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Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt?

Wolfgang Clement

/ 4 Minuten zu lesen

Die Frage, ob sich das Redaktionsstatut der Westfälischen Rundschau (WR) vor, nach oder im Zuge der Kooperation WR/WAZ bewährt habe, mutet auf den ersten Blick ironisch an. Das Statut hat die Kooperation nicht überlebt. Die im Titel angeschnittene Problematik kann dennoch ernst genommen werden. Entgegen einer seinerzeit veröffentlichten Meinung, die eigentlich nur mit einer unzulänglichen Recherche erklärt werden kann, war das Redaktionsstatut der WR ein Produkt der Redaktion, d. h. weder der Idee noch der Konzeption nach können die SPD oder gar die IG Druck und Papier ernsthaft Urheberrechte daran beanspruchen. Das Papier ist vielmehr aus einer innerredaktionellen Diskussion entstanden, die von den über 20 WR-Lokalredaktionen ausgegangen war. Diese Diskussion hatte zum Ziel, zum einen personelle und publizistische Vorgänge im Hause greifbarer zu machen, zum anderen die Kompetenzen von Verlag und Redaktion voneinander abzugrenzen, und zwar so, daß die Redaktion an Entscheidungen, die sie betrafen, beteiligt würde.

Auf dieser Basis ist der erste Entwurf des Statuts auch auf die Welt gekommen, erarbeitet von einer Redaktionskommission, die von einer Redaktionsvollversammlung eingesetzt worden wa, und die das Ergebnis ihrer Arbeit auch wieder von jener Versammlung ab-segnen ließ. Die beiden Tarifverträge, die endlich zwischen der seinerzeitigen, Geschäftsführung der WR und der IG Druck und Papier als „Redaktionsstatut" vereinbart worden waren, hielten sich eng an den Entwurf der Redaktion. Die Redaktionskommission hatte deshalb damals auch kaum Bedenken, dem rasch zuzustimmen.

Diese Vereinbarung enthielt die folgenden Schwerpunkte: • Der „Tendenzschutz" nach dem Betriebsverfassungsgesetz war in einem der beiden Tarifverträge zwar expressis verbis beibehalten, aber in seinem materiellen Gehalt fast gänzlich aufgehoben worden. Das bedeutete: Die im Betriebsverfassungsgesetz für die Betriebsräte vorgesehene Mitwirkungsregelung galt de facto auch für Verlag und Redaktion der WR. • Der zweite Tarifvertrag — das eigentliche „Redaktionsstatut" — bestimmte: 1. Eine Änderung der Grundhaltung der Zeitung durch den Verleger bedurfte der Zustimmung der-Mehrheit eines Redaktionsausschusses. Kam diese Mehrheit nicht zustande, so hatte eine paritätisch aus Vertretern der Eigentümer und der Redaktion sowie einem „neutralen Mitglied" zusammengesetzte Kommission die Streitfrage „verbindlich" zu entscheiden. 2. Die gleiche Konstruktion galt, wenn die Mehrheit des Redaktionsausschusses der vom Verleger geplanten Berufung oder Abberufung eines Chefredakteurs widersprach.

3. Die weiteren personellen Kompetenzen hinsichtlich der Redaktion waren recht stark auf den Chefredakteur zugeschnitten. So gab es bei Einstellungen, Entlassungen oder Versetzungen von Redaktionsmitgliedern letztlich nur Anhörungsrechte für den Redaktionsausschuß und den zuständigen Ressortleiter. In Streitfällen über die Einsetzung oder Abberufung von Ressortleitern galt insoweit indes eine „Sollvorschrift", die den Chefredakteur an die Mehrheit des Redaktionsausschusses band.

4. Hinsichtlich des Redaktionsetats wiederum war der Chefredakteur auf ein „Mitwirkungsrecht“ beim Verleger beschränkt, der Ausschuß hatte hier abermals ein Anhörungsrecht. 5. Eine Redaktionsordnung hatte der Chefredakteur „im Einvernehmen" mit dem Verleger und dem Ausschuß aufstellen sollen. Bevor es dazu kam, waren beide Tarifverträge mangels Übernahme durch den neuen „Zeitungsverlag Westfalen", in dem die WR seit dem 1. Januar 1975 erscheint, nicht mehr in Kraft.

