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Rüstungswettlauf in Europa: Mythos oder Realität? | APuZ 44/1975 | bpb.de

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APuZ 44/1975 Rüstungswettlauf in Europa: Mythos oder Realität? „Falken" und „Tauben" im amerikanischen Senat. Konfliktideologien und ökonomische Interessen als Bedingungsfaktoren der amerikanischen Rüstungspolitik

Rüstungswettlauf in Europa: Mythos oder Realität?

Hans Rattinger

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die militärische Wiederaufrüstung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg findet hauptsächlich zwei Erklärungen: In der traditionellen Sicht wird sie als das Ergebnis eines durch das Gefühl wechselseitiger Bedrohung angetriebenen Prozesses des Wettrüstens aufgefaßt. Eine kritische Schule innerhalb der neueren Friedensforschung meint dagegen, eine zunehmende Rolle der Innensteuerung bei der Aufrüstung im Ost-West-Konflikt feststellen zu können. Von dieser Kontroverse geht die vorliegende Untersuchung der Rüstungsausgaben von zwölf europäischen NATO-Staaten und der sieben Staaten des Warschauer Pakts in den Jahren 1950 bis 1974 aus. Da der Verteidigungsbereich von äußerst komplexen Organisationen verwaltet wird, hat man mit einem Anstieg der Rüstungsausgaben über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg auch ohne Änderungen in der äußeren Bedrohung zu rechnen. Aktions-Reaktions-Prozesse sind deshalb unmittelbar in den vorliegenden Rüstungshaushalten nicht feststellbar. Die klassische Hypothese von der Reaktivität, der Aufrüstung wird deshalb so umformuliert, daß beiderseitige gleichzeitige Abweichungen vom jeweiligen bürokratischen Trend der Militärhaushalte als Anzeichen von Reaktionsprozessen gewertet werden. Die wichtigsten Ergebnisse der empirischen Analysen sind die überwältigende Rolle des bürokratisch-organisatorischen Trägheitsmoments in sämtlichen untersuchten Staaten einerseits sowie das fast völlige Fehlen von Reaktionsprozessen andererseits. Nur in den fünfziger Jahren kann für einige wenige NATO-Staaten eine gewisse Reaktivität ihrer Rüstungsaufwendungen gegenüber dem Warschauer Pakt nachgewiesen werden. Diese Resultate führen zu der Forderung nach Ansätzen zu einer Rüstungskontrolle von innen heraus. Der zentrale Punkt dabei dürfte eine kritische Überprüfung der Feindbilder und Bedrohungswahrnehmungen sein, die als Grundlage der Fortsetzung der bisherigen Rüstungspolitik dienen. Die Chancen einer derartigen Überprüfung zumindest in den NATO-Staaten steigen in dem Ausmaß, in dem die gegenwärtige Wirtschaftslage verdeutlicht, daß eine fortgesetzte Aufrüstung auf Kosten ziviler Leistungen des Staates gehen muß.

Das enorme Tempo der militärischen Aufrüstung in Ost und West nach dem letzten Weltkrieg hat allenthalben zu einer intensiven Suche nach den Triebkräften hinter dieser beispiellosen Expansion der Militärapparate und ihrer Zerstörungspotentiale geführt. Die dabei zu Tage geförderten Bestimmungsfaktoren lassen sich ganz grob in zwei Klassen unterteilen: Zum einen wird die Aufrüstung als Wettrüsten aufgefaßt, also auf die Bedrohung und Unsicherheit über die Absichten potentieller Kontrahenten als Charakteristika gegenwärtiger internationaler Beziehungen zurückgeführt, zum anderen wird sie vorwiegend als das Ergebnis sozioökonomischer Dynamik in den „rüstungswettlaufenden“ Staaten selbst gesehen. Ziel der vorliegenden Studie ist es, der ausführlichen theoretischen Kontroverse um diese Frage einige empirische Ergebnisse zur Seite zu stellen.

In einer früheren Analyse der Determinanten der Rüstungsdynamik in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wurden als wichtigste Ergebnisse die zentrale Rolle innerstaatlicher bürokratischer und organisationsinterner Faktoren und der vergleichsweise geringe Einfluß von Aktions-Reaktions-Phänomenen empirisch abgesichert. An dieser. Stelle soll nun versucht werden, diese anderwärts global für die beiden sich in Europa gegenüberstehenden Militärblöcke erzielten Resultate für ihre einzelnen Mitgliedstaaten zu differenzieren. Zusätzlich wird untersucht, in welchem Umfang und in welcher Richtung sich im Lauf der Jahre die Gewichtung dieser Einflüsse verschoben hat.

Die Beschränkung der Untersuchung auf den europäischen Schauplatz der Ost-West-Konfrontation verdient bereits hier besondere Beachtung. Sie ist notwendig, weil die Rüstungsbudgets der Vereinigten Staaten — und um Rüstungsausgaben wird es im folgenden hauptsächlich gehen — in den Nachkriegsjähren durch zwei „heiße" Kriege, nämlich Korea und Vietnam, beträchtlich und unkontrolliebar nach oben verzerrt worden sind. Der Ausschluß der Vereinigten Staaten aus dieser

I. Einleitung

Analyse hat jedoch weniger schwerwiegende Konsequenzen, als man zunächst annehmen möchte. Sieht man von der Anwendung der Theorie kollektiver Güter auf die Militär-haushalte der NATO ab dann sollte sich dadurch nur auf Seiten des Warschauer Pakts eine Verfälschung tatsächlicher Reaktionsprozesse bemerkbar machen, überdies läßt sich aber argumentieren, daß angesichts der Parallelität der strategischen und der konventionellen Aufrüstung nur die Sowjetunion unmittelbar auf den Rüstungsetat der Vereinigten Staaten reagiert, während die restlichen Staaten des Warschauer Pakts sich in erster Linie von der konventionellen Rüstung der europäischen NATO-Partner bedroht sehen. Man kann deshalb davon ausgehen, daß nur im Fall der Sowjetunion Aussagen über die Stärke ihrer Reaktivität gegenüber dem Westen mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden müssen.

Um mit der einschlägigen Literatur weniger vertrauten Lesern den Zugang zu den empirischen Analysen zu erleichtern, wird in den beiden folgenden Abschnitten kurz auf die theoretischen Überlegungen eingegangen, aufgrund derer einerseits schrittweiser eigen-dynamischer Zuwachs und andererseits Reaktivität der Rüstungsanstrengungen der europäischen Staaten erwartet werden kann. Dabei muß auch die Vereinbarkeit beider Erklärungsansätze miteinander untersucht werden. Daran schließt sich ein Exkurs zur Rüstungsmessung an. Die Auswertung der Daten schließlich erfolgt unter möglichst weitgehendem Ausschluß von technischen oder methodologischen Details. Um so mehr Platz wird der zusammenfassenden Interpretation ihrer politischen Implikationen gewidmet.

Diesen abschließenden Bemerkungen soll hier nicht vorgegriffen werden, aber es mag ganz nützlich sein, bereits an dieser Stelle kurz auf die praktische Relevanz der hier verfolgten Fragestellung einzugehen. Die Literatur zur Dynamik des Rüstungsverhaltens enthält Dutzende von Hypothesen über seine Determinanten Als die zentrale Kontroverse scheint sich aber inzwischen herauszuschälen, ob und wann das Rüstungsverhalten eines Staates oder einer Allianz entweder hauptsächlich innengeleitet oder vorwiegend außen-gesteuert ist In dieser Auseinandersetzung Spekulation und punktuelle Illustration durch halbwegs gesicherte und durch empirische Daten fundierte Erkenntnisse zu ersetzen, bedeutet sicher einen Fortschritt für die Wissenschaft von den internationalen Beziehungen, für die Friedensforschung und für konkrete politische Aktion zur Kontrolle der Aufrüsturig.

