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Wie sicher ist der Atomwaffensperrvertrag? Zur Überprüfungskonferenz in Genf | APuZ 19/1975 | bpb.de

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APuZ 19/1975 Artikel 1 Wie sicher ist der Atomwaffensperrvertrag? Zur Überprüfungskonferenz in Genf Der IV. Nationale Volkskongreß und die neue chinesische Verfassung Ostkunde — richtig gesehen, sachgemäß und zeitgerecht behandelt

Wie sicher ist der Atomwaffensperrvertrag? Zur Überprüfungskonferenz in Genf

Ansgar Skriver

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Mai 1975 ist der „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen" (Atomwaffen-sperrvertrag, NV-Vertrag) Thema einer Genfer Uberprüfungskonferenz der 94 Vertrags-staaten. Da Italien in letzter Minute ratifiziert hat, werden die an friedlicher Nutzung der Nukleartechnologie vital interessierte Bundesrepublik und die anderen kernwaffenlosen Atomstaaten doch noch an der Konferenz teilnehmen können. Der NV-Vertrag unterstreicht den weltpolitischen Rang der Nuklearmächte als ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates der Vereinten Nationen mit Vetorecht, wogegen Indien, Nuklearmacht erst seit 1974, protestiert. Die Nuklearmächte Frankreich, China und Indien sind außerhalb des auf Universalität angelegten NV-Vertrags’ geblieben. Die Kernwaffenstaaten USA, UdSSR und Großbritannien haben ihre vertragliche Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nicht erfüllt. Während der NV-Vertrag zunächst den Besitz von Kernwaffen einem Oligopol vorbehalten und auf Verlangen der UdSSR nukleare Kapazitäten vor allem der Bundesrepublik Deutschland von einer militärischen Verwendung ausschließen wollte (der Vertrag war eine Voraussetzung für die Ostpolitik der Regierungskoalition seit 1969), rücken heute seine Sicherheitsbestimmungen für die grundsätzlich allen Vertragsstaaten eröffnete friedliche Nutzung von Nukleartechnologie in den Vordergrund. Auch wenn die überstürzten Entscheidungen vor allem in den Industriestaaten zugunsten des Massenaufbaus von Kernkraftwerken und die Überzeugungen ihrer Regierungen, langfristig könne nur Kernenergie den Energiebedarf decken, bestätigt werden und noch offene technische Sicherheitsfragen gelöst sein sollten, so bleibt doch die enorme Verbreitung von Plutonium als Kernkraftwerk-Abfallprodukt und Atombombenmaterial ein überragendes Problem internationaler Politik. So lange die bestehenden Sicherheitsregelungen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) unzulänglich sind, so lange zahlreiche nukleare „Schwellenmächte“ außerhalb des NV-Vertrags stehen, das Gewinnstreben multinationaler Konzerne sich mit dem Energieinteresse all jener Entwicklungsländer verbünden kann, die unbezahlbare Olim-porte durch Kernenergie-Produktion im eigenen Land ersetzen wollen oder müssen, droht die Gefahr „atomarer Anarchie". Die Chance, ihrer Herr zu werden und eine lückenlose internationale Kontrolle zu schaffen, ist möglicherweise schon unwiderbringlich vertan.

Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des „Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen" (NV-Vertrag) beginnt am 5. Mai 1975 in Genf eine Konferenz der Vertragsparteien. Ort und Zeitpunkt sind im Vertrag ausdrücklich festgelegt. Der Zweck dieser Konferenz: Überprüfung der Wirkungsweise des Vertrags, „um sicherzustellen, daß die Ziele der Präambel und die Bestimmungen des Vertrages verwirklicht werden"

Dem NV-Vertrag gehören drei Mächte an, die ihre Fähigkeit zu Nuklearexplosionen praktisch bewiesen haben: USA, Sowjetunion, Großbritannien, auch historisch die ersten Nuklearmächte. Drei weitere Staaten, die derartige Explosionen ausgelöst haben, stehen außerhalb des NV-Vertrags: Frankreich, die Volksrepublik China, Indien.

Diese „vielleicht bedeutsamste internationale Zusammenkunft des Jahrzehnts" hat bisher kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Anders als in den sechziger Jahren erscheint die Gefahr atomarer Anarchie als „politisches Randthema" Die Vorbereitungen zur Über-prüfung des Vertrags, aber auch der Ratifizierungsvorgang für den Beitritt der Bundesrepublik, der im Februar 1974 zusammen mit einem „Verifikationsabkommen" (über die Position von 7 EG-Mitgliedsstaaten, der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM und der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO zu diesem Vertrag) parlamentarisch abgeschlossen wurde, blieben in der Öffentlichkeit fast unbemerkt.

Öffentlichkeit aber bedeutet wenigstens in demokratischen Ländern Kontrolle und Teilhabe an den wesentlichen Zukunfts-Entscheidungen. Die Kompliziertheit internationaler Zusammenhänge und moderner Technologien* scheint eine breite Diskussion im Zusammenhang mit der anstehenden Überprüfung des NV-Vertrags zu verhindern. Wäre es daher nicht an der Zeit, nicht nur die Funktionen des Vertrags, sondern auch seine politischen Voraussetzungen einer Diskussion zu unterziehen? Oder erweist es sich in dieser Materie als unmöglich, daß die Mehrheit der Menschheit, wenn mangels Sachverstandes schon nicht selbst, dann doch wenigstens durch ihre Repräsentanten über ihr Schicksal in voller Kenntnis selbst entscheidet?

Die Bundesrepublik kann in Genf wahrscheinlich doch teilnehmen Die Bundesrepublik Deutschland wendet die Bestimmungen des NV-Vertrags zwar schon an, war aber bis Ende April 1975 zur Teilnahme an der Überprüfungskonferenz nicht in der Lage, weil sie ihre Ratifikationsurkunde nicht hinterlegen konnte, ebensowenig wie die Benelux-Staaten, Dänemark und Irland.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat nämlich am 11. Juli 1968 den Standpunkt vertreten, „daß die Mitgliedstaaten eine rechtliche Bindung an den Atomsperrvertrag nur dann eingehen können, wenn die Modalitäten der Sicherheitskontrolle (nach Artikel III, IV des NV-Vertrages betr. Versorgung mit und freien Verkehr von Kern-materialien) die volle Anwendung des EURATOM-Vertrages gewährleisten; sie betrachtet den Abschluß eines Nachprüfungsabkommens zwischen der Gemeinschaft und der IAEO als den geeigneten Weg, die erforderlichen Garantien zu erlangen" Daraufhin haben die damals fünf EURATOM-Mitgliedstaaten, die Nichtkernwaffenstaaten sind (also ohne das 6. Mitglied, Frankreich, das Kernwaffenstaat ist), am 31. Juli 1968 erklärt, zwischen den Zielen des NV-Vertrages und denen des EURATOM-Vertrages bestehe keine Unvereinbarkeit, die Kommission der Europäischen Gemeinschaften solle mit der IAEO ein Abkommen über Sicherungsmaßnahmen aushandeln, das „Verifikationsabkommen". In einer Erklärung bei Unterzeichnung des NV-Vertrags am 28. November 1969 hat die Bundesregierung festgestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland den NV-Vertrag erst nach dem Zustandekommen eines befriedigenden Verifikationsabkommens zwischen EURATOM und IAEO (endgültig) ratifizieren wird.

Die EURATOM-Mitglieder Belgien, Niederlande, Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland sowie Dänemark und Irland haben inzwischen den NV-Vertrag und das zwischen den Nichtkernwaffen-Mitgliedsstaa-ten und der IAEO abgeschlossene Verifikationsabkommen ratifiziert, das EURATOM-Mitglied Italien hat den NV-Vertrag nach langem Zögern und besonderen Bemühungen der Niederlande erst kürzlich ratifiziert. Als Begründung wurden die zahlreichen Regierungskrisen in Italien genannt. Ein Verifikationsabkommen mit der IAEO hatte Italien gemeinsam mit den anderen EURATOM-Mitgliedern bereits 1973 unterzeichnet und später auch ratifiziert. Bis zur Ratifikation des NV-Ver-trages durch Italien, die endlich am 25. April 1975 stattgefunden hat, blieben die anderen EURATOM-Länder von der Teilnahme an der Genfer Konferenz über den NV-Vertrag ausgeschlossen. Darunter die Bundesrepublik, weil die fünf EURATOM-Mitglieder, die nicht Kernwaffenstaaten sind, sich bereits 1967 darauf festgelegt haben, daß „NV-Vertragskon-trollen nur auf der Grundlage eines zwischen EURATOM und der IAEO zu schließenden Abkommens angewendet werden" und: „Grundlage dieses Abkommens soll das Prinzip der Verifikation der EURATOM-Kontrollen durch die IAEO sein" Die beiden neu beigetretenen kernwaffenlosen EG-Staaten Dänemark und Irland haben sich dem angeschlossen. Wenn die letzten protokollarischen Hürden in wenigen Tagen genommen werden, können die sieben kernwaffenlosen EG-Staaten am Genfer Verhandlungstisch ihre Plätze einnehmen. „Der Atomsperrvertrag, das ist die gesamte weltpolitische Situation in einem einzigen Begriff" — so 1968 der inzwischen verstorbene Marcel Hepp persönlicher Referent des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, entschiedener Gegner dieses „Unterwerfungsvertrags", mit dem seiner Ansicht nach die Supermächte die Welt verteilten. Die sozialliberale Bundesregierung unterschrieb diesen Vertrag am 28. November 1969. „Die Bonner Unterschrift öffnete den Weg für die Bonner Ostpolitik, die die politische Debatte in der Bundesrepublik beherrschte. Folgeprobleme des NV-Vertrags wurden als Routineangelegenheit abgewickelt."

Hat der Vertrag sein Ziel erreicht?

