Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Ziele, Mittel und Strategien der schweizerischen Außenpolitik | APuZ 27/1975 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 27/1975 Artikel 1 Ziele, Mittel und Strategien der schweizerischen Außenpolitik Finnlands aktive Neutralitätspolitik in den siebziger Jahren Möglichkeiten und Grenzen der Außenpolitik eines neutralen Staates

Ziele, Mittel und Strategien der schweizerischen Außenpolitik

Alois Riklin

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ausgangspunkt ist ein theoretischer Bezugsrahmen, der am Beispiel der schweizerischen Außenpolitik erprobt wird, jedoch auch zur Analyse der Außenpolitik anderer Länder Verwendung finden kann. Dieser Analyse-Leitfaden umfaßt fünf Bezugskategorien: 1. Die Zielsetzung kann ein-, zwei-oder mehrdimensional sein. 2. Die „Beziehungsmacht" umfaßt den Einfluß eines Landes auf das eigene Schicksal und das Schicksal anderer sowie die Abhängigkeit des betreffenden Landes vom Einfluß anderer. Drei Situationen sind denkbar: Gleichgewicht von Einfluß und Abhängigkeit, Übergewicht des Einflusses und Übergewicht der Abhängigkeit. 3. Einflüsse und Abhängigkeiten beziehen sich auf einen bestimmten Raum („Beziehungsraum"). Sie können konzentriert, regional gestreut oder universell gestreut sein. 4. Die Kategorie „Beziehungsdichte" erfaßt die Intensität der Einflüsse und Abhängigkeiten. Das Spektrum reicht von der Trennung über die zwischenstaatliche Bindung zur überstaatlichen Bindung. 5. Schließlich wird der sachliche Geltungsbereich in die Kategorie „Beziehungsbereich" eingefangen, wobei drei Stufen (unpolitisch — politisch — sicherheitspolitisch) unterschieden werden. Die traditionelle schweizerische Außenpolitik beruht auf der eindimensionalen Zielsetzung der Unabhängigkeitsbehauptung. Die Beziehungsmacht des Kleinstaats ist durch ein Einflußdefizit gekennzeichnet. Das Schwergewicht der Beziehungen liegt im westeuropäisch-atlantischen Raum. Die Beziehungsdichte in diesem Raum ist relativ hoch. Der Beziehungsbereich ist durch Dynamik im „wirtschaftlichen" und Zurückhaltung im sicherheitspolitischen Bereich gekennzeichnet. Die künftige schweizerische Außenpolitik sollte einer mehrdimensionalen Zielsetzung folgen: Frieden in Unabhängigkeit unter Wahrung der Menschenrechte. Die Solidarität kommt darin zum Ausdruck, daß sich die Schweiz im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten des Kleinstaates für den Frieden in der Welt, für die Verwirklichung der Menschenrechte und für die Achtung der Unabhängigkeit anderer Staaten, insbesondere der Kleinstaaten, einsetzt. Neutralität, Universalität und Disponibilität sind keine Ziele, sondern Mittel im Dienste dieser mehrdimensionalen Zielsetzung. Das Einflußdefizit der Schweiz sollte möglichst verringert, mindestens nicht vergrößert werden. Die regionale Streuung sollte durch eine tendenziell universelle Streuungsstrategie korrigiert werden. Die Kooperationsbereitschaft sollte verstärkt werden durch zwischenstaatliche und überstaatliche Bindungen, unter Umständen auch in machtpolitisch relevanten Bereichen.

I. Zielorientierte Außenpolitik

Abb. 1: Zieldimensionen

Artikel 2 der Bundesverfassung proklamiert die „Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen außen" als ersten Zweck der Eidgenossenschaft und damit zugleich als Ziel der schweizerischen Außenpolitik.

Abb. 5: Beziehungsbereich

Was heißt das heute: Behauptung der Unabhängigkeit? Wieweit ist das Unabhängigkeitsziel für einen Kleinstaat überhaupt realisierbar, wenn doch feststeht, daß sich die Schweiz im Spannungsfeld von Independenz, Interdependenz und Dependenz, von Unabhängigkeit, Zwischenabhängigkeit und Abhängigkeit, von Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Fremdbestimmung befindet? In welchem Verhältnis steht das Unabhängigkeitsziel zu den außenpolitischen „Maximen" der dauernden Neutralität, der Solidarität, Universalität und Disponibilität? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Unabhängigkeitsziel für das außenpolitische Verhalten der Schweiz? Ist das in der Verfassung von 1848 proklamierte Unabhängigkeitziel noch zeitgemäß? Sind allenfalls noch andere Ziele neben das Unabhängigkeitsziel zu stellen? Das sind die Fragen, die im folgenden diskutiert werden sollen.

Abb. 6: Leitfaden zur Analyse der Außenpolitik

Um diese Fragen einer Lösung näherzubringen, wird der folgende Gedankengang eingeschlagen: Zunächst soll die Abhandlung in einen theoretischen Bezugsrahmen eingefaßt werden. Sodann wird die gegenwärtige Stellung der Schweiz im internationalen System untersucht. Darauf folgt ein Ausblick in die zukünftige schweizerische Außenpolitik. Überlegungen über das Verhältnis von Realismus und Idealismus in der schweizerischen Außenpolitik beschließen die kleine „Grundlegung der schweizerischen Außenpolitik“

II. Theoretischer Bezugsrahmen

INHALT I. Zielorientierte Außenpolitik II. Theoretischer Bezugsrahmen 1. Zielsetzung 2. Beziehungsmacht 3. Beziehungsraum 4. Beziehungsdichte 5. Beziehungsbereich 6. Zusammenfassung III. Lagebeurteilung 1. Zielsetzung — Eindimensionalität 2. Beziehungsmacht — Starker Kleinstaat 3. Beziehungsraum — Priorität des westeuropäisch-atlantischen Raumes 4. Beziehungsdichte — Faktische Integration ohne Mitbestimmung 5. Beziehungsbereich — Sicherheitspolitische ohne wirtschaftspolitische Trennung 6. Zusammenfassung I?

Der im folgenden skizzierte theoretische Bezugsrahmen dient der Entwicklung eines Leitfadens für eine zielorientierte Analyse der Außenpolitik eines Landes. Zu diesem Zweck werden fünf Bezugskategorien eingeführt: Zielsetzung, Beziehungsmacht, Beziehungsraum, Beziehungsdichte und Beziehungsbereich. 1. Zielsetzung:

Tabelle 1: Auslandsabhängigkeit der Schweiz im Energiesektor im Vergleich mit anderen Industriestaaten (1968— 1971)࣪

Zieldimensionen: Die Zielsetzung der Außenpolitik eines Landes kann eindimensional (z. B. Unabhängigkeit), zweidimensional (z. B. Un-abhängigkeit, Friede) oder mehrdimensional (z. B. Unabhängigkeit, Friede, Menschenrechte) sein.

Abbildung 9

Zielbeziehungen: Im Falle einer zwei-oder mehrdimensionalen Zielsetzung stellt sich das Problem der Zielbeziehungen. Die verschiedenen Ziele können im Verhältnis der Harmonie, der Indifferenz oder der Antinomie zueinander stehen. Auch ist denkbar, daß sich Ziele bis zu einem bestimmten Zielerreichungsgrad harmonisch, ab diesem Zielerreichungsgrad aber antinomisch verhalten. Im Fall von Antinomien müssen Prioritäten gesetzt werden.

Tabelle 2: Rangfolge ausgewählter Staaten im Weltvergleich (Zehnerklub, Indien, VAR, China, Sowjetunion)

Zieloperationalität: Die Definition der Ziele bereitet oft Schwierigkeiten. Je abstrakter die Zieldefinition, um so größer die Tendenz zur Leerformel Die Ziele sollten operational, das heißt so definiert sein, daß sie als Anleitung zum Handeln und Maßstab des Handelns dienen können.

Tabelle 3: Rangfolge ausgewählter Staaten im Vergleich zueinander (Zehnerklub, Indien, VAR, China, Sowjetunion) Quelle 1, S. 299 ff.

Ziele und Mittel: Ziele und Mittel zur Erreichung dieser Ziele sind klar voneinander zu trennen. Sind die Neutralität, die Solidarität, die Universalität, die Disponibilität Ziele oder Mittel der schweizerischen Außenpolitik?

Tabelle 4: Rangordnung der 25 wichtigsten Partner der Schweiz nach der Interaktionsdichte

Zielrealisierbarkeit: Es gibt wünschenswerte Ziele, deren Realisierungschance von sicher bis unmöglich reicht oder die ganz oder teilweise oder überhaupt nicht realisiert werden können. Bedingung soll sein, daß die Ziele mindestens teilweis realisierbar erscheinen. Demzufolge ist zu fragen, welche außenpolitischen und innenpolitischen Gegebenheiten die anvisierten Ziele fördern oder hemmen. 2. Beziehungsmacht:

Tabelle 5: Schweizerischer Außenhandel 1973

Macht soll hier verstanden werden als die Fähigkeit einer politischen Einheit, einer oder mehreren politischen Einheiten ihren Willen aufzuzwingen (offensive Macht) oder sich dem Willen einer oder mehrerer politischen Einheiten zu widersetzen (defensive Macht). „Politische Einheiten" können Staaten sein, aber auch nichtstaatliche Machtträger wie z. B. Staatenverbindungen, Befreiungsbewegungen, multinationale Unternehmen usw.

Tabelle 6: Faktische Integration der Schweiz in die Europäischen Gemeinschaften (Neuner-Gemeinschaft) im Vergleich mit anderen europäischen Staaten gemessen am Pro-Kopf-Warenverkehr (Jahr 1971)

Macht ist also immer das Ergebnis einer Beziehung zwischen zwei oder mehreren politischen Einheiten. Diese Beziehungsmacht ist abhängig einerseits von den Machtfaktoren, das heißt den „Kräften" dem Machtpoter tial, den Ressourcen, die den beteiligten pol tischen Einheiten zur Verfügung stehen, and rerseits von der Machtkonstellation.

Tabelle 7: Beschäftigte ausländische Arbeitskräfte in °/o der beschäftigten Arbeitnehmer insgesamt in der Schweiz und in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften

Solche Machtfaktoren sind insbesondere di Wirtschaftspotential, das Militärpotential, d Leistungsfähigkeit des wirtschaftlichen ui politischen Systems, die Qualität der Regi renden, die Loyalität der Regierten, die ge politische Lage usw.