Soche Aktion tut nach Ansicht des Verfassers not in einem Europa, das in seinen gemeinsamen Aufwendungen für militärische Rüstung nur von der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten übertroffen wird, in einer Bundesrepublik, die seit 1955 jährlich zwischen 3, 3 0/0 und 5, 2 % ihres gesamten Bruttosozialprodukts für Rüstung ausgibt. Die Aussichten auf Erfolg einer derartigen Aktivität hängen aber davon ab, ob sie an den strategisch richtigen Stellen ihren Hebel ansetzt. Die Entwicklung der notwendigen, erfolgversprechenden Gegenstrategien ist deshalb unter anderem auf eine Lösung der erwähnten Kontroverse um die Determinanten der Aufrüstung durch die Friedensforschung angewiesen Diese Lösung kann durchaus auch in einer Kombination der beiden Erklärungsmodelle bestehen. In diesem Sinne ist die Problemstellung dieses Aufsatzes zwar rein wissenschaftlich in ihrer Formulierung, unmittelbar praxisrelevant aber sind die angestrebten Resultate.

II. Bürokratisches Wachstum der Rüstungsausgaben

Die militärische Rüstung eines Staates ist zu jedem Zeitpunkt das Ergebnis einer Reihe von Entscheidungen über die Verteilung der im Staatshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel auf militärische und zivile Ausgaben-bereiche. Um Klarheit über das Zustandekom-men eines bestimmten Rüstungsvolumens zu gewinnen, empfiehlt sich deshalb eine genaue Untersuchung der Genesis dieses Schnitts zwischen zivilen und militärischen Staatsausgaben in jedem Budgetjahr. Selbstverständlich sind für die Aufrüstung auch andere Prozesse relevant, wie z. B. die Vergabe von Rüstungsaufträgen und die Einflußversuche des militärisch-industriellen Komplexes auf „politische" Entscheidungen. Dieser Aufsatz beschränkt sich aus Platzgründen aber darauf, global konkurrierende Erklärungsansätze für die gesamten Rüstungsaufwendungen von Staaten einander gegenüberzustellen.

Der erste dieser Ansätze geht davon aus, daß das Verhalten einer Rüstungsbürokratie beim Kampf um die Verteilung der im Staatshaushalt verfügbaren Mittel dem organisatorischen Routineverhalten anderer Regierungsbürokratien entspricht. Konkret heißt das, daß unabhängig von der Bedrohlichkeit der internationalen Situation versucht wird, Streichungen im Rüstungsbudget von einem Jahr zum anderen durch den Bewilligungsprozeß in Regierung und Parlament zu entgehen, da derartige Kürzungen einerseits die existierenden und geplanten Programme gefährden würden und damit andererseits auch die Karriere-und Aufstiegschancen in Militär und Rüstungsbü-rokratie. Wie jede Bürokratie sieht sich der Verteidigungsapparat deshalb gezwungen, von Budget zu Budget „angemessen" am Wachstum der Staatsfinanzen teilzunehmen, sei es durch ein steigendes Bruttosozialprodukt oder durch einen steigenden staatlichen Anteil am Bruttosozialprodukt verursacht.

Wie die von Rücktritten von Ministern oder gar Regierungschefs begleiteten Turbulenzen bei der Formulierung von Haushaltsentwürfen zeigen, ist diese Aufgabe alles andere als leicht zu lösen. Das zentrale Problem jeder Bürokratie in diesem Prozeß lautet, wie und mit welchen Argumenten ihre Anforderungen vorzubringen sind, um die Interaktion von konkurrierenden Ansprüchen mit administrativen und parlamentarischen Bewilligungsverfahren möglichst ungeschoren zu überstehen, übersteigerte Anforderungen riskieren am ehesten massive Streichungen. Zu große Bescheidenheit andererseits kann als verringerter Bedarf ausgelegt werden, der zu weiteren Kürzungen berechtigt. Die besten Chancen, den Bewilligungsprozeß ohne dramatische Abänderungen zu überstehen, haben Voranschläge mit mittelmäßigen Zuwachsraten. Die Anforderung für ein gegebenes Jahr ist demgemäß regelmäßig um einen bestimmten Prozentsatz über der Bewilligung des Vorjahres zu erwarten. Im Bewilligungsverfahren wird diese Anforderung wieder um einen bestimmten Anteil gekürzt, so daß die Mittel einer Bürokratie in jedem Jahr tendenziell um einen näherungsweise festen Prozentsatz über ihrem Haushalt im vorangegangenen Budget-jahr liegen. Aufgrund dieses Mechanismus ergeben sich gute Vorhersagen für den Etat des folgenden Jahres aus dem Etat einer Bürokratie im laufenden Jahr. In Anlehnung an Charles Lindblom, dessen Studien diesen Ansatz maßgeblich beeinflußt haben pflegt dieses Erklärungsmodell als „inkrementalistisch" bezeichnet zu werden. Von Davis und anderen wurde dieses Modell für eine Reihe von Regierungsbürokratien in den Vereinigten Staaten über einen längeren Zeitraum hinweg empirisch bestätigt

Es läßt sich nun argumentieren, daß die Gestaltung des Rüstungshaushalts von diesem bürokratischen Regelverhalten nicht abweicht Aus zweierlei Gründen dürfte die inkrementalistische Faustregel im Rüstungsbereich sogar noch wichtiger sein als anderwärts. Zum ersten ist ein bedeutender Anteil der Rüstungsausgaben durch Personalbestand und zeitlich gestreckte Beschaffungsprogramme langfristig gebunden und politisch kaum manövrierbar. Zum zweiten enthebt sie einen der schier unüberwindlichen Schwierigkeit, aus so schwammigen Zieldefinitionen wie „nationale Sicherheit" oder „Abschreckung" konkrete Rüstungsprogramme und die darauf aufbauenden finanziellen Anforderungen abzuleiten. Dabei ist anzunehmen, daß inkrementalistische Wachstumstendenzen durch die Planungsprozeduren und -zeiträume in planwirtschaftlichen Gesellschaften allenfalls noch verstärkt werden

Es besteht mithin Grund zu der Erwartung — so die Theorie —, daß das Wachstum der Rüstungsausgaben der Staaten in Europa sich im Regelfall nicht weit von diesem schrittweisen prozentualen Anstieg entfernt. Größere Abweichungen davon sind nur in in-ternationalen Krisen oder Katastrophen zu erwarten. Durch derartige externe Einwirkungen wird eine Umverteilung der gesamten Haushaltsmittel zugunsten der Rüstung politisch durchsetzbar. Im Extremfall wird es sogar möglich, das Volumen der insgesamt zur Verteilung stehenden Ressourcen zugunsten des Militärhaushaltes zu steigern, wobei eine höhere staatliche Verschuldung und eine Steigerung der Steuerquote als Alternativen zur Verfügung stehen. Die zweite Art von Reaktion auf Ereignisse im internationalen Umfeld wird in der Regel nach Beilegung der Krise nicht zurückgenommen. Auf diese Weise kann das regelmäßige Wachstum der Rüstungsausgaben durch vereinzelte „Sprünge" auf ein höheres Niveau gehoben werden

Es mag an dieser Stelle ganz nützlich sein, dieses Modell inkrementalen Wachstums kurz dem Autismus-Modell von Dieter Senghaas gegenüberzustellen dessen Bekanntheit dabei vorausgesetzt wird. Senghaas'zentrale These lautet — grob vereinfacht—, daß sich die Aufrüstung der Teilnehmer am Ost-West„Rüstungswettlauf" nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend verselbständigt habe und inzwischen auf beiden Seiten von innen heraus durch unrealistische Feindbilder und diverse Interessentengruppen gesteuert werde. Die Bedrohung durch die Rüstung der jeweils anderen, angeblich feindseligen Allianz werde vornehmlich zur Verschleierung der tatsächlichen Triebkräfte der eigenen Aufrüstung beschworen, die in der Interessenverflechtung innerhalb des militärisch-industriell-bürokratischen Komplexes zu finden seien. Dabei wird nicht notwendigerweise eine bewußte Verschwörung zur Verteidigung erworbener Positionen unterstellt. Vielmehr sei eine Verbindung der spezifischen Interes-senstruktur innerhalb des militärisch-industriell-bürokratischen Komplexes mit zum Teil anachronistischen Einstellungen und Verhaltensweisen anzutreffen, die unfähig seien, nationale Sicherheit anders als durch die Fortsetzung einer potentiell gewalttätigen Drohpolitik garantiert zu sehen. Diese These wendet sich vor allem gegen die der traditionellen Literatur zu Rüstungswettläufen zugrunde liegende Hypothese, daß Rüstung in erster Linie eine Schutzreaktion auf das Gefühl der Bedrohung durch die Rüstung eines präsumptiven Gegners sei