Die beiden Hauptsignatarstaaten, die USA und die Sowjetunion, müssen sich bei der Genfer Überprüfungskonferenz von den Nichtkernwaffenstaaten und der Weltöffentlichkeit fragen lassen, wie ernst sie ihre im Artikel VI des NV-Vertrags niedergelegte Zusage genommen haben: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle." In seinem Jahrbuch „Das militärische Gleichgewicht 1974/75" hat das Londoner „Institut für Strategische Studien" festgestellt, daß das Abkommen über die Begrenzung der strategischen Rüstung (SALT I) vom Mai 1972 die beiden Großmächte nicht daran gehindert hat, das Tempo der Entwicklung von Kernwaffen zu beschleunigen und deren Qualität zu erhöhen. In weiteren Verhandlungen (SALT II) waren sie bisher außerstande, zusätzliche Beschränkungen für strategische offensive Waffen zu vereinbaren 94 Staaten haben den NV-Vertrag bisher ratifiziert, nehmen also an der Genfer Uberprü-fungskonferenz teil, 60 von ihnen sind Entwicklungsländer, die selber keine Atomwaffen bauen können. Im Vorbereitungsausschuß für diese Konferenz wurde um das Abstimmungsverfahren gerungen: die Dritte-Welt-Staaten forderten, Beschlüsse seien mit Zweidrittelmehrheit zu fassen; die USA und die Sowjetunion verlangten Einstimmigkeit für Beschlüsse. Ein Preis für die Verständigung in Verfahrensfragen könnte darin bestehen, Artikel IV künftig besser zu verwirklichen als bisher: „Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern, und sind berechtigt, daran teilzunehmen."

Wie eng in der internationalen Politik Abrüstung und friedliche Nutzung der Nuklear-technologie miteinander verknüpft sind, zeigt beispielhaft ein Kommunique über den Staatsbesuch des sudanesischen Präsidenten Nu-meiri bei Ministerpräsidentin Indira Gandhi am 1. Dezember 1974: „Indien und der Sudan forderten umfassende Abrüstung einschließlich eines völligen Verbots der Verwendung nuklearer Waffen und die Vernichtung bestehender Lagervorräte aller derartiger Waffen. Die beiden Länder betonten zudem die Notwendigkeit der Entwicklung nuklearer Energie für friedliche Zwecke und für die Förderung rascher wirtschaftlicher Entwicklung in allen Ländern." • Die Herausforderung Indiens an die Weltmächte

Indien hat durch die Zündung eines unterirdischen Plutonium-Sprengsatzes in der Wüste von Rajasthan am 18. Mai 1974 auf dramatische Weise den Sinn des NV-Vertrags von 1968 in Frage gestellt. In zahlreichen amtlichen Erklärungen hat Indien beteuert, seine Nukleartechnik diene ausschließlich friedlichen Zwecken. Indien beabsichtige, diese neuen Möglichkeiten für die Förderung von Erdöl und Erdgas sowie für Dammbau-und Staubeckenprojekte einzusetzen. Da aber auch Frankreich seine ersten Gehversuche auf dem Weg zu einer „Force de frappe" seinerzeit als friedlich deklariert hat und die Unterscheidung einer „friedlichen" Nuklear-Explosion von einer „militärischen" nur eine Frage politischer Beschlüsse ist, vermochte Indien bisher den Verdacht ausländischer Beobachter nicht zu zerstreuen, es habe sich am 18. Mai doch um eine „politische Explosion mit militärischen Hintergedanken" gehandelt.

Auf einen schwedischen Vorschlag, Indien solle seine gesamten Kernenergie-Aktivitäten unter internationale Kontrolle stellen, erklärte der indische UN-Delegierte B. C. Mishra am 25. Oktober 1974 im politischen Ausschuß der UNO, Indien werde keinen Antrag annehmen, der darauf abziele, das Recht auf friedliche Atomexplosionen auf die fünf Kernwaffenländer (Indien betrachtet sich nicht als „Kernwaffenland") zu beschränken. In einer Welt, die so dringend die Entwicklung von Naturschätzen benötige, sei es unerläßlich, neue Technologien zu entwickeln: „Indien hat die industrielle Revolution verpaßt, beabsichtigt jedoch nicht, auch die technologische Revolution zu verpassen."

Daß Indien mit dieser Haltung nicht nur in der Dritten Welt Beifall erhält, zeigt die Erklärung des französischen Politikers und Schriftstellers Andre Malraux am 18. November 1974 in Neu Delhi, friedliche Atomexplosionen, wie sie Indien im Mai durchgeführt habe, seien „überaus wünschenswert". Solche Explosionen dienten der „Selbstverteidigung", wenn ein Land selbst kein O 1 produziere. Mit der Einrichtung jedes Nuklearreaktors werde Indien eine Vielzahl seiner Kinder vor zukünftigen Hungersnöten bewahren. Das Risiko radioaktiven Niederschlags schätzte Malraux geringer ein als das Langzeitproblem der Beseitigung von nuklearem Abfall.

So haben sich seit dem Abschluß des NV-Vertrags neben die politischen, militärischen und sicherheitstechnischen Probleme in immer stärkerem Maße, angestoßen durch die Olpreiskrise, die Themen Erzeugung von elektrischer Energie durch Atomreaktoren, die Konkurrenz vor allem der großen und mittleren Industrieländer um das atomare Energiegeschäft mit Rückwirkungen auf die Sicherheit vor unübersehbaren Betriebsunfällen und Diebstahl mit erpresserischen Absichten geschoben.

Nicht die 259. unterirdische Nuklearexplosion, die die USA am 10. Juli 1974 in der Wüste von Nevada zündeten, sondern die erste Explosion in Indien wirkte als Weltsensation. In den reichen Industrienationen wurde bisher kaum zur Kenntnis genommen, welche strategischen Überlegungen Indien daran knüpfte. Indien hatte sich während der Vorgeschichte des NV-Vertrags intensiv um Vermittlung zwischen den USA und der Sowjetunion bemüht, mußte dann aber erleben, daß das amerikanisch-sowjetische Einverständnis über den NV-Vertrag gegen das Votum Indiens zustande kam J. Subrahmanyam, Direktor des indischen Instituts für Verteidigungs-Studien und Analysen, referiert die indische Position durchaus konsequent: „Es gibt wenig Zweifel, daß die Verfasser des Atomsperrvertrags und ihre fehlgeleiteten, vielleicht wohlmeinenden Anhänger den Vertrag auf eine internationale hierarchische Struktur gründeten, die dem Abkommen von Jalta entsprach und einer strategischen Doktrin, die die Gültigkeit einer Theorie der Abschrek-kung in einer bipolaren Welt unterstellte. Die indische Versuchsexplosion und die dazugehörige Erklärung der indischen Regierung — ob wir in Indien das so beurteilen oder nicht — fordert sowohl die Struktur als auch die Doktrin heraus. Indem wir eine Nuklear-Macht werden und nicht die damit verbundenen Privilegien beanspruchen, haben wir die Nationen der Welt in eine gewisse Verwirrung gebracht. Wenn mehr Nationen’dasselbe tun, besteht die Gefahr nicht darin, daß Nuklearwaffen verbreitet werden, sondern darin, daß es den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates schwerfallen wird, weiterhin in der internationalen Hierarchie für sich eine privilegierte Stellung zu beanspruchen. In diese Lage haben sich die Westmächte (gemeint wohl: Weltmächte, d. Verf.) selbst gebracht, die in die Nuklearenergie Prestige und in ihren Besitz den Status großer Macht investiert haben. Zweitens denunziert die indische Erklärung, daß dieses Land trotz der Durchführung einer Versuchsexplosion keine Absicht zur Produktion von Nuklearwaffen hat, die Rolle der Nuklearwaffen und ihre militärische Verwendbarkeit. Diese Denunziation ist eine direkte Herausforderung der doktrinären Position der Nuklearmächte, die den Nuklearwaffen sowohl militärisch als auch politisch eine entscheidende Rolle zuzumessen sucht. Diese beiden Gesichtspunkte beunruhigen das Establishment der Weltmächte mehr als jegliche Besorgnis, Indien könne eine Nuklearwaffen-Macht werden."

Also doch ein sowjetisch-amerikanischer Vertrag zu Lasten Dritter, eine „atomare Komplizenschaft“ (Kurt Georg Kiesinger), ein „Morgenthauplan im Quadrat" (Konrad Adenauer), „ein Versailles von kosmischen Ausmaßen“ (Franz Josef Strauß)? Oder ein vernünftiger Versuch, es nicht zu „atomarer Anarchie" kommen zu lassen; durch strenge Sicherheitsvorschriften die Gefahren atomarer Unfälle bzw. Verbrechen möglichst auszuschließen, technologische und wirtschaftliche Macht zum Nutzen der Menschheit mit allen zu teilen, die zu einer internationalen atomaren Rechtsordnung mit gemeinsamem Vorteil bereit sind?

Der Inhalt des Vertrages

Am 1. Juli 1968 wurde der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen in London, Moskau und Washington zur Unterzeichnung aufgelegt. Gleichermaßen verbindlich ist der Wortlaut in chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Sprache. Zu den Unterzeichnern des ersten Tages gehören China (Taiwan), damals noch Mitglied des Weltsicherheitsrates, und die DDR. Die Bundesrepublik Deutschland leistete ihre Unterschrift am 28. November 1969. Der Vertrag trat am 5. März 1970 in Kraft, nachdem die drei Verwahrregierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie der Vereinigten Staaten von Amerika und weitere 40 Unterzeichnerstaaten ihn ratifiziert und ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt hatten. „Für die Zwecke dieses Vertrags gilt als Kemwaffenstaat jeder Staat, der vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet hat" (Artikel IX, 3) Indien ist also im Sinne des NV-Vertrags kein Kernwaffen-staat, weil es seinen „sonstigen Kernsprengkörper" erst sieben Jahre später gezündet hat.

