Nachdruck aus: Les rgions d’Europe, Vorwort Von Alexandre Marc, Einführung von Guy Heraud, Nice 1973.
Übersetzung: Rosemarie Schöndube, Frankfurt.
Durch den modernen Tourismus ist das lange Zeit unbekannte Land der Basken in das europäische Bewußtsein gebracht worden. Millionen Menschen erleben Jahr für Jahr die baskischen Volkstänze, schauen zu, wenn im Hafen von Saint-Jean de-Luz der Thunfisch gelandet wird, ziehen weiter nach Süden durch das „spanische" Baskenland, auf der Suche nach Sonne und Erholung. Der Tourist sucht vor allem die Ruhe und die schönen Strände und begreift deshalb nur bruchstückhaft den Sinn der schmerzlichen Ereignisse in diesem Land: Ausnahmezustand in Biscaya und Gui-puzcoa (San Sebastian), Massenverhaftungen von Studenten und Arbeitern und in jüngerer Zeit auch Verhaftung von zahlreichen Priestern, tödlich ausgehende Feuergefechte mit jenen, die sich verbergen oder versuchen, die Grenze zu überschreiten, Deportation und Folter. Kurzum: Verfolgung von Bürgern, deren einziges Verbrechen darin besteht, ihre eigene Sprache und die Eigenpersönlichkeit ihres Volkes retten zu wollen.
Die Presse verhielt sich diesen Ereignissen gegenüber lange Zeit sehr zurückhaltend.
Von brutaler Unterdrückung in einem westeuropäischen Land zu sprechen, erschien ungehörig. Sie berichtete lieber über die Probleme in Biafra, über die Palästinas und die der Tschechoslowakei. Sie erwähnte jedoch kaum die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Basken und Katalanen inmitten des westlichen Europas. Aus diesem Grunde war die Öffentlichkeit schlecht informiert über das baskische Problem und betrachtete den Kampf der Basken oft als unnötige und unglückliche Utopie.
Es bedurfte des Prozesses von Burgos, bei dem zwölf Studenten mit der Todesstrafe bedroht wurden, um die Europäer aus ihrer Lethargie aufzuwecken und sie erkennen zu lassen, daß das Regime Francos unverändert das gleiche ist. In der Folgezeit haben die internationalen linksgerichteten Organisationen dieses Ereignis zu einer Sache der spanischen Republikaner oder Marxisten gemacht; es genügte aber, nach den Namen der Gefangenen zu fragen und ihre Aussagen zu hören, um zu verstehen, -daß es vor allem ein baskisches Problem ist.
Stationen in der Geschichte der Basken
Zu Beginn unserer Zeitrechnung bewohnte das baskische Volk ein sehr viel größeres Gebiet als in unseren Tagen: Es bildete im Norden der Pyrenäen das Herzogtum Vasconia, das sich bis Toulouse und Bordeaux erstreckte und alle Stämme, die baskisch oder gaskonisch sprachen, umschloß. Dieses Herzogtum widerstand dem fränkischen Reich und dauerte vier Jahrhunderte.
Südlich der Pyrenäen entstand danach das Königreich Navarra. Dieses Königreich erstreckte sich über den Ebro hinaus; zur Zeit von Sancho dem Starken umfaßte es Katalonien und das alte Kastilien bis zu den asturisehen Provinzen. Neun Jahrhunderte war dieses Königreich unabhängig.
Es bestand also dreizehn Jahrhunderte lang (bis 1512) zwischen der Garonne und dem Ebro ein souveräner unabhängiger Staat. Da dieser jedoch von seinen nördlichen und südlichen Nachbarn ständig angegriffen wurde, wurde die Bevölkerung nach und nach zurückgedrängt oder assimiliert, so daß heute das Gebiet, in dem noch baskisch gesprochen wird, nur noch 21 000 km 2 umfaßt, in dem 3 Millionen Menschen leben.
Darüber hinaus leben in der Welt einige weitere Millionen Basken und deren Nachfahren, die ausgewandert sind oder auswandern mußten, weil ihr von Fremden kolonisiertes Geburtsland ihnen keine ausreichende Lebensgrundlage mehr bot. Sie leben vor allem in Nord-und Südamerika. Viele von ihnen unterhalten enge Kontakte zu Ihrer alten Heimat.
