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Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes

Wolfgang Hoffmann-Riem

/ 6 Minuten zu lesen

dem Verlust des Arbeitsplatzes schwindet, wenn sich die publizistische Macht unter immer weniger Konzerndächern zusammenballt. Um hier ein Gegengewicht zu schaffen, muß publizistische Mitbestimmung so schnell wie möglich realisiert werden.

Die Aussichten, daß sich die Parteien mit Vehemenz auf das Thema stürzen, um es noch in dieser Legislaturperiode vom Tisch zu haben, sind inzwischen unter den Nullpunkt gesunken. Ich will gar nicht mit der Unterstellung operieren, daß in den Hinterköpfen mancher Parteistrategen auch der Gedanke steckt, es sei nicht opportun, sich mit der gesamten Verlegerschaft anzulegen. Vermutlich spielt bei jenen, die zunächst mit viel Schwung an das Thema herangegangen sind, Resignation eine entscheidende Rolle.

Der Deutsche Journalisten-Verband wird sich jedoch nicht entmutigen lassen. Wenn es denn partout kein Presserechtsrahmengesetz gibt, wird man erneut mit den Verlegern verhandeln müssen, um zu einem Kompetenzabgrenzungsvertrag zu kommen. Das wird ein langer und schwieriger Weg werden, aber am Ende dieses Weges darf nicht die Festschreibung des Status quo stehen, sondern seine Überwindung.

I. Reformvorsorge statt Reform

Das Programm der »inneren Reformen" ist nicht etwa deshalb gescheitert, weil Reformen unnötig sind. Wohl aber behindern die sozioökonomischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen staatlichen Handelns grundlegende Reformen. Strukturell »zugelassen“ sind offenbar nur Vorhaben, die überkommene Strukturen eher absichern als ändern. Im wesentlichen täuschen sie eine zukunftssichernde Aktivität häufig nur vor. Dadurch absorbieren sie Unzufriedenheit, ohne jedoch den Anlaß der Unzufriedenheit zu beseitigen. Das Etikett der Reform wird dem Vorhaben angeklebt, soweit dies die Pufferfunktion verstärken hilft.

Gegenwärtig scheinen Reformen verpönt zu sein, „echte“ Reformen allemal. Aber auch das Reformetikett ist kaum noch gefragt. Da der Entwurf des Presserechtsrahmengesetzes nach jahrelangen Interventionen vieler Betroffener und vieler nicht Betroffener immer mehr verwässert worden ist, wäre der Verzicht auf das Reformetikett vermutlich ohnehin ein Schritt zu größerer Ehrlichkeit. Reformpolitisch läßt sich der Gesetzentwurf nur noch als Reform-vorsorge verstehen: Es besteht die schwache Hoffnung, daß die vorgesehenen Vorschriften über die Binnenstruktur der Presseunternehmen jedenfalls Schutz vor dem status quo minus bieten und verhindern helfen, daß zukünftige Änderungen noch zusätzlichen binnenstrukturellen Hindernissen unterworfen werden. Insofern bleibt der Entwurf wichtig.

II. Zu verfassungsrechtlichen Einwänden

Aber selbst das reduzierte Gesetzesvorhaben muß sich gegen viele Gegner durchsetzen. In der öffentlichen Diskussion erlangen Einwände besondere Resonanz, die mit wissenschaftlicher Autorität vorgetragen werden. Einen besonderen Stellenwert nimmt das verfassungsrechtliche Argument ein. Verfassungsrecht gerinnt bei Reformvorhaben immer mehr zu einem Komplex von Vetopositionen.

