieses System in Frage. Keine Rolle spielt dabei, mit welchen Theorien der Terror von denen, die Gewalt anwenden, philosophisch legitimiert wird.

Radikale Gedanken haben vom Grundgesetz her ihre Chance im „Freihandel von Ideen“, der ein konstitutives Element der liberalen Demokratie ist. Ebenso haben extreme Gruppierungen das Recht auf freie Meinungsäußerung wie auf Teilnahme am Wettbewerb um die politische Macht. Wer den Rechtsstaat ernst nimmt, muß daher für die Freiheit des Andersdenkenden eintreten, auch wenn er dessen Auffassungen ablehnt oder für schädlich hält. Voraussetzung ist dabei jedoch, daß diese Personen oder Gruppen ihre Ansichten nach den Regeln der für alle geltenden Gesetze vertreten. Wer Bomben legt, Politiker entführt, Geiseln festsetzt oder Attentate plant oder durchführt, tut das nicht. Er bewegt sich nicht im Rahmen des legalen politischen Prozesses, sondern bricht das Gesetz und bestreitet dem Staat das Monopol physischer Gewaltanwendung.

Die Auffassung, daß die Terrorakte in der Bundesrepublik konzeptionslos begonnen würden, ist längst widerlegt; sie wird heute auch von keiner Seite mehr vertreten. Von ihren Urhebern werden die Aktionen als Gegengewalt gegen die im Staat konzentrierte und verfaßte Gewalt hingestellt. Was wird mit ihnen beabsichtigt? Die Terroristen begreifen sich als Kämpfer im Befreiungskrieg der „Verdammten dieser Erde". Mit Mao glauben sie, daß die politische Macht aus den Gewehrläufen kommt, mit Frantz Fanon, daß nur die Gewalt sich auszahlt. Sie versuchen, eine „revolutionäre Situation" zu schaffen, „in langfristiger Zeitperspektive Bedingungen herzustellen, die — ihrer Analyse zufolge — eine conditio sine qua non der sozialistischen Umwälzung sein werden". Peter Brückner, der hier zitiert wird verweist auf einen Kernsatz von Andre Gorz, dessen Einfluß auf die Strategiediskussion in der Neuen Linken unübersehbar ist: „Die Machtfrage ist zunächst die Frage danach, was zu machen sei, damit sie sich wirklich stellt."

Daß die Bundesrepublik als Staat diese Strategie weder akzeptieren noch hinnehmen kann, versteht sich von selbst. Der Staat, der seinen Gegnern ein Recht auf Gegengewalt oder revolutionäre Veränderung zubilligt, hört im Wege der Selbstpreisgabe zu existieren auf. Er könnte seine Grundfunktion nicht mehr ausüben. Statt einer Ordnung, die für das gesamte Gesellschaftsintegrat gilt, gäbe es konkurrierende Machtgruppen, von denen jede für sich Gewalt ausübt, Normen setzt und Legitimität in Anspruch nimmt.

Eine Erschütterung der Rechtsordnung bedeutet es schon, wenn sich politische Terrorakte häufen und ungeahndet bleiben. Der Glaube an die Durchsetzungskraft der Rechtsordnung schwindet, das Recht verliert seine Autorität. Bleibt es nicht nur bei diesem Autoritätsverlust, sondern wird dem Glauben an die Legitimität der bestehenden Ordnung eine andere Legitimitätsvorstellung entgegengesetzt, das geltende Recht nur noch als legal (aber nicht mehr legitim) hingestellt und für den Rechtsbruch Legitimität in Anspruch genommen, so gerät auch die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit der staatlichen Gewaltausübung ins Wanken. In dem Maße, in dem diese zweifache Strategie Erfolg hat, löst sich die bestehende Herrschaftsordnung auf.

Kein Zweifel also, daß der Staat dem politischen Terrorismus entgegentreten muß, wenn ihm an seinem Fortbestand gelegen ist. Man schätzt die Situation falsch ein, wenn man von den Terroristen als Pathologen oder Nihilisten spricht. Wir haben es mit organisierter Guerillatätigkeit zu tun, mit politischen Überzeugungstätern, die sich politische Ziele setzen, auch wenn ihre politische Unreife und Realitätsblindheit offenkundig sind. Von ihrer Grundmaxime her — mit Gewalttätigkeit Aufmerksamkeit zu wecken, Furcht auszulösen und so politische Umsturzchancen zu gewinnen — sind die Terroristen ernst zu nehmen.

Viel größer als die unmittelbaren Wirkungen, die von ihrer Aktivität ausgehen, können dabei die mittelbaren sein. Die terroristischen Organisationen können keinen Umsturz und nach Lage der Dinge auch keine revolutionäre Situation herbeiführen (diese Verkennung der Realität und insbesondere des Fehlens der Massenbasis hat ihnen den taktischen Tadel auch von Jean Paul Sartre eingetragen, der grundsätzlich die revolutionäre Gewalt bejaht). Wohl aber können sie eine Atmosphäre innerer Unsicherheit in der Bundesrepublik erzeugen, eine Stimmung, in der die Bevölkerung Ordnung-um jeden Preis verlangt und sich einen starken Mann wünscht, eine Diktatur, die „aufräumt". Vergessen wir nicht, wie vielen unter uns heute noch immer oder schon wieder die Demokratie im Grunde Hekuba ist. Steigende innere Unsicherheit kann sich die Bundesrepublik angesichts dieser latenten Gefährdung nicht leisten, am wenigsten zu einer Zeit, in der sie einerseits innere Reformen vornehmen will, andererseits mit der Bewältigung wirtschaftlicher Krisen beschäftigt ist.

Nicht das „Ob" staatlicher Reaktionen auf das Treiben der Terroristen steht deshalb zur Debatte, sondern allein das „Wie". Ein breiter Konsens besteht darüber, daß die polizeilichen Apparate technisch und organisatorisch verbessert werden müssen. Für die Forderung nach mehr Geld für mehr Sicherheit haben sich die Terroristen als eine wirksame Lebby erwiesen. Ebenso hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß Erpressungsversuchen der Terroristen in der Taktik flexibel, aber in der Sache mit Festigkeit begegnet werden sollte. Die Angst vor dem Schrecklichen und das Mitleid mit den Geiseln sollen die Terroristen nicht mehr als Erfolgshilfen in ihre Rechnung einstellen dürfen. Sind aber über die Intensivierung der technischen und organisatorischen Mittel hinaus auch Änderungen im rechtlichen Instrumentarium zur Bekämpfung von Terrorismus notwendig?

Bei der Beantwortung dieser Frage scheiden sich die Geister. Nicht wenige halten offenbar die Zeit zu einem back lash jener liberalen Rechtsreformen für gekommen, mit denen in den sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre versucht wurde, dem Staat einen größeren Freiheitsraum zugunsten des Bürgers abzutrotzen. Die von hoher rechtsstaatlicher Sensibilität motivierten Reformen waren niemals so recht populär. Die Kleine Strafprozeßreform von 1964 etwa wurde selbst in der Justiz als „Verbrecherschutzgesetz" bezeichnet, und ebenso anhaltend wurde von breiten Kreisen in der Polizei das 1969 geschaffene Demonstrationsrecht kritisiert. Daß mancher, der damals die Reformen ablehnte oder zähneknirschend ertrug, heute Morgenluft wittert, ist verständlich.

Hinzu kommt die „Eigengesetzlichkeit" eines sozialpsychologischen Vorgangs, dem insbesondere Politiker nur schwer entrinnen können. Die Angst, die Terror erzeugt, erhöht die Bereitschaft, Freiheitsrechte gegen Sicherheit und Ordnung einzutauschen. Wenn Anschläge von Terroristen bekannt werden, besteht die gleichsam natürliche Reaktion des unaufgeklärten Bürgers zunächst einmal darin, nach härteren Strafen und Strafgesetzen zu rufen. Für Politiker und Beamte, die es an sich besser wissen, ist die Versuchung, in diesen Chorus einzustimmen, schon deshalb groß, weil sie ihnen das Eingeständnis ihrer Hilflosigkeit gegenüber vielen, wenn nicht den • meisten Terrorakten erspart und von dem wirklichen Geschehen zugunsten von Auseinandersetzungen mit hypothetischen Argumenten ablenkt. Die Medien, die darüber berichten, vermitteln der Bevölkerung das beruhigende Gefühl, es werde in Bonn etwas zur Erhöhung ihrer Sicherheit getan (noch dazu ohne finanzielle Mehrausgaben). Dieses Spiel von Aktion und Reaktion wäre kaum der Beachtung wert, wenn es in der Schaffung von mehr oder weniger überflüssigen Bestimmungen („Beschwichtigungsgesetze") oder in der Erhöhung von Strafrahmen bestünde, deren Ausschöpfung ohnehin richterlichem Ermessen vorbehalten ist. Vor der Todesstrafe sind wir durch das Grundgesetz geschützt. Nicht wenige Vorschläge, die in diesen affektgeladenen Situationen geboren werden, greifen aber tief in die bestehende Rechtsordnung ein. Zudem können Politiker von Erklärungen, die sie öffentlich abgegeben haben, nur schwer ohne Prestigeeinbußen herunterkommen. Manche Vorschrift, die besser unterblieben wäre, kann auf diese Weise Gesetzeskraft erhalten.

Den Liberalen aller Lager, die sich den Rechtsstaat nicht scheibchenweise entwinden lassen wollen, bleibt in dieser Situation nur die Möglichkeit, vernehmlich Alarm zu schlagen. Wird ihr Protest von politischen Gruppen und/oder einflußreichen Politikern aufgenommen, so besteht die Chance, Parlament und/oder Regierung zur Revision übereilter Vorschläge zu veranlassen. Wehe aber, wenn diese Phase ruhigen Nachdenkens durch erneute Aktionen der Terroristen gestört wird! Wie die Spreu vor dem Wind zerstieben dann die Zweifel und Bedenken, um neuen Demonstrationen von Kraft und Entschlossenheit Platz zu machen.

Gustav Heinemann hat einmal die Terroristen unserer Zeit als Schützenhelfer für den Widerwillen bezeichnet, der einen liberalen Rechtsstaat zu begleiten pflegt Andere (und auch ich selbst) haben von einer unfreiwilligen Allianz und einem objektiven Zusammenspiel zwischen den Terroristen und jenen Altkonservativen und Reaktionären gesprochen, die sich nach dem Polizei-und Obrigkeitsstaat der Vergangenheit zurücksehnen. Setzen die Terroristen nicht eine Spirale in Bewegung, die den Bestand an Rechtsstaatlichkeit in unserer politischen Ordnung immer kleiner werden läßt? In der Tat ist die Situation, in der sich die rechtsstaatliche Ordnung angesichts der Bedrängnis durch den politischen Terrorismus befindet, in mannigfacher Hinsicht prekär.