Die wesentlichen Bestimmungen enthalten die Artikel I und II: (I) „Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen. (II) Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkör-pern zu suchen oder anzunehmen. “

In ihrer dem Deutschen Bundestag am 10. September 1973 zugeleiteten Denkschrift zum NV-Vertrag bestätigt die Bundesregierung, die Einbeziehung des Begriffes „sonstige Kernsprengkörper" sei erforderlich gewesen, weil „ein Kernsprengkörper, der für friedliche Zwecke bestimmt ist, als Waffe verwendet werden oder unschwer für eine solche Verwendung hergerichtet werden kann und weil beim gegenwärtigen Stand der Technik die Herstellung solcher Körper von der Herstellung von Kernwaffen nicht zu unterscheiden ist"

Um einen „sonstigen Kernsprengkörper* hat es sich am 18. Mai 1974 in der Wüste von Rajasthan gehandelt. Kanada, ein Nichtkemwaf-fenstaat, Vertragspartei des NV-Vertrags seit dem 8. 1. 1969, verfügt über einen hohen Standard der Nukleartechnologie. Zwischen Kanada und Indien bestanden seit den fünfziger Jahren Verträge über eine atomwissenschaftliche Zusammenarbeit, und der Bau von zwei kanadisch-indischen Kernkraftwerken war auch ein Stück Marktstrategie für kanadische Nukleartechnik und Überschußproduktion von Uran. Indien erklärte, auch mit seiner unterirdischen Versuchsexplosion habe es die Abmachungen mit Kanada über friedliche Nutzung von Kernenergie nicht verletzt. Doch der kanadische Premierminister Pierre Trudeau äußerte im Gespräch mit Bundesaußenminister Genscher die Sorge, daß Kanada bei der atomaren Zusammenarbeit mit Indien zu weit gegangen sei. Unter Hinweis auf die indische Explosion sagte Trudeau, diese Zusammenarbeit wäre anders ausgefallen, wenn Kanada die Folgen gekannt hätte

Kanadas Verhalten als technologisch kenntnisreicher Nichtkernwaffenstaat wird im NV-Vertrag nicht beschrieben — es gab weder Kernwaffen noch sonstige Kernsprengkörper oder Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar weiter, aber es vermittelte Kenntnisse und Informationen, ohne die Indien und seine hoch entwickelte Atomwissenschaft zwar nicht erfolglos geblieben wären, doch hätte der Zeitpunkt des Erfolgs wahrscheinlich später gelegen. Der NV-Vertrag verbietet den Vertragsstaaten nuklearwissenschaftliche Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb des Vertrags nicht. Sanktionen gegen Verstöße sieht der NV-Vertrag nicht vor. Wer sollte bei der Verhängung von Sanktionen auch mächtiger sein als die Weltmächte? Die Tatsache, daß die USA Verwahrstaat des NV-Vertrags sind, hat Präsident Nixon und Außenminister Kissinger nicht davon abgehalten, im Sommer 1974 sowohl Ägypten (Unterzeichnerstaat vom 1. 7. 1968, bisher ohne Ratifikation) als auch Israel je ein 600-MW-Kernkraftwerk anzubieten und so außerhalb des NV-Vertrages die Gefahr der Weiterverbreitung von gefährlichem Plutonium zu erhöhen. Auch von einer Bereitschaft zur Reaktor-lieferung an Ägypten durch die Sowjetunion war die Rede. Die USA haben damit unter Beweis gestellt, daß außerhalb des von ihnen abgeschlossenen NV-Vertrags und möglicherweise unter bilateralen Sicherheitsvorkehrungen (einschließlich des Rücktransports gebrauchter Nuklearbrennstoffe) Vorteile der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu ha-ber sind. Wenn aber nukleare „Schwellenmächte“ wie Israel und Ägypten — Kontrahenten in einem der brisantesten Spannungsgebiete der Welt — Unterstützung auf dem Gebiet nuklearer Technologie durch eine Großmacht erhalten können, die dies erklärtermaßen zuvor nur unter der Bedingung zu leisten bereit war, daß der Empfängerstaat in die „geschlossene Gesellschaft" des NV-Vertrags eintreten mußte, dann büßt die Zielsetzung, der NV-Vertrag müsse universal sein, wesentlich an Glaubwürdigkeit ein — ganz abgesehen davon, daß die nukleare Eigenständigkeit Israels auf Zusammenarbeit mit dem erklärten Nicht-Vertrags-Staat Frankreich gegründet worden ist.

Als Hauptmotiv des NV-Vertrages nennt die Bundesregierung: „Je mehr Staaten Kernwaffen besitzen, desto unvorhersehbarer sind die Folgen für die internationale Sicherheit. Jeder zusätzliche Staat, der über Kernwaffen verfügt, ist — so verantwortungsbewußt seine Regierung auch sein mag — ein weiteres Zentrum unabhängiger Entscheidungen über die Verwendung solcher Waffen. Die internationalen Beziehungen werden dadurch schwieriger und gefahrvoller; die Intensität der gegenseitigen Bedrohung nimmt zu. Es soll daher angestrebt werden, daß möglichst viele Nicht-Kernwaffen-Staaten auf Herstellung und Erwerb und alle Kernwaffen-Staaten auf die Weitergabe von Kernwaffen verzichten. Artikel V des NV-Vertrags soll einen Ausgleich für die Verpflichtung der Nichtkernwaffenstaaten schaffen, Kernsprengkörper auch für friedliche Zwecke nicht zu erwerben: er sichert ihnen zu, daß sie trotz dieses Verzichts die möglichen Vorteile aus der friedlichen Anwendung von Kernexplosionen nicht verlieren werden. Für einem Nichtkernwaffenstaat zur Verfügung gestellte Kern-

sprengdienste sollen möglichst niedrige Gebühren erhoben werden. Die Genfer Uberprüfungskonferenz könnte zeigen, ob derartige Kernsprengdienste durch die Nuklearmächte bereits geleistet worden sind. Im Hinblick auf die eigene Nutzung arbeitet die amerikanische Atomenergie-Behörde an einem Plan, wonach täglich in einer 1, 6 Kilometer tiefgelegenen Höhle unter einer Salzschicht zwei Wasserstoffbomben gezündet werden sollen. Damit soll durch einen Schacht Dampf zum Antrieb einer Turbine mit einer Leistung von rund 2 000 MW gewonnen werden. Das radioaktive Risiko ist umstritten. Der indische Atomwissenschaftler S. K. Ghosh hat daran erinnert, daß bis Ende 1971 die Sowjetunion 17 friedliche Nuklearexplosionen und die USA 14 durchgeführt haben, um die Produktion nahezu erschöpfter Olfeider zu steigern oder brennende Gasbohrlöcher zu schließen. Die USA hätten z. B. im Mai 1973 drei 30-KilotonnenSprengsätze innerhalb des „Rio Blanco Projekts" (Nord-Ost-Colorado) bei der Erschließung tiefliegender Naturgas-Vorräte gezündet. Eines der Probleme dabei sei die Beherrschung von Radioaktivität in diesem Naturgas Die Sowjetunion hat 1971 mit drei Nuklearsprengsätzen einen 800 Meter langen Graben hergestellt als Versuch für einen etwa 110 Kilometer langen Kanal zwischen den Flüssen Petschora und Wolga, durch den sonst in das Barentsmeer fließende Wassermassen in das Kaspische Meer geleitet werden sollen, um dessen seit 1930 um 2, 5 Meter gesunkenen Spiegel wieder anzuheben. Nach sowjetischen Angaben kann der Kanal mit etwa 250 Atombomben von 100 bis 200 Kilotonnen Sprengkraft ohne radioaktive Gefahr hergestellt werden

Die Bundesrepublik hat 1954 anläßlich ihres Beitritts zum WEU-Vertrag (also innerhalb ihres West-Bündnisses) auf die Herstellung nuklearer, bakteriologischer und chemischer Waffen verzichtet. Während der erbitterten Debat-ten in den 50er und 60er Jahren über atomare Rüstung der Bundeswehr haben von der CDU/CSU geführte Bundesregierungen mehrfach erklärt, die Bundesrepublik strebe keine nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen und keinen nationalen Besitz von Kernwaffen an. Damit war aber noch nichts über westdeutsche nukleare Beteiligung innerhalb eines westeuropäischen Sicherheitssystems nach französischen Vorstellungen oder innerhalb der NATO gesagt. Gegenüber einer solchen kollektiven Lösung konzentrierte sich das sowjetische Mißtrauen auf die militärische und industrielle Potenz der Bundesrepublik im Rahmen ihrer Bündnispolitik.

Das Ausscheiden Frankreichs aus der Westallianz, die beginnenden Verhandlungen über Entspannung zwischen der Sowjetunion und den USA trugen zu der prinzipiellen Verständigung zwischen Präsident Johnson und Außenminister Gromyko im Oktober 1966 über die Grundzüge des NV-Vertrags bei. Dieser Vertrag eröffnete, wie schon erwähnt, die Möglichkeiten der Brandtschen Ostpolitik mit den Verträgen von Moskau und Warschau sowie dem Grundvertrag mit der DDR. Die beiden deutschen Staaten wurden Vollmitglieder der Vereinten Nationen.

