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Warum ein Presserechtsrahmengesetz? | APuZ 49/1975 | bpb.de

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APuZ 49/1975 Medienpolitik zwischen Theorie und Praxis Plädoyer für ein Gesetz Warum ein Presserechtsrahmengesetz? Die Meinung der Opposition Am Grundgesetz vorbei Rechtliche Schranken einer gesetzlichen Regelung der „Inneren Pressefreiheit" „Innere Pressefreiheit" in den Händen der Juristen. Rückblick auf die Gutachtenszene Tendenzschutz in gewerkschaftlicher Sicht Publizistische Mitbestimmung durch Redaktionsvertretungen Die Rolle von Wissenschaftlern im Streit um Medienpolitik. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes Der Fall Hannover Ein Redaktionsstatut -hat es sich bewährt? Götter oder Knechte? Zum SelbstVerständnis der Journalisten

Warum ein Presserechtsrahmengesetz?

Hellmut Sieglerschmidt

/ 10 Minuten zu lesen

Zeitungen sind bisher die nun schon fast alltäglichen Folgen in Italien und Frankreich. Was aber nicht nur dort auf längere Sicht gefährdet wird, ist das im 19. Jahrhundert mühsam erkämpfte liberale Freiheitsrecht . Pressefreiheit'heutiger Ausprägung.

Seit Anfang des Jahrhunderts wird in Deutschland der Kampf um ein Pressegesetz geführt, das die Innere Pressefreiheit gestalten soll. Es erinnert an den langen mühsamen Kampf um die Strafrechtsreform. Die historische Chance, die zugleich Verpflichtung ist, das Presserechtsrahmengesetz 1975/76 zu beraten und zu verabschieden, darf von der sozial-liberalen Parlamentsmehrheit nicht vertan werden.

I. Vorgeschichte

In der Diskussion um das in den Regierungsprogrammen seit 1969 angekündigte Presserechtsrahmengesetz wird des öfteren die Frage gestellt, ob wir ein solches Gesetz überhaupt brauchen. Diese Frage zu stellen ist nicht nur beim Presserechtsrahmengesetz angebracht. Manches überflüssige Gesetz hätte die Anfangsstadien der Beratung nicht passiert, wenn die mit der Gesetzgebung befaßten Organe zunächst einmal jene Vorfrage gründlich geprüft hätten. Konkret muß also auch hier geklärt werden, was im Rahmen eines solchen Gesetzes reglungsbedürftig und reglungsfähig ist, oder ob nicht die Pressegesetze der Bundesländer alle erforderlichen Regelungen enthalten.

Diese Frage kann ohne einen kurzen Rückblick auf die gesetzgeberischen Bemühungen in der Vergangenheit nicht hinreichend beantwortet werden. Vor über hundert Jahren, schon bald nach der Reichsgründung von 1871, trat das Reichsgesetz über die Presse in Kraft. Es enthielt im wesentlichen Vorschriften über die Ordnung der Presse, über die strafrechtliche Verantwortlichkeit und über die Beschlagnahme. Einzelne Bestimmungen dieses Gesetzes sind vor 1918 und in der Zeit der Weimarer Republik je zweimal, in der NS-Zeit und nach der Entstehung der Bundesrepublik je einmal geändert worden.

Doch schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde von seifen des Journalistenverbandes ein Gesetzentwurf ausgearbeitet, der Regelungen für den Bereich empfiehlt, der heute als innere Pressefreiheit bezeichnet wird. Es gelang damals nicht, ein Gesetz dieser Art zu schaffen. Im Schriftleitergesetz von 1934 mißbrauchte dann Goebbels den Gedanken der journalistischen Mitbestimmung durch einen Kunstgriff, um die Pressefreiheit abzuschaffen.

