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Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Joachim Besser

/ 6 Minuten zu lesen

Gesetze machen ist leicht, wenn man weiß, für wen man ein Gesetz abzufassen hat. Aber machen Sie einmal ein Gesetz für Leute, die selbst nicht wissen, wer sie sind. Auf wievielen Verbandstagen, in wievielen Ausschüssen haben die Journalisten schon darüber gestritten, wer sie eigentlich seien. Sie haben an einem Berufsbild gebastelt, aber es kam immer nur ein Zerrbild zustande.

Viele halten sich für Götter, einige behaun-ten, sie seien Knechte, Knechte der Verleger. Sind sie vielleicht geknechtete Götter? Nur eines ist sicher: Journalisten leben im Himmel, im Himmel der Illusionen über sich selbst. Und das hat gute Gründe. Sehen wir uns einige von ihnen an.

Journalisten dürfen kritisieren, nahezu alle und alles. Politiker im Ausland, im Inland und Kommunalpolitiker, Zustände, Institutionen, Verbände. Wenn sie sich nur immer schön allgemein unverbindlich ausdrücken, gibt es fast keine Grenze für die Kritik. Die Meinung ist frei, und selbst wenn sie beleidigend ist, so ist es eben eine freie und soweit geschützte Meinung. Journalisten können sich wie die antiken Götter benehmen. Wenn die Damen und Herren des Olymp schlechte Laune hatten, dann sprangen sie ja auch ganz lustig mit den Menschen uil. Sie ließen es donnern und blitzen, sie bewegten die Wogen des Meeres von Grund auf, und die Menschlein kamen um in den Wassern und wurden vom göttlichen Blitz getroffen.

Das Götterrecht der freien Meinung macht die Journalisten zu einer Elite. 20 000 Menschen schreiben in Deutschland, ein kleines Häufchen, gemessen an den 60 Millionen Bewohnern der Bundesrepublik. Das Götterrecht und das Elite-Bewußtsein hat die Journalisten blind gemacht. Und da dann noch die Eitelkeit hinzugetreten ist, die große Verführerin aller Schreibenden, so lächelt den Journalisten, wenn sie in den Spiegel schauen, immer nur Adonis entgegen, der liebliche, schöne Knabe, faltenlos und jung, fehlerfrei und Augenweide.

Schreiben ist schon ein Genuß. Aber schreiben und gedruckt werden, viele hundertausendmale gedruckt werden, im Laufe des Lebens millionenfach vervielfältigt werden, von des Gedankens Blässe in handfestes Blei gegossen, beim Zeus, das konnten nicht, einmal Dante oder Goethe vorweisen. Und wie mußten die rackern, um originell zu sein. Heute genügt es schon, aus fünf Artikeln einen sechsten zu bilden, und schon müssen Hun-lerttausende das lesen, verdauen, in sich aufnehmen.

Götterrecht, Elitegefühl und Eitelkeit, das gibt eine Mischung, die man nicht jeden Tag antrifft. Kein Wunder, daß Journalisten so wenig über sich selbst wissen. Und die Verleger haben allen Grund, diese drei ihnen wohl bekannten Qualitäten ihrer Journalisten zu pflegen. Denn das spart Geld, das lohnt.

Und deshalb haben alle klugen Verleger einen Kodex des Umgangs mit Journalisten entwickelt, der ihrer Intelligenz alle Ehre macht. Das oberste Prinzip heißt: Loben und immer wieder loben. Jedes Lob spart einen Hundertmarkschein Gehaltserhöhung, jedes Doppel-lob spornt den Gelobten an, künftig statt zehn Stunden zwölf Stunden am Tag zu arbeiten.

Wenn der Verleger sagt: „Also, mein Lieber, Ihr Leitartikel heute, ich bin überall in der Stadt darauf angesprochen worden, wie Sie das wieder formuliert haben", dann läuft der so Belobte wie auf Luftkissen, die Erde löst sich auf in himmlische Gefilde, selbst zu Hause noch spricht er dann gütig mit Weib und Kindern, und er würde sich geradezu schämen, von einem so weisen, einsichtigen und klugen Verleger mehr Geld zu fordern. Und wenn er in solcher Weise regelmäßig gelobt wird, dann kann die Gewerkschaft baden gehen. Er ist doch — verdammt — kein Arbeitnehmer, er ist ein Gott, der ausdrückt, was die Seele des Volkes, des stummen und stumpfen Volkes, bewegt, er gehört zur Elite, die dieses Volk führt. Arbeitnehmer? Abhängig soll er sein? Von wem denn? Frei sind die Gedanken, frei ist die Meinung. Sehen Sie, und da steht nun der Gesetzgeber und soll ein Presserechts-Rahmengesetz machen für Leute, die sich für Götter halten. Wie kann man aber Götter unter ein Gesetz spannen, ihren göttlichen Gedankenflug regeln, das vertraut-freundschaftliche Verhältnis zwischen diesen Göttern und ihrem Ober-gott, dem Verleger, durch Regeln einengen wollen, etwa gar Gewerkschaften Einfluß auf den unerhörten Flug der Gedanken einräumen. Und deshalb brüten sie ja auch so lange Zeit schon, die Medienexperten aller unserer drei Parteien, und kommen nicht voran. Der Grund ist doch nun wohl klar: Bisher mußten sie immer Gesetze für Menschen machen, aber noch nie für Götter. Und daran werden sie ja denn wohl auch scheitern. Und alles wird so bleiben, wie es ist.

