I. Westkommunisten im Regierungsbereich
Wenn im Mai 1974 rund 215 000 Franzosen anders gewählt hätten, hieße der Präsident Frankreichs Mitterrand, und Frankreich würde wahrscheinlich von einer linken Koalition mit kommunistischer Beteiligung regiert In Italien könnte schon morgen eine Zwei-Parteien-
Regierung der linken Mitte gebildet werden, die im Parlament von kommunistischer Unterstützung abhängig wäre, um Gesetze zu verabschieden. In Portugal, ebenfalls einem NATO-Mitglied, gehören bereits kommunistische Minister der Regierung an. Auch in Spanien besitzt die kommunistische Partei gute Aussicht, nach Umwandlung der Diktatur in ein parlamentarisch-demokratisches System eine ähnlich starke Position wie ihre Schwesterparteien in Italien oder Frankreich einzunehmen. Diese Perspektive ist gerade deshalb real, weil mit NATO-Interventionen kaum zu rechnen wäre (während der Warschauer Pakt, wie das Beispiel der CSSR zeigt, Reformansätze innerhalb seines Machtbereichs notfalls sogar mit Gewalt verhindert). Deshalb muß man sich fragen, welche Probleme sich daraus ergeben könnten und welche Positionen die kommunistischen Parteien heute vertreten, die sich möglicherweise morgen schon als Gesprächspartner innerhalb der EG-und der NATO-Organe präsentieren.
Was sind das für Kommunisten, die sich anschicken, den Alten Kontinent von seiner südlichen und westlichen Flanke her aufzurollen? Werden sie das westliche Bündnis und das europäische Einigungswerk zum Einsturz bringen und auch den westlichen Teil Europas dem sowjetischen Einfluß ausliefern, wie konservative Beobachter fürchten? Oder werden sie langfristig eher zu seiner wirtschaftlich-sozialen und damit auch politischen Stabilisierung beitragen? Letzteres vermuten — auf Italien bezogen — so angesehene und einflußreiche Leute wie der italienische Industrielle Aurelio Peccei, der Vorsitzende des bekannten Club of Rome („Grenzen des Wachstums“). Er vertrat vor kurzem die bemerkenswerte Ansicht, in Italien könne ein Mann wie KPI-General-sekretär Berlinguer „Europa viel eher als irgendein nichtsozialistischer Führer des Landes. genügend weitreichende, moderne und langfristige Ziele setzen"
An dieser Stelle sollen nicht die innenpolitischen Aspekte des von den westeuropäischen Kommunisten anvisierten „friedlichen Weges zum Sozialismus" untersucht werden; das ist bereits in einer Reihe von Analysen geschehen Vielmehr soll versucht werden, die außen-und entspannungspolitischen Ziele zu beleuchten sowie die dahinterstehenden Triebkräfte, Motivationen und europapolitischen Neuordnungskonzeptionen zu analysieren.
Das scheint um so notwendiger, als viele westliche Beobachter bei ihren sicherheitspolitischen Erwägungen noch immer von allzu un-differenzierten Vorstellungen ausgehen — Vorstellungen, die oft einfach in einem Mangel an fundierten Informationen wurzeln. Die Frage etwa, ob die langfristigen Ziele beispielsweise der italienischen und spanischen Kommunisten noch immer weitgehend mit denen der KPdSU übereinstimmen, ist heute keineswegs mehr eindeutig positiv zu beantworten. Vielmehr wird zu zeigen sein, daß sich einige der großen und relevanten kommunistischen Parteien Westeuropas mit der wachsenden Dynamik des Entspannungsprozesses auch in ihren außenpolitischen Konzeptionen vom sowjetischen Vorbild mehr oder weniger freimachen konnten, ja daß sie schließlich sogar ihrerseits durch autonome Beiträge und spezifische Neuordnungsvorstellungen versuchten, den Entspannungsprozeß zu beeinflussen und zu beschleunigen.
Dabei ist keine Frage, daß der mehr oder minder fortgeschrittene Verselbständigungsprozeß der relevanten westkommunistischen Parteien starke Impulse von außen erhielt. Der Kem ihrer taktischen und strategischen Überlegungen ist die Bündnispolitik. Wenn ihre Positionen allmählich realistischer werden, so hat das viel damit zu tun, daß ihre potentiellen Bündnispartner einerseits lange und hart genug Widerstand leisteten, während sich ande-erseits die Aussicht auf einen umwälzenden Anstoß von außen immer weiter verminderte. Ner nach allem, was in Osteuropa und zwi-dien Moskau und Peking vorgefallen ist, leute in Italien, Frankreich oder Spanien Bündnispartner finden will, die sich auf einen mit einlasen, Kommunisten Koalitionspakt der muß weit ihnen entgegenkommen und cann nicht einfach die Generallinie der KPdSU ibernehmen. Das bestätigt in einer parteiin-emen Broschüre Sergio Segre, der außenpoli-Ische Experte der KPL Es gebe, so Segre, in Westeuropa eine Reihe kommunistischer Parteien, deren außenpolitische Tätigkeit sich analog zu ihrer Innenpolitik in reinen Propajandaaktivitäten erschöpfe. Eine Partei jedoch, die „Teil einer Regierungsmehrheit werden und schon jetzt Vorkämpfer einer neuen Orientierung sein will", müsse anstelle von Propaganda „Politik machen und sich die Möglichkeit schaffen, auf die politische Lage Einfluß zu nehmen"
Wenn sich die folgende Untersuchung im wesentlichen auf die französischen und italienischen Kommunisten beschränkt (und nur am Rande auf die griechische, und portugiesische spanische KP eingeht), so ist darauf zu verweisen, daß es sich bei ihnen um die beiden größten und einflußreichsten kommunistischen Parteien Westeuropas handelt. Nicht zufällig waren sie die einzigen nichtregierenden Parteien, die von Stalin in das 1947 gegründete Kominform-Büro aufgenommen wurden. Ihr Eintritt in die Regierung würde erheblichen Einfluß auf die Politik ihrer Nachbarländer, auf das westliche Bündnis sowie auf den Prozeß der (west-) europäischen Einigung ausüben.
II. Die Entspannungspolitik der Westkommunisten: Im Schnittpunkt zweier Welten
Ausgangspunkt jeder Untersuchung über die westeuropäischen kommunistischen Parteien und ihre außenpolitischen Zielsetzungen muß die Tatsache sein, daß sie als Teil des jeweiligen nationalen Lebens einerseits und der internationalen kommunistischen Bewegung andererseits im Schnittpunkt zweier Welten stehen. Aller Voraussicht nach werden die Westkommunisten auch in Zukunft diese doppelte Verankerung, die ihre eigentliche Natur ausmacht, nicht aufgeben. Doch das ist für die Frage nach Charakter und Motivation ihrer Außen-und Entspannungspolitik auch nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, in welcher Beziehung der nationale und internationale Aspekt für die Einzelparteien steht: Ist die Loyalität zum sowjetisch geführten Teil der kommunistischen Weltbewegung oder zur Sowjetunion selbst der ausschlaggebende Faktor, wie beispielsweise die französische Kommunismusforscherin Annie Kriegel noch heute im Hinblick auf die KPF meint? Oder suchen die Parteien heute ihre verschiedenen Interessen, unter denen die internationalistische Di-Pension eineunter mehreren ist, autonom auszubalancieren, wie es die meisten Beobachter beispielsweise hinsichtlich der KPI annehmen? Diese Frage kann hier nicht im einzelnen er-örtert werden und ist für die großen kommunistischen Parteien Westeuropas auch nicht ganz einheitlich zu beantworten. Nur so viel ist sicher: Nachdem sie im Zeichen der Komin-form-Reglementierung und der Ost-West-Konfrontation noch einmal eine bedingungslos prosowjetische Position bezogen hatten, gingen sie mit dem Abflauen des Kalten Krieges zunehmend dazu über, ihre außenpolitischen Vorstellungen an ihrem innenpolitischen Ziel einer Regierungsbeteiligung zu orientieren, um damit den „friedlichen Weg zum Sozialismus" zu ebnen. Ihre Außenpolitik, bis dahin fast ausschließlich durch äußere Faktoren bestimmt, wird seither mehr und mehr innenpolitisch motiviert. Hinter dieser neuen, langfristig angelegten Strategie der Westkommunisten stehen zwei eng miteinander verbundene Überlegungen. Die eine bezieht sich auf den Charakter der sowjetischen Außenpolitik, die andere auf die Veränderung des Kräfte-verhältnisses zwischen der Sowjetunion und ihren osteuropäischen Gefolgsstaaten einerseits und den USA mit ihren westlichen Verbündeten andererseits. 