Im September 1971 wurde das amerikanisch-sowjetische Abkommen zur Verminderung der Gefahr unbeabsichtigter Kernwaffenkriege abgeschlossen. Ihm folgten im Mai 1972 zwei Verträge über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr ballistischer Raketen und die Begrenzung von strategischen Offensiv-waffen, ferner die Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, im Juni 1973 das Abkommen zur Verhütung eines Atomkrieges. Uber all diese Verträge und Abkommen sagte Bundesaußenminister Scheel vor dem Parlament: „Diese Vereinbarungen haben mit dem Nichtverbreitungsvertrag eines gemeinsam: Die Vereinigten Staaten zogen darin schrittweise Folgerungen aus der Tatsache, daß sie gewisse Verantwortungen und Interessen mit der Sowjetunion teilen, ob sie es wollen oder nicht, als zwangsläufige Folge der Fähigkeit beider, einander mit thermo-nuklearen Waffen zu vernichten.“ Weitere Zusammenhänge bestehen mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und den Wiener Gesprächen über eine beiderseitige, ausgewogene Truppenverminderung in Mitteleuropa (MBFR). In den sechs von der Sowjetunion kommentarlos zur Kenntnis genommenen amerikanischen Interpretationen heißt es, der NV-Vertrag behandle nicht alliierte Konsultationen und Planungen über nukleare Verteidigung, solange daraus keine Weitergabe von Kernwaffen oder der Verfügungsgewalt darüber resultiere, er behandle auch nicht Regelungen über die Dislozierung von Kernwaffen auf alliiertem Hoheitsgebiet. „Und er behandelt nicht das Problem der europäischen Einheit und würde die Rechtsnachfolge eines neuen föderierten europäischen Staates in den Nuklearstatus eines seiner schon vorher vorhandenen Bestandteile (Großbritannien bzw. Frankreich, d. Verf.) nicht ausschließen. Ein neuer föderierter Staat müßte die Kontrolle über alle Aufgaben im Bereich seiner äußeren Sicherheit ausüben, einschließlich der Verteidigung und aller die äußere Sicherheit betreffenden außenpolitischen Angelegenheiten.“

Bereits im Frühjahr 1967 hat die Bundesregierung auf Einzelheiten des NV-Vertrags nachhaltig Einfluß genommen. Durch Veränderungen der Vertragssprache und durch Interpretationen versuchte sie, folgende Maßstäbe anzuwenden: „ungehinderte Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken; deutliche Verbindung zu allgemeiner Abrüstung; Gewährleistung der Sicherheit; keine Beeinträchtigung regionaler — in unserem Falle europäischer — Einigungsbestrebungen"

Wegen der beträchtlichen wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat die Bundesregierung ferner bei den Vertragsverhand-lungen „ein besonderes Augenmerk darauf gelenkt, Forschung, Entwicklung und friedliche Nutzung der Kernenergie vor Risiken zu bewahren" und die Ausgestaltung der Kontrolle im Rahmen von EURATOM und IAEO zu beeinflussen. Gegenüber Befürchtungen einzelner Oppositionsabgeordneter hat die Bundesregierung klargestellt, ein nukleares Forschungsvorhaben könne, solange es friedlichen Zwecken dient, nicht mit dem Argument als vertragswidrig bezeichnet werden, die Ergebnisse könnten auch für unerlaubte militärische Zwecke benutzt werden.

Spaltbares Material erhielt die Bundesrepublik einstweilen über die Versorgungsagentur der EURATOM aus den USA auf Grund einer „rule of reason" in Erwartung der Ratifizierung des Verifikationsabkommens, denn an sich wären diese Lieferungen durch den NV-Vertrag verboten. Beträchtliche Verärgerung äußerte die EG-Kommission dennoch über den einseitigen Beschluß der US-amerikanischen Kernenergie-Agentur, von Ende März 1975 an keine weiteren Ausfuhrgenehmigungen für Kernreaktoren oder Teile davon sowie für den notwendigen Brennstoff (angereichertes Uran) zu erteilen. Bundesforschungsminister Matthöfer hat darauf hingewiesen, die deutschen Reaktoranlagen seien „in vollem Umfang“ von US-Lieferungen abhängig. Bevor es zu außenpolitischen Folgen kam, wurden die Lieferungen wieder aufgenommen. Der Vorfall hat den westeuropäischen Vertragspartnern ihre Abhängigkeit eindrucksvoll vor Augen geführt und sie auf Liefermöglichkeiten für angereichertes Uran durch die Sowjetunion (geplanter Lieferanteil an Bezügen der Bundesrepublik 1977 bis-zu 49 Prozent) verwiesen. 1979 sollen 20 Prozent des Bedarfs der Bundesrepublik durch die deutsch-britisch-niederländische Uran-Anreicherungsanlage Almelo gedeckt werden. Zur Überwindung von Engpässen bei der Uranversorgung hat neuerdings Südafrika der Bundesregierung die Lieferung geeigneter Kernbrennstoffe angeboten

Solange die Kontrollmaßnahmen nicht einheitlich sind, z. B. Frankreich vor den Vereinten Nationen lediglich zugesichert hat, sich, obwohl nicht NV-Vertragspartei, an den NV-Vertrag zu halten, im übrigen aber zugestanden erhielt, selbst entscheiden zu können, welche Anlagen es den Sicherungsmaßnahmen EURATOM unterstellen will und welche nicht; solange Japans Vorstellungen über Kontrollen nicht eindeutig geklärt sind, sind Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der westdeutschen Industrie vor allem auf dem Exportsektor nicht ausgeschlossen. Im Deutschen Bundestag bestätigte allerdings der Parlamentarische Staatssekretär Moersch, die Bundesregierung sei davon überzeugt, daß „unserer Kernindustrie aus der Annahme des NV-Vertrags keine nennenswerten Nachteile erwachsen können". Die wichtigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt seien an die Exportregelungen des NV-Vertrags gebunden Eine Probe aufs Exempel steht bevor: Nach Presseberichten ist die im Oktober 1974 in Moskau vereinbarte Lieferung eines Kernkraftwerks Modell Biblis A mit 1 200 MWe durch die Mülheimer Firma Kraftwerkunion (KWU) auf sowjetischen Boden bei Kaliningrad (Königsberg) in Gefahr, weil die Bundesrepublik entsprechend dem NV-Vertrag an IAEO-Kontrollen gebunden ist, die Sowjetunion als Kernwaffenstaat eine Kontrolle über den Verbleib nuklearen Materials auf eigenem Boden aber nicht zu dulden braucht. Bei Lieferung aus Großbritannien oder den USA, die ebenfalls Kernwaffenstaaten sind, würde sich das Kontrollproblem erübrigen. Ein Konkurrenzkampf damit günstiger gestellter angelsächsischer Lieferanten mit der deutschen KWU wird vermutet, zumal die KW. U schon früher bei Angeboten in Spanien und Finnland den kürzeren zog, nachdem US-Lieferanten erfolgreich geltend gemacht hatten, die Bundesrepublik könne wegen des NV-Vertrags die Versorgung der Reaktoren mit angereichertem Uran nicht garantieren

Im Ratifikationsverfahren des Bundestages brachte eine Minderheit von Oppositionsabgeordneten ferner vor allem zwei Befürchtungen vor: der NV-Vertrag könne in dem Sinne fehlinterpretiert und mißbraucht werden, »als ob er Nichtmitgliedern des Atlantischen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft (hier ist vor allem die Sowjetunion gemeint, d. Verf.) eine Mitsprache in Fragen der westlichen Sicherheitsstruktur und der verteidigungspolitischen Einigung Europas einräume“, also ein Hindernis für die „europäische Option" sei. In der Debatte über die Ratifizierung des NV-Vertrags und des Verifikationsabkommens (EG-Staaten außer Frankreich und Großbritannien mit EURATOM und IAEO) hat der CDU-Abgeordnete Birrenbach den NV-Vertrag als einen „ungleichen Vertrag" bezeichnet, „der die Welt in nukleare und nichtnukleare Mächte aufteilt, und zwar nach Kriterien ..., deren Berechtigung für eine unbeschränkte Zeitdauer des Vertrages höchst zweifelhaft ist."

Die Mehrheit des Auswärtigen Bundestags-ausschusses befürchtete für den Fall einer Ablehnung des NV-Vertrages, daß „eine Gefährdung unserer außenpolitischen Situation, auch wohl unserer sicherheitspolitischen Lage, eintreten kann" „Wir würden uns außenpolitisch in die Isolierung drängen. Die Unterstützung durch die Verbündeten, die wir für unsere Außenpolitik brauchen, würde reduziert.“ „Der NV-Vertrag ist ein wichtiger Baustein der Entspannungspolitik. Die Nichtratifizierung würde das Ende der Entspannungspolitik zumindest für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten... Die Sicherheit der Bundesrepublik beruht auf der amerikanischen Nukleargarantie und darauf, daß die Vereinigten Staaten mit Truppen in Europa anwesend sind." Der FDP-Bundestags-fraktionsvorsitzende Mischnick sagte in derselben Bundestagsdebatte: „Ich bin fest überzeugt, daß eine Ablehnung des. Atomwaffen-sperrvertrages erhebliche Zweifel an unserer Bündnisbereitschaft und an unserer Bündnis-fähigkeit insbesondere bei den Vereinigten Staaten wecken würde." Der Abgeordnete Wischnewski warnte, in dieser wichtigen Frage dürfe die Bundesrepublik nicht „in eine weltweite Isolierung geraten", es gehe darum, hier mit dem wichtigsten Verbündeten, den USA, übereinzustimmen

Im Zusammenhang mit realen Einschätzungen der Lage, in der sich die Bundesrepublik befinde, hat der Parlamentarische Staatssekretär Moersch sich auf Äußerungen des damaligen Außenministers Scheel berufen: „Keine souveräne Regierung wird sich die letzte Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen auch nur teilweise aus der Hand nehmen lassen, während ein gemeinsamer Oberbefehl über die konventionellen Streitkräfte geradezu unerläßlich ist."

Aus all diesen Zitaten zur tatsächlichen Lage der Bundesrepublik läßt sich schließen, daß wirkliche Souveränität bisher aus der uneingeschränkten Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen erwuchs (zum Ausdruck gebracht durch die ständige Mitgliedschaft einschließ-liehe Vetorecht im Weltsicherheitsrat der UN) und daß eine Mittelmacht wie die Bundesrepublik für ihre erheblichen wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Interessen an der Versorgung mit Kernmaterial und internationaler Wettbewerbsfähigkeit im Atom-Geschäft den Preis einer „freiwilligen" Unterordnung unter die NV-Abmachungen zwischen den beiden Weltmächten zahlt, allerdings auch in der vernünftigen Erkenntnis Fritz Erlers: „Die Atomwaffen bekommt man nicht mehr aus der Welt. Deshalb müssen sie unter Kontrolle gehalten werden."

Diese Kontrolle kann nur von denen gewährleistet werden, die die Macht dazu haben. Die Unterzeichnerstaaten waren jedoch nicht in der Lage, dem NV-Vertrag Universalität zu verschaffen. Das stellt die Verwirklichung seiner Ziele und damit die Kontrolle über das atomare Chaos in Frage. In diesem Sinne spricht die Bonner Opposition von einem , ungleichen Vertrag', äußerte Ihr Sprecher Carstens über den NV-Vertrag: „Er gibt den Nationen, die Kernwaffen besitzen, im wesentlichen alle Rechte, und er erlegt den Nationen, die keine Kernwaffen besitzen, im wesentlichen alle Pflichten auf." 34a)

Der NV-Vertrag wurde im Deutschen Bundestag am 20. Februar 1974 mit 355 gegen 90 Stimmen angenommen, das Verifikationsabkommen erhielt 444 Ja-Stimmen.