Wie ist es denn nun wirklich? Ich wage es kaum, das hinzuschreiben. Es ist wie in der guten, alten Zeit. Sie wissen nicht, wie es da zuging? Nun, es war so: Es gab einen Verleger, der war gütig und weise und allmächtig. Es gab keine Gewerkschaften, es gab keine festen Arbeitszeiten. Der Verleger bestimmte die Marschrichtung, und die Journalisten marschierten. So war das. Und so soll es noch sein?

Nun, Sie müssen das nicht wörtlich nehmen. Ganz spurlos ist der Wandel der Zeit natürlich weder an Verlegern noch an Journalisten vorübergegangen. Es gibt weniger Verleger als früher und fraglos weniger von der gütigen Sorte. Dafür gibt es mehr Manager, die dafür allmächtiger sind. Auch gibt es Gewerkschaften, nur haben sie im Zeitungswesen nichts zu sagen. Dafür hat man den aus dem Jahre 1920 stammenden Tendenzschutz-paragraphen, damit nicht etwa die Drucker, sondern nur die Verleger das Denken und Schreiben der Journalisten beeinflussen können. Es gibt noch immer keine festen Arbeitszeiten. Sagen die Verleger doch mit Recht, man könne Göttern nicht vorschreiben, zu welcher Stunde ihnen Einfälle zu kommen haben. Und der Verleger bestimmt noch immer die Marschrichtung, da er die Grundsatz-, die Detail-und alle sonstigen Kompetenzen hat.

So sieht das in Wirklichkeit aus. Und da fragt man sich nun, welches Selbstverständnis die Journalisten wohl hätten. Logisch wäre es, wenn sie sich als Knechte ansähen, denen ihr Anteil an der Pressefreiheit vorenthalten wird. Unsere Verfassung, das Grundgesetz, hat sie vergessen. Sie kommen darin nicht vor.

Wie überall auf der Welt, so geht es auch im Pressewesen um Macht. Wer das Geld hat und wem die Rechte zustehen, der bestimmt. Aber Journalisten, die immer so kluge Artikel über Macht in der Politik und besonders über Machtmißbrauch schreiben, haben im eigenen Gelände kein Gefühl für Macht. Sie sind in viele Organisationen aufgesplittert, die einander auch noch bekämpfen. Die einen nennen die anderen reaktionär, die anderen die einen links-radikal. In die Gewerkschaft wollen sie nicht hineingehen, weil sie dort die Anwesenheit von Druckern und Setzern stört, mit denen sie in der Realität recht gut zusammenarbeiten. Streiken können sie nicht, weil sie kein Geld haben und weil das ohne die Mitwirkung der Technik sinnlos wäre. Arbeitgeber sind sie nicht, Arbeitnehmer wollen sie so recht nicht sein, weil sich ihre mystische Vorstellung vom Geist mit dem Arbeitnehmerstatus offenbar nicht vereint.

Nun, gewiß, ich übertreibe, alle sind sie nicht so. Einige sehen schon die Realität und sprechen sie auch aus. Aber die gelten dann sofort als links, womöglich als Linksradikale, und dann sind sie tot. Dabei wollen sie weder Verleger aufhängen noch die Verlage verstaatlichen, aber sie möchten die einseitig vergebene Macht geteilt sehen. Weiter nichts. Und sie haben sogar bisher auf die Regierung und das besagte Presserechts-Rahmengesetz gehofft. Doch sie hoffen schon längst nicht mehr. Es wird alles so bleiben, wie es ist, bis die Verleger die letzte Zeitung hinwegkonzentriert haben. Dann löst sich das Problem von selbst.

Wirklich, das Selbstverständnis der Journalisten ist göttlich. Was Götter wirklich denken und fühlen, es ist uns Menschen unbekannt. Aber genauso wie die antiken Götter nichts anderes waren als Symbolgestalten menschlicher Eigenschaften, so sind die Journalisten nur Symbolfiguren der Pressefreiheit: Jeder glaubt, sie hätten diese Freiheit im Besitz, und niemand sagt, daß diese Freiheit allein den Verlegern gehört. Das Selbstverständnis der Journalisten ist eine göttliche Illusion.

Fussnoten

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Joachim Besser, Dr. phil., geb. 1913, von 1962 bis 1971 Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers; Vorsitzender des Rheinisch-Westfälischen Journalistenverbandes.