Wir müssen dem Recht Achtung verschaffen. Es ist das Kleid unserer Freiheit und der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Recht, das nicht durchgesetzt wird, ist kein Recht.

Bei der notwendigen Abwehr des Terrorismus darf aber auch nicht vergessen werden, daß sich der freiheitliche Rechtsstaat auch im Umgang mit seinen Feinden an seine Prinzipien halten muß, wenn er nicht seine Glaubwürdigkeit verspielen will. So nachdrücklich wir den Terrorismus bekämpfen müssen, so entschlossen müssen wir daher auch Überreaktionen vermeiden. Was wir zur Sicherung des Rechtsstaates tun, darf nicht zu seiner Erosion führen.

Machen wir uns auch hier nichts vor: Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ist nicht unproblematisch. Was der Seite der Sicherheit hinzugefügt wird, geht der Seite der Freiheit ab. Wenn nicht abwägend und mit Bedacht verfahren wird, kann eine Entwicklung eingeleitet werden, die sich eines Tages als verhängnisvoll erweist. Auch unter dem Eindruck terroristischer Bedrohung darf deshalb die wichtigste der politischen Tugenden — das Augenmaß — nicht verlorengehen. Daß man sich über diese grundsätzlichen Aspekte in Bonn nicht im unklaren ist, scheint mir außer Zweifel zu stehen. Ein Beispiel: In der Bundestagsdebatte über die Innere Sicherheit am 13. März 1975 plädierte Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel für Nüchternheit und Selbstdisziplin. „Wer die Emotionen — gewollt oder ungewollt — noch verstärkt, wer Gräben aufreißt, vermehrt die Gefahr." Vogel forderte den Bundestag auf, bei aller Sorge und Beunruhigung nicht das Gefühl für Proportionen zu verlieren, andere Völker böten den Herausforderungen, mit denen die Bundesrepublik es jetzt zu tun habe, schon seit Jahren die Stirn. Die Frage ist, ob sich diese Einsicht behaupten und in den politischen Auseinandersetzungen durchsetzen kann. Oder wird dem Rechtsstaat mehr zugemutet als ihm zuträglich ist? Müssen wir sagen, daß die Grenze des Zumutbaren überschritten ist?

II.

Wenn man sich die Frage vorlegt, mit welchen rechtlichen Mitteln sich unser Staat vor Terroristen schützen soll und darf, ist es gut, daran zu erinnern, daß unsere Rechtsordnung auf den durch die Exekutive erklärten Ausnahmezustand als Mittel innerer Befriedi-gung grundsätzlich verzichtet. Während in der Weimarer Republik Art. 48 der Reichsverfassung der Regierung die Handhabe gab, im Fall des Notstands unter Außerkraftsetzung des geltenden Rechts die zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung „notwendigen" Maßnahmen zu treffen, ist die Regelung, die das Grundgesetz für den Fall des inneren Notstands im Art. 91 GG getroffen hat, äußerst beschränkt.

Weit mehr als die Weimarer Republik ist die Bundesrepublik rechtsstaatlich verfaßt, sie ist geradezu das Muster eines Verfassungsstaats. Im Verfassungsstaat aber geht die sogenannte Staatsräson im Strafrecht auf. Es gibt infolgedessen in der Bundesrepublik keine Ausnahme-oder Standgerichte zur Aburteilung von Terroristen, sondern ordentliche Strafgerichte haben wie bei anderen Delikten zu prüfen, ob die auf Grund staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen erhobenen Anklagen begründet sind. Für ein gefestigtes rechtsstaatliches Bewußtsein spricht es, daß die Forderung, der sogenannten Staatsräson mit Hilfe des Ausnahmezustandes Beachtung zu verschaffen, selbst auf dem bisherigen Höhepunkt terroristischer Bedrohung, der Lorenz-Entführung, kaum erhoben worden ist. Die Vorschläge, die zur Verbesserung des rechtlichen Instrumentariums der Terroristenbekämpfung gemacht werden, zielen auch ganz überwiegend auf Veränderungen des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts.

Ein Teil dieser Vorschläge wurde im Anschluß an die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann am November 1974 dem gerade im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (BGBl. I S. 3393) durch ein Ergänzungsgesetz vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3686) hinzugefügt und ist seit dem 1. Januar 1975 geltendes Recht. Es handelt sich um ein Bündel von Einzelmaßnahmen, durch die, wie es amtlich hieß, dem Mißbrauch des Strafverfahrensrechts zur Lähmung des Verfahrens und zur Begehung neuer Straftaten begegnet werden soll:

Eine Reihe von Vorschriften betrifft die Verteidigung im Strafverfahren. Die Justiz erhält die Befugnis, Verteidiger, die des konspirativen Zusammenwirkens mit inhaftierten Mandanten oder der Beteiligung an der ihren Mandanten zur Last gelegten Straftat verdächtig sind, vom Verfahren auszuschließen, desgleichen, wenn die Verteidiger eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder einer Vollzugsanstalt bilden (§§ 138 a—d StPO). Andere Vorschriften versuchen, die sogenannte Verfahrenssabotage zu verhindern. Nach dem Vorbild der amerikanischen Anarchistenszene haben Angeklagte — teilweise mit Unterstützung von Zuhörergruppen — bekanntlich seit den Demonstrantenprozessen der späten sechziger Jahre versucht, mit Hilfe von Provokationen und Tumulten Verhandlungen zu stören und Richter zu verunsichern, wenn nicht zu zermürben. Diese Taktik 10)

hat nicht nur zu Rückschlägen in der Entwicklung des von den Reformern propagierten liberalen, offenen Verhandlungstyps geführt, sondern auch bei vielen, die 1967 Fritz Teufels geistreiche Eskapaden in einem Berliner Demonstrantenprozeß beklatscht hatten, eine Sinnesänderung bewirkt. Von den Angeklagten und ihren Verteidigern wurden die Rechte, die die Prozeßordnung bietet, auch dazu benutzt, den Prozeß zu paralysieren.

Um den Fortgang des Verfahrens auch bei nicht kooperationswilligen Angeklagten sicherzustellen, wurde die Möglichkeit eingeführt, Verhandlungen in Abwesenheit der Angeklagten durchzuführen, wenn diese ihre Verhandlungsunfähigkeit wissentlich herbeigeführt haben oder wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt oder zur Haft abgeführt worden sind. Ferner wurden die Ordnungsstrafbefugnisse des Gerichtsvorsitzenden und der Strafrahmen für die Ahndung von Verhandlungsstörungen erhöht. Die zunächst verfolgte Absicht, der Konspiration verdächtige Verteidiger beim Verkehr mit den Inhaftierten überwachen zu lassen, wurde dagegen nach heftigen Auseinandersetzungen fallengelassen, nicht zuletzt, weil die Anwaltschaft und starke Strömungen der öffentlichen Meinung sich dezidiert dagegen gewandt hatten.

Mit diesen im Eilverfahren beschlossenen gesetzgeberischen Maßnahmen war die rechts-politische Aktivität, die durch die Terror-aktionen herausgefordert war, nicht erschöpft. Weitergehende Vorstellungen setzten die von der CDU und der CSU regierten Länder im Bundesrat durch. Nachdem der Bundesrat bereits am 8. November 1974 den Entwurf eines Gesetzes zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens (BR-Drucksache 7/2854) beschlossen hatte, wurde Anfang Januar 1975 vom Bundesrat ein Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksache 7/3649) eingebracht, der die Möglichkeiten zur Ausschließung von Verteidigern über das eben beschlossene neue Recht erweitern und die Verteidigerüberwachung, die während des Ge-setzgebungsverfahrens aus der Novelle herausgenommen worden war, doch noch zum Gesetz erheben sollte. Einen damit inhalts-gleichen Gesetzentwurf legte die Fraktion der CDU/GSU am 22. Januar 1975 vor (Drucksache 7/3116).

Die Entführung von Peter Lorenz im Februar 1975 löste eine Welle weiterer Gesetzentwürfe aus. Einen Tag nach der großen Sicherheitsdebatte im Bundestag, am 14. März 1975, erörterte die Konferenz der Justizminister und -Senatoren des Bundes und der Länder die Problematik. Schon vorher hatte Nordrhein-Westfalen die Einführung des sogenannten Kronzeugen in das Strafverfahrensrecht gefordert. Auf Initiative dieses Landes beschloß der Bundesrat am 25. April 1975 den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen (Drucksache 7/3734). Vom Bundesrat wurde weiter am 20. Juni 1975 ein von Bayern angeregter Gesetzentwurf zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen beschlossen (Drucksache 291/75 — Beschluß). Von der CDU/CSU-Fraktion wurde ein damit sachlich übereinstimmender Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht (Drucksache 7/3661). Die umfangreichste Vorlage arbeitete die Bundesregierung aus; sie wurde von den Fraktionen der SPD und FDP im Bundestag als Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung eingebracht (Drucksache 7/3729). CDU und CSU schließlich faßten ihre Vorschläge in einem „Offensivkonzept" zusammen, das unter beträchtlichem publizistischen Aufwand den Eindruck erwecken oder fördern sollte, die sozialliberale Koalition tue nicht genug, um Bürger und Gesellschaft vor dem politischen Terrorismus zu schützen.

Die gesetzgeberischen Initiativen verfolgen im wesentlichen gleiche Ziele, weichen allerdings in den Details voneinander ab. In ihrer Fülle und Vielschichtigkeit, die für Außen-stehende kaum überschaubar ist, demonstrieren sie zusammen mit dem bereits am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Recht, in welchem Umfang der politische Terrorismus die Rechtspolitik in Bewegung bringen konnte. Für das Paket insgesamt haben sich die Bezeichnungen Anti-Terror-und Anti-Terroristen-Gesetze eingebürgert.

