Am 20. September 1975 leierte die Paulinus Druckerei GmbH Trier, in der auch „Das Parlament* gedruckt wird, ihr hundertjähriges Bestehen. Das Unternehmen ist einer der letzten Zeugen einer merkwürdigen gesellschaftspolitischen Entwicklung im damals gerade gegründeten Deutschen Reich: Der „Kulturkampf", inzwischen vielfach untersuchte Kraftprobe zwischen nationalliberalem Staat und römisch-katholischer Kirche, setzte unter Deutschlands Katholiken neue Energien frei — wie wenig später das Sozialistengesetz in der deutschen Sozialdemokratie. Eine Reihe katholischer Geistlicher, von Staats wegen in ihrer Amtsausübung behindert, gründeten kleine Zeitschriften und Zeitungen, die später einen guten Teil der Presse der Deutschen Zentrumspartei bildeten. Sie handelten dabei primär politisch, was während des Kulturkampfes von der Kirche akzeptiert wurde. Bald jedoch zeigte sich, daß die so in Gang gesetzte gesellschaftspolitische Dynamik, aber auch die wirtschaftlichen Unternehmungen, die aus jener eigentümlichen „Gründerzeit* hervorgegangen waren, sich nicht überall reibungslos in das Sozialgefüge . Katholische Kirche'integrieren ließen. Wahrscheinlich der fähigste Gründer dieser Phase war der Trierer Kaplan und spätere Reichstagsabgeordnete Georg Friedrich Dasbach (1846— 1907) Seine Gründung, eben die Paulinus Druckerei mit Verlag und im Laufe der Zeit wechselnden Nebenunternehmungen, erwies sich zwar als stabil, hat aber politisch und „kircheninnenpolitisch'die Höhen und Tiefen durchlaufen, die für die Historie katholischer Medienunternehmungen offenbar typisch sind. Das Jubiläum provozierte die im folgenden Vortrag festgehaltenen allgemeinen Überlegungen von Michael Schmolke, o. Professor für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.
Die mich ehrende Einladung, bei diesem Festakt zum 100-Jahr-Jubiläum der Paulinus-Drukkerei zu sprechen, enthielt die Anregung, etwas zum „Verhältnis von Kirche und Medien“ zu sagen. So gern ich bereit war, einen be-
scheidenen Beitrag zur Würdigung des Paulinus-Hauses zu leisten und damit indirekt auch dem von mir besonders geschätzten Georg Friedrich Dasbach meine Reverenz zu erweisen, so sehr zögerte ich angesichts des Themas: Nach wie vor setzt sich, wer über das Verhältnis der Kirche zu den Medien spricht, zwischen mindestens zwei Stühle. Der Grund dafür, daß das so ist, liegt eben in dem Verhältnis der Kirche zu den Medien.
Nun geraten Sozialwissenschaftler heutzutage ohnehin immer zwischen zwei Stühle, so daß sich die Ursache meines Zögerns auf einen anderen Punkt verlagerte: Ausgerechnet das Verhältnis der Kirche zu den Medien nämlich war es, das mich vor genau zehn Jahren thematisch endgültig auf den Weg der Wissenschaft führte oder verführte. Möglicherweise hätte mich die damals eigentlich geplante Rückkehr in die journalistische Praxis vor manchen Anfechtungen, vor Zweifel und Skepsis bewahrt. Aber gerade in dem Jahrfünft zwischen 1965 und 1970 hätte man glauben können, die Kirche, und besonders die Kirche in Deutschland, hätte sich ganz ernsthaft aufgemacht, ihr Verhältnis zu den publizistischen Medien zu entproblematisieren: Das Konzil hatte aggiornamento und Öffnung proklamiert, die ersten Gerüchte und bald recht konkrete Aktionen mit dem Ziel der Gründung einer weltoffenen, großen katholischen Wochenzeitung wurden bekannt, die deutschen Bistums-blätter begannen sich zu verjüngen und den Leser als selbständigen, respektheischenden Partner zu erkennen; der Essener Katholiken-tag 1968 und die Vorbereitungen für die Ge-meinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland zeigten und ließen erwarten, daß offene, ja zeitweilig sehr offene Worte nicht nur unter katholischen Laien, sondern auch zwischen Laien und Hierarchie möglich sein sollten.