1. Der Einfluß des internationalen Kräfteverhältnisses Was den ersten Punkt angeht, so galt seit Lenin auch für die Westkommunisten die Regel, die politischen Perspektiven ihres jeweiligen Landes und damit ihre nationalen Aktionsmöglichkeiten nicht isoliert, sondern nur in enger Beziehung zum globalen „Kräfteverhältnis zwischen Imperialismus und Sozialis-B mus" zu sehen. Für sie hatte daher zunächst die Stärkung der Sowjetunion sowie die Konsolidierung des Sozialismus in Osteuropa Priorität: Sie waren der Ansicht, daß ein immer mächtiger werdendes „politisches, wirtschaftliches und militärisches System“ sozialistischer Staaten „eine der wesentlichen Bedingungen für die revolutionäre Zuversicht und dafür ist, den Kampf für Frieden, die Bandung-Politik, die Suche nach nationalen Wegen und neuen demokratischen und revolutionären Bündnissen im kapitalistischen Westen zu ermöglichen" Nicht zuletzt aus diesem Grunde hatten die italienischen und französischen Kommunisten 1944/45 die Pläne militanter kommunistischer Partisanengruppen für eine gewaltsame Eroberung der Macht in den von den Alliierten kontrollierten Ländern wie Frankreich, Italien und Griechenland verworfen und sich für eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen und sozialistischen Parteien entschieden: Sie wollten dem Westen keinesfalls einen Vorwand liefern, um seinerseits die Konsolidierung des Kommunismus in Osteuropa in Frage zu stellen
So gesehen war es dann ebenso konsequent, nach Ausbruch des Kalten Krieges auf Konfrontationskurs zu gehen und dem Komin-formbüro beizutreten — einer Institution also, die von Stalin vor allem dazu ausersehen war, die Positionen des Sozialismus in Osteuropa zu festigen sowie die Westpolitik im Sinne Moskaus zu koordinieren und einen angeblich drohenden Angriff des Westens geschlossen abzuwehren. Genau betrachtet war es geradezu eine der Hauptaufgaben der Kom-inform-Organisation, die Politik der französischen und italienischen Kommunisten den neuen Bedingungen der sowjetischen Diplomatie anzupassen. Durch eine konsequente Opposition gegen Truman-Doktrin und Marshall-Plan sollten sie dazu beitragen, eine Herrschaft der Amerikaner über Westeuropa zu verhindern oder wenigstens deren Einfluß auf den Alten Kontinent zu neutralisieren. In diesem Sinne führten sie einen bedingungslosen, mit den sowjetischen Konzeptionen abgestimmten parlamentarischen und außerparlamentarischen Kampf gegen die zunehmende wirtschaftliche und militärische Zusammen, beit des Westens, die ausschließlich in ihi antisowjetischen Dimension gesehen wurc Noch 1952 kam es in Paris zu blutigen Sti ßenschlachten, als die KPF gegen die übe nähme des NATO-Oberbefehls durch den U General Ridgway demonstrierte.
Dies änderte sich freilich — so weiter d Gedankengang der Westkommunisten —, a das „sozialistische Lager" weitgehend kons lidiert und der Sowjetunion der Durchbru zur strategischen Parität mit den USA gelu gen war. In diesem Moment konnte die poi tische, ökonomische und militärische Stärkur der UdSSR und der übrigen sozialistische Länder in ihrem Verständnis nicht mehr d einzige Bedingung einer Ausweitung „des Sc zialismus" sein zumal sich ihre eigenen Vo Stellungen dessen, was die Wesenszüge eine sozialistischen Gesellschaft ausmacht, von de nen die KPdSU mittlerweile z. T. stark abzi heben begannen. Die Westkommunisten zöge aus alldem die Konsequenz, außenpolitisc von der Defensive — der Verteidigung de „sozialistischen Lagers" — in die Offensiv überzugehen und Konzeptionen zu entwickeln die sich in erster Linie an ihren eigenen innen politischen Interessen orientierten. 2. Die Einschätzung der sowjetischen Außenpolitik Hierin wurden sie durch die erwähnte zweite Überlegung — die Frage nach dem Charaktei der sowjetischen Außenpolitik — noch weite: bestärkt: Die Westkommunisten begännet darüber nachzudenken, ob nicht die Moskauei Außenpolitik primär den Interessen des Sowjetstaates und weniger denen der kommunistischen Weltbewegung dient. Zwar hatte es schon zu Zeiten der Komintern und besonders 1939— 41 kontroverse Diskussionen übei „das Verhältnis von Revolution und Staatsmacht, die Widersprüche zwischen Verteidigungsstrategie der UdSSR und der internationalen Taktik, zwischen sozialistischen Staaten und kommunistischer Weltbewegung“ gege ben. Diesen „verwickelten, kaum auflösbaren Problemknoten" hatte der Sieg der Sowjetunion allerdings „zunächst einmal durchge. hauen" und der kalte Krieg weiter verdeckt: e Opfer der Sowjetunion bei der Zerschlang des deutschen Faschismus sowie ihr impf gegen den „amerikanischen Imperialisas" ließen bei den Westkommunisten zuchst keinen Zweifel am revolutionären Chakter der sowjetischen Außenpolitik aufmmen. Erst nach dem Abflauen der Ostest-Konfrontation zeigte sich in aller Deut-hkeit, daß sich die sowjetische Außenpolitik cht unbedingt mit den Interessen der Westommunisten und ihren Vorstellungen von ner revolutionären Politik deckt. Spätestens e Intervention in der Tschechoslowakei hrte ihnen brutal vor Augen, daß sich die ußenpolitik Moskaus in erster Linie von lem Interesse und der Staatsräson der owjetunion"
leiten läßt und darüber die iteressen ihrer westlichen Bruderparteien rgißt. Als beispielsweise die spanischen ommunistenführer Dolores Ibärruri und antiago Carrillo am 22. August 1968 in Mos-au gegen die Intervention protestierten, er-Selten sie von Politbüromitglied Suslow zur die KPSp sei eine „kleine Partei", ntwort, eren Interessen nicht über denen des Sowjet-taates stehen könnten
aus diesen Erfahrungen zogen die großen ommunistischen Parteien Westeuropas nicht twa die Konsequenz, den Machtzuwachs der owjetunion und der mit ihr verbündeten osturopäischen Staaten geringzuschätzen (wennleich eine Partei wie die KPI sich zunehmend berzeugte, daß die Politik der Entspannung icht auf der einseitigen Schwächung einer . er beiden Supermächte aufbauen kann, son-em die Wahrung eines gewissen Gleichge-vichts der Kräfte voraussetzt). Auch nahmen ie das sowjetische Verhalten nicht zum Anlaß, is zum Bruch mit der KPdSU und dem von ihr irganisierten Teil der kommunistischen Weltewegung kommen zu lassen. Vielmehr ginen sie daran, den proletarischen Internatiolalismus mit neuem Inhalt zu füllen und die nteressen Moskaus nicht mehr ohne weiteres nit denen der gesamten kommunistischen Be-wegung zu identifizieren, denn „die Grenzen les Sozialismus fallen nicht mehr mit denen dersozialistischen Länder zusammen" , Inter-nationalist sein heute'— das heißt für sie, die Interessen sämtlicher Abteilungen des „antiimperialistischen Kampfes" gleichermaßen zu berücksichtigen: die der Kommunisten in den westlichen Ländern und die der nationalen Befreiungsbewegung in der Dritten Welt ebenso wie die der sozialistischen Staaten. Vor allem aber heißt . Internationalist sein heute’ für sie, den Sozialismus durch die Eroberung von Machtpositionen im eigenen Lande zu stärken. Diese Akzentverlagerung, die sich nicht zufällig erstmals in dem von der dritten kommunistischen Weltkonferenz (Juni 1969) verabschiedeten Hauptdokument findet, scheint heute bei entsprechenden Auseinandersetzungen zwischen der KPdSU einerseits und den relevanten Westkommunisten andererseits eine wichtige Rolle zu spielen. Somit wurde die Außenpolitik der großen kommunistischen Parteien Westeuropas mehr und mehr zu einer Funktion ihrer jeweiligen Innenpolitik — ein Wandel, der sich auch auf ihre Einschätzung der Politik der „friedlichen Koexistenz" auswirkte. In der Ubergangs-phase der späten 50er und frühen 60er Jahre noch immer ein eher defensives Instrument zur Wahrung des Friedens und zur Sicherung des ungestörten Ausbaus des „sozialistischen Lagers", gewann sie in ihrem Verständnis seither immer deutlicher die Konturen eines offensiven Entspannungskonzepts: Sie streifte zunehmend den Charakter „steriler Polemik" ab und wurde zu einem „dynamischen Element der politischen Realität" Im Zeichen wachsender Verständigung und Zusammenarbeit der Supermächte und ihrer Verbündeten schuf die friedliche Koexistenz in ihren Augen „den Werktätigen und Völkern" bessere Bedingungen, „durch Stärkung und Festigung ihrer Aktionseinheit und Entwicklung ihrer gegenseitigen Solidarität, für Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit, Fortschritt und Sozialismus den Klassenkampf in jedem einzelnen Land und auf internationaler Ebene mit größerer Festigkeit zu führen"