So werden die Verfassungsnormen, insbesondere Art. 5 Grundgesetz (Pressefreiheit), lediglich als Schrankennormen — als Abwehr-rechte gegen den Staat — interpretiert. Die Kompetenz des Gesetzgebers zur Konkretisierung und Ausgestaltung der Grundrechtsnorm wird geleugnet oder doch nur insoweit anerkannt, als sie dem Verleger nützt. Verkannt wird die Relevanz der Pressebetätigung für die Realisierung von Demokratie und Sozial-Staatlichkeit. Verschüttet wird die Einsicht, daß der Gesetzgeber darauf achten darf, daß die Organisationsstrukturen, Entscheidungsverfahren, Rekrutierungspraktiken u. a. innerhalb der Presseunternehmen den Anforderungen des Demokratie-und Sozialstaatsprinzips gerecht werden. v Vielfach wird auch übersehen, daß ein Gesetz-entwurf zur Ausgestaltung der Pressebinnenstruktur sich auf die Regelung eines spezifisch gelagerten Konflikts verschiedener Grundrechtsträger bezieht. Zu regeln ist ein möglicher Konflikt bei der arbeitsteiligen Ausübung des Grundrechts der Pressefreiheit: Der Verleger kann das Grundrecht nur ausüben, wenn er sich die Vorteile der Arbeitsteilung zunutze macht und sich die Hilfe von Journalisten sichert. Umgekehrt ist der Journalist bei der Ausübung des Grundrechts auf ein Presseunternehmen und damit auch einen Verleger angewiesen. Das wechselseitige Aufeinanderangewiesensein bei der Grundrechtsausübung schafft den spezifischen Grundrechtskonflikt und bestimmt daher das Ausmaß einer zulässigen Grundrechtskonkretisierung durch den Gesetzgeber. Untauglich hierfür ist eine Grundrechtsdogmatik, die die Erscheinungsform der Arbeitsteiligkeit noch nicht verarbeitet hat.

Wird gar versucht, die auf die „äußere Pressefreiheit" bezogene Rechtsprechung und Rechtsdogmatik schlicht auf diesen Problem-komplex zu übertragen, so wird einerseits ein untauglicher Maßstab angelegt. Andererseits wird der Strukturwandel der Presse verkannt, der u. a. durch starke Arbeitsteiligkeit der Arbeitsabläufe gekennzeichnet ist. Besonders anachronistisch — wenn auch aus prominentem Mund verbreitet — ist eine Argumentation, die den historisch und sachlich auf die äußere Pressefreiheit bezogenen Begriff des allgemeinen Gesetzes (Art. 5 Abs. 2 GG) unverändert auf Grundrechtskonkretisierungen im Binnen-bereich der Presse überträgt und das Gesetzesvorhaben allein deshalb für verfassungswidrig erklärt, weil es speziell an die Presse adressiert ist. Eine solche Argumentation hat allerdings einen eindeutig politischen Stellenwert: Sie verhilft dazu, ökonomisch, sozial oder politisch begründete Machtpositionen im Sachbereich der Presse abzusichern, und zwar auch insoweit, als sie sich im Laufe der historischen Entwicklung von dem Zustand fortentwickelt haben, der historischer Ansatzpunkt der grundrechtlichen Absicherung der Pressefreiheit war. Eine solche Grundrechts-dogmatik ist zuvor selbst zu reformieren, bevor sie als Maßstab einer Reformgesetzgebung anerkannt werden kann.

III. Zur Einschätzung von Folgewirkungen

Der Zentraleinwand gegen das Gesetzesvorhaben beruft sich auf die mangelnde Eignung zur Zweckerreichung bzw. auf negative Folgewirkungen. Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verweist in der Tat auf eine Eignungsprüfung. Unter reformpolitischem Aspekt ist jedoch zu fragen, wie weit Vetopositionen durch pessimistische Folgenspekulation errichtet werden können.

Der Gesetzgeber hat die erwogenen Maßnahmen auf ihre Tauglichkeit zur Zielerreichung zu überprüfen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber den Maßstab der Eignungsprüfung selbst insoweit setzt, als er — im verfassungsrechtlichen Rahmen — eigenständig über die Regelungsziele entscheidet. Ferner hat er die gegenwärtige Struktur des Pressewesens eigenständig zu diagnostizieren und Folgen der Regelung im Hinblick auf die Zielsetzung zu prognostizieren. Wissenschaftliche, hier insbesondere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse sind zu berücksichtigen.