In der Auseinandersetzung um das Presserechtsrahmengesetz ist unter Hinweis auf jenes Nazi-Gesetz behauptet worden, die Befürworter einer gesetzlichen Festlegung spezifischer journalistischer Mitbestimmungsrechte befänden sich „auf den Spuren des Dr. Goebbels". Daß es sich bei dieser Behauptung um eine böswillige Verzerrung historischer Tatsachen handelt, ergibt sich nicht nur aus den geschilderten gesetzgeberischen Bemühungen demokratischer Journalisten der Weimarer Zeit. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang von nicht geringerer Bedeutung, daß Anfang der fünfziger Jahre unter der Verantwortung des damaligen Bundesinnenministers Lehr der Referentenentwurf eines Presserechtsrahmengesetzes vorgelegt wurde, der die vor 1933 entwickelten Überlegungen, die eine Kompetenzabgrenzung zwischen Journalisten und Verlegern zum Gegenstand hatten, wieder aufgriff. Der Innenminister konnte sich jedoch bei den Unionsparteien mit seinem Gesetzentwurf nicht durchsetzen.

Schon bald nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, das dem Bund für das Presserecht nur eine Rahmenkompetenz zuweist, begannen die Bundesländer, eigene Pressegesetze zu verabschieden. Diese Entwicklung fand Mitte der sechziger Jahre ihren Abschluß. Es ist bemerkenswert, daß die Innenminister der Länder im Verlaufe dieses Gesetzgebungsprozes-ses den Versuch unternahmen, durch die Ausarbeitung eines Modellentwurfs ein Höchstmaß an Einheitlichkeit des Presserechts im Wege freiwilliger Koordination zu erreichen. Dieser Versuch gelang jedoch nur zum Teil. Wie in anderen Fällen auch wichen die Landtage in ihren Beschlüssen teilweise erheblich von dem von der Innenministerkonferenz verabschiedeten Modellentwurf ab.

Nun ist nicht zu bestreiten, daß, vergleicht man die verschiedenen Landespressegesetze miteinander, gleichwohl ein großes Maß an Übereinstimmung in den Grundfragen der klassischen Materien des Presserechts erreicht worden ist. Doch läßt der gegenwärtige Stand der medienpolitischen Diskussion befürchten, daß neue, zum Teil bereits angekündigte gesetzgeberische Initiativen in einer Reihe von Ländern selbst diese relative Einheitlichkeit zerstören könnten, sofern der Bund in absehbarer Zeit von seiner Rahmen-kompetenz keinen Gebrauch machen würde. Selbst wenn also der Bundesgesetzgeber der Meinung wäre, es bedürfe keiner Veränderung des durch das geltende Landespresserecht gegebenen Rechtszustandes, dürfte er sich im Hinblick auf die angekündigte Gesetzesinitiativen seinem Verfassungsauftrag zur Wahrung der Rechtseinheit nicht entziehen. Um so bedauerlicher ist es, daß kaum noch Aussicht besteht, ein Presserechtsrahmengesetz bis zum Sommer 1976 zu verabschieden, und daß es nach Lage der Dinge fraglich erscheinen muß, ob ein solches Gesetz in der nächsten Legislaturperiode zustande kommen wird.

II. Die Rechte des Lesers

Schon aufgrund des vorstehend Gesagten ist die Frage „Brauchen wir ein Presserechtsrahmengesetz?" eindeutig zu bejahen. Dieses Ja wird jedoch noch verstärkt, sobald man sich mit der Materie im einzelnen befaßt. Im demokratischen Staat stehen Presse und Politik zum Leser bzw. Bürger in einem ähnlichen Spannungsverhältnis. Eine hohe Auflage ist für die Wirkungskraft seiner Zeitung ebenso erforderlich wie ein hoher Wahlerfolg für die Wirkungskraft einer politischen Konzeption. Demagogie und Manipulation können jedoch — wir wissen es aus leidvoller Erfahrung — wesentlich zum Erfolg in beiden Bereichen beitragen. Es genügt also nicht, die Frage nach der Sicherung der Rechte des Lesers mit dem bekannten Hinweis zu beantworten, dieser nehme seine Rechte „durch Abstimmung am Kiosk“, d. h. durch seine Entscheidung über Kauf oder Nichtkauf einer Zeitung wahr.