I.
Als ich damals am Manuskript meiner Habilitationsschrift saß, glaubte ich, daß das Erscheinen der ersten Nummer von „Publik" (27. 9. 1968) einen Einschnitt in der damals fast 150jährigen Diskussion über das Verhältnis der Kirche zur Publizistik abgeben könnte. Und als ich im Frühjahr 1971 am Klappentext der Buchveröffentlichung bastelte, glaubte ich sagen zu dürfen: „Die Pastoralinstruktion 1971 (Communio et Progressio) zum Publizistik-Dekret des II. Vatikanischen Konzils scheint einen Schlußstrich unter die Zeit zu ziehen, da Amtskirche und Katholiken sich in der Abwehrformel , Die schlechte Presse'zusammen-fanden, wenn es um die Auseinandersetzung mit den modernen Medien ging."
Im Herbst des gleichen Jahres starb „Publik", und im Frühjahr 1972 zerstritt sich die Synode über den Themen „Publik" und Publizistik so, daß sie das Thema Kirche und Medien fast ganz von der Tagesordnung verbannte. Das gab zu denken.
Die Aufarbeitung der Argumente, wie sie in den erwähnten 150 Jahren deutscher katholischer Publizistikdiskussion vorgetragen worden waren, hatte mir und manchem meiner kritischen Leser klargemacht, was Katholiken und Kirche gegen die Medien zu sagen hatten, — auch: warum sie manchmal etwas für die Medien sagten. Viele Autoren vor mir waren betroffen über Umfang und Härte, ja manchmal Verbohrtheit des Widerstandes, der da seitens der Kirche und ihrer treuen Söhne — die Töchter redeten nicht mit — gegen die Medienpublizistik als eine Erscheinung des modernen gesellschaftlichen Lebens geleistet wurde, die nun einmal nicht aus der Welt zu disputieren war.
Mit der kritischen Analyse einer Überfülle von Material glaubte ich hinreichend Anstoß gegeben zu haben, /glaubte ich, hoffen zu dürfen, daß nunmehr, wie in den Zeiten Kol-pings, Kettelers, Dasbachs und Franz Hitzes die Actio, auf dem Felde der Publizistik die Ratio sich durchsetzen werde.
Ich hatte eine Frage zu stellen versäumt. Sie lautet: Konnte die Kirche gegenüber den modernen Medien überhaupt anders argumentieren? Konnte sie sich anders verhalten? Ich neige heute dazu, die Frage zu verneinen: Die Kirche konnte nicht anders, aufgrund ihrer Tradition, nicht minder aufgrund ihrer Struktur, insbesondere aufgrund des diese Struktur prägenden Prinzips charismatischer Hierarchie. Die Kirche wird in Gegenwart und Zukunft weiterhin ihre Schwierigkeiten mit den Medien haben: Kirche und Publizistik — das wird, solange wir Publizistik als ein liberales Prinzip verstehen und schätzen, immer ein gebrochenes Verhältnis bleiben.
II.
