In einer Resolution vom 16. Dezember 1971 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen — ohne Gegenstimmen, aber bei zahlreichen Stimmenthaltungen — den Indischen Ozean zu einer „Zone des Friedens" Die Vereinten Nationen blieben auch in den folgenden Jahren mit dieser Frage beschäftigt Der Indische Ozean sollte zu einem „Meer des Friedens“ werden. Er sollte aus der weltweiten amerikanisch-sowjetischen Auseinandersetzung um Einflußsphären herausgehalten werden. Dieser Versuch ist gescheitert: Der Indische Ozean gilt heute als einer der Schwerpunkte im Austrag west-östlicher Interessengegensätze, Diego Garcia einerseits und Berbera andererseits stehen dafür als vielzitierte Beispiele.
Uber einhundert Jahre lang — bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein — galt der Indische Ozean als britisches . Binnenmeer'. Mit ihren Besitzungen in Afrika und Australien beherrschten die Engländer nicht nur die West-und Ostküsten dieses Ozeans, sie kontrollierten mit dem Suezkanal, Aden, den Scheichtümern am Persischen Golf, dem indischen Subkontinent und Singapur auch seine nördlichen Begrenzungen mit den wichtigsten Zufahrtswegen und Nebenmeeren. Diese Situation hat sich jedoch in den letzten 25 Jahren grundlegend gewandelt: Im Zuge der Entkolonialisierung räumten die Engländer nahezu alle einstigen Stützpunkte. Der Entschluß dazu fiel nicht immer leicht, denn London hatte und hat in jener Region bedeutende Außenhandelsinteressen.
Die angespannte Wirtschaftslage zwang Ende 1967 die Labourregierung zu der Entscheidüng, die militärische Präsenz „östlich von Suez" drastisch zu reduzieren. Dieser Entschluß stieß in Washington auf Widerspruch. Durch das Engagement in Südostasien über Gebühr beansprucht, drängte es London, im Indischen Ozean auch weiterhin einen Teil der westlichen Interessen zu vertreten. Dafür gab es mehrere Gründe An seinen Ufern lebt — mit über einer Milliarde Menschen — rund ein Drittel der Weltbevölkerung. In jener Region findet sich — neben Erdöl — eine Reihe weiterer wichtiger Rohstoffe (u. a. Kupfer, Zinn, Bauxit, Blei, Nickel und Kautschuk). In seiner Bedeutung als Handelsweg zwischen Asien und Australien einerseits und Europa und Afrika andererseits ist der Indik — wie der Indische Ozean in Kurzform auch genannt wird — von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Zwischen London und Washington kam es daher schon in den sechziger Jahren zu einer informellen Zusammenarbeit in Fragen, die die Zukunft dieser Region betrafen. Sie lief bzw. läuft darauf hinaus, daß die USA wiederholt in englische Positionen nachrückten. Schon 1961 waren Pläne der amerikanischen Marine bekanntgeworden, im Indischen Ozean Aufgaben eines „naval watchdog" zu übernehmen Als Prämisse galt, daß anderenfalls bei einem britischen Rückzug ein Machtvakuum entstehen würde, in das Moskau nachdrängen werde London behielt sich deshalb einige — strategisch günstig gelegene — Inselgruppen im Indik zurück — unter anderem das Chagos-Archipel mit der Insel Diego Garcia. Um die anstehenden Verhandlungen über die angestrebte Unabhängigkeit nicht zu gefährden, hatte Mauritius seinerzeit Diego Garcia an London verkauft. London faßte jene Inselwelt 1965 unter dem Namen »British Indian Ocean Territory'(BIOT) zu einer Verwaltungseinheit zusammen. BIOT war ausschließlich aus militärischen Überlegungen heraus geschaffen worden. Bereits im Dezember 1966 schloß London mit Washington einen ersten Vertrag ab — weitere folgten—, der darauf hinauslief, Diego Garcia den Amerikanern über die Jahrtausendwende hinweg als Militärbasis zu überlassen Für Washington war dies ein Gewinn von höchster strategischer Bedeutung. Die Insel, rund 2 000 Kilometer südlich Indiens, etwa gleichweit von Afrika und Indonesien entfernt, zeichnet sich durch eine geradezu einzigartige geostrategische Lage aus. Zentral gelegen, ermöglicht sie in weiten Teilen des Ozeans eine nahezu lückenlose Luftüberwachung des gesamten Schiffsverkehrs. Mittlerweile ohne Zivilbevölkerung, so daß auch in Zukunft keine Unabhängigkeitsbestrebungen zu befürchten sind, bietet die etwa 60 Kilometer lange Koralleninsel gleichzeitig vorzügliche Landeplätze.