Schon hier sei angemerkt, daß diese als offensives Entspannungskonzept gedeutete friedliche Koexistenz die Westkommunisten in einen wachsenden Gegensatz zur KPdSU einen zeigt ihr Protest gegen die Intervention in der Tschechoslowakei sowie gegen die Theorie der „beschränkten Souveränität“ sozialistischer Staaten, daß sie nicht bereit sind, mit den Sowjets die Prinzipien der friedlichen Koexistenz nur auf die Beziehungen zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu beschränken, für die Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten jedoch einengend die besonderen Regeln des „sozialistischen Internationalismus" anzuwenden. Für sie gelten die Prinzipien der friedlichen Koexistenz, soweit sie die in der UNO-Charta festgelegten Grundsätze zwischenstaatlicher Beziehungen meint, für die Beziehungen zwischen „sämtlichen", also auch zwischen den sozialistischen Staaten Im Anschluß an die Intervention nahm KPI-Chef Longo ausdrücklich mehrfach auf die Erklärung der Sowjetführung vom 30. Oktober 1956 Bezug, in der Moskau sich für die Unabhängigkeit, Souveränität, Rechtsgleichheit sowie Autonomie aller sozialistischen Staaten ausgesprochen hatte Zum anderen äußerten die relevanten kommunistischen Parteien Westeuropas mehr oder weniger offen die Befürchtung, die Sowjets könnten mehr an Stabilität und Kontinuität als revolutinären an Entwicklungen in Westeuropa interessiert sein, d. h. durch die von ihnen praktizierte Form der friedlichen Koexistenz den sozialen und politischen Status quo in der Welt festigen und damit die Westkommunisten faktisch zum Verzicht auf die Eroberung der Macht in ihren Ländern zwingen. Hierauf wird später zurückzukommen sein was uuu -E AuiiM eien v •I>lellungen (Westkommunisten angeht, so erzielten sie
ihrer Brüsseler Konferenz vom Januar 19 Einvernehmen darüber, daß in Europa „dem Wege der Entspannung und der frit liehen Koexistenz zwischen den Staaten i verschiedenen Gesellschaftsordnungen bede tende Fortschritte erzielt" wurden. Heute l stünden reale Möglichkeiten, auf der KS „ein festes Fundament für die kollektive cherheit und für die Entwicklung norma und vorteilhafter Beziehungen zwischen d europäischen Staaten auf der Grundlage c friedlichen Koexistenz zu legen", die politisc Entspannung durch eine militärische Entspa nung zu ergänzen und damit die „Perspekti der Überwindung der einander entgegeng setzten Militärblöcke" zu öffnen, die heu Europa und die Welt teilten. Für Westeuro bedeutet das letztlich, sich aus der Abhängi keit von den USA zu lösen und eigene Ko zeptionen zu entwickeln: „Ein solches frie liches, demokratisches und unabhängig Westeuropa, das sich aus der Abhängigke von den Vereinigten Staaten und den inte nationalen Monopolen frei gemacht hat, kar eine Rolle im Interesse der Völker und di Friedens in der ganzen Welt spielen, es kar zur Entspannung, seinen eigenen Beitrag zt Abrüstung und zur Verständigung zwische den Völkern leisten. Ein solches Westeurop und seine einzelnen Länder können Bezit hungen der friedlichen Zusammenarbeit ai der Grundlage der vollen Gleichberechtigun und im Interesse der Völker sowohl zu de Vereinigten Staaten als auch zu den sozial stischen Ländern, zu den jungen Nationalstaf ten und allen anderen Ländern herstellen."
III. Entspannungsund Neuordnungskonzeptionen
Damit knüpfen die Westkommunisten im Grunde an ihre außenpolitische Konzeption der ersten Nachkriegsjahre wieder an. Damals hatten sie das fortdauernde Einvernehmen zwischen den Siegermächten begrüßt und unterstützt, weil es den allmählichen Abbau der im Krieg entstandenen Einflußzonen versprach und ihnen die'Chance bot, ihr Ziel eines fried-liehen Weges zum Sozialismus zu verwirk liehen. In seinem vielbeachteten Times-Inter view vom November 1946 verwarf KPF-Ge neralsekretär Maurice Thorez „jede Blockpoli tik" und bezeichnete „das Einvernehmen (en tente) zwischen unseren großen englischen amerikanischen und sowjetischen Alliierten als „notwendig und unerläßlich" Noch in Juli 1947 stemmte sich sein italienischer Kollege Togliatti in einer Kammerrede mit aller Entschiedenheit gegen die sich abzeichnende Teilung Europas in zwei Blöcke, weil er als Konsequenz ein Zerbrechen der „demokratischen und antifaschistischen Einheit" befurc , „die den Widerstand getragen sowie die ublik und die italienische Verfassung ge-affen hatte" Wie schwer es den West-amunisten damals fiel, die vom Kominform tierte Linie der außenpolitischen Konfron-on zu übernehmen und damit die auch in ndsätzlichen Erwägungen wurzelnde Linie innenpolitischen Zusammenarbeit aufzuge-i, schildert eindrucksvoll Eugenio Reale, der Vertreter der KPI zusammen mit Luigi igo an der Gründungsversammlung des Koform-Büros teilnahm
ichwohl dürfen die Unterschiede gegenir der Nachkriegsphase nicht übersehen rden. Damals hatte Stalin die Westkom-nisten soweit in der Hand, daß er sie ohne >ße Mühe auf die neue Linie festlegen konn-
Heute jedoch haben sie sich durch ihr Anüpfen an die jeweiligen nationalen Tradi-nen und Bedingungen auch außenpolitisch weit verselbständigt, daß ihre Konzeptionen d Zielvorstellungen sich stark unterscheiden, d von außen nicht mehr ohne weiteres in ie einheitliche Stoßrichtung gelenkt werden nnen (es sei denn, es handelt sich um vor-hmlich propagandistisch motivierte Unteritzungsaktionen im Zeichen der antiimperiatischen Solidarität wie im Falle Kuba, Vietmünd Chile).
m ehesten lassen sich noch die Konzeptionen r griechischen KP (moskautreuer Flügel) und r portugiesischen Kommunisten mit den wjetisdien Vorstellungen in Einklang brin-n. Beide Parteien treten grundsätzlich für e völlige Herauslösung ihrer Länder aus der ATO ein, und zwar nicht zuletzt deshalb, eil sie ihr zum Vorwurf machen, in die in-eren Angelegenheiten des Landes eingegrif-n und die reaktionären Diktaturen gegen ie Bevölkerungsmehrheit gestützt zu han
Unterschiede bestehen freilich in takscher Hinsicht: Während die KP Griechennds im Hinblick auf das Versagen des Bünd-isses in der Zypernfrage auf „den völligen ustritt aus der NATO" sowie auf „die Auf-ebung der ungerechten Verträge mit dem entagon“
dringt gab KPP-Generalsekretär —varo Cunhal mehrfach zu erkennen, daß seine Partei die Zugehörigkeit des Landes zur Atlantischen Allianz gegenwärtig nicht zur Diskussion stellen will. In einem Interview mit der Pariser Zeitung „Le Monde" antwortete er auf eine entsprechende Frage: „Es gibt amerikanische Basen auf dem portugiesischen Territorium. Sie existieren. Portugal gehört zur NATO. Das sind schwerwiegende Probleme, die in dem allgemeinen Rahmen der europäischen Sicherheit, der Zusammenarbeit und einem neuen Klima internationaler Entspannung gelöst werden müssen. Ich glaube, daß man die Außenpolitik in dieser Frage gegenwärtig nicht ändern muß."