Diese These möchte ich mit einigen Überlegungen absichern:
1. Zunächst Beispiele: a) In den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nahmen Kolpings katholische Gesellen-vereine einen überraschenden Aufschwung. Die Katholischen Generalversammlungen, Vorläufer der Katholikentage und auch damals schon die Repräsentative der Laien, beobachteten die Entwicklung mit positiver bis begeisterter Anteilnahme; aber auf einer dieser Versammlungen, 1860 in Prag, mußte doch gesagt werden, daß das Kirchenrecht solche Vereine gar nicht kenne; Kommentar des Redners Prof. Johann Friedrich Schulte: „Wir leben im neunzehnten Jahrhundert und müssen auch mit dessen Mitteln wirken." Schulte hatte recht, denn Kolping selbst hatte definiert: „Der Gesellenverein ist seiner Natur und Einrichtung nach eine mehr bürgerliche Anstalt..." b) Der schon erwähnte Dasbach und mit ihm so mancher andere „Hetzkaplan" gründeten in der Kulturkampfzeit kleine Zeitungen und Zeitschriften. Auch das waren keine kirchlichen, sondern „mehr bürgerliche Anstalten“. Die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution ausnutzend und ohne nach einer Ab-Sicherung im Kirchenrecht zu fragen, schufen sie sich Sitz und Stimme im Konzert der bürgerlichen Öffentlichkeit.
Kolping wie Dasbach fanden keineswegs ungeteilten Beifall. Die Leitung der Kölner Erzdiözese hat Kolping zu seinen Lebzeiten nur mit Distanz betrachtet, und auch bei Dasbach würde es meines Erachtens genauere biographische Forschung lohnen, um die Frage zu klären, warum er zeitlebens der „Herr Kaplan" blieb, — nur weil er “ bei der Staatsgewalt persona ingrata" war Oder vielleicht auch, weil er als Publizist, Politiker, Verbands-funktionär und Unternehmer viel zu sehr ein Träger moderner bürgerlicher Rollen geworden war, als daß er noch, soziologisch gesprochen, in das Strukturschema der gesellschaftlichen Großorganisation Kirche gepaßt hätte? Die Kulturkampfsituation war als Kampfsituation zwar ein der katholischen Kirche durchaus geläufiger und in ihrer Geschichte mehrfach erfolgreich bestandener Prozeß, aber sie war doch eine Ausnahmesituation: Die durch sie geförderte „Klerikalisierung des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Katholiken ... ging mit der . Säkularisierung'der abseits von ihrem eigentlichen Beruf als Journalisten und Funktionäre tätigen Priesters einher." Die „Ausnahmesituation" wird uns bei der Beleuchtung des Verhältnisses der Kirche zu den Medien noch beschäftigen. 2. Die Kirche konnte gegenüber der modernen, sagen wir es ungeniert: gegenüber der nachreformatorischen und nachrevolutionären Publizistik nicht anders argumentieren und handeln, wollte sie nicht ihre Herrschaftsstruktur und damit ihre Existenz in Frage stellen. Wenn Max Weber jüngst durch Helmut Schelskys Buch „Die Arbeit tun die anderen" (Opladen 1975) aktualisierte Herrschaftssoziologie zutreffend definiert und erklärt — und vieles spricht für ihre Trefflichkeit —, dann ist Kirche zunächst allgemein ein Herrschaftsverband, der „zur Garantie seiner Ordnung psychischen Zwang durch Spendung oder Versagung von Heilsgütern (hierokratischen Zwang) verwendet". Kirche speziell wird definiert als „hierokratischer Anstaltsbetrieb", „wenn und soweit sein Verwaltungsstab das Monopol legitimen hierokratischen Zwanges in Anspruch nimmt"
Die hier verwendeten Vokabeln klingen schärfer, als sie gemeint sind: Weder Schelsky noch Weber verschweigen die „gesellschaftlichen Leistungen von Heilssystemen", die auf vielfache, weltimmanente wie transzendente, Weise der Sinngebung menschlichen Daseins dienen. Sprechen wir nicht von Kirche schlechthin, sondern von katholischer Kirche, so läßt sich ihre Geschichte nicht ausklammem: Jahrhunderte hindurch hat sie in vielen europäischen Ländern an der politischen Herrschaft teilgenommen, und zu manchen Zeiten war sie in manchen Ländern zugleich politische wie hierokratische Herrschaft. Als „vollkommene Gesellschaft" konnte sie sich nicht nur philosophisch und theologisch denken, sondern sie hat sich als eine geistig, geistlich und macht-mäßig alles durchdringende Herrschaft historisch erfahren. (Nachwirkungen zeitigte diese Erfahrung z. B. in der zu Zeiten Pius'XII. besonders lebenskräftigen Formel von der „Kirche als Lebensprinzip der Gesellschaft".)
