Die politische Zeitschrift wird heute von vielen Zeitgenossen gegenüber den Möglichkeiten moderner Massenkommunikationsmittel als ein etwas altmodisches Medium gewertet; das geschriebene Wort, der schriftliche Diskurs muten im Vergleich zur optischen Raum-und Zeitraffertechnik beispielsweise des Fernsehens als eine beinah atavistische, jedenfalls weniger effektive Form der Vermittlung an. Daher ist es kein Wunder, daß die mit der „Anstrengung des Gedankens" zusammenhängende Mühe des Schreibens von Jahr zu Jahr weniger geschätzt wird — das gilt zumindest von gewissen Leserschaften. Das Zurückgehen der Auflagenziffern bei den kultur-politischen Zeitschriften und die somit eintöniger werdende publizistische Landschaft kontra-stiert nur scheinbar mit der anhaltenden Aufwärtsentwicklung auf dem Markt der Publikums-oder gar der Fachzeitschriften
Dergleichen Verängstigungen, die mitunter zu Fluchtversuchen vor der gegebenen Freiheit und ihrer Öffentlichkeit führen, erfahren derzeit unter dem Schlagwort „Tendenzwende" eine Art gesellschaftlicher Rehabilitierung. Dennoch sollten solche verständlichen Schwächeerscheinungen nicht zu einem Epilog auf zeitkritisches Denken und Schreiben jeglicher Herkunft führen. Das gewiß als vorübergehend anzusehende geistig-politische Intervall sei um so intensiver für eine Bestandsaufnahme all dessen genutzt, was über die Jahrhunderte hin als „Schrift der Zeit" oft einen entschiedenen Widerspruch gegen die Zeit bedeutete. Es sollte zu bedenken bleiben, daß die jederzeit auf Fortschritt pochenden politischen Zeitschriften häufig, kaum veröffentlicht, schon verboten oder zumindest eingeengt worden sind. Von der publizistikwissenschaftlichen Forschung abermals aufgeschlagen, trägt das Erinnern an sie wesentlich dazu bei, das stets schwierige Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Öffentlichkeit, ja-„öffentlicher Meinung" zu klären.
Von Hans-Joachim Schoeps stammt die Beobachtung, daß für die Gewinnung eines zeittypischen Gesellschaftsbildes das Studium der Zeitschriften aufschlußreicher noch als das der Tagesblätter sein könne. In einem Forschungsbericht über die erregenden letzten Monate der Weimarer Republik, wie sie sich im Reflex der führenden politischen Zeitschriften an der Wendemarke zwischen zwei einander ablösenden Epochen abzeichnen, hat Schoeps konstatiert, daß sogar eine nur nachträglich vorgenommene Lektüre verschiedener „profilierter Zeitschriften zu perspektivischem Denken" zwinge
I. Zur Differenzierung von Zeitung und Zeitschrift
Eingangs gilt es zu fragen: Erstens, in welchem Status befindet sich die Zeitschriftenforschung überhaupt? Zweitens, wieweit ist speziell die politische Zeitschrift bisher erforscht worden? In aller Kürze bleibt zu antworten, daß Zeitungskunde, Zeitungswissenschaft, ja selbst die der Publizistik gewidmete Wissenschaftsdisziplin die Zeitschrift von jeher gegenüber der Zeitung vernachlässigt haben. Im Sinne geistes-und kulturgeschichtlicher Erkenntnis erscheint das als beklagenswert. Obendrein wendet sich seit geraumer Zeit die im wesentlichen durch amerikanische Autoren und Methoden beeinflußte analytisch-empirische Kommunikationsforschung fast ausschließlich den moderneren Massenmedien zu
Ihre eigenartige politische Bedeutung liegt darin, daß sie von Beginn an ein Instrument der Meinungsbildung gewesen ist, durch das sich einzelne an Gruppen, dann auch über diese an Vielheiten gewandt haben. Das solche Einsichten neuartiger sind, als man vermuten könnte, ergibt sich aus einer kritischen Rückschau in die raren Vorleistungen zur Erhellung der Genealogie der politischen Zeitschrift. Beispielsweise ist in Schlözers an der Universität Göttingen Jahrzehnte hindurch gehaltenen Zeitungskollegs von Zeitschriften in Unterscheidung zu Zeitungen niemals die Rede gewesen. Eindeutig geht das aus den 1777 gedruckten Aufzeichnungen über die Vorlesung hervor, welche den Titel trug:
„Entwurf zu einem Reise-Collegio, nebst einer Anzeige seines Zeitungs-Collegii"
Haben sich denn Zeitungen und Zeitschriften nicht von Beginn an nach Absicht und Aufmachung durchaus deutlich unterschieden?