Die Vorstellungen der französischen Kommunisten unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen ihrer beiden Bruderparteien. In taktischer Anknüpfung an bestimmte gaullistische Traditionen laufen ihre Bemühungen letztlich darauf hin, die noch bestehenden Bindungen des Landes an die NATO vollends zu lösen, für Frankreich als unabhängigen, souveränen Staat die „volle Freiheit der Initiative wiederzuerlangen" und aktiv für ein System der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einzutreten. Auch sie mußten freilich wie die Portugiesen im Bündnis mit den Sozialisten taktische Konzessionen machen: Mitterrand ist ein überzeugter Anhänger der politischen Integration Westeuropas, und bei allen Vorbehalten gegenüber den USA denkt er ebensowenig wie de Gaulle an einen Austritt aus der politischen Organisation der NATO (jedenfalls solange nicht gleiche Sicherheit zwischen Ost und West gewährleistet ist). Was schließlich die italienische KP angeht, so steht sie in wesentlichen Punkten den Konzeptionen der französischen Sozialisten näher als denen der Kommunisten: Ihre Entspannungspolitik gründet sich auf die Annahme, daß die Blöcke noch lange weiterexistieren und nur in einem langen Prozeß abgebaut werden können. Aus dieser Sicht will die KPI die NATO akzeptieren und sich darüber hinaus aktiv am wirtschaftlichen und politischen Ausbau der EG beteiligen — eine Position, für die sie in den letzten Jahren in der spanischen KP einen Verbündeten gefunden hat. Genau betrachtet spitzt sich das Problem der Entspannungskonzeption der Westkommunisten und ihrem Realitätsgehalt auf die Frage zu, ob sie von einer gewissen Symmetrie bei der Überwindung der Blöcke ausgeht, oder ob sie an einer asymmetrischen Lösung mit der Wirkung einer einseitigen Schwächung des 26 Westens festhält. Für das erste Modell haben sich die Italiener und Spanier, für das zweite — mit taktischen Varianten — die Franzosen, Portugiesen und Griechen entschieden. 1. Das Entspannungskonzept der KPF An dieser Stelle ist es nicht möglich, ausführlich auf die einzelnen Etappen des Kampfes der Westkommunisten für die friedliche Koexistenz einzugehen. Was die französischen Kommunisten betrifft, so identifizieren sie sich voll mit den Methoden und Zielen der sowjetischen Koexistenzpolitik. Im Gegensatz zur KPI unternahmen sie auch keine eigenen Schritte, um durch parteidiplomatische Vermittlungsaktionen den Entspannungsprozeß zwischen den Supermächten und ihren Verbündeten aktiv zu unterstützen. Zum einen fühlen sie sich bis heute der sowjetischen Außenpolitik so eng verbunden, daß sie autonome und damit glaubhafte Initiativen etwa in der Deutschlandfrage weder entfalten konnten noch wollten. Vor allem aber konnten sie darauf bauen, daß de Gaulle mit seiner gesamteuropäischen Politik der detente-ententecooperation (Entspannung-Einvernehmen-Zusammenarbeit) ihren eigenen Zielen ohnehin weit entgegenkam: KPF-Generalsekretär Marchais scheute sich nicht, diese griffige Formel des Generals später für seine Partei zu übernehmen
In der Tat konnten die französischen Kommunisten in ihren außenpolitischen Konzeptionen zumindest verbal vielfach an die Vorstellungen de Gaulles anknüpfen, beispielsweise dann, wenn es darum ging, die Bindungen Frankreichs an den Westen zu lockern und die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten zu verstärken. Ab 1963 gingen sie daher zunehmend dazu über, die „positiven Aspekte der gaullistischen Außenpolitik" hervorzuheben. Seit seinem Rücktritt im April 1969 fühlen sie sich geradezu als die Sachwalter des Generals, dazu berufen, seine außenpolitische Linie gegen wachsende proatlantische Tendenzen seiner Nachfolger zu verteidigen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich freilich, daß die Übernahme des gaullistischen Vokabulars keineswegs immer auch die Übernahme gaullistischer Inhalte bedeutet.
Als Kernpunkt ihrer Entspannungskonzeption nennt die KPF neben dem allgemeinen Wunsch nach Friedenssicherung das Ziel, die volle Unabhängigkeit und Souveränität des Landes wiederzugewinnen, die durch die Zwänge ei-ner letztlich von den USA auferlegten „b schränkten Souveränität" stark bedro seien. Dabei geht es ihr vor allem darum, di Franzosen die Möglichkeit offenzuhalten, oh äußere Einmischung über die politische, wii schaftliche und soziale Zukunft des Land'selbst zu bestimmen, d. h. sich gegebenenfal auch für den sozialistischen Weg zu entsche den: „Die nationale Unabhängigkeit ist d sine qua non der demokratischen Entwid lung."
Im Unterschied zu den Gaullisten will d Partei mit dem von ihr proklamierten Ziel di nationalen Unabhängigkeit und Souveränit jedoch nicht die Voraussetzung für eine gri ßere nationale Machtentfaltung schaffen. Si tritt im Gegenteil für die Einstellung der frai zösischen Atomrüstung und für die Vernid tung des vorhandenen Atompotentials sowi für die Beteiligung Frankreichs an sämtliche Abrüstungsverhandlungen ein. Die Stärke de Streitkräfte müsse so bemessen sein, daß si in der Lage wären, die Verteidigung des ne tionalen Territoriums zu übernehmen De bei dürfe man sich nicht von vornherein ar einen bestimmten Gegner beziehen, sonder man müsse zu der von de Gaulle ausgearbei teten Rundumverteidigung wieder zurück kehren, um „jedem möglichen Angreifer, we auch immer es sei, entgegentreten" zu kön nen Bezeichnenderweise drohten die sozia listisch-kommunistischen Verhandlungen übe das Gemeinsame Regierungsprogramm 197: nicht an der Frage der Verstaatlichungen ode des Verhältnisses zum Sowjetmodell zu schei tern, sondern an dem Problem, ob die „rui nöse, unnütze und gefährliche“ force de frappe liquidiert (so die Kommunisten) ode: auf dem gegenwärtigen Stand eingefroren wer den solle (so die Sozialisten).
So gesehen, kann es nach Ansicht der KPI ) eine echte Entspannung in Europa erst be einer Auflösung der Blöcke sowie einer Wie'derherstellung der vollen nationalen Souve )An dieser Position hat sich, wie aus einer Rede des Leiters der Internationalen Abteilung, ZK-Mitglied Jean Kanapa, hervorgeht, bis heute im Grundsatz wenig geändert. Vor dem ZK bezeichnete es Kanapa als „sehr positiv, daß die kommunistischen Parteien der sozialistischen Länder der Ansicht sind, daß ihre erste Aufgabe mehr denn je in der Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft auf allen Ebenen besteht“
Der Unterschied zur ausgewogenen Entspannungskonzeption der italienischen Kommunisten ist unübersehbar. Für die KPI sind, wie im einzelnen zu zeigen sein wird, Fortschritte in der Politik der Entspannung heute im Grunde nur dann möglich, wenn dabei das bestehende Gleichgewicht der Mächte nicht in Frage gestellt wird. Für die KPF dagegen spielt der Gleichgewichtsgedanke keine wesentliche Rolle; sie sieht nach wie vor in der Stärkung der sozialistischen Gemeinschaft die beste Gewähr für einen Erfolg der Entspannungspolitik. Im Zeichen der Gespräche (seit 1963) und des Bündnisses (seit 1972) mit der nichtkommunistischen Linken mußte die KPF ihre traditionalistische Politik allerdings in wesentlichen Punkten modifizieren: Die Sozialisten waren nicht bereit, für eine Koalition mit den Kommunisten ihre politischen Grundsätze zu opfern, die EG zu einer politischen Union auszubauen und die NATO endgültig erst dann zu verlassen, wenn eine ausgewogene Sicherheitsregelung zwischen Ost und West erzielt worden ist. Angesichts dieser Lage hatte die KPF, was die NATO angeht, bereits 1965 erklärt, daß der Rückzug Frankreichs aus der Atlantischen Allianz für die Kommunisten keine „Bedingung für unsere Beteiligung an der Aktion (gemeint ist die damalige, von Sozialisten und Kommunisten gemeinsam getragene Kandidatur Mitterrands für das Präsidentenamt, d. Verf.) mit der Sozialistischen Partei und den anderen demokratischen Parteien“ sei
In dem schon mehrfach zitierten „Gemeinsamen Regierungsprogramm" mit den Sozialisten von 1972 zeigte sich dann, wie weit die außenpolitische Konzessionsbereitschaft der Kommunisten geht (wie viel ihnen also an einer Regierungsbeteiligung liegt). Nach langen Verhandlungen rückten sie von ihrem Ziel einer völligen Herauslösung des Landes aus dem Atlantikpakt ab, wie es im eigenen Programm von 1971 noch einmal formul worden war. Jetzt erklärten sie sich mit eir stufenweisen, parallelen Prozeß der Blc Überwindung einverstanden und gaben :
mit einer „fortschreitenden Auflösung politisch-militärischen Bündnisse auf bei« Seiten" zufrieden, wobei die „gegenwärti, Bündnisverpflichtungen Frankreichs" in Re nung gestellt werden sollten. Weiter heißt im Gemeinsamen Regierungsprogramm:
dem Maße, . wie auf dem Wege zur Schafft eines wirklichen kollektiven Systems der i ropäischen Sicherheit Fortschritte erzielt w den, wird die Regierung dafür eintreten, d geeignete Maßnahmen ergriffen werden, i die Länder Europas von den Lasten u Zwängen zu befreien, die sich aus ihrer 2 gehörigkeit zu den entsprechenden Bündn sen ergeben."