Erkennen wir mit Max Webers Religionssoziologie, interpretiert durch Schelsky, als „Grundlage geistlicher Herrschaftssysteme" die Monopolisierung der Vermittlung des Heils", so wird der Zusammenhang mit der Publizistik sofort deutlich: Jede Vermittlungsinstitution, die nicht dem Monopol unterworfen ist, die sich nicht dem „Charismatischen Führer" als „Vermittler des Heilsgutes“ anschließt, ist eine Gefahr für ein geistliches Herrschaftssystem. Eben solche Vermittlungsinstitutionen aber sind die publizistischen Medien, und sie haben sich, seit Renaissance und Reformation fortschreitend, endgültig aber seit der französischen Revolution, mit Entstehung der „bürgerlichen Gesellschaft" der „Vergemeinschaftung der Gläubigen als Glaubensgefolgschaft" entzogen. Sie alle, die Zeitungen und Zeitschriften, und zwar durchaus auch die katholischen unter ihnen, wurden, wie Kolping gesagt hätte, „bürgerliche Anstalten". Die Kirche hat diese Entwicklung anfangs instinktiv erkannt und mit der Errichtung von Kontroll-Instrumenten, so dem ersten „Index" schon im 16. Jahrhundert, schnell reagiert; später aber ist ihr das genaue Beobachten schwer gefallen, und die gleiche Entwicklung, die die „bürgerliche Gesellschaft" mit ihren „Grund-rechten“ und 'bürgerlichen Freiheiten“ entstehen ließ, schmälerte die weltlichen Machtmittel der Kirche, aber auch die generelle Anerkennung jener geistlichen Mittel, die ihr die Aufrechterhaltung ihres Monopols erlaubt hätten, Gregor XVI. und der eine oder andere seiner Nachfolger haben diese Freiheiten nur noch mit schärfsten Ausdrücken tadeln, die Pressefreiheit etwa „niemals genug verflucht und verabscheuenswert" nennen können ihre Urteile änderten nichts mehr, aber sie waren eigentlich konsequent, und gewissermaßen . religionssoziologisch richtig', denn: „Ein Freiheitsbegriff, wie der des modernen Rechtsstaates und der pluralistischen Institutionen, der die Freiheit des Menschen gerade darin anerkennt, daß dieser niemals mehr als . ganzer Mensch'für Staatsr und Gesellschaftszwekke in Anspruch genommen werden darf, ist der strikte Gegensatz zu jeder Art von Heilsvergemeinschaftung." 3. In jüngster Zeit hat im Bereich der katholischen Publizistik ein Buch die Gemüter erhitzt, daß den wenig ermunternden Titel trägt:
„Das Ende der katholischen Presse" Sein Autor Hans Wagner geht nicht von Webers Religionssoziologie aus, sondern von einem Begriff, der im Mittelalter, einer Blütezeit der römischen Kirche, seine Erfüllung fand: vom Sacrum Imperium. Er stützt sich auf Alois Dempf: Die Kirche des Mittelalters, die sich im Sacrum Imperium habe politisch verwirklichen wollen, sei nicht nur societas perfecta, sondern als öffentliche Gemeinschaft auch die perfekte Öffentlichkeit gewesen. Hergestellt wurde sie durch die „alle zur einen Gemeinschaft zusammenfassende Norm des Mittelalters", die „christliche Weltanschauung" Wer die Geschichte, insbesondere die Sozialgeschichte des Mittelalters kennt, weiß, daß diese „perfekte Öffentlichkeit“ ein lediglich philosophisch herstellbares Scheingebäude war. Für den einzelnen, zumal dann, wenn er Bauer, Handwerker oder Arbeiter war, bedeutete sie nichts — nichts anderes, als daß er nur leben konnte, wenn er sich, ohne viel zu fragen, der Norm anpaßte. Die gegenläufige Entwicklung beschreibt Wagner zutreffend als die „Emanzipation des Individuums". Da unsere heutige Entwicklung, unser Stand im Wissen, aber auch im Glauben, auf ihr beruht, können wir nicht mithalten, wenn Wagner die Emanzipation des Individuums, die in der französischen Revolution ihre politische Krisis, in der Formulierung der Menschenrechte ihren idealistisch-humanen Höhepunkt fand, immer nur als Denaturierung beschreibt. Er verwendet diesen Kunstgriff auch nur, um die Sozial-bindung öffentlicher Kommunikation nachzuweisen, insbesondere die Sozialbindung, die sich aus dem Verfügen über Medien ergibt.