Heute besteht das Land der Basken aus den sieben traditionellen Provinzen: Navarra, Bis-caya, Alaba und Guipuzcoa auf spanischem Territorium, Basse-Navarre, Labourd und Soule auf französischem Gebiet. Auf dem Wappen der Basken stehen die Worte: „Zazpiak Bat" (Diese sieben Provinzen sind eine). Die baskischen Einwohner dieser sieben Provinzen bilden die Nation von „Euzkadi". „Euzkadi ist das Vaterland der Basken", so schrieb der große baskische Schriftsteller und nationalistische Politiker Sabino de Arana Goiri, der siebenundzwanzigjährig im Gefängnjs starb, weil er die Personalität seines Volkes verteidigte.
Als Hauptstadt gilt Pamplona (Iruna auf Baskisch), das eine alte Erfahrung in politischer Selbstverwaltung hat, mit seinen berühmten „fueros" Es ist eine Stadt mit 150 000 Einwohnern, in vollem wirtschaftlichem Aufschwung begriffen. Das Wirtschaftszentrum ist jedoch Bilbao (800 000 Einwohner) mit der Provinz Biscaya, deren Bevölkerungsdichte und Dynamik (350 Einwohner pro km*) mit denen Hollands vergleichbar ist. Das Bankwe-sen, die Stahl-und Elektronikindustrie tragen zur wirtschaftlichen Blüte des Landes bei, das einen regen Außenhandel betreibt. Das landwirtschaftliche Hinterland verfügt über gute Acker-und Weideböden, während Biarritz und San-Sebastian als touristische Hochburgen mit ihren weltberühmten Stränden zusammen mit Bayonne die Kulturzentren sind, in denen man sich um die literarische Pflege der baskischen Sprache bemüht.
Aufgrund seiner Wirtschafts-, Finanz-und technologischen Ressourcen läßt sich das Gebiet der Basken mit einem Land wie Israel vergleichen, das heißt, es rangiert bei weitem vor Ländern wie Irland oder Bulgarien; sein Sozialprodukt entspricht dem Norwegens und ist höher als das Portugals. Sechsunddreißig afrikanische und asiatische Staaten, die Sitz und Stimme in der UNO haben, sind geringer bevölkert und elf andere sind flächenmäßig kleiner. Wenn man in der Kategorie „Region'und nicht „Staat", denkt, so entspricht das vereinigte Baskenland den Kriterien der europäischen Standardregionen wie z. B. Sardinien oder Wales, Wallonien oder Flandern, Elsaß oder Rheinland-Pfalz.
Euskera — eine der ältesten Sprachen Europas
Das Baskische oder „Euskera“ ist eine der Sprachen, die man in Europa vor der indogermanischen Einwanderung sprach, und die Zahlreiche Wissenschaftler beschäftigt hat. Auf der Grundlage des Baskischen kann man zahlreiche Ortsnamen erklären, die mit dem späteren Griechischen oder Lateinischen nicht erklärbar sind.
Der Ursprung der Basken erscheint heute ziemlich klar; sie sind die Ureinwohner der Westund Zentralpyrenäen, ein Volk von Hirten, deren Einflußsphäre den Weidegebieten ihrer großen Herden entsprach, die zwischen der Garonne im Norden und dem Ebro im Süden hin und her wanderten. Zwischen den beiden Flüssen lag ihr Territorium, was durch die Ortsnamen in dieser Regionen sehr deutlich bewiesen werden kann
Durch lange Jahrhunderte verteidigten sich die Basken gegen die Invasoren, die über die Pyrenäen kamen und sie tributpflichtig machen wollten, ob dies die Karthager waren, die Römer, die Westgoten, die Mauren, die Normannen oder die Franken, und dieser Kampf um Selbstbestimmungsrecht und Iden-dität setzt sich bis heute fort. Ihre Sprache und ihre Personalität konnten sie nur Dank ihrer Zähigkeit bewahren und durch den Rückzug in die Täler. Ihr Unglück ist, daß sie sich nicht in Frieden und Freiheit in ihrem eigenen Land selbstverwalten können, denn ihr Volkstum unterliegt dem Druck von zwei romanischen Staaten, die eine als unbarmherzig empfundene Assimilierungspolitik betreiben. Die Amtssprache ist die einzige Sprache in der Schule, im öffentlichen Leben und in den Rundfunk-und Fernsehsendungen. Welche Sprache — und möge sie auch noch so fest verankert sein — könnte diesem Druck widerstehen? Man kann also nicht sagen, daß die baskische Sprache langsam eines natürlichen Tode! stirbt; sie wird von ihren Nachbarn erstickt Aber die baskischen Eliten haben begonnen, diesem Problem ihr Interesse zu widmen.
