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Demokratisierung durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb? | APuZ 14/1975 | bpb.de

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APuZ 14/1975 Wandlungen des deutschen Parteiensystems 1949-1974 Demokratisierung durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb?

Demokratisierung durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb?

Joachim Raschke

/ 49 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wird eine begrenzte Fragestellung aus der Demokratisierungsproblematik herausgegriffen. Zum einen ist der Bereich eingegrenzt, insofern es um innerparteiliche Demokratisierung geht, zum anderen wird der formale Aspekt der Demokratisierung (Partizipationsausweitung) gegenüber dem inhaltlichen (Erweiterung der Gleichheit in allen sozioökonomischen Bereichen) betont. Zentral für eine innerparteiliche Demokratisierungsstrategie ist die Entscheidungspartizipation, d. h. die reale Teilnahme an verbindlichen innerparteilichen Entscheidungen gleich welcher Organisationsebene, nicht die Organisationspartizipation, d. h. die Beteiligung am Organisationsleben ohne Entscheidungsteilhabe. Eine Diskussion des Standes innerorganisatorischer Partizipationsforschung rückt zwei Fragen in den Mittelpunkt, die der Klärung durch empirische Analyse bedürfen: a) Wieweit kann innerparteilicher Gruppenwettbewerb tatsächlich ein organisationspolitisches Instrument sein, um unter gewandelten gesellschaftlich-politischen Bedingungen zur Partizipationsausweitung beizutragen? b) Wirkt diese Partizipationsausweitung — wenn und soweit sie feststellbar ist — überwiegend integrativ oder subversiv, und welche Funktionen kommen ihr im einzelnen für die Partei bzw. das Gesamtsystem zu? Eine Diskussion der verschiedenen Strategien zur innerparteilichen Partizipationsausweitung zeigt, daß innerparteilicher Guppenwettbewerb noch am ehesten ein Mittel zur Partizipationsausweitung darzustellen vermag. Es wird dann begründet, inwiefern innerparteilicher Gruppenwettbewerb theoretisch als ein den gewandelten gesellschaftlicpolitischen Verhältnissen angemessenes Organisationsmodell zur Annäherung an radikal-demokratische Normen verstanden werden kann. Das Ergebnis einer Fallanalyse der Berliner SPD ist, daß der innerparteiliche Gruppenwettbewerb zwar partiell und punktuell sowohl die Organisations-wie die Entscheidungspartizipation erhöhte, insgesamt aber kein Instrument zu grundlegender Veränderung der Partizipationsstrukturen darstellte.

Innerparteiliche Konflikte genießen in der Bundesrepublik Deutschland nur ein geringes Ansehen. Andererseits scheinen Konflikte die wichtigste Quelle innerparteilicher Demokratisierung zu sein. Sind die Gegner innerparteilicher Konflikte zugleich Gegner innerparteilicher Demokratisierung? Was heißt überhaupt Demokratisierung? Demokratisierung als ein kollektiver Emanzipationsprozeß mit den Zielen Gleichheit und Freiheit hat zwei, analytisch unterscheidbare Seiten:

— Partizipationsausweitung in allen politischen und sozioökonomischen Bereichen, — Erweiterung der Gleichheit (als Bedingung für freie Entfaltung) in allen sozioökonomischen Bereichen.

Da die Partizipationsausweitung für sich noch nichts aussagt über eine inhaltliche Veränderung von Politik, wird sie häufig der ior- male Aspekt von Demokratie bzw. Demokratisierung genannt, die Orientierung einer Politik am Ziel der Gleichheit spricht dagegen den inhaltlichen Aspekt von Demokratie bzw. Demokratisierung an. Ein voll entwickeltes demokratisches System setzt die gleichmäßige Entwicklung sowohl seiner inhaltlichen wie seiner formalen Seite voraus. In der Realität zeigen sich jedoch meist Widersprüche, zumindest Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung der formalen und der inhaltlichen Dimensionen von Demokratie. So ist z. B. für die demokratisch-kapitalistischen Staaten ein Widerspruch zwischen den formalen Chancen autonomer Partizipation im politischen Bereich einerseits und der starken Ungleichheit in den sozioökonomischen Bereichep andererseits charakteristisch. Unter welchen Bedingungen die formal-partizipatorischen und die inhaltlich-egalitären Momente von Demokratisierung konvergieren oder divergieren — diese Fragestellung wird von einer kritischen Demokratie-forschung untersucht