Unseres Erachtens hätte er das mit einem Griff in die kommunikationspolitische Diskussion der Gegenwart einfacher (und überzeugender) haben können. (Es ist schon einigermaßen absurd, wenn man die mittelalterliche Kirche als „perfekte Öffentlichkeit" u. a. mit dem Hinweis zu belegen versucht, die Kirche habe „mit Unerbittlichkeit" — und bis in die Neuzeit hinein — die Öffentlichkeit ihrer Jurisdiktion gewahrt, z. B. bei der Hinrichtung von Ketzern
Ohne es zu wollen, liefert Wagner aber doch einen erklärenden Beitrag zu der Frage, warum sich die Kirche so schwer tut mit den und mit ihren Medien.
Das Veröffentlichen, genauer: die Chance, später das Grundrecht des Individuums, etwas aus individueller Denkproduktion zu veröffentlichen, sei nur, so Wagner mit Dempf, „ein Ersatz für Öffentlichkeit, und damit, wie Dempf richtig bemerkt, ein heruntergekommener Begriff" Das Entstehen mehrerer Öffentlichkeitsansprüche — Wagner spricht ausdrücklich von den „humanistischen, wissenschaftlichen politischen und protestantischen Öffentlichkeitsdissidenten der Renaissance und der Reformation" — konnte die Kirche, weil es ihrem Prinzip widersprach, nicht gut-heißen. Und sofern sie — nach Max Weber — ein hierokratisches Herrschaftssystem ist, kann sie es nie gutheißen. „Die publizistische Machtlosigkeit der Kirche (wie sie im 19. Jahrhundert offenbar wurde; M. S.) beruht also wesentlich darauf, daß sie in jenen gegen sie aufgebauten Öffentlichkeiten und Öffentlichkeitsansprüchen etwas Fremdes, Nichtkirchliches sehen mußte." Damit hat Wagner, wenngleich auf einem mittelalterlichen Umweg, aufgezeigt, daß die Kirche aus Gründen der Strukturkonsequenz eigentlich keine Öffentlichkeiten neben sich dulden konnte, und daß sie selbst die katholische Presse als Nebenöffentlichkeit kritisieren und, wie es in manchen katholischen Kampfschriften wider die „schlechte Presse" formuliert wurde, allenfalls als „kleineres Übel" hinnehmen muß. Wagner läßt es an Deutlichkeit nicht fehlen. Indem er eine Formulierung von Edmund Jörg, 1873 in den „Historisch-politischen Blättern“ veröffentlicht uminterpretiert, bringt er jene katholischen Pressepioniere ins Zwielicht, die es im 19. Jahrhundert auf eigene Faust versucht haben — o Jahrhundert auf eigene Faust versucht haben — ohne nach der prinzipiell perfekten, aber nicht mehr funktionstüchtigen Öffentlichkeit der Kirche zu fragen: Wick in Breslau, Bachem in Köln, Lensing in Dortmund, Dasbach in Trier, um nur einige Beispiele zu nennen.