Tabelle 8: Rangfolge der Länder, in denen sich die größte Anzahl der Haupt-und Nebensitze Internationaler Organisationen befinden (Stand Ende 1971)

Zwischen der Summe der Machtfaktoren m der Beziehungsmacht besteht nun aber ke proportionales Verhältnis. Die Steigerung d Kräfte führt nicht unbedingt zu einer Erh hung der Beziehungsmacht Dieses Phän men hängt teilweise mit dem Grenznutze teilweise mit der Machtkonstellation zusar men. Die Machtkonstellation kann infol von Abschreckung, „Balance of Power", Bün nispolitik und Beziehungsdichte Disproporti nalitäten bewirken, so daß eine „Großmadi ohnmächtig und ein Kleinstaat mächtig se kann.

Abb. 7 Neutralitätspolitik (NP)

Das Resultat der Beziehungsmacht ist der Ei fluß einer politischen Einheit auf das eigei und das Schicksal anderer bzw.deren Abhä gigkeit vom Einfluß anderer. Kein Staat i völlig unbeeinflußt. Entscheidend ist das Grö-Benverhältnis von Einfluß und Abhängigkeit. Drei Situationstypen sind denkbar: Entweder es besteht ein Gleichgewicht von Einflüssen (E) und Abhängigkeiten (A), oder es besteht ein Ungleichgewicht, sei es daß die Einflüsse oder sei es daß die Abhängigkeiten überwiegen.

Diese statische, situationsbezogene Betrachtung ist zu ergänzen durch eine dynamische, prozeßbezogene: Eine Politik, die darauf abzielt, ein Übergewicht von E zu erreichen oder zu vergrößern, nennen wir imperialistisch. Eine Politik, die ein bereits bestehendes Über-gewicht an E zu bewahren versucht, nennen wir imperial. Eine Politik, die der Erhaltung oder Erreichung eines Gleichgewichts von E und A dient, nennen wir symmetrisch. Die Tendenz der imperialen und imperialistischen Politik ist demgegegenüber asymmetrisch 3. Beziehungsraum:

Einflüsse und Abhängigkeiten einer politischen Einheit beziehen sich auf einen bestimmten Raum. Unter diesem Gesichtspunkt der räumlichen Dimension können zwei Strategien unterschieden werden: die Konzentrationsstrategie und die Streuungsstrategie.

Die Konzentrationsstrategie konzentriert die Einflüsse bzw. die Abhängigkeiten auf eine einzige politische Einheit oder auf wenige Einheiten. So kann eine Großmacht im Sinne des Prinzips der Kräftekonzentration ihren Einfluß auf einen beschränkten Raum konzentrieren, um ihn hier um so uneingeschränkter zur Geltung zu bringen. Oder es kann sich ein Kleinstaat in die Abhängigkeit eines einziges Landes begeben, um dessen Schutz zu erlangen und sich damit dem Einfluß anderer zu entziehen.

Die Streuungsstrategie verteilt Einflüsse und Abhängigkeiten auf mehrere politische Einheiten. Protagonisten der Entwicklungsländer empfehlen den entwickelten Ländern, ihre Kräfte bewußt zu verzetteln, um damit den Entwicklungsländern eine faire Chance zur Erlangung der Unabhängigkeit zu gewähren. Umgekehrt kann ein Kleinstaat versuchen, seine Abhängigkeiten so zu streuen, daß die rivalisierenden Großmächte gerade so viel Interesse an ihm haben, um sich gegenseitig an der Einflußnahme zu hindern.

Die Streuung kann sich auf eine bestimmte Region beziehen (regionale Streuungsstrategie), oder sie kann sich im weltweiten Rahmen abspielen (universelle Streuungsstrategie).

Die Konzentrationsstrategie entspricht überwiegend einer asymmetrischen, die Streuungsstrategie meist einer symmetrischen Politik. Für einen Kleinstaat ist die Streuungsstrategie bzw. die symmetrische Politik nicht in jeder Lage die zweckmäßigste, nämlich dann nicht, wenn das Interesse des Kleinstaats am Schutz vor anderen so groß ist, daß die Abhängigkeit von einer bestimmten Großmacht als das kleinere Übel erscheint. Ein Kleinstaat kann also durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse eine asymmetrische Konzentrationsstrategie wählen. 4. Beziehungsdichte In bezug auf die Beziehungsdichte, die Beziehungsintensität, sind zwei Strategien denkbar: die Trennungsstrategie und die Bindungsstrategie Die Trennungsstrategie tendiert zur Isolation, die Bindungsstrategie zur Zusammenarbeit.

In bezug auf den Grad der Bindung sind freilich erhebliche Abstufungen möglich. Dieser Bindungsgrad kann gemessen werden einerseits an der Zahl, dem Volumen, dem Ausmaß der Interaktionen im zwischenstaatlichen und transnationalen Bereich {Waren-, Dienstleistungs-, Personen-, Kapital-und Zahlungsverkehr, Brief-und Druckschriftenaustausch, diplomatische Kontakte, Verkehrsdichte auf Straßen-, Schienen-, Wasser-und Luftwegen usw.), andererseits an der Entscheidungsstruktur Das zweite bedarf der Erklärung.

Die Entscheidungsstruktur kann zwischenstaatlich oder überstaatlich sein Eine zwischenstaatliche Bindung ist dann gegeben, wenn ein Staat im Rahmen einer Staatenverbindung das Vetorecht besitzt, das heißt, nicht gegen seinen Willen zu irgendeinem Tun oder Unterlassen verpflichtet werden kann. überstaatliche Bindung bedeutet demgegenüber, daß ein Staat im Rahmen der auf eine Staatenverbindung übertragenen Kompeten zen ganz oder teilweise auf das Vetorecht verzichtet, daß er also gegen seinen Willen zt einem bestimmten Tun oder Unterlassen ver pflichtet werden kann. Die Uberstaatlichkei ist freilich erst dann gesichert, wenn sich dei betreffende Staat einem überstaatlich zustan de gekommenen Entscheid nicht durch der Austritt aus der Staatenverbindung entziehet kann; die Abschaffung des Beschlußvetos be darf der Absicherung durch die Beseitigung des Austrittsvetos Überstaatliche Entscheidungen können durch drei Verfahren erreicht werden: 1. Das Mehrheitsentscheidungsrecht eines diplomatischen, aus Regierungsvertretern zusammengesetzten Organs, wobei die beteiligten Staaten entweder über das gleiche oder über ungleiches Stimmgewicht (Stimmwägung) verfügen; 2. das selbständige Entscheidungsrecht eines unabhängigen, aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammengesetzten Organs; 3. das Mitentscheidungsrecht eines unabhängigen Organs. Materiell kann sich die Überstaatlichkeit auf rechtsetzende, rechtsprechende oder exekutive Kompetenzen beziehen.

Es ist nicht immer leicht, den zwischen-oder überstaatlichen Charakter einer Bindung festzustellen. Selbstverständlich wäre es irreführend, allein auf das Statut einer Staatenverbindung abzustellen. Eine zwischenstaatlich konzipierte Bindung kann in Wirklichkeit eine überstaatliche Entscheidungsstruktur haben (De-facto-Überstaatlichkeit) und umgekehrt. Ebenso wäre es irreführend, den Grad der Überstaatlichkeit beispielsweise an der Zahl der Mehrheitsbeschlüsse abzulesen. Denn das Mehrheitsprinzip kann sich indirekt auswirken, indem die Möglichkeit, überstimmt zu werden, die Kompromißbereitschaft erhöht. 5. Beziehungsbereich:

Die Bedeutung der Beziehungsdichte ist abhängig vom sachlichen Geltungsbereich, von der Reichweite, der Dimension der Beziehung. Ein Staat kann sich in unpolitischen, technischen Fragen sehr kooperations-, ja integrationswillig zeigen, in machtpolitisch relevanten Bereichen dagegen eine Trennungsstrategie befolgen. Es ist also zu unterscheiden, ob der Beziehungsbereich machtpolitisch relevant oder irrelevant ist, und — nicht zuletzt mit Blick auf das Neutralitätsrecht —, wenn machtpolitisch relevant, ob es sich um eine sicherheitspolitische Bindung handelt oder nicht. 6. Zusammenfassung:

Die Zusammenfassung der fünf Bezugskategorien ergibt einen Leitfaden zur Analyse der gegenwärtigen oder künftigen Außenpolitik eines Landes (Abb. 6). Er dient als Grundlage für die folgende Lagebeurteilung und den anschließenden Ausblick in die zukünftige schweizerische Außenpolitik.

III. Lagebeurteilung

Abb. 2: Beziehungsmacht

1. Zielsetzung — Eindimensionalität:

Die traditionelle Zielsetzung der schweizerischen Außenpolitik ist eindimensional. Die Verfassung von 1848/74 nennt an erster Stelle das Unabhängigkeitsziel. Selbst wenn man die andern Ziele des Zweckartikels der Bundesverfassung („Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt") nicht nur als innenpolitische, sondern auch als außenpolitische Aufgaben versteht, so kennt die Verfassung doch nur die nationale Dimension Missio-narischer und solidarischer Publizistik zum Trotz bewegte sich die Diplomatie des schweizerischen Bundesstaates bis heute überwiegen im Rahmen nationalegoistischer Staatsräson. Selbst in der hochgemuten Zeit der Frie denserwartung unmittelbar nach dem Erster Weltkrieg hielt der Bundesrat daran fest: „Un ser höchstes politisches Gut ist die Unabhängigkeit."

Diese Zielbestimmung läßt sich bis zu den jüngsten Richtlinien der Regierungspolitik verfolgen, in denen die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit als „unser wichtigster außenpolitischer Auftrag" bezeichnet wird. Ein schweizerischer Beitrag zur internationalen Friedenssicherung wird zwar „nicht ausgeschlossen" der Friede ist aber, im Gegensatz zur Unabhängigkeit, „für sich allein kein Ziel" Die internationale Solidarität wurde zur „Maxime" schweizerischer Außenpolitik erhoben, aber als „Ausdruck einer richtig verstandene Politik zur Wahrung der Unabhängigkeit"

Die tatsächliche Relativität der schweizerischen Unabhängigkeit, das Geflecht wechselseitiger und einseitiger Abhängigkeiten, wird freilich je länger, je weniger verkannt. Von einer „absoluten Unabhängigkeit" könne . nur noch mit Vorbehalt" (!) gesprochen werden; Wahrung der Unabhängigkeit umfasse demzufolge „auch die Sicherstellung eines gewissen Gleichgewichtes in der zunehmenden Interdependenz“ Das Recht des einzelnen Staates auf Unabhängigkeit werde in der heutigen Welt durch die Bedürfnisse der Staatengemeinschaft eingeschränkt im Sinne einer gegenseitigen Abhängigkeit, welcher die Schweiz wie jeder andere Staat unterliege; obwohl sie in Ausübung ihrer Souveränität die Außenpolitik autonom gestalte, müsse sie doch häufig eine Synthese suchen zwischen dem Bestreben, unabhängig zu sein, und den politischen Realitäten, die sie veranlassen, auch der weiteren Umwelt Rechnung zu tragen Die Unabhängigkeit habe „daher nicht mehr den gleichen Sinn, der ihr früher zu-kam"; sie sei untrennbar mit der Zusammenarbeit verbunden und könne nur durch einen „ausgewogenen Austausch von Leistungen aufrechterhalten werden, indem wir Dritten ebenso nützlich sind, wie es diese für uns sind" Jedoch müsse alles unternommen werden, um nicht in die Abhängigkeit einer einzigen Macht oder Staatengruppe zu geraten-

