Das Allensbacher Institut für Demoskopie erfuhr vor einiger Zeit bei einer repräsentativen Umfrage von 26 Prozent der befragten Redakteure, 24 Prozent der Ressortleiter und 13 Prozent der Chefredakteure, daß ihr Verleger Wünsche äußere, „welche Themen aus wirtschaftlichen oder verlagspolitischen Gründen behandelt werden sollen". Wünsche sind zwar keine Weisungen, aber wer die Presse-Praxis kennt, weiß, wie Verlegerwünsche in der Regel zu werten sind. Diese Prozentsätze signalisieren, daß Verleger auch in Details der Redaktionsarbeit hineinredigieren. Andererseits könnte man aus diesen Daten durchaus folgern, bei den meisten Zeitungen liefe es doch ganz gut, Verlag und Redaktion betrachteten sich offenbar als Partner.
Dennoch wären auch bei dieser Interpretation der Allensbacher Zahlen Gesetze oder Tarif-vereinbarungen über die publizistische Mitbestimmung nicht überflüssig. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen geht es auch hier darum, Regelungen für den Konfliktfall zu treffen — für jenen Fall also, daß sich die Partner nicht mehr als Partner verstehen. Denn es ist ein offenes Geheimnis: Wenn es heute zum Krach zwischen Redaktion und Verlag kommt, zieht zumeist die Redaktion den kürzeren. Wer andere informieren soll, muß selbst möglichst unabhängig sein. Forderungen nach redaktioneller Mitbestimmung in Sach-und Personalfragen — in der erwähnten Allensbach-Umfrage von 67 Prozent der Redakteure unterstützt — sind deshalb nicht als Herrschaftsansprüche einer elitären Minderheit, als Privilegienwünsche eines Standes oder als Luxus-Mitbestimmung zu werten, sondern als der Versuch, im Interesse der S -cherung der Rechte aller Bürger journalistische Unabhängigkeit zu erreichen.
In einem Punkt sind sich alle einig: Der Verleger soll auch in Zukunft die publizistische Haltung seines Blattes festlegen können. Er allein entscheidet darüber, ob sich die Zeitung als „liberal“, „konservativ“ oder „demokratisch" versteht. Umstritten ist aber, was passieren soll, wenn der Verleger die Grundhaltung ändern oder sie interpretieren möchte. Nach Ansicht der Verleger muß beides ihre Sache bleiben. Die SPD-Medienkommission sagt hingegen: „Änderungen der grundsätzlichen publizistischen Haltung und des Charakters der Zeitung oder Zeitschrift bedürfen der Zustimmung durch die Mehrheit der Mitglieder der Redaktionsvertretung." Beide Ansichten — die der Verleger und die der SPD-Me-dienkommission, um nur einige Extreme in der Auseinandersetzung zu nennen — erscheinen mir falsch. Setzten sich die Verleger mit ihrer Meinung durch, änderte sich rein gar nichts an der bestehenden Praxis. Dann könnten die Verleger weiterhin verordnen, daß die Ostpolitik der Bundesregierung oder der Paragraph 218 so und nicht anders zu bewerten sei, ganz egal, was die Redaktion denkt, frei nach dem Motto: Wem's nicht paßt, der kann ja gehen." Und wer geht schon gerne in Zeiten wie diesen, in denen 1000 und mehr Journalisten in der Bundesrepublik arbeitslos sind? Eine Einschränkung ist jedoch zu machen: Natürlich wird auch heute bereits in vielen Redaktionen mit dem Verleger diskutiert, wird die Grundhaltung interpretiert — ein Zwang für den Verleger, sich mit der Redaktion zu verständigen, besteht jedoch nicht.
Andererseits ist nicht zu übersehen, daß das Konzept der SPD-Medienkommission die Gefahr in sich birgt, die Verleger zu Händlern mit bedrucktem Papier zu degradieren. Ihr Beteiligungsrecht an der Pressefreiheit reduzierte sich dann darauf, nur einmal im Leben einer Zeitung sagen zu können, welcher politische Grundkurs gesteuert werden soll. Das ist zu wenig. Wenn sich beispielsweise die Marktgegebenheiten wandeln, muß der Verleger die Möglichkeit haben, sich ihnen anzupassen. Dazu bedarf es eventuell einer Änderung der Grundsatzhaltung oder ihrer neuen Interpretation. Daher sollte der Verleger nach Ansicht des Deutschen Journalisten-Verban-des das Recht haben, sich im Konfliktfall über den Widerspruch der Redaktion hinwegsetzen zu können — allerdings nur unter gewissen Bedingungen. Eine davon müßte die Verpflichtung des Verlegers sein, den Lesern an hervorragender Stelle mitzuteilen, daß die Entscheidung gegen den Willen der Redaktionsvertretung getroffen wurde. Die zweite Bedingung lautet: Jeder Redakteur, der wegen der Änderung oder Neu-Interpretation der Grundsatzhaltung ausscheidet, erhält eine angemessene Abfindung über die ihm während der vertraglichen Kündigungsfrist zustehenden Bezüge hinaus. Mit anderen Worten: Wenn sich der Verleger als Herr im Haus behauptet, soll ihn das teuer zu stehen kommen. Ein anderer Punkt betrifft die Mitwirkungsrechte der Redaktionsvertretung in Personalfragen. Es geht dabei vor allem um die Berufung und Abberufung des Chefredakteurs, also um die Person, deren Position an eine Schiedsrichterrolle erinnert — an den Schiedsrichter zwischen den beiden Haupt-kontrahenten in der gegenwärtigen Auseinandersetzung über formelle Regelungen der inneren Pressefreiheit: Verlag und Redaktion. Der Deutsche Journalisten-Verband steht auf dem Standpunkt: Keine Absetzung oder Wahl des Chefredakteurs gegen eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Redaktion. Das Gegenargument mancher Verleger, das da lautet, auf diese Weise werde es den Redaktionen beispielsweise ermöglicht, gegen den Willen des Verlegers lauter laue, lasche und lahme Chefredakteure bis zum Ende aller Tage auf ihrem Sessel zu halten, erscheint mir als eine böse Unterstellung. Wer Journalisten eine so miese Meinung über Journalisten ins Gesicht schlägt, muß sich nicht wundern, wenn zurückgeschlagen wird.