Edmund Jörg hatte, das im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts recht verbreitete Bestechungswesen in der allgemeinen Presse kritisierend, diese bestechbare Presse die „papierene Invasionsarmee eines Privatinteresses“ genannt. Wagner macht folgendes daraus: Kirche und Katholiken hätten im 19. Jahrhundert „dem Zwang der Verhältnisse gehorchend" ihre eigene Presse entwickelt, einen „kaum geahnten Erfolg — vor allem im Kulturkampf" erzielt, und gerade dieses Erfolges wegen hätten sie sich in der „papierenen Invasionsarmee der Privatinteressen" korrumpiert. 18) über diesen Vorwurf — auch das Haus, dessen lOOjähriges Bestehen hier gefeiert wird, verdankt seine doch recht erfolgreiche Geschichte demnach einem korruptiven Ansatz von Privatinteresse — mag man sich ärgern, aber das Ärgern gehört nicht zu unserem Thema. Wagners These ist unfreundlich, jedoch — von seinem und dem orthodox kirchlichen Standpunkt aus — konsequent. Zahlreiche Streitfälle zwischen offizieller Kirche und privatwirtschaftlich verlegten, individuell-journalistisch gemachten katholischen Blättern belegen die Konfliktgefahr zwischen hierokratischer Herrschaft und publizistischem „Privatinteresse"; die „Kölnische Volkszeitung“ hatte schon in ihrer Gründungsphase genau so darunter zu leiden wie 100 Jahre später „Publik“. In einer* „Heilsvergemeinschaftung" (so Schelsky mit Weber) kann es, streng genommen, keine auf Selbständigkeit und Freiheit pochenden Nebeninstanzen der Kommunikation geben.
III.
Die meist improvisierten Generäle der von Wagner gescholtenen „papierenen Invasionsarmeen", z. B. Dasbach, hätten korrekt gehandelt, wenn sie vor ihren Zeitungs-und Unternehmensgründungen eine Schrift gelesen hätten, die 1867 in der Nachbarschaft Speyer erschienen war. Der in Pressedingen nicht unerfahrene Domkapitular Wilhelm Molitor entwickelte in ihr „Die Organisation der katholischen Tagespresse"; er schlägt vor, „daß die Kirche selbst der Presse energisch und organisatorisch sich bemächtigen müssen" 19). Also: Überwachung durch die Bischöfe, und zwar modern: indirekt durch Pressekommissionen, in denen auch Laien mitwirken dürften — „den Kern werden überall Kleriker bilden müssen". Die (modern gesprochen) Richtlinienkompetenz habe beim Bischof zu liegen. Die Beschaffung von Leitartikeln sollte in der Regel Sache der Kommission sein. Zum Glück für die katholische, insbesondere die Zentrumspresse ist dieser organisatorische Verkirchlichungsplan nicht verwirklicht worden, während so manches SPD-Organ später unter Pressekommissionen zu leiden hatte
Genug der historischen Reminiszenz. Aufmerksamkeit verlangt die tatsächliche Entwicklung: Im Widerspruch zu theoretisch konsequenten Organisationsplänen, im Widerspruch zur ebenfalls theoretisch angenommenen perfekten Öffentlichkeit mittelalterlicher Provenienz ist ja dann doch zunächst in der Revolution von 1848, ist vor und im Kulturkampf eine frei verantwortete katholische Presse entstanden, hat es unter dem Druck der nationalsozialistischen Pressepolitik einen Aufschwung gegeben, der seinesgleichen sucht. In beiden Phasen haben Bischöfe, Klerus, Verleger und Journalisten zusammengehalten, ohne erst Überlegungen über eine kirchlich perfekte Öffentlichkeitsstruktur anzustellen. Die Erklärung dafür suche ich in der (bereits erwähnten) Ausnahmesituation der Bedrängnis durch einen äußeren Feind. Die in einer solchen Situation sich einstellende Einmütigkeit widerspricht nicht der Weberschen Religionssoziologie: Unter Außendruck nämlich vollzieht sich Heilsvergemeinschaftung, ohne daß das Leitungsamt mit der „Spendung oder Versagung von Heilsgütern" argumentieren muß: In der Not ist das Heil für alle Betroffenen, auch für die Amtsträger, leichter erkennbar. In einer solchen Situation werden auch „Abweichungen" — und das sind z. B. Nebenöffentlichkeiten, die durch Medien entstehen — verstehbar.