Gefahren der Verbreitung von Kernwaffen und Nukleartechnologie

Den NV-Vertrag haben bisher 94 Staaten ratifiziert, 12 weitere haben unterzeichnet bzw. sind beigetreten, ohne ratifiziert zu haben. Die hohe Zahl ist nur scheinbar eindrucksvoll: vom Unterzeichnerstaat Vatikan geht keine reale Nuklear-Gefahr aus. Nicht beteiligt haben sich am NV-Vertrag Frankreich, die Volksrepublik China und Indien. Uber Israel wird vermutet, daß es seit längerem in der Lage ist, Nuklear-explosionen zu zünden. Potentielle Kernwaffen-staaten, die ebenfalls außerhalb des NV-Vertrags stehen, sind Argentinien, Brasilien, Südafrika, Spanien. „Schwellenstaaten", die technisch bereits im „Nuklear-Club“ sein könnten, jedoch den NV-Vertrag vor einer möglichen Nuklearexplosion ratifiziert haben, sind Kanada, Belgien, die Bundesrepublik und Italien. Staaten, die in naher Zukunft zu Nuklearexplosionen in der Lage sein werden und NV-Vertragspartner sind: Australien, DDR, Iran, Norwegen, Österreich, Schweden, Tschechoslowakei, Taiwan. Zu dieser Gruppe gehören als Staaten, die unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben: Japan und die Schweiz, und außerhalb des NV-Vertrags: Pakistan. Nichtmitglieder des NV-Vertrags sind Algerien, Chile, Kuba, Portugal, Saudi-Arabien.

Die Kosten für die bloße Herstellung von Kernwaffen wären kein Hindernis auch für weniger entwickelte Länder. Der amerikanische Experte Mason Willrich schätzt, daß die Fabrikationsanlagen für jährlich 10 Kern-sprengköpfe rund 8 Millionen Dollar kosten. Für jeden Sprengkörper von 20 Kilotonnen wären weniger als 15 Millionen Dollar aufzuwenden, nicht gerechnet die Kosten für das spaltbare Material Die Schwierigkeiten bei der Herstellung spaltbaren Materials haben bisher die rasche Ausbreitung der Nuklear-Technologie verhindert. Das natürlich vor“) kommende Uran enthält nur 0, 7 Prozent Uran 235. Es muß zu friedlicher oder kriegerischer Verwendung auf 90 Prozent angereichert werden, was in herkömmlichen Leichtwasserreaktoren erhebliche Mengen von Wasser und Elektrizität erfordert. Eine erhebliche Verbilligung und Vereinfachung des Verfahrens ist jedoch für die 80er Jahre abzusehen. Grundlage für die indische Versuchsexplosion im Mai 1974 war Plutonium als Nebenprodukt von uranbetriebenen Kernkraftwerken. Eine besondere Rolle wird künftig Thorium spielen, wovon Indien die größten Reserven der Welt besitzt. Die Gas-Zentrifugen-Methode wird wesentlich billigeren Kernbrennstoff bereitstellen. Plutonium als Abfallprodukt von Spaltungsprozessen in Kernkraftwerken wird zahlreichen Ländern als Ausgangsmaterial für Kernwaffen zur Verfügung stehen.

Der Kernreaktor, den die USA Ägypten bauen helfen wollen, könnte Plutonium für den Bau von jährlich zehn Bomben abwerfen. Bei Verwirklichung der israelischen Pläne für nukleare Meerwasser-Entsalzung könnten aus dem entsprechenden Plutonium-Abfall jährlich 50 Bomben hergestellt werden.

Die veröffentlichten Angaben über Reaktoren und Kernkraftwerke sind widersprüchlich. So soll es nach IAEO-Angaben Ende 1973 in der Welt in 17 Ländern 167 Kernkraftwerke (z. T. Versuchsanlagen) mit einer installierten Kapazität von 60 907 Megawatt gegeben haben. 1979 sollten 344 Kernkraftwerke in 24 Ländern eine Kapazität von 207 607 Megawatt besitzen. Der Anteil an der gesamten Stromerzeugung soll von 1973 bis 1979 von etwa 5 Prozent auf 21 Prozent ansteigen Nach anderen Angaben, die sich ebenfalls auf die IAEO berufen, soll sich die Zahl der Kernkraftwerke außerhalb der LISA (die USA ver-fügen über 55 von derzeit 124 mit 32 000 Megawatt Leistung) bis 1980 auf 244 mit 125 000 Megawatt erhöhen. Gut die Hälfte des Zuwachses werde auf jene Entwicklungsländer entfallen, die sich für Kernenergie interessieren, seit sie Schwierigkeiten haben, ihre Olimporte zu bezahlen Nach Angaben von „Time* gibt es bereits 532 Strom produzierende oder Forschungs-Reaktoren in Betrieb oder im Bau in 33 Ländern Der amerikanische Senator Adlai E. Stevenson III (Illinois) schätzt, daß heute bereits 500 Nuklear-Reaktoren in 45 Ländern in Betrieb seien und daß bis 1985 eine Vervierfachung dieser Zahl zu erwarten sei. 1980, so wird geschätzt, werden die Reaktoren 300 000 bis 450 000 kg. Plutonium produziert haben. 5 oder 6 kg davon genügen für 10 bis 20-Kilotonnen-Bomben, wie sie über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden sind

Kernenergie — eine Antwort auf die Olpreiskrise? Der Bau von immer mehr Kernkraftwerken hat in den Industriestaaten die Öffentlichkeit alarmiert. Wissenschaftler haben eindringlich auf nicht völlig gelöste Sicherheitsprobleme beim Betrieb von Kernreaktoren hingewiesen, Ökologen haben die Bevölkerung in ebieten mobilisiert, in denen Reaktoren gebaut werden sollen. Während der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger im Bonner Bundesrat erklärte: „Alle Welt ist sich darin einig, daß es in den nächsten Jahrzehnten keine realistische Alternative zur Kernenergie gibt", begründet der schwedische Physik-Nobelpreisträger Hannes Alfven derartige Thesen als Ergebnis „einer falsch geführten Forschungspolitik" und als eine „Krise des politisch-wissenschaftlichen Systems der Ener-

gieverteilung". Global und auf lange Sicht sei die Kernenergie überflüssig, schlimmer: sie gefährde die Menschheit aufs schwerste 39a).

In Schweden äußerten »ich nach einer Meinungsumfrage zwei Drittel der Bevölkerung gegen das Nuklear-Programm der Regierung. Der Regierungsplan sieht 24 Reaktoren vor, die bis 1990 gebaut werden sollen. Gegenwärtig stehen vier, sechs weitere sind in Bau und einer ist geplant. Nach Ankündigung des Ministerpräsidenten Palme sind bis 1985 insgesamt 13 Reaktoren vorgesehen. Eine heftige Parlamentskontroverse ist im Gange. In den Niederlanden hat ein prominenter wissenschaftlicher Regierungsberater seine Sorge über das Plutonium-Problem geäußert. In Frankreich haben 400 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker an die Bevölkerung appelliert, gegen den Bau von Kernkraftwerken Widerstand zu leisten, solange man kein klares Bild von den Risiken und Folgen des atomaren Regierungsprogramms habe. Die Proteste gegen ein großes Kernkraftwerk in Flamanville/Normandie (dessen Bürgermehrheit inzwischen zustimmte) gipfelten im Vorwurf von Demonstranten, der Staat betreibe „Elektrofaschismus“. Frankreich besaß im Herbst 1973, vor der Olpreiskrise, 8 Kernkraftwerke, die für 3 Prozent des nationalen Stromverbrauchs aufkamen. 66 Prozent der Elektrizitätserzeugung beruhten auf Olbasis, der Rest kam aus Kohle-oder Gasverarbeitung sowie Wasserkraft. 1974 kündigte der damalige Premierminister Pierre Messmer ein Bauprogramm für 50 Reaktoren bis 1985 an, womit 30 Prozent (nach anderen Angaben 25 Prozent) des Energiebedarfs gedeckt werden sollten in der Bundesrepublik sind die Vergleichszahlen bis 1985 16 Prozent, in den USA 13 (nach anderen Angaben 30) Prozent, in Italien 10 Prozent, in Japan 8 Prozent, in Großbritannien 6 Prozent. Im Jahre 2000 könnten nach Angaben Messmers sogar 200 französische Kernkraftwerke in Betrieb sein. Inzwischen dürften die amtlichen Pläne auf etwa 45 Kernkraftwerke bis 1985 reduziert sein

Das Institut für Energiewirtschaft und Energierecht in Grenoble hält nuklear produzierte Elektroenergie mit Elektroenergie auf Ölbasis nur für konkurrenzfähig, wenn der ülpreis zwischen 5, 75 und 8 Dollar pro Barrel liegt anstatt der 2, 80 Dollar, die die französische Regierung ihrer Entscheidung zugrunde legte. Um aber Olbrennstoff für industrielle Zwecke oder Hausbrand durch Elektrizität zu ersetzen, nennt das Institut 19 Dollar bzw. 27 Dollar pro Barrel. Amerikanische und sowjetische Wissenschaftler haben unabhängig voneinander ein Verfahren zur Gewinnung von Ura-nium 235 mit Hilfe von Laser-Strahlen entwickelt, das die Atomenergie-Erzeugung erheblich verbilligen könnte. Einem Energieaufwand im Werte von 1 000 Dollar bei der Gewinnung des Isotops Schwefel 34 nach herkömmlichen Verfahren steht nach dem neuen Verfahren ein Energieaufwand von nur 0, 40 Dollar gegenüber