Das wichtigste Recht des Lesers, das Recht auf Informationsfreiheit, bedeutet — neben der möglichst weitgehenden Erhaltung der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Informationsträgern, die nicht durch ein Presserechtsrahmengesetz bewirkt werden kann — nicht zuletzt, daß er über die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Richtung der Zeitung durch periodische Veröffentlichung der publizistischen Haltung unmißverständlich unterrichtet wird. Dabei genügt es nicht, ihn mit allgemeinen Floskeln wie „überparteilich" oder „unabhängig“ abzuspeisen, über deren Wahrheitsgehalt man von Fall zu Fall durchaus verschiedener Auffassung sein kann. In diesen Zusammenhang gehört auch die periodische Veröffentlichung der Besitzverhältnisse der Zeitung. Gerade wer für die Erhaltung eines angemessenen Spielraumes verlegerischer Entscheidungen eintritt, wird nicht bestreiten können, daß es wirklichkeitsfremd wäre, den Einfluß auf diese Entscheidung zu leugnen, der von den Anteilseignern ausgehen kann.

In der Bundesrepublik liest im Gegensatz zu anderen demokratischen Ländern die große Mehrheit der Bürger nur eine Zeitung regelmäßig. In über einem Drittel des Bundesgebietes gibt es diese Wahlmöglichkeit nicht mehr, soweit es sich um Zeitungen mit Lokal-teil handelt. Es liegt auf der Hand, daß die Gestaltung des Nachrichtenteils der Zeitung für diese Leser von großer Bedeutung ist. Nachrichten, die ausführlich und an hervorragender Stelle gebracht werden, werden häufig mehr zu ihrer Meinungsbildung beitragen als die Zehnzeilenmeldung auf der vorletzten Seite, ganz zu schweigen von der Nachricht, die überhaupt nicht veröffentlicht wird. Zur Bewertung der Nachricht ist es auch wichtig zu wissen, woher sie die Zeitung bezogen hat: von einer Nachrichtenagentur, von einem eigenen Korrespondenten oder von einem an Ort und Stelle entsandten Reporter. Wenn etwa aus London berichtet wird, was angeblich in Rom geschehen sein soll, so ist Skepsis am Platze.

In dem inzwischen überholten Referentenentwurf eines Presserechtsrahmengesetzes aus dem vorigen Jahre ist versucht worden, diesen Komplex in einer Bestimmung mit der Überschrift Sorgfaltspflicht zu regeln. Doch hier bestätigt sich die alte Erfahrung, daß nicht alles, was auf den ersten Blick zu Recht regelungsbedürftig erscheint, auch in einer Weise regelungsfähig ist, die den Erfordernissen der Praxis entspricht. Weise Selbstbeschränkung wird wahrscheinlich in diesem Punkte das Richtige sein. Ein Programmsatz, wie sie auch in anderen Gesetzen enthalten sind, der in allgemeiner Form die Sorgfaltspflicht bei der Gestaltung des Nachrichten-teils der Zeitung festlegt, sollte aber in jedem Falle in das Gesetz aufgenommen werden.

Zu den Rechten des Lesers gehören natürlich auch die Persönlichkeitsrechte. Das Recht auf Gegendarstellung muß besser ausgestaltet werden. Nicht nur der Behördenchef oder der einflußreiche Mann der Wirtschaft, sondern auch der Normalbürger, der sich größere finanzielle Prozeßrisiken nicht leisten kann und dem auch kein Rechtsberater gebührenfrei zur Seite steht, muß eine Gegendarstellung in der Praxis durchsetzen können, wenn nachteilige Tatsachen über ihn veröffentlicht werden. Das gilt besonders dort, wo es nur noch eine Zeitung mit Lokalteil gibt, weil in diesen Gebieten die sonst bestehende Möglichkeit entfällt, daß eine Konkurrenzzeitung über den infragekommenden Sachverhalt in anderer Weise berichtet. Größere Presseunternehmen bedienen sich für ihre Archive in wachsendem Maße der elektronischen Datenverarbeitung. Dies macht spezielle Bestimmungen des Datenschutzes für den Bereich der Presse erforderlich. So wird man neben anderen Vorkehrungen vorsehen müssen, daß, wenn aufgrund der Veröffentlichung personenbezogener Daten eine Gegendarstellung verlangt wird, auch diese bei den zugrunde-liegenden Daten zu speichern ist.