Die Frage, ob diese Gesetze zur Bekämpfung des politischen Terrorismus notwendig und dem Rechtsstaat zumutbar sind, kann nicht pauschal beantwortet werden. Die Pakete, die die Gesetzgebungsinstanzen geschnürt haben, sind vielmehr aufzulösen. Bei jeder einzelnen Gesetzesänderung muß dann nach ihrem Nutzen und Nachteil gefragt werden. Bei der Vielzahl der vorgeschlagenen Bestimmungen kann das hier natürlich nicht für jede einzelne Vorschrift geschehen. Vielmehr sollen solche Vorschläge, die besonders problembelastet sind, herausgegriffen und näherer Betrachtung unterzogen werden, weil gerade an ihnen Exemplarisches deutlich wird. 1. Beginnen wir mit jener Gesetzesänderung, die im Paket der Anti-Terroristen-Gesetze als zentral angesehen wird, der Einfügung des § 129 a in das Strafgesetzbuch. Die neue Bestimmung soll den geltenden § 129 StGB ergänzen, der die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, auch die Zugehörigkeit zu einer solchen Vereinigung und deren Unterstützung. Betroffen wird nach der Auffassung der Bundesregierung: eine kriminelle Vereinigung schlechthin, d. h. eine Organisation, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, strafbare Handlungen zu begehen. Wenn nun eine speziell auf terroristische Vereinigungen abgestellte neue Bestimmung mit schärferem Strafrahmen (Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten und bis zu fünf Jahren, für Rädelsführer ein bis zehn Jahre) eingeführt werden soll, so ist dagegen nicht viel einzuwenden. Terroristische Vereinigungen nach § 129 a sollen nur solche sein, deren Ziel darauf gerichtet ist, Mord und Totschlag, Brandstiftung, Luftpiraterie oder gefährliche Verkehrsstörungen zu begehen, jemanden zu vergiften oder seiner Freiheit zu berauben (etwa durch Geiselnahme). Das alles sind schwere, meist gemeingefährliche Verbrechen, die ohnehin strafbar sind. Daß die zielgerichtete Vorbereitung solcher Verbrechen in einer Organisation tatbestandlich verselbständigt werden soll, indiziert, daß das Auftreten terroristischer Vereinigungen aus dem Rahmen dessen fällt, woran man bei dem allgemeinen Straftatbestand des § 129 StGB gedacht hat. Rechtsstaatliche Prinzipien werden durch die vorgesehene Spezialregelung nicht weiter tangiert. Ein nennenswerter Widerspruch gegen dieses gesetzgeberische Vorhaben hat sich denn auch nicht erhoben, auch nicht gegen die Ausweitung der Anzeigepflicht auf dieses Delikt. 2. Um so größer sind die Bedenken, die gegen die beabsichtigten verfahrensrechtlichen Änderungen geltend gemacht werden. Das Strafverfahrensrecht ist kein bloß technisches Recht, nicht etwa eine Art Geschäftsordnung für Staatsanwaltschaften und Gerichte. Es ist vielmehr ein eminent politisches Recht: in dem die rechts-und justizpolitischen Vorstellungen einer Zeit meist sogar schärfer zum Ausdruck kommen als im materiellen Strafrecht. So war es kein Zufall, daß die Reformbewegung der sechziger Jahre sich des Strafprozeßrechts annahm, bevor sie das materielle Strafrecht ergriff. Die Tendenz der Gesetzgebung war dabei, das Strafverfahren immer rechtsstaatlicher zu machen, das Prinzip des fair trial stärker zur Geltung zu bringen und — im Interesse vorurteilsfreier Wahrheitsfindung — die Überlegenheit des staatlichen Strafverfolgungsapparats durch eine starke Rechtsposition der Seite des Beschuldigten auszugleichen. Deshalb wurde die Stellung des Tatverdächtigen und Angeklagten und seines Verteidigers gestärkt, die Verhängung von Untersuchungshaft erschwert („Es wird zuviel verhaftet") und die Hauptverhandlung ihrer Mystifikationen entkleidet und rationaler gestaltet. Eine wirkliche Waffengleichheit zwischen Staatsanwalt und Verteidiger wurde allerdings nicht erreicht, vom Gesetzgeber wohl auch nicht angestrebt. Ebensowenig sollte, was von Anfang an klargestellt wurde, die Humanisierung der strafgerichtlichen Verhandlung einen Freibrief für rüpelhaftes Benehmen oder Filibusterei bedeuten. Im Justizapparat selbst gab es auf dem Wege, einen immer wirksameren Rechtsstaat zu entwickeln und durchzusetzen, ebenfalls manchen Widerstand. Die Fortschritte, die trotz dieser Schwierigkeiten erzielt werden konnten, machten jedoch den Strafprozeß der Bundesrepublik zu einem Prototyp liberaler Justizkultur.

Es kann deshalb nicht wundernehmen, daß „Reform" -Pläne, die Errungenschaften dieser Periode liberaler Justizpolitik zurücknehmen wollen, heute nicht nur in der Welt der Juristen, soweit diese inzwischen die gesetzes-politischen Grundgedanken dieser Gesetzgebung verinnerlicht hat, sondern auch in der Öffentlichkeit auf skeptische Wachsamkeit stoßen. Wer Gesetze ändern will, hatstets die Beweislast dafür, daß die beabsichtigte Veränderung notwendig oder zumindest nützlich ist. Anders als sonst kommt diese Beweislastregel hier nicht den Konservativen, sondern den Liberalen zustatten, und die Beweisfüh-rung durch die Gesetzesbefürworter wird erschwert durch den Verdacht, daß jene Kräfte, die damals dem Zeitgeist Konzessionen machen mußten, heute die Stunde für gekommen halten, die ihnen abgerungenen Reformen zu revidieren und den Status quo ante wiederherzustellen. 3. Nur kurz will ich auf den Generalangriff eingehen, den die Anti-Terroristen-Gesetze gegen den Status des Verteidigers führen. Seine Problematik, die auch die Berufsorganisationen der Anwälte früh auf den Plan gerufen hat, wird von Josef Augstein an anderer Stelle des Sammelbandes ausführlich erörtert. Hier nur soviel:

Seit dem 1. Januar 1975 besitzt die Justiz durch die erwähnten Gesetzesänderungen scharfe Waffen, um skandalöses Verhalten von Verteidigern zu unterbinden. Von der Möglichkeit des Ausschlusses von Anwälten vom Strafverfahren ist wiederholt Gebrauch gemacht worden, bei Croissant und Ströbele ebenso wie bei Groenewold — auf den Verdacht hin, wie es das Gesetz vorsieht, nicht auf den Beweis konspirativer Tätigkeit.

Daneben besteht nach der Bundesrechtsanwaltsordnung die Möglichkeit, ehrengerichtlich gegen konspirierende Anwälte vorzugehen. Wenn befürchtet werden muß, daß die Ehrengerichtshöfe sich scheuen, totale und damit existenzvernichtende Berufs-und Vertretungsverbote gegen Anwälte auszusprechen, so ist es angemessen, Bestimmungen über ein befristetes und zugleich gegenständlich beschränktes Vertretungsverbot in das anwaltliche Berufsrecht aufzunehmen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Delikt und Sanktion Rechnung tragen, so wie es der Entwurf der sozialliberalen Koalitionsfraktionen will Ebenso lassen sich Maßnahmen zur Beschleunigung ehren-gerichtlicher Verfahren begründen. Weshalb aber darüber hinaus noch eine Überwachung der inhaftierten Angeklagten bei Gesprächen mit ihren Anwälten notwendig ist, leuchtet nicht ein.

Mir schienen alle gut beraten, die diesen Plan im Dezember vorigen Jahres ad acta legten. Freilich ließen Bundesrats-Mehrheit und Bundestags-Opposition nicht locker. Die Lorenz-Entführung und der Konkurrenzdruck durch die Opposition führten dann dazu, daß auch die Bundesregierung wieder die schon niedergelegten Karten wieder aufnahm, wohl nicht ohne Skrupel. Gegenüber den exzessiven Vorstellungen der Opposition wirkt der Regierungsentwurf nüchterner, weil er sachbezogener ist. Die Überwachung ist beschränkt auf Inhaftierte, die der Teilnahme an einer terroristischen Organisation nach dem neuen § 129 a StGB beschuldigt sind. Es soll auch nur noch der schriftliche Verkehr obligatorisch überwacht werden, Besuche dagegen lediglich vor der Hauptverhandlung und nur dann, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß der Beschuldigte den Verkehr zu Straftaten nach § 129 a StGB mißbraucht. So wichtig diese Einschränkung auch sein mag, den Kern der Bedenken räumt sie nicht aus. Es wird nach wie vor in das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten dort, wo sich der Verkehr unter vier Augen abspielt, eingegriffen.

Politisch ist Überwachung höchst unklug. Es ist schon zweifelhaft, ob die Überwachung des mündlichen Verkehrs überhaupt einen wirksamen Schutz gegen die Aufrechterhaltung oder Förderung illegaler Kontakte bietet. Aber selbst wenn sie dazu beitragen sollte, die Zellen der inhaftierten Terroristen dicht zu machen (BKA-Chef Herold würde der Nutzen, den sie erbringt, übertroffen durch den Schaden, den sie dem Rechtsbewußtsein unserer Gesellschaft zufügt, einer Gesellschaft, die auf dem besten Wege war, sich die Erkenntnis zu eigen zu machen, daß man, wie in populärer Vereinfachung gern gesagt wird, im Rechtsstaat das Recht der Staatsräson voranstellen muß.

Zu wenig beachtet wird leider auch, daß die vorgesehene Überwachung der Gespräche durch einen Richter dem modernen Richter-bild, wie es sich in den letzten Jahren zunehmend durchgesetzt hat einen schweren Schlag zufügt. Die Kontrolle dieser Gespräche ist keine richtergemäße Aufgabe. Wenn man den darauf gestützten Bedenken entgegenhält, die Überwachung durch einen Staatsanwalt oder Polizeibeamten sei noch schlechter, weil sie auch optisch den Eindruck eines Rückschritts zum Polizeistaat vermittele, so zeigt das nur, wie schlecht die Regelung insgesamt ist. Wenn überhaupt im Gesetzgebungsver-fahren ein Kompromiß in Erwägung gezogen wird, könnte er allenfalls so lauten, daß es mit der Überwachung des Schriftverkehrs im Verfahren vor der Hauptverhandlung sein Bewenden hat, der mündliche Verkehr also unkontrolliert bleibt 4. Zum Repertoire regressiver Rechtspolitik gehört seit langem die Revision des in den sechziger Jahren liberalisierten Haftrechts. Die Aufnahme dieses Punktes in Programme zur Terroristenbekämpfung läßt daher besonders leicht die Besorgnis entstehen, daß weniger sachliche Notwendigkeiten als vielmehr Ressentiments den Revisionisten die Feder führen. Bei den Vorschlägen zur Verschärfung des Haftrechts, die im Zusammenhang mit den Anti-Terroristen-Gesetzen aufgetaucht sind, darf sich solcher Argwohn, so scheint mir, bestätigt fühlen.

