Unternehmenskonzentration und Wettbewerbspolitik in der Bundesrepublik
Rüdiger Robert
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Zusammenfassung
Das Thema „Unternehmenskonzentration und Wettbewerbspolitik" hat in der Bundesrepublik immer wieder Anlaß zu heftigen politischen, aber auch wissenschaftlichen Kontroversen gegeben. Der Aufsatz geht von dem Versuch einer Klärung des Begriffs der Unternehmenskonzentration aus, befaßt sich mit Problemen der Messung der Konzentration und gibt anhand ausgewählter Statistiken einen Überblick über Stand und Trend der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik. Untersucht werden sodann unter Einbeziehung unterschiedlicher politischer und theoretischer Positionen Ursachen und Wirkungen der Vermachtung der Wirtschaft. Ferner werden Möglichkeiten zur Lösung der aus der Unternehmenskonzentration resultierenden Probleme erörtert. Ein weiterer Schwerpunkt des Aufsatzes liegt in dem Versuch einer Fallstudie über das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Dieses Gesetz stellt den bislang wohl wichtigsten Beitrag zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht in der Bundesrepublik dar. Mit der Geschichte seiner Entstehung und mehrfachen Novellierung enthüllt es zugleich die Schwierigkeiten, die allen Bemühungen entgegenstehen, in der Praxis mit der Konzentrationsproblematik fertig zu werden. Die Analyse ergibt, daß das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung vom Juli 1957 völlig unzureichend war. Als Ursachen werden sowohl ökonomische als auch außerökonomische Faktoren angeführt, die auf die Entstehung der Vorschriften über Kartelle, Oligopole und Monopole eingewirkt haben. Ob das in seiner novellierten Fassung wesentlich realistischer konzipierte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen künftig einen wirkungsvolleren Beitrag zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht — speziell der Marktmacht — wird leisten können, bleibt abzuwarten. Immerhin sind mit den Änderungen des Gesetzes einige wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen worden.
Vorbemerkung
Die Unternehmenskonzentration und damit verbunden die Wettbewerbspolitik haben seit dem Bestehen der Bundesrepublik immer wieder Anlaß zu heftigen politischen Kontroversen gegeben. Wiederholt ist in Regierungserklärungen auf die Notwendigkeit und Absicht hingewiesen worden, die Problematik der Unternehmenskonzentration in den Griff zu bekommen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) als ein konzentrationspolitisch bedeutsames Gesetz ist denn auch in den vergangenen zehn Jahren gleich zweimal novelliert worden. Das verdient nicht zuletzt deshalb Beachtung, weil es von den Befürwortern der sozialen Marktwirtschaft ursprünglich als , Magna Charta der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung'bezeichnet worden ist.
Dennoch ist es bis heute nicht gelungen, die Konzentrationsproblematik in zufriedenstellender Weise zu lösen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, daß sich an der Beurteilung der Unternehmenskonzentration — im wie übrigen ja auch an der Beurteilung der Vermögens-konzentration — die Geister scheiden. Während jedoch in der Diskussion über die Vermögensverteilung -zumeist noch Einigkeit darüber besteht, daß das erreichte Maß an Konzentration überhöht ist läßt sich dies in bezug auf die Einschätzung des gegenwärtigen Ausmaßes der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik nicht sagen. Es gibt durchaus Stimmen, die eine weitere Zunahme der Konzentration in der Wirtschaft für erforderlich halten. Daneben freilich gibt es mehr und mehr Kritiker, die in Stand und Trend der Unternehmenskonzentration eine Gefahr sehen. Worin diese zu suchen ist und wie groß sie ist, darüber sind sich diejenigen, die gegen eine Verharmlosung oder gar Verherrlichung jeglicher Art von Konzentrationsvorgängen zu Felde ziehen, allerdings nicht einig. Ihr Urteil über die Unternehmenskonzentration reicht Infolgedessen von einem vorsichtigen . Bedenklich'bis hin zur Rede von kapitalistischen Auswüchsen, die es mitsamt dem Kapitalismus zu beseitigen gelte.
Im folgenden wird versucht, einen Überblick über Stand und Trend der Unternehmenskon-zentration sowie über die wichtigsten mit ihr verbundenen Probleme zu geben. Darüber hinaus werden die Schwierigkeiten analysiert, die aus dem Versuch resultieren, die Konzentrationsproblematik mit Hilfe der Wettbewerbs-politik — speziell mit Hilfe des GWB — einer Lösung zuzuführen.
INHALT Vorbemerkung I. Stand und Trend der Unternehmenskonzentration 1. Begriff und Messung der Unternehmenskonzentration 2. Statistische Materialien zur Unternehmenskonzentration II. Ursachen der Unternehmenskonzentration III. Wirkungen der Unternehmenskonzentration 1. Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft 2. Wirkungen auf die Konsumenten 3. Wirkungen auf die Produzenten 4. Wirkungen auf die Arbeitnehmer 5. Wirkungen auf Staat und Politik IV. Wege und Mittel zur Lösung der Konzentrationsproblematik V. Das Beispiel des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 1. Das GWB in der Fassung vom 27. 7.
1957 2. Hintergründe zur Entstehung des GWB 3. Die zweifache Novellierung des GWB 4. Fazit zur Wettbewerbspolitik
I. Stand und Trend der Unternehmenskonzentration
Abbildung 3
Tabelle 2: Industrielle Umsätze größten Unternehmenseinheiten gesamten Industrieumsatzes nach verschiedenen Abgrenzungskriterien der jeweils 50 in vH des 1954 und 1960 Umsatz in vH des Gesamtumsatzes 1954 1960
Tabelle 2: Industrielle Umsätze größten Unternehmenseinheiten gesamten Industrieumsatzes nach verschiedenen Abgrenzungskriterien der jeweils 50 in vH des 1954 und 1960 Umsatz in vH des Gesamtumsatzes 1954 1960
1. Begriff und Messung der Unternehmenskonzentration
Gewissermaßen im Vorfeld der Auseinandersetzungen über die Konzentration in der Wirtschaft stehen die Meinungsverschiedenheiten darüber, was unter Untemehmenskonzentra-
tion zu verstehen ist. Je enger der Begriff gefaßt wird, desto geringere Bedeutung kommt den darunter zu subsumierenden Vermach-
tungserscheinungen zu. Umgekehrt gilt: Je weiter der Begriff gefaßt wird, desto eher stellt sich die Unternehmenskonzentration als eine Gefährdung der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung dar. Daraus folgt, daß es sich bei der Klärung des Begriffs , Un-
ternehmenskonzentration’ nicht nur um ein definitorisches, sondern auch um ein eminent politisches Problem handelt, nämlich die Vorwegbestimmung des Grades an Interesse, das der Unternehmenskonzentration entgegengebracht werden muß.
Aufgekommen ist der ökonomische Begriff der Konzentration im vorigen Jahrhundert. „Unter ihm ist ursprünglich nur die Konzentration der Produktion auf größere und kapitalintensivere Unternehmen bei gleichzeitiger Ausschaltung kleinerer — insbesondere handwerklicher — Betriebe verstanden worden, die mit einer entsprechenden Kapitalakkumulation verbunden ist." Diese Begriffsbestimmung ist im Verlauf der weiteren Entwicklung ausgedehnt, auf andere Erscheinungen übertragen und verschieden weit gefaßt worden.
Marx hat in seiner Analyse des . Kapitals'unterschieden zwischen:
— der Konzentration, die nur ein anderer Ausdruck für die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter ist, und — der Zentralisation, die im Gegensatz zur Konzentration kein positives Größenwachstum des gesellschaftlichen Kapitals voraussetzt, sondern lediglich eine veränderte Verteilung bereits vorhandener Kapitale beinhaltet Der Marx'schen Auffassung vom Wesen der Konzentration ist heftig widersprochen worden. Richtig an ihr ist aber zweifellos die Er-kenntnis, daß es zwei grundverschiedene Wege des Wachstums von Unternehmen gibt, die zur Unternehmenskonzentration führen können.
Dem sucht auch Hans-Otto Lenel, Nationalökonom und Anhänger der ordoliberalen Schule, Rechnung zu tragen. Zum einen, so betont er, kann ein Unternehmen seine Betriebe vergrößern oder neue Betriebe errichten. Es beschreitet dann den Weg des inneren oder internen Wachstums; die Errichtung neuer Sachanlagen ist sein Kennzeichen. Zum anderen kann es sich mit bereits bestehenden Unternehmen durch Angliederung oder Verschmelzung zusammenschließen und sich damit für den Weg des externen Wachstums entscheiden
Aus diesem Schema fällt die Kartellierung als wesentliche Form der Konzentrierung heraus. Ebenfalls nicht erfaßt wird die Unternehmenskonzentration in Form von Abhängigkeiten. Sie beruht in vielen Fällen auf Größenunterschieden. Arndt unterscheidet im einzelnen zwischen Absatz-, Bezugs-, Qualitäts-, Transport-, Kredit-, Stimmrechtsund kriminellen Abhängigkeiten Da nun aber die eine Form der Unternehmenskonzentration häufig nicht ohne die andere in ihrem ökonomischen und politischen Stellenwert voll verstanden werden kann, erweist es sich zunehmend als erforderlich, bei der Klärung des Konzentrationsbegriffs nicht auf einzelne Phänomene, sondern auf die Erscheinung im allgemeinen abzustellen. Die Unternehmenskonzentration ist demnach als jede Form des positiven Größenwachstums, der Zusammenfassung und des Zusammenschlusses von Unternehmen zu definieren, deren Folge eine Ballung von Verfügungsgewalt über den Wirtschaftsapparat ist. Diese Definition hat zwei Vorteile. Erstens macht sie deutlich, daß sich die Unternehmenskonzentration in der Kartellierung der Wirtschaft oder der Herausbildung von Großunternehmen erschöpft. Zweitens stellt sie klar, daß die Unternehmenskonzentration stets auch eine Machtkonzentration bewirkt. Ihr Nachteil liegt in der mangelnden Operationali-sierbarkeit, mit anderen Worten in der Schwie-rigkeit, die sie für eine empirisch exakte Messung von Stand und Trend der Unternehmens-konzentration in der Bundesrepublik mit sich bringt.
Gleichwohl ist in der Vergangenheit versucht worden, Maßstäbe für die empirische Erfassung der wirtschaftlichen Konzentration zu finden. Das hat sich in der Entwicklung verschiedener Verfahren zur Messung sowohl der relativen als auch der absoluten Konzentration niedergeschlagen. Es ist hier nicht der Ort, diese Verfahren im einzelnen zu erörtern. Hervorgehoben zu werden verdient aber, daß keines von ihnen für sich allein genommen ausreicht, um Stand und Trend der Unternehmenskonzentration mit der wünschenswerten Genauigkeit zu messen, ja daß dies nicht einmal mit Hilfe der Gesamtheit dieser Verfahren möglich ist, da 1. unterschiedliche Konzentrationsindices — wie die Zahl der Einheiten, Durchschnittsgrößen, die relative Größe der größten Einheiten und Disparitätsmaße — bei gleichen wirtschaftlichen Vorgängen gegenläufig reagieren können und 2. sich die mit der Unternehmenskonzentration einhergehende Konzentration von Verfügungsmacht einer Quantifizierung weitgehend entzieht
Ein weiteres Problem, exakte Aussagen über Stand und Trend der Unternehmenskonzentration zu machen, ergibt sich aus dem Mangel an relevantem Zahlenmaterial. Die Schwierigkeiten, der und Nutzung desselben Beschaffung im Wege stehen, haben sich besonders deutlich im Verlauf der von 1961 bis 1963 vom Bundesamt für Gewerbliche Wirtschaft durchgeführten Untersuchung über die Konzentration in der Wirtschaft gezeigt Inzwischen ist auf diesem Gebiet indes eine Verbesserung der Situation eingetreten. Seit 1971 sind infolge des alle Unternehmen Publizitätsgesetzes und Unternehmensgruppen mit einem Jahresumsatz von mehr als 250 Mio DM gehalten, ihren zu veröffentlichen, sofern sie mehr als 5 000 Menschen beschäftigen oder ihre Bilanzsumme 125 Mio DM übersteigt überdies hat das Bundeskartellamt seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sein Augenmerk verstärkt auf die Fusionierung und Konzernierung der Wirtschaft gerichtet und legt dazu in seinen Tätigkeitsberichten in zunehmendem Umfang Zahlenmaterial vor
2. Statistische Materialien zur Unternehmens-konzentration
Die folgenden Statistiken können dennoch nicht mehr als einen ersten — freilich aufschlußreichen — Einblick in das Ausmaß und den Trend der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik geben. Tabelle 1 veranschaulicht, daß die Gesamtzahl der industriellen Produktionsstätten, also der örtlichen Einheiten (nicht hingegen der Unternehmen) 1959 90 902 betrug und sich bis zum Jahre 1972 auf 97 194 erhöhte. Von der absoluten Zahl der Betriebe her gesehen gab es mithin weder Ende der Fünfziger noch Anfang der siebziger Jahre eine wirtschaftliche Konzentration in der Bundesrepublik. Ein Konzentrationsprozeß scheint in dem betrachteten Zeitraum nicht stattgefunden zu haben.