III. Mitbestimmungsrecht der Journalisten

Wenn vorstehend zum zweiten Male im Rahmen dieser Ausführungen die sich aus der Monopolstellung lokaler und regionaler Zeitungen ergebende Problematik in Verbindung mit dem Presserechtsrahmengesetz gebracht worden ist, so ist das kein Zufall. Wie schon angedeutet, ist es zwar nicht Aufgabe eines solchen Gesetzes, der Pressekonzentration entgegenzuwirken. Aber gerade wenn man davon überzeugt ist, daß dies — was immer auch auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen oder der Fusionskontrolle im Bereich der Presse unternommen werden mag — nur begrenzt möglich sein wird, stellt sich die Frage, wie man den medienpolitisch unerwünschten Auswirkungen der Pressekonzentration am besten begegnen kann. Wie schon zum Teil dargelegt, werden gesetzgeberische Maßnahmen mit dieser Zielrichtung im wesentlichen in das Presserechtsrahmengesetz einzuordnen sein.

Nun wird vermutlich noch eine Weile weiter darüber gestritten werden, ob es derartige unerwünschte Auswirkungen überhaupt gibt. Die wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen, die hierüber angestellt worden sind, haben bisher zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Doch sollte die Häufigkeit von Einzelweisungen des Verlegers bei Zeitungen mit Alleinstellung in ihrem Verbreitungsgebiet nicht unterschätzt werden. Gerade in diesem Bereich erscheint, deshalb die gesetzliche Festlegung einer Kompetenzabgrenzung zwischen Verlag und Redaktion sowie von Mitbestimmungsrechten der Journalisten besonders wichtig. Selbstverständlich sind solche Regelungen auch für die übrige Presse von großer Bedeutung.

Wie sollten diese Regelungen nun aussehen? Es erscheint weder sinnvoll noch wäre es verfassungsrechtlich zulässig, diese Fragen in einem Rahmengesetz verbindlich und abschließend zu regeln, ohne daß Raum für unterschiedliche Ausformungen der rahmen-rechtlichen Grundsätze bliebe. Es kann sich also — abgesehen von notwendigen punktuellen Vollregelungen — nur um die Festlegung von Mindestbedingungen handeln. Die Ausfüllung dieses Rahmens wäre dann Sache des Landesgesetzgebers, der Tarifvertragsparteien oder auch von Redaktionsvertretung und Verlag durch Abschluß einer Redaktionsvereinbarung.

Die Kompetenzen von Verlag und Redaktion werden so abzugrenzen sein, daß der Verleger berechtigt und verpflichtet ist, die Grundsätze für die publizistische Haltung der Zeitung festzulegen und dementsprechend im Benehmen mit der Redaktion auch zu ändern. Diese Grundsätze, von denen schon in anderem Zusammenhang die Rede war, müssen Bestandteil des Arbeitsvertrages jedes Redakteurs werden. Andert der Verleger die Grundsätze für die publizistische Haltung, so erhalten die Redakteure ein außerordentliches Kündigungsrecht, das mit dem Recht auf eine angemessene Abfindung verbunden ist. Auf der anderen Seite sollen Einzelweisungen des Verlegers für die inhaltliche Gestaltung des Textteiles unzulässig sein. Ist jedoch zu befürchten, daß eine beabsichtigte Veröffentlichung unzumutbare, d. h. insbesondere strafrechtliche oder zuvilrechtliche (Schadener-satz!) Folgen für die Zeitung oder den Verleger haben würde, so soll das Einzelweisungsverbot insoweit eingeschränkt werden. Der zuletzt genannte Tatbestand muß jedoch so formuliert werden, daß er deutlich als extremer Ausnahmefall gekennzeichnet ist.

Nun enthielt der Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern zwischen der Grundsatzkompetenz des Verlegers und der Detailkompetenz des Redakteurs noch eine sogenannte Richtlinienkompetenz, die nach dem Entwurf bei neu auftretenden Fragen von grundlegender Bedeutung in erster Linie vom Chefredakteur ausgeübt werden soll. Es erscheint fraglich, ob eine solche Richtlinien-kompetenz wirklich nützlich ist: Die Abgrenzung zwischen einer Änderung der Grundsätze für die publizistische Haltung und der Festlegung einer Richtlinie bei neu auftretenden Fragen von grundlegender Bedeutung wird in der Praxis häufig schwierig sein. Naturgemäß führt jede Kompetenzabgrenzung — vor allem in der ersten Zeit nach ihrem Inkrafttreten — zu Streitigkeiten der Beteiligten, die schließlich dann von den Gerichten entschieden werden müssen. Drei Kompetenzen rufen in dieser Hinsicht sicherlich mehr Komplikationen hervor als zwei. Es ist auch nicht recht einzusehen, daß der Redakteur zwar bei Änderung der publizistischen Grundsätze — auch wenn diese nicht von fundamentaler Bedeutung sein sollte -— ein außerordentliches Kündigungsrecht nebst Abfindung gewinnen soll, nicht aber, wenn die Zeitung durch Entscheidung des Chefredakteurs bei einer Frage von grundlegender Bedeutung eine Haltung einnimmt, die der Redakteur nicht mitverantworten will. Es dürfte deshalb besser sein, auch in den vorerwähnten Fällen eine Änderung der publizistischen Grundsätze vorzusehen, sofern sie für erforderlich gehalten wird.