Nach geltendem Recht (§ 112 StPO) kann der Richter jeden Tatverdächtigen in Untersuchungshaft nehmen, vorausgesetzt, daß auf Grund bestimmter Tatsachen Flucht-oder Verdunkelungsgefahr festgestellt wird. Diese Vorschrift bietet eine voll ausreichende Rechtsgrundlage, um auch bei Mitgliedern terroristischer Vereinigungen Verhaftungen vorzunehmen, wo sie notwendig sind. Es ist einfach nicht wahr, daß der Haftrichter Haftverschonungen aussprechen muß, wenn Terroristen einen festen Wohnsitz haben, wie immer wieder behauptet wird. In dem von der Praxis wohl am meisten benutzten Kommentar zur StPO wird vielmehr ausdrücklich gesagt, die Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen sei für die Entscheidung von Bedeutung, und zwar deshalb, weil die Gruppe den Verdächtigen veranlassen oder gar zwingen kann, in den Untergrund zu gehen und sich damit dem Strafverfahren zu entziehen. Im Falle des Rechtsanwalts Haag, den der Bundesgerichtshof wegen fehlenden Fluchtverdachts aus der Haft entließ, war nicht etwa die Unzulänglichkeit des Gesetzes für die Haftentlassung ursächlich. Der Grund war, daß der Richter sich in der Beurteilung des Falles geirrt, nämlich zu Unrecht angenommen hatte, der Mann würde nicht weglaufen. Wohin kämen wir, wenn wir jeden Betriebsunfall, jeden Fehler in der Beurteilung, zum Anlaß für neue Gesetze nehmen wollten? Die Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen setzt ebenso wie ihre Einführung ein Bedürfnis voraus, das hier nicht erkennbar ist. Daß auch verfassungsrechtliche Gründe gegen die Änderung des Haftrechts sprechen, sei nur angemerkt. Die Ausnahmevorschrift des § 112 Abs. 3 StPO, die die Anordnung von Untersuchungshaft auch ohne Verdunklungsoder Fluchtgefahr zuläßt, setzt gegenwärtig vorsätzliche Tötungsverbrechen oder die vorsätzliche Gefährdung von Leib und Leben durch ein Sprengstoffverbrechen voraus. Würde man sie, wie vorgeschlagen, auf die Bildung oder Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung, also auf Verhaltensweisen erweitern, die noch keine konkrete Gefährdung von Leib und Leben voraussetzen, so stände dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen, eine der fundamentalen Prinzipien unserer Verfassungsordnung. Ebenso nachdrücklich muß aber auch vor der Empfehlung gewarnt werden, mit der bei den Beratungen zu diesem Komplex der Rechtsausschuß des Bundestages hervorgetreten ist. Verhaftungen dürfen nach unserem Recht nicht zur Beruhigung einer erregten Öffentlichkeit vorgenommen werden. Auch bei Wiederholungsgefahr ist sie nur in bestimmten, eng begrenzten Fällen zulässig; Mit der vom Rechtsausschuß ins Auge gefaßten Erweiterung dieser Fälle auf den neuen Tatbestand des § 129 a StGB würde die abschüssige Bahn der Vorbeugehaft betreten, ein Schritt, vor dem auch BundesjustizministerVogel warnt und den der Hamburger Justizsenator Klug mit Recht für gefährlicher hält als die Gefahr, die damit gebannt werden soll.

5. Auf die Bedürfnisfrage kommt es auch bei dem Vorschlag auf Einführung des Kronzeugen an, für den zunächst das Land Nordrhein-Westfalen verantwortlich zeichnet. Hinter diesem Vorschlag stand nicht nur Diether Posser, also ein Rechtspolitiker, der selbst als Verteidiger in politischen Prozessen tätig war, sondern auch Gustav Heinemann, von dem die Anregung stammte Nach der Vorlage, die der Bundesrat daraus entwickelt hat, soll das Gericht eine Strafe mildern oder von Bestrafung absehen dürfen, wenn Mitglieder einer terroristischen Vereinigung wesentlich zur Tataufklärung oder zur Ergreifung von Rädelsführern und Hintermännern beitragen, die den Strafverfolgungsbehörden auf andere Weise schwer gefallen wäre.

Die Bedenken gegen diese Kronzeugenregelung gelten weniger der Frage, ob man eine Norm des anglo-amerikanischen Rechts in unsere Rechtsordnung verpflanzen darf. Straffreiheit für tätige Reue (und um eine Erweiterung ihres Anwendungsbereichs handelt es sich bei der Kronzeugenregelung) ist dem Recht der Bundesrepublik nicht unbekannt.

Auch die Klippe des Legalitätsprinzips, das die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, ließe sich umschiffen. Der Grundsatz, der die Gleichheit aller vor dem Gesetz verwirklichen soll, ist im geltenden Recht schon durchlöchert — wenn auch nicht wie Schweizer Käse, wie ein Kritiker kürzlich boshaft meinte, so doch in vielfacher Weise und auch und gerade im Bereich der Erpressung und der Staatsschutzdelikte. Schwer wiegt das moralische Problem. Der Handel mit Strafe berührt nicht nur das Rechtsgefühl in elementarer Weise. Wer den Verrat liebt, liebt darum noch nicht den Verräter. Wie kann man ausschließen, daß der „Kronzeuge" nicht andere zu Unrecht beschuldigt, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und wie kann man den „Kronzeugen" vor der Rache seiner ehemaligen Genossen schützen? Entscheidend ist jedoch folgendes: Die Strafverfolgung kann ihre Effektivität nur ganz ausnahmsweise durch den Verzicht auf Strafverfolgung „erkaufen". Die Honorierung von Ermittlungshilfe durch Gewährung von Straffreiheit ist eine ausgesprochene Notmaßnahme und deshalb nur dann zulässig, wenn ein Notstand vorliegt, also alle rechtlichen Mittel zur Ermittlung erschöpft sind, die Beweislücke auch nicht durch die Ausschöpfung des herkömmlichen kriminaltaktischen Instrumentariums geschlossen werden kann und der Ermittlungsnotstand nicht bloß einen Engpaß für bestimmte Delikte, sondern eine Gefahr für die gesamte Rechtsordnung bedeutet. Außerdem muß die Ultima ratio auch geeignet sein, den Notstand tatsächlich zu beheben

Um diese Kriterien zu erfüllen, dürfen sich die Behörden nicht mit Beteuerungen begnügen. Sie müßten schon die Lage ungeschminkt darlegen, also eine Art Offenbarungseid leisten, und dartun, inwiefern man sich von den Kronzeugen eine entscheidende Wende versprechen kann. Das dürfte freilich schon angesichts der unbestrittenen Erfolge, die die Polizei bei ihren Ermittlungen trotz aller Schwierigkeiten gerade in letzter Zeit (z. B. mit der Verhaftung von Teufel und Roth) zu verzeichnen hat, alles andere als leicht fallen. Unsere Strafverfolgungsbehörden stehen dem Terrorismus keineswegs so hilflos gegenüber, wie das bei der j Lorenz-Entführung den Anschein hatte.

Auf jeden Fall wäre es voreilig, ein so das Rechtsempfinden demoralisierendes Vorhaben in dieser Situation zu verwirklichen. Man sollte deshalb das fragwürdige Gesetzesvor-Ihaben ohne weitere Diskussion begraben. 6.

Die Forderung, die frühere Strafbestimmung tüber Landfriedensbruch (§ 125 StGB) wiederherzustellen, wird nur von den Unionsparteien und der Bundesratsmehrheit der von ihnen regierten Länder erhoben. Wie vor der Reform des Jahres 1970 soll sich nicht nur strafbar machen, wer sich an Gewalttätigkeiten oder I Bedrohungen von Menschen mit Gewalt, die I aus einer Menschenmenge begangen werden, [beteiligt, sondern auch der, der sich lediglich in einer unfriedlichen Versammlung aufhält, I also dabei ist, wenn Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen aus einer Menschenmenge heraus begangen werden. Die Forderung zielt i also auf die Aufhebung jener Liberalisierung, die das Demonstrationsstrafecht 1970 erfahren hat.

Was Bundesratsmehrheit und Opposition hier I treffen wollen, sind erklärtermaßen die soge-nannten Sympathisanten der Terroristen. Tat[Sächlich aber gilt der Angriff der Demonstrationsfreiheit, einem Kernstück demokratischen Lebens. Zugegebenermaßen machen die extremen Gruppen in unserer politischen Landschaft von dieser Freiheit am häufigsten Gebrauch, aber Menschen, die extreme politische Anschauungen vertreten, für sie auf die Straße gehen und auch Lärm schlagen, sind darum noch keine Terroristen, die einen Privatkrieg gegen unsere Gesellschaft führen, Geiseln nehmen und Menschen überfallen und entführen. Diese Unterscheidung sind wir dem Rechtsstaat schuldig, aber auch der historischen Wahrheit. Man hat ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit, wenn man Extremisten und Terroristen in einen Topf wirft.

I Es gibt keine Kausalkette, die etwa Menschen, die 1967 am Ostermarsch teilgenommen, 1968 gegen die Notstandsgesetze demonstriert und 1969 an den APO-und Studentenunruhen beteiligt waren, zwangsläufig in den Terror geführt hat, ebensowenig eine solche, die aus Menschen, die heute demonstrieren, eines Tages Terroristen macht. Sicher, die persönliche Biographie mancher Angehöriger terroristischer Gruppen weist in diese bewegte Zeit zurück. Aufs Ganze gesehen ist aber nur ein winziger Bruchteil der Apo-Leute in die Terroristenszene geraten. Weit mehr Menschen, die damals die Fäuste geballt, Steine geworfen und Fensterscheiben eingeschlagen haben, sind heute in legalen Vereinigungen politisch tätig. Zu einem großen Teil gehören sie sogar den unsere Demokratie tragenden Parteien an. Für die aber, die sich zu extremen Ansichten bekennen, gilt das liberale Credo: Auch wenn uns ihre Anschauungen nicht gefallen, haben sie Anspruch darauf, ihre demokratischen Rechte ausüben zu dürfen.