Da jedoch die Gesamtzahl der rechtlich selbständigen und insbesondere der kapitalmäßig unabhängigen Unternehmen nicht mit der Anzahl der Betriebe identisch ist, darf dieser Aussage keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Zudem eine -erhellt Untergliede rung der Gesamtzahl der Betriebe nach Beschäftigtengrößenklassen und eine entsprechende Zuordnung von Betrieben und Beschäftigten, daß für die Jahre 1959 und 1972 im Bereich der industriellen Produktionsstätten durchaus von einem erheblichen Grad an Konzentration gesprochen werden kann. So beschäftigten in beiden Erhebungsjähren jene 7, 5 vH bzw. 8 vH aller Betriebe, die 200 und mehr Arbeitnehmer zählten, etwa 70 vH aller in der Industrie Tätigen. Die Anzahl der Betriebe mit 1 000 und mehr Beschäftigten, in denen in beiden Jahren jeweils zwischen 38 und 39 vH der in der Industrie Tätigen beschäftigt waren, betrug an der Gesamtzahl gemessen jeweils nur rund 1, 2 vH. Die kleinen Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten stellten demgegenüber mit rund 44 bzw. 42 vH zwar den größten Anteil an der Gesamtzahl aller Industriebetriebe, mit rund 2 vH aber nur einen verschwindend geringen Anteil aller in der Industrie Beschäftigten.
Genauere Angaben über Stand und Trend der Konzentration in der Wirtschaft lassen sich machen, wenn man über einen längeren Zeitraum die Entwicklung des Anteils der 10, 50, 100 und 1 000 größten Industrieunternehmen am gesamtindustriellen Umsatz der Bundesrepublik beobachtet. Die dazu notwendige Untersuchung der . overall concentration'vermittelt zwar kein Bild über die wirtschaftliche Konzentration im Rahmen der westlichen Welt oder auch nur der EWG — beides wäre für die Beurteilung der Konzentrationsverhältnisse in der Bundesrepublik ebenfalls von Bedeutung —, sie gibt aber dennoch recht gut Auskunft über die derzeit hierzulande bestehende Un-gleichverteilung der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel.
Ein Vergleich der 1 000 umsatzstärksten Unternehmen von 1954 mit denen von 1960 zeigt, daß diese Unternehmen ihren Anteil am Gesamtumsatz der Industrie in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre von 52, 6 vH auf 55, 6 vH erhöhen konnten Diese Angaben betreffen jedoch nur rechtlich selbständige Unterneh-men, nicht hingegen Unternehmensverbindungen aufgrund kapitalmäßiger Zusammenballungen. Letztere sind aber von besonderem Interesse, weil das Ausmaß der Unternehmens-konzentration weniger durch rechtliche als durch kapitalmäßige Unternehmenseinheiten bedingt wird.
Aus Tabelle 3 läßt sich für die vergangenen 20 Jahre die Zunahme der , overall concentration'in bezug auf die 50 und 100 größten Industrieunternehmen der Bundesrepublik ablesen. Allerdings sind folgende Erläuterungen angebracht: —Erstens enthalten die Umsatzangaben bis 1967 die volle Höhe der Bruttoumsatzsteuer. Die seit dem 1. 1. 1968 gültige Mehrwertsteuer hat den Begriff . Umsatz’ verändert. Die Umsätze werden seitdem netto — d. h. ohne den Betrag der Mehrwertsteuer — ausgewiesen — Zweitens umfaßt der Umsatz der Unternehmenseinheiten von 1954 lediglich Beteiligungen von mehr als 50 vH. Die Zahlenangaben für die Jahre 1959 bis 1966 beruhen demgegenüber auf einem weiter gefaßten Konsolidierungskreis, während ab 1967 wiederum eine Reihe von Unternehmen nur mit ihren mehr als fünfzigprozentigen Beteiligungen erfaßt werden konnte
— Drittens dürfen Angaben über Umsatzsteigerungen nicht automatisch mit einer entsprechend gestiegenen Wertschöpfung gleichgesetzt werden. Ein beachtlicher Teil des Umsatzzuwachses der größten deutschen Industrieunternehmen erklärt sich aus dem Kaufkraftschwund der vergangenen Jahre. Im Zusammenhang mit der weltweiten Rohstoffverteuerung hat die Inflation überdies zu unterschiedlichen Preis-und damit auch zu unterschiedlichen Umsatzentwicklungen in den einzelnen Branchen geführt
— Viertens gehen Unternehmen, die über Töchter mit Produktionsstätten im Ausland verfügen, immer mehr dazu über, ihren Welt-umsatz zu nennen. Das läßt das Gesamtbild der 50 bzw. 100 größten Industrieunternehmen zusehends kopflastiger erscheinen, da es vor allem die größten der großen Unternehmen sind, die verstärkt in die Multinationalität hineinwachsen
— Fünftens beruhen die Umsatzangaben mancher Unternehmen nicht nur auf industrieller Produktion, sondern umfassen auch bedeutende Handelsumsätze — Sechstens war bis Anfang der siebziger Jahre der Umsatz einer Reihe großer Unternehmensgruppen wie Quandt, Oetker, Henkel usw. unbekannt. Insofern ist Tabelle 3 unvollständig.
Dennoch lassen sich mit ihrer Hilfe einige beachtenswerte Aussagen über Stand und Trend der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik machen. Rund ein Drittel der industriellen Produktion wurde 1954 von den 100 größten Unternehmen erstellt. Obwohl sich der Gesamtumsatz der Industrie von 1954 bis 1960 fast verdoppelte, erreichten 1960 bereits die 50 größten Industrieunternehmen denselben Produktionsanteil wie sechs Jahre zuvor die 100 umsatzstärksten. 1968 überschritt der Produktionsanteil der 100 größten Unternehmen die Fünfzigprozentgrenze. Im selben Jahr erzielten die 50 (10) größten Unternehmen einen Anteil von 42, 7 vH (18, 2 vH) des gesamten industriellen Umsatzes. 1973 näherten sich die 50 größten Unternehmen mit einem Anteil von 49 vH erstmals der Fünfzigprozentgrenze. Sie tätigten in diesem Jahr einen Umsatz von 327 Mrd. DM. Das entsprach dem Gesamtumsatz der Industrie des Jahres 1963. Beachtlich ausbauen und festigen konnten ihre Position auch die 10 größten bundesdeutschen Industrieunternehmen. Sie vereinen seit 1970 einen Produktionsanteil von mehr als 20 vH auf sich und beschäftigten im Jahre 1973 mehr als 18 vH aller industriellen Arbeitnehmer. Ihr Umsatz erreichte 1973 mit 138, 5 Mrd. DM nahezu den Gesamtumsatz der Industrie des Jahres 1954.
Kaum weniger eindrucksvoll als die Konzentration in der Gesamtindustrie entwickelte sich in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten die Branchenkonzentration. Nur in neun von dreißig untersuchten Industriezweigen zeigten die sogenannten concentration ratlos zwischen 1954 und 1960 fallende Tendenz. In 21 Branchen konnten die 10 umsatzgrößten Unternehmen ihren Anteil am Gesamtumsatz der Branche erhöhen. Etwa die Hälfte der im Konzentrationsbericht der Bundesregierung Branchen konnten die 10 umsatzgrößten Unternehmen ihren Anteil am Gesamtumsatz der Branche erhöhen. Etwa die Hälfte der im Konzentrationsbericht der Bundesregierung von 1964 untersuchten Industriegruppen konnte bereits Ende der fünfziger Jahre als in starkem Maße konzentriert bezeichnet werden. „In ihnen vereinigten die größten Zehn zwischen 37 vH und 92 vH des Umsatzes ihrer Gruppe auf sich. Die höchsten Anteile erzielten sie in den Industriegruppen . Mineralölverarbeitung und Kohlenwertstoffindustrie'und . tabakverarbeitende Industrie'mit 92 vH und 85 vH, die niedrigsten Anteile in den Industriegruppen . Bekleidungsindustrie', . holzverarbeitende Industrie'und . Textilindustrie'mit jeweils 7 vH.“ 19) Soweit entsprechende statistische Unterlagen für die sechziger Jahre vorhanden sind, bestätigen sie die Vermutung, daß sich der Konzentrationsprozeß in zahlreichen Branchen bis heute fortgesetzt hat. Das läßt sich Berechnungen entnehmen, die das Bundeskartellamt angestellt hat. Danach ist zwar nicht in allen Wirtschaftsbereichen eine eindeutige Konzentrationsbewegung festzustellen. Die Zunahmen überwiegen aber bei weitem die Abnahmen 20).
Ähnlich den Vorgängen in der Industrie (und in dem hier nicht untersuchten Handel) ist auch im Bankensektor ein weitgehender Konzentrationsprozeß zu erkennen. Ein wachsendes Geschäftsvolumen wird von immer weniger Kreditinstituten abgewickelt. Die Zahl der Geschäftsbanken ist von 13 359 im Jahre 1957 über 11 356 im Jahre 1966 auf 7 171 Ende 1972 gefallen 21). Das entspricht einer Verringerung der Anzahl der Kreditinstitute um 46, 9 vH. Im gleichen Zeitraum hat sich das Geschäftsvolumen des Bankensektors nahezu versechsfacht (+ 585 vH). Es lag Ende 1972 bei 1 060, 3 Mrd. DM
An diesem Trend zu immer weniger und größeren Unternehmen sind die verschiedenen Bankengruppen verschieden stark beteiligt gewesen, wie auch ihr Gewicht ganz unterschiedlich ist: 1972 erzielten die Sparkassen und Girozentralen mit 39, 4 vH den absolut höchsten Anteil am Geschäftsvolumen, obgleich ihr Anteil an der Gesamtzahl der Institute nur rund 11 vH betrug. Relativ am meisten Geschäftsvolumen konzentrierten die Kreditbanken auf sich. Sie stellten lediglich 4, 4 vH der Geschäftsbanken, vereinigten aber 26, 5 vH des Gesamtvolumens auf sich, darunter allein die 6 Großbanken — also Deutsche, Dresdner und Commerzbank mit ihren Westberliner Tochtergesellschaften — 10, 1 vH. Was die Zunahme der Konzentration anbelangt, so war sie am stärksten im Genossenschaftssektor. Während sich 1960 noch 11 642 Genossenschaftsbanken einen Anteil von 11, 2 vH am Geschäftsvolumen aller Kreditinstitute teilen mußten, waren es 1972 bei einem Anteil von 12, 2 vH nur noch 5 755 Kreditgenossenschaften
Bedeutung hat die Konzentration im Bankensektor über ihren unmittelbaren Bereich hinaus vor allem deshalb, weil die Wirtschaft zur Finanzierung und Abwicklung ihrer Geschäfte auf die Kreditinstitute angewiesen ist. Das hat wechselseitige Abhängigkeiten und Verflechtungen zur Folge. So erwarben beispielsweise die oben genannten Großbanken bis 1960 Beteiligungen an 135 Aktiengesellschaften, die übrigen 13 254 Banken hingegen nur an 251 Aktiengesellschaften. Von den insgesamt erworbenen Beteiligungen in Höhe von nominal 1, 02 Mrd. DM entfielen 676 Mio DM auf die Deutsche, Dresdner und Commerzbank mitsamt ihren Berliner Tochterniederlassungen, d. h. 0, 05 vH aller Kreditinstitute waren zugleich im Besitz von mehr als 65 vH aller Beteiligungen Ob dieser hohe Prozentsatz zwischenzeitlich gestiegen oder gefallen ist, läßt sich nicht ermitteln. Es steht jedoch außer Zweifel, daß sich die Beteiligungen von Ban-ken an Nichtbanken nach wie vor primär in der Hand der Großbanken befinden. Das jüng-ste spektakuläre Beispiel für eine Zunahme der kapitalmäßigen Verflechtung zwischen der Kreditwirtschaft und der Industrie ist die durch die Deutsche Bank von der Friedrich Flick KG erfolgte Übernahme einer zusätzlichen 29pro-zentigen Beteiligung an der Daimler Benz AG. Noch verstärkt werden die sich aus dem Aktienbesitz der Banken für die Industrie ergebenden Abhängigkeiten durch das Depot-stimmrecht. Es hat in der Vergangenheit wesentlich zur Konzentration von Verfügungsgewalt in der deutschen Wirtschaft beigetragen. Dem Konzentrationsbericht der Bundesregierung zufolge entfielen 1960 ca. 70 vH der 5, 5 Mrd. DM auf Hauptversammlungen vertretenen Depotstimmen auf die Großbanken. Diese waren unter Einbeziehung ihrer eigenen Beteiligungen sogar in der Lage, rund 4, 5 Mrd. DM Kapital zu vertreten. Das entspricht einem Anteil von rund 69 vH an der Gesamtheit des von Banken auf Hauptversammlungen vertretenen Kapitals. Neuere Zahlen zu diesem Problemkreis liegen leider nicht vor, so daß sich über den Trend der Konzentration in bezug auf die Depotstimmen wenig sagen läßt.