In der vorliegenden Arbeit wird eine begrenzte Fragestellung aus der Demokratisierungsproblematik herausgegriffen. Zum einen ist der Bereich eingegrenzt, insofern es um innerparteiliche Demokratisierung geht, zum andern wird der formale Aspekt der Demokratisierung gegenüber dem inhaltlichen betont. Diese an sich problematische Begrenzung der Fragestellung (gerade wegen der Einheit der beiden Aspekte von Demokratisierung) scheint mir hier vor allem deshalb vertretbar, weil in der dem Kapitel 5. zugrundeliegenden empirischen Analyse 1a) gerade die Frage nach dem inhaltlichen Veränderungspotential innerparteilicher Opposition im Vordergrund steht.

I. Formen der Partizipation

Abbildung 1

Die geringe Partizipation innerhalb der politischen Parteien ist eines der Leitthemen der Parteienforschung, für das auch eine Reihe empirischer Daten erarbeitet wurde. In dem Maße wie die Demokratisierungsdiskussion als Debatte über adäquate Strategieansätze mit dem Ziel radikaldemokratisch-sozialistischer Veränderung fortschreitet, sind globale Aussagen über Partizipationsdefizite unbrauchbar geworden. In der Regel beziehen sich die Differenzierungen auf unterschiedliche Typen von Entscheidung 1b). Grundlegender ist der Unterschied zwischen Organisations-und Entscheidungspartizipation.

Inter Organisationspartizipation wird die bloße Teilnahme am Organisationsleben ver-standen, d. h. die Beteiligung ohne Entscheidungsteilhabe. Das typische und quantitativ relevante Beispiel ist die Teilnahme des „einfachen" Parteimitglieds (d. h.des Parteimit- glieds, das keine Funktionen bekleidet), die normalerweise fast ausschließlich Organisationspartizipation bedeutet. Aber auch die Tätigkeit in Ausschüssen, in Delegiertenversammlungen der verschiedenen Ebenen, ja auch die Teilnahme in primär symbolischen bzw. integrativen Gremien der nationalen Führungsebene (z. B. Parteirat bei der SPD) stellt häufig nichts weiter als Organisationspartizipation dar. Entscheidungspartizipation ist die reale Teilnahme an verbindlichen innerparteilichen Entscheidungen, gleich, auf welcher Organisationsebene. .