Wenn man die Regelung des Demonstrationsrechts in der Bundesrepublik für zu großzügig hält und der Ansicht ist, der Polizei würde es zu schwer gemacht, Störer der öffentlichen Ordnung habhaft zu werden, wenn man meint, es gäbe infolgedessen zuviel Unruhe und Krawall bei politischen Demonstrationen, zu viele Gelegenheiten zu Ausschreitungen, die durch das Demonstrationsrecht nicht gedeckt werden, zu viele Chancen auch für Täter, die eine friedliche Versammlung unfriedlich gemacht haben, nach vollbrachtem Werk unter den Zuschauern unterzutauchen, dann soll man das sagen. Wir müßten dann über den Sinn und Zweck der Demonstrationsfreiheit und über deren (weitgefaßte) Grenzen im demokratischen Staat diskutieren, auch darüber, oh die Ausdehnung der Strafbarkeit auf Mitläufer bei Demonstrationen nicht nur ein politischer und verfassungsrechtlicher Rückschritt, sondern auch deswegen unpraktikabel wäre, weil sie die Kräfte der Polizei von der eigentlichen Aufgabe abzöge. Es geht aber nicht an, unter dem Vorwand der Bekämpfung terroristischer Aktionen gleichsam durch die Hintertür eine Regelung rückgängig zu machen, die vom Gesetzgeber nach langwierigen Debatten ausdrücklich zu dem Zweck getroffen wurde, veraltetes, aus der Zeit des Obrigkeitsstaates stammendes Recht dem politischen Inhalt der grundgesetzlichen Demokratie anzupassen.

Es kommt hinzu, daß eine Änderung des § 125 StPO auch deshalb nicht geeignet ist, Terroristen oder deren Sympathisantenkreis zu erfassen, weil dieser sich aus naheliegenden Gründen hütet, an Demonstrationen teilzunehmen. Juristisch betrachtet, ist der Sympathisantenbegriff ohnehin viel zu unbestimmt, um im Strafrecht Verwendung finden zu können. Wer einen Terroristen bei einem Verbrechen unterstützt, ist wegen Beihilfe strafbar. Wer Mitglied einer terroristischen Organisation ist, eine solche Organisation unterstützt oder für sie wirbt, macht sich nach § 129 StGB, künftig nach § 129 a StGB, strafbar. Damit sind Verhaltensweisen im Umkreis terroristischer Aktivität, die über bloße Sympathie hinausgehen, bereits erfaßt. Will man darüber hinausgehen und im Vorfeld von Gewalttätig-13 keiten Straftatbestände für Sympathisanten schaffen, muß man sich die Frage gefallen lassen, ob etwa Gedanken verboten oder Gefühlsbeziehungen unter Strafe gestellt werden sollen. Nicht nur für Eiferer ist es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt.

7. Wie problematisch solche Vorfelddelikte sind, hat sich gerade bei dem Versuch gezeigt, die Befürwortung von Gewalt in einem § 130 a StGB zu pönalisieren. Das war ein Unterfangen, dem ehrenwerte Motive nicht abzusprechen waren. Unser politisches Leben leidet unter mangelnder Toleranz. Schon daß immer wieder politische Gegner, mit denen man konkurriert, zu politischen Feinden hinaufstilisiert werden, ist ein bedenkliches Zeichen. Schlimmer noch ist, daß immer mehr Menschen zu der Ansicht gebracht werden konnten, die Konflikte in unserer offenen Gesellschaft ließen sich nicht friedlich lösen, sondern nur mit Gewalt. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß verbaler Terror in heißen Terror umgeschlagen ist. Die Terrorakte der RAF, der Bewegung 2. Juni und der anderen Guerilla-Gruppen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern wurden theoretisch in Schriften und Parolen vorbereitet, über die Gewalttheorien von Ernesto Che Guevara, Frantz Fanon und ihren Epigonen konnte sich jedermann aus Taschenbüchern unterrichten, das „Kleine Handbuch des brasilianischen Stadtguerilla" von Carlos Marighella und das Wagenbuch Rotbuch Nr. 29 („Kollektiv RAF — über den bewaffneten Kampf in Westeuropa") hatten ihre Leser.

Richtig ist auch: Ehe Andreas Baader und seine Komplizen den Brand in dem Frankfurter Kaufhaus Schneider legten, hatte das Flugblatt Nr. 8 der Berliner Kommune I gefragt: „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?" Und Fritz Teufel hatte auf einer Delegiertenkonferenz des SDS erklärt, es sei besser, ein Warenhaus anzuzünden als es zu betreiben

Nach den Vorstellungen seiner Initianten sollte der neue Straftatbestand auch und sogar vor allem nach rechts wirken. Jedenfalls war das 1970, als nach der Bildung der sozialliberalen Koalition fanatische Gegner der Ostpolitik Sprüche wie „Scheel und Brandt ah die Wand", „Wer deutsches Land verschenkt, wird gehenkt" an die Häuser malten, das vorherrschende Motiv, weshalb der damalige Bundesinnenminister Genscher das eher skeptische Justizministerium zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs veranlaßte. Reminiszensen an die Weimarer Republik fehlen nicht; sie haben auch ihre Berechtigung. Wer erinnert sich nicht an die Hetzparole „Knallt ihn ab, den Rathenau, die gottverdammte Judensau", der dann der Mord auf der Königsallee im Berliner Grunewald folgte?

Trotz dieser bedenkenswerten Motive war es indessen auch hier notwendig, kühlen Kopf zu bewahren — und das nicht nur, weil die Pönalisierung von Schriften in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrschen soll, immer eine problematische Sache ist. Zwischen Geist und Macht besteht wohl stets ein Spannungsverhältnis. In der Diskussion bestand stets Einigkeit darüber, daß die Anleitung zu Gewalttätigkeiten strafbar sein muß. Wie aber soll zuverlässig abgegrenzt werden, was nach dem Entwurf des Gewalt-Paragraphen strafbare Propagierung von Gewalt ist und was weiterhin straffrei bleibt, weil es der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte, der Kunst oder Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre oder ähnlichen Zwecken dient? Die Justiz wird überfordert, wenn auf diesem Sektor von ihr verbindliche Grenzziehungen erwartet werden. Und war nicht im Grunde die ganze Bestimmung überflüssig, eine jener gutgemeinten demonstrativen Bekenntnisse, von denen sich Politiker (und eigentlich nur sie) Signalwirkungen erhoffen?

Es ist bekannt, wie die Sache ausgegangen ist. Professor Helmut Ridder aus Gießen rüttelte die Öffentlichkeit durch ein Gutachten auf, in dem er fragte, ob Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" mit dem bezeichnenden Untertitel „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" nicht zweifellos als Befürwortung von Gewalt im Sinne des neuen Paragraphen zu verstehen sei. In der anschließenden Auseinandersetzung wurde deutlich, daß das, was Rechtsprechung und Rechtswissenschaft unter Gewalt ver-stehen, wesentlich weiter geht als der alltägliche Sprachgebrauch, z. B. auch den „gewaltlosen" Widerstand umfaßt. Und wann, so wurde gefragt, sind Veröffentlichungen wissenschaftlich und damit sakrosankt und wann nur scheinbar wissenschaftlich und damit strafbar? Unter welche Kategorie etwa fällt die Diskussion über die sogenannte strukturelle Gewalt, die international in der Soziologie, Politologie und Friedensforschung geführt wird? Und welches Schicksal wäre der Auseinandersetzung um die „Strategie der fortschreitenden Eroberung der Macht durch die Arbeitnehmer" beschieden, wie sie etwa Gorz und Lelio Basso entwickelt haben, der Auffassung, daß über Gegenmachtpositionen und Zwischenziele die Macht zu erobern ist, daß es aber auch keinen allmählichen, schrittweisen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus gibt, sondern daß der Eroberung von Gegenmachtpositionen irgendwann die revolutionäre, gewaltsame Aktion folgen muß? Wären Sätze wie „Gewalt sollte man nicht ein für allemal und pauschal verwerfen" (Barrington Moore) oder „Man kann nicht . grundsätzlich'für oder gegen Gewalt sein, man muß jeweils abwägen" nun strafbar oder nicht? Wird nicht eine Zensur eingeführt, wenn man von der Justiz verlangt, daß sie Fragen dieser Qualität prüft und entscheidet? Schließlich wuchs — unter Mithilfe des Mannheimer SPD-Parteitages — der Widerstand gegen die schwammige Formel so sehr, daß das Vorhaben fallengelassen und der geplante § 130 a durch eine wesentlich schonender gefaßte Strafbestimmung im Bereich der Verfassungsdelikte (§ 88 a StGB) ersetzt wurde.

Auch dieser § 88 a StGB, die „verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten", ist allerdings problematisch genug. Es ist nunmehr ausgeschlossen, daß die Justiz der Bundesrepublik einschreiten muß, wenn sich das Delikt nicht gegen die Bundesrepublik, sondern gegen einen anderen Staat richtet — man kann also, was auf dem Mannheimer SPD-Parteitag eine Rolle spielte, in der Bundesrepublik Gewalt gegen ein Gewaltregime wie das in Chile propagieren, ohne deswegen strafrechtlich verfolgt zu werden. Durch die Neufassung des § 86 Abs. 3 StGB ist ferner ausdrücklich klargestellt worden, daß die „Befürwortung von Gewalt" nicht verfolgt werden darf, wenn sie der staatsbürgerlichen Aufklärung oder der Berichterstattung über die Vor-gänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre oder ähnlichen Zwecken dient. Es bleibt aber die Frage, ob man hier nicht der Justiz Feststellungen und Prüfungen zumutet, die im Grunde unzumutbar sind, eine Frage, die ich angesichts der geschilderten Schwierigkeiten bei der Unterscheidung etwa zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft nach wie vor bejahe. Tröstlich ist immerhin, daß man bei diesem komplizierten Tatbestand wohl kaum zu befürchten braucht, jemals Verurteilungen zu erleben; nicht zuletzt wird dafür schon die Notwendigkeit sorgen, dem Beschuldigten vorsätzliche Tatbestandserfüllung nachzuweisen. Es handelt sich also im Grunde um ein Beschwichtigungsgesetz ähnlich dem § 131 StGB, der die Verherrlichung der Gewalt unter Strafe stellt, aber bisher kaum angewendet worden ist.