Die amerikanische Atomindustrie befindet sich gegenwärtig in einer Krise. Im vergangenen Jahr war sie mit einem beträchtlichen Absatzrückgang im Reaktoren-Export, mit Finanzierungs-und Sicherheitsproblemen konfrontiert. Verweigerung von Genehmigungen für Kernkraftwerksbau, Erfolg von Bürgerinitiativen für Umweltschutz und technische Pannen blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Hauptabnehmer in Frankreich, Schweden, der Bundesrepublik und den Niederlanden. Großbritannien und Kanada blieben derartige Schwierigkeiten dank eigener Technologie bisher erspart . Schwellenmächte* außerhalb des Vertrags Außer Israel, dem der Eintritt in den „Nuklear-Club" schon seit längerem zugetraut wird, und Südafrika, das man im Besitz bisher erfolgreich geheimgehaltener Herstellungsverfahren vermutet, sind Argentinien und Brasilien wichtige „Schwellenmächte", die außerhalb des NV-Vertrags stehen. Zwischen Brasilien und Indien gibt es seit 1968 ein Abkommen über den Austausch nuklearwissenschaftlicher Informationen. Nach Zeitungsberichten hat der indische Botschafter in Brasilien drei Tage nach der indischen Versuchsexplosion gesagt: „Mein Land ist bereit, seine brasilianischen Freunde mit der Technologie zu versehen, die es ihm ermöglichte, die Atombombe zu bauen“ Seit zwischen dem brasilianischen Militärregime und der chilenischen Militärdiktatur enge Zusammenarbeit vereinbart wurde, ist auch Zusammenarbeit auf atomarem Gebiet nicht ausgeschlossen. Im Oktober 1974 teilte die chilenische Atomenergie-Kommission mit, sie habe eine erfolgreiche kontrollierte Kettenreaktion durchgeführt.

Zehn Tage nach der Indischen Versuchsexplosion trafen Indien und Argentinien ein Abkommen über atomwissenschaftlichen Austausch. Argentinien verfügt über Uranvorkommen in den Anden. Brasilien dagegen besitzt nach Indien die zweitgrößten Thorium-Reserven der Welt. Wie Indien erklärt auch Brasilien, es strebe die Nutzung der Nuklear-energie nur zu friedlichen Zwecken an. Dies habe es durch Beitritt zum Vertrag von Tlate-lolco unter Beweis gestellt, der Lateinamerika zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Zwar hat Brasilien diesen Vertrag ratifiziert, nicht jedoch die Protokolle, die den Vertrag erst wirksam machen. Argentinien und Chile haben diesen Vertrag nicht ratifiziert

Neues Selbstbewußtsein: Iran, Türkei Von besonderem Interesse ist die Nuklearpolitik des Iran. Der Iran ist Mitglied des NV-Vertrags. Mit dem NV-Vertragsstaat Australien verhandelt der Iran über den Ankauf von Uran zu „günstigen Bedingungen" Je zwei Kernkraftwerke hat der Iran in Frankreich und in der Bundesrepublik bestellt. Ein Abkommen mit den USA sieht die Lieferung von 8 Kernkraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 8 000 Megawatt für etwa 7 Milliarden Dollar bis 1985 vor. Sie sollen mit Meerwasserentsalzungsanlagen verbunden werden. Der NV-Vertragsstaat Iran hat der Atomenergiebehörde des Nicht-NV-Vertragsstaates Frankreich einen Kredit von 1 Milliarde Dollar gegeben, womit der Iran sich u. a. an der Anlage „Eurodif“ zur Urananreicherung in Frankreich beteiligt und sich die Lieferung französischen Urans für den Reaktor-betrieb in Iran gesichert hat Diese Verknüpfung der Nuklearwirtschaft eines Staates außerhalb des NV-Vertrags (Frankreich) mit einem Staat innerhalb des NV-Vertrags (Iran) dürfte für die Überprüfungskonferenz in Genf ein besonders interessanter Punkt sein. Der Iran entsendet demnächst 54 jüngere Wissenschaftler an das amerikanische Massachusetts Institute of Technology zu einem besonderen Ausbildungsprogramm für Nuklear-Ingenieure. Damit plant der Iran seine Industrieentwicklung für den Fall, daß nach etwa 30 Jahren die iranischen Ölquellen erschöpft sein sollten.

Auch mit dem Iran werden die USA sich über die Verwendung des Abfallprodukts Pluto-nium bei der Herstellung von Nuklearenergie zu verständigen haben. Gegenüber Israel und Ägypten ist von einem Rücktransport der verbrauchten Nuklearbrennstoffe in die USA als Bedingung für die Lieferung der angebotenen Kernkraftwerke die Rede. Der Iran jedoch beruft sich auf seinen Nationalstolz und auf die Mitgliedschaft im NV-Vertrag, wonach die Sicherheitskontrollen der IAEO ausreichen. Von amerikanischer Seite wird argumentiert, das Inspektions-System der IAEO-Sicherheits-kontrollen könnte die Abzweigung spaltbaren Materials (für militärische Zwecke) zwar aufdecken, nicht aber verhindern. Der NV-Ver-trag enthalte keine Sanktionen gegen diejenigen, die ihn verletzen. Wenn aber im Welthandel so potente Nachfrager wie der Iran durch solche Einwände vom Abschluß so großer Geschäfte abgeschreckt werden und damit drohen, sich anderen Anbietern außerhalb des NV-Vertrags wie Frankreich zuzuwenden, dann ist die Zielsetzung des NV-Vertrags erneut in Frage gestellt.

Als letztes Beispiel die Türkei. Sie hat den NV-Vertrag am 28. 1. 1969 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Wie die britische Nachrichtenagentur Reuter meldete, wird die Türkei nach den Worten ihres ehemaligen Ministerpräsidenten Irmak nicht vor der Herstellung von Atomwaffen zurückschrecken, wenn dies für ihre Verteidigung erforderlich werden sollte, dpa meldete als Zitat Irmaks aus der türkischen Zeitung „Hurriyet“ den Satz: „Sobald die Türkei ihre eigene Atombombe produziert hat, wird sie einen anderen Status in der Welt einnehmen."

Atomwaffenfreie Zonen — Idee und Wirklichkeit

Uber atomwaffenfreie Zonen wird seit dem Vorschlag des polnischen Außenministers Adam Rapacki 1957 für eine solche Zone in Mitteleuropa (mit Polen, CSSR, DDR und Bundesrepublik) diskutiert, ohne daß damit ein wesentlicher Beitrag zur Zielsetzung des NV-Vertrags geleistet werden konnte. Die Sowjetunion machte 1958 Vorschläge für atomwaffenfreie Zonen in Mitteleuropa, auf dem Balkan, im Ostsee-und Adriaraum 48a).

Ein Vorschlag des finnischen Präsidenten Urho Kekkonen, die nordeuropäische Region mit den Landschaften Troms und Finnmark (Norwegen), Lappland (Schweden und Finn15) land) und Norrbotten (Schweden) zu einer atomwaffenfreien Zone zu machen und dann möglichst auch von konventionellen Waffen zu befreien, wurde im Oktober 1974 durch den sowjetischen Präsidenten Podgorny aktualisiert und vom finnischen Ministerpräsidenten Kalevi Sorsa im Februar 1975 erneut aufgegriffen. Die skandinavischen NATO-Mitglieder Norwegen und Dänemark haben diesen Plan abgelehnt, zumal eine atomwaffen-freie Zone in Skandinavien Norwegen für einen künftigen Krisenfall die Nutzung atomarer Abschreckungsmöglichkeiten im NATO-Bündnis verschließen würde. Die Gegner des Vorschlags verweisen auf eine ungewöhnlich starke militärische Verdichtung des sowjetischen Atomwaffenarsenals auf der Kola-Halbinsel. In einem Zeitschriftenaufsatz hat Anders Thunborg, Staatssekretär im schwedischen Außenministerium, auf das militärische Übergewicht der Sowjetunion gegenüber Nordeuropa hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, daß konventionelle und atomare Waffen nicht nur auf die sowjetische Kola-Halbinsel, sondern von der Sowjetunion auch in den ehemaligen baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland konzentriert worden seien. Auf sowjetischer Seite wird dieses Problem übergangen: „Wäre es dann nicht friedensstabilisierend, wenn die skandinavischen Länder zu atomwaffenfreien Zonen gemacht würden? Alle nordischen Staaten haben durch ihren Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von eigenen Atomwaffen Abstand genommen. Und die Wirksamkeit dieses Vertrages würde durch die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Nordeuropa weiter verbessert... Die Sowjetunion hat sich bereit erklärt, als Garant für eine solche Zone aufzutreten"

Im Februar 1967 wurde — als späte Folge u. a.der kubanischen Raketenkrise von 1962 — der Vertrag von Tlatelolco durch 21 lateinamerikanische Staaten gebilligt, zunächst aber nur von 14 Staaten unterzeichnet. Kuba und Guayana beteiligten sich bis heute nicht. Argentinien und Chile haben zwar unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert. Brasilien hat zwar den Vertrag ratifiziert, nicht jedoch das Zusatzprotokoll I, das eine besondere Festlegung auf den „Status der Freiheit von Kernwaffen für kriegerische Zwecke'enthält. Nach dem Vertrag sind jede Art von Erprobung sowie die Herstellung, der Erwerb und die Lagerung von Kernwaffen im ganzen südlich des 35. Breitengrades gelegenen Bereich der westlichen Hemisphäre untersagt. Die Vertragsstaaten dürfen nukleares Material und nukleare Vorrichtungen nur für friedliche Zwecke verwenden. Der Vertrag von Tlatelolco ist der erste und bisher einzige, der eine kernwaffenfreie Zone schafft. Die beiden Zusatzprotokolle unterstreichen, „daß die Nichtverbreitung der Kernwaffen kein Ziel an sich darstellt, sondern ein Mittel ist, um in einer späteren Phase die allgemeine und vollständige Abrüstung zu verwirklichen Das Zusatzprotokoll II ist durch alle Mächte, die Kernwaffen besitzen, zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Es enthält u. a. die Verpflichtung, daß die Unterzeichnerstaaten gegen die Vertragsparteien keine Kernwaffen einsetzen und nicht mit ihrem Einsatz drohen werden. Das Zusatzprotokoll II haben alle Kernwaffenstaaten (auch die Volksrepublik China und Frankreich) ratifiziert, mit Ausnahme der Sowjetunion, die weder unterzeichnet noch ratifiziert hat. China klagte den sowjetischen Vertreter am 19. November 1974 in den Vereinten Nationen wegen dessen Stimmenthaltung bei einer Resolution der UN-Vollversammlung an, die die UdSSR zur Unterzeichnung auffordert: „Er gab damit wieder einmal die wahren Züge der Sowjetunion preis, die angeblich abrüsten will, in Wirklichkeit aber nicht gewillt ist, das Wettrüsten einzustellen, das darauf gerichtet ist, nukleare Oberherrschaft und Hegemonie zu erlangen."