Seit etwa 50 Jahren tragen kulturelle Vereinigungen oder weitsichtige Gemeindeverwaltungen mit stetiger Regelmäßigkeit ihre Wünsche nach Unterricht in Baskisch in den Grundschulen bei der Sous-Prefecture von Bayonne oder dem Unterrichtsministerium vor. Ist eine alte europäische Sprache nicht ebenso schutzwürdig wie andere „Denkmäler", die in Gefahr sind? Aber alle diese bescheidenen und durchaus friedfertig vorgelegten Anträge wurden nie berücksichtigt. Die Behörden stellen sich taub und beschränken sich auf die Entwicklung des Tourismus und die Unterstützung der Folklore an der baskischen Küste. Und die Wissenschaftler beschäftigen sich fast ausschließlich mit der prähistorischen Zeit dieses Volkes.
Inzwischen gibt es wirtschaftliche Schwierigkeiten in denNordprovinzen, und vor allem die Jugendlichen sind wegen des Mangels an Arbeitsplätzen oft gezwungen, auszuwandern. Da dieser Zustand nicht länger anhalten konnte, haben Teile der jüngeren Generation begonnen, sich selbst um die aktuellen Probleme und die Zukunft ihres Landes zu kümmern.
Die Personalität des baskischen Volkes und seine Kultur
Hätte das baskische Volk sein Selbstbestimmungsrecht, würde sich seine Kultur schnell entwickeln. Das Volk von Euzkadi hat bedeutende Männer hervorgebracht wie den Völkerrechtler F.de Vitoria, Pioniere und Entdecker wie Sebastian Elcano de Guetaria,. Geistliche wie Ignazius von Loyola, Musiker wie Guridi, Donostia, Sarasate, Maurice Ravel, dessen Mutter Baskin war, Maler wie Iriarte und Zuloage, Architekten und Bildhauer wie Anchieta, Oteiza und Chillida, Poeten wie Etxahun und Iparraguirre, Sänger wie Gayarre und Borthayfe, Philosophen und Schriftsteller wie Unamuno und Pio Barija, Pädagogen und Theologen, Städtegründer in Südamerika und schließlich Simon Bolivar, den Befreier Südamerikas von der spanischen Herrschaft.
Zur Pflege der literarischen Sprache wurde 1918 die Akademie für die baskische Sprache (Euzkaltzaindia) gegründet, die beachtliche Leistungen auf dem Gebiet der Morphologie, der Syntax und der Vereinheitlichung der verschiedenen Dialekte vollbracht hat. Es gehören ihr 23 Vollmitglieder an, die monatlich zusammentreten, und 150 korrespondierende Mitglieder meist jüngeren Alters aus allen sieben Provinzen, durch die die Einführung eines modernen Vokabulars, das nach und nach in die eingeht, aktiv an Volkssprache der Verjüngung des Euskera mitwirken. Diese Arbeit wird ergänzt durch Bücher, Zeitschriften und andere Publikationen, die in zahlreichen Ausstellungen im Lande populär ge-
macht werden. Etwa zehn Verlage und fünfzig Schriftsteller und Journalisten, die in der ndazlen elkartea“
vereinigt sind, arbeiten auf diesem Gebiet. Es erscheinen sechs Wochen-bzw. Monatszeitungen wie Argia, Herria, Anaitasuna und Agur in Baskisch, die -finanziell von den Abonnenten getragen werden.
Die Basken waren von jeher ein sangesfreudiges Volk; ihr außerordentlich reiches Volksliedgut wurde erhalten und auch erneuert, im wesentlichen von P. M. Azkue und P. Donostia. Die Lebendigkeit äußert sich auch in modernen Liedern, die in verschiedensten Stilen und mit verschiedensten Instrumenten vorgetragen werden und bei vielen Festivals sowie durch den Schallplattenverkauf vor allem bei der Jugend Erfolg haben.
In manchen Gegenden entstanden Theatergruppen. War es zu Beginn nur naives Volkstheater, so wandelte sich langsam dessen Substanz dank hervorragender Schriftsteller wie Monzon, Larzabal und Landart. Zur Zeit stehen etwa hundert moderne Stücke in Baskisch auf dem Repertoire der etwa zehn Laienschauspielgruppen.
Der Sport bedarf ebenfalls der Erwähnung. Im Vordergrund stehen Sportarten wie das „pelo-te basque", das Bergsteigen, Skilaufen und die Höhlenforschung.
Aus all dem läßt sich auf ein sehr intensives kulturelles, künstlerisches und sportliches Leben der Basken schließen, das jedoch immer in Gefahr ist, von den mächtigen Nachbarn überwuchert zu werden.