Eine Arabeske, die aber doch ein bezeichnendes Licht auf die Situation unserer Parlamentarier bei der Verabschiedung von Anti-Terror-Gesetzen fallen läßt, soll dabei nicht unerwähnt bleiben. Ich meine die Tragikomödie, die ungewollt der Schriftsteller-Abgeordnete Dieter Lattmann bei seiner Stimmabgabe inszenierte. Nach einem rührend unbeholfenen Protest („Was ich hier als kritischer Sozialdemokrat sage, ist unmißbrauchbar gegen meine Fraktion"), der in seinem moralischen Anspruch jedoch Aufmerksamkeit erzwang und auch die Medien bewegte, wollte Lattmann zunächst gegen die Fraktionsdisziplin verstoßen, die Einstimmigkeit für unerläßlich hielt, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Am Ende fügte er sich ihr aber doch — sicher nicht der einzige, der seine Einsicht den „politischen Prioritäten" zum Opfer brachte. 8. Noch offen ist demgegenüber, zu welchem Ergebnis die Diskussion über die Rechtsgrundlage für den sogenannten gezielten Todesschuß führen wird. Polizeibeamte, die einen Terroristen töten, um eine Geisel zu retten, können sich gegenwärtig wie jeder Staatsbürger nur auf strafrechtliche Notwehr (§ 32 Abs. 2 StGB) oder strafrechtlichen Notstand (§§ 34, 35 StGB) berufen. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren. Notstand, hier in der besonderen Form der Nothilfe einschlägig, schließt die Rechtswidrigkeit einer Tötungshandlung aus, wenn sie zur Rettung der Geisel aus einer gegenwärtig nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit begangen wird und wenn bei Abwägung des betroffenen Rechtsguts und des Grades der drohenden Gefahr das ge15 schützte Rechtsgut das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Eine spezielle Vorschrift des Polizeirechts, die den gezielten Todesschuß gestattet, gibt es dagegen nicht. Die maßgebende polizeiliche Rechtsgrundlage für den Schußwaffengebrauch, das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung der öffentlichen Gewalt, erlaubt den Gebrauch von Schußwaffen nur zu dem Zweck, den Rechtsbrecher angriffs-oder fluchtunfähig zu machen. Zudem darf nicht geschossen werden, wenn durch den Schußwaffengebrauch für den Polizeibeamten erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden.

Daß die Polizei darauf drängt, diese Rechts-unsicherheit aus der Welt zu schaffen, ist verständlich. Erinnern wir uns an die Situationen, in denen Vorgesetzte den Polizeibeamten befahlen, Terroristen zu erschießen, um die von ihnen genommenen Geiseln zu retten. Es ist nach geltendem Recht mehr als fraglich, ob ein Vorgesetzter eine solche Weisung geben durfte. Uber jeden abgegebenen Schuß, der nur als Nothilfe zu rechtfertigen ist, schwebt auch das Damoklesschwert einer möglicherweise falschen Güterabwägung: wer bestimmt die Gewichte? Und muß man nicht davon ausgehen, daß das Interesse der Geisel, die mit dem Entführer zum bereitgestellten Auto oder Flugzeug geht, gerade darin besteht, daß zu diesem Zeitpunkt nicht auf den Terroristen geschossen wird, so notwendig der Polizei-führung dies auch erscheinen mag?

Den von einer Expertenkommission der Innenministerkonferenz ausgearbeiteten Musterentwurf für ein bundeseinheitliches Polizeigesetz, der Vorschläge für die künftige Regelung des Schußwaffengebrauchs enthält, kann man bei dieser Sachlage nicht vom Tisch wischen. Der Polizeibeamte muß wissen, was er tun darf und was nicht. Gleichwohl ist ein Unbehagen, das sich auf die Verfassung stützen kann, unübersehbar. Das Grundgesetz hat die Todesstrafe abgeschafft. Wird sie nicht, wenn man der Polizei gestattet, Rechtsbrecher vorsätzlich zu töten, gleichsam durch eine Hintertür wieder eingeführt? Wenn der gezielte Todesschuß unausweichlich ist, um das Leben einer Geisel zu retten, kann man darauf verweisen, daß die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, die nicht etwa nur eine Programmerklärung für Menschen guten Willens ist, sondern in der Bundesrepublik als innerstaatliches Recht gilt, eine Tötung für zulässig erklärt, wenn sie erforderlich ist, um „die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen''

(Art. 2 Abs. 2 a der Konvention). Problematisch bleibt ein Schuß, der nicht bloß kampfunfähig machen, sondern töten soll, aber immer dann, wenn nicht das Leben der Geisel, sondern „nur" andere Rechtsgüter bedroht sind.

Zunächst hatte deshalb die Expertenkommission den gezielten tödlichen Schuß auf den Fall der Lebensbedrohung beschränken wollen. Die Grenzen zwischen der Bedrohung an Leib und Leben sind indessen in den Situationen, die in Betracht kommen, fließend und für die Polizei kaum zu erkennen. Die Vorstellung schließlich, daß Terroristen, die ihre Opfer zwar nicht mit dem Tod bedrohen, wohl aber martern und verstümmeln, dann unter dem Schutz der Polizei das rettende Flugzeug erreichen könnten, bewog die Kommission, die Schwelle auf eine „gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben" zu reduzieren.

Mir scheint, daß dies — mit allen Skrupeln und der aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgenden Beschränkung auf äußerste Ausnahmefälle — hingenommen werden muß, wenn man die Situation der Polizei bei den Geiselentführungen realistisch betrachtet. Freilich ist damit noch kein Placet zu dem gesamten Musterentwurf verbunden. Es mag wohl einleuchten, daß die Polizei Kriegswaffen wie Handgranaten benötigt, wenn sie es mit Terroristen zu tun hat, die selbst mit diesen Waffen ausgerüstet sind. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte aber nicht der erfolglose vorherige Gebrauch von Schußwaffen Rechtfertigung genug sein, um seitens der Polizei Maschinengewehre oder Granatwerfer zum Einsatz zu bringen. Hans Schueler hat davor mit Recht gewarnt: „Die Ermächtigung der Verfolger, in solcher Lage Kriegswaffen einzusetzen, könnte die Eskalation des Terrors erst heraufbeschwören, wo ihr begegnet werden soll."

Ebenso ist Erhard Denninger zuzustimmen, wenn er, gerade im Hinblick auf die extremen Situationen der Geiselverbrecherbekämpfung fordert, den „Katechismus polizeilicher Zwangs-ausübung", den der Musterentwurf bietet, durch einen „Grundriß polizeilicher Prognose-lehre und Störer-Psychologie" zu ergänzen. Die Verbindung von Entschlossenheit und Flexibilität hat in vielen Situationen unbestreitbar Erfolge gebracht, die sonst wohl mit einem Desaster geendet hätten.

Ein Alarmzeichen ist ferner, daß die Innenminister von Ländern wie Baden-Württemberg und Bayern mit dem Musterentwurf nicht zufrieden sind, sondern in Absichtserklärungen darüber hinausgehende Verschärfungen ankündigen. Man muß hier fragen, ob mit solchen Ankündigungen, die ja nicht folgenlos bleiben, sondern gesetzgeberische Maßnahmen nach sich ziehen sollen, nicht der Sicherheit ein Stellenwert eingeräumt wird, der der demokratisch-freiheitlichen Ordnung fremd ist. Widerlegt sehen sich durch solche Pläne alle die, die geglaubt haben, mit Zugeständnissen die Sicherheitspolitiker der Union auf eine mittlere Linie staatlicher Verteidigung bringen oder ihnen gar den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Bestätigt dagegen werden die Warnungen, mit denen Rechtspolitiker, Anwälte, Hochschullehrer und engagierte Publizisten Koalition und Öffentlichkeit immer wieder beschworen haben, sich den Rechtsstaat nicht scheibchenweise entwinden zu lassen.

III.

Soviel zur Beleuchtung dessen, was uns die Anti-Terroristen-Gesetze an Veränderung unserer Rechtsordnung zumuten. Versuchen wir ein Fazit zu ziehen, so scheint mir einsichtig zu sein, daß die Grenzen, die diese Gesetzgebung respektieren muß, weit enger sind als diejenigen annahmen, die seinerzeit die Gesetzgebungsmaschine mit ihren Entwürfen in Gang brachten. Nur in sehr beschränktem Umfang sind Änderungen möglich, die unser Rechtsstaat verkraften kann, ohne Schaden zu nehmen. Dies gibt Anlaß, die Frage aufzuwerfen, ob man gut beraten ist, wenn man die Bekämpfung des Terrorismus vorzugsweise als ein Problem der Rechtspolitik und der Rechtsanwendung durch Polizei und Justiz begreift. Macht man es sich nicht zu leicht, wenn man seine Bedrängnis auf diese Instanzen abschiebt?

Mir scheint, daß diese Frage bejaht werden muß. Herausgefordert durch den Terrorismus sind nicht nur die Organe der Strafverfolgung und der Strafrechtspflege, herausgefordert ist unsere Gesellschaft insgesamt. Es sind daher auch gemeinsame Anstrengungen der ganzen Gesellschaft nötig, um der Herausforderung Herr zu werden.

Das bedeutet, daß die Frage, wie dem Terrorismus zu begegnen ist, keine Angelegenheit der Parteitaktik sein darf. Zu Recht haben Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel darauf wiederholt hingewiesen Mehr noch: Für die schrecklichen Vereinfacher mit ihren Feindbildern und Patentrezepten („Wenn wir die Macht hätten, wäre alles anders") ist kein Raum. Das ist hier nicht anders als sonst auch bei Problemen der inneren Sicherheit. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß eine autoritäre Gesamtatmosphäre in Gesellschaft und Öffentlichkeit politischen Terrorismus verhindert. Das ist, wofür es hinreichend Anschauungsmaterial gibt, nicht einmal bei Militär-und Polizeidiktaturen der Fall; in solchen Staaten kommt es leicht sogar zu einer Eskalation des Terrors. Es ist vielmehr Erhard Eppler zuzustimmen, wenn dieser sagt, Liberalität gegenüber unbequemen und manchmal auch unsinnigen Anschauungen stehe nicht im Gegensatz zu Härte und Entschlossenheit im Kampf ggen politische Kriminalität. In der Demokratie dürfen Bürger unbequem sein, auch Anstoß erregen, um Anstoß zu geben — solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen

Eine zunächst autoritäre, dann militaristische und schließlich faschistische Atmosphäre, das ist ja, was die Terroristen wollen. Nur auf diese Weise kann aus dem im Grunde hilflosen, zynischen, aber dennoch und gerade deswegen gefährlichen Aktionismus, mit dem wir es heute zu tun haben, ein Aufstand werden, der die Massen ergreift.

Der Rechtsstaat, der nach den Auffassungen dieser Strategen die Klassensätze verhüllt, steht dem entgegen. Er verschleiert den Massen, daß die Macht der Herrschenden gewalttätig ist. Würde die herrschende Klasse dagegen, so schreibt der Rechtsanwalt Groenewold, einer der vom Baader-Meinhof-Verfahren in Stammheim ausgeschlossenen Vertei-diger in einem Brief der im Juli 1973 in der Zelle von Carl Raspe gefunden wurde, ihre Herrschaft im Konflikt unmittelbar mit Gewalt statt durch die DRITTE GEWALT durchsetzen, so würde das dem einzelnen seine Unterdrückung bewußtmachen. „Die verinnerlichte Autorität des Rechts, der Glaube an die Legalitätsgrenze bewirkt, daß sich der einzelne dem Recht beugt, ohne daß die Herrschenden Gewalt einsetzen müssen."