Uber eine afrikanische kernwaffenfreie Zone wird seit 1960 in der UNO diskutiert, jedoch bisher ohne Vertragsergebnis. Auch der Vorschlag einer kernwaffenfreien Zone im Mittleren Osten ist über Resolutionsentwürfe innerhalb der UNO nicht hinausgekommen.

Im Dezember 1974 hat Pakistan ohne vorherige Konsultation mit den betroffenen Ländern eine UNO-Resolution eingebracht, mit der eine atomwaffenfreie Zone in Südasien „prinzipiell“ empfohlen werden sollte. Sie wurde mit 96 Stimmen gegen 2 (Indien und Bhutan) bei 36 Enthaltungen angenommen. Gleichzeitig stimmte die UN-Vollversammlung aber auch einer indischen Resolution mit 104 Stimmen gegen eine (die von Dahome) bei 27 Enthaltungen zu, „die Initiative für die Festlegung einer atomwaffenfreien Zone in einer geeigneten Region Asiens müsse von den betroffenen Staaten der Region ausgehen, wobei auch die Besonderheiten und das geografische Ausmaß Asiens berücksichtigt werden sollten" (Eine Anspielung auf den chinesischen Kernwaffenbesitz). Aus der Stellungnahme des chinesischen UN-Delegierten: „Um den Wunsch nach der Errichtung einer kernwaffenfreien Zone in Südasien in Erfüllung gehen zu lassen, ist es dringend notwendig, vor der Aggression und Intervention der Supermächte auf der Hut zu sein und gegen sie, ebenso wie gegen expansionistische Aktionen gleich welchen Landes zu kämpfen." Auch eine „Deklaration des Indischen Ozeans zu einer Friedenszone" ist bisher Papier geblieben. Der Ausbau des amerikanischen Stützpunktes Diego Garcia im Indischen Ozean mit der Stationierungsmöglichkeit für atomwaffentragende B-52-Bomber und die sowjetische Flottenpolitik im Indischen Ozean halten das Thema in der Diskussion.

Nuklearer Diebstahl, nukleare Erpressung

Anfang März 1975 schockierte ein Fernsehfilm 20 Millionen Amerikaner, der nachwies, daß ein amerikanischer Student nur in öffentliche Bibliotheken zu gehen brauchte, um die für eine Atombombe erforderlichen Kenntnis“) se zu erwerben. Grundlegende Informationen bietet ein Artikel in der Ausgabe der „Encyclopedia Americana" von 1973. Per Postkarte kann man weiteres Material vom Nationalen Technischen Informationsdienst der USA anfordern. Das amerikanische Handelsministerium veröffentlichte eine Geschichte des „Manhattan-Projekts“ für 2, 50 US-Dollar Höchst informativ das Buch von Willrich und Taylor: „Nuklearer Diebstahl: Risiken und Sicherheitsmaßnahmen'. Der Fernsehfilm zeigte, daß die Sicherheitsmaßnahmen für amerikanische Nuklearanlagen alle darauf ausgerichtet waren, Spionage von vielleicht ein oder zwei Agenten im Auftrag fremder Mächte zu verhindern. Aber eine entschlossene, bewaffnete Gruppe von Terroristen würde ohne weiteres die Handvoll bewaffneter Wächter an der abgelegenen großen Plutonium-Aufbereitungsanlage in Süd-Carolina überwältigen, die von Allied Chemical, Gulf Oil und Royal Dutch gemeinsam betrieben wird. Ähnlich ungesichert sind die Plutonium-Transporte in handelsüblichen Kraftfahrzeugen, zu deren Sicherheit lediglich alle zwei Stunden von unterwegs ein drahtloser Telefonanruf bei der Zentrale vorgeschrieben ist, was bei ungünstigem Gelände nicht einmal technisch immer möglich ist. Plutonium-Diebstahl in Verbindung mit Erpressung an Wissenschaftlern, die man eine Atombombe zusammensetzen läßt, liegt durchaus im Bereich des Möglichen Die Möglichkeiten eines Diebstahls unter den nach amtlichen Angaben von Dezember 1966 in Europa gelagerten 7 000 amerikanischen Kernwaffen (an 100 geheimgehaltenen Plätzen), eines Mißbrauchs der in Griechenland und der Türkei lagernden Vorräte während der Zypernkrise seien nur angedeutet

Der Fernsehfilm regte auch zur Diskussion darüber an, ob derart gefährliche Produktionen auf Dauer multinationalen Konzernen überlassen bleiben dürften oder ob sie nicht ausschließlich Sache des Staates sein müßten. Westinghouse-und General Electric-Reakto-ren kennen keine Grenzen, stellte der amerikanische Senator Stevenson fest. „Durch ein französisches Unternehmen finden Westinghouse-Reaktoren ihren Weg in den Iran und wo immer sonst die Franzosen ein Geschäft machen können."

Wenn schon die Sicherheitsmaßnahmen in Ländern wie den USA unzureichend sind, so fragt Stevenson, wie groß sind diese Risiken erst in Ländern, die nicht über dieselben technologischen und Sicherheits-Möglichkeiten und Erfahrungen verfügen? Die Einrichtung von Kernreaktoren in politisch unstabilen Ländern füge eine weitere Dimension hinzu. Ihre Kontrolle kann sich bei Regierungswechsel grundlegend ändern, und die Fähigkeit, Verantwortung festzustellen und Kontrollen aufzuerlegen, verflüchtigt sich fast ganz. Stevenson erinnert daran, daß die Sicherheitskontrollen der IAEO nicht auf die Kernwaffenstaaten anwendbar sind, wenn auch die USA und Großbritannien sich ihnen z. T.freiwillig unterziehen, daß sie auf die rasch sich ändernden und verfeinernden Technologien ungenügend anwendbar seien, auf die wachsende Vielfalt der Reaktortypen.

Die IAEO verfüge nur über 200 000 Dollar jährliche Forschungsmittel zur Sicherheit für die gesamte internationale Gemeinschaft, und die Struktur der IAEO zeige selbst Mängel, die die Interessen widerspiegelten, denen sie dient, diese aber förderten die Verbreitung nuklearer Kapazität. Letztlich bestimmten die Interessen der 104 IAEO-Mitgliedstaaten, die in der großen Mehrheit die Interessen der Empfänger, nicht die der Lieferanten seien, obwohl die USA zugegebenermaßen sowohl politischen Einfluß als auch Gewicht wegen ihres Beitrags zum IAEO-Budget hätten. „Auf längere Sicht werden Energiebedarf und Gewinnsucht die nationale Nuklear-Politik beherrschen" — so Stevenson.

Der Senator schlägt vor, daß die USA die Initiative ergreifen und ein bedingtes Moratorium für die Dauer eines Jahres erklären sollten, wonach sie den Verkauf von Nuklearanlagen nur an jene Länder zulassen, die sich vollständig den Sicherheitskontrollen der IAEO unterwerfen und sich an der Fortentwicklung von Sicherheitssystemen beteiligen. Stevenson sieht eine Chance, daß andere Lieferländer, sogar Frankreich, einem solchen amerikanischen Beispiel folgen könnten. Der Markt z. B. für Computer, die zur Herstellung von Nuklearwaffen dienen, müsse kontrolliert werden. Multinationale Konzerne müßten daran gehindert werden, durch Lizenzverträge an nicht überwachte Länder die IAEO-Kontrollen zu umgehen. Schließlich müßten wirksame Sanktionen im NV-Vertrag entwickelt werden. Militärpolitisch sollten die USA die nur begrenzte Nützlichkeit von Nuklearwaffen betonen, der nuklearen Option ihren Reiz nehmen helfen und konventionelle Verteidigung empfehlen. „Die Vereinigten Staaten könnten auch die Plazierung nicht nuklearer Mächte im Weltsicherheitsrat der UN unterstützen, um so den Zusammenhang zwischen nuklearer Macht und internationalem Einfluß zu lockern" — ein Gedanke, der von der Argumentation des Inders Subrahmanyam nicht weit entfernt ist.

Als China 1964 seine A-Bombe und 1967 seine H-Bombe gezündet hatte, schloß es die Tür des Nuklear-Clubs hinter sich und verhalf keinen weiteren Staaten zu eigenen Explosio-B nen. Indien kann seine Beteuerungen, nur eine Explosion für friedliche Zwecke veranstaltet zu haben, dadurch unterstreichen, daß es im Unterschied zu seinen fünf Vorgängern im „Club" darauf verzichtet, eine H-Bombe folgen zu lassen. Wird Indien nun ebenfalls die Club-Tür hinter sich schließen? Könnte der NV-Vertrag auf eine Weise revidiert werden, die Indien den Beitritt ermöglicht? Könnten Israel und Ägypten für die Mitgliedschaft im NV-Vertrag gewonnen werden?