In der aktuellen Diskussion wird von der Verlegerseite aus den beiden eben erwähnten Mitwirkungsforderungen der Journalisten die Schlußforderung gezogen: Die Verleger sollen diskriminiert, die Journalisten privilegiert werden. Davon kann nun in der Tat nicht die Rede sein. Auch der Deutsche Journalisten-Verband geht davon aus, daß die Pressefreiheit Journalisten und Verlegern zusteht. Aber eins ist ganz klar: Der Verleger soll ein Stück Macht abgeben, er soll seine Macht teilen. Das ist natürlich aus der Sicht der Verleger eine ganz schlimme Sache. Wer läßt sich schon gern von der Position, die er seit Jahrzehnten einnimmt, verdrängen.
Ich habe deshalb durchaus Verständnis dafür, daß die Verleger an den verschiedenen Fronten zu halten versuchen, was zu halten ist, beispielsweise an der juristischen. Da braucht man sich nur an den Deutschen Juristentag 1972 in Düsseldorf zu erinnern, wo die Verleger ganze Bataillone von Verlagsjustitiaren aufmarschieren ließen, schließlich in den Abstimmungen unterlagen und sich dann als recht schlechte Verlierer erwiesen und von Manipulation sprachen. Seit Düsseldorf ist bekannt, daß es viele Juristen für verfassungskonform halten, wenn den Redaktionsvertretungen in Personal-und Sachfragen VetoRechte eingeräumt werden. Veto-Rechte sind mehr als das, was jetzt noch zur Diskussion steht. Und dennoch bemüht die Verleger-Seite laufend juristische Gutachter, die herausfinden, daß selbst Minimallösungen für Mitspracherechte von Redaktionsvertretungen verfassungswidrig seien.
Aber der Streit der Juristen ist nur die eine Seite. Die andere ist der Hinweis auf die Praxis, in der es nach Ansicht mancher Verleger nach der Einführung von Mitwirkungsrechten für Journalisten drüber und drunter gehen würde. Das Argument von den dann beginnenden Dauer-Diskussionen wird allerdings auch durch ständige Wiederholung nicht überzeugender. Wenn ich mich recht erinnere, ist beispielsweise der „Stern", der seiner Redaktion sehr weitgehende Beteiligungsrechte an der Pressefreiheit eingeräumt hat, bislang noch jede Woche pünktlich erschienen — trotz Diskussionen. Konflikte sind dazu da, transparent gemacht, erörtert und entschieden zu werden, und diese Entscheidung kann auch nach den vom Deutschen Journalisten-Verband geforderten Mitwirkungsrechten für Redaktionsvertretungen durchaus noch rechtzeitig gefällt werden. Dies ist keine bloße Behauptung, sondern wissenschaftlich zu belegen. Klar und unmißverständlich heißt es in der Untersuchung von Wolfgang Hoffmann-Riem und Udo Branahl (veröffentlicht in: Kommunikationspolitische und kommunikationswissenschaftliche Forschungsprojekte der Bundesregierung (1971— 1974), Bonn 1974, S. 182): „Befürchtungen, daß die Einführung der Mitbestimmung die Redaktion arbeitsunfähig mache, haben sich nicht bestätigt."
Die publizistische Mitbestimmung ist sicherlich in der gegenwärtigen Situation kein Allheilmittel. Sie ist jedoch gerade angesichts fortschreitender Pressekonzentration unverzichtbar. Fusionen und Kooperationen werden dadurch nicht aufgehalten, aber für die Journalisten erträglicher gemacht. Hier soll nicht ein Schreckgespenst von der Willkürherrschaft der Verleger entworfen werden, aber Tatsache bleibt, daß die Gefahren für die Informations-und Meinungsfreiheit wachsen, die Neigung zur Selbstzensur der Journalisten zunimmt und ihr Engagement für eine von ihnen als richtig erkannte Sache aus Furcht vor