Wie sich die Konzentration indes in der gesamten bundesdeutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren entwickelt hat, läßt sich an folgenden Beispielen und Zahlen zumindest annähernd entnehmen. Allein in dem Zeitraum seit 1968 hat das Volkswagenwerk NSU (Umsatz 1968 1, 15 Mrd. DM übernommen, die BASF den Wintershall-Konzern (Umsatz 1968 1, 7 Mrd. DM Hoechst ist Mehrheitsaktionär bei Cassella geworden; Daimler-Benz hat Hanomag-Henschel erworben, AEG-Telefunken das Kabelwerk Rheydt und Thyssen die Hütte Oberhausen Besonders augenfällig ist der durch die Bildung der Ruhrkohle AG bedingte Konzentrationssprung im (Stein-kohlen-) Bergbau.
Neuerdings wandeln sich die Größenordnungen der an solchen Transaktionen beteiligten Firmen. Die Vermachtung der Wirtschaft führt mehr und mehr Konzerne zusammen, die nach Umsatz und Ausdehnung ein erhebliches Gewicht haben. Ein Vorläufer dieser Art von Zusammenschlüssen war 1970 die Transaktion BASF-Wintershall. Nunmehr haben gleich drei der größten Industrieunternehmen mit drei anderen, die ebenfalls zu den ganz großen zählen, fusioniert: Thyssen (Umsatz 1972 9, 8 Mrd. DM) mit Rheinstahl (Umsatz 1972 5, 3 Mrd. DM), Veba (Umsatz 1972 10, 3 Mrd. DM) mit Gelsenberg (Umsatz 1972 4, 3 Mrd. DM) und Mannesmann (Umsatz 1972 7, 2 Mrd. DM) mit der Demag (Umsatz 1972 1, 7 Mrd. DM) Das sind Vorgänge, deren Dimensionen über alle bisher gewohnten Vorstellungen hinausgehen.
Hinzu kommt, daß sich der Trend zur Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik beschleunigt hat. Das äußert sich in der steigenden Zahl der nach § 23 GWB a. F. und n. F. beim Bundeskartellamt angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse. 1967 und 1968 wurden je 65 Fusionen gemeldet, 1969 erhöhte sich diese Zahl auf 168, 1970 betrug sie 305, um anschließend auf 220 (1971), 269 (1972) und 242 (1973) zurückzugehen Während es in den Jahren 1958 bis 1960 im Durchschnitt nur je 17, 3 anmeldepflichtige Fusionen gab, waren es in den Jahren 1961 bis 1964 schon 32, 2, 1965 bis 1967 52, 7, 1967 bis 1970 125, 7 und 1971 bis 1973 sogar 243, 7 Fusionen Von den 242 Zusammenschlüssen des Jahres 1973 waren 61 große Zusammenschlüsse, d. h. die erworbenen Unternehmen wiesen eine Bilanzsumme von 25 bzw. 150 Mio DM oder mehr auf 31). Wie schon in früheren Jahren hatten von den Großfusionen mehr als 60 vH horizontalen und mehr als 30 vH diagonalen Charakter. Nur ein einziger großer Zusammenschluß war vertikaler Natur. Uberdurchschnittlich war 1973 die Konzentrationsintensität in der chemischen und elektrotechnischen Industrie sowie beim Maschinenbau. In dem nicht zum industriellen Sektor zählenden Bankenbereich fanden Zusammenschlüsse statt .
II. Ursachen der Unternehmenskonzentration
Abbildung 4
Tabelle 2: Industrielle Umsätze größten Unternehmenseinheiten gesamten Industrieumsatzes nach verschiedenen Abgrenzungskriterien der jeweils 50 in vH des 1954 und 1960 Umsatz in vH des Gesamtumsatzes 1954 1960
Quellen:
Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 14.
Anlagenband zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, zu BT-Drucks. IV/2320, S. 554 f.
Tabelle 2: Industrielle Umsätze größten Unternehmenseinheiten gesamten Industrieumsatzes nach verschiedenen Abgrenzungskriterien der jeweils 50 in vH des 1954 und 1960 Umsatz in vH des Gesamtumsatzes 1954 1960
Quellen:
Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, BT-Drucks. IV/2320, S. 14.
Anlagenband zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, zu BT-Drucks. IV/2320, S. 554 f.
Kaum weniger vielfältig als die Erscheinungsformen der Unternehmenskonzentration sind deren Ursachen. Sie lassen sich in solche ökonomischer und solche außerökonomischer Natur unterteilen. Als wirtschaftliche Gründe der Untemehmenskonzentration gibt Erhard Kantzenbach Kosten-, Wettbewerbsund finanzielle Vorteile für die in welcher Form auch immer sich zusammenschließenden Unternehmen an Lenel nennt diesbezüglich u. a. die Entwicklung des technischen Wissens, das Streben nach Vergrößerung der Marktmacht gegenüber Konkurrenten, Lieferanten und Abnehmern, die Furcht vor labilen Marktformen sowie vor Konjunkturschwankungen, ferner das Finanzierungsproblem Arndt, ebenfalls ein nicht-marxistischer Autor, unterscheidet hinsichtlich der ökonomischen Ursachen zwischen technisch, risiko-, marktund machtbedingter Konzentration Von technisch bedingter Konzentration spricht er, wenn sie dazu dient, die jeweils vorhandenen Technologien optimal zu nutzen, oder aber wenn sie eine Folge des Bemühens ist, den technischen Fortschritt über den erreichten Stand hinaus voranzutreiben. Als risikobedingt bezeichnet er die Konzentration, wenn ein Unternehmen in einer sich entwickelnden und unstet wachsenden Wirtschaft etwa durch Diversifikation mehr Sicherheit gegenüber Nachfrageschwankungen zu erhalten sucht. Als marktbedingt sieht er die Konzentration an, wenn sie z. B. durch die Bildung eines Kartells, das Preis, Absatzmengen und Investitionsvolumen reguliert, der Gewinnung einer günstigeren Marktposition dient. Von machtbedingter Konzentration spricht er, wenn und soweit sie entsteht, weil ein Wirtschafter andere Unternehmen beherrschen will, um deren ökonomische Abhängigkeit etwa durch Gewinnabführung oder gar Vermögensübertragung für sich auszunutzen
Zu den aufgeführten ökonomischen Ursachen der Unternehmenskonzentration kommen die außerökonomischen, speziell politischen Ursachen: Immer wieder mitverantwortlich ge-macht für den gegenwärtigen Stand der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik wird die Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer. Auf der einen Seite ist diese Art der bis zum 31. 12. 1967 gültigen Steuer auf jeden Verkauf von Rohstoffen, Halb-und Fertigfabrikaten gelegt und von allen Fabrikanten, Groß-und Einzelhändlern erhoben worden. Auf der anderen Seite konnte sie durch jede Art von vertikaler Konzentration umgangen werden, waren doch Umsätze innerhalb einer Firma ebenso wie Umsätze innerhalb eines Konzerns von ihr befreit. Infolge dessen wurde die Konkurrenz zwischen einstufigen Unternehmen und Konzernen zum Nachteil der einstufigen und zugunsten der vertikal integrierten Unternehmen verzerrt. Man schätzt, daß die daraus resultierende mittelbare Subvention der vertikalen Konzentration in den Jahren 1950 bis 1965 nicht weniger als 30 bis 50 Mrd. DM betragen hat
Steuerliche Vorteile waren und sind indes nicht die einzige Form der politischen Begünstigung der Unternehmenskonzentration. So erteilte 1965 der damalige Bundeswirtschaftsminister Schmücker dem Bundeskartellamt eine Einzelanweisung zur Nichtverfolgung von Selbstbeschränkungserklärungen auf dem Heizölmarkt. Diese Freistellung der Ölgesellschaften von kartellrechtlichen Bestimmungen war die Gegengabe der Bundesregierung dafür, daß sich die Mineralölindustrie verpflichtete, ihre Kapazitäten einstweilen nicht auszuweiten und so den Wettbewerbsdrude auf den sich in einer Krise befindenden Stein-kohlenbergbau zunächst nicht zu erhöhen. Dadurch sollte — und das war der eigentliche Grund für die Schmückersche Weisung an das Kartellamt — die erforderliche Schließung von Zechen im Ruhrgebiet reibungsloser gestaltet und die Chance der CDU für ein günstiges Abschneiden bei den bevorstehenden Bundestagswahlen in Nordrhein-Westfalen verbessert werden
Kaum weniger konzentrationsfreundlich war die Haltung der Bundesregierung Jahre später, als aufgrund des sogenannten Kohleanpassungsgesetzes vom 3. 4. 1968 die Bergbauvermögen sowie die darauf ruhenden Schulden der meisten Bergbaugesellschaften auf die 'Ruhrkohle AG übertragen wurden. Diese wurde nur deshalb in der Bundesrepublik nicht zum alleinigen Produzenten von Kohle, weil einige Konzerne, wie z. B.der Flickkonzern, ihre Mitwirkung versagten
Es ließen sich weitere Beispiele für die Förderung der Unternehmenskonzentration durch Exekutive, Legislative, aber auch Judikative anführen. Jedoch würden sie kaum Aufschluß über den Stellenwert geben, der den außer-ökonomischen Ursachen der Konzentration insgesamt beizumessen ist. In ihrer Bedeutung werden sie von nichtmarxistischen Theoretikern vielfach mit den ökonomischen Ursachen auf ein und dieselbe Stufe gestellt. Demgegenüber halten marxistisch orientierte Wissenschaftler eine strikte Trennung von wirtschaftlichen und außerwirtschaftlichen, insbesondere politischen Gründen der Konzentration für verfehlt. Für sie stellt den Ausgangspunkt jeder Untersuchung über die Konzentration in der Wirtschaft eine Analyse , des Kapitals’ dar. Diese ergibt, daß es aufgrund der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte, also vor allem der Entwicklung des technischen Fortschritts, sowie aufgrund der Produktions-bzw. Eigentumsverhältnisse unter einem permanenten Zwang zur Konzentration und Zentralisation steht. Untermauert wird diese auf einer Überbetonung der Eigengesetzlichkeit gesellschaftlicher Prozesse beruhende These u. a. durch — die Lehre vom Mehrwert, die besagt, daß die Gewinne der Kapitalisten aus der Verfügung über die Arbeitskraft der Lohnabhängigen resultieren. Der den Arbeitnehmern gezahlte Lohn entspreche nicht dem Wert der geleisteten Arbeit, sondern sei lediglich der Preis für die Nutzung der Arbeitskraft; — die Akkumulationstheorie, derzufolge die Unternehmer die aus dem Mehrwert gezogenen Gewinne in erster Linie zur Vermehrung ihres Kapitals benötigen, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können; das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, das bei periodisch auftauchenden Wirtschaftskrisen nur großen und finanzstarken Unternehmen eine Chance eröffne, ihre Existenz zu behaupten, und so unaufhaltsam in Richtung auf eine zunehmende Vermachtung der Wirtschaft wirke. Die Existenz eines eigenständigen nichtökonomischen Faktors als Ursache der Unternehmenskonzentration wird infolgedessen von marxistischen Autoren abgelehnt. Stets sind es dem Kapital immanente, also nicht von außen an dieses herangetragene Faktoren, die die Vermachtung der Wirtschaft verursachen. Auch der Staat kann in dieser Richtung nicht aus beliebigen politischen Gründen heraus tätig werden. So wie nämlich die Produktionsverhältnisse letztlich einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte entsprechen, so spiegeln sich In den Entscheidungen des Staates die Gegebenheiten an der realen — durch die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse gebildeten — Basis wider. Als zum überbau gehörig ist der Staat zumindest nach orthodoxer marxistischer Auffassung stets gezwungen, in Übereinstimmung mit den Interessen des Kapitals zu handeln. Dabei wird übersehen, daß er in Wirklichkeit in einem Spannungsverhältnis zwischen der Macht der Unternehmer und der Macht der abhängig Beschäftigten steht und von daher durchaus für Reformbestrebungen offen ist.
III. Wirkungen der Unternehmenskonzentration
Abbildung 5
1954 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 Tabelle 3: Die Konzentration in der westdeutschen Industrie 1954 bis 1973, gemessen am Umsatz der 50 und 100 größten Industrieunternehmen (in Mrd. DM)
Quellen:
1954: Anlagenband zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, zu BT-Drucs. IV/2320, S. 554 f.