Nicht etwa hat eine Regelung zu unterbleiben, weil über die Folgen keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen vorliegen. Prognoseentscheidungen lassen sich nur selten „unter Sicherheit“ treffen. Dies gilt in erhöhtem Maße bei Reformen, die gerade einen Zustand herbeiführen wollen, über den — naturgemäß — noch keine Erfahrungen gesammelt werden konnten. Im übrigen ist die Sicherheit oder Unsicherheit von Erfahrungen und erfahrungswissenschaftlichen Theorien nicht zuletzt eine Folge der Rahmenbedingungen, unter denen Erfahrungen gesammelt werden und Forschung erfolgt. Fehlende Erfahrungen und die fehlende wissenschaftliche Durchdringung — z. B.der Binnenbeziehungen in Presseunternehmen — können auch durch diejenigen (mit) -verursacht sein, die sich gegen eine Maßnahme mit dem Hinweis der fehlenden Sicherheit der Prognose wehren. Das Gebot der Nutzung (sozial-) wissensdiaftlichen Bei-standes darf jedoch keine Sperrmine gegen gesetzliche Reformen sein. Soweit keine zuverlässigen wissenschaftlichen Folge-Aussagen erlangt werden können, kann der Gesetzgeber sich allein auf seine Einschätzungskompetenz stützen. Wird sie in vertretbarer Weise ein-B gesetzt, pflegt auch das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung zu respektieren.

Die öffentliche Diskussion über den Gesetz-entwurf belegt, daß zu Folgenpessimismus neigt, wer die Regelungskompetenzen des Gesetzgebers grundsätzlich verneint. Die Folgen-einschätzung hängt offensichtlich von der gesellschaftspolitischen Grundposition ab. Das Grundgesetz hat den Gesetzgeber jedoch nicht auf eine einzige (einzig richtige) Staats-und Gesellschaftstheorie festgelegt. Der Gesetzgeber darf sich zu der Aufgabe der Innovationsvorsorge bekennen und dabei sowohl den Spielraum vertretbarer Folgeeinschätzungen ausnutzen als auch den verfassungsmäßigen Spielraum für die Erprobung gesetzgeberischer Maßnahmen wahrnehmen.

Eine Überprüfung der in der öffentlichen Diskussion gegen den Gesetzentwurf vorgebrachten Einwände ergibt, daß ein Teil der Einwände sich gar nicht gegen den Entwurf, sondern einen kunstvoll aufgebauten Buhmann aus einem Reformgruselkabinett richtet. Andere Einwände sind — wie an anderer Stelle dargelegt wurde (Branahl/Hoffmann-Riem, Redaktionsstatute in der Bewährung, 1975) — von höchst zweifelhaftem Prognosewert. Auch die bisherigen Erfahrungen mit Redaktionsstatuten geben keinen Anlaß zu Folgen-pessimismus, es sei denn zu der (auch pessimistischen) Folgerung, daß die Regelung des Entwurfs aufgrund der nicht angetasteten Rahmenbedingungen der Pressebetätigung (fast) folgenlos bleiben könnte.

IV. Delegation der Einschätzungskompetenz an Wissenschaftler?

Sicher hat die Rechtswissenschaft die Aufgabe, vor verfassungswidrigen Regelungen zu warnen. Die Erarbeitung von Regelungsprämissen und von Annahmen über Verwirklichungsbedingungen sowie die Aufbereitung von Prognosetheorien gehören zu dem legitimen Arbeitsfeld der Sozialwissenschaften. Soweit gesicherte Aussagen rechts-und sozialwissenschaftlicher Art nicht vorliegen, sind Einschätzungen nötig. Auch Einschätzungen unter unvermeidbarer Unsicherheit sind nicht notwendig „unwissenschaftlich". Unwissenschaftlich — und zwar manipulativ — ist es jedoch, Vermutungen als Erkenntnisse auszugeben oder eine Folgensektion ohne Aufweis der Selektions-Kriterien vorzunehmen. Auch die Diskussion um die Pressereform belegt, daß nicht jede Aussage eines Wissenschaftlers wissenschaftlich sein muß.

Anders gewendet: Der Reformgesetzgeber wird seiner Reformaufgabe nicht gerecht, wenn er seine Einschätzungskompetenz an Wissenschaftler delegiert. Sicherlich ist eine wissenschaftliche Politikberatung unabwendbar. Der Gesetzgeber hat wissenschaftlichen Beistand zu nutzen, bleibt aber aufgefordert, die „Richtigkeit" bzw. Vertretbarkeit der Aussagen von Wissenschaftlern eigenständig zu überprüfen. Gesellschaftsreformen und Reformvorsorge sind eine zu wichtige Angelegenheit, als daß sie allein von Einschätzungen des Wissenschaftspersonals abhängig gemacht werden können.

Fussnoten

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Wolfgang H o f f m a n n -R i e m , Dr. jur., geb. 1940, o. Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft an der Universität Hamburg.