Vornehmlich die US-Marine nahm sich des Projektes Diego Garcia an. Sie hatte — obwohl bis auf den heutigen Tag offiziell nicht bestätigt — bereits 1964 von untergetauchten Atom-U-Booten abschießbare Polaris-A-3-Raketen mit einer Reichweite von über viereinhalbtausend Kilometer (die Raketen wurden mittlerweile in bezug auf Sprengkopfzahl und Reichweite verbessert) im Indischen Ozean in Stellung gebracht Diese Position hatte sich insbesondere angeboten, da dort verschiedene Bedingungen wie Temperaturen, Meerestiefe und Lauerstellungen für U-Boote weitaus günstiger sind als etwa in der Barents-See oder im Mittelmeer. Damit gerieten — vom Arabischen Meer und vom Golf von Bengalen aus — strategisch wichtige Einrichtungen in der Sowjetunion in den unmittelbaren Zielbereich amerikanischer Feuerstellungen. Ihre Steuerung erfolgt über ein engmaschiges Netz von Militärbasen und Kommunikationszentren, das das Pentagon über den gesamten Indik, von Westaustralien (North West Cape) — u. a.den Seychellen und Mauritius — bis Nordäthiopien (Kagnew) angelegt hatte. Diego Garcia sollte dabei eine zentrale Rolle zufallen. Ein mehrjähriges Ausbauprogramm sah für die Insel den Bau einer Startbahn für strategische Fernbomber, die Errichtung von Funk-und Satellitenleitstationen und die Anlage eines Hafens (Öltanks) vor. Der schrittweise britische Rückzug wurde durch das verstärkte amerikanische Engagement im Indischen Ozean ausgeglichen.
Mit dieser Politik stieß Washington bei einem Teil der Anrainerstaaten auf teilweise heftige Kritik. Im Kreis der blockfreien Nationen — auf den Konferenzen von 1964 in Kairo und 1970 in Lusaka — war der Plan erörtert worden, den Indischen Ozean in eine „Zone des Friedens“ zu verwandeln. In seiner Unbestimmtheit fand er allgemeine Zustimmung, in seiner konkreten Ausgestaltung war und ist er jedoch innerhalb der Anrainerstaaten umstritten. Sri Lankas Vorstellungen von einer atomwaffenfreien Region beispielsweise — Frau Bandaranaike hatte die UN-Resolution von 1971 initiiert — enthielt eine antiindische Spitze. An der vielstimmigen Kritik an Washington änderten diese Unstimmigkeiten wenig. Insbesondere Neu Delhi — Moskau seit 1971 durch einen Freundschaftsvertrag verbunden — wandte sich gegen den Ausbau Diego Garcias zu einem Militärstützpunkt Den USA wurde zum Vorwurf gemacht, dadurch in der Region einen bedrohlichen Rüstungswettlauf heraufzubeschwören. Zu einem ähnlichen Urteil kam eine unabhängige Sachverständigenkommission der Vereinten Nationen Danach mußte ein voll ausgebauter amerikanischer Militärstützpunkt im Indischen Ozean weitreichende Folgen haben. Da er Atom-U-Boote und Fernbomber steuern bzw. versorgen würde, die die Sowjetunion unmittelbar bedrohten, werde Moskau mit Sicherheit darum bemüht sein, einen ähnlichen Stützpunkt im gleichen Gebiet zu suchen. Auch müßten regionale Konflikte und die vielfachen innenpolitischen Instabilitäten in den meisten Anrainerstaaten dadurch in den Sog der Großmachtrivalitäten geraten. Die Warnungen blieben unberücksichtigt. Washington hatte denn auch auf dem Höhepunkt des indisch-pakistanischen Krieges von 1971 und des arabisch-israelischen Konfliktes von 1973 Flotteneinheiten in den Indik entsandt.