1959— 1966: Helmut Arndt, Recht, Macht und Wirtschaft, 1968, S. 82.
1967: Jörg Huffschmid, Die Politik des Kapitals — Konzentration u社
1954 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 Tabelle 3: Die Konzentration in der westdeutschen Industrie 1954 bis 1973, gemessen am Umsatz der 50 und 100 größten Industrieunternehmen (in Mrd. DM)
Quellen:
1954: Anlagenband zum Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. 2. 1964, zu BT-Drucs. IV/2320, S. 554 f.
1959— 1966: Helmut Arndt, Recht, Macht und Wirtschaft, 1968, S. 82.
1967: Jörg Huffschmid, Die Politik des Kapitals — Konzentration u社
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gilt die Unternehmenskonzentration als eine unausweichliche Begleiterscheinung wirtschaftlichen Wachstums. Für Schumpeter ist sie zum kräftigsten Motor des technischen Fortschriits und insbesondere der langfristigen Ausdehnung der Gesamtproduktion geworden Edgar Salin meint diesbezüglich, man könne Kartelle zwar verbieten oder beschränken, nicht aber die Konzentration aufhalten, wenn diese durch die Notwendigkeit, eine lawinenartig sich vermehrende Bevölkerung mit einer Vielzahl von Produkten verhältnismäßig wohlfeil zu versorgen, einen dauernd wirksamen Anstoß erhalte Als unwiderruflich sieht auch John K. Galbraith, amerikanischer Nationalökonom und Diplomat, die Unternehmenskonzentration an. Seiner Ansicht nach sind es die Gebote der Technologie und die aus ihnen resultierende Technostruktur, die zur Herausbildung von Großunternehmen mit oligopolistischer oder gar monopolistischer Marktstellung zwingen
Kein Zweifel: „Als Folge der technischen Entwicklung seit Beginn der Industrialisierung ist ein gewisses, in manchen Branchen beträchtliches Maß an Konzentration unvermeidlich und volkswirtschaftlich sinnvoll" Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, daß jeder Prozeß, der den Grad der Unternehmenskon-zentration erhöht, zum gesellschaftlichen Fortschritt beiträgt. Erstens läßt sich dieser nicht einfach an einer Steigerung der Produktivität oder an einer Steigerung des Sozialprodukts ablesen. Zweitens bedingt die Unternehmenskonzentration die Gefahr des Machtmißbrauches. Sie kann durchaus unerwünschte Wirkungen zeitigen. Deshalb besteht auch kein Grund zu ihrer Verherrlichung.
Wie groß die sich aus der Unternehmenskonzentration ergebenden Vor-und Nachteile bzw. Gefahren sind, wird am ehesten deutlich, wenn man sich ihre Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft, auf Staat und Politik sowie auf Konsumenten, Produzenten und Arbeitnehmer im einzelnen vor Augen führt.
1. Wirkungen auf die Gesamtwirtschaft
„Je größer, desto effizienter!" Mit diesem Schlagwort wird gelegentlich — vor allem von der Industrie — die Forderung nach mehr Untemehmenskonzentration begründet. Dabei wird geflissentlich übersehen, daß Größe nicht stets mit einem optimalen Einsatz von Kapital und Arbeit gleichgesetzt werden kann. Und wo dies doch der Fall ist, da müssen der Allgemeinheit — wie angedeutet — aus diesem Sachverhalt nicht automatisch Vorteile erwachsen. Ein hohes Maß an Effizienz kann in seiner positiven wirtschaftlichen Bedeutung durchaus kompensiert, ja überkompensiert werden „durch gewisse Nachteile, die man als möglich bei konzentrierten Industrien anerkennt: Höhere Preise als unter Wettbewerbs43 bedingungen, übermäßige Gewinne, Produk-tionsbeschränkungen usw."
Das alles sind Wirkungen, die ihre Ursache in einem konzentrationsbedingten Machtmißbrauch haben. Sie sind in allen marktwirtschaftlichen Systemen festzustellen, in denen der Preiswettbewerb die ihm zugedachte Aufgabe nicht mehr zu erfüllen vermag. Das gilt insbesondere für überhöhte Preisforderungen, die manche Unternehmen offenbar sogar für legitim halten. So erklärte ein Vertreter der von Großfirmen beherrschten amerikanischen Arzneimittelindustrie Ende der fünfziger Jahre vor dem Unterausschuß für Antitrust-und Monopolwesen des US-Senates, jede Art von Medikament — wie teuer es auch sei — sei billig, wenn es den Gang ins Krankenhaus er-spare Indirekt hieß das, jede Kritik an der in den USA gerade damals in Verruf geratenen Preispolitik der pharmazeutischen Industrie sei wegen des beachtlichen Nutzens, den die verkauften Präparate mit sich brächten, unangebracht. Diese Rechtfertigung eines hohen Preises durch den Vergleich mit dem Wert einer für die Öffentlichkeit erbrachten Dienstleistung stellt eine ideologische Aussage dar. Ihrer bedient man sich in dieser oder anderer Form, um zu verschleiern, daß man zuweilen nicht davor zurückschreckt, so viel zu verlangen, wie der Markt nur eben hergibt.
Ungehemmtes Profitstreben äußert sich nicht nur in direkten, für jedermann klar ersichtlichen Preisanhebungen. Großunternehmen mit einer marktstarken Stellung können ihre Ge-winne auch in anderer, nicht weniger mißbräuchlicher Weise steigern. Sie können dies tun, indem sie — ihre Risiken überwälzen (Sozialisierung der Verluste), — ihre Zahlungsbedingungen (Fristen, Zinsen usw.) zu ihren eigenen Gunsten variieren, — ihre Kosten durch Verschlechterung der Produktqualität verringern, — ihre Angebotspalette einschließlich der Zahl der Verkaufsstellen verkleinern, — ihren Absatz durch Herabsetzung der Haltbarkeit der Produkte erhöhen, — die Einführung neuer oder verbesserter Produkte verzögern oder unterbinden oder aber — die Entwicklung und Anwendung rationellerer Produktionsverfahren verlangsamen oder verhindern
Selbst wenn nicht alle der hier aufgezählten Möglichkeiten zur Gewinnmaximierung von Unternehmen, die über wirtschaftliche Macht verfügen, gleichzeitig und in vollem Umfang genutzt werden, so können daraus doch Nachteile für die Allgemeinheit entstehen, die sich in Beschäftigungseinbrüchen, Wachstumsverlusten, Inflation und /oder Zahlungsbilanzschwierigkeiten niederschlagen
Die Gefahr, daß die Unternehmenskonzentration den wirtschaftlichen Wohlstand, den sie schafft, auch wieder zunichte macht, erscheint nicht zuletzt deshalb gegeben, weil mit zunehmender Konzentration die soziale Marktwirtschaft ihre (zumindest von den Liberalen angenommene) Fähigkeit zur Selbststeuerung verliert. Von den drei Säulen der Marktwirtschaft — dem Privateigentum an Produktionsmitteln, der freien Unternehmerentscheidung und dem Wettbewerb — droht mit der Herausbildung von Kartellen, Oligopolen und Monopolen die letztere zu fallen. Denn: Unternehmen, die nicht mehr Preis-und Mengenanpasser sind, sondern ihrerseits entscheidende Daten am Markt setzen können, sind zweifelsohne in der Lage und tun dies im Regelfall auch, wesentliche Formen der Konkurrenz außer Kraft zu setzen. Damit aber wird gewollt oder ungewollt der Marktmechanismus zerstört. Zugleich werden die gerade für den Konjunkturverlauf häufig beschworenen Selbstheilungskräfte der Wirtschaft ausgeschaltet. Das wiederum löst den Ruf nach staatlicher Intervention aus.
Hier zeigt sich sofort ein weiteres Dilemma, für das die Unternehmenskonzentration mitverantwortlich ist. Auf der einen Seite sind die traditionellen Stabilisierungskonzepte — Klaus Hofmeier nennt in diesem Zusammenhang Haushalts-, Lohn-und Kreditpolitik — kaum mehr anwendbar, eben weil sie von der Annahme der Existenz einer intakten Wettbewerbsordnung ausgehen. Auf der anderen Seite reicht das in Anlehnung an John M. Keynes 1967 mit dem Gesetz zur Förderung von Wachstum und Stabilität neu entwickelte Instrumentarium zur Konjunktursteuerung nicht aus, um die durch die Vermachtung der Wirtschaft eingetretene . ordnungspolitische Verwahrlosung'zu neutralisieren.
Die sich u. a. daraus ergebende wirtschaftliche Instabilität der Bundesrepublik wird von den Anhängern der Marktwirtschaft bedauert, jedoch nicht als zwangsläufig und für alle Zeiten gegeben angesehen. Demgegenüber ist die Konzentration nach marxistischer Auffasung eine Manifestation der inneren Dynamik des Kapitalismus, die im Wachstums-und Konjunkturrhythmus erst zum eigentlichen Durchbruch kommt. Technischer Fortschritt, wachsender Investitionsgüteranteil und gesellschaftliche Umstrukturierungsprozesse sind es, die dieser Theorie zufolge in einer grundlegenden, nicht abänderbaren Prädisposition des Kapitalismus zur Instabilität und zum Umschlagen in neue Wirtschaftsund Sozialstrukturen gipfeln Die erwartete Selbstzerstörung des Systems wird von marxistischen Autoren als geschichtsnotwendig erachtet und als das bevorstehende Ende einer überlebten Klassengesellschaft begrüßt.
2. Wirkungen auf die Konsumenten
Ebenso ambivalent wie die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen sind die Wirkungen der Unternehmenskonzentration auf die Verbraucher. Einerseits kommen sie häufig in den Genuß eines außerordentlich reichhaltigen Warenangebotes. Andererseits verlieren sie ihre Stellung als . König Kunde'. Diese besitzen sie nur in einer auf vollständiger Konkurrenz beruhenden Marktwirtschaft. In ihr bestimmen sie als Nachfrager am Markt die Richtung und Stärke der Güterproduktion. Jeder Geldschein entspricht einem Stimmzettel, jeder Einkauf einer Stimmabgabe. In einer solchen Wirtschaftsdemokratie'sind die Produzenten darauf angewiesen, sich durch neue und immer bessere Produkte um die Gunst der Verbraucher zu bemühen. Der Werbung kommt lediglich eine informierende Bedeutung zu. Sie ist darauf abgestellt, dem Kunden eine seinen Interessen entsprechende Auswahl aus der Fülle des Angebotes zu ermöglichen
Anders liegen die Dinge in einer vermachteten Wirtschaft wie der der Bundesrepublik. In ihr hat der Nachfrager, soweit es sich nicht um Großnachfrager wie den Staat oder bestimmte Warenhauskonzerne handelt, nur in den seltensten Fällen die zur Steuerung der Wirtschaft nach seinen Bedürfnissen erforderliche Marktmacht. Oftmals kann er wegen der oligopolistischen oder gar monopolistischen Marktstruktur nicht einmal mehr auf das billigere und bessere Angebot eines Konkurrenten ausweichen, um sich vor überhöhten Preisen und schlechten Qualitäten zu schützen.
Hinzu kommt das Problem der Bedürfnismanipulation. Es betrifft weniger die absoluten . endlichen'Bedürfnisse, die der Mensch um der Erhaltung seiner physischen Existenz willen hat, als vielmehr die relativen . unendlichen'Bedürfnisse. Diese sind vor allem psychologisch begründet, d. h. rühren von dem Bestreben her, mit dem Nachbarn Schritt zu halten und ihn zu überbieten Diese Neigung der Verbraucher, einen beachtlichen Teil der Käufe aus Prestigegründen heraus zu tätigen, haben sich insbesondere Großunternehmen und Verkaufsgemeinschaften zunutze gemacht. Längst sind sie die eigentlichen Initiatoren im Kampf um den Besitz der modischsten Kleidung, der ausgefallensten Wohnungseinrichtung, des besten, wenn auch nicht mehr unbedingt des teuersten Wagens usw. geworden. Die gegenwärtige schwierige konjunkturelle Situation hat dieses Problem nur verschleiert, nicht aber beseitigt. Mit Hilfe einer gewaltige finanzielle Mittel verschlingenden Werbung betreiben zahlreiche Unternehmen unverändert die hohe Kunst der Bedürfnisproduktion, d. h. erzeugen bei ihren . Nachfragern'das Verlangen nach mehr und neueren Gütern, selbst wenn dies das vorzeitige Altern durchaus noch verwendbarer Produkte zur Folge hat Das führt zu einer Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen, zu einer Ablenkung der Konsumenten von Bedürfnissen, deren Befriedigung der Wirtschaft keine unmittelbaren Ge-winne verspricht, und zu Preisen, die in keiner vernünftigen Relation zum Gebrauchswert der angebotenen Güter stehen.