Der nationale Rundfunk und das Fernsehen der beiden Staaten erwähnen diese Aktivitäten kaum. In Frankreich wird im Monat eine Viertelstunde (!) im Regionalprogramm des Fernsehens darüber gesendet, das aber aus technischen Gründen schwer zu empfangen ist. Radio „Cotes Basques" sendet täglich fünf Minuten und sonntags eine halbe Stunde. Diese Sendungen können jedoch nur in einem Drittel des Landes empfangen werden.
Im Süden, also in Spanien, wird der baskischen Sprache und der Regionalmusik vom Rundfunk mehr Sendezeit eingeräumt, aber das Fernsehen ignoriert sie völlig, obwohl der Sender Bilbao technisch in der Lage wäre, baskische Sendungen auszustrahlen, die in allen sieben Provinzen empfangen werden könnten.
Die baskische Sprache im Unterricht
Da die baskische Sprache im offiziellen Unterricht völlig fehlt, wurden aufgrund privater Initiativen Kindergärten und Grundschulen, die „Ikastolas", gegründet. In. Spanien arbeiteten sie zuerst im Untergrund, wurden dann jedoch toleriert; heute scheint es, als ob Sie bald ein legales Dasein führen könnten.
Im französischen Departement Pyrnes At-
lantiques bestehen ebenfalls zwölf solcher Schulen. Heute unterrichten in den sieben Provinzen 700 Lehrkräfte 22 000 Kinder. Dieses Experiment verdient allerhöchste Anerkennung, denn diese Schulen entstanden aus Privatinitiative und werden ausschließlich von den Eltern unterhalten, die für die Schulräume sorgen und die die Lehrer bezahlen müssen. Diese intensiven Anstrengungen beweisen, wie stark bei den Eltern der Wille vorhanden ist, die baskische Sprache zu retten. Allerdings bleibt noch viel zu tun, denn man müßte etwa 500 000 Jugendliche vom Kindergarten bis zur Universität erfassen. Im Sekundarbereich bestehen seit kürzerer Zeit zaghafte Ansätze. In den Großstädten gibt es fünf Privatschulen, in denen auf ein zwei-oder dreisprachiges Abitur vorbereitet wird (baskisch, französisch und spanisch), die jedoch erst knapp tausend Schüler umfassen und große technische Schwierigkeiten haben.
den Städten In finden ebenfalls Abendkurse zur Erlernung der baskischen Sprache statt; auf dem Lande beginnen solche Lehrgänge für die Bauern, die zwar die Sprache sprechen, sie aber weder lesen noch schreiben können, da sie in der Schule offizielle -die Lan nur dessprache lernten.
Eine baskische Universität liegt noch im Land Träume, aus privater der denn Initiative lassen sich die notwendigen Mittel dafür nicht aufbringen. Nach dem Vorbild dessen, was die Katalanen in Prades taten, begann man jedoch im September 1973 mit akademischen Sommerlehrgängen in Saint-Jean de-Luz, an denen auch Professoren und Studenten teilnehmen, die an ausländischen Universitäten lehren oder studieren.
In Spanien scheint zwar das neue UnterrichtsProgramm für die baskischen und katalanischen Provinzen die Zweisprachigkeit vorzusehen, aber die Durchführung dieses Programms wird sehr langwierig sein, da es auf den heimlichen Widerstand des offiziellen Lehrkörpers stößt.
In Frankreich scheiterte das berühmte Dei-xonne-Gesetz, wonach freiwillig Baskisch unterrichtet werden konnte, völlig, eben wegen dieser Freiwilligkeit und weil die Lehrer, die keinerlei Ausbildung dafür erhalten hatten, die zusätzliche Arbeit scheuten und von der Verwaltung zudem in ihren Bemühungen gebremst wurden. Im Jahre 1968 wurden einige Lehrer freigestellt, um Baskisch-Kurse in den verschiedensten Orten abzuhalten. 1972 forderte eine Gruppe von Lehrern aus Saint-Jean-Pied-de-Port eine Ausdehnung dieser Tätigkeit. Seitdem ist die „baskische Folklore" als offizielle nebenschulische Tätigkeit anerkannt und erzielt vor allem in Ferienkursen große Erfolge.