Reaktionen Moskaus
Die Sowjetunion war gegenüber dieser Entwicklung, die u. a. eine unmittelbare Bedrohung ihres Territoriums beinhaltet, nicht untätig geblieben Erstmals seit 1968/69 fährt eine sowjetische Seestreitmacht beständig im Indik; gegenwärtig sind es rund 20 Einheiten Moskaus Rücksichtnahmen auf Vorhaltungen der Anrainerstaaten hielten sich fortan in Grenzen. Bereits 1971 brachte es zur UN-Resolution Vorbehalte gegenüber der Realisierbarkeit des Konzepts einer Friedens-zone im Indik vor. Seine vorangegangenen Versuche — nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus — mit Washington darüber in ein Gespräch zu kommen, waren unbeantwortet geblieben Dessen dortige Stellung war zu stark, als daß es dazu bereit gewesen wäre. Es konnte sich auf die — dem machtpolitischen Gegensatz der Großmächte immanente — Logik berufen, nach der, unter umgekehrten Vorzeichen, auch Moskau zu keinem Entgegenkommen bereit gewesen wäre.
Die Sowjetunion besitzt — nach den Vereinigten Staaten — die stärkste Flotte der Welt Ihr Flottenmanöver „Okean 1975" erstreckte sich auf alle Weltmeere; erstmals bezog Moskau dabei auch den Indischen Ozean mit ein. Es hatte in den vorangegangenen Jahren bei einer Reihe von Anrainerstaaten um Hafennutzungsrechte nachgesucht, unter anderem in Somalia, in der Demokratischen Volksrepublik Jemen (Südjemen), dem Irak und Indien. Da die Gewährung derartiger Rechte in jedem Land unterschiedlich erfolgt, ist es im einzelnen schwierig, einen Unterschied zu regelrechten Marinebasen zu ziehen. Noch kann jedoch — nach Ansicht der meisten Experten — davon ausgegangen werden, daß Moskau in jener Region keinen eigenen, das heißt mit alleiniger Verfügungsgewalt ausgestatteten Marinestützpunkt besitzt. In Zweifel geriet diese Auffassung erst mit den jüngsten Entwicklungen in und um Somalia. Moskaus Bestreben, auch in diesem Teil der Erde seinen Anspruch als Weltmacht geltend zu machen, war unübersehbar geworden. Gleich Washington beanspruchte es — entgegen der UN-Resolution von 1971 — für seine Operationen zur See das uneingeschränkte Recht auf die „Freiheit der Meere". Für Moskaus Politik gibt es eine Reihe von Erklärungen. Es ist um Gegengewichte gegenüber der traditionellen Vorherrschaft des Westens im Indischen Ozean bemüht. Es weiß um dessen vitale Wirtschaftsinteressen in jener Region. Gleichzeitig richtet sich seine Flottenexpansion gegen Peking. Dessen Politik läßt Moskaus Stellung — einmal abgesehen von Pakistan und Sri Lanka — auch im Südjemen, in Somalia und Mozambique nicht ungefährdet erscheinen. Als einzige Atom-macht hatte die VR China 1971 die UN-Resolution unterstützt. Ein gewisses Dilemma blieb ihr dabei nicht erspart, denn einerseits vertrat sie das „Friedenszonen" -Konzept, andererseits wurde ihr ein gewisses Verständnis für die amerikanische Politik im Indik unterstellt In offiziellen Verlautbarungen kritisierte sie nichtsdestoweniger entschieden die Präsenz beider Großmächte in der Region Chinas gegenwärtiges Potential zur See ist jedoch zu gering, als daß es in voraussehbarer Zukunft in die dortige amerikanisch-sowjetische Auseinandersetzung einzugreifen vermöchte.