Zeiten der Bedrängnis machen nämlich klar, daß die Kirche erst auf dem Wege zum Heil ist, und daß man Krücken braucht, wenn man gehen will. Endet die Zeit der Bedrängnis, so gilt den Krücken erneut das prinzipielle Mißtrauen. Aus der heilsgeschichtlichen Perspektive der Kirche sind die Medien solche Krükken. Je kräftiger sie ausgebildet sind, um so mehr stehen sie im Widerspruch zum Prinzip Kirche. Das ist durchaus verständlich. Die publizistisch wie bürokratisch gewichtigen Großorganisationen moderner, sich selbst verwaltender Rundfunkanstalten z. B. entwikkeln, so hat man manchmal das Gefühl, aus ihrem Sendungsbewußtsein geradezu eigene Heilslehren. Die Illustrierten räumen ihre kostbaren Kupfertiefdruckseiten individuell vermarktbaren Heilslehren oder Heilsthemen ein: von Kolle bis zur Krebstherapie.
IV.
Die Kirche, steuerte sie geradewegs auf das Ende der Heilsgeschichte zu, bräuchte sich um all diese Nebenschauplätze nicht zu kümmern. In der Sprache der Soziologie wäre das von den Christen geglaubte endzeitliche Heil als Utopie zu bezeichnen. Utopische Gesellschaftszustände bedürfen kaum der Publizistik. Philosophische wie literarische Utopien beschreiben, wenn sie auf gesellschaftliche Kommunikation zu sprechen kommen, seltsam erstarrte, ja degenerierte Systeme: Man braucht die Medien nicht mehr, um Neues mitzuteilen, sondern nur noch zum Bewahren und Bewachen. „Das Ideal ist dort, wo nichts mehr ge-schieht", sagt der russische Utopie-Autor-JewgenijSamjatin Manchmal könnte man fürchten, daß auch der eine oder andere Amtsträger der Kirche diesem Ideal anhängt und also nicht nur neues Geschehen, d. h. Veränderungen, sondern auch die Medien der Kommunikation, die ja von der Mitteilung von Neuem, von Veränderungen leben, für überflüssig hält.
Die Wirklichkeit aber sieht doch anders aus. Es war ein Papst eben dieser Kirche, der mit dem Begriff „aggiornamento“ das Aktualitätsprinzip neu belebt hat. Manche grollen ihm deswegen; aber selbst in äußerlich ruhiger Zeit geht die Kirche inmitten permanenter gesellschaftlicher Veränderungen einen so schwierigen Weg, daß sie ohne — hoffentlich weises — aggiornamento gar nicht mehr auskommt. Die publizistischen Medien, die weltlichen wie die kirchlichen, liefern den Großteil der Informationen, die dafür nötig sind. Wenn die Kirche ihrem Auftrag treu bleiben und die Gesellschaft durchdringen will, kommt sie ohne ein rationales, mehr noch: ein gutes Verhältnis zu den Medien nicht mehr aus. Dennoch ist ihr Mißtrauen zu verstehen: Die „großen" Medien sind „weltliche“, und ihrer Neutralität zu mißtrauen, gibt es Gründe. Die eigenen Medien aber sind klein. Eine Beschützerrolle sehen sie nicht als ihre wichtigste Aufgabe an. Wie sie, die katholischen Blätter, selbständig entstanden sind, so pochen sie auf ihre Selbständigkeit. Nur durch Selbständigkeit gewinnen sie Glaubwürdigkeit bei ihrem Publikum. Es ist das gleiche Publikum, das zum Teil der Kirche als Heilsgemeinschaft, im großen ganzen aber als „Gesellschaft" im liberalen Verständnis gegenübersteht. Die Kirche sollte also die Selbständigkeit der ihr nahestehenden Medien respektieren und, wo nötig, erhalten.