Die Debatte über alte und neue Energiequellen seit der Olpreiskrise im Herbst 1973 hat für viele Entwicklungsländer, die kein öl exportieren, für die „Vierte Welt" also, das Interesse an friedlicher Nutzung der Kernenergie erhöht. Kernkraftwerke werden, z. B. in Indien, als Ausweg angesichts der Devisen-knappheit bei Ölimporten und damit als wesentlicher Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung gesehen, in geringerem Maße hofft man mit „friedlichem" Kernsprengstoff Öloder Erdgasquellen erschließen, Erdbewegungsarbeiten für Kanäle und Talsperren durchführen zu können. Der von Indien schon vor Abschluß des NV-Vertrags vorgebrachte Gedanke eines „Lastenausgleichs" zwischen denen, die im Rahmen des NV-Vertrags Opfer brächten und denen, die den Nutzen hätten, gewinnt neue Aktualität, zumindest in den Augen der atomaren „Habenichtse", die jedenfalls eine Chance zum Erwerb von Kernkraftwerken sehen. Ihr Wunsch, künftigen Energiebedarf im eigenen Land anders als mit öl zu decken, trifft auf das Geschäftsinteresse der multinationalen Konzerne, geeignete Anlagen aus den Industriestaaten in Entwicklungsländer zu exportieren. Die Problematik der Verwendbarkeit des Kernkraftwerk-Nebenprodukts Plutonium als Ausgangsmaterial für Kernwaffen eröffnet Erpressungsmöglichkeiten in den internationalen Beziehungen von Seiten einer Staatengruppe, die sich einstweilen nur in der Phantasie ausmalen läßt. Auch in dieser Hinsicht wird den bisher mächtigen Industriestaaten, vielleicht auch den neuen Ölmächten, bald eine neue Qualität weltpolitischer Interdependenz bewußt werden.

Wenn nicht bald ein großer Versuch gemacht wird, den NV-Vertrag universal werden zu lassen und zugleich seine bisherigen Ungleichheiten zu beseitigen, dann gibt es keine Chance mehr, daß „der Mensch" die Nuklear-energie wirklich beherrscht. Eine solche Revision würde jedoch eine Überwindung bisheriger strategischer Abschreckungstheorien, einen Aufbruch zu einer neuen Weltordnung bedeuten. Dafür spricht alle Vernunft, alle Erfahrung spricht dagegen. Denn die einzige Lösung des Problems, eine Weltbehörde mit Kontrollmonopol über alle Probleme der industriellen Nutzung von Nuklearenergie, bleibt Utopie. Kein Staat, jedenfalls keine Welt-macht, wäre zu einem derartigen Verzicht auf Souveränität bereit. Die Erkenntnis der Gefahren sollte wenigstens die Vorsicht im Umgang mit ihnen erhöhen und die Voraussicht auf übergeordnete, langfristige Interessen des friedlichen Zusammenlebens fördern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Artikel VIII (3), in: Drucksache 7/994 vom 10. 9. 1973 des Deutschen Bundestages — dort vollständiger Wortlaut des NV-Vertrags.

  2. Pierre Simonitsch, Das politische Gleichgewicht steht auf dem Spiel, in: Frankfurter Rundschau, 18. 9. 1974.

  3. Uwe Nerlich, Vor der Bonner Entscheidung über den Nichtverbreitungs-Vertrag, in: Europa Archiv, Folge 21/1973, 10. 11. 1973, S. 729.

  4. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, Anlagen 10, 11.

  5. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, Anlage 13.

  6. Marcel Hepp, Der Atomsperrvertrag. Die Supermächte verteilen die Welt, Stuttgart 1968, S. 36.

  7. Nerlich, a. a. O., S. 736.

  8. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. 9. 1974.

  9. Indian & Foreign Review, New Delhi, Vol. 12, No. 5, 15. 12. 1974, S. 5.

  10. Neue Zürcher Zeitung, 22. 11. 1974.

  11. Monitor-Dienst der Deutschen Welle, Teil Asien, 29. 10. 1974, nach „Press Trust of India".

  12. Dietmar Rothermund, Indien und die Sowjetunion, Tübingen 1968, S. 52.

  13. Manuskript von K. Subrahmanyam (Institute of Defence Studies & Analyses) zur Verfügung gestellt von der Indischen Botschaft in Bonn.

  14. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, S. 11.

  15. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, S. 14.

  16. Frankfurter Rundschau, 4. 3. 1975.

  17. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, S. 13.

  18. S. K. Ghosh (Institute for Defence Studies & Analyses), India and peaceful nuclear Explosives, Manuskript nach „Foreign News & Features“, zur Verfügung gestellt von der Indischen Botschaft in Bonn.

  19. Atombomben sollen das Kaspische Meer retten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 3. 1975.

  20. Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 64. Sitzung am 8. 11. 1973, Protokoll S. 3708 (D).

  21. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, S. 17.

  22. S. Fußnote 21.

  23. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/994, S. 20.

  24. Brüssel kritisiert die USA, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 12. /13. 4. 1975; Matthöfer: Versorgung mit Uran gesichert, in: Stuttgarter Zeitung, 14. 4. 1975; vgl. Kurt Rudzinski: Das Uran bringt Schwierigkeiten. Vorräte, Kosten, Bedarf, das Brüten und die Sicherheit der Reaktoren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 4. 1975; Südafrika bietet Bonn Uranlieferungen an, in: Süddeutsche Zeitung v. 22. 4. 1975.

  25. Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 81. Sitzung am 20. 2. 1974, Protokoll S. 5287 (D).

  26. Frankfurter Rundschau, 26. 2. 1975; Deutschland-Union-Dienst der CDU/CSU vom 3. 3. 1975 mit Stellungnahme des MdB Christian Lenzer (CDU); Stuttgarter Zeitung, 4. 3. 1975; International Herald Tribune, 7. 10. 1974.

  27. MdB Birrenbach (CDU), s. (20), S. 3711 (D).

  28. MdB Bangemann (FDP), s. (25), S. 5267 (D).

  29. MdB Pawelczyk (SPD), s. (25), S. 5272 (D).

  30. MdB Pawelczyk (SPD), s. (25), S. 5273 (B).

  31. MdB Mischnick (FDP), s. (25), S. 5276 (A).

  32. MdB Wischnewski (SPD) s. (25), S. 5278 (D).

  33. Pari. Staatssekretär Moersch, s. (25), S. 5288 (D).

  34. Zit. nach (25), S. 5272 (D). M

  35. Time, 9. S. 1974.

  36. Der Fischer Weltalmanach 1975, Frankfurt/M. 1974, S. 319.

  37. Perspektiven der Nuklearstrategie, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. 9. 1974.

  38. Time, 9. 9. 1974.

  39. Adlai E. Stevenson III, Nuclear Reactors: America must act, in: Foreign Affairs, Vol. 53/1, October 1974, S. 64.

  40. The Economist, 8. 3. 1975, S. 89; 12. 4. 1975, S. 71; Kölner Stadt-Anzeiger, 10. 4. 1975.

  41. International Herald Tribune, 21. 3. 1975.

  42. Energiesparendes Verfahren zur Uranium-Ge-

  43. Nigel Hawkes, Atomic power hits trouble, in: The Observer, 23. 2. 1975; vgl. NUCLEAR PLANT SCARE, in: The Observer, 30. 3. 1975.

  44. Hugh O'Shaughnessy, India helps Latin America to join the nuclear club, in: The Observer, 27. 10. 1974.

  45. Ehrgeizige Nuklearpläne Brasiliens, in: Neue Zürcher Zeitung, 19. 2. 1975.

  46. Nachrichten aus Iran, Nr. 16, 1. 4. 1975.

  47. Die Welt, 6. 3. 1975; dpa 260 vom 23. 2. 1975; International Herald Tribune, 13. 3. 1975, 17. 3. 1975.

  48. Die Welt, 28. 2. 1975, -dpa 274 vom 28. 2. 1975.

  49. Valentin Sacharow, In: Radio Moskau, 31. 3. 1975, deutsch in Monitor-Dienst der Deutschen Welle, 1. 4. 1975; ppp 29/75 vom 12. 3. 1975; Frankfurter Allgemeine, 20. 5. 1975; Neue Zürcher Zeitung, 19. 2. 1975.

  50. Wortlaut des Vertrages von Tlatelolco, in: Europa-Archiv, Folge 7/1967, D 151 ff.

  51. Vorschläge zur Errichtung von kernwaffenfreien Zonen. Peking Rundschau Nr. 50, 17. 12. 1974, S. 13. Die UN-Vollversammlung ersuchte am 9. 12. 1974 mit 114 Stimmen bei 15 Enthaltungen erneut die UdSSR, das Zusatzprotokoll II zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Frage steht auf der 30. Vollversammlung 1975 wieder auf der Tagesordnung, siehe Milos Radojkovic, Die Abrüstung und die Verpflichtungen der Staaten, in: Internationale Politik, Belgrad, Heft 599, 20. 3. 1975.

  52. Monitor-Dienst, Deutsche Welle, Teil Asien, 11. 12. 1974.

  53. Peking Rundschau, s. 51), S. 11.

  54. The Economist, 8. 3. 1975; The Observer, 9. 3. 1975, Time, 9. 9. 1974.

  55. The Economist, 12. 10. 1974, S. 46. Hannes Alfven (s. 39a) nennt 1975 eine Zahl von „mehr als 10 000" in Europa gelagerten Atombomben.

  56. Stevenson, a. a. O., (Fußnote 39), S. 65.

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Ansgar Skriver, geb. 1934, Dipl. -Volkswirt, war Sortiments-und Verlagsbuchhändler, seit 1966 politischer Redakteur im WDR-Hörfunk, Köln (verantwortlich für Featuresendungen, die Sendereihe «Auf ein Wort" und „Das aktuelle Thema“), Mitglied des P. E. N.; Journalistenpreis 1962, 1966, 1968. Veröffentlichungen u. a.: Gotteslästerung?, Hamburg 1962; Berlin und keine Illusion (Hrsg.), Hamburg 1962; Aktion Sühnezeichen, Stuttgart 1962; Soldaten gegen Demokraten. Militärdiktatur in Griechenland, Köln 1968; Schreiben und schreiben lassen. Innere Pressefreiheit, Redaktionsstatute, Karlsruhe 1970; Der Rundfunk als Pionier der Auslandsinformation, in: Zukunftsperspektiven des Rundfunks, Köln 1969; Tabus in der Auslandsberichterstattung, in: Die Tabus der bundesdeutschen Presse, München 1971; Auslandsberichterstattung — eine Entwicklungs- und Forschungsaufgabe, in: Gesellschaftliche Kommunikation und Information, Bd. II, Frankfurt 1973; Das falsche Bild der Wirklichkeit. Auslands-berichterstattung im Fernsehen, NDR III, 23. März 1974.