Der Indische Ozean ist aber auch für den innerrussischen Handel zwischen Ostsee und Schwarzem Meer einerseits und Pazifikküste andererseits von Belang. Er ist für die innerrussische Handelsschiffahrt die einzige eisfreie Verbindung. Auch bestehen mit einigen Anrainerstaaten enge Wirtschaftsbeziehungen. Insbesondere jedoch sieht Moskau in den im Indischen Ozean kreuzenden, raketen-bestückten Atom-U-Booten eine ernsthafte Bedrohung Sie sind auf Südrußland gerichtet, und gerade dort konzentriert sich die sowjetische Rüstungsindustrie. Nahezu zwangsläufig — vom Standpunkt einer Welt-macht aus — bemühte sich deshalb Moskau seit dem Ende der sechziger Jahre um verstärkten Einfluß im Indik. Von den dortigen amerikanischen Bodenstationen wird ferner ein ganzes Netz von Frühwarnungs-und Aufklärungssatelliten gesteuert, das das Gebiet der Sowjetunion kontrolliert. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre verstärkte Moskau daher seine Flottenaktivitäten im Indischen Ozean erheblich.
Die inneramerikanische Diskussion
Mit seiner Flottenpolitik spielte Moskau — ungewollt — seinem unmittelbaren Gegenüber, der amerikanischen Marine, in die Hände. Der Hinweis auf seine Aktivitäten kam den jährlichen Budgetforderungen der US-Marine zugute Insbesondere die atomar gerüstete siebte Flotte — der stärkste Flotten-verband der Erde — ist der Garant des amerikanischen Einflusses in jener Region. Sie hat in den letzten Jahren ihren Schwerpunkt in den Indik zu verlegen begonnen. Im Urteil über die eigene Schlagkraft weitaus zuversichtlicher, als es nach außen hin den Anschein hat, versäumt sie keine Gelegenheit, auf die Gefahren einer sowjetischen Flotte im Indischen Ozean hinzuweisen
Die Gründe hierfür sind einsichtig. Der langjährige Planungschef der US-Marine, Admiral Zumwalt, war mit seiner Absicht, den Ausbau des Flottenstützpunktes Diego Garcia voranzutreiben, auf Widerstand im Kongreß gestoßen. Es kam zu ausführlichen und zum Teil höchst kritischen Hearings vor den zuständigen Senatsausschüssen Schon zu Anfang der siebziger Jahre waren innerhalb des Senats — wie in der UNO — die Befürchtungen gewachsen, daß dadurch ein unkontrollierbarer amerikanisch-sowjetischer Rüstungswettlauf im Indischen Ozean ausgelöst werde.
Erst der Oktoberkrieg von 1973 gab der Marine Gelegenheit, diesbezügliche inneramerikanische Befürchtungen zu zerstreuen Es galt — so die Argumentation —, dem Westen den Zugang zu den lebenswichtigen Ölquellen offenzuhalten; dazu sollte Diego Gar-cia dienen. Das Olembargo hatte die extreme Verwundbarkeit der westlichen Industrienationen aufgezeigt. Die Wiedereröffnung des Suezkanals versprach Moskau in die Lage zu versetzen, im Krisenfall zusätzliche Verbände seiner Schwarzmeer-Flotte kurzfristig in Richtung Persischer Golf — dem erdölträchtigsten Gebiet der Welt — zu entsenden. Zusammen mit der Behauptung, daß Moskau im Irak, dem Südjemen und in Somalia eigene Stützpunkte errichte, schienen vitale Wirtschaftsinteressen des Westens gefährdet. Auch Washington bezieht ein Siebtel seines Bedarfs an Erdöl aus jener Region; seine Wirtschaft hat dort enorme Summen investiert. Für die westeuropäische und japanische Wirtschaft ist eine ungehinderte ölzufuhr aus dem Persischen Golf von geradezu lebensnotwendiger Bedeutung. Diego Garcia bot sich zur Kontrolle der Golfregion — aber auch als Ausgangspunkt für Einsätze bei einem möglichen weiteren arabisch-israelischen Konflikt — an Nach langem Zögern gab der Senat seinen Widerstand auf; er bewilligte Ende Juli 1975 die erforderlichen Summen zum weiteren Ausbau der Insel.