Die hleutralit, ät wird demgegenüber nicht als Ziel, sondern als Mittel zum Zweck der Unabhängigkeitsbehauptung verstanden. Im Gegensatz zu den Verfassungsentwürfen von 1832/33 findet sich die Neutralität im Zweckartikel der Bundesverfassung von 1848 nicht. Ein entsprechender Antrag wurde von der Tagsatzung mit der Begründung verworfen, man könne nicht wissen, ob die Neutralität „einmal im Interesse der eigenen Selbständigkeit verlassen werden müsse"; sie sei ein „Mittel zum Zweck", eine zur Zeit „angemessen erscheinende Maßregel, um die Unabhängigkeit der Schweiz zu sichern" Auch in den jüngsten Richtlinien der Regierungspolitik wird betont, daß die Neutralität seit 1815 „Richtlinie, aber nicht Selbstzweck der schweizerischen Außenpolitik“ gewesen sei; sie sei eines der Mittel zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Die frühere Rolle der Neutralität als Mittel zur Wahrung des inneren Friedens und inneren Zusammenhalts der Schweiz hat heute an Bedeutung verloren.

In der Nachkriegszeit wurde die Neutralität durch die „Maximen" „Prinzipien", „Richtlinien" der Solidaritä Universalität und Disponibilität ergänzt. Audi sie haben Mittelcharakter. Wenn die Richtlinien der Regierungspolitik von 1968 noch einen Zweifel am Vorrang des Unabhängigkeitsziels offenließen, so wurde er in der Parlamentsdebatte jedoch ausgeräumt Solidarität wird definiert als „die grundsätzlich kein Land ausschließende Bereitschaft zu gegenseitigen Leistungen im ausgewogenen Interesse aller jeweils betroffenen Parteien" Universalität bedeutet die Aufnahme und Aufrechterhaltung von diplomatischen Beziehungen mit möglichst allen Staaten, ungeachtet ihres politischen Regimes und ihrer Politik Disponibilität wird verstanden als Verfügbarkeit zur Leistung guter Dienste

Der Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Neutralität ist aber mit der Erklärung als Ziel-Mittel-Beziehung nicht ausgeschöpft. Die Unabhängigkeit ist zugleich Voraussetzung der Neutralität

Aus ausländischer Sicht interessiert wenig« die Unabhängigkeits-als die Friedensfunktion der Neutralität Der Bundesrat hat sich dieser Sicht in an das Ausland gerichteten Adressen mitunter angepaßt, insbesondere gegenüber dem Völkerbund und der EWG 2. Beziehungsmacht — Starker Kleinstaat: Die Schweiz ist ein Kleinstaat, aber ein starker Kleinstaat. Im Vergleich zu den Welt-, Groß-und Mittelmächten hat sie wenig offensive Macht, das heißt, sie ist kaum in der Lage, anderen ihren Willen aufzuzwingen. Ihre Schwäche liegt vor allem im geringen Autarkiegrad, der zwar in „normalen" Zeiten nicht so bedenklich ist, wohl aber in Krisen-und Kriegszeiten. Die Schweiz ist in bezug auf Arbeitskräfte ZU 27 °/o Rüstungsgüter zu 30 0/0 Nahrungsmittel zu 45 0/o Fremdenverkehr zu 50 0/0 Energie zu 82 0/o Rohstoffe zu 100% (annähernd) auslandsabhängig (vgl. Tab. 1 und Tab. 7). Auch wenn man berücksichtigt, daß die Importgüter in Notzeiten zum Teil rationierbai und substituierbar wären, so bleibt doch eine erhebliche Auslandsabhängigkeit und das heißt Versorgungsunsicherheit. Dieses Ange wiesensein auf den Import von Rohstoffen Energie usw. beeinflußt die Exportfähigkeit auf der unser Wohlstand maßgeblich beruht Dabei ist zu beachten, daß der Anteil der Aus fuhr an der Inlandproduktion enorm hoch ist er belief sich in den Jahren 1969— 1972 in de: Textil-und Bekleidungsindustrie auf 60— 95°/« Maschinen-und Apparateindutsrie auf 70°/» Chemische und pharmazeutische Industrie auf 90 °/o Uhrenindustrie auf 95 °/o.

Die Schweiz teilt in dieser Beziehung das Schicksal aller industrialisierten Kleinstaaten. Doch ist die Selbstversorgungsfähigkeit der Schweiz — bedingt durch Binnenlage, karge Bodenbeschaffenheit, Rohstoffarmut und Arbeitskräftemangel — besonders gering. Erschwerend kommt hinzu, daß die Autarkie tendenziell sinkt. So ist der Anteil der Binnen-wirtschaft am Bruttosozialprodukt von 72 °/o in den Jahren 1960— 1962 auf 65°/o in den Jahren 1968— 1970 gesunken.

Auf der anderen Seite verfügt die Schweiz doch über eine gewisse politische, vor allem wirtschaftspolitische, aber auch sicherheitspolitische Defensivmacht. Verglichen mit den rund 140 Staaten der Erde steht die Schweiz zwar in bezug auf das Territorium und die Bevölkerungszahl in den hinteren Rängen, ist aber in verschiedenen anderen politisch relevanten Bereichen bis ins Spitzenfeld vorgestoßen (vgl. Tab. 2, 3 und 8

Im Gegensatz zu einem schwachen Kleinstaat, der weder offensive noch defensive Macht be-sitzt, kann die Schweiz als starker Kleinstaat qualifiziert werden, der zwar kaum über offensive Macht, wohl aber über eine gewisse Defensivmacht verfügt. 3. Beziehungsraum — Priorität des westeuropäisch-atlantischen Raumes:

Versteht man unter dem Prinzip der Universalität mehr als nur die Aufnahme und Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen mit möglichst allen Staaten, so ist es eine Fiktion. Denn die Intensität der Beziehungen der Schweiz ist räumlich höchst ungleichmäßig verteilt. Wirtschaftspolitisch, gesellschaftspolitisch, ideologisch, in bezug auf die Herkunft der militärischen Rüstungsgüter usw. ist die Schweiz einseitig mit einer bestimmten Mächtegruppe verbunden, nämlich den westlichen Industriestaaten. Tabelle 4, die einer Untersuchung von Daniel Frei entnommen ist und in der die Intensität des Außenhandels, der Briefkommunikation und der offiziellen Beziehungen verglichen werden, zeigt mit frappanter Deutlichkeit, daß durchweg die folgenden fünf Staaten an der Spitze der Rangfolge stehen: Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, USA, Italien und Großbritannien. 88 % aller Importe der Schweiz wurden 1973 aus den nichtkommunistischen Industriestaaten bezogen; 74 % aller Exporte der Schweiz gingen in diese Länder (Tab. 5). 91 °/o der Di-rektinvestitionen des Auslandes in der Schweiz stammten 1968 laut Angaben des Integrationsbüros der Bundesverwaltung aus dem EWG-Raum (53 0/o bzw. 2, 1 Mrd. Fr.) und den USA (38 0/o bzw. 1, 5 Mrd. Fr.). 4. Beziehungsdichte — Faktische Integration ohne Mitbestimmung:

Zwei Unterschiede zwischen der heutigen Stellung der Schweiz und der Situation zur Zeit der Verfassungsgründung müssen besonders hervorgehoben werden. Erstens war die Schweiz zwar auch im 19. Jahrhundert alles andere als autark, aber die Interdependenz ist seither gewachsen. Zweitens vollzieht sich die internationale Entscheidungsbildung immer weniger im bilateralen, sondern zunehmend im multilateralen Rahmen organisierter Staatenverbindungen. Als Nichtmitglied wichtiger Staatenzusammenschlüsse riskiert die Schweiz, von den Beschlüssen dieser Organisationen mitbetroffen zu werden, ohne auf deren Formulierung Einfluß nehmen zu können. Die faktische Interdependenz tendiert damit zur Dependenz mangels Mitbestimmung.

Das gilt in besonders hohem Maß für die Beziehungen der Schweiz zu den Europäischen Gemeinschaften. 1973 bezog die Schweiz 78 °/0 aller Importe aus dem EWG/EFTA-Raum, wäh. rend 58 0/0 der schweizerischen Exporte von dieser Ländergruppe aufgenommen wurden (Tab. 5). Die Schweiz ist stärker in die Europäischen Gemeinschaften integriert als die meisten ihrer Mitgliedstaaten. Tabelle 6 belegt diese These in bezug auf den Warenverkehr. Aber auch der schwerer zu ermittelnde Dienstleistungs-und Kapitalverkehr dürfte ein ähnliches Bild ergeben. Ganz besonders eng ist die Verflechtung des Personenverkehrs. Abgesehen von Luxemburg beschäftigt kein Land der Europäischen Gemeinschaften, gemessen an der einheimischen Bevölkerung, so viele ausländische Arbeitskräfte wie die Schweiz. 27 % der Erwerbsbevölkerung der Schweiz sind Ausländer, während der entsprechende Anteil in allen EG-und EFTA-Staaten mit Ausnahme Luxemburgs (34 °/o) unter 11 % liegt (Tab. 7). Dazu kommt, daß fast drei Viertel der ausländischen Arbeitskräfte in der Schweiz aus dem EG-Raum stammen; in den EG-Staaten ist demgegenüber der Anteil auf ein Fünftel zurückgegangen 5. Beziehungsbereich — Sicherheitspolitische ohne wirtschaftspolitische Trennung:

Die Schweiz verfolgt eine Politik der sicherheitspolitischen Trennung bei gleichzeitiger faktischer Wirtschaftsintegration in die Gruppe der nichtkommunistischen Industriestaaten. Im Ost-West-Konflikt steht sie auf der Seite des Westens, im Nord-Süd-Konflikt auf der Seite des Nordens und im Energie-Konflikt auf der Seite des Nordwestens. Die Neutralitätskonformität dieser einseitigen Bindungen wird mit der Unterscheidung von „Wirtschaft" und „Politik" begründet. Inder offiziellen Neutralitätskonzeption von 1954 wird die schweizerische Teilnahme an internationalen Konferenzen und Organisationen davon abhängig gemacht, ob sie vorwiegend wirtschaftlichen oder vorwiegend politischen Charakter haben. Handelt es sich um Konferenzen oder Organisationen vorwiegend politischen Charakters, so kommt eine Beteiligung höchstens in Frage, wenn sie eine „gewisse Universalität" aufweisen. Wirtschaftliche Bindungen sind dagegen auch dann zulässig, wenn sie nicht universell sind. Ähnlich wird in den Richtlinien der Regierungspolitik argumentiert: „Diese Öffnung nach außen kennt kaum eine Einschränkung auf den Gebieten der Wirtschaft und der Kultur; sie ist begrenzt im politischen Bereiche, wo sie keinerlei ausschließliche und privilegierte Beziehungen zu bestimmten Mächten erlaubt, und sie ist nicht vorhanden im militärischen Sektor, wo einzig gewisse Übereinkünfte mit anderen neutralen Staaten denkbar sind.“