In europapolitischer Hinsicht schwenkte c Partei auf eine „doppelte Zielsetzung" ei „Beteiligung am weiteren Ausbau der EW und ihrer Institutionen sowie eine gemei same Politik unter dem Gesichtspunkt, dafi einzutreten, sie von der Herrschaft des Gro kapitals zu befreien, ihre Institutionen zu d mokratisieren, die Forderungen der Werkt tigen zu unterstützen und die Arbeit der G meinschaft auf die Erfüllung ihrer Interesse auszurichten."
Damit hatte die KPF, ohne ihre Grundsat Positionen aufzugeben, außen-und entspar nungspolitisch eine Kurskorrektur vollzöge; die eine gemeinsame Regierungspolitik m den Sozialisten ermöglicht hätte. Heute geh es ihr nicht mehr einfach um die Zerstörun von NATO und EG, sondern darum, das Ver hältnis Frankreichs zu beiden Organisationei nicht enger werden zu lassen, als es unte de Gaulle gewesen war. Daher kämpft sii gegenwärtig nicht für den Austritt Frankreich aus der Allianz, sondern gegen die zuneh mende faktische Reintegration des Landes in das Militärbündnis Daher zieht sie nicht mehr für die Auflösung der wirtschaftlichen Integration der EG zu Felde, sondern geg^n Pläne zur politischen und militärischen Inte gration der Gemeinschaft: In eigenartiger Umkehrung der Fronten beschuldigte schon vor Jahren der Internationalist (und KPF-Generalsekretär) Georges Marchais den Nationalisten (und damaligen Verteidigungsminister) Michel Debre, die de Gaulle heiligen Prinzipien der nationalen Souveränität auf dem Altar einer vaterlandslosen Europäischen Gemeinschaft der Truste und Kartelle geopfert zu haben. Sogar die von de Gaulle ausgearbeitete Strategie der Rundumverteidigung werde über Bord geworfen zugunsten einer politischen und militärischen Integration, die dabei sei, sich zwecks militärischer Entlastung der USA in eine antisowjetische Neuauflage der 1954 gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auf Nuklearbasis zu transformieren Ins Positive gewendet tritt die KPF auf bilateraler Ebene für eine weitere Verbesserung der französisch-sowjetischen Beziehungen ein: Im Februar 1973 schlug sie den Abschluß eines förmlichen „Nichtangriffsund Gewaltverzichtsvertrages" zwischen beiden Ländern nach dem Vorbild des deutsch-sowjetischen Vertrages von 1970 vor Auf multilateraler Ebene müsse Frankreich seine Außenbeziehungen so gestalten, daß es als unabhängiger und souveräner Staat eine aktive Rolle bei der Entspannung und bei der Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa spielen könne. In diesem Sinne betreibt sie eine Art Doppelstrategie: Im Innern übt sie einen entsprechenden Druck auf die Regierung aus; auf internationaler Ebene beteiligt die KPF sich aktiv an der Vorbereitung der gesamteuropäischen Kommunistenkonferenz, die Kanapa zufolge das Ziel hat, „den Frieden in Europa zu organisieren 2. Die Entspannungskonzeption der KPI Im Gegensatz zur KPF gingen die italienischen Kommunisten schon frühzeitig dazu über, eine aktive Politik der friedlichen Koexistenz zu betreiben. Sie hatten ohnehin den Konfrontationskurs des Kominform-Büros nicht voll mitgemacht, und als Stalin 1951 den KPI-Ge-neralsekretär Togliatti aufforderte, die Leitung des Kominform-Sekretariats zu übernehmen und der kraftlosen Organisation neues Leben einzuhauchen, lehnte dieser rundweg ab
War die Koexistenz-Propaganda der KPI zunächst noch primär als militanter „Kampf für den Frieden“ und somit als flankierende Maßnahme zur Unterstützung der sowjetischen Anti-NATO-Politik angelegt, so gewann Anfang der 60er Jahre der innenpolitische Aspekt die Oberhand: Die italienischen Kommunisten nahmen die Chance wahr, über das Problem der friedlichen Koexistenz mit der zweiten großen Macht des Landes — dem Katholizismus — ins Gespräch zu kommen und vor allem Einfluß auf die Politik der regierenden Christdemokraten zu gewinnen. In diesem Sinne war der Staatsbesuch Präsident Gronchis in der Sowjetunion (1960) ein erster großer Erfolg für die KPI, zumal er gegen starken Widerstand rechter DC-Kreise (sowie einflußreicher Gruppen im Vatikan) durchgesetzt worden war. Noch wichtiger war die Offnungspolitik Papst Johannes’ XXIII. gegenüber der kommunistischen Welt, wie sie am deutlichsten in der berühmten Enzyklika Pacem in Terris vom April 1963 zum Ausdruck kam: Der Aufruf des Papstes zur Sicherung des Weltfriedens klang wie ein Echo auf die langjährigen Appelle Togliattis, durch die Verankerung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz einen nuklearen Weltkrieg zu verhindern. Seit Mitte der sechziger Jahre gingen die italienischen Kommunisten sogar noch einen Schritt weiter, indem sie ihre Bruderparteien zu verstärkten Entspannungsinitiativen auf internationaler Ebene aufforderten. Sie sahen die Aufgabe beispielsweise der Karlsbader Konferenz europäischer kommunistischer Parteien (April 1967) nicht wie die osteuropäischen Kommunisten in erster Linie darin, durch einen extensiven Forderungskatalog an Bonn die als gefährlich erachteten ostpolitischen Neuansätze der Großen Koalition im Keim zu ersticken. Die KPI verstand die Konferenz vor allem als Ausgangspunkt für einen Dialog zwischen Kommunisten, Sozialisten und Katholiken über Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und mehrfach äußerte sie — nicht zuletzt an die Adresse ihrer Bruderparteien — ihre Enttäuschung darüber, daß „Karlsbad nicht die Konsequenz politischer Initiative gehabt hat, die notwendig und ihrer unitarischen Plattform angemessen gewesen wäre“ Mit Schrecken erinnerten sich Spitzenpolitiker der KPI später daran, daß „der Genosse Ulbricht einmal bemerkte, Brandt sei schlimmer als Strauß“
Am bemerkenswertesten aber war zweifellos, daß die KPI mit Wissen Moskaus, doch in eigener Verantwortung eine Reihe von Initiativen startete, um durch konkrete Vermittlungsaktionen zwischen Ost und West zur Beseitigung der wichtigsten internationalen Spannungsherde und damit zur Auflösung der starren Fronten beizutragen. Diese hierzulande teilweise wenig bekannten Aktionen, die in der Geschichte der nichtregierenden kommunistischen Parteien einmalig dastehen dürften, bezogen sich einmal auf Bemühungen um eine Beendigung des Krieges in Vietnam. Hier vermittelte die KPI in den Jahren 1965/66 mehrere Kontakte zwischen dem Vatikan und Hanoi. Der heutige Parteichef Berlinguer persönlich überbrachte Ho Tschi Minh im Dezember 1966 eine Botschaft des Papstes, in der dieser seine guten Dienste anbot, um Friedensgespräche zwischen den USA und Nordvietnam einzuleiten Ein weiteres Mal wurde die KPI in dieser Sache im Vorfeld der Pariser Vietnamkonferenz aktiv: Im Rahmen des 24. Parteitages der KPdSU (Februar/März 1971) übergab der nordvietnamesische Außenminister Nguyen Duy Trinh der KPI-Delegation eine erste Liste der amerikanischen Gefangenen, die von dieser über die italienische Regierung nach Washington weitergeleitet wurde Damit hatten die italienischen Kommunisten nicht wenig dazu beigetragen, „bestimmten Forderungen der amerikanischen Öffentlichkeit entgegenzukommen“ und das Klima für Frie-desverhandlungen zu verbessern.
Bei der zweiten, bekannteren Initiative der KPI handelt es sich um die multilaterale Parteiendiplomatie, die sie um die Jahreswende 1967/68 zwischen der SPD einerseits sowie SED (und KPdSU) andererseits einleitete Ausschlaggebend für die Aufnahme dieser Kontakte war die Erkenntnis, daß das ungelöste Problem der deutsch-deutschen Beziehungen den gesamten Entspannungsprozeß in Europa zu blockieren drohte. In einer kurzen, aber intensiven bilateralen Kontaktrunde suchte die KPI die deutschlandpolitischen Positionen der Bonner Sozialdemokraten und der Ost-Berliner Kommunisten auszuloten, in der Hoffnung, sie einander näherzubringen, das „alte Mißtrauen zwischen Ost und West zu überwinden"
und durch eine Entspannung im Herzen des Alten Kontinents das große Gespräch über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa endlich in Gang zu setzen. Sicher wird man diese KPI-Initiative in ihrer Wirkung nicht überwerten dürfen. Immerhin, als schließlich die sozialliberale Koalition ihre Öffnung nach dem Osten einleitete, brauchte sie nicht beim Nullpunkt anzufangen: Die italienischen Kommunisten hatten als unabhängige und selbstbewußte Diplomaten bereits eine gewisse Vorarbeit geleistet.