Zurück blieben — auch innerhalb des Senats — Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Entscheidung. Die Kritiker — u. a. Edward M. Kennedy, M. Mansfield, A. Harriman, Chester Bowles — berufen sich dabei auf eine eigene Argumentationskette Danach waren für das Olembargo und die Olpreispolitik allein die erdölproduzierenden Staaten verantwortlich. Auch der wiedereröffnete Suezkanal bringe der Sowjetunion nur bedingt Vorteile.
Zwar reduziere sich dadurch der Weg ihrer Schwarzmeerflotte in den Indischen Ozean erheblich, sie werde es jedoch kaum auf eine ernsthafte Störung des internationalen Handels ankommen lassen, da es für den Westen ein leichtes wäre, als Vergeltung die für die Sowjets so wichtigen Ausfahrten aus der Ostsee und dem Schwarzen Meer — ebenso wie den Suezkanal — zu sperren. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen sowjetischer Schwarzmeer-und Pazifikflotte im Indischen Ozean bleibe daher stets gefährdet. An der Absicht Moskaus, stärker als bisher im Indischen Ozean präsent zu sein, wird jedoch nicht gezweifelt. Daraus wird aber nicht auf eine unmittelbare und nachhaltige Gefährdung westlicher Interessen geschlossen. Zumindest sollte — so die Meinung der Kritiker — nichts unversucht gelassen werden, in Direktverhandlungen mit Moskau Möglichkeiten eines beiderseitigen Begrenzungsabkommens auszuloten Anderenfalls drohe im Indischen Ozean ein ebenso verhängnisvoller wie irreversibler Rüstungswettlauf.
Ähnlich argumentierte auch der — zwischenzeitlich entlassene — Direktor des CIA, William Colby Seiner Meinung nach besitzt der Westen gegenüber der sowjetischen Flotte im Indischen Ozean auch heute noch eine deutliche Überlegenheit. Den vereinigten See-streitkräften der USA, Großbritanniens und Frankreichs — darunter mehrere Flugzeugträger — hat Moskau nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Jene können auch auf australische und südafrikanische Unterstützung zurückzugreifen. Neben London unterhält auch Paris in jener Region noch mehrere maritime Stützpunkte — unter anderem Djibouti, am Horn von Afrika unweit des umstrittenen somalischen Hafens Berbera gelegen. Noch Präsident Nixon soll 1973 Präsident Giscard d'Estaing persönlich darum gebeten haben, Djibouti wegen Berbera nicht aufzugeben. Die verschiedenen englischen Stützpunkte arbeiten ohnehin eng mit den amerikanischen Verbänden zusammen. Zwei davon — die Malediveninsel Gan und Singapur — will London 1976 räumen. Um ihre Zukunft hat ein höchst undurchsichtiges diplomatisches Tauziehen eingesetzt. Wohl hat Außenminister Callaghan im Juni 1975 auch das 1955 mit der Republik Südafrika abgeschlossene Simonstown-Abkommen — es diente der gemeinsamen Verteidigung der Seeroute um das Kap der Guten Hoffnung — für beendet erklärt, es kann jedoch wenig Zweifel daran bestehen, daß britische — und amerikanische — Flotteneinheiten Simonstown auch weiterhin anlaufen können. Pretoria hat wiederholt sein großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit der NATO zum Ausdruck gebracht — nach verschiedentlich vertretener Auffassung nicht ohne Erfolg 25a). Gleichzeitig wurde im Sommer 1975 bekannt, daß die US-Marine — die auch noch von Thailand aus Aufklärungsflüge über dem Indik fliegt — in Singapur ohne ein formelles Abkommen weitgehende Landerechte wahrnimmt. Für die Siebte Flotte ist Singapur nicht zuletzt die bislang fehlende Zwischenstation auf dem langen Weg vom Marinestützpunkt Subic Bay (Philippinen) nach Diego Garcia. Damit ist diese Flotte — die auch zu Indonesien gute Kontakte unterhält — ihrem Ziel, zwei der drei wichtigsten Zufahrten zum Indischen Ozean — das Kap der Guten Hoffnung und die Straße von Malakka — zu kontrollieren, sehr nahe gekommen. Uber die dritte jener Zufahrten, den Suezkanal, haben die Sowjets 1972 — mit der Ausweisung aus Ägypten — die Kontrolle verloren.