Dieser Versuch der Trennung von Wirtschaft und Politik kommt auch institutionell zum Ausdruck, indem die Außenwirtschaftsdiplomatie vom Volkswirtschaftsdepartement und die „nichtwirtschaftliche“ Diplomatie vom Politischen Departement wahrgenommen wird. Die erste ist aktiv und dynamisch, die zweite eher defensiv und zurückhaltend. 6. Zusammenfassung:

Die Zielsetzung der gegenwärtigen schweizerischen Außenpolitik beruht nach wie vor auf dem Vorrang der Unabhängigkeitsbehauptung. Die schweizerische Beziehungsmacht ist asymmetrisch, insofern die Auslandsabhängigkeit größer ist als der eigene Einfluß. Das Schwergewicht des Beziehungsraums liegt im westeuropäisch-atlantischen Bereich (nichtuni-verseile Streuung); wir unterhalten mit vielen lockere und mit wenigen enge Beziehungen Die Beziehungsdichte ist im Rahmen dieser Schwergewichtsbildung hoch, das Mitbestimmungspotential jedoch gering. Der Beziehungs-bereich ist durch Dynamik im „nichtpolitisehen", insbesondere „wirtschaftlichen" Bereich gekennzeichnet, während im „politischen", insbesondere „sicherheitspolitischen" Bereich vorsichtige Zurückhaltung geübt wird.

IV. Ausblick

Abb. 3: Beziehungsraum

1. Zielsetzung — Mehrdimensionalität:

Zieldimensionen oder das magische Polygon der schweizerischen Außenpolitik: Ist der Vorrang der Unabhängigkeitsbehauptung heute noch legitim? 1848, als es um die nationale Einigung ging, war diese Zielsetzung verständlich. Heute würden wir den Zweckparagraphen der Bundesverfassung wohl anders formulieren. Vor allem würden wir wohl die national-egoistischen Schranken öffnen. Wir wollen nicht nur an unsere Unabhängigkeit, unsere Freiheit, unsere Rechte und unsere Wohlfahrt denken, sondern einen Beitrag zur Förderung dieser Ziele im größeren Rahmen der Völkergemeinschaft leisten. In zahlreichen Vernehmlassungen zur der Bundesverfassung kommt dieser Wille zur außenpolitischen Neuorientierung zum Ausdruck. Und in diesem Sinne hat die Wahlen-Kommission anstelle des bisherigen Zweckartikels der Bundesverfassung die folgende Präambel vorgeschlagen: „Das Volk und die Stände der schweizerischen Eidgenossenschaft, entschlossen, die Unabhängigkeit, Freiheit und Einheit in der Vielfalt des Schweizervolkes zu erhalten, die Würde und die Rechte der Menschen zu wahren, bestrebt, einen dauernden Beitrag an die Förderung der Wohlfahrt und des Friedens im Lande und in der Völkergemeinschaft zu leisten, haben nachstehende Bundesverfassung angenommen."

Die künftige schweizerische Außenpolitik sollte einer mehrdimensionalen Zielsetzung folgen, die dem Unabhängigkeitsziel das Friedensziel und das Menschenrechteziel gleichrangig zur Seite stellt. Oberstes Ziel der schweizerischen Außenpolitik soll der Friede in Unabhängigkeit unter Wahrung der Menschenrechte sein.

Die Solidarität kommt darin zum Ausdruck, daß wir diese Ziele nicht nur für die Schweiz anstreben, sondern uns im Rahmen unserer Möglichkeiten für den Frieden in der Welt, für die Verwirklichung der Menschenrechte und für die Achtung der Unabhängigkeit anderer Staaten, insbesondere der Kleinstaaten, einsetzen. Zieloperationalität: Die drei Ziele des magischen Polygons bedürfen der unmißverständlichen Definition, damit sie sich von bloßen politischen Schlagworten abheben. Unabhängigkeit sei hier verstanden als die größtmögliche und Mitbestimmung Selbst-des eigenen staatlichen Schicksals unter weitest-möglicher Zurückdrängung der Fremdbestimmung. Frieden sei verstanden als Abwesenheit von Krieg, Krieg aber als die Anwendung physischer Gewalt durch eine politische Einheit mit dem Zweck, einer anderen politischen Einheit den Willen aufzuzwingen oder sich dem Willen einer anderen politischen Einheit zu widersetzen. Das Menschenrechteziel umfaßt die Dreiheit von individuellen Freiheitsrechten, politischen Teilnahmerechten und Sozialrechten, wie sie in den Konventionen des Europarates und der Vereinten Nationen konkretisiert sind. Es ist nicht in einem engen juristischen Sinne zu verstehen, sondern als ein politisches Programm, das die gesamte Politik zu durchdringen vermag. Zielbeziehungen: Entsprechend dem magischen Polygon der Nationalökonomie verhalten sich diese drei Ziele zueinander teils harmonisch, teils indifferent, teils antinomisch. Unabhängigkeit und Frieden: Unabhängigkeit bedarf des Friedens; Krieg gefährdet die Unabhängigkeit. Umgekehrt bedarf der Friede der Unterkammerung der Welt in autonome, staatliche und regionale Einheiten; der Föderalismus gewährleistet — einem Wabenbau vergleichbar—, daß Konflikte auf begrenzte Räume eingedämmt werden können, ohne das ganze zu gefährden. Einseitige Betonung der Unabhängigkeit auf Kosten des Friedensziels führt zu Nationalismus oder gar imperalistischer „Sicherung des Lebensraums"; eine wirksame Friedensstruktur ist nur möglich, wenn die Staaten zu Unabhängigkeitseinbußen bereit sind. Die entscheidende Frage ist, wieviel Unabhängigkeit geopfert werden soll und darf, um diese Unabhängigkeit zu sichern, übermäßige Betonung des Friedensziels unter Mißachtung der Unabhängigkeit bedeutet einseitige Appeasement-Politik, Entspannung um jeden Preis und ebnet den Weg zur imperialen oder hegemonialen Pax. Imperialismus legitimiert den Unabhängigkeitskrieg.

Unabhängigkeit und Menschenrechte: Die Unabhängigkeit nach außen ist abhängig von der Loyalität der Bürger zum politischen System, von der Verteidigungswürdigkeit, der Legitimität der Staatsordnung; Loyalität, Verteidigungswürdigkeit und Legitimität gründen aber letztlich in der Achtung und Sicherung der Menschenrechte. Die Sicherung der Menschenrechte, der individuelle und demokratische Handlungsraum ist nur in dem Maße möglich, wie die übergeordnete kollektive Einheit tatsächlich nach außen unabhängig ist. Auch aus der Sicht der Menschenrechte ist die Unterkammerung großer Einheiten, großer Räume, gtoßer Gesellschaften in kleinere, also der Föderalismus und die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, unerläßlich. Einseitige Betonung der Unabhängigkeit auf Kosten der Menschenrechte hat die Totalisierung des öffentlichen Lebens zur Folge. Die Frage ist, wieviel individuelle Freiheit geopfert werden soll und darf, um diese Freiheit zu sichern. Einseitige Betonung der individuellen Bedürfnisse unter Mißachtung der Bedürfnisse der staatlichen Gemeinschaft führt zu verantwortungslosem Egoismus.

Frieden und Menschenrechte: Der Friede ist wie die Unabhängigkeit kein Selbstzweck, sondern am Wohl aller Menschen orientiert. Die optimale Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen bedarf des Friedens. Einseitige Betonung des Friedens auf Kosten der Menschenrechte bedeutet Totalisierung des öffentlichen Lebens. Überbetonung der Menschenrechte unter Vernachlässigung der Friedenssicherung setzt genau das aufs Spiel, was zu schützen vorgegeben wird.

Die Menschenrechte sind in sich selbst dem Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit ausgesetzt: Ein Minimum an Gleichheit ist notwendig, um überhaupt die Früchte der Freiheit genießen zu können. Umgekehrt ist ist ein gewisses Maß an Freiheit ebenfalls notwendig, um den Leistungswillen zu fördern und damit die Chancengleichheit aller auf möglichst hohem Niveau zu ermöglichen; Freiheit beinhaltet das Recht auf Ungleichheit. Schrankenlose Freiheit bevorzugt den Stärkeren. Überbetonung der Gleichheit schwächt die Initiative des einzelnen, bläht die staatliche Bürokratie auf und führt zur Unterjochung des einzelnen unter den Leviathan eines anonymen Staatsmolochs.

So bedingen und beschränken sich Unabhängigkeit, Frieden und Menschenrechte wechselseitig. Aufgabe der Außenpolitik ist es, die zum Teil widersprüchlichen Ziele in einem ständigen Optimierungsprozeß im Gleichgewicht zu halten.

Ziele und Mittel: Universalität, Disponibilität und Neutralität sind keine Ziele, sondern Mittel zur Verwirklichung des Friedens in Unabhängigkeit unter Wahrung der Menschenrechte. Im Gegensatz zum Unabhängigkeitsziel besteht keine verfassungsmäßige Verpflichtung der schweizerischen Außenpolitik zur Neutralität, Disponibilität oder Universalität. Die letzteren sind in der Verfassung überhaupt nicht zu finden. Die Neutralität wird in der Verfassung zwar erwähnt, aber im Sinne von Kompetenz-normen, die Bundesversammlung (BV Art 85 Ziff. 6) und Bundesrat (BV Art. 102 Ziff. 9) zu Maßnahmen im Hinblick auf die Wahrung der Neutralität berechtigen, aber den Neutralitätsverzicht nicht verbieten.

Auch völkerrechtlich'besteht keine Verpflichtung zur Universalität oder Disponibilität. Dagegen ist die Schweiz vertraglich zur dauernden Neutralität verpflichtet.