Wie aber sehen die europapolitischen Neuordnungsvorstellungen aus, die die KPI mit ihren Entspannungsinitiativen verbindet? Natürlich unterstützte die Partei die Ziele ihrer regierenden Bruderparteien, in Abmachungen mit der Bundesrepublik den territorialen Status quo vertraglich zu verankern. Es versteht sich auch, daß sie für eine verstärkte gesamteuropäische Zusammenarbeit auf den verschiedensten Gebieten und Ebenen eintritt. Deutliche Unterschiede zu den Konzeptionen der KPdSU zeigen sich erst, wenn man die Vorstellungen der KPI zur Stellung Italiens in der Atlantischen Allianz sowie zur zukünftigen Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft ins Auge faßt.
Ausgangspunkt der KPI-Konzeption für eine dynamische Entspannungspolitik in Europa sind zwei Überlegungen. Die erste Überlegung, die stark von den Thesen Kissingers beeinflußt ist, geht davon aus, daß bei fortbestehender militärischer Bipolarität die jahrzehntelange politische Hegemonie der USA über die westliche Welt in eine Krise geraten ist und vor allem die Westeuropäer an Eigengewicht gewonnen haben. Politisch und wirtschaftlich sei die Welt in eine „polyzentrische" Phase eingetreten, in der auch die kleineren Staaten über verstärkte Artikulationsmöglichkeiten verfügten: „Die Annäherung (zwischen den USA und der Sowjetunion, d. Verf.) ist sicherlich notwendig und sogar unerläßlich. Sie ist jedoch nicht ausreichend, weil die Welt von heute etwas sehr viel anders ist als eine Art von Wettkampf zweier Kontinente, dem eine Zuschauermasse von der Tribüne aus zusieht. Außerdem könnten weder die USA noch die UdSSR weiterhin für sämtliche kapitalistischen oder sämtliche sozialistischen Länder sprechen, selbst wenn dies in ihrer Absicht läge. Die Realität ist weit davon entfernt und ziemlich anders, auf der einen wie auf der anderen Seite ... Immer stärker erhebt sich die Forderung nach Teilnahme, immer deutlicher wird die Ablehnung, anderen die Bestimmung dessen zu übertragen, was auch — sei es direkt oder indirekt — das eigene Schicksal berührt
Angesichts dieser Entwicklung handelt es sich für die KPI ebenso wie für Kissinger darum, , ein bestimmtes Ordnungskonzept in einer Welt auszuarbeiten, die militärisch bipolar und politisch multipolar ist"
Die zweite Überlegung der KPI relativiert diesen Trend zu einem multipolaren Beziehungssystem insofern, als sie davon ausgeht, daß sowohl die USA als auch die Sowjetunion an einer echten Autonomie ihrer Verbündeten nicht interessiert sind. Gerade die jüngste Phase der Entspannungspolitik in Europa hat der KPI zufolge gezeigt, daß zwischen den Supermächten grundsätzliches Einvernehmen darin besteht, auf die Unterstützung zentrifugaler Tendenzen im jeweils anderen Block zu vertichten. Dafür sei der Fall Rumäniens ein gutes Beispiel: Während die westliche Presse die eigenständigen rumänischen Positionen auf der KSZE mit Beifall bedenke, versage ihr die westliche Diplomatie jegliche Hilfe. Umgeiehrt habe Frankreich seine eigenständige Präsenz auf internationaler Ebene reduziert
Für die USA bedeute, so die KPI-Führung, die Theorie der „Multipolarität" nichts anderes ds die Suche nach neuen Formen der Hegemo-M, um die vor allem durch den Vietnamkrieg yerursachten Schwierigkeiten zu überwinden;
Kissingers Aufruf zum Abschluß einer neuen Atlantikcharta unterstreiche, daß die USA auf ihre Führungsrolle im westlichen Lager nicht yerzichten wolle. Doch auch die „sozialistische Melt (gemeint ist die Sowjetunion) habe — we die militärische Intervention in der Tsche-
„oslowakei zeige — „keine hinreichend überzeugenden Beweise für die Annahme geboten, ddie sozialistischen Länder ernsthaft die Ab-hätten, eine Offensive zur Überwindung der militärischen Blöcke einzuleiten“ Diese starre Haltung der Sowjets wurzele nicht nur in der Furcht vor den Chinesen, deren Propaganda zur Auflösung der Blöcke sich in den Augen Moskaus als antisowjetische Operation darstelle, sondern habe ihre Ursache auch in den Wunsch, „von der Stärke zu profitieren, die darin liegt, den USA in den Verhandlungen als ein Block gegenüberzutreten"
Aufgrund dieser Situationsanalyse kam die KPI-Führung zu dem Ergebnis, „daß die beiden Militärbündnisse — mögliche Transformationen und Modifikationen nicht ausgeschlossen — sowie vor allem die beiden , Atomschir-
me‘ weiterbestehen werden" und daß „der Prozeß des Aufbaus eines Systems der Sicherheit, Zusammenarbeit und Entspannung noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird" Mit anderen Worten: Die KPI-Führung mußte eine eigene, neue „Westpolitik“ entwickeln und dabei insbesondere die „militärischen und strategischen Probleme“ in Rechnung stellen. Denn „eine Partei, die wie wir eine Regierungspartei sein und auf die nationale und internationale Lage einwirken will — eine solche Partei darf niemals die eigenen Wünsche mit der Realität und die Realität mit den eigenen Wünschen verwechseln. Sie muß von einer realistischen und absolut ernsthaften Einschätzung des Kräfteverhältnisses ausgehen. Andernfalls kann sie zwar Propaganda betreiben, aber nicht auf die politische Lage einwirken oder sie verändern."
Das Charakteristische dieser neuen Westpolitik der KPI liegt also darin, daß sie von einer symmetrischen Lösung bei der Blocküberwindung in Europa ausgeht. Auf Osteuropa bezogen bedeutete das für sie die Forderung an die Sowjets, die „fatale Logik“ aufzugeben, „jedes neue Gleichgewicht, jedes Abgehen von verfestigten Positionen im Innern und in den internationalen Beziehungen als eine potentielle Gefahr für die Stabilität und die Sicherheit des Blockes" anzusehen und als „wichtigster Garant des Systems" die Hegemonie über die anderen Blockstaaten weiter auszudehnen Die Logik der Blöcke — so Luigi Longo — hat „auch innerhalb der Bündnisgemeinschaft der sozialistischen Staaten“ seine Auswirkungen gehabt: „Diese Logik also ist es, die durchbrochen werden muß, wenn man auf europäischer Ebene sowie im Innern eines jeden Landes neue Bedingungen für den demokratischen Fortschritt und die demokratische Erneuerung schaffen will. Dies ist neben den anderen Problemen der Kernpunkt der Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten und in ihrem Innern.“
Im Blick auf die Haltung der KPI zum westlichen Bündnis bedeute das umgekehrt, sich auf den Boden der Realitäten zu stellen und die Einbindung Italiens in die NATO zu akzeptieren. Trotz erheblicher Widerstände vor allem in den unteren und mittleren Rängen ist dies inzwischen zur offiziellen Linie der Partei geworden. Noch auf dem XII. Parteitag vom Februar 1969 hatte Generalsekretär Longo nicht nur scharfe antiamerikanische Töne angeschlagen, sondern darüber hinaus einen verstärkten Kampf für den Austritt aus der damals zur Revision stehenden Atlantischen Allianz angekündigt und die Losung ausgegeben: „NATO raus aus Italien, Italien raus aus der NATO
Die Alternative der Parteiführung lief damals auf eine Politik der aktiven Neutralität Italiens außerhalb der Blöcke nach jugoslawischem Muster hinaus
Schon wenige Jahre später jedoch forderte der Leiter der Internationalen Abteilung, ZK-Mitglied Sergio Segre, realistisch über das Verhältnis Italiens zu den USA nachzudenken: Die Amerika-Politik der KPI dürfe sich nicht in Demonstrationsparolen wie „Henker Nixon" erschöpfen oder sich damit begnügen, Beziehungen zu den Kräften des „anderen Amerika“ anzuknüpfen — Minderheitskräften, die zudem in einer tiefen Krise steckten Auf dem XIII. Parteitag vom März 1972 ließ Berlinguer, der bei dieser Gelegenheit zum Nachfolger Longos als KPI-Generalsekretär gewählt wurde, erstmals die Bereitschaft der Partei durchblicken, ihre Einstellung zur NATO zu überprüfen. Wörtlich erklärte er: „Selbst die Divergenzen (der KPI zur DC, d. Verf.) in der Frage des Atlantikpakts und der damit verbundenen politischen und militärischen Probleme können heute dynamisch, als nicht mehr in dem statischen Bezugsrahmen des kalten Krieges betrachtet werden. Sogar die — entscheidende — Frage der Überwindung des Subordinationsverhältnisses, das unser Land an die NATO bindet, kann man nicht mehr auf die einfache Stellungnahme für oder gegen den Militärpakt reduzieren.“
Auf dem ZK-Plenum vom Dezember 1974 brachte Berlinguer in seiner Rede zur Vorbereitung des XIV. Parteitags (März 1975) al diese Überlegungen zu einem gewissen Abschluß. Er wiederholte die Absicht seiner Partei, nicht den einseitigen Austritt Italiens aus der NATO zu betreiben. Darüber hinaus mahnte er die KPI eindringlich, bei allen Entspannungsbemühungen in Europa „mit großer Aufmerksamkeit und starkem Realitätssinn'
das militärstrategische Gleichgewicht zwischen den Blöcken in Rechnung zu stellen. Die Über-windung der Blöcke könne nur das Ergebnis der Entspannung sein, nicht aber ihre Voraussetzung: „Die vollständige Auflösung der Blöcke erscheint in einer solchen Perspektive als ein voraussichtlich nicht sehr naher Schlußpunkt der Entspannung. Das Ziel der Blockauflösung als eine Voraussetzung der Entspannung setzen zu wollen würde hingegen bedeuten, es unmöglich zu machen. Dies würde den umfassenden Prozeß in Richtung auf Entspannung und Zusammenarbeit vielmehr komplizieren und verlangsamen."