Schließlich muß das Presserechtsrahmengesetz Grundsätze über die Wahl, die Zusammensetzung und die Rechte von Redaktionsvertretungen enthalten. In diesem Zusammenhang wird von gewerkschaftlicher Seite die Frage gestellt, ob Redaktionsvertretungen neben den Betriebsräten wünschenswert seien und wie im Falle der Bejahung dieser Frage das Verhältnis der beiden Gremien zueinander sein soll. Hält man im Gegensatz zum Verfasser die Streichung des Tendenzschutzparagraphen des Betriebsverfassungsgesetzes, der die Rechte des Betriebsrates unter anderem auch in Presseunternehmen erheblich einschränkt, für möglich und auch für erstrebenswert, so ist es nur logisch, keine Redaktionsvertretungen zu schaffen und die ihnen zugedachten Aufgaben den Betriebsräten der Presseunternehmen zu übertragen. Doch eine solche Streichung wäre — auch abgesehen von ihrer rechtlichen Problematik —: zur Zeit politisch nicht erreichbar. Dagegen liegt eine sinn-und maßvolle Einschränkung des Tendenzschutzes durchaus im Bereich des Möglichen.

In allen Fällen, in denen nun Maßnahmen des Verlegers wegen des Tendenzschutzes der Mitwirkung des Betriebsrates entzogen sind, soll die Redaktionsvertretung zuständig sein. Das gilt für Zweifelsfragen der schon behandelten Kompetenzabgrenzung, für personelle Entscheidungen im Bereich der Redaktion, insbesondere für die Berufung und Abberufung des Chefredakteurs, für die Festsetzung des Redaktionsetats und für Betriebsänderungen oder -Schließungen, d. h. für die Änderung der Besitzverhältnisse oder die Einstellung der Zeitung und Ähnliches. Hierbei wird es natürlich entscheidend sein, wie stark diese Mitwirkungsrechte der Redaktionsvertretung bis hin zur Mitbestimmung ausgestaltet werden. Soweit Analogien möglich sind, sollte jedenfalls der im Betriebsverfassungsgesetz erreichte Stand der Mitbestimmung nicht unterschritten werden. Wegen der besonderen Bedeutung der Auswahl des Chefredakteurs für die redaktionelle Gestaltung der Zeitung müssen der Redaktionsvertretung allerdings bei seiner Berufung und Abberufung weitgehende Mitwirkungsrechte eingeräumt werden, während solche bei leitenden Angestellten im Betriebsverfassungsgesetz überhaupt nicht bestehen. Außerdem ist eine Koordination der Arbeit von Betriebsrat und Redaktionsvertretung durch geeignete Vorkehrungen zu sichern, insbesondere auch dadurch, daß Mitglieder der Redaktionsvertretung gleichzeitig Mitglieder des Betriebsrates sind.

Für und gegen die Schaffung von Redaktionsvertretungen wird indessen geltend gemacht, sie hätten aus ihrem Selbstverständnis auf Distanz zu den Betriebsräten zu gehen. Die Befürworter weisen in diesem Zusammenhang gern auf die Besonderheit der geistig-schöpferischen Arbeit des Redakteurs hin, die Gegner sprechen dagegen von elitärem Dünkel. Beide Argumentationen verkennen, daß die Redaktionsvertretung in Wirklichkeit das Kernstück der Teilhabe der Journalisten an der grundgesetzlich verbürgten

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hellmut Sieglerschmidt, MdB, geb. 1917, Obmann der Arbeitsgruppe Presserecht und Medienpolitik der sozialdmokratischen Bundestagsfraktion.