Die völkerrechtlichen Neutralitätspflichten sind, als Einschränkungen der Souveränität, grundsätzlich restriktiv auszulegen. Der Neutrale ist verpflichtet, weder direkt noch indirekt an einem Krieg teilzunehmen, solange er nicht selber angegriffen wird. Er hat die Benutzung seines Territoriums für kriegerische Zwecke zu verhindern. Er muß sich der staatlichen Unterstützung der Kriegführenden in bezug auf Truppen, Kriegsmaterial, wirtschaftliche Hilfe und finanzielle Anleihen enthalten. Dagegen ist die private Ausfuhr und Durch-fuhr von Kriegsmaterial, überhaupt der private Waren-, Dienstleistungs-, Personen-und Kapitalverkehr mit den kriegführenden Parteien nach Völkerrecht keinen Beschränkungen un-terworfen. Falls der neutrale Staat Verbote oder Beschränkungen hinsichtlich der privaten Wirtschaftsbeziehungen erläßt, muß er die kriegführenden Parteien zumindest in bezug auf die Ausfuhr und Durchfuhr von Kriegs-material gleich behandeln.

Der dauernd Neutrale ist bereits im Frieden verpflichtet, eine Außenpolitik zu führen, die ihm im Kriegsfall die Einhaltung der Neutralitätspflichten ermöglicht. Demzufolge darf er insbesondere keiner militärischen Allianz beitreten. Im übrigen ist der dauernd Neutrale in der Gestaltung seiner Außenpolitik nach Völkerrecht frei. Insbesondere ist er nicht zu einer gleichmäßigen Streuung seiner Außenbeziehungen verpflichtet.

Eine andere Frage ist die Glaubwürdigkeit der Neutralität. Allgemein kann gesagt werden, daß die neutralitätspolitische Bedenklichkeit im Maße der Abhängigkeit, der räumlichen Konzentration der Beziehungen, der Über-staatlichkeit und der sicherheitspolitischen Relevanz der Bindungen wächst. Umgekehrt sinkt die neutralitätspolitische Bedenklichkeit im Maße der Unabhänigkeit, der universellen Streuung der Beziehungen, der minimalen Beziehungsdichte und der machtpolitischen Bedeutungslosigkeit der Bindungen. Dieser Zusammenhang zwischen den vier Bezugskategorien Beziehungsmacht, Beziehungsraum, Beziehungsdichte und Beziehungsbereich wird in der Abbildung 7 verdeutlicht. Zielrealisierbarkeit: Die Realisierung der vorgeschlagenen mehrdimensionalen Zielsetzung stößt auf außen-und innenpolitische Hindernisse. Außenpolitisch ist die Zielrealisierung beschränkt durch den geringen Einfluß des Klein-staats Schweiz. Die Feststellung im Bericht der Studienkommission für strategische Fragen, „daß die Sicherheit unseres Landes in weit höherem Maß von den internationalen Konstellationen und von der Sicherheitspolitik unserer Umwelt ... abhängig ist ... als von unseren eigenen Mitteln und Vorkehrungen" gilt für die Außenpolitik überhaupt. Immerhin werden gleiche und ähnliche Ziele auch von anderen Staaten und Staatengruppen verfolgt. Durch eine dauernd präsente, aktive, initiative, informierte, sachkundige, flexible, kooperative Diplomatie ist es auch dem Kleinstaat möglich, die wechselnden internationalen Konstellationen im Sinne seiner Ziele zu nutzen.

Innenpolitisch ist die Zielrealisierung beschränkt durch die direktdemokratischen und konkordanzdemokratischen Elemente des schweizerischen politischen Systems. Die direkte Demokratie begünstigt einen eigenartigen Circulus vitiosus in der außenpolitischen Willensbildung Die Regierung ist sich der Notwendigkeit einer aktiven und kooperativen Außenpolitik bewußt; sie ist für Neuerungen offen. Das Volk neigt aber eher zu einer zurückhaltenden, isolationistischen Außenpolitik und ist gegenüber Neuerungen skeptisch. Regierung und Parlament nehmen „realistischerweise" auf die „Volksmeinung" Rücksicht und stecken ihre Ziele kürzer, als eigene Einsicht nahelegen würde. Aber indem sie das tun, stützen sie selbst wiederum die isolationistische Einstellung weiter Kreise der Stimmbürgerschaft.

Hinzu kommt die Behinderung einer konzeptuellen Außenpolitik durch die Konkordanzdemokratie. Das Konkordanzsystem unterscheidet sich vom Konkurrenz-und Koalitionssystem dadurch, daß alle großen Parteien in der Regierung vertreten und alle organisierten Interessen in den Willensbildungsprozeß integriert sind. Aufgrund der heterogenen Regierungszusammensetzung fehlt ein verbindliches Regierungsprogramm. Die Willensbildung vollzieht sich durch Kompromißfindung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglichst aller großen Parteien und Verbände. Das Ergebnis ist in der Regel eine Politik der kleinsten Schritte am Rande des Status quo.

Dennoch wäre es falsch, vor diesen Hindernissen zu kapitulieren. Eine Regierung und eine Diplomatie, die nicht weiß, was sie will, oder von der man nicht weiß, was sie will, wird erst recht zum Spielball innen-und außenpolitischer Kräfte. 2. Beziehungsmacht — Symmetrische Strategie:

Paradoxerweise läßt sich eine realistische Unabhängigkeitspolitik nicht mehr definieren ohne Bezug zur wachsenden Interdependenz und Dependenz Treffend charakterisiert Francois Perroux die Unabhängigkeit als „modalite forte de l'interdependance" und die Abhängigkeit als „modalite faible de l'interdependance"

In Anbetracht der Kleinstaatlichkeit, des schwachen Autarkiegrades, der fehlenden Offensivmacht, der beschränkten Defensivmacht, des Einflußdefizits im Verhältnis zur Abhängigkeit und der starken faktischen Umwelt-bindung kann Unabhängigkeitspolitik heute nicht mehr bedeuten als die Verwirklichung eines optimalen, bestmöglichen Gleichgewichts von Einflüssen und Abhängigkeiten. Die Schweiz sollte also eine tendenziell symmetrische Politik betreiben.

Diese Strategie ergibt sich auch aus dem Friedens- und Menschenrechteziel; denn eine an den Menschenrechten orientierte Friedensordnung bedingt den Abbau hegemonial-imperialer Machtstrukturen.

Das Gleichgewicht der gegenseitigen Abhängigkeit ist indessen für einen Kleinstaat nur teilweise realisierbar. Deshalb bedarf die erste Zielkonkretisierung der Ergänzung durch die zweite: die Streuung der Abhängigkeiten. 3. Beziehungsraum — Universelle Streuungsstrategie:

Eine Konzentrationsstrategie scheidet nicht nur deshalb aus, weil sie dem Postulat einer tendenziell symmetrischen Politik widerspricht, sondern auch deshalb, weil ganz einfach der Partner fehlt. Kleinstaatliche Konzentrationsstrategie führt unvermeidlicherweise zu einer Verstärkung des Ungleichgewichts in der gegenseitigen Abhängigkeit, zu einer , modalite faible de l'interdependance", zu einem Mißverhältnis von Einfluß und Abhängigkeit, zu einem Satelliten-, Vasallen-oder Protektoratsverhältnis (Beispiele: CSSR/Sowjetunion, Dominikanische Republik/USA oder — abgeschwächt — Finnland/Sowjetunion). Sie widerspricht zudem der Neutralität.

Der schwächere Partner wird in der Regel zweckmäßigerweise versuchen, seine Abhängigkeiten auf verschiedene Mächte zu verteilen. Gegenwärtig sind unsere Beziehungen schwergewichtig regional gestreut. Nach den Vorstellungen von Jacques Freymond und Gerard Bauer sollte die Schweiz künftig ihre westeuropäische Verankerung zugunsten der gesamteuropäischen und universellen Bindungen lockern.

Freymond: „Unsere geographische Lage auferlegt uns am Ende dieses Jahrhunderts wie in den vorangegangenen Jahrhunderten einen historischen Auftrag der Öffnung gegenüber ganz Europa, gegenüber den zwei Europas. Daran sind wir übrigens nicht nur interessiert, um unsere Sicherheit zu verstärken, sondern auch aus wirtschaftlichen Überlegungen. Uns in einer westlichen Welt einschließen zu lassen, wo die Konkurrenz immer erbitterter wird, wo neue Schlagbäume sich erheben können an Stelle derer, die man niederreißt, wo selbst die Fundamente des wirtschaftlichen und sozialen Systems immer mehr untergraben werden, hieße Gefahr laufen, unsere Unabhängigkeit preiszugeben. Unser Interesse erfordert systematischere Versuche, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu den sozialistischen Ländern zu entwickeln, was Risiken mit sich bringt, eine große Vorstellungskraft und das Studium einer Anzahl wirtschaftlicher und juristischer Probleme erfordert."

Bauer: „Man kann keine klare und saubere Scheidung von Politik und Wirtschaft vorneh49) men. Da Interdependenzen zwischen diesen beiden Kategorien bestehen, muß unsere Außenhandelspolitik ihre Autonomie wahren als Garant der Glaubwürdigkeit unserer Neutralität. Die Berufung der Schweiz in bezug auf die Außenhandelspolitik und die Außenpolitik ist universell und nicht bloß europäisch. Sie muß ihre universelle Präsenz in den Dienst der Entwicklung friedlicher wirtschaftlicher und politischer Beziehungen stellen. In diesem Sinne muß sie jederzeit bereit sein für neue Formen und Objekte der universellen und regionalen Kooperation. Jedem regionalen Übereinkommen wie dem Freihandelsvertrag mit den erweiterten EG muß eine entsprechende Öffnung der Schweiz in ihren außereuropäischen Beziehungen folgen. Die Eidgenossenschaft muß gleichzeitig eine schweizerische, eine europäische und eine universelle Politik führen."

Dem ist zuzustimmen. Und zwar nicht nur aus der Sicht des Unabhängigkeitsziels, das in den beiden Voten dominiert. Denn auch vom Friedensziel her ist die Auflockerung der Blöcke zweckmäßig.

Allerdings ist die Realisierbarkeit der gesamteuropäischen und universellen Streuung der Beziehungen aus drei Gründen beschränkt. Erstens ist es nur natürlich, daß wir mit unseren Nachbarstaaten besonders eng verbunden sind. Zweitens liegt es nicht in der Macht der Behörden, in einem relativ freien marktwirtschaftlichen System die außenwirtschaftlichen Beziehungen zu lenken. Drittens entsprechen Angebot und Nachfrage der Staaten Osteuropas und der „Dritten Welt" nur in beschränktem Maße unseren Bedürfnissen.