Reale Teilnahme ist sicher nicht von vornherein identisch mit der Mitgliedschaft in einem Gremium, das durch die Satzung als formaler Träger souveräner Entscheidung ausgewiesen wird (z. B. Parteitag). Die relevanten Entscheidungen der Bundes-und Landesebene werden durch den mehrstufigen Organisationsaufbau nicht nur Stufe um Stufe von den Mitgliedern „entfernt", sie werden auch aufgrund umfangreicher Oligarchisierungsprozesse auf der jeweiligen Delegationsebene von der Masse der Delegierten ferngehalten und von relativ kleinen Zirkeln faktisch entschieden. Die Machtverteilung innerhalb der westdeutschen Parteien wurde bisher überwiegend mit den Methoden des Positions-und des Reputationsansatzes untersucht Auch die Entscheidungsanalyse, die den beiden genannten Ansätzen methodisch überlegen ist zeigt diese Oligarchisierung je Organisationsebene sehr deutlich Entscheidungsanalysen sind aber — neben ihren vielfachen spezifischen methodischen Problemen — sehr aufwendig; eine Analyse, die sich nur auf diesen Ansatz stützte, müßte weit hinter den laufenden Veränderungen politischer Prozesse herhinken und stünde immer vor der Gefahr unzulässiger, aber in ge-wlsser Weise — schon allein um die „Relevanz“ der aufwendigen Untersuchungen behaupten zu können — unvermeidbarer Generalisierung eines Einzelfalls Aus pragmatischen Gründen scheint es daher sinnvoll, einen einfacher zu handhabenden Indikator für die Entscheidungspartizipation heranzuziehen: die sachlich-politische oder personell-politische Alternative, die mindestens den Delegierten oder Vorstandsmitgliedern der jeweiligen Organisationsebene, möglichst aber auch den Gremien darunterliegender Organisationsebenen bzw.der Mitgliedschaft zur Entscheidung vorgelegt wird. Das Kriterium „Alternative'ist nicht identisch mit kontinuierlicher innerparteilicher Opposition (bzw. innerparteilichem Gruppenwettbewerb), da die Alternative auch ohne Vorhandensein einer organisierten Gruppierung formuliert werden kann, und da -empirisch — eine organisierte innerparteiliche Opposition immer nur zu einem Teil der anstehenden Fragen Alternativen in die Diskussion einbringt. 'Verbindlichkeit der Entscheidung bedeutet, daß das Gremium, in dem der einzelne an der Entscheidung teilhat, über die formale Kompetenz verfügt, diese Entscheidung zu fällen, oder, daß der verbindliche Willensentscheid unterer Gliederungen (durch innerparteiliches Referendum oder imperatives Mandat) das in diesem Sinne „kompetente" Gremium erreicht und von diesem ausgeführt wird. In der Realität ist die externe Verbindlichkeit besonders problematisch, d. h. die faktische Geltungskraft der Beschlüsse von Parteigremien für die Parteivertreter im Staatsapparat (hier vor allem: Parlament und Regierung).

Teilhabe an Entscheidungspartizipation wird also dort angenommen, wo den jeweiligen Organisationsmitgliedern eine politische Alternative eröffnet und ihre Entscheidung mit Verbindlichkeit versehen wird. Unter diesen Bedingungen kann Entscheidungspartizipation bis zur Mitgliederebene hinunterreichen.

Zum bisher Gesagten sind noch zwei Anmerkungen zu machen:

— Die Entscheidungspartizipation umfaßt auch die Partizipation an den Nondecisims, die ja selbst — zumindest teilweise — einem Pro-zeß der Entscheidungsfällung unterliegen (man denke z. B. an den Abgrenzungsbeschluß eines Parteitags gegenüber bestimmten anderen politischen Gruppen). — Die hier formal definierte Entscheidungspartizipation läßt sich mit inhaltlichen Entscheidungstypologien zusammenbringen. Unter dem Relevanzgesichtspunkt wären dann vor allem solche Entscheidungen zu berücksichtigen, die die beiden genannten formalen Merkmale („Alternative" und „Verbindlichkeit") aufweisen und — in der Entscheidungstypologie Vilmars — zu den Typen der Produktions-und Systementscheidung und z. T. zum Typ der personellen Entscheidung, in der Entscheidungstypologie Nascholds vor allem zum Typ der Innovationsentscheidung zu rechnen sind.

Operationalisierung der Entscheidungspartizipation als verbindliche Entscheidung über politische Alternativen bedeutet nicht, daß eine größere Zahl derer, die die Entscheidung über die Alternative fällen, an der Formulierung der Alternative beteiligt sind. Dieses „nach unten" erweiterte Entscheidungsverfahren kann also in seinem Kern oligarchisch bleiben.

Entscheidungs-und Organisationspartizipation sind in den Parteien der Bundesrepublik — wie prinzipiell auch in den Parteien anderer westeuropäischer Länder — insgesamt gering.