3. Wirkungen auf die Produzenten
Die Unternehmenskonzentration kann Nachteile nicht nur für die Konsumenten, sondern auch für die Produzenten mit sich bringen. Oftmals sind die kleineren und mittleren Unternehmen die ersten Opfer der Konzentration.
Darauf hat bereits Marx hingewiesen; er prophezeite die Enteignung und Verarmung der großen Masse der selbständigen Produzenten.
Diese Expropriation vollziehe sich — so meinte er — durch den Ablauf der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlage viele tot Entsprechende Vorgänge — die bislang freilich keineswegs zur totalen Vernichtung von Kleinund Mittel-unternehmen geführt haben — mag man aus soziologischen Gründen bedauern, ökonomisch gesehen ist es jedoch sinnvoll, diejenigen — häufig als mittelständisch bezeichneten — Unternehmen ihre Selbständigkeit verlieren oder aus dem Wettbewerb ausscheiden, die nicht in der Lage sind, sich aus eigener Kraft den Erfordernissen der modernen Produktion im Hinblick auf Größe und Ausstattung der Betriebsstätten anzupassen. Anders liegt der Fall bei Versuchen von Großunternehmen, sich durch willkürliche Nutzung des eigenen Kräftepotentials unliebsamer Konkurrenz von Seiten kleinerer, ausgesprochen leistungsfähiger Produzenten zu entledigen. Preisdiskriminierung, Rabattschleuderei, Verweigerung von Lizenzen, Einleitung und Durchführung von Patentprozessen sind Maßnahmen, die hierbei u. a. angewendet werden. Bisweilen , begnügen'sich Großunternehmen allerdings auch damit, den kleineren und mittleren Produzenten die Bedingungen für die Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit vorzuschreiben. Die . Kleinen'müssen sich dann mit ihrem Wachstum und ihrer Rentabilität nach den Vorstellungen der . Großen’ richten. Sie werden zu Umwertungen gezwungen, die gleichbedeutend sein können mit Ausbeutung. Das betrifft neben mittelständischen Unternehmen, die auf ein und derselben Produktionsstufe tätig sind wie die Großunternehmen, auch kleinere Zulieferer und Abnehmer. Letztere können beispielsweise, wenn ihr Haüptvertragspartner ein marktbeherrschender Konzern ist, von diesem zur Annahme von Geschäftsbedingungen veranlaßt werden, die ansonsten branchenunüblich sind und die sie weitgehend ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit berauben.
Welches Ausmaß die in der Bundesrepublik bestehenden Abhängigkeiten angenommen ha-ben, ist nur wenig bekannt. Die folgenden Zahlen vermitteln einen ersten, notgedrungenerweise unvollständigen Eindruck: 1965 waren je 30000 Unternehmen als Zulieferer für die Firmen AEG und Siemens tätig. 23000 Zulieferer arbeiteten für den Krupp-Konzern. Je 18000 Unternehmen belieferten die Daimler-Benz und die Bayer AG. Alle diese Zulieferer waren in ihrer Existenz mehr oder minder abhängig von Aufträgen der genannten Großkonzerne. Daß bislang dennoch nur relativ wenige Fälle von Machtmißbrauch im Verhältnis von Zulieferern und Abnehmern publik geworden sind, liegt am Versagen unserer Rechtsordnung. Gegen den Mächtigen zu klagen, bietet zumeist wenig Aussicht auf Erfolg. Die betroffenen Unternehmen sehen deshalb in der Regel davon ab. Daß Machtmißbräuche vorkommen, steht indes außer Zweifel. So hat der Springer-Verlag in den sechziger Jahren mehrmals mit Erfolg die Auslieferung ihm nicht genehmer Zeitungen durch ein von ihm zwar nicht kapitalmäßig, wohl aber umsatzmäßig abhängiges Vertriebsnetz verhindert. Wie gefährdet die Existenz eines abhängigen Unternehmens ist, erfuhr auch die . Tänzers Original Grudeofen Fabrik GmbH', ein Unternehmen, das 1966 noch 110000 Tischkühlschränke produzierte und davon 66000 an die Neckermann-Versand KG lieferte. Als Neckermann 1967 keine Aufträge mehr an das Unternehmen vergab, mußte im darauf folgenden Jahr der Konkurs eröffnet werden
4. Wirkungen auf die Arbeitnehmer
Nicht minder problematisch sind die Auswirkungen der Unternehmenskonzentration auf die Arbeitnehmer. Konzentrationsprozesse — häufig einhergehend mit Rationalisierungsmaßnahmen — können, wenn es die Unternehmensleitung für erforderlich hält, zu Produktionsverlagerungen, Produktionseinschränkungen oder gar Betriebsstillegungen führen. Das Resultat sind Entlassungen, Umsetzungen, Umschulungen, Wechsel des Wohnortes, Verlust der Werkswohnung und anderer bislang im Betrieb erworbener Rechte. Hat sich ein Großunternehmen freilich erst einmal . arrondiert', so darf ein relativ hoher Grad der Sicherheit der Arbeitsplätze angenommen werden. Als weitere Vorteile für die Arbeitnehmer sind nicht selten außergewöhnliche betriebliche Sozialleistungen, in manchen Fällen sogar überdurchschnittlich gute Aus-und Fortbildungsmöglichkeiten zu nennen. Umgekehrt wiederum besteht die Gefahr, daß die Lohnabhängigen in ihrer Freiheit der Berufswahl, der Wahl des Arbeitsplatzes und — wegen der häufig herrschaftlichen Gestaltung der, Produktionsverhältnisse — auch in ihrer Freiheit der Meinungsäußerung eingeengt werden. Vor allem hochqualifizierte Arbeitnehmer müssen in einer von marktbeherrschenden Unternehmen gekennzeichneten Wirtschaft damit rechnen, Aufstiegschancen lediglich in bestimmten Konzernen zu finden und deshalb in eine feudalistische Abhängigkeit von einzelnen Arbeitgebern zu geraten. Nicht nur Anpassung an die Ideologie des Großuntnernehmens, sondern auch politische Apathie können die Folge sein
Gerade auf das Bewußtwerden der eigenen Situation in der Arbeiterklasse aber setzen die Marxisten. Für sie steht fest, daß in dem Maße, in dem das Kapital akkumuliert und sich zentralisiert, sich die Lage des Arbeiters verschlechtert. Das wird unabhängig von der Höhe der Entlohnung und damit des Lebensstandards gesehen. Angeblich vollziehen sich nämlich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters, schlagen alle Mittel zur Entwicklung der Produktion um in Beherrschungs-und Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses Schließlich soll mit zunehmender Pauperisierung, d. h. vor allem mit Bildung einer industriellen Reservearmee, eine revolutionäre Situation entstehen. Hier greift die marxistischsoziologische Analyse über in eine Serie von Prophezeiungen, die bei Marx allerdings weit verstreut und weniger systematisch als implizit formuliert sind: Gewaltsame Hilfsfunktion der Arbeiterklasse bei der Geburt einer neuen Gesellschaft, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Expropriation der Expropriateure, Schaffung der klassenlosen Zukunftsgesellschaft
Während orthodoxe Linke immer noch — wie Vilmar formuliert — nach Opas Revolution Ausschau halten, die hereinbrechen soll wie ein grandioses Gewitter scheint es so, als habe die Unternehmenskonzentration mit ihrer Steigerung des allgemeinen Lebensstandards eher zur Integration als zur Desintegration der Arbeitnehmer in die bestehende Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung geführt. Die in den fünfziger und frühen sechziger Jahren weit verbreitete Rede von der Existenz einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft war Ausdrude eines entsprechenden Empfindens. Dieses ist zwischenzeitlich zu Recht geschwunden und einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen, da sich gezeigt hat, daß die Stärkung der materiellen Lebenssituation der Arbeitnehmer das Problem der Klassengesellschaft nicht hat obsolet werden lassen. Das wird schlagartig deutlich, wenn man sich die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die paritätische Mitbestimmung auf Unternehmensebene vor Augen hält. Je weiter die Unternehmenskonzentration voranschreitet, desto notwendiger ist gerade hier eine Lösung, und zwar im Sinne der Parität, soll die angesprochene Integration der abhängig Beschäftigten tatsächlich im Sinne von mehr Gleichheit von Arbeit und Kapital und damit im Sinne von mehr Demokratie vorangetrieben werden.
5. Wirkungen auf Staat und Politik
Die Konsequenzen, die sich aus der Vermachtung der Wirtschaft für den staatlich-politischen Bereich ergeben, werden primär unter dem Gesichtspunkt . Gefährdung der Demokratie" erörtert. Im 19. Jahrhundert entsprach der sich allmählich herausbildenden kapitalistischen Unternehmensstruktur ein Auseinanderfallen von sozio-ökonomischer und politischer Herrschaft Im 20. Jahrhundert hat sich das im Sinne einer engen Verflechtung von Politik und Wirtschaft geändert. Die staatlichen Institutionen sahen und sehen sich in steigendem Maße gezwungen, in Antizipation eines . Investitionsstreiks'zu agieren den die Unternehmen bei sinkenden Gewinnerwartungen zum Schaden der Stabilität des Gesamt-Systems und der jeweils amtierenden Regierung praktizieren können. Damit einher geht die Notwendigkeit, in die historisch bedingte Strukturierung der Verteilung knapper Güter einzugreifen, die oftmals nicht flexibel genug ist, wenn im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung neue Anforderungen bewältigt werden müssen. Abweichungen von Gleichheits-und Gerechtigkeitspostulaten sind dann — zumindest vorübergehend — zwangsläufig und müssen durch politische Regelung geleistet werden Zudem erfordert die zunehmende Mobilität der Bevölkerung, die durch die rasche Ausweitung der Arbeitsteilung und Tauschverhältnisse in hochindustrialisierten Gesellschaften bewirkt wird, die permanente Schaffung neuer Sozial-beziehungen zwischen sogenannten Fremd-gruppen
Zur Erfüllung dieser Aufgaben bedarf es des hochspezialisierten Sachverstandes, der sich kaum im Parlament, eher schon in den staatlichen Bürokratien, vielfach aber zuallererst in Großunternehmen und deren Verbänden finden läßt. Entscheidendes Merkmal des politischen Strukturwandels, der sich seit Beginn der Industrialisierung in allen westlichen Demokratien vollzogen hat, ist deshalb auch der Bedeutungsverlust des Parlaments. Gleichzeitig haben die Verbände politisch an Gewicht gewonnen. Ob indes wirtschaftliche Macht stets politische Macht bedeutet, ist umstritten. Das hat seine Ursache nicht zuletzt darin, daß es sich innerhalb der Sozialwissenschaften als unmöglich erwiesen hat, einen Konsens über den Machtbegriff herbeizuführen. Vor allem spezielle Definitionen von politischer und wirtschaftlicher Macht sind kontrovers, „weil sie nur auf Grund eines besonderen Verständnisses von Politik und Wirtschaft möglich sind und meist auch von normativen Annahmen über die richtige oder falsche poli-tische Ordnung und Wirtschaftsordnung ausgehen"
Die Schwierigkeiten nehmen weiter zu, wenn das Verhältnis von politischer und wirtschaftlicher Macht untersucht werden soll. Zwei im folgenden grob zu skizzierende Ansätze werden dabei gegenwärtig verwandt: Der erste sucht mit Hilfe von Kategorien der Systemana-lyse die Interdependenzen, die zwischen den einzelnen Bereichen der Gesellschaft bestehen, zu erfassen. Unterstellt wird dabei irriger-weise, daß es möglich ist, die gesellschaftlichen Einzelbereiche klar voneinander abzugrenzen. Ferner wird angenommen, daß es eine grundsätzliche Unterordnung des Bereiches . Politik" unter den Bereich . Wirtschaft'nicht gibt.
Dieser Ansatz läßt sich unschwer mit liberalen Gleichgewichtskonzeptionen koppeln. Er führt dann — auch wenn die Grenzen der Legitimität bei der Umsetzung von wirtschaftlicher in politische Macht nicht exakt angebbar sind — durchweg zu dem Ergebnis, daß die Unternehmenskonzentration eine Gefahr für die freiheitlich-pluralistische Demokratie darstellt. Befürchtet wird insbesondere, daß der Staat durch die Konzentration von wirtschaftlicher Macht politisch daran gehindert wird, zwischen den unterschiedlichen und zum Teil antagonistischen Gruppeninteressen einen Mittelweg zu steuern, der mit den Interessen der Gesamtheit vereinbar ist. Mithin droht — und das sehen die Liberalen völlig richtig — durch die Unternehmenskonzentration im Bereich der Politik — ebenso wie im Bereich der Wirtschaft — die , balance of power" verloren zu gehen, von deren Existenz sie sich stets eine wirksame Barriere gegen jeglichen Machtmißbrauch erhofft haben.