Inhaltlich entsprachen die ersten Wochenzeitungen — in geschlossenen Jahrgängen nachweisbar seit 1609 — voll und ganz der Benennung , Zeitung
Dennoch sind die beiden einander von Beginn bis zur Gegenwart ebenso innig verwandten wie höchst gegensätzlichen Medien der Kommunikation von ihren wissenschaftlichen Be-obachtern erst im 20. Jahrhundert exakt auseinandergehalten worden. Weder in den zeitungskundlichen Kollektionen des 18. noch in den zeitungswissenschaftlichen Kompilationen des 19. Jahrhunderts war man um begriffliches Abgrenzen zwischen Zeitung und Zeitschrift bemüht. Dieser Mißstand mag verursacht haben, daß unangebrachte Verwechslungen zwischen Zeitung und Zeitschrift sich bis in jüngste Forschungen hineinziehen. Damit ist nur eines der mannigfachen Probleme angedeutet, welche die Zeitschrift ihren Erforschern stellt, die, mit Ausnahme der Illu: oder der für notorisch Somnambule geschaffenen „Regenbogen-Presse", ganz gewiß kein Massenmedium ist.
Noch Carl Theodor Welcker war im „Staatslexikon oder Encyclopädie der Staatswissenschaften" (1843) nicht in der Lage, zwischen Zeitung und Zeitschriften zu differenzieren
Uber die politische Zeitschrift als Spezifikum existiert innerhalb der bisher gleichfalls nur in fragmentarischen Ansätzen vorhandenen Zeitschriftentypologie erst eine einzige, den monographischen Rahmen sprengende Arbeit. Es handelt sich um die verdienstliche Studie von Hubert Max „Wesen und Gestalt der politischen Zeitschrift" (Essen 1942). Im Untertitel heißt sie „Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Erziehungsprozesses des deutschen Volkes bis zu den Karlsbader Beschlüssen". Vertieft man sich in die Studie, so stellt man allerdings fest, daß Hubert Max in erster Linie nur die Zeit von 1789 bis 1819 aus den drei Jahrhunderten der bisherigen Existenz der politischen Zeitschrift herausgehoben hat. Eine Gesamtdarstellung des Aussagemittels „politische Zeitschrift" hat er nicht geschaffen
Zeitschriften-Monographien, wie sie bisher zu verschiedenen Anlässen an manchen Universitäten erschienen sind, wurden mitunter bloß erstellt, um Jubiläen zu dienen. Als beachtliche Ausnahme zeichnen sich einige von der Historischen Schule zu Göttingen veranlaßte Untersuchungen ab. Gelehrte wie Heimpel, Nürnberger, Roos und Schramm haben seit etwa zwei Jahrzehnten politische Zeitschriften von Rang in systematischem Zusammenhang untersuchen lassen. Zu nennen bleiben die Studien von Ingeborg Boldt über Cottas Deutsche Vierteljahresschrift (1957), von Wolfgang Scheel über das Berliner Politische Wochenblatt (1964) und von Michael Behnen über das Preußische Wochenblatt (1965)
Ein paar Worte darüber, warum Zeitschriften-forschung gerade in Göttingen etabliert worden ist: Seit Schlözers zuletzt für das Wintersemester 1795 angekündigter Vorlesung über die . stets genierten Gazetten'hat eine um die Erkenntnis der periodischen Presse bemühte Wissenschaft an der Georgia Augusta keinen Platz inne gehabt
Göttingens Zeitungen, angefangen mit den Göttingischen Policey-Amts-Nachrichten (1755 bis 1757) des Kameralisten Johann Heinrich Gottlob von Justi, haben die Welt nur selten erschüttert. Dagegen konnte selbst ein anderes in Göttingen erschienenes Blatt nicht an, das sich bereits 1757 gleichsam antizipatorisch Die Welt genannt hat. Andererseits ist Göttingen seit der Gründung seiner Universität ein weltweit voll Achtung genannter Geburtsort gelehrter, fachlicher, historischer, ökonomischer, ja politisch gewichtiger Zeitschriften gewesen
Im Zuge solcher Überlegungen ist von Joachim Kirchner zu sprechen, der sein Lebenswerk dem zuvor vernachlässigten Medium Zeitschrift gewidmet hat. Zu reden ist dabei von den beiden, jeweils zweibändigen Werken „Die Grundlagen des deutschen Zeitschriftenwesens" (beendet 1931) und „Das deutsche Zeitschriftenwesen, seine Geschichte und seine Probleme" (abgeschlossen 1962)