In Frankreich ging unter. Unterrichtsminister Oliver Guichard für den Sekundarbereich am 17. Februar 1969 ein Rundschreiben an die Lehrkräfte, das die Anwendung des Gesetzes von 1951 forderte, wonach in einer Klasse, wenn mindestens zehn Schüler den Unterricht in der baskischen Sprache (oder einer anderen Regionalsprache) verlangen, dieser erteilt werden muß. Seit dem 5. Oktober 1970 ist eine Prüfungsaufgabe in Baskisch beim Abitur zulässig. Dieser seit vielen Jahren geforderte Beschluß stieß auf lebhaftes Interesse der Schüler. Allerdings fällt es den seit dem sechsten Lebensjahr nur in der offiziellen Sprache unterrichteten Schülern nicht leicht, so spät die Sprache zu erlernen. Was die Universität betrifft, so bestehen seit längerem Lehrstühle für die baskische Sprache in Salamanca und Bordeaux: man wußte, daß sich nur eine Handvoll Studenten melden würde, da das Diplom keinerlei Nutzen hat. In der Zwischenzeit wurde jedoch erreicht, daß ein Sprachenzertifikat im Rahmen eines Philologiestudiums anerkannt wird.
Es ergibt sich aus dieser Lage, daß es zur Rettung des baskischen Volkstums notwendig ist, daß das baskische Volk im Unterrichtswesen ein Selbstbestimmungsrecht erhält, damit dem „Euskera" innerhalb eines zwei-oder dreisprachigen Schulwesens ein gesicherter Platz garantiert werden kann. Dies ist die einzige Möglichkeit, eine Sprache zu retten. Aber alle kulturellen Bemühungen müssen einhergehen mit wirtschaftlichem Wachstum und einer entsprechenden politischen Organisationsform.
Wirtschaftsprobleme des Baskenlandes
Auf wenigen Seiten eine Übersicht über die Wirtschaft eines Landes oder einer Region zu geben, ist ein schwieriges Unterfangen. Die sieben Provinzen sind vom Klima her sehr unterschiedlich: auf der einen Seite der Pyrenäen haben Biscaya, Guipuzcoa und das französische Baskenland ein feuchtes atlantisches Klima, jenseits der Pyrenäen haben Alaba und Navarra ein Gebirgsklima und, je mehr sich das Land dem Ebro nähert, ein trockenes Mittelmeerklima.
Eine moderne Schaf-und Rinderzucht ermöglichen den Fleisch-,. Milch-und Wolleexport. Weiterhin werden Getreide und in Süd-Navarra und Alaba berühmte Weine angebaut. Talsperren ermöglichen eine regelmäßige Bewässerung der trockenen Zonen; das dort gezogene Obst und Gemüse wird in genossenschaftlichen Konservenfabriken verarbeitet. Erwähnenswert ist auch die Wiederaufforstung der Berghänge.
Im industriellen Bereich ist die Zone der Bas-ses-Pyrenees völlig unterentwickelt. Trotz der vor etwa zehn Jahren ergangenen Alarmrufe wiegt die Regierung diese Gegend weiterhin in der touristischen Illusion und verhindert nach Meinung der Basken die industrielle Entwicklung, wobei sie außerdem den Jugendlichen Prämien zahlt, die bereit sind, das Land zu verlassen.
Im Süden hingegen entwickelt sich trotz des chronischen Kapitalmangels und starker Konkurrenz die Industrie weiter mit dem Zentrum Bilbao, seinen Kernreaktoren, Erdölraffinerien und der Vergrößerung der Hafenkapazität, so daß jetzt Tanker mit 500 OOÖ Tonnen einlaufen können. Schwer-und Leichtindustrie, Feinmechanik, Werkzeugbau, Verarbeitungsindustrie und chemische Industrie sind weitere wichti-
9 Wirtschaftszweige. Die Provinzen Navarra und Alaba, die früher rein landwirtschaftlich orientiert waren, haben sich völlig geändert, wie nachfolgende Tabelle, bezogen auf die erwerbstätige Bevölkerung, zeigt:
Die bäuerliche Bevölkerung ist bereit, in die zahlreichen mittelständischen Unternehmen, die sich in den Tälern angesiedelt haben, zu wechseln. Regionalbanken verfügen über genügend Mittel, um neuentstehende Industrien, die Einrichtung von Genossenschaften und soziale Einrichtungen in dieser Region zu fördern. Am ausgeprägtesten ist dies bei den Sparkassen der Fall, denen besonders viel Geld zufließt, das sofort wieder an Ort und Stelle investiert wird.
Auf spanischem Gebiet sind die Eisenbahn-verbindungen unzureichend, besonders im Gebirge; in den Provinzen Biscaya und Guipuzcoa lassen auch die Straßenverbindungen zu wünschen übrig, da Madrid hierfür nicht genügend Mittel zur Verfügung stellt. Nur Navarra ist in der Lage, ausgezeichnete Stra25 ßen zu bauen, da es einen steuerlichen Sonderstatus hat (die „fueros").