Dennoch sollte die Schweiz einer tendenziell universellen Streuungsstrategie folgen, sich aber bewußt bleiben, daß die universelle Streuung nur sehr beschränkt realisierbar ist und die schwergewichtige Verankerung im westeuropäischen Raum, wenn auch gemildert, bleiben wird. 4. Beziehungsdichte — Zwischen-und überstaatliche Bindungsstrategie:

So wie die beiden ersten Postulate des Gleichgewichts von Einfluß und Abhängigkeit und der universellen Streuung der Abhängigkeiten nur beschränkt realisierbar sind, so auch das dritte: Das Postulat des Gleichgewichts von faktischer Integration und Mitbestimmung. Theoretisch kann das Ungleichgewicht beseitigt oder gemildert werden, indem entweder die faktische Integration gelockert (Trennungsstrategie) oder die Mitbestimmung erhöht (Bindungsstrategie) wird. entsprechen Die beiden Alternativen zwei Richtungen der Unabhängigkeits-und Friedenspolitik. Die eine Richtung sucht die Wahrung der Unabhängigkeit oder des Friedens durch mehr oder weniger ausgeprägte Trennung, Absonderung, Isolierung von der Umwelt. Sie besteht auf der integralen nationalen Selbstbestimmung. Sie betont den „Sonderfall" des betreffenden Staatswesens. Voraussetzung für den Erfolg dieser Politik ist heute ein relativ hoher Autarkiegrad.

Die andere Richtung der Unabhängigkeits-und Friedenspolitik sucht die Zielverwirklichung gerade umgekehrt in der Verbindung, Zusammenarbeit, Integration mit anderen Staaten. Sie kompensiert die Einbußen an nationaler Selbstbestimmung durch die internationale Mitbestimmung und entgeht damit zum Teil der Fremdbestimmung. Sie betont die Solidarität. Sie verzichtet auf Autarkie bzw. findet sich mit der fehlenden Autarkie ab und akzeptiert die Interdependenz. Sie setzt die Karte auf die internationale Friedenssicherung.

Die traditionelle schweizerische Außenpolitik entspricht — abgesehen von der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg — der Trennungsstrategie. Es gibt Persönlichkeiten, die der Schweiz die Fortsetzung der Trennungsstrategie empfehlen. So fordert Botschafter Weitnauer die Aufrechterhaltung einer „integralen" Unabhängigkeitspolitik, die bewußt die historische Gegenläufigkeit und scheinbare Unzeitgemäßheit des schweizerischen Standorts in die Zukunft fortführt: „Europäische Integration und schweizerische Unabhängigkeit sind die beiden Pole, zwischen denen sich, wie ich es sehe, die Auseinandersetzung über die europäischen Probleme für uns bewegen ... Die Schweiz ist ein Programm, ein politisches Programm in Aktion, und dieses Programm heißt: Unabhängigkeit. Aus dem Wunsche nach Unabhänigkeit ist sie geworden zu dem und geblieben, was sie ist. Bemerkenswert ist dabei, daß sich durch die ganze Schweizer-geschichte wie ein roter Faden das Charakteristikum scheinbaren Unzeitgemäßheit zieht ... Kein Zweifel somit, daß die Schweiz während ihrer ganzen Geschichte ein politisches Programm verkörpert hat, eine . Willensnation'ist, die sicher in sich selbst nur solange ruht, als sie ihren Willen zur Unabhängigkeit integral gegen jedermann aufrecht-erhält ... Aus dem Gesagtem ergeben sich zwei einfache Schlußfolgerungen: 1. Soll die Schweiz ihre traditionelle Rolle weiterspielen, so müssen ihre Unabhängigkeit, Neutralität und Souveränität uneingeschränkt bleiben; sie können nicht durch politische Hypotheken belastet oder limitiert werden. 2. Eine Beteiligung der Schweiz an der politischen Integration Europas — oder was immer , Europa'genannt werden mag — kommt nicht in Betracht; die Schweiz kann nur an Bestrebungen der wirtschaftlichen Integration mitwirken ... Es ist die europäische Berufung der Schweiz, nicht in Europa aufzugehen, sondern sich für ihre Funktionen des Ausgleichs und der Versöhnung im Interesse der ganzen Welt freizuhalten."

Andere maßgebliche Vertreter der schweizerischen Außenpolitik neigen eher zur Bindungsstrategie, so Botschafter Jolies mit seinem vielzitierten Ausspruch: „Nur wenn die Schweiz mitwirkt, kann sie auf ihr Schicksal einwirken."

Vor dieser schicksalshaften Neuorientierung steht die schweizerische Außenpolitik heute. Sie gilt es bewußtzumachen. Denn der Prag-. matismus verdeckt einstweilen die Tatsache, daß sich die schweizerische Außenpolitik sehr langsam und sehr vorsichtig von der traditionellen, im wesentlichen isolationistischen, defensiven, auf die Igel-und Reduit-Mentalität abgestützten Außenpolitik wegbewegt und sich einer solidarischeren, kooperativeren, diplomatisch offensiveren Außenpolitik zuwendet. Diese Umstellung scheint im Zeichen der wachsenden Interdependenz unerläßlich. Denn je schwächer die Autarkie und je interdependenter das internationale Beziehungsgeflecht, um so notwendiger die Mitwirkung in der multilateralen Zusammenarbeit.

Das gilt ohne Einschränkung für universelle Staatenverbindungen wie den Vereinten Nationen. Mit Recht hat Bundesrat Spühler festgestellt, daß die Vereinten Nationen mehr und mehr Recht setzen, „dem wir unterworfen sind, ohne sein Entstehen beeinflussen zu können. Wir gelangen damit als Nichtmitglied in eine nicht unbedeutende Abhängigkeit, eine die wir Abhängigkeit, eben dadurch vermeiden wollten, daß wir auf einen Beitritt ver-ziditeten." Bei regionalen Staatenverbindungen wie den Europäischen Gemeinschaften liegt das Problem differenzierter. Hier kann sich ein Konflikt zwischen dem Unabhängigkeitsziel und dem Friedensziel auftun. Einerseits befindet sich die Schweiz nach einem Wort von Bundesrat Brugger im „magnetischen Kraftfeld" des sie umgebenden Wirtschaftskolosses der Europäischen Gemeinschaften. Wenn die Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Gemeinschaften vorankommt, wenn ihnen der Sprung von der partiellen zur generellen Wirtschaftsunion und Politischen Union gelingt, so könnte sich vom Unabhängigkeitsziel her der Beitritt aufdrängen, weil die Unabhängigkeitseinbuße durch Kompetenzübertragung geringer erschiene als der Unabhängigkeitsgewinn durch Mitbestimmung. Aus der Sicht des Friedensziels indessen könnte der Beitritt unzweckmäßig erscheinen, weil die nochmalige Ausweitung der Europäischen Gemeinschaften auf bisher neutrale Staaten die unsicheren Ansätze der Entspannung im Ost-West-Konflikt unter Umständen stören würde.

Die pauschale Ablehnung der Bindung des Kleinstaates an eine überstaatliche Gemeinschaft, wie sie noch in einer Stellungnahme Bundesrat Petitpierres zum Ausdruck kommt, muß endlich einer differenzierten Analyse weichen. Dabei sind aus der Sicht des Kleinstaates etwa die folgenden Fragen zu stellen: a) Wie ist die Ausgangslage des betreffenden Kleinstaates? Welchen Stellenwert hat er gegenwärtig im internationalen Rahmen als Nichtmitglied der betreffenden überstaatlichen Gemeinschaft? Befindet er sich im Kraftfeld einer Großmacht oder gar der betreffenden überstaatlichen Gemeinschaft, als Satellit, Protektorat oder Gefangener eines sonstwie gearteten Hegemonialverhältnisses? Ist er der Spielball im Machtkampf der Großmächte? Oder befindet er sich als Profiteur des Macht-gleichgewichts mehr oder weniger außerhalb des Machtkampfs der Großmächte? Kann der Kleinstaat oder eine Kleinstaatengruppe als Vermittler oder als „Zünglein an der Waage" wirken, so daß der faktische Einfluß das recht-lieh zugemessene Stimmgewicht übersteigt?

Wie stark ist die faktische Integration zwischen dem Kleinstaat und der betreffenden überstaatlichen Gemeinschaft? Besteht aufgrund dieser faktischen Integration die Gefahr, daß er als Nichtmitglied mangels Mitbestimmungsmöglichkeit zunehmend von den Entscheidungen der überstaatlichen Gemeinschaft abhängig wird? Welche Alternativen bestehen als Ersatz für die Mitgliedschaft in der betreffenden überstaatlichen Gemeinschaft? Welches sind die Zukunftsperspektiven? Was verpaßt der Kleinstaat, wenn er mit dem Beitritt zuwartet? Werden ohne ihn wichtige Weichenstellungen vorgenommen, die er als Mitglied jetzt mitbestimmen könnte, bei einem späteren Beitritt aber nicht mehr ändern kann?

b) Welche Stellung hat der Kleinstaat als Mitglied innerhalb der betreffenden überstaatlichen Gemeinschaft? Dominiert innerhalb der Gemeinschaft eine einzige Großmacht oder eine Großmachtgruppe? Oder ist in jenen Bereichen, in denen die Macht nicht durch das Recht gebändigt ist, eine Gleichgewichtspolitik zwischen zwei oder mehreren Großmächten möglich, welche die Unabhängigkeit und die Einflußmöglichkeit des Kleinstaates begünstigt? Sind die Interessen der beteiligten Mächte gleichgerichtet, divergierend oder überschneidend? Ist aufgrund ähnlicher Interessenlagen die Bildung eines Kleinstaatenblocks möglich? Haben alle Mitgliedstaaten die gleichen Rechte oder besteht eine Abstufung der Rechte? Ist diese Abstufung willkürlich oder nach objektiven Kriterien am Organisationszweck ausgerichtet? Haben alle Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen das Vetorecht oder nur die Großmächte? Wie ist die Stimmwägung ausgestaltet? Wieviele Klein-staaten zusammen besitzen eine Sperrminorität? Sind in den diplomatischen Organen alle Mitgliedstaaten oder nur ein Teil vertreten bzw. ständig vertreten? Gibt es unabhängige Organe und, wenn ja, mit welchen Kompetenzen und welchem Grad faktischer Unabhängigkeit von nationalen Interessen? Wie ist das Verhältnis von relativer Unabhängigkeitseinbuße durch Kompetenzabtretung und relativem Unabhängigkeitsgewinn durch Mitbestimmung? c) Wie ist die Machtkonstellation der überstaatlichen Gemeinschaft im regionalen und globalen Rahmen? Wird die Stellung des Kleinstaates gegenüber Dritten durch den Zusammenschluß gestärkt? Kann er durch den Zusammenschluß den imperialistischen oder hegemonialen Aspirationen von Drittmächten entgehen? Gilt etwa für alle Mitglieder der überstaatlichen Gemeinschaft mit Einschluß der Mittel-und Großmächte, daß sie sich nur noch mit vereinter Macht dem Kraftfeld der Weltmächte entziehen können? Ist die Sicherung der Unabhänigkeit gegenüber der Hegemonie der Weltmächte nurmehr durch die Vereinigung mit anderen Staaten der gleichen Region möglich?