Eine Schwäche der Autismus-Hypothese ist, daß sie zwar Vorstellungen darüber vermitteln kann, warum trotz allseitig beschworener Entspannung in Europa die meisten Staaten fortfahren aufzurüsten, sie aber nicht in der Lage ist, den jeweiligen Umfang und die Geschwindigkeit dieser Aufrüstung zu erklären. Diese Lücke kann durch das hier untersuchte Modell inkrementalen Wachstums der Rüstungsausgaben teilweise geschlossen werden. Theoretisch unbefriedigend bleibt allerdings, daß dieses Modell sowohl mit der Autismus-Hypothese als auch mit der Reaktivitäts-Hypothese vereinbar ist. Wann immer ein Staat die Aufrechterhaltung und den Ausbau eines Militärapparates für notwendig hält — sei es aufgrund beschränkter Realitätsprüfung und verselbständigter Feindbilder, sei es als Reaktion auf feindliche Rüstung —, beansprucht das hier vorgeführte Modell, das Routineverhalten dieses Militärapparates beim Kampf um die Verteilung des Staatshaushaltes zu erklären. Eine befriedigende Einfügung dieses Modells in den autistischen Erklärungsansatz würde erfordern, daß dessen Implikationen für den Prozeß der Festlegung der Rüstungsausgaben im Gesamtbudget eines Staates detailliert ausgearbeitet würden.

III. Die Rolle von Aktions-Reaktions Prozessen

Wie erwähnt, ist die Hypothese vom „Autismus“ der Aufrüstung in Frontstellung gegenüber den in der Tradition Richardsons stehenden Analysen entwickelt worden, für die die Aktions-Reaktions-Modelle den theoretischen Bezugsrahmen abgeben

Die grundlegende gemeinsame Annahme derartiger Modelle lautet, daß in einem Rü-stungswettlauf die Art und der Umfang der Rüstungsanstrengungen auf der einen Seite eine Reaktion auf die Rüstung der anderen Seite darstellen und umgekehrt, so daß sich die Rüstungspotentiale der Kontrahenten gegenseitig stimulieren und eskalieren. Durch zusätzliche Annahmen über die jeweilige genaue Art der Beziehung zwischen den beiderseitigen Rüstungsständen können aus dieser einfachen Hypothese unzählige Rüstungswettlaufmodelle abgeleitet werden Eine der am häufigsten gemachten Annahmen besagt, daß jede Seite in einem Rüstungswettlauf versuche, durch ihre eigene Aufrüstung ein bestimmtes Kräfteverhältnis („ratio goal") zwischen der eigenen Rüstung und der des Gegners zu erreichen und/oder zu bewahren Meist wird in derartigen Modellen nicht versucht, die bürokratischen Details des Umsetzungsprozesses des inputs (der feindlichen Rüstung) in den Output (die eigene Rüstung oder deren Zuwachs) wiederzugeben, so daß die in einen Rüstungswettlauf verwickelten Staaten als „black boxes" betrachtet werden.

Die Aktions-Reaktions-Hypothese geht von der alltäglichen Beobachtung aus, daß Staaten, die einander als mögliche Gegner in einem zukünftigen bewaffneten Konflikt betrachten, nach eigenem Bekunden die Rüstungsanstrengungen des präsumptiven Gegners durch eigene Aufrüstung zu kompensieren versuchen. In Anbetracht ihrer Unsicherheit über die wahren Absichten eines Gegners wählen die meisten Staaten als den sichersten Kurs, sich nach der Devise „si vis pacem para bellum“ auf den schlimmsten aller möglichen Fälle vorzubereiten. Das Dilemma einer solchen Rüstungsspirale ist, daß der Gegner in der Regel nicht untätig bleibt, während ein Staat ein für ihn akzeptables günstiges Verhältnis der beiderseitigen Militärmaschinerien zu erzielen versucht. Der Versuch, das Gefühl der Bedrohung durch eigene Aufrüstung zu lindern, kann also sehr wohl für beide Seiten zu einer Verringerung ihres Sicherheitsbewußtseins führen. Nicht von ungefähr sehen sich im gegenwärtigen internationalen System die am höchsten gerüsteten Staaten auch am stärksten bedroht. Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, den Teufelskreis durch einseitige Zurückhaltung zu durchbrechen, resultiert in einer immer rascheren Eskalation des Wettrüstens.

Die Argumente gegen die unkritische Übernahme dieses Aktions-Reaktions-Schemas sind wohlbekannt, so daß ihre Wiedergabe sich hier erübrigt. Vielmehr soll nunmehr untersucht werden, ob und wie sich dieses Schema in das Modell des inkrementalen Wachstums der Rüstungsausgaben einbeziehen läßt. Dabei sollte im Gedächtnis behalten werden, daß sowohl das inkrementalistische Modell als auch Aktions-Reaktions-Modelle nicht erklären können, warum ein Staat überhaupt aufrüstet oder warum er seine Rüstung (angeblich) als Reaktion auf die Rüstung eines präsumptiven Gegners steigert, sondern nur die Art und die Intensität dieser Aufrüstung. Wenn ein beliebiger Staat — aus welchen Gründen auch immer— einen Militärapparat unterhält, dann beansprucht das im vorangehenden Abschnitt eingeführte Modell, die Expansion der dafür aufgebrachten Mittel bei Abwesenheit äußerer Krisensituationen zu erklären. Betrachten sich zwei Staaten nun gegenseitig als militärische Bedrohung, so ändert das im Regelfall nichts an dem beiderseitigen Routineverhalten. Genau deshalb ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch unerläßlich, den Aktions-Reaktions-Ansatz mit dem vorher vorgeführten Modell bürokratischer Budgetierungspraxis zu kombinieren. Wendete man nämlich — wie es die bisherige empirische Forschung zu Rüstungswettläufen fast ausnahmslos getan hat — immer dann, wenn zwei Staaten oder Allianzen einander als militärische Bedrohung wahrnehmen, Reaktionsmodelle ohne Berücksichtigung der eigen-dynamischen Steigerung der beiderseitigen Rüstungen an, liefe man Gefahr, die Stärke der ablaufenden Reaktionsprozesse grob überzubewerten. Dies deshalb, weil sich in dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial der jährlichen Verteidigungshaushalte die Effekte paralleler organisationsimmanenter Trägheitsmomente auf beiden Seiten von dem Resultat wechselseitiger Reaktion nicht ohne weiteres unterscheiden lassen. Die Interpretation eines parallelen Anstiegs der Rüstungsausgaben auf beiden Seiten als das Ergebnis gegenseitiger Reaktion ist mithin theoretisch wie methodisch nicht unproblematisch.Diese Vermengung der Auswirkungen zumindest zweier Bestimmungsfaktoren der Aufrüstung in den zumeist zu empirischen Untersuchungen herangezogenen Budgetdaten ist wohl das größte Hindernis für die praktische Anwendung von Aktions-Reaktions-Modellen für Rüstungswettläufe. Daß die einschlägige Literatur vorwiegend aus rein modelltheoretischen Beiträgen besteht, mag nicht zuletzt auf diese Schwierigkeit zurückzuführen sein.

Für die vorliegende Untersuchung stellt sich nun das Problem, die grundlegende Form der Aktions-Reaktions-Hypothese in eine überprüfbare und mit dem Modell inkrementalistisehen Wachstums vereinbare Form zu bringen. Dabei bietet es sich an, auf die früher erwähnten Studien Crecines zurückzugreifen. Crecine argumentiert, daß Abweichungen eines Staates vom gleichförmigen und regelmäßigen Anstieg seiner Rüstungsausgaben im Fall krisenartiger Ereignisse in seinem internationalen Umfeld zu erwarten seien Die Kategorie der „internationalen Krisen" möchte er dabei relativ eng gefaßt wissen.