Der zweite Ansatz zur Untersuchung des Verhältnisses von wirtschaftlicher und politischer Macht ist marxistischer Provenienz. Er findet seinen Ausdruck beispielsweise in der stark dem Dogmatismus verhafteten Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Ihr zufolge ergibt sich mit der Entfaltung der Kartelle und Monopole ein qualitativ neues Verhältnis von Ökonomie und Politik. Es ist gekennzeichnet durch die „Vereinigung der Riesenmacht des Kapitalismus mit der Riesen-macht des Staates zu einem einzigen Mechanismus, der viele Millionen Menschen in einer einzigen Organisation des Staatskapitalismus erfaßt"
Die Rolle des Staates in diesem System besteht in erster Linie darin, als Stabilisierungsfaktor der ökonomischen Entwicklung zu wirken. Dabei soll die gesamte Bevölkerung den Verwertungsbedingungen des Monopolkapitals untergeordnet werden, um eine Ausbeutungsbasis zu schaffen, die das weitere Betreiben der Pro-duktion als Profitproduktion gestattet Deshalb wird in stark einseitiger Interpretation der Realität dem Staat auch nur die Möglichkeit zugestanden, sich kurzfristig gegen die Bedürfnisse der Einzelmonopole durchzusetzen. Letztlich bleibt er an ihre Interessen gebunden und muß ihnen entsprechen. Wirtschaftliche und politische Macht gehen aufgrund dessen eine unauflösliche Verbindung miteinander ein.
Daraus ergeben sich u. a. Änderungen in Funk-tions-und Arbeitsweise für die bürgerliche Demokratie. Als Ausdruck einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaft wird sie aber nur in dem Maße in . Gefahr'gesehen, in dem der staatsmonopolistische Kapitalismus selbst Ausdrude für die Überlebtheit deSy-stems ist und zunehmend in Schwierigkeiten gerät.
IV. Wege und Mittel zur Lösung der Konzentrationsproblematik
Abbildung 6
Tabelle 4: , Concentration ratios'in ausgewählten Industriezweigen der Bundesrepublik 1962 und 1970
Quelle: Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts für 1973, BT-Drucks. VII/2250, S. 35 ff.
Tabelle 4: , Concentration ratios'in ausgewählten Industriezweigen der Bundesrepublik 1962 und 1970
Quelle: Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts für 1973, BT-Drucks. VII/2250, S. 35 ff.
So sehr die Auffassungen über Ursachen und Wirkungen der Unternehmenskonzentration auseinandergehen, so unterschiedlich sind auch die Meinungen über Wege und Mittel zur Lösung der aus der Vermachtung der Wirtschaft resultierenden Probleme. Im wesentlichen sind es drei Konzeptionen, die hier zur Diskussion stehen.
Die erste Konzeption stammt von den Liberalen. Sie wollen den Gefahren der Unternehmenskonzentration durch eine konsequente Politik der Ordnung des Wettbewerbs Einhalt gebieten. Dabei gehen sie von der „durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung erhärteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist ..." Unter der Voraussetzung der Dominanz eines Preissystems der vollständigen Konkurrenz bedeutet diese Ordnung für sie:
1. Die Existenz eines einheitlichen Lenkungsmechanismus, der den Märkten eine Ordnung gibt dergestalt, daß alle Teile des Wirtschaftsprozesses sinnvoll ineinander greifen.
2. Leistungswettbewerb mit dem Resultat einer ständigen Steigerung des technischen Fortschritts sowie der Produktivität und damit des Sozialprodukts.
3. Einen Mechanismus zur Förderung der allgemeinen Freiheitsidee, und zwar „in horizontaler Ebene als Zaun’ zum Schutz des privaten Verfügungsbereiches, indem die individuelle Sphäre der Entscheidung und Verantwortung gegen diejenige der anderen Individuen abgegrenzt wird; in vertikaler Sicht als Sicherung der individuellen Sphäre gegenüber der staatlichen Gewalt.“
Angesichts dieser Vorzüge, die die Liberalen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu erkennen glauben, kann es nicht verwundern, daß sie den Wettbewerb nicht nur gegen die Konzentration verteidigen, sondern auch offensiv als Waffe gegen die Vermachtung der Wirtschaft einsetzen wollen. Trotz äußerst starker Vorbehalte gegen Kartelle und Großunternehmen verlangen sie jedoch nicht deren völlige Zerschlagung. Allerdings soll die Konzentration durch eine von staatlicher Seite bewußt geplante . Veranstaltung des Wettbewerbs'auf das ökonomisch notwendige Maß beschränkt werden. Im einzelnen soll der Gesetzgeber seine ordnungs-und konzentrationspolitische Aufgabe darin sehen:
1. Störungsfaktoren im Marktablauf dadurch auszuschließen, daß er die Konkurrenz in einem möglichst großen Umfang erhält;
2. auf Märkten, auf denen der Wettbewerb nicht sichergestellt werden kann, die mißbräuchliche Ausnutzung wirtschaftlicher Macht zu verhindern;
3. ein staatliches Organ zur Überwachung und, wenn nötig, zur Lenkung des Marktgeschehens zu schaffen
In einer derart geordneten Wirtschaftsverfassung wird nicht nur das wirtschaftspolitische Gegenstück zur liberal-pluralistischen Demokratie gesehen, sondern auch tatsächlich die Chance, mit der Problematik der Unternehmenskonzentration fertig zu werden. Dies war nicht zuletzt auch eine Hoffnung, die bei der Gründung der sozialen Marktwirtschaft Pate gestanden hat.
Die zweite Konzeption zur Lösung der aus der Vermachtung der Wirtschaft resultierenden Probleme — die auch der Verfasser vertritt —, fußt auf den Vorstellungen des demokratischen Sozialismus. Dieser befürwortet den Wettbewerb zwar als ein Mittel zur Kontrolle ökonomischer Macht sowie zur Leistungssteigerung, bestreitet aber, daß dem Konkurrenzprinzip — wie die Liberalen meinen — a priri auch eine soziale Wirkung zukommt. Weder sei der Wettbewerb das einzig Wahre und Gute, noch lasse sich darauf eine Gesellschaft als Ganzes aufbauen. Entschieden wird ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Planung und Wettbewerb gefordert, um die Macht der im Prinzip durchaus bejahten Großwirtschaft bändigen zu können. Investitionskontrollen sind dabei neben Maßnahmen zur wirksamen Ausgestaltung des Wettbewerbs ebenso im Gespräch wie die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer, der Ausbau des Systems öffentlich gebundener Unternehmen, die Erweiterung der Publizitätspflicht und die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum
Im Gegensatz zur liberalen Konzeption ist die Konzeption des demokratischen Sozialismus also nicht einseitig auf die Verteidigung der marktwirtschaftlichen Ordnung abgestellt. Ausdrücklich sind Reformen, die gegen liberale Grundwerte — wie etwa das Privateigentum an Produktionsmitteln — verstoßen, für den Fall vorgesehen, daß sich anders die Ziele Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität nicht verwirklichen lassen. Die Gesamtheit dieser Reformen kann durchaus einen systemtranszendierenden Charakter annehmen. Keinesfalls gilt der Kapitalismus als für alle Zeiten sakrosankt.
Die dritte Konzeption, die für sich beansprucht, die Problematik der Unternehmenskonzentration in den Griff zu bekommen, geht von den Hypothesen des Marxismus bzw. Neomarxismus aus. Danach wird das gesamte gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben in der Bundesrepublik gegenwärtig durch die Tatsache geprägt, daß eine kleine Gruppe mächtiger Kapitaleigentümer die Wirtschaft des Landes beherrscht. Möglichkeiten, diesen Zustand im Rahmen des bestehenden Systems zu ändern, werden lediglich in beschränktem Maße gesehen. So gilt die nachdrücklich geforderte Mitbestimmung der Arbeitenden in den Betrieben und Unternehmen auch nur als ein erster Schritt zur Einschränkung der Allmacht der Monopole. Entsprechendes gilt für die Überführung gewisser Industrien und marktbeherrschender Unternehmen in öffentliches Eigentum. Angestrebt wird daher in jedem Fall die radikale Umgestaltung von Staat und Gesellschaft. Nur davon verspricht man sich die endgültige Beseitigung der alles beherrschenden Stellung der Konzerne, Trusts und Kartelle.
Was hier bekämpft wird, ist jedoch nicht die Existenz wirtschaftlicher Großgebilde, sondern das vermeintliche System des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Mit seiner Abschaffung hofft man zugleich alle Probleme der wirtschaftlichen Konzentration beseitigen zu können. Insbesondere wird erwartet, daß in einer qualitativ neuen und höheren Form der Gesellschaft, als sie der Kapitalismus darstellt, die soziale Unsicherheit der arbeitenden Menschen überwunden werden kann und sich die Schwierigkeiten der wissenschaftlich-technischen Entwicklung meistern lassen
V. Das Beispiel des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Abbildung 7
Tabelle 5: Anzahl der nach § 23 GWB beim Bundeskartellamt angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse in den Jahren 1970 bis 1973 1970 1971 1972 1973
Quelle: Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts für das Jahr 1973, BT-Drucks. VII/2250, S. 41.
Tabelle 5: Anzahl der nach § 23 GWB beim Bundeskartellamt angezeigten Unternehmenszusammenschlüsse in den Jahren 1970 bis 1973 1970 1971 1972 1973
Quelle: Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts für das Jahr 1973, BT-Drucks. VII/2250, S. 41.
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen — abgekürzt als Kartellgesetz bezeichnet— stellt den wohl wichtigsten Versuch zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht in der Bundesrepublik dar. Zugleich enthüllt es mit seiner Geschichte der Entstehung und mehrfachen 60
Novellierung die Schwierigkeiten, die der Verwirklichung jeglicher — hier speziell der liberalen — Konzeption zur Lösung der aus der Unternehmenskonzentration resultierenden Probleme entgegenstehen.
1. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung vom 27. 7. 1957
Das Kartellgesetz, das Bundestag und Bundesrat nach mehr als siebenjährigem Ringen im Juli 1957 verabschiedeten, wurde in erster Linie als ein wirtschaftspolitisches Gesetz konzipiert. Es weist daher weder Bestimmungen auf, die darauf zielen, eine Umsetzung wirtschaftlicher in politische Macht zu verhindern, noch Bestimmungen, die die Absicht erkennen lassen, in die für die Gestaltung der Produktionsverhältnisse bedeutsame innerbetriebliche Organisation einzugreifen. Es konzentriert sich ganz auf die Bekämpfung bzw. Kontrolle von Marktmacht. Aber auch dieser begrenzten Aufgabe wird es nur sehr bedingt gerecht. Allzu stark hat der Gesetzgeber den Geltungsbereich der materiell-rechtlichen Vorschriften eingeengt. Keinerlei Anwendung findet das . Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft'auf die Bundesbank, die Landeszentralbanken, die Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie die staatlichen Finanzmonopole. Darüber hinaus nehmen eine rechtliche Sonderstellung ein die Landwirtschaft, die Energiewirtschaft, die Kreditwirtschaft mit Banken und Bausparkassen sowie die Versicherungswirtschaft, ferner die Verkehrswirtschaft.
Die umfangreichen Ausnahmeregelungen, die das GWB enthält, sind indes nicht der einzige Mangel des Gesetzes. Selbst dort, wo es Geltung hat, erlaubt es keine wirksame Bekämpfung oder auch nur die Kontrolle von Marktmacht. Das zeigt eine Untersuchung der Vorschriften über horizontale Wettbewerbsbeschränkungen (Kartelle) und marktbeherrschende Unternehmen.
Zwar spricht das GWB in § 1 ein grundsätzliches Verbot von Kartellen aus, untersagt sind dadurch aber nur Wettbewerbsbeschränkungen, „die unmittelbar zum Inhalt und Gegenstand des Kartellvertrags und der daraus folgenden Verpflichtung der Kartellmitglieder gemacht werden (Gegenstandstheorie)" Nicht untersagt sind Vereinbarungen, deren verbindliche Wirkungen sich nicht unmittelbar auf die Koordinierung des Marktverhaltens selbst, sondern nur auf die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für eine im übrigen rechtlich nicht erzwingbare, .freiwillige'Marktregelung beziehen. Das ermöglicht den Aufbau von leistungsfähigen Kartellsurroga-ten, so daß das Verbot des § 1 vor allem we-gen der heute gegebenen oligopolistischen Marktstrukturen keine ausreichende wettbewerbserhaltende Kraft entfalten kann. Es ist durch . abgestimmte Verhaltensweisen'allzu leicht zu umgehen. Zusätzlich gemindert wird die Bedeutung des Verbotsgrundsatzes des § 1 durch die in den §§ 2 — 8 GWB enthaltenen Ausnahmeregelungen für bestimmte Kartellarten. Danach ist die Bildung von Konditionen-, Rabatt-, Strukturkrisen-, Rationalisie-rungs-, Spezialisierungs-, Ausfuhr-, Einfuhrsowie Sonderkartellen teils mit, teils ohne spezielle Erlaubniserteilung zulässig.