Zu diesem Zeitpunkt mußte dann auch dem letzten klar geworden sein, daß Redaktionsstatute kein taugliches Mittel gegen die Pressekonzentration sind. Sie können geplante Fusionen oder Kooperationen nicht aufhalten, weil sie im Vorfeld solcher Maßnahmen kaum Einflußmöglichkeiten geben.

Das ist zunächst einmal ein wesentliches Resultat der kurzlebigen Statutserfahrungen bei der WR: Keine Gewerkschaft, keine Partei oder sonstige politische Kraft wird danach mehr für sich in Anspruch nehmen dürfen, sie habe mit dem Einsatz für Redaktionsstatute zugleich etwas gegen die Pressekonzentration getan.

Redaktionsstatute können allerdings die sozialen Folgen von Pressekonzentrationsvorgängen mildern helfen, jedenfalls dann, wenn sie so angelegt sind wie im Falle der WR, also namentlich mit Mitwirkungsrechten des Betriebsrates auch im Tendenzbereich. Und sie können manchmal sogar publizistische Konzentrationsfolgen ertragbar machen.

Bei der WR war dazu die Mitbestimmungsregelung hinsichtlich der Grundhaltung hilfreich: Da für die Einbringung der WR in den neuen Verlag zur Voraussetzung gemacht worden war, die bisher recht eng auf die SPD zugeschnittene Grundhaltung müsse neu gefaßt werden, dieses Verlangen aber eindeutig auf eine Änderung der Grundhaltung hinauslief, hatte der Redaktionsausschuß dem mit Mehrheit zuzustimmen. Hätte er diese Zustimmung verweigert, so hätte der neue Verlag nach der Statutslage erhebliche Start-schwierigkeiten bekommen können. Diese Verantwortung konnte der wirtschaftlich nicht eingeweihte Ausschuß, selbst wenn er es gewollt hätte, kaum übernehmen. Er hat aber die verlangte Änderung nur mit der ausdrücklichen Zusicherung akzeptiert, daß jene in der Praxis keine „Meinungsänderungen" der Redaktion erzwingen werde, also die bisher in den Kommentaren zum Ausdruck gekommene „Meinung" der Redaktion sich auch mit der neuen Grundhaltung vertrage. Hierin kann — zumindest im Sinne einer größeren Rechtssicherheit für die von einem neuen Verlag übernommene WR-Redaktion — ein nicht unwesentlicher Gewinn für die Meinungsvielfalt gesehen werden, der paradoxerweise aus einem zum Sterben verurteilten Redaktionsstatut gezogen wurde.

Bis zu jenem 1. Januar 1975, an dem der neue Zeitungsverlag vom Stapel lief, hatte sich das Statut im Laufe mehrerer Monate ansonsten fast nur innerredaktionell ausgewirkt. Nach den — zugegeben parteilichen — Beobachtungen des Verfassers jedenfalls hatte der Redaktionsausschuß hier das Angebot des Statuts zur Zusammenarbeit mit dem Chefredakteur zwecks gemeinsam stärkerer Position nach außen übersehen oder nicht sehen wollen, sich dafür aber in innerredaktionelle Konflikte — oder was man dafür hielt — bis über beide Ohren vertieft.

Das sind Erfahrungen, die den Verfasser zu einer Warnung und zu einer Frage veranlassen — zur Warnung vor Versuchen nämlich, das „alltägliche" Verhältnis zwischen Chefredakteur und Redaktion in künftigen Statuten oder ähnlichen Regelungen im Sinne einer Konfliktaustragung formalisieren zu wollen. Und zu der Frage, ob'es naturgegeben ist oder doch nur eine Kinderkrankheit der Statutsbewegung, daß sie rasch einen neuen Typus Redakteur geschaffen hat, nämlich den Redaktionsfunktionär, der seine Erfüllung statt in der Redaktion in Redaktionsausschüssen sucht. Wäre diese Schöpfung naturgegeben, so wären Redaktionsstatute mit einem für die Publizistik nur schwer verkraftbaren Makel behaftet.

Fussnoten

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Wolfgang Clement, Jurist, geb. 1940, stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter Politik der Westfälischen Rundschau.