Um die Konzeption der Reaktivität der Aufrüstung in das inkrementalistische Wachstums-modell einführen zu können, liegt es nahe, den Kreis krisenhafter Ereignisse ausweiten und auch Abweichungen eines potentiellen Gegners vom regelmäßigen Zuwachs seiner Rüstungsanstrengungen unter die Auslöser „abnormal" hoher Verteidigungsetats einzureihen. Während die inkremental steigende Rüstung der Gegenseite gewissermaßen die „normale" Bedrohung darstellt, die durch regelmäßiges Wachstum der eigenen Rüstungsausgaben neutralisiert werden kann, bedeutet eine Abweichung des Gegners von seinem inkrementalen Rüstungstrend nach oben eine unerwartete und daher krisenhafte zusätzliche Bedrohung, die eigene gesteigerte Rüstungsaufwendungen erfordert. In dieser neuen Variante sagt die Aktions-Reaktions-Hypothese also als Reaktion auf eine Abweichung der Rüstungsausgaben der einen Seite von ihrem inkrementalen Trend nach oben eine ebenfalls positive Abweichung der Rüstungsausgaben der andere Seite von deren Trend voraus. Entsprechend wäre zu erwarten, daß Abweichungen vom Trend der Rüstungsausgaben nach unten im gleichen Sinne beantwortet werden, da die tatsächliche Bedrohung hinter der erwarteten zurückbleibt *

Einen so umformulierten Aktions-Reaktions-Prozeß hat man sich aber nicht im mechanistischen Sinne als Abfolge unreflektierter, automatischer Reaktionen vorzustellen. Vielmehr verändern derartige „Krisen" in der internationalen Situation das Umfeld, in dem der Kampf um die Verteilung der verfügbaren Mittel stattfindet, zugunsten der Advokaten gesteigerter bzw. zurückhaltender Rüstungsanstrengungen. Historische Beispiele hierfür in der hier untersuchten Rüstungsdynamik zu finden, ist nicht schwer. Sowohl die Berlin-Krise von 1961 als auch die Invasion in der CSSR im Jahre 1968 wurden auf Seiten des Warschauer Pakts von massiven Abweichungen vom Trend seiner Rüstungsausgaben nach oben begleitet. In beiden Fällen zogen die wichtigsten europäischen NATO-Staaten nach und verlagerten ihre gesamten Rüstungsausgaben auf ein deutlich höheres Niveau. In der oben vorgeführten Neufassung cagt das Aktions-Reaktions-Modell voraus, daß in einem Prozeß des Wettrüstens die Abweichungen der tatsächlichen Rüstungsausgaben der einen Seite vom aufgrund des bürokratischen Trends erwarteten Wert denen der zweiten Seite proportional seien und umgekehrt. Es läßt sich nun argumentieren, daß der Eindruck einer derartigen Abweichung nicht unabhängig sei vom Umfang der beiderseits bereits akkumulierten Rüstung. Aus dieser Überlegung kann eine zweite Variante des Aktions-Reaktions-Modells dergestalt abgeleitet werden, daß die prozentualen Abweichungen der Rüstungsausgaben der einen Seite von ihrem bürokratischen Trend den prozentualen Abweichungen vom erwarteten Wert auf der zweiten Seite proportional seien. Diese beiden Modelle werden einander in den folgenden empirischen Analysen gegenübergestellt und mit der Stärke des „normalen" inkrementalen Wachstums der Rüstungsausgaben in den einzelnen Staaten der beiden Militärblöcke in Europa verglichen. Darüber hinaus soll auch versucht werden, die bei Kritikern des Aktions-Reaktions-Schemas verbreitete Hypothese zu überprüfen, daß die Rüstungsdynamik nach dem Zweiten Weltkrieg eine Transformation vom echten Rüstungswettlauf hin zur beiderseitig eher autistischen Aufrüstung durchgemacht habe. Vertreter dieser Hypothese konzedieren in den unmittelbaren Nachkriegsjähren die tät-sächliche Wirksamkeit von gegenseitigen Reaktionsprozessen im Ausbau der Militärpotentiale in Ost und West. Sie meinen aber, spätestens seit den sechziger Jahren erst auf Seiten der NATO und mit einiger Verzögerung auch im Warschauer Pakt eine Verselbständigung der den ursprünglichen Rüstungswettlauf antreibenden Drohwahrnehmungen und militärischen Vorbereitungen im „bipolaren Autismus" ausmachen zu können Sollte diese Beschreibung auf die Realität im Nachkriegseuropa zutreffen, dann müßte sich in den Daten der einzelnen europäischen Staaten ein Rückgang der Reaktivität und eine Intensivierung der bürokratischen Expansion ihrer Rüstungsausgaben feststellen lassen. Ob dem so ist, soll im letzten Schritt der empirischen Untersuchung geklärt werden. Zuvor jedoch ist noch ein kurzer Exkurs zur Rüstungsmessung angebracht.

IV. Exkurs: Zur Rüstungsmessung

Das Modell bürokratischer Ausgabenexpansion aus Teil II versucht, den Umfang der von einem Staat jährlich für Rüstung verauslagten Ressourcen zu erklären. Das gleiche gilt für die hier vorgelegte Neuformulierung der Aktions-Reaktions-Hypothese. Die meisten traditionellen Aktions-Reaktions-Modelle andererseits behandeln die Rüstung von Staaten als die theoretisch zu erklärende Größe. Damit stellt sich bei ihrer konkreten Anwendung das Problem der Rüstungsmessung. In der Regel werden dabei als einfachste Lösung die Rüstungsausgaben von Staaten zur Messung ihrer Rüstung herangezogen. Da jedoch starke Zweifel daran begründet werden können, daß der Umfang der militärischen Rüstung eines Staates durch seine jährlichen Rüstungsausgaben adäquat widergespiegelt wird muß die Gültigkeit der Ergebnisse derartiger empirischer Studien in der Regel mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden.

Da auch in der vorliegenden Studie jährliche Rüstungsausgaben das empirische Datenmaterial bilden, ist es als ein Vorteil anzusehen, daß der theoretische Bezugsrahmen sowohl des inkrementalistischen Wachstumsmodells als auch des umformulierten Aktions-Reaktions-Modells ausschließlich auf Rüstungsausgaben zurechtgeschnitten ist. Das dornige Problem der Rüstungsmessung stellt sich mithin hier gar nicht.

Die jährlichen Rüstungsausgaben (in konstanten US-Dollars) der zwölf untersuchten europäischen NATO-Staaten und der sieben Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts von 1950 bis 1974 wurden aus den verschiedenen Jahrgängen der SIPRI-Jahrbücher ermittelt Frankreich wurde so behandelt, als sei es während der gesamten fünfundzwanzig Jahre Mitglied der NATO gewesen, was in Anbetracht der französischen Außenpolitik und Militärstrategie der letzten Jahre wohl nicht unrealistisch ist. Im Fall Bulgariens, der CSSR, der DDR, Rumäniens und Ungarns fehlen Daten für einige Jahre vor 1959. Da die SIPRI-Jahrbücher mit der Angabe ihrer Quellen eher sparsam sind, wurde kein Versuch unternommen, diese Lücken in den Daten zu schließen.

V. Einige Ergebnisse

über die Ergebnisse der empirischen Untersuchung wird in drei Schritten berichtet. Zunächst geht es darum, die Stärke des bürokratischen Trägheitsmoments in der Aufrüstung der einzelnen Staaten zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Anschließend soll geklärt werden, bei welchen Staaten und in welchem Umfang diese Eigendynamik des Rü-stungsverhaltens von einem Reaktionsprozeß zwischen Ost und West überlagert wird. Zuletzt wird noch die behauptete Tendenz vom Rüstungswettlauf hin zum „bipolaren Autismus" unter die Lupe genommen 1: —auustuIIY— und bürokratische Tragheitsmoment Der von dem Modell inkrementalistischen Wachstums angenommene regelmäßige Anstieg der Rüstungsausgaben läßt sich in der Tat sowohl bei den Staaten des Warschauer Pakts als auch bei den europäischen NATO-Staaten mit bemerkenswerter Deutlichkeit feststellen. Dies erhärtet die Vermutung, daß sich die organisatorischen Mechanismen, die zur kontinuierlichen Steigerung der von den meisten bürokratischen Apparaten verwalteten Mittel führen, auch im Rüstungsbereich unübersehbar bemerkbar machen. Von drei Ausnahmen (Luxemburg, Großbritannien und Frankreich) abgesehen, liegt bei allen untersuchten Staaten die Stärke der Korrelation zwischen den Rüstungsausgaben eines jeden Jahres und den Rüstungsausgaben des jeweils vorangegangenen Jahres deutlich über 0,9 Für die Bundesrepublik z. B. heißt das konkret, daß sich ihr Verteidigungsetat in einem bestimmten Jahr aus dem des vorherigen Jahres mit einem erwarteten Fehler von etwa 75 Millionen DM vorhersagen läßt.