Die baskische Industrie betreibt einen regen Außenhandel, nicht nur in Europa, sondern auch mit zahlreichen überseeischen Ländern. Das Bauwesen floriert, wenn auch seine Entwicklung etwas anarchisch anmutet. Hervorzuheben ist dabei, daß man sich bemüht, bei modernen Gebäuden den Landesstil beizubehalten. Außer in der Umgebung von Bilbao gibt es keine Elendsquartiere, da alle Arbeiter in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues untergebracht sind.
Euzkadi könnte also sehr gut eine eigene Wirtschaftsregion in Europa darsteilen. Nach dem Beispiel von Navarra, das seine berühmten „fueros“ genießt, könnte es sich genauso frei entwickeln.
Navarra hat besondere Strukturen, da es früher ein unabhängiges Königreich war. Deshalb konnte Madrid diese Provinz nicht so behandeln wie die anderen. Navarra hat außerdem immer darauf hingewiesen, daß die „fueros" keine Privilegien sind, sondern angestammtes Recht.
Die politischen Aspekte des baskischen Problems
Die Verhältnisse in Spanien zum politischen Problem des Der Schlüssel baskischen liegt in wo neun Spanien, Volkes Zehntel seines Territoriums liegen und seiner Bevölkerung leben — in Spanien, wo seit 40 Jahren undemokratisch regiert wird.
Es scheint aus der Sicht der Basken, als wollten die Europäer um jeden Preis ihre Ruhe haben und als schätzten sie — insgeheim — die Regierung Francos, weil sie auf der iberischen Halbinsel für Ruhe und Ordnung sorgt, ihnen neue Märkte eröffnet und weil Spanien strategisch für Europa wichtig ist. Sogar die UdSSR und China haben Handelsverträge mit Franco geschlossen.
Alle scheinen sie aber eine schwerwiegende Tatsache zu vergessen: das spanische Volk kann nicht mitwirken; seit 40 Jahren gab es keine wirklichen Wahlen in Spanien, die Opposition darf sich nicht zu Wort melden und freie politische Parteien sind verboten. Aufgrund eines sehr geschickten Ernennungssystems sichert sich die Franco-Regierung eine Zweidrittelmehrheit in allen Gemeinden, in den Provinzialversammlungen und im Cortes in Madrid. Auch die Bürgermeister werden „von oben" ernannt und die vertikal gegliederten Gewerkschaften und Berufsverbände sind nicht repräsentativ.
Als vor kurzem die Rechtsanwälte von Barcelona und Madrid bei der Jahresversammlung ihres Verbandes versuchten, Mitglieder der Opposition in ihre Gremien zu wählen und Strukturreformen vorzuschlagen, wurde ihnen dies von der Regierung verboten, unter dem Vorwand, sie überschritten ihre beruflichen Kompetenzen.
Die industrielle Entwicklung, die vielfältigen Kontakte europäischen Touristen und der mit Aufenthalt von vielen Arbeitern in anderen Ländern Europas haben ihre Wirkung auf die Bevölkerung nicht Spaniens verfehlt. Sogar die Kirche ist auf Distanz zum Franco-Regime gegangen. Der designierte Nachfolger Francos, Prinz Juan Carlos, wird seine Macht nicht von der Dynastie, sondern von Franco verliehen bekommen. Was wird geschehen, wenn Franco nicht mehr sein wird? Allgemein ist man der Ansicht, daß man ein solches Aufgebot an -Armee und Polizei erleben wird, daß Unruhen nicht sofort ausbrechen werden. Aber die Opposition wird immer stärker, die in Madrid relevanten Kräfte (Opus Dei und Falange) werden sich im Streit um die Macht gegenseitig schwächen, von der mangelnden Autorität des Prinzen Juan Carlos ganz zu schweigen. Die Zukunft Spaniens bleibt also eine große Unbekannte; nach 40 Jahren autoritärer Regierung und dem Temperamentder Bevölkerung lassen sich unschwer explosive Spannungen voraussagen, die vielleicht nicht ganz so gewaltsam sein werden wie 1936, da der Lebensstandard sich seit dieser Zeit beträchtlich verbessert hat. Wäre aber eine progressive Demokratisierung des Landes zur Verhinderung von blutigen Reaktionen nicht wünschenswert? Da wir in Europa von Tag zu Tag mehr gegenseitig von einander abhängig werden, wäre es angebracht, wenn die europäischen Demokratien über dieses Problem mehr nachdenken würden. Es müßten alle wünschen, daß Spanien zur Demokratie zurückkehrt, ohne erneut einen Bürgerkrieg erdulden zu müssen. Wie Ist in der gegenwärtigen spanischen Situation die Haltung des baskischen Volkes? Es kämpft in dem Maße um den Erhalt seiner Eigenart und um die Erlangung eines gewissen Maßes an Selbständigkeit, wie es dazu fähig ist; und — um die Wahrheit zu sagen — es ist ihm ziemlich gleichgültig, ob in Madrid eine Monarchie oder eine Republik errichtet wird; wichtig ist ihm nur, welche Haltung dieses Regime ihm gegenüber einnehmen wird.