Die Golfregion
Ein Schwerpunkt nahezu aller Großmachtpolitik in und um den Indischen Ozean liegt im Bemühen um die Kontrolle des Persischen Golfs. Sie ist heute von weitaus größerer Bedeutung als die des Suezkanals. Rund um den Golf liegen die ergiebigsten Ölquellen der Welt. Die weitaus stärkste regionale Militärmacht ist der Iran. Er rüstet — wie Saudiarabien — mit geradezu gigantischen Waffen-käufen, vor allem in den USA, auf Die übrigen Staaten der Region folgen diesem Vorbild. Bereits heute wird die Zahl amerikanischer Militärberater im Iran auf über sechs-tausend geschätzt. Für die gesamte Region läßt sie sich nur noch in Zehntausenden angeben. Das Pentagon schätzt, daß bis 1980 bereits 150 000 Amerikaner — im Vollzug militärischer und wirtschaftlicher Aufträge — in der Golfregion tätig sein werden
Die Folgerung, daß das angestrebte regionale Sicherheitssystem ohne Großmächte letztendlich von den USA überlagert wird, drängt sich unmittelbar auf Für Washington fällt es unter diesen Umständen leicht, 1976 seine bisherige Flottenbasis auf Bahrein aufzugeben. In laufenden Verhandlungen mit London und dem Sultan von Oman stellt es ohnehin sicher, den strategisch günstig gelegenen Luftwaffenstützpunkt Masira vor der Südostküste Omans mitbenützen zu können Auf ihm sollen sich im Krisenfall bis zu 40 000 Mann stationieren lassen Er sichert die Ausfahrt aus dem Persischen Golf — die Straße von Hormuz — mit ab. Sie wird täglich von Riesentankern mit einer Gesamttonnage von rund 20 Millionen Barrell Öl passiert — das ist die Hälfte der täglichen Erdölproduktion aller nichtkommunistischen Länder. Nicht zuletzt deshalb gewährleistet auch der Schah — in Zusammenarbeit mit Washington und London — den durch die Rebellion in Dhofar gefährdeten Bestand des gegenüberliegenden Sultanats Oman Nicht zuletzt deshalb erfuhr auch der verschiedentlich schon totgesagte CENTO-Pakt in den letzten Jahren eine so überraschende Wiederbelebung Auch das letzte großangelegte Manöver des Militärpaktes im November 1975 führte durch die Straße von Hormuz. An dem kombinierten Manöver von See-und Luftstreitkräften nahmen amerikanische, britische, türkische, pakistanische und iranische Truppen teil.
Dem Iran fällt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle zu. An seinen grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber der Sowjetunion sind wenig Zweifel möglich; er arbeitet mit Washington eng zusammen. Auch versteht er sich — ungeachtet des erheblichen Mißtrauens, das ihm von den arabischen Nachbarstaaten auch heute noch entgegengebracht wird — nicht nur als Führungsmacht am Golf, seine Zielsetzungen greifen weit in den Indischen Ozean hinaus In Saudiarabien — einem weiteren potenten Verbündeten Washingtons — wird bereits von einer iranischen Stützpunktpolitik im südafrikanischen Simonstown gesprochen Tel Aviv, zu dem Teheran auch weiterhin tragfähige Beziehungen unterhält, arbeitet gleichfalls mit Pretoria militärisch zusammen Israel kann — angesichts der Möglichkeit einer arabischen Fernblockade außerhalb des Roten Meers — von den strategischen Gegebenheiten im nordwestlichen Indik nicht unberührt bleiben.