Aus einem Vergleich zwischen den beiden Militärbündnissen geht hervor, daß die Stärke der bürokratischen Trends während des gesamten Untersuchungszeitraums bei den Staaten des Warschauer Pakts noch deutlich höher liegt als bei denen der NATO. Diese Beobachtung könnte man vielleicht mit der in den Staaten des kommunistischen Lagers vorherrschenden Planungspraxis erklären, die tendenziell das administrative Trägheitsmoment noch unterstützt.

Bei beiden Militärblöcken, besonders allerdings im Fall der NATO, fällt ins Auge, daß die Staaten mit den höchsten Rüstungsausgaben ein vergleichsweise schwächeres Trägheitsmoment aufweisen als ihre kleineren Allianzpartner. Besonders der Anstieg der Rüstungsausgaben in Belgien, Griechenland, Italien, Portugal und der Türkei zeichnet sich über die Jahre hinweg durch ein erstaunlich hohes Maß an Gleichförmigkeit aus. Von diesen Staaten werden sowohl Großbritannien und Frankreich als auch die Bundesrepublik bei weitem in der Stärke der Eigendynamik ihrer Aufrüstung übertroffen. Aufgrund der Füh-rungsrotie der zuletzt genannten Staaten in Westeuropa läßt sich vermuten, daß dies unter anderem auf eine höhere Reaktivität ihrer Rüstungsanstrengungen auf die des War-schauer Pakts zurückgeht. Ob dem so ist, soll unter anderem im folgenden Abschnitt geklärt werden.

Eine zusätzliche Bemerkung zur Sonderstellung Großbritanniens ist hier noch angebracht. Daß die Rüstungshaushalte Großbritanniens von allen untersuchten Staaten die geringste administrative Eigendynamik aufweisen, dürfte wohl auch damit Zusammenhängen, daß die dem inkrementalistischen Wachstumsmodell zugrunde liegende Wechselwirkung zwischen Anforderungen und Bewilligungsverfahren zumindest teilweise außer Kraft gesetzt wurde. Die zu Beginn der sechziger Jahre vorgenommene starke Zentralisierung der Haushaltsaufstellung ersetzte die von der Verteidigungsbürokratie einzureichenden und auf (angeblichen) militärischen Erfordernissen aufgebauten Haushaltsentwürfe durch von oben diktierte finanzielle Obergrenzen, die aus der Gesamtlage der Staatsfinanzen abgeleitet werden Schlagwortartig könnte man sagen, daß das Trägheitsmoment der englischen Verteidigungsbürokratie allem Anschein nach durch den Übergang von Aufgabenplanung zur Ressourcenplanung gebrochen worden ist. 2. Gibt es einen Rüstungswettlauf?

Bedeutet nun das von den Rüstungsapparaten in Ost-und Westeuropa entfaltete rege Eigenleben, daß die Richardsonschen Aktions-Reaktions-Prozesse eine am bloßen Augenschein orientierte Fiktion darstellen, wie Dieter Senghaas vermutet Durch die oben vorgenommene Umformulierung der „klassischen" Aktions-Reaktions-Hypothese ist es möglich, einer differenzierenden Antwort auf diese Frage etwas näher zu kommen. Ganz allgemein läßt sich feststellen, daß bei einigen wenigen Staaten in Europa tatsächlich eine reaktive Komponente des Rüstungsverhaltens auszumachen ist. Ihre Intensität allerdings ist weit weniger ausgeprägt als die des administrativen Trägheitsmoments. Sofern sich überhaupt Reaktivität der Rüstungsausgaben nachweisen läßt, gehorcht sie eher der zweiten Variante des neugefaßten Aktions-Reaktions-Modells, die eine porportionale anteilsmäßige Abweichung vom Rüstungstrend eines Staates als Antwort auf eine bestimmte prozentuale Abweichung vom inkrementalis-tischen Rüstungstrend der feindlichen Allianz voraussagt.

Im einzelnen bietet sich folgendes Bild:

Bei vier Staaten, Luxemburg, Italien, CSSR und der Sowjetunion, widersprechen die Daten beiden Varianten des Aktions-Reaktions-Modells. Von den restlichen fünfzehn Staaten reagieren fünf eher nach der ersten, zehn eher nach der zweiten Modellvariante auf Fluktuationen in der Rüstung der feindlichen Allianz. Dabei muß jedoch beachtet werden, daß nur bei fünf Staaten das Ausmaß der Reaktivität statistisch signifikant ist und das Verhalten dieser fünf Staaten entspricht eher der zweiten Version des Reaktionsmodells, die mithin die Wirkungsweise von Reaktionsprozessen eindeutig adäquater charakterisiert als die erste Version.

Vergleichen wir nun das Verhalten der beiden Allianzen miteinander. Eine gültige Bewertung erlauben dabei nur die fünf deutlich ausgeprägten und statistisch signifikanten Reaktionsmuster. Von diesen finden sich vier bei NATO-Staaten (Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Norwegen) und nur eines bei einem Staat des Warschauer Pakts, nämlich bei Polen. Die weitaus stärksten reaktiven Abweichungen vom bürokratischen Trend lassen sich in den Rüstungsausgaben Frankreichs feststellen. Diese auffällige Sonderstellung Frankreichs könnte damit Zusammenhängen, daß Frankreich seine „force de frappe" als eigenständiges Abschreckungsinstrument betrachtet und sich — zumindest der eigenen Wahrnehmung nach— weniger auf den amerikanischen atomaren Abschreckungsschirm verlassen kann als die übrigen europäischen NATO-Staaten.

Zusammen mit den Ergebnissen des vorigen Abschnitts können diese Resultate folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die bürokratische Expansion der Rüstungsausgaben ist bei den Staaten des Warschauer Pakts etwas stärker ausgeprägt als bei denen der NATO. Umgekehrt ist Reaktivität der Rüstungsanstrengungen — von Polen abgesehen— nur bei einigen wenigen NATO-Staaten deutlich nachzuweisen, darunter besonders den atomar gerüsteten europäischen „Mittelmächten" Frankreich und Großbritannien, deren administratives Trägheitsmoment vergleichsweise gering ist. Diese Resultate stimmen nicht ganz mit der gelegentlich geäußerten. Vermu-tung überein, daß die Rüstungsanstrengungen des Warschauer Pakts eher als eine Reaktion auf die des Westens aufzufassen seien als umgekehrt Erschöpfend allerdings läßt sich diese Frage hier nicht behandeln, da die Vereinigten Staaten in der empirischen Untersuchung nicht berücksichtigt werden. Schließlich läßt sich argumentieren, daß die Sowjetunion mit ihrem Rüstungsverhalten weit weniger auf die europäischen NATO-Staaten als auf ihren mächtigsten Kontrahenten, die Vereinigten Staaten, reagiert. Für alle übrigen untersuchten Staaten indes kann mit einiger Sicherheit festgestellt werden, daß die wenigen und relativ bescheidenen Indizien für einen zwischen Ost und West ablaufenden Reaktionsprozeß sich erstens auf einige wenige Staaten erstrecken und zweitens in Europa eher für eine höhere Sensibilität der betroffenen NATO-Staaten gegenüber Fluktuationen in der Aufrüstung des Warschauer Pakts sprechen als umgekehrt. Von einem intensiven, wechselseitigen „Rüstungswettlauf" im Sinn der klassischen Aktions-Reaktions-Modelle kann allerdings im Nachkriegseuropa nicht die Rede sein. 3. Vom Rüstungswettlauf zum bipolaren Autismus?