V.
Zur Zeit erleben wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Phase mit, in der die Kirche einerseits den „weltlichen" Medien gegenüber wieder eine kritische Einstellung entwickelt, andererseits der katholischen Publizistik verbindlich Unterstützung zugesagt hat. Dabei machen wir, seitdem Begriffe wie Sofortprogramm oder Mediendienstleistungsgesell-schäft aufgetaucht sind, eine auf den ersten Blick verwirrende Beobachtung: Jene, denen geholfen werden soll, zögern — nicht wenige sperren sich. Dieses Verhalten macht exempla-risch das Problem erkennbar, das für die auf das Ganze angelegte Heilsgemeinschaft Kirche darin liegt, in einer revolutionierten und säkularisierten, eben der „bürgerlichen" Gesellschaft wirken zu müssen. Diese Kirche, die einerseits den in der Geschichte der Neuzeit erkennbar werdenden Fortschritt respektiert, manchmal bis zu Selbstverleugnung respektiert, muß doch andererseits darauf aus sein, wieder alles an sich zu ziehen — hier paßt das Bild von der Mutter: wie eine Mutter auch widerstrebende Kinder an sich zieht.
Katholische Verleger und Publizisten sind widerstrebende Kinder. Aufgrund ihrer Berufs-rolle haben sie den Freiheitsbegriff des bürgerlichen Zeitalters besonders intensiv verinnerlicht. Sie wissen, daß sie ihren Beruf zum Wohle der Gesellschaft und zum Wohle der Kirche dann am besten ausüben können, wenn sie es in Freiheit tun dürfen.
An ihrem Verhältnis zur Kirche wie am Verhältnis der Kirche zu den publizistischen Medien wird die Dialektik der Geschichte offenbar: Die Kirche, ausgerichtet auf einen statischen Endzustand des erfüllten Heils, kommend aus der nachträglich verklärten Ordnung des Mittelalters, die Publizisten, professionell verhaftet dem Neuen, der Veränderung, der Dynamik, unterworfen dem Prinzip der Aktualität, überzeugt von der mindestens prinzipiellen Richtigkeit der Gesellschaftsentwicklung, deren geschichtsprägende Grundideen wir dem 18. und 19. Jahrhundert verdanken — können sie sich eigentlich immer vertragen? Wenn ich an das wieder und wieder zu beobachtende Stirnrunzeln der einen und an das Fragen, Drängen und Fordern der anderen Seite denke, bin ich froh, weder Wald-heim noch Kissinger spielen zu müssen. Dennoch erlaube man dem Wissenschaftler wenigstens die ihm gemäße Fußnote: Habt mehr Geduld miteinander! Hört sorgfältig zu, ehe euch vielleicht eine neue Phase der Bedrängnis wieder in ein Geschirr spannt! Vermutet nicht, ohne zu prüfen, Zentralismus auf der einen und „Privatinteressen" auf der anderen Seite! Setzt auf die Loyalität!
Die 100 Jahre, auf die wir zurückblicken, haben immer wieder Beispiele bemerkenswerter Loyalität katholischer Publizisten hervorgebracht. Ohne diese Loyalität gäbe es am 20. September 1975 in Trier nichts zu feiern.