Da das Kartellverbot also nur für einen sehr begrenzten Bereich der Wirtschaft gilt, da es des weiteren lediglich Verträge nach der Gegenstandstheorie untersagt und durch zahlreiche Ausweichmöglichkeiten noch zusätzlich verwässert ist, kann man kaum von einer sonderlich ernst zu nehmenden Vorschrift sprechen. Die Kartellbehörden sind Kartellen gegenüber denn auch im allgemeinen machtlos. Beispielsweise leitete das Bundeskartellamt bis Ende 1966 mehr als 1400 Verfahren wegen Verdachts eines Verstoßes gegen § 1 GWB ein, vor der ersten Novellierung des Gesetzes kam es aber nur ein einziges Mal zur Verhängung eines Bußgeldes
Nicht weniger unzulänglich als die kartellrechtlichen Vorschriften sind die Vorschriften über marktbeherrschende Unternehmen. Sie enthalten keine Handhabe zur Kontrolle des internen noch des externen Wachstums von Firmen. Damit vergibt das GWB die Chance, Konzentrationsvorgänge systematisch zu beeinflussen. Statt dessen hat sich der Gesetzgeber mit der Normierung einer Anzeigepflicht für bestimmte Zusammenschlüsse begnügt. Auffallend ist, daß auch dieser Vorschrift das Marktmachtkonzept zugrunde liegt. Darin dokumentiert sich entweder Unkenntnis oder bewußte Außerachtlassung der Notwendigkeit, gerade dann absolute Größenkriterien zu berücksichtigen, wenn man sich einen Überblick über Stand und Trend der Unternehmenskonzentration verschaffen will.
Immerhin unterwirft das Kartellgesetz marktbeherrschende Unternehmen — wie auch anmeldepflichtige und genehmigte Kartelle — einer Mißbrauchsaufsicht. Es ist auf diese Weise bemüht, größere Unternehmen an einer mißbräuchlichen Gestaltung von Preisen, Konditionen und Koppelungsverträgen zu hindern. Die diesbezüglichen Vorschriften sind jedoch nur sehr vage formuliert. In ihnen spiegelt sich mit einer Deutlichkeit wie nirgends sonst in dem Gesetz die Problematik des Versuchs wider, „ökonomisch nicht immer ganz ausgegorene Begriffe in die knapp sitzenden Kostüme der deutschen Rechtswissenschaft zu zwingen . . § 22 GWB in der Fassung vom 27. 7. 1957 geht z. B. davon aus, daß ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es . keinem wesentlichen Wettbewerb'ausgesetzt ist. Dabei wird angenommen, daß man über ein Modell dessen verfügt, was wesentlicher Wettbewerb auf einem Markt ist. Ein solches Modell existiert aber nicht, zumindest nicht in praktikabler Form. Der Nachweis der Marktbeherrschung läßt sich deshalb nur in Ausnahmefällen führen.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Mißbrauchsaufsicht läßt sich nur handhaben, wenn man weiß, wann der Tatbestand des Mißbrauchs als erfüllt zu betrachten ist. Diesbezüglich läßt das GWB die Kartellbehörden indes im Unklaren. Es gibt keine exakten Hinweise darauf, was es unter einem Mißbrauch versteht. Das Bundeskartellamt ist aus diesem Grunde gezwungen, selbst die notwendige Konkretisierung des Mißbrauchsbegriffs zu leisten. Zweifellos liegt hier eine Überforderung der Behörde vor. Wie gering der konzentrationspolitische Gehalt des GWB in dieser Hinsicht ist bzw. war, wird überdies ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß von 138 Verfahren, in denen das Bundeskartellamt bis Ende 1966 nach § 22 ermittelte, 117 ergebnislos verliefen. Die restlichen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Ein Mißbrauch konnte erstmals 1967 festgestellt und durch die Erklärung der Unwirksamkeit eines Vertrages abgestellt werden
Als Resümee ist festzuhalten, daß bei dem GWB, so wie es am 1. Januar 1958 in Kraft trat, nicht von einem entscheidenden Schritt vorwärts in Richtung auf eine bewußte Konzentrationspolitik gesprochen werden kann. Zwar ist das Bemühen deutlich spürbar, mit dem Problem der Marktmacht fertig zu werden, d. h. aber nicht, daß die Gefahr des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht in überzeugender Weise eingeschränkt wurde. Dazu lehnten sich die
Vorschriften des Gesetzes viel zu starr an das Marktmachtkonzept der Ordoliberalen an. Darüber hinaus boten sie keine brauchbare Handhabe dafür, dieses Konzept in die Praxis umzusetzen.
2. Hintergründe zur Entstehung des GWB
Die Gründe für die Unvollkommenheit des Kartellgesetzes sind in dessen Entstehungsgeschichte zu suchen. In den ersten Nachkriegsjahren und auch in den ersten Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik erhielt die Debatte um das GWB noch Anstöße von dem weit verbreiteten Streben nach gesamtgesellschaftlichen Reformen. So sollte mit Hilfe einer konsequenten Antimonopolpolitik ein Dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus beschritten werden. Indes fehlte es an einer umfassenden, empirisch nachprüfbaren Theorie über die außerwirtschaftlichen Folgen einer ordoliberalen Wettbewerbspolitik. Das erschwerte eine Ausrichtung des Kartellgesetzes auch an gesellschaftspolitischen Bedürfnissen. Zudem bestand keine hinreichende Motivation, sich um die Erarbeitung der fehlenden theoretischen Grundlage zu bemühen, da der innen-und außenpolitische Druck zu Gesellschaftsre-formen mit der Entstehung und Zuspitzung des Ost-West-Konflikts allmählich nachließ. Dennoch wurden einzelne Themen außerökonomischer Art im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um das GWB mehr oder minder systematisch erörtert. Sie hatten allerdings nur eine Chance, politisch berücksichtigt zu werden, wenn dies dem wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik nicht hinderlich war
Es kann daher auch nicht verwundern, daß das primäre Ziel, das mit dem GWB verfolgt wurde, eine Steigerung des Sozialprodukts war. Erst in zweiter Linie wurde die Schaffung einer machtfreien Wirtschaft angestrebt. Selbst die Neoliberalen um Bundeswirtschaftsminister Erhard waren bereit anzuerkennen, daß ökonomische Leistungssteigerung in modernen Industriegesellschaften ein gewisses Maß an Konzentration erfordert. Sie leisteten aus diesem Grunde auch Widerstand gegen die Aufnahme von Fusionskontrollvorschriften in das Kartellgesetz, so wie sie die damals in dieser Frage noch mitspracheberechtigten Alliierten forderten. Voll wirkte sich bei den Neoliberalen die nie ganz preisgegebene Hoffnung, Freiheit — definiert als Abwesenheit von Macht und Herrschaft — und Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit miteinander in Einklang bringen zu können, nur in der Gegnerschaft gegen die Zulassung von Kartellen aus. In dieser Hinsicht vertraten Bundeswirtschaftsminister Erhard und die ihn in der Wettbewerbspolitik unterstützenden Kräfte ganz die von der neoklassischen Wettbewerbstheorie verfochtene Ansicht, jede Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit senke die Wettbewerbs-intensität und behindere damit das Wirtschaftswachstum, den technischen Fortschritt, die Schaffung neuer Produkte usw. Worauf es mithin ankomme, sei die Errichtung einer von Kartellen freien Wirtschaft. Liege keine derartige Wettbewerbsbeschränkung mehr vor, so müsse das Marktgeschehen automatisch optimale ökonomische Ergebnisse zeitigen.
Eine Unvereinbarkeit zwischen den Zielen Wettbewerbsfreiheit und Leistungssteigerung wurde für den Fall eines grundsätzlichen Verbots von Kartellen also nicht angenommen. Das war insofern erstaunlich, als man sich an eine Bekämpfung von Oligopolen und Monopolen nicht so recht heranwagte, weil man hier der umgekehrten Auffassung war. Man befürchtete nämlich, jedes Mehr an Wettbewerbsfreiheit mit einem Weniger an Effizienz erkaufen zu müssen
Die Forderung nach einem grundsätzlichen Verbot von Kartellen wurde zum Hauptstreitpunkt im Kampf um das GWB. Da sich dabei jede Position mit wissenschaftlichen Argumenten abstützen ließ, gestaltete sich der Konflikt um das Verbotsprinzip immer mehr zu einem Machtkampf zwischen Kartellgegnern und Kartellanhängern. Diesen Kampf verloren die Neoliberalen um Erhard. Das lag nicht zuletzt daran, daß es innerhalb des Regierungslagers von der Gesetzesberatungen eine Beginn an Opposition gegen die von dem Bundeswirtschaftsminister betriebene Politik eines möglichst weitgehenden Kartellverbots gab. Diese Opposition war sowohl in der Bundesregierung als auch im Bundesrat wie im Bundestag vertreten. Ihre Stärke wuchs in dem Maß, in dem die Besatzungsmächte aufhörten, auf die gesetzliche Verankerung einer ihnen genehmen, d. h. strengen Wettbewerbsordnung zu drängen. Besonders feinfühlig auf die außen-politischeAbhängigkeit der Bundesrepublik reagierte die CDU/CSU. Die Kartellbefürworter in ihren Reihen wurden deshalb auch erst dann zu einem ernst zu nehmenden Motor des Widerstands gegen die konzentrationspolitisch relevanten Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes, als keinerlei Gefahr mehr für eine alliierte Intervention in die bundesdeutsche Kartellpolitik bestand. Das war ab Ende 1952 der Fall Ferner war es vor allem die Opposition der Verbände, die mitverantwortlich dafür war, daß das GWB Anfang 1958 in einer völlig unzureichenden Fassung in Kraft trat. Von den Interessengruppen, die gegen eine Verbotsgesetzgebung ankämpften, erzielte der Bundes-verband der Deutschen Industrie die meisten Erfolge. Zahlreiche Neuschöpfungen wie das Rabattkartell, das Strukturkrisenkartell, das Typisierungsund Normierungskartell gingen auf seine Initiative zurück. Aber auch die mittleren und kleinen Interessenverbände hatten erheblichen Anteil an der Verwässerung des GWB. Für eine Verschärfung des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzentwurfes setzten sich hingegen nur wenige . pressure groups'wie die Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer mit Nachdruck ein. Selbst die Gewerkschaften wurden in dieser Richtung nicht sonderlich aktiv, da sie in der Wettbewerbspolitik keine Chance sahen, die drängenden gesellschafts-und sozialpolitischen Probleme im westlichen Nachkriegsdeutschland zu lösen
Die einzige Kraft auf parlamentarischer Ebene, die sich — wenn auch erst nach jahrelangem Zögern — geschlossen für den von Erhard vorgeschlagenen wettbewerbspolitischen Kurs einsetzte, war die SPD. Mit ihr zusammenzuarbeiten, waren die Kartellgegner im Regierungslager aber nur bedingt bereit. Aus parteipolitischen Gründen wollten sie das GWB im Jahr der Wahl 1957 lieber ohne die Hilfe der Sozialdemokraten im Bundestag verabschiedet wissen. Sie zogen deshalb eine durch koalitions-und parteiinterne Kompromisse bewirkte Verwässerung des Verbotsgrundsatzes einer Zusammenarbeit mit der SPD vor.
3. Die zweifache Novellierung des GWB
Wie kaum ein anderes Argument spricht gegen das GWB in der Fassung vom 27. 7. 1957, daß es keinerlei Handhabe bot, die rasche Zu-nähme der Unternehmenskonzentration — vornehmlich in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren — zu steuern bzw. in Einzelfällen zu unterbinden. Ebenfalls als für die Praxis nur bedingt tauglich erwiesen sich — wie erörtert — die kartellrechtlichen Vorschriften. Der Versuch, mit Hilfe der Wettbewerbspolitik Konzentrationspolitik zu betreiben, muß deshalb für die Vergangenheit weitgehend als gescheitert angesehen werden. Das ist von maßgebenden Politikern auch erkannt und mehr oder minder offen zugegeben worden. Bereits die ersten praktischen Erfahrungen mit dem Kartellgesetz zwangen die Bundesregierung, eine Novellierung der Vorschriften zur Kontrolle von Kartellen, Oligopolen und Monopolen vorzubereiten. Der vom Bundeswirtschaftsministerium erstellte Kartellbericht’ vom 22. 8. 1962 führte daher zu dem ersten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD vom 9. 6. 1964 Aus diesen Entwürfen entstand das Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 15. 9. 1965 Es trat am 1. 1. 1966 in Kraft. Die ursprüngliche Fassung des Kartellgesetzes wurde dadurch u. a. wie folgt geändert: — Erleichterung des Zulassungsverfahrens für Normen-, Typenund Spezialisierungskartelle; — Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über preisbindende Unternehmen; — Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen durch Erweiterung des Mißbrauchsbegriffs sowie Einfüihrung einer öffentlichen mündlichen Ver-handlung im Mißbrauchsverfahren; — Verschärfung der Vorschriften über die Anzeige von Unternehmenszusammenschlüssen durch Einführung absoluter Kriterien für die Meldepflicht sowie eines öffentlichen Anhö-rungsverfahrens bei bestimmten bedeutenden Zusammenschlüssen; — Ubertragung der Befugnis, Geldbußen festzusetzen, von'den Gerichten auf die Kartellbehörden.