II. Begriffsbestimmung und Definition der politischen Zeitschrift
Um politische Zeitschriften von anderen Zeitschriften abzugrenzen, bedarf es vorweg einer neuen, d. h.der Fragestellung angemessenen Definition des Begriffs . Zeitschrift'überhaupt. Sie muß anders als bisherige Begriffsbestimmungen der Zeitschrift formuliert werden. Vorgänger — wie Kirchner (1928), Lehmann (1936), Salzmann (1953), Hagemann (1957), Groth (1960), Kieslich (1965), Dovifat (1967) — sind zwar durch ihre Formeln der Erscheinung . Zeitschrift'als Abstraktum gerecht geworden
Was ist mit dieser Begriffsbestimmung bezweckt? Sie soll verdeutlichen, daß sich die Zeitschrift um das Erreichen einer Linie bemüht, die ihr eigentümlich ist. Infolge der daraus hervorgehenden Einheitlichkeit gelangt das Programm, das sie durch ihre Beiträge verkündet, zu propagandistischer Wirkung. Das geschieht vor allem dadurch, das Zeitschriften von Persönlichkeiten (Kommunikatoren) gestaltet werden, die sich an ein Publikum (Rezipienten) wenden, welches durch die in der Zeitschrift gepflegten Interessen aufgeschlossen wird
Die neue Begriffsbestimmung ermöglicht es, Zeitschriften jeder Art von politischen Zeit-
R Q schritten zu differenzieren. Das in dieser Formet noch fehlende Adjektiv „politisch" bedarf, ehe es in einer der politischen Zeitschrift gewidmeten Terminierung anwendbar wird, noch besonderer Klärung. Ebenso wie der Begriff „Zeitschrift" hat das Wort „politisch" zufolge der in bestimmten Zeitabschnitten dominierenden Auffassungen über die jeweiligen gesellschaftlichen Zustände mannigfache Bedeutungswandlungen erfahren. Wer den herrschenden Auffassungen innerhalb jeweils zeitlich umgrenzter gesellschaftlicher Konditionen nahe kommen will, unter deren einengendem Zwang eine zu untersuchende politische Zeitschrift erscheint, sollte kompetente Stimmen über den Terminus „politisch" aus eben dem Jahrhundert heranziehen und anwenden, dem die jeweilige Zeitschrift zugehört. Für eine Begriffsbestimmung der politischen Zeitschrift ist somit an den während ihrer Lebenszeit gültigen Begriffsinhalt des Wortes „politisch" zurückzudenken.
In der ersten deutschen Enzyklopädie von Rang, in Zedlers „Universal-Lexikon", findet sich das Stichwort „politicus"
Deshalb war der politische Mensch noch um die Mitte des lichten Jahrhunderts des Rationalismus ein gebildeter Weltmann. Um dies zu sein, brauchte er indessen weder Theologie noch Jurisprudenz auf den Universitäten betrieben zu haben. Ein guter Teil des Aufklärungskampfes der politischen Zeitschriften — Zeugnisse lese man etwa bei den Göttinger Publizisten Bürger, Forster, Lichtenberg, Schlözer und anderen nach — war dem Versuch gewidmet, die durch das Ständesystem verursachte und überkommene Unterdrükkung der Einzelpersönlichkeit zu überwinden
Jenes durchaus selbstkritische Saeculum unterschied bereits zwischen politica publica, dem praktischen Staatshandeln, und pruden-tia publica, Politik als Bewußtsein
Als zeitgenössische Grundlage für eine gültige Definition der politischen Zeitschrift im 20. Jahrhundert diene eine Äußerung des Berliner Politologen Otto Stammer über den Sinn des Wortes , Politik'. In einer Formulierung aus dem Jahre 1956 bezeichnete Stammer Politik als „. . . ein soziales Handeln, das sich auf Machterwerb und Machtgebrauch richtet, um im öffentlichen Bereich bestimmte Interessen und Ziele von einzelnen und Gesellschaftsgruppen in bestimmten geschichtlich-gesellschaftlichen Situationen, in der Regel gegen den Willen und die Zielsetzung anderer Personen und Gruppen, im Kampfe oder mit Hilfe von Vereinbarungen durchzusetzen."