In diesen Rahmen fügen sich die westeuropa-politischen Konzeptionen der italienischen Kommunisten nahezu fugenlos ein. Hier kann nicht auf die einzelnen Etappen ihres EG-Adaptionsprozesses sowie dessen innen-und wirtschaftspolitische Motivierung eingegangen werden Nur soviel sei festgehalten: Nach einer ersten Phase der Ablehnung setzte sich in der KPI-Führung die Ansicht durch, daß die Westeuropäer den kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen (Multinationale Konzerne) und politischen Prüfungen (Druck der Supermächte) nur gemeinsam begegnen können. Für die italienischen Kommunisten wurde die Ausweitung der Wirtschaftsund Währungsunion zu einer politischen Union mit supranationalen Institutionen und Befugnissen geradezu zu „einer Bedingung der Unabhängigkeit der europäischen Staaten" überhaupt Sie plädieren daher — so Politbüromitglied Giorgio Amendola auf der Brüsseler Konferenz der westeuropäischen kommunistischen Parteien vom Januar 1974 — für den Ausbau ,einer demokratischen multinationalen Organisation, die die Probleme anpackt, zu deren Lösung sich die einzelnen Nationalstaaten außerstande sehen: Währungskrise, Kapital-zirkulation, Kontrolle der multinationalen Gesellschaften, Energieproblem, Umweltzerstörung etc.“
Die Vorstellungen der Spanier, die nicht nur der amerikanischen, sondern auch der sowjeti-schen Westeuropapolitik kritisch gegenüber-stehen, gehen in eine ähnliche Richtung. In einer von den Sowjets später scharf kritisierten programmatischen Rede vor dem ZK betonte M. Azcarate, Mitglied des Exekutivkomitees (= Politbüros): „Wir wollen ein Europa, das nicht der Hegemonie irgendeiner Großmacht unterliegt und das nicht in atlantischer Unterordnung lebt, sondern das gute Beziehungen mit den Vereinigten Staaten, mit Rußland (sic!), China und mit den anderen Ländern unterhält ... Wir wollen ein unabhängiges Europa, das Europa der Völker und Arbeiter, ein demokratisches und sozialistisches Europa.“
Wie aber sieht in den Augen der KPI die Zuordnung einer solchen supranational organisierten Europäischen Gemeinschaft aus und welche Rolle spielt sie im Entspannungsprozeß zwischen den Supermächten? Hier könnte eine Reihe von Stellungnahmen hoher Parteiführer zu der Ansicht führen, die KPI (wie auch die KPSp) strebe für ein vereinigtes Westeuropa die Position einer „Dritten Kraft" zwischen den Supermächten an. Als Ansatzpunkt für eine solche Interpretation sei hier nur auf Berlinguers Vision der „weltweiten Rolle eines demokratischen, unabhängigen und friedlichen Westeuropa“ verwiesen, „das weder antisowjetisch noch antiamerikanisch ist, sondern Beziehungen der Freundschaft und der Zusammenarbeit mit diesen und anderen Ländern anknüpft“
Schaut man jedoch genauer hin, so zeigt sich, daß die KPI-Führung das Konzept einer „Dritten Kraft“ für Westeuropa als unrealistisch ansieht. In ausdrücklicher Übereinstimmung mit einer einschlägigen europapolitischen Langfriststudie des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen hält sie extreme Entwicklungen in Europa — eine Rückkehr zum kalten Krieg einerseits bzw. eine Auflösung der Blöcke andererseits — für wenig wahrscheinlich. Realistischer sei das dritte sowjetische Perspektivmodell der Ost-West-Beziehungen in Europa, das eine Fortsetzung der gegenwärtigen Trends hinsichtlich politischer, wirtschaftlicher und rüstungsbegrenzender Abkommen prognostiziere. Diese Hypothese, die „von einem Entwicklungsprozeß im gegenwärtigen Rahmen (eine oder mehrere europäische Sicherheitskonferenzen, Truppenreduzierung, Vervielfachung des Handels und der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit) ohne eine wesentliche Veränderung des europäischen politischen Rahmens in diesem Jahrzehnt" ausgehe — diese Hypothese beruht Segre zufolge auf einer „logischen und überzeugenden Analyse“
Unter diesen Bedingungen zielt die Westeuropapolitik der KPI zwar durchaus auf eine verstärkte wirtschaftliche, politische und letztlich auch militärische Emanzipation von den USA. Amendola beispielsweise erkannte die Schaffung einer gemeinsamen westeuropäischen Verteidigungspolitik als reale Aufgabe an, und zwar „in dem Maße, in dem die Gemeinschaft ihre Autonomie gegenüber den Vereinigten Staaten zu sichern sucht“ Diese Politik ist aber nicht auf einen radikalen Bruch aller traditionellen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu den USA angelegt. Vielmehr ist es nach Auffassung der KPI Aufgabe der weiter zusammenwachsenden Europäischen Gemeinschaft, im Rahmen des westlichen Bündnisses ihr wachsendes politisches Gewicht einzusetzen, um durch eigene Initiativen beispielsweise in der Nahostfrage oder im Hinblick auf Probleme der europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit zur globalen Entspannung beizutragen.
IV. Perspektiven aus westlicher und östlicher Sicht
Zieht man die Summe aus diesen Ergebnissen, so ist gar keine Frage, daß eine kommuni-stische Regierungsbeteiligung in einem der er-Gähnten Länder die sicherheitspolitische Lage des westlichen Bündnisses erheblich komplizieren und zu neuen Überlegungen herausfordern würde. Ein Mann wie der stellvertretende italienische Ministerpräsident und Führer der linksliberalen Republikaner La Malfa, der den italienischen Kommunisten mit Blick auf die Innenpolitik mittlerweile die »demokratische Reife“ attestierte hält aus außen-und sicherheitspolitischer Sicht einen Regierungseintritt selbst der KPI — der „proatlantisch-
sten" also unter den Westkommunisten — noch immer für ein unwägbares Risiko, weil er weitere Elemente der Unsicherheit in das westliche Bündnis hineintragen und das machtpolitische Gleichgewicht zwischen Ost und West weiter zugunsten des Ostens verschieben würde. Schließlich ist die NATO und ihr Verhältnis zu den USA schon heute geradezu durch einen Mangel an Kohäsion, Festigkeit und Zuverlässigkeit charakterisiert, und das jetzige Beispiel Portugals zeigt zumindest eine weit größere Elastizität der Atlantischen Allianz und der amerikanischen Führungsmacht, als sie bisher auf der Seite des Warschauer Pakts und der sowjetischen Führungsmacht festzustellen waren. Eine echte Symmetrie wäre dann erreicht, wenn Westeuropas Kommunisten damit begännen, für eine Föderation der osteuropäischen Mittel-und Kleinstaaten einzutreten, wie sie beispielsweise Tito, Dimitroff und irgenwann einmal auch Gomulka vorschwebte, d. h. für eine Föderation, die eher imstande wäre, mit der sowjetischen Führungsmacht auf gleichem Fuß zu verhandeln.