Die Baskische Nationalistische Partei (P. N. V.), die sich aktiv für den Autonomie-status einsetzte, der 1936 dem Land gewährt wurde, und deren Programm dem der Christdemokraten ähnlich ist, genießt noch allgemeines Ansehen, sogar bei ihren Gegnern, wegen der Integrität und der Sachkenntnis ihrer Mitglieder. Es gelang ihnen, zahlreiche Mandate in den Gemeinden, in den Provinzialräten und im Cortes von Madrid zu erringen. In der öffentlichen Verwaltung schuf sich diese Partei einen guten Namen; zahlreiche Berufsverbände und auch Gewerkschaften stimmten für sie. Ihre noch im Exil in Paris oder im Untergrund lebenden Vertreter setzen sich — zusammen mit den spanischen Demokraten — für die Meinungsfreiheit, die Koalitionsfreiheit und für freie Wahlen ein. Da sie überzeugte Föderalisten sind, wünschen sie ein Europa der Regionen, in dem Euzkadi seinen legitimen Platz finden würde. Zur Zeit scheint aber diese Partei nicht dynamisch genug zu sein. So entstand 1960 die Bewegung E. T. A. (Euzkadi 'ta Azkatasuna: Baskisches Land und Freiheit).
Ursprünglich war sie eine nationalistische Bewegung mit einem linksdemokratischen Programm. Mit der Zeit aber verband sie sich mit allen Freiheitsbewegungen der Welt und seit 1968 hat sie, nach eigenen Aussagen, Abkommen mit den spanischen und internationalen linken Kräften geschlossen; sie unterhält Kontakte mit Boumedienne und Guerilleros in aller Welt, gründete mit Katalanen eine maoistische Bewegung, das Movimiento comunista Espana. Es ist allerdings schwieng, zwischen den zahlreichen verschiedenen Tendenzen zu unterscheiden. Man kann jedoch wie bei der I. R. A. in Irland zwei Haupt-tendenzen feststellen: die „Sechste Versamm-
ung", die vor allem internationalistisch links ist und das spezielle baskische Problem als sekundär betrachtet, und die „Fünfte Versammlung“, ebenfalls marxistisch-leninistisch, io jedoch dem baskischen Problem Priorität einräumt und daher mehr Echo In der Bevölkerung findet.
Bezeichnend ist, daß diese zweite Gruppierung die Behörden in Madrid mehr beunruhigt und stärkeren Verfolgungen ausgesetzt ist als die erstere.
Die „Fünfte Versammlung“ hat eine paramilitärische Organisation gegründet, die auf baskischem Gebiet operiert (Überfälle, Bombenattentate auf offizielle Gebäude etc.). Auf ihr Konto ging 1971 die Entführung des deutschen Konsuls Beilh in San Sebastian, um damit das Leben der zwölf Studenten beim Prozeß von Burgos zu retten. Es handelt sich um eine kleine Gruppe von Guerilleros, denen man aber Idealismus nicht absprechen kannn.
Der Großteil der Bevölkerung lehnt jedoch diese Gewalttaten ab, unterstützt aber den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kampf. Nach und nach erreicht die Arbeiterklasse eine gewerkschaftliche und politische Reife; ihre Streiks gelten teils der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, teils sind sie aber auch nur als subversives Mittel gegen das Franco-Regime anzusehen. Ganz allgemein befürwortet die breite Masse den Widerstand der jüngeren Generation. Sie teilt jedoch nicht immer ihre marxistisch-leninistischen Ansichten. Es ist anzunehmen, daß, gäbe es freie Wahlen, die schweigende Mehrheit sich für einen demokratischen Sozialismus aussprechen würde. Die Basken sind Realisten, sie möchten nicht von einer Rechtsdiktatur in eine Linksdiktatur fallen.