Die Zeitschrift hat Stammer in seiner Schilderung des „Komplexes von Prozessen der politischen Meinungsbildung, den man , als öffentliche Meinung'zu bezeichnen gewohnt ist", allerdings übersehen. Auf die jeweiligen sozialen Zustände mit den ihr gebotenen publizistischen Möglichkeiten handelnd einzuwirken und somit selbsttätig politische Aktivität zu entwickeln, das ist jedoch neben historisch-politischem Betrachten und neben rational-wissenschaftlichem Darstellen staatlichen Funktionierens im Laufe dreier Jahrhunderte zur primären Aufgabe der politischen Zeitschrift geworden. Aufgrund solcher Erfahrungen läßt sich die politische Zeitschrift als Sondertypus innerhalb des Gesamtbildes der Zeitschriften folgendermaßen definieren:
„Die politische Zeitschrift ist eine periodische Publikation, deren Tendenz sich aus dem von ihr verkündeten Programm ergibt. In deren Sinn behandelt sie fortwirkend staatliche, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Erscheinungen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die Leitgedanken jeder politischen Zeitschrift werden vom Herausgeber, seinem redaktionellen Gremium und Mitarbeiterstab bestimmt. Politische Zeitschriften stellen sich in den Dienst des Proklamierens von Anschauungen und Gesinnungen sowohl einzelner Persönlichkeiten als auch ganzer Gruppen zum Gewinnen von einzelnen Gruppen und von Vielheiten für ihre Ziele. Politische Zeitschriften erfassen — entsprechend ihrer politischen Einstellung — zeitgebundene oder überzeitliche Strömungen. Aus propagandistischen Gründen nehmen sie indes — zumindest formal — Rücksicht auf Meinungen des Publikums, das sie im Sinne ihres Programms zu beeinflussen wünschen.
Die publizistische Aufgabe der politischen Zeitschrift ist es, die durch sie dargebotenen Auffassungen in dem Sinne zu verbreiten, daß auf ihren Zuruf als kommunikatives Echo Zustimmung erfolgt."
Unabhängig von Emil Dovifat, der Publizistik als „politische Tat" sieht
III. Zur Typologie der politischen Zeitschrift
Welche Periodika zählen zur Spezies politische Zeitschrift? Vor allen anderen handelt es sich um jene Organe, die sich ausschließlich mit Politik beschäftigen. In dieser Hauptgruppe sind zunächst vier Unterdifferenzierungen vorzunehmen.
Erstens begegnet man Zeitschriften, welche die politischen Ereignisse aus unmittelbarer Zeitnähe widerspiegeln. Durchweg handelt es sich um Organe, welche sich als Reflexionen aus der Gegenwart auffassen und zugleich in die praktische Politik eingreifen wollen. Markante Beispiele bieten die sogenannten Jakobiner-Zeitschriften, wie sie in Deutschland vor und nach 1789 durch Publizisten wie Wilhelm Ludwig Wekhrlin (Chronologen, 1779 bis 1781; Das graue Ungeheuer, 1784— 1787; HyperboräischeBriefe, 1788— 1790; Paragrafen, 1791— 1792
Zweitens trifft man auf Zeitschriften, welche politische Probleme aus der Vergangenheit untersuchen, ohne dadurch direkt auf die Zeitgenossen einwirken zu wollen. Anzuführen sind Johann Christoph Gatterers Periodika, beispielsweise die zu Göttingen edierte Allgemeine historische Bibliothek (1767 bis 1771) und sein Historisches Journal (1772 bis 1781)
Drittens stehen zwischen beiden Typen Organe, die unter vorgehaltenem Erörtern anscheinend historisch gewordener Probleme dennoch auf ihre Gegenwart Einfluß zu nehmen versuchen. Zwar getarnt, doch unverkennbar, geschieht das meist durch aus Geheimschatullen gespeiste Zeitschriften. Unter den Editoren dieses keineswegs stets obskuren Bereiches finden sich Persönlichkeiten wie Friedrich Gentz mit seiner Neuen Deutschen Monatsschrift (1795) und dem Historischen Journal (1799— 1800)