Gegenüber diesem — bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen, im grundsätzlichen gleichgerichteten — Interessenkomplex nimmt sich die Stellung Moskaus in der Golf-region bescheiden aus Die von interessierter amerikanischer Seite im Frühjahr 1975 lancierte Behauptung, daß der irakische Hafen Um Quasr zu einem sowjetischen Flottenstützpunkt ausgebaut werde, erwies sich als Falschmeldung. Moskaus Einflußmöglichkeiten im Irak sind — trotz des beiderseitigen Freundschaftsvertrages von 1972 — enge Grenzen gesetzt. Für dessen Führung hat Moskau, ohne daß es deshalb zu einem Bruch kommen muß, seine Schuldigkeit insofern erfüllt, als es Anfang der siebziger Jahre die nötige außenpolitische Absicherung dafür abgab, die westlichen Olgesellschaften im Lande zu entmachten Gleichzeitig gelangte Bagdad im letzten Jahr zu einem überraschenden Ausgleich mit Teheran.
Bleibt Moskau noch die Demokratische Volksrepublik Jemen: Mit dem Südjemen ar-beitet es zwar seit Jahren eng zusammen, aber auch dieser strategische Geländegewinn hält sich — nach Angaben des CIA — in Grenzen. Hafen und Flughafen von Aden sind für die Belange des sowjetischen Militärs nur bedingt verwendbar, u. a. ist die Piste des Flughafens für sowjetische Aufklärungsflugzeuge zu kurz. Die südjemenitische Insel Sokotra am Ausgang des Roten Meeres ist als Luft-und Seestützpunkt ungeeignet.
Schlußbemerkungen
Die Sowjetunion bemüht sich vor allem in Somalia, ihre Stellung auszubauen. Das Land erhält seit Jahren erhebliche Wirtschafts-und Militärhilfe Beide Regierungen schlossen 1974 einen Freundschaftsvertrag ab Die Sowjets benutzen den Hafen Berbera, verfügen jedoch über keine Werftanlagen an Land; Reparaturen müssen mit Hilfe eigener Troß-Schiffe durchgeführt werden. Daran, daß sie in Berbera Kasernen, Treibstofflager, einen Flugplatz mit überlanger Piste und eine Groß-funkstation bauen, kann mittlerweile kaum mehr ein Zweifel bestehen. Auch für die Behauptung des Pentagons, daß dort Raketen-Abschußrampen gebaut würden, lassen sich Beweise erbringen. Letzte Unklarheiten darüber konnten jedoch auch durch Besichtigungen amerikanischer Senatoren an Ort und Stelle nicht gänzlich aufgeklärt werden. Immerhin waren sie im vergangenen Sommer voh der Regierung in Mogadischu mit dem erklärten Ziel eingeladen worden, dadurch den Vorwurf, sowjetische Basis zu sein, zu entkräften Wie auch immer die im einzelnen schwer nachprüfbaren Behauptungen bewertet werden, der letztjährige Wirbel um Somalia genügte dem Pentagon, um noch bestehende inneramerikanische Einwände gegenüber dem Ausbau Diego Garcias zu überstimmen. Die Einwände hatten darauf abgezielt, noch einmal ernsthaft zu sondieren, ob die Sowjets an einer beiderseitigen Begrenzung der Flottenpräsenz im Indik interessiert sind.