Die Lage im französischen Baskenland Was den französischen Teil des baskischen Landes betrifft, so leidet er, wie viele Regionen Frankreichs, unter dem übertriebenen Zentralismus, der eine Verarmung allen regionalen Lebens zur Folge hat. Nach den verschiedenen Fünfjahresplänen, die in Paris aufgestellt werden, hat man den Eindruck, daß die südliche Hälfte Frankreichs dem Tourismus Vorbehalten ist und die Randgebiete vernachlässigt werden.
Für die Basken, die sich seit langem dieser Vernachlässigung bewußt sind, gibt es ein einfaches Rezept: sie schauen nach dem Sü-den. Sie leben weit von Paris (900 km) und damit von den Entscheidungszentren. Ganz in ihrer Nähe aber entdecken sie Bilbao mit seinen Industrien, die Provinz Guipuzcoan, die dieselbe Sprache spricht, und Navarra, das bis vor kurzem dieselben Probleme, d. h. Unterentwicklung und Auswanderung der Jugend, hatte, ihnen aber durch seine Regional-pläne von 1964 und 1972 ein leuchtendes Beispiel der Reaktivierung gab. Zwölf Straßen verbinden sie mit ihren Nadibarn in den baskischen Südprovinzen, wo ihre Brüder leben. Sie stellen fest, daß wirtschaftlich gesehen das baskische Gebiet eine Einheit ist und allen seinen Bürgern Arbeit geben könnte.
Die ENBATA-Bewegung (Der Wind, der dem Sturm vorausgeht) wurde 1960 von Studenten, denen das Schicksal ihrer Heimat am Herzen lag, gegründet. In der Überzeugung’, daß Folklorevereinigungen nichts Nützliches bewirken können, gründeten sie zuerst eine Zeitung, 1963 dann eine Bewegung, die immer größeren Einfluß gewann. Die Ziele dieser Bewegung sind: Einrichtung eines baskischen Departements, in dem in allen Schulen die baskische Sprache gelehrt wird, danach die Zugestehung des Status einer Region im Rahmen einer eventuellen französischen Dezentralisierung und letztlich die Wiedervereinigung der sieben baskischen Provinzen, entweder als Staat oder als Region im Rahmen einer europäischen Föderation.
Die Kandidaten der ENBATA, die sich 1967 zur Wahl stellten, erhielten zwar nur 5 °/o der Stimmen, da viele ihrer Sympathisanten ihre Stimmen „sicheren“ Kandidaten gaben, aber ihre Ideen breiten sich weiter aus, vor allem in der Generation, die jünger als 45 Jahre alt ist, also den Krieg nicht mehr mitgemacht hat. Ihre Hauptaufgabe sehen die Anhänger der ENBATA zur Zeit vor allem darin, die baskischen Flüchtlinge aus Spanien aufzunehmen und ihnen zu helfen. Daraus ergeben sich von Zeit zu Zeit Konflikte mit den französischen Behörden, die oft willkürlich diese Flüchtlinge wieder abzuschieben versuchen. Die Hungerstreiks, die 1972 in der Kathedrale von Bayonne und anderen Kirchen stattfanden, sind Zeugnisse dieses Kampfes. In ihrer Veröffentlichung „Ziele und Strategie der ENBA-TA" bezeichnet sich die ENBATA als „föderalistische Bewegung der nationalen Befreiung“. Sie bekennt sich zum Föderalismus, der „einen demokratischen, dezentralisierten, befreienden und menschlichen Sozialismus" ermöglicht. Sie fordert selbstverständlich die soziale Befreiung des baskischen Volkes, ihr wichtigstes Ziel aber ist die nationale Befreiung, die es auch ermöglichen wird, die soziale Befreiung durchzuführen.
Die ENBATA lehnt zwar die politischen Parteien Frankreichs nicht ab, mißtraut ihnen aber wegen der Gefahr der Unterwanderung von rechts oder links. Deshalb zieht sie es vor, allein zu kämpfen oder, im Rahmen einer nationalen baskischen Front, zusammen mit den Bewegungen auf spanischem Boden.
Die Basken wissen, daß die Europäer ihnen nicht a priori ablehnend gegenüberstehen. Sie wünschen aber, daß ihre Probleme besser bekanntwerden und ihre Personalität und Individualität anerkannt wird. Im zukünftigen Europa, das im Aufbau begriffen ist, muß für die Basken ein Platz vorgesehen werden. Sie wollen nichts weiter als Basken bleiben und mit allen Nachbarn an einer besseren Welt mitwirken.