Viertens ist von Organen zu sprechen, wie sie einstmals das liberale Lager hervorgebracht hat. Anscheinend plaudern sie nur über Literatur, Theater, Kunst, Mode und Geschmack. De facto wurden sie geschaffen, um herrschende Systeme zu unterminieren. Börnes Die Wage (1818— 1820)
Neben diesen vier, die Politik in den Mittelpunkt ihres Unterrichtens und Erörterns stellenden Zeitschriftentypen dürfen jene nicht vergessen werden, die sich zwar regelmäßig mit politischen Geschehnissen und Problemen beschäftigen, sie jedoch nicht ausschließlich in den Mittelpunkt ihrer redaktionellen Arbeit stellen. In dieser Hinsicht besteht Übereinstimmung mit Harry Pross, der in seiner Edition „Literatur und Politik" nur auf den ersten Blick als literarisch erscheinende, indes lebhaft agierende und agitierende Zeitschriften mit Recht zu den politischen Organen rechnet
Allein diese Andeutungen über die Mannigfaltigkeit der innerhalb der Spezies politische Zeitschrift möglichen Erscheinungsformen lassen erkennen, daß für einen erstmaligen Gesamtblick auf und über die Entwicklung der politischen Zeitschriften engherziges Auswählen nicht ratsam ist. Die Großzügigkeit des Grundsatzes bedingt jedoch ein um so genaueres Zuordnen. Wer die Wahl vornimmt, entgeht keinesfalls der Qual der Begründung. Letztere ist nicht der jeweils zu untersuchenden Zeitschrift allein zu entnehmen. Belege bieten sich darüber hinaus beispielsweise in den Lebensläufen und im journalistischen Werk sowie den daraus resultierenden politischen Schicksalen eben jener Persönlichkeiten, welche von David Fassmanns „Todtengesprächen" bis zu Leopold Schwarzschilds „Tagebuch" politische Zeitschriften gestalteten
IV. Zur Genealogie der politischen Zeitschrift
Jenseits inhaltstypologischer Ansätze bedarf es für das Entwerfen einer Genealogie der politischen Zeitschrift einer durchaus historisierenden Systematik. Um sie zu erstellen, ist es notwendig, von den politischen Tendenzen auszugehen, nach denen das jeweilige Organ in der Publizistik zum Kampfe antritt. Schon ein grobes Vorordnen führt zu folgenden Möglichkeiten des Differenzierens:
Bereits für das 17. und 18. Jahrhundert lassen sich aus den politischen Zeitschriften weltanschauliche Grundeinstellungen eruieren. Gegenüber dem Absolutismus zeigen die Zeitschriften bejahende oder verneinende Einstellungen. Andere neigen zu evangelischen oder katholischen Auffassungen. Rationalistische Lehren aus England und Frankreich beeinflussen deutsche Periodika. Das führt zu zeitkritischen Gedankengängen, welche in den Mantel moralphilosophischer Abhandlungen gehüllt werden. Infolge ständig wiederholten Publizierens stellen sich politische Wirkungen ein.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verschärfen sich die weltanschaulichen Auseinandersetzungen zu harten parteipolitischen Debatten. Die Zeitschriften werden zum Träger relevanter Zeitströmungen wie Liberalismus und Sozialismus. In Verbindung mit diesen erstreben sie-eine Erleichterung der Regierungs-und Verwaltungsformen und erreichen, zwar nur allmählich, aber endlich doch eine Änderung der Systeme.
Während des 20. Jahrhunderts, und das gilt bis zur Gegenwart, treten politische Zeitschriften hinzu, welche konfessionelle Begründungen oder parteipolitische Argumente gänzlich hinter sich lassen. Deutlicher und unnachgiebiger noch als im 19. Jahrhundert vertreten sie die Interessen von um ihrer Zielsetzungen willen zusammengeschlossener Gruppen mehr oder minder offensiv. Stehen sich doch beispielsweise die Periodika von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, von Hausbesitzern und Mietern in einem gleichsam zur Bemäntelung mit politischen Schlagworten geführten, indes lediglich dem Erreichen materieller Interessen geltenden Kampfe gegenüber.