Für die Entscheidungspartizipation läßt sich das mit verschiedenen Analysen innerparteilicher Machtverteilung und mit dem globalen Hinweis auf die in den meisten Parteien seltene systematische, d. h. nicht ad hoc-Präsentation politischer Alternativen und dem Man-gel an Verbindlichkeit politischer Entscheidungen, belegen Die Organisationspartizipation ist — das ergibt sich im Umkehrschluß aus dem Gesagten — auf den verschiedenen Delegationsstufen relativ hoch, sie ist — wo sie quantitativ ins Gewicht fällt — auf der Mitgliederebene sehr niedrig

II. Zum Stand der innerorganisatorischen Partizipationsforschung

Dieses bereits früh und empirisch immer wieder konstatierte Demokratiedefizit fand unterschiedliche theoretische Interpretationen. Lange Zeit war dies eine Diskussion, die dem von Michels gewählten Ansatz eines Norm-Realität-Vergleichs folgte. Beschrieb Michels eine schlechte Realität und benutzte sie zur Kritik der radikaldemokratischen Norm als eines prinzipiell unerfüllbaren Anspruchs so wurden in der Folge zwei Ansätze bestimmend, denen gemeinsam war, daß sie das normative Moment auf Kosten analytischer Dichte betonten:

— Die Aufrechterhaltung des radikaldemokratischen Anspruchs auch bei entgegenstehender politischer Realität und die Verteidigung der Norm gegenüber zynischen oder . realistischen“ Abweichungen von der Norm

— Die Umformulierung der demokratischen Norm im Sinne einer Verminderung des emanzipatorischen Anspruchs, um sie mit der Realität einer von Eliten gesteuerten Parteienkonkurrenz zu versöhnen

Für die Vertreter des letzteren Ansatzes erschien vor allem die „Krise des Parteimitglieds“ (und, wäre hinzuzufügen: der unteren und mittleren Funktionärsgruppen) als unaufhebbar; man betrachtete die Parteimitglieder aufgrund objektiver Entwicklungen (z. B. Zentralisierung und Kommerzialisierung von Wahlkämpfen) selbst für die rein ausführende Wahlkampftätigkeit als überflüssig Diese bis zum Ende der sechziger Jahre geführte Diskussion war methodisch unzureichend: — Beim radikaldemokratischen Ansatz wurde das Ausmaß gesellschaftlich-politischen Wandels verkannt, der die Voraussetzungen für partizipatorische Demokratie veränderte.

— Beim elitendemokratischen Ansatz war nicht nur das Aufgeben der radikaldemokratischen Norm bzw. ihre Anpassung an die gegebene Realität zu kritisieren sondern auch eine technokratische Unterschätzung der positiven Funktionen von Partizipation zu konstatieren, die den möglichen Beitrag verstärkter Partizipation zur Erhaltung und Effizienzsteigerung des gegebenen Systems verfehlte Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre wurde die Diskussion auf eine neue Ebene gehoben. Zum einen durch die Arbeit von Naschold, der bei prinzipiell aufrechterhaltener (und neu begründeter) radikaldemokratischer Norm die gewandelten gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen von Organisationsstrukturen und -prozessen einbezog und ihnen vor allem durch die Differenzierung der Entscheidungsarten und durch die Formulierung von Organisationskonzepten gerecht werden wollte, die die gewandelten Verhältnisse mit dem aufrechterhaltenen partizipatorischen Anspruch vermittelten, d. h. durch die Empfehlung eines innerparteilichen Gruppenwettbewerbs als mittelfristige Demokratisierungsstrategie. Wo Naschold spezifische sozialstrukturelle Bedingungen und unterschiedliche Systemfunktionen der Organisationen nicht systematisch in die Analyse einbezog und damit die Aufrechterhaltung, wenn nicht Steigerung der Effizienz bei Ausweitung der Partizipation als möglich behauptete, war damit eine unkritische Hinnahme der gegebenen Organisationsfunktionen impliziert. Da diese aber vielfach inhaltlich undemokratisch sind kann „Demokratisierung" in diesem Ansatz auch Partizipationsausweitung für undemokratische Entscheidungen bedeuten. Dieser Fehler wurde in den Arbeiten vermieden, die eine verschärfte kritische Sonderung der integrativen und subversiven Momente der Partizipation nahelegten und die positive Funktionalität (im Sinne der Systemstabilisierung) von Partizipationsausweitung betonten