Insofern die Sowjets in Somalia Raketen lagern können, können sie einen strategischen Gewinn verbuchen. Auch ermöglicht der Flughafen von Berbera — ein weiterer befindet sich nordwestlich von Mogadischu im Bau — ihren Aufklärungsflugzeugen, bis zum Kap der Guten Hoffnung und zur Straße von Malakka Patrouillen zu fliegen. Damit droht den amerikanischen Atom-U-Booten eine Ortung Zur raumgreifenden Beherrschung des Indischen Ozeans genügt jedoch weder Berbera noch Aden. Noch ist die Präsenz der sowjetischen Flotte also vorwiegend eine politische Demonstration. Für den Krisenfall ist ihr von Marineexperten ein schnelles Ende vorausgesagt worden
Für Moskau bleibt noch ein weiteres Problem zu lösen: Es ist in seiner Stützpunktpolitik vom politischen Wohlwollen der jeweiligen Länder abhängig. Schon zum wiederholten Male mußten die Sowjets — unter Preisgabe enormer volkswirtschaftlicher Werte — erfahren, welch steten Gefährdungen eigene logistische Installationen in einem fernen Land ausgesetzt sind. Allein in den letzten fünf Jahren mußten sie ihr Militär aus Ägypten, dem Sudan und der Arabischen Republik Jemen (Nordjemen) zurückziehen. Nur noch am Ausgang des Roten Meeres, im Südjemen und Somalia, verblieben ihnen strategische Positionen. In beiden Ländern ist die Stellung Moskaus nicht a priori sicher Der letztjährige Umsturz in Bangladesh hat deutlich werden lassen, auf welch schwachen Voraussetzungen verschiedentlich angenommene sowjetische Einflußsphären beruhen. Indien kann — ungeachtet seiner engen wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit — schwerlich als sowjetischer Satellit bezeichnet werden Beweise dafür, daß es den Sowjets Marinestützpunkte eingeräumt habe, sind bisher nicht erbracht worden. Indien ist wirtschaftlich zu schwach, um selbst eine schlagkräftige Marine aufbauen zu können. Es überraschte daher wenig, daß CIA-Direktor W. Colby Vorbehalte gegenüber einem for-eierten Ausbau Diego Garcias vorbrachte Seiner Meinung nach würde dadurch lediglich ein stetes sowjetisches Engagement provoziert. Der Indische Ozean ist — global gesehen — für Moskau eine Region von eher nachgeordneter Bedeutung. Damit ist nichts über die sowjetischen Motivationen ausgesagt. Sie sind auf mehr Einfluß im Indik ausgerichtet. Auch eine Weltmacht muß jedoch Prioritäten setzen; für Moskau liegen sie nicht im Indischen Ozean. Seitdem sich jedoch Washington in jener Region mit Atom-U-Booten festgesetzt hat, haben sich dort beide Mächte derart engagiert, daß die Aussichten fü-eine Beendigung des maritimen Wettrüs. ns gering sind. Zu groß ist — für Washington — der Stellenwert des Indischen Ozeans; der Schutz der Olrouten ist dafür nur ein Argument. Gewichtiger noch sind militärstrategische Überlegungen: Das Pentagon unterhält — wie bereits erwähnt — über den Ozean hinweg ein Netz von Militär-basen und Kommunikationszentren. Sie sind — unter anderem — Schaltzentren fürFrühwarnsatelliten, die den Abschuß interkontinentaler Raketen in der Sowjetunion und in China ebenso kontrollieren wie Raketenversuche über und unter der Erde. Ihre Computersysteme — u. a. in der Verteidigungsund Raumkommunikationsanlage Pine Gap, nahe Alice Springs, Australien — können innerhalb von Bruchteilen von Sekunden feststellen, welche Raketen wo gestartet worden sind und welche Ziele sie ansteuern. Außerdem wird vermutet, daß sie die Zentrale für einen Anti-Raketen-Satelliten abgeben, der das Lenksystem anfliegender Feindraketen mittels Laserstrahlen zu stören vermag. Diego Garcia ist nicht nur in dieses Netz eingebaut. Es dient nicht nur als Standort für Flugzeugträger und strategische Fern-bomber und zur Steuerung von Atom-U-Booten. Aus technischen Gründen verläuft die Bahn sowjetischer Satelliten über dem Indischen Ozean am erdnächsten. Kein anderer Standort als gerade Diego Garcia eignet sich so gut zu ihrer Überwachung. Damit gewinnt die Insel für Washington einen schlechterdings unschätzbaren Wert.