So imposant dieser Katalog von Änderungen auf den ersten Blick erscheinen mag, die Chance, mit Hilfe des GWB die aus der Unternehmenskonzentration resultierenden Probleme zu meistern, verbesserte er kaum. Auch in der novellierten Fassung war das Gesetz ein schlechter Kompromiß. Im Bereich der Kartelle hatte die Regierung wesentlichen Erleichterungen Raum gegeben, im Bereich der marktbeherrschenden Unternehmen dafür aber keine grundlegenden Verbesserungen erwirkt. Allein mit einer Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über Monopole und Oligopole war den sich aus der Vermachtung der Wirtschaft ergebenden Gefahren nicht beizukommen.
Die Vorarbeiten für den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes ge-gen Wettbewerbsbeschränkungen begannen Ende 1967. Sie wurden bezeichnenderweise nicht mehr mit der Absicht aufgenommen, das Modell der vollständigen Konkurrenz in die Praxis umzusetzen. Es ging statt dessen nur noch um die Schaffung der Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb. In dieser Entwicklung spiegelte sich die /verstärkte Berücksichtigung neuerer wettbewerbstheoretischer Ansätze wider, so wie sie u. a. von Kantzenbach in seiner beachtenswerten Habilitationsschrift „Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs" (1966) vertreten werden. Danach sind es vor allem Anpassungsflexibilität und rasche Durchsetzung von Produkt-und Prozeßinnovationen, die die Wettbewerbspolitik zu ermöglichen hat. Entsprechende Forderungen trafen sich mit der Absicht Bundeswirtschaftsminister Schillers, die Konkurrenzverhältnisse stärker an den Erfordernissen des wirtschaftlichen Wachstums auszurichten Es gelang Schiller jedoch nicht, sich mit Unterstützung des Bundeskartellamtes, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Verbraucherverbände gegen die preisbindungsfreundlichen Mittelstandskreise in der CDU/CSU durchzusetzen. Vermittlungsversuche im Kreß-bronner Kreis scheiterten. Schiller zog daraufhin die gesamte Novelle zurück.
Neuerlich angekündigt wurde eine Überarbeitung des Kartellgesetzes in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969. Infolge der raschen Zunahme der nach § 23 GWB anzeigepflichtigen Fusionen war die Haltung gegenüber der Unternehmenskonzentration nun deutlich von einer gewissen Skepsis geprägt. Bundeskanzler Brandt führte damals vor dem Bundestag aus: „Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird modernisiert werden. Unternehmenskonzentration ist zwar in vielen Bereichen notwendig. Sie darf aber nicht zur Ausschaltung des wirksamen Wettbewerbs führen. Deshalb ist eine vorbeugende Fusionskontrolle erforderlich. Diese soll sich auf alle Bereiche der Wirtschaft erstrecken. Die Einrichtung einer unabhängigen Monopolkommission kann dazu ein wichtiges Instrument sein. Die Mißbrauchskontrolle marktbeherrschender und marktstarker Positionen muß ausgebaut werden. Dagegen soll die leistungssteigernde Ko-operation zwischen Mittel-und Kleinunternehmen, auch im Handwerk und Handel, erleichtert werden. Sie darf nicht an dem Verbot von Bagatellkartellen scheitern."
Jedoch erst am 14. 5. 1971 verständigten sich die Führungsspitzen der sozial-liberalen Koalition abschließend über die Grundzüge des geplanten Reformvorhabens. Ein entsprechender Regierungsentwurf wurde dem Bundestag am 18. 8. 1971 zugeleitet Wegen der vorzeitigen Parlamentsauflösung konnte er in der sechsten Wahlperiode jedoch nicht zu Ende beraten werden. Im siebten Bundestag wurde er durch die Fraktionen von SPD und FDP erneut eingebracht und im Sommer 1973 verabschiedet.
Am 4. 8. 1973 trat das GWB in seiner veränderten Fassung teilweise rückwirkend in Kraft. Die neu formulierten Bestimmungen entsprachen im wesentlichen den Ankündigungen zur Wettbewerbspolitik, die Brandt in seiner Regierungserklärung von 1969 gemacht hatte. Was die kurzfristig beschlossene Abschaffung der Preisbindung der zweiten Hand, die Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über Preisempfehlungen für Markenwaren sowie das Verbot von . abgestimmten Verhaltensweisen’ betrifft, war der Gesetzgeber sogar noch über die ursprünglich erklärte Absicht hinausgegangen. Mit dieser zweiten Novelle zum Kartellgesetz wurden Fehler der Vergangenheit endgültig korrigiert. Vor allem wurde das bis dahin bestehende Mißverhältnis zwischen den Vorschriften zur Kontrolle von Kartellen einerseits und den Vorschriften zur Kontrolle von Oligopolen und Monopolen andererseits abgebaut. Die, Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und die Einführung einer Zusammenschlußkontrolle sind deshalb besonders hervorzuheben. Das Gesetz ist dadurch in sich ausgewogener ge-worden.
Verschärft wurde die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen durch die Einfügung einer zusätzlichen Definition für den Begriff der Marktbeherrschung. Danach ist ein Unternehmen auch dann marktbeherrschend, wenn es über eine . überragende Marktstellung’ verfügt. Auf diese Weise soll die Feststellung des Monopol-bzw. Oligopoltatbestands als Voraussetzung für eine wirkungsvolle Handhabung der Mißbrauchsaufsicht erleichtert werden. Der Begriff . überragende Marktstellung'wird anhand von fünf Kriterien näher umschrieben. Es sind dies der Marktanteil, die Finanzkraft, der Zugang des Unternehmens zu den Beschaffungsund Absatzmärkten, die Verflechtung mit anderen Unternehmen und die Marktzutrittsschranken. Für die Marktanteile sind bestimmte Grenzen festgelegt worden: Bei Unternehmen mit mindestens einem Drittel Marktanteil für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen und mit mehr als 250 Mio DM Umsatzerlös im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr gilt die Vermutung der Marktbeherrschung: Bei Unternehmen, „die zwischen 100 und 250 Mio DM Umsatzerlöse im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr nachweisen, ist die Vermutung einer . überragenden Marktstellung’ im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern gegeben, wenn drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen von 50 vH und mehr haben oder wenn fünf oder weniger Unternehmen einen solchen Marktanteil von zwei Dritteln und mehr haben."
Von der Zusammenschlußkontrolle werden ausschließlich schwerwiegende Fälle erfaßt. Dabei ist es den Unternehmen zumeist freigestellt, den Zusammenschluß vor oder nach dem Vollzug anzumelden. Eine vorherige Anmeldung der Fusion ist lediglich dann zwingend vorgeschrieben, wenn an dem Zusammenschluß zwei oder mehr Umsatzmilliardäre beteiligt sind. Ausgeübt wird die Zusammenschlußkontrolle vom Bundeskartellamt. Die Behörde kann einen bereits vollzogenen Zu-
sammenschluß oder ein Zusammenschlußvorhaben aufgreifen, sobald sie auf beliebige Weise davon Kenntnis erhält; sie ist also weder an die Anzeige nach § 23 noch an die vorherige Anmeldung des Zusammenschlußvorhabens nach § 24 a gebunden. Stellt sie fest, daß durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, so untersagt sie die Fusion, es sei denn, die beteiligten Unternehmen weisen nach, daß durch den Zusammenschluß auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und daß diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. Untersagt das Bundeskartellamt einen Zusammenschluß, so können die betroffenen Unternehmen innerhalb eines Monats beim Bundes-wirtschaftsminister den Antrag stellen, den Zusammenschluß dennoch zu genehmigen. Eine entsprechende Erlaubnis zu erteilen, ist der Minister befugt, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluß durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
4. Fazit zur Wettbewerbspolitik
Trotz der unverkennbaren Verbesserungen am GWB bleibt abzuwarten, ob es künftig den erhofften positiven Beitrag zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht — speziell der Marktmacht — wird leisten können. Eine gewisse Skepsis erscheint angebracht: Die ersten Erfahrungen mit den neuen Vorschriften über die Mißbrauchsaufsicht bei marktbeherrschenden Unternehmen haben gezeigt, daß es nach wie vor außerordentlich schwierig für das Bundeskartellamt ist, die auf diesem Gebiet gehegten Erwartungen zu erfüllen. Die Versuche, während der Ölkrise im Winter 1973/74 die Mineralöl-konzerne von einer als mißbräuchlich empfundenen Preisgestaltung abzuhalten, haben dies hinreichend verdeutlicht. Was die Zusammenschlußkontrolle angeht, so kann auf sie die Dauer nur erfolgreich sein, wenn die demgemäßen Entscheidungen der Kartellbehörde vom Bundeswirtschaftsminister akzeptiert und nicht revidiert werden. Sondergenehmigungen, wie sie der Minister anläßlich der Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung an der Gelsenberg AG durch den Bund im Februar 1974 erteilt hat dürfen nicht zum Regelfall werden. Schließlich ist in Rechnung zu stellen, daß , abgestimmte Verhaltensweisen'zwar untersagt, die Bestimmungen über das Kartellverbot durch Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen im übrigen aber weiter abgemildert worden sind.
Immerhin hat man mit der Neufassung des GWB einige bemerkenswerte Konsequenzen aus den wettbewerbspolitischen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte gezogen:
1. Die Hoffnung, das marktwirtschaftlich-kapitalistische System vornehmlich mit Hilfe von Vorschriften zur Ordnung des Wettbewerbs menschenwürdiger gestalten, d. h. von den Gefahren befreien zu können, die aus der Unternehmenskonzentration resultieren, ist, wenn schon nicht vollständig, so doch weitgehend aufgegeben worden.
2. Dementsprechend haben sich die außer-ökonomischen Erwartungen, die an das Kartellgesetz geknüpft werden, reduziert. Angesichts des Fehlens einer empirisch überprüfbaren und zugleich praxisnahen Theorie über den Zusammenhang von Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung konnte dies auch kaum ausbleiben. 3. Daß das GWB in erster Linie der Effizienzsteigerung und der Wachstumsförderung zu dienen hat und daß die Unternehnenskonzen-tration der Verwirklichung dieses Ziels nicht unbedingt entgegensteht, wird heute offener als in der Vergangenheit zugegeben.
4. Die Wettbewerbspolitik ist damit nicht nur ehrlicher, sondern in ihrer konzentrationspolitischen Zielsetzung auch bescheidener geworden. Es geht nicht mehr so sehr um ein im großen und ganzen sowieso nur postuliertes und nicht praktiziertes Verbot wirtschaftlicher Machtkörper als vielmehr um die Nutzbarmachung von Kartellen und Großunternehmen für den angestrebten funktionsfähigen Wettbewerb. 5. Die Kartellproblematik steht nicht länger im Vordergrund des wettbewerbspolitischen Interesses. In Übereinstimmung mit der Bedeutung, die den Monopolen und Oligopolen für die Konzentration in der Wirtschaft zukommt, wird diesen nunmehr erhöhte Aufmerksamkeit entgegengebracht.
6. Die neue, sich bewußt an Realisierbarem orientierende Wettbewerbspolitik hat sich von ordoliberalen Konkurrenzvorstellungen weit entfernt. Sie hat diese als inpraktikabel er-kannt. Wettbewerbsmodelle, die nicht so sehr auf die Marktstruktur als vielmehr auf die Marktergebnisse abgestellt sind, gewinnen mit ihr mehr und mehr an Einfluß. 7. Um wettbewerbspolitische Meinungsverschiedenheiten soweit wie möglich frühzeitig ausräumen zu können, hat das Bundeswirtschaftsministerium bei der Vorbereitung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB erstmals das sogenannte offene Verfahren angewandt. Dadurch wurde allen an dem Novellierungsvorhaben Interessierten — insbesondere den Verbänden — Gelegenheit gegeben, bereits im Stadium der Erarbeitung der Referentenentwürfe systematisch auf Form und Inhalt des künftigen Kartellgesetzes einzuwirken. Das Ergebnis war ein gegenüber den fünfziger Jahren brauchbareres und in der Öffentlichkeit wohl auch glaubwürdigeres Gesetz.
Rüdiger Robert, geb. 1945, Dipl-Pol., Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie an der FU Berlin und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; seit 1971 Assistent am Seminar für Politikwissenschaft der Universität Münster.
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