Die Ergebnisse des letzten Abschnitts lassen vermuten, daß sich die von Gantzel für den Ost-West-Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg postulierte Entwicklung vom echten Rüstungswettlauf über einseitige Reaktivität des Warschauer Paktes bis hin zu bipolarer autistischer Aufrüstung in Europa kaum wird nachweisen lassen Um derartige Verlagerungen in den Triebkräften der europäischen Rüstungsdynamik aufzuspüren, wurde sie in zwei gleich lange Perioden — die erste von 1950 bis 1962, die zweite von 1962 bis 1974 — zerlegt, und die Stärke der inkrementalen Trends und der sie überlagernden Aktions-Reaktions-Mechanismen wurde für jede Periode getrennt ermittelt.

Die These von der Transformation der europäischen Rüstungsdynamik hin zur bipolaren autistischen Aufrüstung impliziert eine Zunahme der bürokratischen Trägheitsmomente von der ersten zur zweiten Periode und einen entsprechenden Rückgang in der Reaktivität der Rüstungshaushalte. Die erste Erwartung ist in der Tat eindeutig erfüllt. Bei zwölf der insgesamt sechzehn Staaten, für die genügend Daten aus beiden Perioden vorliegen, steigt mr starke des inkrementalistischen Trends von der ersten zur zweiten Periode, und nur bei den vier NATO-Staaten Großbritannien, Luxemburg, Portugal und Bundesrepublik nimmt sie ab — zum Teil allerdings nur unwesentlich. Diese Entwicklung ist auf Seiten des Warschauer Pakts noch viel auffälliger als in den davon betroffenen Staaten der NATO. Im Warschauer Pakt weist in der ersten Periode Bulgarien den am deutlichsten ausgeprägten bürokratischen Trend seiner Rüstungsausgaben auf. Die Stärke dieses Trends wird nach 1962 von allen Staaten dieses Bündnisses übertroffen. Die einzige Ausnahme von der Regel zunehmender Eigendynamik der Rüstungsbürokratien ist in den Militärhaushalten Großbritanniens zu beobachten. Die durch die ökonomische Situation Großbritanniens zu Beginn der sechziger Jahre erzwungene Reorganisation der Haushalts-gestaltung führte offensichtlich dazu, daß in der zweiten Periode der organisatorisch-bürokratische Erklärungsansatz praktisch keinerlei Erklärungskraft für die englischen Verteidigungsetats besitzt. Die zweite Erwartung abnehmender Reaktivität der Rüstungsausgaben betreffend sind die Ergebnisse ambivalent. Für die Staaten des Warschauer Pakts lassen sich weder in der ersten noch in der zweiten Periode signifikante Reaktionsprozesse gegenüber der europäischen NATO feststellen. Bei den europäischen NATO-Staaten indes wird auch diese zweite Erwartung vom Rückgang der Bedeutung von Reaktionsprozessen bestätigt. Vor 1962 legen noch drei NATO-Staaten, nämlich Dänemark, Frankreich und Großbritannien, ein Verhalten in Übereinstimmung mit der zweiten Version des umformulierten Aktions-Reaktions-Modells an den Tag. Nach 1962 ist in den Rüstungsausgaben keines einzigen europäischen Staates ein Reaktionsmuster von statistischer Signifikanz nachzuweisen.

Aufgrund der hier in aller Kürze berichteten Resultate läßt sich über die Entwicklung der Rüstungsdynamik in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg folgendes Resümee ziehen: Die Rolle von Aktions-Reaktions-Phänomenen ist im Vergleich zu dem auf Ausweitung der Rüstungsetats drängenden administrativen Trägheitsmoment nur von untergeordneter Bedeutung. Letzteres hat sich außer in Großbritannien in fast allen Staaten von NATO und Warschauer Pakt im Übergang von den fünfziger Jahren hin zu den sechziger und frühen siebziger Jahren noch deutlich verstärkt. Reaktivität der Rüstungsausgaben gegenüber der europäischen NATO läßt sich in den Staaten des Warschauer Pakts in keiner Phase nachweisen. Eine gewisse Bedeutung kommt ihr in den fünfziger Jahren bei einigen wenigen NATO-Staaten zu, darunter besonders England und Frankreich als den westeuropäischen Führungsmächten des Kalten Krieges. Inzwischen kommen aber auch die Rüstungshaushalte dieser Staaten praktisch ohne Bezug auf die Rüstungsstände des War-schauer Pakts und auf deren Fluktuationen zustande. Vom Sonderfall Großbritanniens abgesehen ist nunmehr die Steigerung der in Europa in Ost und West für Rüstung verauslagten Ressourcen in einem bedenklich hohen und zunehmenden Ausmaß ein Ausdruck des Expansionsstrebens wohl etablierter Militär-apparate.

VI. Abschließende Bemerkungen

Nach den hier vorgelegten Untersuchungen ist es wohl angezeigt, einige mehr oder weniger vertraute Vorstellungen über die Faktoren hinter der Rüstungsdynamik in Europa kritisch zu " überprüfen und zu revidieren. Zum ersten sind es nicht die Staaten des War-schauer Pakts, für die sich — wenigstens für die fünfziger Jahre — reaktives Rüstungsverhalten feststellen läßt, sondern NATO-Staaten. Zum zweiten ist insgesamt die Rolle von Aktions-Reaktions-Prozessen verschwindend im Vergleich zu der des von den Rüstungsmaschinerien auf beiden Seiten entwikkelten Trägheitsmoments. Die Rede von einem „Rüstungswettlauf" in Europa geht also etwas an der Realität vorbei, wenn man dabei an eine enge Wechselwirkung zwischen den Rüstungsanstrengungen der beiden verfeindeten Militärblöcke denkt.

Bedeutet dies nun eine Bestätigung der Hypothese vom inzwischen etablierten, beiderseitig autistischen Rüstungsverhalten? Ich denke, mit dieser Interpretation der registrierten administrativen Beharrlichkeit sollte man derzeit noch vorsichtig sein. Es gilt vielmehr, nun im Detail zu erforschen, warum fast alle Staaten in Europa die kontinuierliche Expansion ihrer Rüstungsaufwendungen für ebenso angezeigt halten und ebenso beharrlich betreiben wie den Ausbau des Straßennetzes, der Telefonverbindungen und anderer öffentlicher Dienstleistungen. Eine Reihe von Erklärungen sttüimi zui veifügung: Militär und Rüstungsbürokratie könnten sich in der Tat in der Allianz mit der Rüstungsindustrie und den „Falken" in Regierung, Parlament und Gesellschaft von dem Ausmaß der äußeren Bedrohung abgekoppelt und als mächtiges und unkontrollierbares Interessen-konglomerat verselbständigt haben. Die fortwährende Aufrüstung könnte aber auch — zumindest teilweise und in einigen Staaten — auf ein echtes Gefühl militärischer Bedrohung durch die Staaten der anderen Allianz zurückgehen. In diesem Fall hätten sich die Rüstungsmaschinerien in Europa keineswegs verselbständigt oder wären gar unkontrollierbar geworden. Vielmehr wäre die komplexe und für notwendig gehaltene Aufgabe, äußere Sicherheit zu produzieren, einer komplexen Organisation übertragen worden, deren Verhalten sich von dem anderer komplexer Organisationen nicht abhebt. Insofern besteht also kein völliger Widerspruch zwischen dem beobachteten Rüstungsverhalten und der Reaktions-Hypothese in einer entsprechenden Abwandlung, die nicht mehr den genauen Rüstungsstand, sondern die Tatsache der Aufrüstung selbst als Reaktion begreift.