Sichtbar werden somit in allen drei Jahrhunderten Erscheinungen aus den vier zuvor charakterisierten Grundgruppierungen politischer Zeitschriften. Für ein künftiges, tieferes Eindringen in eine Geschichte aller Varianten des Phänotypus politische Zeitschrift empfiehlt sich folgende systematische Einteilung, die vorerst nur in Umrissen skizziert sei:
Jenseits ephemerer Vorgründungen gilt das Pariser Journal des Savants als erste Zeitschrift der Welt
schen Gelehrten Anzeigen nicht ohne empfindliche, jahrelange Unterbrechungen erscheinen können
Aus Zeitschriften des bezeichneten, universalistisch angelegten Genres haben sich die ersten politischen Periodika zumeist durch Ab-spaltung entwickelt:
Zwischen 1690 und 1730 dominieren innerhalb des sich auf Politik spezialisierenden Mediums die historisch-politischen Zeitschriften. Als erste wäre zu nennen Anton Fabers (Christian Leonhard Leuchts) Europäische Staats-kanzley (gegr. 1697)
Als Repräsentanten jener höchst unterhaltsam redigierten Spezies, deren Ausläufer erst vor der Französischen Revolution erloschen, sind Sinold von Schütz'Europäische Fama (1702 bis 1765)
An zweiter Stelle im Feld liegen die „Staatsaufklärenden Zeitschriften". Sie entstanden um 1750 und bestanden bis 1848:
In seinen für diesen Typus beispielhaften Diplomatischen und Historischen Belustigungen (1753— 1764) konnte F. K. v. Moser nur Akten und Urkunden publizieren. Sie unmittelbar zu kommentieren, das war noch nicht möglich. Dennoch hat er in Vor-, Bei-oder Nachworten das Nötige gesagt
An dritter Stelle seien die gleichfalls aufklärerischen, jedoch in literarischer und politischer Mischung redigierten Zeitschriften genannt. Charakterisieren lassen sie sich mittels einer der Berlinischen Monatsschrift (1783 bis 1796) entnommenen Prägung als „Nationaljournale"
Wer das Dezemberheft 1784 der Berlinischen Monatsschrift aufschlägt, findet darin Kants einleitenden Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Er ist kennzeichnend für die sich entfaltende Souveränität der politischen Zeitschrift. Kant rief den Untertanen zu: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen." — „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." — „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen."
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die Zeitungen in Frankreich bis 1789, in Deutschland bis 1848 nicht in der Lage waren, das von den Aufklärern verkündete Ideal staatskritischer Publizität zu realisieren. Dank den politischen Zeitschriften und ihren jahrzehntelangen Kämpfen um die Freiheit der Meinung ist der Idealbegriff „Publizität" in die die Wandlungen des politischen Seins bewirkende Erscheinung „Öffentliche Meinung" verändert worden
V. Politische Gruppierungen im Zeitschriftenwesen des 19. und 20. Jahrhunderts
Wer von politischen Zeitschriften spricht, fragt nach ihrer politischen Haltung. Diese deutlich zu zeigen, wagten sie schon um 1770, auf dem Höhepunkt der Aufklärung. Ihr bereits vor der Französischen Revolution demonstrierter Bekennermut fordert noch nachträglich Bewunderung ab. Die Reihe der „oppositionellen Zeitschriften" hat mit den hart verfolgten Blättern eines Schubart: Deutsche Chronik (1774— 1793)
Die frühen oppositionellen und ebenso die restaurativen Zeitschriften haben, die einen spontan, die anderen gezwungenermaßen, die innenpolitische Debatte — beispielsweise über konfessionelle und politische Fragen wie Toleranz, Bauernbefreiung, Juden-Emanzipation — eröffnet. Obendrein haben die oppositionellen Blätter den Weg vorbereitet für die liberalen Zeitschriften: an ihrer Spitze Perthes'Vaterländisches Museum (1810— 1811) und Ludens Nemesis (1814— 1818)
Gegen die titelreiche Flut der liberalen Publizistik wurde der Damm der konservativen Zeitschriften errichtet. Unter ihnen stellt Rankes, den Verhältnissen vornehm angepaßte Historisch-politische Zeitschrift (1832— 1836) eine sprachliche Sonderleistung dar
In einem noch zu erstellenden Rapport über die konservative Zeitschriften-Publizistik ließe sich nicht leugnen, daß aus ihrem ideologischen Hab und Gut gefährliche Ansichten und böse Auffassungen in die Alldeutschen Blätter (1894— 1932) übergegangen sind