Weil in den Massen, deren Sache die revolutionäre Aktion eines Tages sein soll, Gewalt-bereitschaft nur dann wächst, wenn sie die Gewalt des Staates offen spüren, weil nur unter dieser Voraussetzung dem vorgestellten Aktionspotential in größerem Umfang „Gegengewalt" vermittelt werden kann, soll der Staat dazu gebracht werden, seine „rechtsstaatliche Maske" fallen zu lassen. Den Gefallen sollten wir den Terroristen nicht tun.

Auf der anderen Seite sollten wir aber auch entschiedener die geistige Auseinandersetzung mit den Gewalttheorien aufnehmen; deren Faszination auf junge Studenten und Dozenten an Hochschulen nicht übersehen werden darf. Gerade wenn wir es nicht nur erlauben, sondern für notwendig halten, daß offen über die Rolle der Gewalt gesprochen wird dürfen wir der Debatte darüber nicht aus dem Wege gehen — dies um so weniger, als die Abneigung von Konflikttheorien — bis hin zu dem Konzept der „strukturellen Gewalt", das zwischen Zwang und Gewalt keinen Unterschied macht — vielfach von einer erschreckenden Illiberalität begleitet ist, die Zweifel daran hat aufkommen lassen, ob für diese Engagierten die liberalen Freiheiten — Gewissens-und Meinungsfreiheit, Organisations-und Koalitionsfreiheit, Minderheitenschutz — nicht nur taktische Mittel, die sie bei ihren Aktionen ausnutzen, sondern bleibende Errungenschaften sind.

Gegenüber den fünfziger und sechziger Jahren hat sich dabei die Szene deutlich gewandelt. War es damals notwendig, einer selbstzufriedenen Gesellschaft, die nach der Leistung des Wiederaufbaus im Wohlstand erstarrt war, die Defizite aufzuzeigen, die das Wirtschaftswunder entweder nicht beseitigt oder selbst erzeugt hatte, so ist inzwischen die Wahrnehmungsfähigkeit für soziale Fragen und Mangelerscheinungen rapide gewachsen, aber andererseits das Verständnis dafür zurückgegangen, was Toleranz und Liberalität für die Demokratie bedeuten. Den Sinn für den Wert der liberalen Grundfreiheiten wieder zu schärfen, ist deshalb wichtig.

Man kann auch der Frage nicht ausweichen, ob es richtig ist, die Tatsache, daß es in der sozialen Welt Konflikte gibt, so zu dramatisieren, wie das vielfach geschieht. Natürlich ist anzuerkennen, daß wir Konflikte stets und überall finden werden, wo menschliche Gesellschaften bestehen, daß sie aus der Struktur von Herrschaftsverhältnissen erwachsen und fruchtbar und schöpferisch sein können. Eine „Chance der Freiheit" (Ralf Dahrendorf)

können aber Konflikte nur sein, wenn es gelingt sie zu regeln und dadurch in den Dienst einer allmählichen Entwicklung sozialer Strukturen zu stellen, nicht aber wenn sie aufgebauscht und hochgetrieben werden, um „revolutionäres Bewußtsein" zu schmieden. In einer solchen „Konfliktgesellschaft" schwinden die Möglichkeiten zum Gebrauch politischer und sozialer Rechte und Freiheiten wie zur individuellen Selbstverwirklichung; auch die Lernfähigkeit des Systems und die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft gehen zurück, wenn immer wieder versucht wird, die Grenzen dessen herauszufinden, was diesem an Desintegration zugemutet werden kann. Das Mißtrauen wird permanent, auch die Wirkungen der selfiullfilling prophecy sind in Rechnung zu stellen: Wenn von früh bis spät erklärt wird, die Lösung der sozialen Konflikte ließe sich nur durch eine Umgestaltung unserer sozialen Ordnung erreichen, die in erster Linie friedlich, unter Umständen aber in letzter Konsequenz auch gewaltsam erfolgen müsse, wird nicht nur die zweifelhafte Vorstellung genährt, daß es endgültige Lösungen gibt, die Probleme ein für allemal aus der Welt schaffen; es wird auch im Wege verbaler Gewöhnung die Aussicht auf gewaltsame Konfliktaustragung vermehrt und die Chance gewaltfreier Lösungen verringert Noch nachdenklicher kann eine andere Beobachtung stimmen. Die erfreulich hohe Sensibilität für soziale Ungerechtigkeiten produziert vielfach eine Kritik, die nicht nur Mängel und Mißstände rügt, sondern die Bundesrepublik in Bausch und Bogen verdammt. Die Schwarzmalerei solcher Kritik, die in der Bundesrepublik viel politischer verfährt als in den sechziger Jahren der campus-Protest gegen den amerikanischen Kapitalismus, lenkt zunächst das politische Engagement durchaus in die Richtung friedlicher Veränderung. Bleiben aber die Anstrengungen ohne Erfolg, so teilen sich die Kritiker in solche, die resignieren, und andere, die in den etablierten Institutionen oder außerhalb der Establishments weiter-kämpfen. Ein Teil wendet sich Gedankengängen zu, in deren Konsequenz wiederum die Lehre liegt, daß ohne Gewaltanwendung die erstrebte Besserung der Verhältnisse nicht möglich ist

Diesen jungen Menschen ist der Staat der Bundesrepublik nicht bloß gleichgültig, sie lehnen ihn ab, sie wollen eine andere Republik, ein ganz anderes politisches und soziales System, das die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht etwa weiterentwickeln, sondern ablösen soll.

An sich sollte es nicht schwer fallen, die Dinge zurechtzurücken. Was Alternativen zum demokratischen Rechtsstaat angeht, so müssen Systemvergleich und geschichtlicher Rückblick jeden, der sich nicht in die Tasche lügen will, skeptisch stimmen. Ohne Zweifel hat die liberale und soziale Demokratie der Bundesrepublik ihre Schwächen und Mängel, aber sie hat auch ihre gewichtigen Vorzüge. Nicht nur, daß die klassischen Errungenschaften des demokratischen und liberalen Rechts-staats in der Verfassung der Bundesrepublik enthalten und in der Rechtswirklichkeit lebendig sind. Man muß die jungen Bürger, die Unzufriedenheit auf Unzufriedenheit häufen, fragen, wann jemals auf deutschem Boden ein solches Maß nicht nur an persönlicher Freiheit und Wohlstand, sondern auch an sozialem Ausgleich verwirklicht worden ist

Sicher ist in der zurückliegenden Periode des Immobilismus nicht genug getan worden, um die Wertvorstellungen des Grundgesetzes mit Leben zu erfüllen, lange fehlte es auch an dem erforderlichen Schwung. Inzwischen aber sind Fortschritte erzielt worden, die uns der demokratischen Vision, daß jeder seine konkrete, reale Chance erhält, näher gebracht haben.

Ist nicht gerade diese soziale Demokratie mit all ihren Chancen, Entwicklungs-und Verbesserungsmöglichkeiten, Demokratie, die auch den legitimen Wunsch nach Veränderung berücksichtigt, ein Staat, dem man sich zuwenden sollte? Kann nicht diese offene, zugleich liberale wie soziale Demokratie auch für die, die Veränderung in Richtung auf eine klassenlose Gesellschaft erstreben, Heimat sein?

Demokratische Sozialisten Sozialisten also, die die liberalen Freiheiten erhalten wissen und die Mehrheit des Volkes nicht vergewaltigen, sondern für die Veränderungen gewinnen wollen, wissen, daß die „Rate des Fortschritts" (Barrington Moore) in dem Prozeß des Interessenausgleichs durch den demokratischen, auf einen „Klassenkompromiß" aufgebauten Staat, der diese Politik kennzeichnet, nur klein ist Aber-sie stellen auch in Rechnung, daß die revolutionäre Ungeduld, die Gewalt anwenden muß, um ihre mächtigen Gegner niederzuwerfen, zu Katakomben von Opfern führt, die nicht mit der Hoffnung auf die Etablierung der sozialistischen Gesellschaft gerechtfertigt werden können.

So oder ähnlich müssen wir wohl mit dem Teil der Jugend, der sich aus Idealismus, um seiner sozialistischen Ideale willen, von unserem Staat abwendet, reden und ringen. Jugend sucht Sinn. Das ist immer so gewesen. Auch unsere Zeit, wird nicht bloß daran gemessen werden, wie sie den äußeren Frieden sichert und ökonomische Bedürfnisse befriedigt, sondern auch und vor allem daran, was sie den heranwachsenden Generationen zu geben vermag, damit deren Leben einen Sinn hat, der über das Individuelle hinausgeht. Wenn man sich die geistige und seelische Leere jener ungeduldigen jungen Menschen klarmacht, die zunächst Ideologien als Sinnersatz suchten, um dann in absurdem Aktionismus und verbrecherischem Terrorismus zu landen, er-kennt man, daß die Antwort darauf kaum in Gelehrtenrepubliken, die sich von der sozialen Realität abkapseln, sondern vornehmlich im sozialen Leben gefunden werden kann.

Wer unsere Verfassung ernst nimmt, den Schwächen unserer rechtlichen und sozialen Ordnung zu Leibe rückt und die Ungerechtigkeiten, auf die er stößt, nicht nur beklagt, sondern verringert, wer unsere politischen Einrichtungen nicht nur analysiert, sondern auch funktionsfähig erhält und effektiver macht, wer den Freiheitssinn der Bürger schärft und mithilft, daß in der Bundesrepublik möglichst jeder seine Chance hat, wer also mit dafür sorgt, daß sich der Bürger, der guten Willens ist, in diesem Staat wohlfühlen und mit ihm identifizieren kann, der trägt dazu bei, der Gewalt den Nährboden zu entziehen, auf dem sie sich entfalten kann Und er verhindert vor allem, daß die propagierte Gewalt jene Unterstützung der Massen findet, von der ihre Protagonisten heute nur träumen.

Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft genug engagierte Demokraten hat, die den Terrorismus in unserem Land als eine ernsthafte Frage an sich selbst begreifen und durch ihre Praxis diese Überzeugungsarbeit leisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In deutscher Übersetzung: Terrorismus ohne Chance. Analyse und Bekämpfung eines internationalen Phänomens, Stuttgart 1975.