In diesem letzteren und günstigeren Fall allerdings wäre kritisch zu fragen, wie diese Wahrnehmung einer militärischen Bedrohung zustande kommt und wie realistisch sie ist. Lohnende Untersuchungsobjekte für weitere sozialwissenschaftliche Forschung wären also die Prozesse, die zur Wahrnehmung einer solchen Bedrohung durch die politischen Eliten der europäischen Staaten führen, sowie die verzerrenden Einflüsse und Interessen, denen sie unterliegen. Bevor jedoch das Verdikt des „Autismus" endgültig gefällt wird, sollte überdies die Realitätsnähe der Lagebeurteilung durch die politischen Eliten in Europa erforscht werden. Wie aggressiv sind eigentlich die Intentionen der sich in Europa gegenüberstehenden Blöcke und der ihnen angehörenden Staaten? Auf diese simple und doch so schwer zu beantwortende Frage lassen sich die Kontroversen sowohl um den „Rüstungsautismus" als auch um die Notwendigkeit fortgesetzter Aufrüstung reduzieren.

Das durch die beständige Aufrüstung in Europa aufgeworfene Kausalitätsproblem ist durch Arbeiten wie die vorliegende nur unvollkommen lösbar. Es können höchstens bestimmte Erklärungsansätze für das alltägliche Rüstungsverhalten als mehr oder weniger brauchbar erwiesen und damit einige Ansatzpunkte für politische Aktion aufgezeigt werden. Am vordringlichsten erscheinen dabei das Zustandekommen von Rüstungsbudgets " Uiiu" Liic—mrrserwepurg-e--—---------------_______ hung.

Die Formulierung der nationalen Prioritäten im Verteidigungsbereich vollzieht sich heute in den meisten europäischen Staaten hinter einem Schleier der Geheimhaltung und der parlamentarischen Einmütigkeit und vor dem Hintergrund öffentlichen Desinteresses. Das Resultat pflegt in der Regel Jahr für Jahr dasselbe zu sein, nämlich eine weitere Steigerung der Rüstungsausgaben. Die dabei zugrunde gelegte Einschätzung der internationalen Lage und ihrer Gefahren kommt vollends unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit zustande. Sofern sie — wie zum Beispiel in den Weißbüchern der Bundesregierung — publiziert wird, werden Widersprüche wie der zwischen Entspannungspolitik und fortgesetzter Aufrüstung als Paradox der gegenseitigen Abschreckung als dem Fundament der Sicherheit hinweg rationalisiert. Dabei ist gerade diese Koexistenz von Entspannungspolitik und kontinuierlicher Rüstungsexpansion nicht das schlechteste Indiz für die tatsächliche Wirksamkeit des in dieser Studie konstatierten ausgeprägten Trägheitsmoments der Militärapparate in Ost und West— es sei denn, man stellte sich auf den Standpunkt, daß die vielbeschworene Entspannung an der realen Bedrohung bis heute nichts geändert habe.

Sollte man aber in einer realistischen Beurteilung der äußeren Bedrohung, die sich nicht nur an den Militärpotentialen, sondern auch den offenkundigen Interessen und Intentionen potentieller Gegner orientieren müßte, zu dem Ergebnis gelangen, daß die Fortsetzung der gegenwärtigen Rüstungspolitik nur aufgrund anachronistischer Feindbilder gerechtfertigt ist, wäre eine Angleichung des militärischen Aufwands an die geänderte Lagebeurteilung zu fordern. Das bedeutet nicht einseitige Abrüstung, wohl aber einseitige Zurückhaltung bei Ausbau und Modernisierung der Streitkräfte.

Schon diese bescheidene Zielsetzung aber bedingt, daß die Eigendynamik der Militärmaschinerien in Ost und West gebrochen werden müßte. Da diese Forderung derzeit bei den Staaten des Warschauer Pakts wie auch bei einigen NATO-Partnern reine Utopie ist, brauchen Ansatzpunkte für diesen politischen Eingriff zur Rüstungskontrolle von innen heraus nur für funktionierende parlamentarische Demokratien aufgeführt zu werden. Aus Platzgründen kann auch das nur skizzenartig erfolgen.

Regierungen und Parlamente scheinen in den meisten europäischen NATO-Staaten als Träger einer derartigen Umorientierung der Rü-B stungspomIK—zunacnst auszuscheiden, weil sie es sind, welche die traditionelle Lagebeurteilung formulieren oder zumindest akzeptieren und die darauf gestützte Verteidigungskonzeption realisieren, unterstützen oder doch tolerieren. Die engagierte Öffentlichkeit verliert seit geraumer Zeit an Einflußmöglichkeiten durch das angesichts von Inflation und Massenarbeitslosigkeit ständig abnehmende allgemeine Interesse an Fragen der Außen-und Sicherheitspolitik. Dieser Trend kann jedoch umgekehrt werden und dadurch Rückwirkungen auf Parteien, Parlamente und Regierungen haben. Eine derartige Trendwende ist sogar recht wahrscheinlich.

Wenn die gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der gesamten westlichen Welt nicht sehr kurzfristiger Natur sind — und vieles spricht dagegen —, dann ist der Zeitpunkt absehbar, zu dem massive Kollisionen zwischen den großmaßstäbigen Beschaffungs-und Modernisierungsprogrammen der NATO und den Interessen ziviler gesellschaftlicher Gruppierungen in allen NATO-Staaten unausweichlich sind In dieser Si-tuation dürfte die Vorstellung an Boden gewinnen, ziviles wirtschaftliches Wachstum und soziale Leistungen durch Zurückhaltung im militärischen Bereich zu sichern oder zurückzuerlangen. Wie das Beispiel Englands zeigt, können derartige Vorstellungen durchaus Eingang in die parteipolitische und parlamentarische Auseinandersetzung finden und eine Regierung in wirtschaftlicher Bedrängnis dazu veranlassen, ihr militärisches Establishment in die Schranken zu verweisen. Die Kürzungen der Militärhaushalte in Belgien und Holland in den letzten beiden Jahren scheinen eine ähnliche Sprache zu sprechen. In der stets unmittelbarer werdenden Verbindung zwischen individueller sowie öffentlicher Wohlfahrt einerseits und dem Rüstungsaufwand eines Staates andererseits liegt derzeit die große Chance von Ansätzen zur Rüstungskontrolle von innen heraus. Es bleibt abzuwarten, ob und wo sie genutzt werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Rattinger, Rüstung in Europa: Aufrüstung, Wettrüsten und andere Erklärungen, in: reichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 4 (1975), S. 231— 250.

  2. Die Theorie der kollektiven Güter impliziert für die Rüstungsbudgets in einem Bündnis wie der NATO, daß es sich die europäischen Partner mit jeder Steigerung der Glaubwürdigkeit des amerikanischen atomaren Abschreckungsschirms leisten können, sich mit ihrem eigenen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung zurückzuhalten. Vgl. dazu allgemein M. Olson, The Logic of Collective Action, Cambridge, Mass. 1965. Zur Anwendung auf Militärbündnisse vgl. M. Olson, An Economic Theory of Alliances, in: F. A. Beer (Hrsg.), Alliances: Latent War Communities in the Contemporary World, New York 1970, S. 120— 140, sowie als ausführliche empirische Studie: J. M. van Ypersele de Strihou, Sharing the Defense Burden Among Western Allies, in: Yale Economic Essays 8 (1968), S. 258— 320.

  3. Die „klassischen" Studien zu Rüstungswettläufen sind: L. F. Richardson, Arms and Insecurity, London 1960; M. C. McGuire, Secrecy and t . _ Arms Race: A Theory of the Accumulation of Strtegic Weapons and How Secrecy Affects It, Cambridge, Mass. 1965. Der Stand der theoretischen und empirischen Forschung zu Rüstungswettläufen ist aufgearbeitet in: K. -J. Gantzel, Rüstungswettläufe und politische Entscheidungsbedingungen: Ein Forschungsansatz und einige Hypothesen, in: E. -O. Czempiel (Hrsg.), Die anachronistische Souveränität (PVS Sonderheft 1), Opladen 1969, S. 110— 137; H. Rattinger, Rüstungsdynamik im internationalen System, München 1975.