Wenn hier auf den Aspekt des Risikos für den Westen nicht näher eingegangen wird, so deshalb, weil er oft genug geschildert und beleuchtet wurde, keineswegs jedoch, weil er übersehen oder verharmlost werden soll.
Hier soll einmal umgekehrt auf zwei Punkte hingewiesen werden, die einen kommunistischen Regierungsantritt wenigstens in zwei Fällen nicht ganz so negativ erscheinen lassen, wie das bei uns — anders als in weiten Kreisen unserer Partnerländer — meist geschieht. Zum einen ist zu bedenken, daß diese Parteien, die einen großen Teil der arbeitenden und sozial schwachen Schichten ihres jeweiligen Landes vertreten, durch eine konstruktive Mitarbeit zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilisierung der südwestlichen Flanke der westlichen Gemeinschaft sowie zur Modernisierung der administrativen und wirtschaftlichen Strukturen der einzelnen Staaten beitragen könnten. Das erwarten im Blick auf die KPI beispielsweise so einflußreiche Industrielle wie der eingangs zitierte Aurelio Peccei oder FIAT-Chef Giovanni Agnelli, der gleichzeitig Vorsitzender des italienischen Industriellenverbandes Confindustria ist. Und wenn man dem KPSp-Generalsekretär San-78 tiago Carrillo Glauben schenken kann, so we sen die Vorstellungen auch des moder denkenden spanischen Unternehmertums i ähnliche Richtung
Zum anderen würde eine Regierungsbeteili gung der italienischen und — nach einer durch aus möglichen Umwälzung — auch der spani sehen Kommunisten das politische und mili tärische Gleichgewicht zwischen Ost und Wes nicht ohne weiteres aus dem Lot bringen: Dii italienischen und spanischen Kommunisten ge hen heute von der Notwendigkeit eines paral leien und gleichgewichtigen Abbaus der Blockt aus und wollen darüber hinaus der (westeuropäischen Einigung neue Impulse geben In Abwandlung eines Lenin-Wortes meinte das Organ der links von der KPI abgespalte ten Manifesto-Gruppe dazu sarkastisch, dai die Arbeiterklasse, wie in so vielen Fällen mit der Belebung des europäischen Gedankens nur etwas aufgegriffen habe, was vom Bür'
gertum längst fallengelassen worden sei Bei den portugiesischen, griechischen und französischen Kommunisten liegen die Dinge komplizierter. Ihre Vorstellungen zur Block-auflösung hätten eine einseitige Schwächung des Westens zur Folge, und soweit sie zu sicherheits-und entspannungspolitischen Konzessionen bereit sind, lassen sie sich in hohem Maße von taktischen Erwägungen leiten. Was die Haltung der KP Portugals angeht, so wird: viel vom zukünftigen Kräfteverhältnis im Lande abhängen; im Gegensatz zu einer Reihe anderer Punkte war die sicherheitspolitische Lage sowie die zukünftige Haltung zur NATO bis jetzt noch nicht Gegenstand von Kontroversen der in der Regierung vertretenen Kräfte. Die Haltung der KPF wirkt weniger dramatisch, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie sich in Einklang befindet mit bestimmten Traditionen der französischen Außenpolitik und ihren spezifischen gaullistischen Ausprägungen. Auch hier wird das Kräfteverhältnis in einer möglichen zukünftigen Linksregierung eine wichtige Rolle spielen: Solange die Sozialisten die entscheidenden Hebel in der Hand halten — und vieles spricht dafür, daß die Wähler einer linken Alternative nur dann mehrheitlich das Vertrauen aussprechen werden, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist —, wird den Kommunisten keine andere Wahi bleiben, als sich den außenpolitischen Leitlinien der Sozialisten anzuschließen. Nicht nur für den Westen, sondern auch für die östliche Vormacht Sowjetunion würden sich indes komplizierte Probleme ergeben, wenn im Zeichen wachsender Entspannung die französischen, italienischen oder spanischen Kommunisten an die Macht kämen. Es ist kein Zweifel, daß die KPdSU den auf den spezifischen Bedingungen Westeuropas zugeschnittenen Sozialismuskonzeptionen ihrer westlichen Bruderparteien nur wenig Positives abgewinnen kann. Sie macht sich nicht nur Sorge um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen, die eine relative politische Stabilität des dort bestehenden Systems zur Voraussetzung hat und durch riskante, struktur-verändernde Experimente nur gestört oder sogar unterbrochen werden könnte. Darüber hinaus befürchtet sie, ein attraktiver westeuropäischer Sozialismus könne der ideologischen und politischen Kontrolle Moskaus vollends entgleiten. Sicher nicht zufällig ging sie außerordentlich scharf mit einer Analyse des mehrfach zitierten spanischen KP-Führers Azcärate ins Gericht, die sich weitgehend mit den europapolitischen Vorstellungen der KPI deckte:
Er (Azcärate) bingt dabei seine eigene europäische Alternative vor und maßt sich an, diese allen komunistischen Parteien der kapitalistischen Länder Europas aufzwingen zu können. Dieser seiner haftet aber Alternative unverkennbar der Anflug des Nationalismus an. Er wünscht sich — man höre — ein .demokratisches und sozialistisches" Europa, das jedoch in keiner Weise mit der bestehenden sozialistischen Staatengemeinschaft verbunden ist.“
Schließlich muß Moskau damit rechnen, daß ein Sozialismusmodell, das die bürgerlichen Grundfreiheiten in sich aufnehmen und sich damit vom Sowjetmodell stark abheben würde, beträchtliche Ausstrahlungskraft auf Osteuropa hätte und damit nicht nur in Westeuropa, sondern auch in Osteuropa, der eigentlichen Basis der sowjetischen Weltmachtstellung, destabilisierend wirken könnte; und dies um so mehr, als die Auflösung der Blöcke nach Ansicht einiger Parteien auch den sowjetischen Hegemonialbereich einschließen muß.
Als die Chinesen Ende der fünfziger Jahre amit begannen, den Sowjets vorzuwerfen, durch die von ihnen praktizierte Form der Koexistenz den Klassenkampf ab^schwächen iedlichen und eine sozialistische Revolu-Ln in den kapitalistischen Ländern zu ver-
ln ern, stießen sie noch auf den energischen Widerspruch der Westkommunisten 8t). Heute sehen es die relevanten kommunistischen Kräfte Westeuropas anders. Mehr oder weniger offen äußern sie die Befürchtung, daß sie die Zeche der sowjetischen Entspannungspolitik bezahlen müssen, und zwar insofern, als Moskau die Interessen der revolutionären Kräfte (Überwindung des gesellschaftspolitischen Status quo im Westen) Erwägungen der sowjetischen Staatsräson (wirtschaftliche Zusamenarbeit mit dem Westen) opfert. Auffallend häufig mahnte die außenpolitisch normalerweise moskautreue KPF in den letzten Monaten vor Versuchen, „diesem Teil der Welt einen sozialen und politischen Status quo aufzuzwingen“ Sie hat dazu in der Tat einigen Grund, denn seit über zehn Jahren machen die Sowjets keinen Hehl daraus, daß sie dem gaullistischen Frankreich den Vorzug vor einem Linksregime geben.
Am deutlichsten aber verurteilte die KP Spaniens die „falsche Konzeption der Koexistenz-politik", die nach Ansicht ihres Generalsekretärs Santiago Carrillo „in einer bestimmten Vorstellung von Staatsräson wurzelt und mit einer Klassenposition nichts zu tun hat" Carrillo verwies auf die Gefahren einer „idealistischen und metaphysischen" (d. h. im -Klar text: einer von den Bedingungen des Klassenkampfes losgelösten) Koexistenzkonzeption.
Noch immer stehen die großen kommunistischen Parteien Westeuropas im Schnittpunkt zweier Welten. Bei einigen von ihnen mehren sich freilich die Anzeichen — das unterstreichen nicht zuletzt ihre Konzeptionen zur Entspannung in Europa und die dahinterstehenden Motive und Zielsetzungen —, daß sich die internationalistischen Bindungen an den Osten zunehmend lockern, und zwar zugunsten einer verstärkten nationalen und regionalen Verankerung im Westen. Angesichts der engen Verflechtungen in Westeuropa sollte man diese Parteien auch hierzulande ernst nehmen und ihnen den Dialog nicht verweigern: Zumindest die italienischen und spanischen Kommunisten befinden sich mitten in einem Adaptionsprozeß, und möglicherweise kann der Dialog ihnen helfen, diesen beschleunigt zum Abschluß zu bringen.