  2. Auszug aus der Studie eines Experten in: Die Zeit, Nr. 51 v. 12. 12. 1975, S. 3: Brian Michael Jenkins, Eine Welt voll Terroristen?

  3. Das Urteil ist im Wortlaut abgedruckt bei: Die Baader-Meinhof-Gruppe, zusammengestellt von Rauball, Aktuelle Dokumente, Reinhard Berlin, New York 1973, S. 167 ff.

  4. Friedrich Hacker, Terror, Reinbek 1975, S. 17.

  5. Spiegel Nr. 6 vom 31. 1. 1972: „... bis hin zu den stummen Machern". Professor Peter Brückner über „Realität, Identität, Rote Armee Fraktion".

  6. S. dazu Andre Gorz, Der schwierige Sozialismus, Frankfurt a. M. 1969; ders., Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt a. M. 1970. Besonders in der ersten Phase spielte Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Reinbek 1966, eine maßgebliche Rolle, Hannah Arendt, Macht und Gewalt, München 1970, bezeichnete die Rhetorik der Neuen Linken als ein „Amalgam von Fanon und Marx“, das für Kenner von Marx einigermaßen verblüffend sei.

  7. Im PANORAMA-Interview, DFS, 2. 12. 1974. Sartre unterscheidet zwischen Putsch-und Attentatsstrategie und der von ihm befürworteten revolutionären Aktion, deren Chance in der Ausübung von Gewalt besteht und die im Prinzip Sache der Massen selbst sein soll. Diese Differenzierung ist um so wichtiger, als Sartre in der Verherrlichung der Gewalt kaum zu übertreffen war: „Die Gewalt — das ist der Mensch, der sich selbst schafft... Wie die Lanze des Achill ist die Gewalt imstande, die Wunden zu heilen, die sie schlägt." (Vorwort zu Fanon, a. a. O.).

  8. Was heißt Reformpolitik?, in: D. Posser und R. Wassermann (Hrsg.), Freiheit in der sozialen Demokratie, Karlsruhe 1975, S. 57 ff. (61).

  9. Vgl. „recht" — Informationen des Bundesministers der Justiz, 1975, S. 54 ff.

  10. Für die Verunsicherungstaktik während der sog. Justizkampagne vgl. etwa Fritz Teufel, Klau mich, Voltaire Handbuch 2, 1968. Wie die absolute Verweigerung der Mitwirkung in der Praxis aussah, schildert Hanno Kühnert, Der Prozeß-Boykott des Sozialistischen Patientenkollektivs, in: Recht und Gesellschaft, 1973, S. 2 ff. Dazwischen lagen mannigfache Varianten. Die Verunsicherungstaktik hatte vor allem Erfolg, wenn sie auf starre Verhaltensweisen bei den Richtern stieß.

  11. Gerald Grünwald, Die Strafprozeßreform — Sicherung oder Abbau des Rechtsstaats?, Vorgänge, Heft 18, S. 36, spricht von einem „ausgewogenen System der prozessualen Positionen".

  12. Der von der Bundesregierung ausgearbeitete Gesetzentwurf, den BJM Vogel am 4. Juni 1975 erläuterte (recht — Informationen des Bundesministers der Justiz, 1975, S. 95 ff.), ist, wie S. 13 ausgeführt, von den Koalitionsfraktionen in den Bundestag eingebracht worden, um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen (BT-Drucksache 7/3729).

  13. In: Terror und Gewaltkriminalität —-Herausforderung für den Rechtsstaat, Diskussionsprotokoll Reihe Hessenforum, Hrsg, von Eugen Kogon, Frankfurt am Main 1975, S. 88.

  14. S. dazu Adolf Arndt, Das Bild des Richters, Karlsruhe 1957; R. Wassermann, Justizreform, Neuwied und Berlin 1970, S. 11 f.

  15. So namentlich im Bundesrat, s. a. U. Klug, in: Vorgänge, Nr. 18, S. 62.

  16. Kleinknecht, StPO, 31. Aull., München 1974, § 112 Anm. 5.

  17. S. recht — Mitteilungen des Bundesministeriums der Justiz, Nr. 8/1975, S. 86.

  18. A. a. O., S. 61.

  19. Mitteilung von D. Posser im WDR II — Mittags-magazin —, 12. 6. 1975.

  20. Dazu Heike Jung, Straffreiheit für den Kronzeugen?, Köln 1974, S. 92 ff.

  21. Solche Sprüche wurden damals nicht ernst genommen. In einem Gutachten im Berliner Strafverfahren gegen Langhans und Teufel (abgedruckt im „Monat“, H. 227, August 1967, S. 24 ff.) kam der Literaturwissenschaftler Peter Szondi beispielsweise zum Ergebnis, daß die Flugblatt-Aufforderung „burn, ware-house, burn!" von der Anklage falsch interpretiert wurde. Auch das Urteil gegen die Frankfurter Kaufhaus-Brandstifter (drei Jahre Zuchthaus) wurde seinerzeit in der Öffentlichkeit als zu hart kritisiert, die Brandstiftung selbst zwar nicht gebilligt, aber als „Fanal respektierenswerter Überzeugungen" gewertet.

  22. Wegen der Verbreitung des Rotbuchs Nr. 29 z. B. wurde der Verleger bereits aufgrund des geltenden Rechts von der Staatsanwaltschaft mit Erfolg angeklagt. Das Gericht verurteilte wegen Aufforderung zur Bildung einer kriminellen Vereinigung (§§ 111 Abs. 1 und 2, 129 StGB). Das Urteil ist abgedruckt in Kritische Justiz, 1974, S. 406 ff.

  23. Die Quintessenz vieler internationaler Diskussionen im philosophischen wie im politischen Raum! . .

  24. Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 22. 12. 1975 S. 3.

  25. Bemerkungen zum Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, Vorgänge Nr. 18 S. 19 ff;

  26. Z. B. Hans Schueler (Die Zeit), Werner Hill (NDR), Karl-Heinz Krumm und Roderich Reifenrath (Frankfurter Rundschau). Der Vertrag von W. Hill „Demontage der demokratischen Rechtsstaatlichkeit als Folge des Kampfes gegen den politischen Radikalismus?" wird demnächst in den „Vorgängen" veröffentlicht.

  27. Auch in ihren Reden zur inneren Sicherheit vor dem Deutschen Bundestag am 13. 3. 1975, Bulletin Nr. 35, S. 341— 348, v. 14. 3., und Nr. 36, S. 349 bis 350, v. 15. 3. 1975.

  28. Zu einer bemerkenswerten Rede auf der Fach-konferenz Innere Sicherheit in Oberkirch, im Wortlaut abgedruckt in: Frankfurter Rundschau Nr. 223 v. 26. 9. 1975, S. 10.

  29. S. oben S. 4.

  30. Abgedruckt als Dokument 8 in: Dokumentation über Aktivitäten anarchistischer Gewalttäter in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Bonn o. J.

  31. Gesellschaft und Freiheit, München 1961, S. 235.

  32. Ebd.

  33. So auch, in einem Plädoyer für gewaltfreie Aktionen, Ossip K. Flechtheim, Zur Kritik der Gewalt, in: Gewaltfreie Aktion, 2. Jahrg., Heft 4, 1970, S. 9 ff. (13).

  34. S. dazu oben die Ausführungen zu II, 7. S. Die Diskussion der Gewaltproblematik hat mehrere Phasen durchlaufen. 1965 bis 1967 dominierten die aus dem amerikanischen Studentenprotest importierten „begrenzten Regelverletzungen". In der Folgezeit ging es um die Rolle der Gewalt in der Geschichte (Gewalt als unvermeidlicher Bestandteil der Entwicklung in Richtung auf die Freiheit), in den letzten Jahren ist die sogenannte strukturelle Gewalt das Vorzugsthema. Wichtig für die heutige Diskussion z. B. Rammstedt (Hrsg.) , Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt am Main 1974.

  35. S. Helmut Schmidt, Erklärung der Bundesregierung zur inneren Sicherheit, Bulletin Nr. 35 v. 13. 3. 1975, S. 341 ff. (342).

  36. Dazu etwa Peter von Oertzen, Thesen zur Strategie und Taktik des demokratischen Sozialismus in der Bundesrepublik Deutschland; Hans-Jochen Vogel, Grundfragen des demokratischen Sozialismus; Horst Ehmke, Demokratischer Sozialismus und demokratischer Staat, sämtlich in: Beiträge zur Theoriediskussion II, hrsg. v. Georg Lührs, Bonn-Bad Godesberg 1974.

  37. Vgl. Peter Glotz, Der Weg der Sozialdemokratie, Wien—München—Zürich 1975, S. 46 f. („über die Geschwindigkeit des sozialen Wandels").

  38. Die Alternative zur Gewalt, die unsere Verfassung anbietet, ist das Recht. Das Recht kann sich freilich in dieser Funktion nur bewähren, wenn es nicht als Instrument der Unterdrückung, sondern von möglichst vielen Bürgern unsere Staates als gerecht empfunden wird. Vgl. R. Wassermann, Gewaltkriminalität und Rechtspolitik, in: Gewalt-kriminalität und Erpressung, Kriminologische Schriftenreihe der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft, Hamburg 1975, S. 23 ff. (32); ders., Recht und Ordnung ja —, aber richtig, Frankfurter Hefte 1976, Sonderheft Bundesrepublik (April 1976).

Weitere Inhalte

Rudolf Wassermann, geb. 1925 in Letzlingen (Altmark); Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig und des Landesjustizprüfungsamts beim Niedersächsischen Ministerium der Justiz; Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie in Halle (Saale), der Soziologie und Politischen Wissenschaft in Berlin (West); 1956 Gerichtsassessor, 1959 Landgerichtsrat, 1963 Kammergerichtsrat in Berlin; 1967 Ministerialrat im Bundesjustizministerium; 1968 Landgerichtspräsident in Frankfurt (Main). Veröffentlichungen u. a.: Erziehung zum Establishment?, Karlsruhe 1969; Justiz-reform, Berlin und Neuwied 1970; Richter, Reform, Gesellschaft — Beiträge zur Erneuerung der Rechtspflege, Karlsruhe 1970; Der politische Richter, München 1972; Justiz im sozialen Rechtsstaat, Darmstadt und Neuwied 1974; Freiheit in der sozialen Demokratie (hrsg. zus. mit D. Posser), Karlsruhe 1975; Terrorismus contra Rechtsstaat, Darmstadt und Neuwied 1976. Zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden zu rechtswissenschaftlichen, rechtssoziologischen und rechtspolitischen Fragen. Mitherausgeber der Juristischen Rundschau und der Reihe „Demokratie und Rechtsstaat".