  4. Die traditionelle, an Richardson orientierte Forschung muß sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, die grundlegende Annahme der Außensteuerung der Rüstung allzu unkritisch übernommen zu haben. Dieter Senghaas und Klaus-Jürgen Gantzel kommt das Verdienst zu, entschieden die theoretische Gegenposition bezogen zu haben. Vgl. D. Senghaas, Abschreckung und Frieden, Frankfurt 1969; ferner ders., Zur Analyse von Drohpolitik in den internationalen Beziehungen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte B, 26/70, S. 22— 55; Rüstung und Militarismus, Frankfurt 1972; K. -J. Gantzel, Armament Dynamics in the East-West Conflict: An Arms Race?, in: Papers, Peace Science Society 20 (1973), S. 1— 24. Leider hat die empirische Forschung mit ihren theoretischen Arbeiten nicht ganz Schritt gehalten.

  5. Vgl. Gantzel, Armament Dynamics in the East-West Conflict. S. 4— 8.

  6. Vgl. C. Lindblom, The Science of Muddling Through, in: Public Administration Review 19 (1959), S. 79— 88.

  7. Bei den 56 von Davis untersuchten Verwaltungen handelt es sich durchweg um zivile Bürokratien; vgl. 0. A. Davis, A Theory of the Budgetary Process, in: American Political Science Review 60 (1966), S. 529— 547, auch A. Wildavsky, The Politics of the Budgetary Process, Boston 1964.

  8. Vgl. dazu J. P. Crecine, Defense Budgeting: Constraints and Organizational Adaptation, University of Michigan, Institute of Public Policy Studies Discussion Paper No. 6, Ann Arbor, Mich., 1969, und: On Resource Allocation Processes in the U. S. Department of Defense, University of Michigan, Institute of Public Policy Studies Discussion Paper No. 31, Ann Arbor, Mich., 1971. Leider muß auch zur Stützung dieses Arguments wieder ausschließlich auf Literatur zur Praxis im amerikanischen Department of Defense zurückgegriffen werden. Es ist eine bedauerliche Tatsache, daß vergleichbare Studien zum Zustandekommen von Rüstungsetats für die meisten westeuropäischen Staaten nicht existieren, vom Warschauer Pakt ganz zu schweigen. Dieser Mangel wird überdeutlich in der vergleichenden Studie von R. Burt, Defence Budgeting: The British and American Cases, International Institute for Strategie Studies, Adelphi Paper No. 112, London 1975. Der Fülle von Quellen zum amerkanischen Rüstungsbudget steht auf der Seite Großbritanniens nur gegenüber die Arbeit von D. Greenwood, Budgeting for Defence, London 1972.

  9. Vgl. R. W. Campbell, The Soviet-Type Economies: Performance and Evolution, 3. Aufl., Boston 1974, Kapitel 3.

  10. Vgl. Crecine, Defense Budgeting, S. 6— 9.

  11. Vgl. die Literaturangaben in Anm. 3.

  12. Zu einer ausführlichen und auf zeitgeschichtliche Dokumente gestützten Replik auf die Senghaassche Autismus-Hypothese vgl. J. Joffe, Abschreckung und Abschreckungspolitik, in: Jahrbuch für Friedens-und Konfliktforschung 1 (1971), S. 133— 157; K. -P. Stratmann, Vom Autismus kritischer Friedensforschung: Zur Kritik der Kritik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B, 40/73, S. 3— 23; G. Wettig, MBFR: Motor der Aufrüstung oder Instrument der

  13. Richardson, a. a. O., Kapitel 2. Die wichtigsten empirischen Studien in dieser Tradition zum Ost-West-Konflikt nach dem Zweiten Weltkrieg sind: P. Smoker, A Mathematical Study of the Present Arms Race, in: General Systems 8 (1963), S. 51— 59, J. C. Lambelet, Towards a Dynamic Two-Theater Model of the East-West Arms Race, in: Journal of Peace Science 1 (1973), S. 1— 38.

  14. Ein vergleichsweise leicht lesbarer Überblick über einige der grundlegenden Modelle findet sich in dem Anhang von P. A. Busch, Mathematical Models of Arms Races, in: B. M. Russet, What Price Vigilance? The Burdens of National Defense, New Haven 1970, S. 193— 233. Zur neueren Literatur und zu einer Einführung in die empirische Literatur vgl. Rattinger, Rüstungsdynamik, 1. Teil.

  15. Z. B. M. D. Intriligator, Some Simple Models of Arms Races, in: General Systems 9 (1964), S. 143 bis 147. Eine wichtige Rolle als offen deklarierte Politik spielten derartige „Verhältnisziele“ im Marinewettrüsten zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg. Vgl. dazu V. Berghahn, Zu den Zielen des deutschen Flottenbaus unter Wilhelm II., in: Historische Zeitschrift 210 (1970), S. 34— 100; K. D. Moll, The Influence of History upon Seapower, Menlo Park, Cal., 1968.

  16. Vgl. Crecine, Defense Budgeting, S. 5— 8.

  17. Man beachte die Analogie zwischen den Konzeptionen einer „normalen" Bedrohung und eines Gleichgewichtwachstums der Rüstungsausgaben in einem Rüstungswettlauf. Die letztere ist ausführ-

  18. Vgl. z. B. Gantzel, Armament Dynamics in the East-West Conflict.

  19. In der methodologischen Fachsprache spricht man hierbei von einem „Validitätsproblem“. Zur Problematik der Rüstungsmessung vgl. P. Joen-niemi, Aspects on the Measurement of Armament Levels, in: Cooperation and Conflict 5 (1970), S. 1241— 151, sowie Rattinger, Rüstungsdynamik,

  20. Stockholm International Peace Research Institute, World Armaments and Disarmament: SIPRI Yearbook, Stockholm, jährlich seit 1969. Island unterhält keine Streitkräfte und bleibt deshalb unberücksichtigt.

  21. Die den folgenden Abschnitten zugrunde liegende Auswertung der Daten wurde im Harvard Computing Center in Cambridge, Massachusetts, durchgeführt. An dieser Stelle möchte ich .dem Center for European Studies der Harvard University für die großzügige Finanzierung von Rechenzeit danken.

  22. Korrelationskoeffizienten sind ein Maß für die Stärke des Zusammenhanges zwischen zwei Größen oder Eigenschaften („Variablen"). Ein Korrelationskoeffizient von Null besagt, daß zwischen zwei Variablen keinerlei Zusammenhang besteht. Ein Korrelationskoeffizient von + 1 (— 1) steht für den stärksten möglichen positiven (negativen) und linearen Zusammenhang zwischen zwei Variablen. Vgl. J. Kriz, Statistik in den Sozialwissenschaften, Reinbek 1973, S. 216— 219.

  23. Vgl. Burt, a. a. O„ S. 4— 8.

  24. Senghaas, Rüstung und Militarismus, S. 59.

  25. Vom einem statistisch signifikanten Ergebnis wird gesprochen, wenn die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Ergebnis durch puren Zufall zustande-gekommen ist, unter einem bestimmten, vorher festgelegten Schwellenwert liegt. Vgl. Kriz, » a. 0., S. 108— 110.

  26. Z. B. Senghaas, Rüstung und Militarismus; Gantzel, Armament Dynamics in the East-West Conflict.

  27. Gantzel, a. a. O., S. 12— 21.

  28. Vgl. R. Facer, The Alliance and Europe, Part III: Weapons Procurement in Europe —

Weitere Inhalte

Hans Rattinger, Dr. phil., geb. 1950 in Karlsruhe, Studium der Politischen Wissenschaft, Geschichte und Anglistik; seit 1973 Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Freiburg, 1974/75 John F. Kennedy-Memorial-Fellow der Harvard University, Cambridge, Mass. Veröffentlichungen: Eine einfache Methode und ein FORTRAN-Programm zur Ermittlung von Cliquen, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie 4 (1973); Themen und Trends in Firmengeschichte und Untemehmerbiographie, in: Tradition 18 (1974); Gleichgewicht und Stabilität von Rüstungswettläufen, in: PVS 15 (1974); Rüstung in Europa: Aufrüstung, Wettrüsten und ändere Erklärungen, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 4 (1975); Rüstungsdynamik im internationalen System, München 1975; Armaments, Detente, and Bureaucracy, in: Journal of Conflict Resolution 19 (1975).