Äußerlich attraktiver erschienen die zu Unrecht nur als „Witzblätter" bezeichneten Organe. Bei näherem Zusehen erweisen sie sich als geistige und formale Fortsetzung der frühen oppositionellen Blätter der Spanne vor und nach 1789, ferner der Periodika des Jun-, gen Deutschland, schließlich einzelner Organe der Bewegung des literarischen Naturalismus. In ihrer politischen Resonanz sind sie bisher nicht recht gewürdigt worden. Es handelt sich um Periodika wie Kladderadatsch, Simplizissimus, Roter Pfeffer, Lachen links und endlich gar die Brennessel der Nationalsozialisten. Solche populären Zeitschriften hatten auf ihren Seiten an die Stelle des Leitartikels die Karikatur gesetzt. Als politisch-polemisch-satirische Organe haben manche von ihnen internationale Wirkung erreicht
Solche vereinfachenden Längsschnitte durch die zunächst nur politischen, alsbald politisierten, schließlich hart politisierenden Zeitschriften ganzer Richtungen gilt es zu entwerfen, sobald man versucht, die bis ins 20. Jahrhundert reichenden Zusammenhänge sichtbar zu machen. Besonders schwierig gestaltet sich dabei die Einordnung der für den Durchbruch des Sozialismus kämpfenden Zeitschriften, die bisher im Gegensatz zu den von der herkömmlichen deutschen Historikerschaft stets bevorzugt behandelten konservativen Organen nahezu unerforscht geblieben sind
Während der sechziger Jahre herrschte im sozialistischen Lager — nicht nur ob der Zerspaltenheit in Lassalleaner und Marxisten — ein kaum zu entwirrendes übergehen von Zeitschriften in Zeitungen und umgekehrt. Beispielsweise ist der aus dem Demokratischen Wochenblatt (gegründet 1868) hervorgegangene Volksstaat (1869— 1876) Wilhelm Liebknechts zunächst mehr Zeitschrift als Zeitung gewesen. Der Socialdemokrat (1864 bis 1871) und Der neue Socialdemokrat (1871 bis 1876) Johann Baptist Schweizers waren auf dem Wege von der Zeitschrift zur Zeitung weit vorangekommen, als sie 1876 im Vorwärts (1876— 1878) zu einer wirklichen Tageszeitung verschmolzen wurden
VI. Konfessionelle Gruppierungen im Zeitschriftenwesen des 19. und 20. Jahrhunderts
Auf protestantischer Seite hat es bereits während des 18. Jahrhunderts eine Fülle von Zeitschriften gegeben. An der politischen Aufklärung haben sie nur ausnahmsweise teilgenommen, darunter akzidentiell Löschers Unschuldige Nachrichten (1701— 1750). Im 19. Jahrhundert ist der Protestantismus zuerst durch Hengstenbergs Evangelische Kirchen-Zeitung (1827— 1930) politisch aktiv geworden
Konservativismus und Protestantismus sind in ihren Zeitschriften von Beginn bis zur Gegenwart oft Hand in Hand gegangen. Man denke an die in den Organen beider Richtungen durch alle Epochen beobachtbare und sich stets gleichbleibende Ablehnung der Französischen Revolution.
Die katholischen Zeitschriften des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts schienen zunächst nur Literatur und Unterhaltung zu pflegen. Jenseits solcher Interessen zeigten sie jedoch, wie Sprengers Fränkischer Zuschauer (1772 bis 1773), frühzeitig politischen Sinn für das Schulwesen. Gerade die katholische Kirche hat in der Schule stets das beste Mittel gesehen, die Menschen konsequent zu beeinflussen
In die Landschaft der Monatsrevuen hat der im publizistischen Bereich allzeit wachsame Katholizismus das Hochland gesetzt
Neben den evangelischen und katholischen politisch wirkenden Zeitschriften müßten aus Gründen der Objektivität die antikonfessionellen und atheistischen Zeitschriften angeführt werden. Sie sind bisher noch kein einziges Mal, wie das für die Organe des Pazifismus wenigstens durch die Recherche von Rosa Kempf über „Der deutsche Pazifismus und seine Presse" geschehen ist
VII. Rundschau — Revue — Review
In der Nachbarschaft der politisch-satirischen Organe gebührt den „Zeitschriften unabhängiger Persönlichkeiten" ein angemessener Platz. Hardens Die Zukunft (1892— 1922), Kraus'Die Fac-kel (1899— 1936), Carl v. Ossietzkys Die Weltbühne (1918— 1933), ferner Grossmanns und Schwarzschilds Tagebuch (1920— 1933) und Das neue Tagebuch (1933— 1940) zählen nebst ihren während der Emigration edierten Fortsetzungen zu den bestgeschriebenen politischen Zeitschriften deutscher Sprache
Durch das Aufzeigen des Typus „Revue" lassen sich die bis zur Gegenwart geführten Längsschnitte sinnvoll abschließen. Als Monatsumschau hat sie von jeher allen Gebieten des politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Fort-und Rückschritts Aufmerksamkeit geschenkt. Weil sie das politische Dasein nicht im Detail schildert oder Einzelfälle begutachtet, sondern weil sie als „Rundschau", „Revue" oder „Review" das öffentliche Leben in seiner Gesamtheit betrachtet, veranschaulicht sie klarer als einseitige Organe das politische Auf und Ab.