d) Werden den demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern der Mitgliedstaaten Kompetenzen entzogen? Wenn ja, gibt es entsprechende demokratische Institutionen auf überstaatlicher Ebene?

e) Insgesamt: Fördert oder schwächt die Existenz und die Politik der überstaatlichen Gemeinschaft die Zielsetzung des Friedens in Unabhängigkeit unter Wahrung der Menschenrechte? Fördert oder schwächt die überstaatliche Gemeinschaft die Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten und von Drittstaaten? Fördert oder schwächt die überstaatliche Gemeinschaft den Frieden zwischen den Mitgliedstaaten und mit Dritten? Fördert oder schwächt die überstaatliche Gemeinschaft den internationalen Menschenrechteschutz? 5. Beziehungsbereich — Politische Bindungsstrategie:

Die Trennung von Wirtschaft und Politik ist heute eine Fiktion. Zur Zeit des Nachtwächterstaates mag diese Trennung zutreffend gewesen sein. Denn damals gab es keine staatliche Wirtschaftspolitik und demzufolge war die Wirtschaft neben dem souveränen Staat „souverän". Heute gehört die Wirtschaftspolitik zum eigentlichen Kernbereich der Innen-und Außenpolitik. Auch Wirtschaftspolitik ist Politik. Es gibt keine „politique pure". Die Trennung von Außenwirtschafts-und Außenpolitik ist willkürlich. Entscheidend ist die machtpolitische Relevanz. Es gibt keinen plausiblen Grund, in der nichtwirtschaftlichen Außenpolitik mehr Zurückhaltung zu üben als in der wirtschaftlichen Außenpolitik. Beide sind machtpolitisch relevant.

Ebenso wirklichkeitsfremd ist die Unterscheidung zwischen der „technischen“ und der „politischen" UNO Die sogenannten technischen Spezialorganisationen der Vereinten Nationen sind auch politisch, und die soge-nannten politischen Hauptorgane der Vereinten Nationen wirken auch „technisch“. Es gibt keinen plausiblen Grund, sich von der Haupt-organisation fernzuhalten, wenn man die Mitwirkung in den Nebenorganisationen für zweckmäßig hält.

Auch die Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich kann nicht von vornherein ausgeklammert werden. Durch unsere Rüstungseinkäufe arbeiten wir bereits de facto zusammen, allerdings einseitig. An der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sind wir an den Verhandlungen über vertrauensbildende militärische Maßnahmen beteiligt. Der Bundesrat hat die Ratifikation des Atomsperrvertrages beantragt. Nicht jede sicherheitspolitische Zusammenarbeit ist neutralitätswidrig. Eine aktive Mitwirkung an Verhandlungen und Maßnahmen der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung kompromittiert den Neutralen nicht und entspricht der Zielsetzung des Friedens in Unabhänigkeit, sofern die Sicherheit nicht vermindert wird.

Die bisherige Richtlinie: Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Bereich, Handlungsbeschränkung im politischen Bereich, Handlungsblockierung im sicherheitspolitischen Bereich — diese Richtlinie ist schon heute durchlöchert, willkürlich und für die Zukunft nicht tragfähig. 6. Zusammenfassung:

Im Sinne der neuen Zielesetzung „Frieden in Unabhängigkeit unter Wahrung der Menschenrechte" sollte die schweizerische Außenpolitik in Zukunft das Defizit an Einfluß, Universalität und Mitbestimmung durch eine symmetricherheitspolitischen Bereich — diese Richt-Umständen überstaatliche Strategie auch in machtpolitisch relevanten Bereichen abschwächen.

V. Realistischer Idealismus

Abb. 4: Beziehungsdichte

Dem Pragmatiker mag all dies Suchen nach tragfähigen Werten, Zielen, Zielgewichtungen, Zielbeziehungen und Zielkonkretisierungen unnütz erscheinen. Aber auch der Pragmatiker wertet, freilich ohne es zuzugeben. Denn alles politische Entscheiden und Handeln steht, bewußt oder unbewußt, im Dienste bestimmter Ziele. Jedes Tun oder Unterlassen setzt Prioritäten zugunsten bestimmter Werte auf Kosten anderer. So wie der militärische Führer die Absicht formuliert und gestützt darauf die Aufträge erteilt, so wie der Unternehmer die Ziele der Unternehmenspolitik bestimmt und daraus Maßnahmen ableitet, so wie der Gesetzgeber die abstrakteren Verfassungsnormen auf Gesetzesstufe konkretisiert, so gilt es auch in der Außenpolitik, Ziele zu formulieren, bewußtzumachen, zu konkretisieren und Prioritäten zu setzen. Diese Ziele dürfen aber nicht Leerformel-Charakter haben, sondern müssen operational gefaßt werden, damit sie als Anleitung zum Handeln und Maßstab des Handelns dienen können. Auch muß man sich bewußt bleiben, daß die Zielkonkretisierung nie nur simples Ableiten bedeutet, sondern immer mehr oder weniger ein schöpferischer Akt bleibt, eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen, eine Beschränkung an sich ziel-konformer Möglichkeiten.

Die Ziele, wie sie hier formuliert worden sind, haben alle, an sich und in ihren Beziehungen zueinander, relativen Charakter, sind Ideale mit beschränkter Realisierbarkeit. Der soge-nannte Realist, der in Wirklichkeit ein Pessimist ist, hält nichts von Idealen in der Politik. Für ihn ist Politik identisch mit Machtpolitik und Macht an sich böse. Ideale sind nur Täuschungen, auch Selbsttäuschungen, Deckmäntel der Machtpolitik. Aber ist nicht Machtpolitik, so wie der Mensch, gut und bös zugleich? Und wird die Geschichte tatsächlich nur durch nackte Machtpolitik vorangetrieben oder nicht vielmehr durch die Verbindung von Idee und Macht? Können nicht Ideen selbst mächtig sein und haben nicht Ideale selbst Macht über menschliches Handeln?

Eine andere Gruppe sogenannter Realisten hält die weltpolitische Zieldiskussion nicht grundsätzlich für nutzlos, wohl aber bezogen auf die schweizerische Außenpolitik. Angesichts der beschränkten Einflußmöglichkeiten des Kleinstaats empfehlen sie der Schweiz eine reaktive Politik der nationalegoistischen Interessenwahrung. Diese Selbstdispensation vom permanenten Kampf um eine bessere Welt ist letztlich antidemokratisch und unverantwortlich zugleich. Auch der Einfluß des einzelnen Individuums und der kleinen Gruppe ist im Rahmen der Demokratie gering. Trotzdem bedarf die Demokratie der Mitwirkung und Mitverantwortung von Individuen und Gruppen. Ähnlich verhält es sich im zwischenstaatlichen Bereich. Nur ist der Einfluß der Schweiz auf die europäische und Weltpolitik immerhin erheblich größer als derjenige des einzelnen Individuums auf die schweizerische Politik.

Letztlich beruht die Haltung der Selbstdispensation auf einer kontraproduktiven Kurzschlußhandlung, auf einem Alles-oder-Nichts-Denken. Wahrscheinlich ist diese Haltung psychisch leichter durchzustehen. Anspruchsvoller ist es, die Spannung der unaufhebbaren Dialektik von Realismus und Idealismus auszuhalten.

Max Frisch hat einmal geschrieben: „Man ist nicht realistisch, wenn man keine Ideen hat." Dem wäre mit Blick auf die schweizerische Außenpolitik hinzuzufügen: Man ist nicht realistisch, wenn man keine Ideale hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. die ausführlichere Darstellung in: A. Riklin, Grundlegung der schweizerischen Außenpolitik, Bern 1975.

  2. H. Flohr, Parteiprogramme in der Demokratie. Ein Beitrag zur Theorie der rationalen Politik, Göttingen 1968, S. 71 ff.

  3. Vgl. die entsprechende Unterscheidung t R. Aron, Paix et guerre entre les nations, Pa: 1962, S. 59, zwischen puissance, power, Mac einerseits und force, strength, Kraft anderersei und bei J. Galtung, Kapitalistische Großmacht F ropa oder die Gemeinschaft der Konzerne?, Ha bürg 1973, S. 34 ff., zwischen ressourcenbedingt und strukturbedingter Macht.

  4. Zu den Machtfaktoren vgl. R. Aron (Anm. S. 63 ff.; H. J. Morgenthau, Politics among Natio) New York 19674, S. 106 ff,

  5. H. A. Kissinger, Amerikanische Außenpolit Düsseldorf 1969, S. 81 ff.; S. Hoffmann, Gullive Troubles oder die Zukunft des international Systems, Bielefeld 1970, S. 65 ff.

  6. Zum Symmetriebegriff vgl. J. Galtung, Cooperation in Europe, Oslo 1970, S. 18; ders., Theorien des Friedens, in: D. Senghaas (Hrsg.), Kritische Frie-densforschung, Frankfurt 1971, S. 236; ders., Europa — bipolar, bizentrisch oder kooperativ?, in: J. Galtung/D. Senghaas (Hrsg.), Kann Europa abrüsten? Friedenspolitische Optionen für die siebziger Jahre, München 1973, S. 10.

  7. Vgl. die Friedensstrategien bei Friedrich von Gentz (absolute Vereinigung, absolute Absonderung, Mittellösung) und Johan Galtung (assoziativ, dissoziativ). F. v. Gentz, Uber den ewigen Frieden, in: K. von Raumer, Ewiger Friede, Freiburg 1953, S. 464; J. Galtung, Theorien des Friedens (Anm. 6), S. 237.

  8. Zur Integrationstheorie: E. B. Haas, The Unity o Europe, Stanford 1959; L. N. Lindberg, The Politica Dynamics of European Economic Integration, Stan ford 1963; E. B. Haas, Beyond the Nation-State Functionalism and International Organization, Stan ford 1964; A. Etzioni, Political Unification, Nev York 1965; D. Mitrany, A Working Peace System Chicago 19664; L. N. Lindberg/S. A. Scheingolc Europe's Would-Be Polity, Englewood Cliffs 1970 G. Zellentin, Intersystemare Beziehungen in Europt Leiden 1970; L. N. Lindberg/S. A. Scheingold (Hrsg. Regional Integration, Theory and Research, Hai vard University Press 1971 (mit ausgezeichnete Bibliographie); K. W. Deutsch, Nationenbildung -Nationalstaat — Integration, Düsseldorf 1971 C. Pentland, International Theory and Europea Integration, London 1973; Regionale Verflechtun der Bundesrepublik Deutschland. Empirische Analy sen und theoretische Probleme, München 1971 F. Schlupp, S. Nour, G. Junne, Zur Theorie un Ideologie internationaler Interdependenz, in: Pol tische Vierteljahresschrift, Sonderheft 5 (1973 S. 245 ff.; R. J. Harrison, Europe in Questiol Theories of Regional International Integratioi London 1974.