Aus dieser Gruppe ragen hervor Cottas Deutsche Vierteljahresschrift (1838— 1870), Kurandas, Freytags und Julian Schmidts Die Grenzboten (1841— 1922), Prutz'Deutsches Museum (1851— 1867), Dunckers, Hayms, Delbrücks Preußische Jahrbücher (1858— 1935), Alfred Doves Im Neuen Reich (1871— 1881), Paul Lindaus Die Gegenwart (1872— 1931), Roden-bergs Deutsche Rundschau (1874— 1964)
Wäre nicht ein Teil der politisierenden all-round reviews nach 1945 unter ihren ererbten Titeln abermals erschienen, könnte man den Untergang der Deutschen Zukunft in Das Reich als ein Symbol für das Ende jenes stets lesenswert gebliebenen Zeitschriftentypus höchster Entwicklung nehmen.
Haben die kulturpolitischen Revuen nach 1945 nur noch eine Scheinblüte erlebt? Sind sie ebenso wie die ihnen nachfolgenden, den Zeitgenossen gegenwärtig allenfalls noch dem Namen nach bekannten Revuen aus der ersten, vor der Währungsreform beobachteten Gründungswelle, an die Wand gedrängt worden? Zweifellos wurden viele von ihnen im Laufe der fünfziger und sechziger Jahre von den als Wochenzeitungen aufgemachten Zeitschriften des Observer-Typus überholt. Offensichtlich entwickelt sich die politische Zeitschrift weiter zu einem nunmehr zwischen Monatsschrift und Tageszeitung stehenden, allwöchentlich publizierten mixtum compositum der „Wochenzeitung"; diese Umformung traditionsreicher Typen ist noch weiter im Gange
Als Pross diese vernünftige Forderung nach einer zwar deutschsprachig gestalteten, aber übernational ausgerichteten Revue aussprach, hat er übersehen, daß es sie schon einmal gegeben hat. Nur von Juli 1947 bis August 1948 konnte Alfred Kantorowicz die Zeitschrift Ost und West herausgegeben. In der Einführung des von den damals zuständigen Besatzungsmächten höchst ungern und nur allzu kurzfristig geduldeten Periodikums hieß es: „Die Zeitschrift, deren erste Nummer nun in ihren Händen ist, trägt den Titel: , Ost und West'. Der Akzent liegt auf dem Und’." Kantorowicz schrieb ferner: „Deutschland in seiner gegenwärtigen Situation kann weder die amerikanische Lebensform noch die Entwicklung des Sozialismus in der Sowjetunion schematisch adoptieren." Deutschland müsse, so äußerte sich der 1947 in sein Vaterland zurückgekehrte Prophet, eine „angemessene Lösung der sozialen, ökonomischen und ideologischen Probleme des Zeitalters selber finden"
Nichts gilt so unzeitgemäß, als Goethe zu zitieren. Doch — warum nicht, um einer guten Sache willen, wenigstens ein paar Stöße gegen den Strom schwimmen? Im dreizehnten Kapitel von „Dichtung und Wahrheit" bewundert der Staatsmann aus Weimar den Osnabrücker Publizisten Justus Möser. Bei dieser Gelegenheit äußert er sich über die zwischen Staat und Gesellschaft um stetes Aufklären herrschender Zustände bemühten politischen Zeitschriften: „Dieses unvergleichlichen Mannes kleine Aufsätze, staatsbürgerlichen Inhaltes, waren schon seit einigen Jahren in den Osnabrücker ... Blättern abgedruckt ... und mir bekanntgeworden." Mit Möser spreche „ein vollkommener Geschäftsmann ... in Wochenblättern zum Volke, um dasjenige, was eine einsichtige wohlwollende Regierung sich vornimmt oder ausführt, einem jeden von der rechten Seite fasslich zu machen ..."