  9. A. Riklin, Die Europäische Gemeinschaft im S) stem der Staatenverbindungen, Bern 1972, S. 373 f

  10. H. C. Binswanger, Das Veto gegen das Vetc recht, in: Außenwirtschaft 1 (1964), S. 33 ff.

  11. A. Riklin, Europäische Gemeinschaft (Anm. 9), S. 107 ff. /337 ff.; K. Carstens, Das politische Element in den Europäischen Gemeinschaften, in: Festschrift für Walter Hallstein, Frankfurt 1966, S. 96 ff.

  12. Anders die fragwürdige Umdeutung des Zweck-artikels zu einem verfassungsmäßigen Auftrag der allgemeinen Friedenssicherung in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffenc ein Bundesgesetz über die internationale Entwick lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe von 19. März 1973 (BB 1 1973 I, S. 897 f.). Das Motiv die ser überraschenden Neuinterpretation ist unschwe in der Umgehung einer Verfassungsergänzung unc damit des Ständemehrs zu erkennen. So auch P. Sa ladin, Unerfüllte Bundesverfassung, in: Zeitschrif für Schweizerisches Recht 3/4 (1974), S. 319 f.

  13. Hierzu D. Frei, Neutralität — Ideal oder Kal kül, Frauenfeld 1967.

  14. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund vom 4. August 1919, S. 94.

  15. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1971— 1975 vom 13. März 1972 (BB 1 1972 I, S. 1035).

  16. Richtlinien 1972 (Anm. 15), S. 1042.

  17. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 27. Juni 1973 (BB 1 1973 II, S. 117).

  18. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968— 1971 vom 15. Mai 1968 (BB 1 1968 I, S. 1208).

  19. Richtlinien 1968 (Anm. 18), S. 1207 f.

  20. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1965, S. 3 f.

  21. Richtlinien 1972 (Anm. 15), S. 1036.

  22. Bundesrat P. Graber, Umrisse der schweizerischen Außenpolitik, in: documenta helvetica 4 (1971), S. 80.

  23. S. Kaiser, J. Strickler, Geschichte und Texte der Bundesverfassungen der schweizerischen Eidgenossenschaft von der helvetischen Staatsumwälzung bis zur Gegenwart, Bern 1901, S. 217 f.

  24. Abschied der ordentlichen eidgenössischen Tag-satzung des Jahres 1847, IV. Teil, Verhandlungen betreffend die Revision des Bundesvertrages, S. 51.

  25. Richtlinien 1972 (Anm. 15), S. 1035 f.

  26. Als Anstoß zur Neuorientierung der schweizerischen Außenpolitik im Zeichen von „Neutralität und Solidarität" wird die Rede des Bundesrats Petitpierre vor dem Kongreß der Freisinnig-demokratischen Partei vom 28. Oktober 1945 genannt, abgedruckt in: L.de Meuron, Notre neutralite, Neuchätel 1946, S. 161 ff. Die Solidarität als Maxime der schweizerischen Außenpolitik findet sich freilich schon früher, so in der Rede von Bundesrat Motta vor dem Ständerat vom 8. Januar 1936 (zitiert von C. Doka, in: Schweizer Rundschau 6 [1971], S. 371) und wohl erstmals in der Ansprache von Bundesrat Calonder auf dem freisinnig-demokratischen Parteitag vom 24. November 1917 (F. Calonder, Die allgemeine Lage des Landes, Bern 1918).

  27. Erstmals wohl in der Ungarn-Debatte des Nationalrates durch Bundesrat Petitpierre als Prinzip der

  28. Erstmals wohl in der Antwort des Bundesrats Wahlen auf die Interpellationen Furgler und Hubacher vom 7. Oktober 1965, Text in: F. T. Wahlen, Dem Gewissen verpflichtet, Zürich 1966, S. 239 f.; weitere Belege bei Frei (Anm. 13), S. 127.

  29. Intervention von Nationalrat W. Hofer, in: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, 1968, S. 270.

  30. Botschaft Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (Anm. 12), S. 889.

  31. „Wir müssen dem Prinzip der Universalität in unseren diplomatischen Beziehungen mit anderen Ländern treu bleiben, welches auch immer ihr politisches Regime sei, welches auch immer die Kritiken der Handlungen ihrer Regierungen seien."

  32. Wahlen (Anm. 28), S. 239.

  33. So die von Friedrich von Gentz verfaßte Erklärung der Alliierten vom 21. Dezember 1813 zur Rechtfertigung der Neutralitätsverletzung; Text in: Schriften von Friedrich von Gentz, Bd. 3, Mannheim 1839, S. 5: „Wahre Neutralität aber kann ohne den Besitz wahrer Unabhängigkeit nicht bestehen.“ R. L. Bindschedler, Die Neutralität im modernen Völkerrecht, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 17 (1956/57), S. 1— 37 (15): „Unabhängigkeit ist aber nicht nur die Voraussetzung der Neutralität, sondern auch deren Ziel." M. Hagemann, Die europäische Wirtschaftsintegration und die Neutralität und Souveränität der Schweiz, Basel 1957, S. 35 ff.; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beteiligung der Schweiz am Übereinkommen über ein Internationales Energie-programm vom 5. Februar 1975: „Man darf im übrigen nicht vergessen, daß die Neutralität nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel ist, um die Unabhängigkeit des Staates zu wahren. Im übrigen stellt die staatliche Unabhängigkeit eine grundlegende Voraussetzung der Neutralität dar." (BB 1 1975 I, S. 784).

  34. Die Neutralität und Unverletzlichkeit de Schweiz sowie ihre Unabhängigkeit liege „im wah ren Interesse der Politik ganz Europas“ (Parise Akte vom 20. November 1815). Die in den Verträ gen von 1815 zugunsten der Schweiz abgegebene: Garantien seien „internationale Abmachungen zur Zwecke der Aufrechterhaltung des Friedens (Art. 435 des Friedensvertrages vom 28. Juni 191 und Londoner Erklärung vom 13. Februar 1920).

  35. Memorandum des Bundesrates betreffend di Neutralität der Scweiz vom 8. Februar 1919: „Dies planmäßige Friedenspolitik hat in der Geschieht ihresgleichen nicht."

  36. Erklärung von Bundesrat Wahlen vor dei EWG-Ministerrat vom 24. September 1962; Erkis rung von Bundesrat Brugger vor dem EG-Rat voi 10. November 1970.

  37. Die Willkür der zusammengetragenen Indikatoren erklärt sich aus dem verfügbaren Datenmaterial. Quellenangaben in den Tabellen 2 und 3.

  38. D. Frei, Die Schweiz im internationalen System, in: J. Steiner, (Hrsg.), Das politische System der Schweiz, München 1971, S. 163— 200 (167); auch wenn man die Allgemeingültigkeit der verwendeten Indikatoren bestreitet und dies durch im Ergebnis abweichende Indikatoren belegt (z. B. Herkunft ausländischer Arbeitskräfte, Rohöl-Ursprungsländer), so ist doch unbestreitbar, daß das Schwergewicht der Beziehungen im westeuropäisch-atlantischen Raum liegt.

  39. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Freizügigkeit der Arbeitskräfte und die Arbeitsmärkte in der EWG 1970, Juni 1970; Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend die Beschäftigung von Arbeitskräften aus Drittländern und die Arbeitskraftreserven der Gemeinschaft, 13. November 1970.

  40. Text in: Verwaltungsentscheide 24 (1954), S. 9 ff.

  41. Richtlinien 1972 (Anm. 15), S. 1036.

  42. H. Dechmann und D. Frei, Der Platz der Schweiz im internationalen System. Eine deskriptive Studie, Kleine Studien zur Politischen Wissenschaft Nr. 27/28, Zürich 1974.

  43. Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Total-revision der Bundesverfassung, Bd. 6, Bern 1973, S. 61.

  44. Grundlagen einer strategischen Konzeption der Schweiz, Zürich 1971, S. 30.

  45. H. Mayrzedt, Probleme einer zukunftsgerichteten Neuorientierung des außenpolitischen Konzepts eines dauernd neutralen Staates am Beispiel der Schweiz, in: Wirtschaft und Recht 2 (1974), S. 91 bis 101 (97).

  46. A. Meier und A. Riklin, Von der Konkordanz zur Koalition. Überlegungen zur Innovationsfähigkeit des schweizerischen politischen Systems, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 3/4 (1974), S. 507— 526.

  47. Zur Interdependenz: F. Perroux, „Independance'de l'economie nationale et interdependance des nations, Paris 1969; Schlupp/Nour/Junne (Anm. 8); G. Junne, S. Nour, Internationale Abhängigkeiten. Fremdbestimmung, und Ausbeutung als Regelfall internationaler Beziehungen, Frankfurt 1974.

  48. F. Perroux (Anm, 47), S. 134.

  49. J. Freymond, L’Europe dans le Systeme mondial, 24. Februar 1972 (vervielfältigt), S. 11.

  50. In: Europa, Schweizerische Zeitschrift für europäische Fragen 11/12 (1972), S. 8.

  51. A. Weitnauer, Europäische Integration und schweizerische Unabhängigkeit, in: Schweizer Monatshefte 41. Jg. (1961/62), S. 600— 614.

  52. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, 1968, S. 241.

  53. Vortrag anläßlich des 12. Ferienkurses der Schweizerischen Staatsbürgerlichen Gesellschaft in St. Moritz, 12. Juli 1972.

  54. M. Petitpierre, La neutralite de la Suisse est-elle encore justifiee? in: Jahrbuch der Neuen Helvetischen Gesellschaft 1963, Bern 1963, S. 59 f.

  55. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Verhältnis der Schweiz zu den Vereinten Nationen vom 16. Juni 1969 (BB 1 1969 I, S. 1563).

Weitere Inhalte

Alois Riki in, Prof., Dr. iur., geb. 1935; seit 1970 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Hochschule St. Gallen (Schweiz), Leiter der Forschungsstelle für Politikwissenschaft der Hochschule St. Gallen, Herausgeber der „St. Galler Studien zur Politikwissenschaft". Veröffentlichungen u. au Selbstzeugnisse des SED-Regimes, 1963 (zusammen mit Klaus Westen); Das Berlinproblem.'Historisch-politische und völkerrechtliche Darstellung des Viermächtestatus, 1964; Weltrevolution oder Koexistenz?, 1969; Die Europäische Gemeinschaft im System der Staatenverbindungen, 1972; Grundlegung der schweizerischen Außenpolitik, 1975; Mitherausgeber des Handbuchs der schweizerischen Außenpolitik (erscheint im Herbst 1975).