Bei diesem Diskussionsstand liegt es nahe, empirisch zu prüfen, a) wieweit innerparteilicher Gruppenwettbewerb tatsächlich ein organisationspolitisches Instrument sein kann, um unter gewandelten gesellschaftlich-politischen Bedingungen zur Partizipationsausweitung beizutragen, b) ob diese Partizipationsausweitung — wenn und soweit sie empirisch festzustellen ist -überwiegend integrativ oder subversiv wirkt und welche Funktionen im einzelnen ihr für die Partei bzw. das Gesamtsystem zukommen. Bevor die zusammenfassende Auswertung einer Fallstudie unter diesen Fragestellungen vorgenommen wird, ist das Konzept des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs noch näher zu begründen:

a) Welche Mittel zur innerparteilichen Partizipationsausweitung außer dem innerparteilichen Gruppenwettbewerb werden in der Parteienforschung diskutiert? Wie sind sie einzuschätzen? b) Wie läßt sich der innerparteiliche Gruppen-wettbewerb systematisch als ein organisationspolitisches Konzept begründen, das den gesellschaftlich-politischen Herausforderungen an die radikaldemokratische Norm entgegenkommt, ohne diese aufzugeben?

III. Strategien innerparteilicher Partizipationsausweitung

Es lassen sich vier Strategien zur Partizipationsausweitung unterscheiden:

Institutionelle Änderungen. Dabei wäre vor allem zu denken an institutionelle Änderungen, die die Entscheidungspartizipation von Mitgliedern und Delegierten erhöhen können, wie Referendum, Verlagerung von Entscheidungen von der Delegierten-auf die Mitgliederebene, Abschaffung des ex officio-Stimmrechts, Einführung des imperativen Mandats etc. Empirisch ist die institutioneile Anpassungsreform wahrscheinlicher als die institutionelle Änderung mit dem Ziel der parteiinternen Demokratisierung. Demokratisierung von Institutionen ist auch innerparteilich am ehesten dort zu erwarten, wo die Träger politischer Macht bzw. Herrschaft durch eine organisierte Gegenbewegung, d. h. durch innerparteiliche Opposition, in Frage gestellt werden Grundsätzlich zeigt sich hier ein Zirkel: Bestimmte institutionelle Regelungen könnten Bedürfnis und Bereitschaft zur Partizipation stärken, die Durchsetzung solcher Regelungen ist aber nur bei verstärkter Partizipation möglich. Die begrenzte Wirksamkeit bzw. Realisierbarkeit institutioneller Änderun” gen weist hin auf die Relevanz sozialpsychologischer Faktoren, die im folgenden als drei Gruppen von Partizipationsmfttiven diskutiert werden.

Verstärkung der ideellen Motivation. Der Partizipations-Appell im Sinne der Betonung einer abstrakten Beteiligungsnorm (»Bürgerpflicht“) dürfte für Partizipation weitgehend folgenlos sein. Wieweit die Betonung einer parteispezifischen, das formale mit dem inhaltlichen Moment kombinierenden Partizipationsnorm (z. B. »Sozialistische Demokratie“) relevante Unterschiede zwischen den Parteien erbringt, ist systematisch noch nicht untersucht worden; zweifelhaft bleibt auch hier, ob die Akzentuierung des ideellen Faktors für sich eine relevante Basis für Partizipationsausweitung darstellen kann. Wichtiger scheint die gesamtgesellschaftliche Bedeutungszumessung für ideologische Konflikte zu sein, wie sie in den Begriffen »Ideologisierung“ /„Entideologisierung" festgehalten wird. Da „Entideologisierung“ die innerparteiliche Partizipation reduziert könnte „Ideologisierung“ zu innerparteilicher Partizipationsausweitung führen. Es ist aber anzunehmen, daß „Ideologisierung“ von Parteien nicht im Interesse (des sekundären Effekts) der Partizipationserhaltung bzw. -ausweitung gesteuert wird, da die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen einer Strategie der „Ideologisierung“ /„Entideologisierung“ für die Parteien immer wichtiger sind als deren Auswirkungen auf das in allen Parteien nachgeordnete Ziel, die Partizipation von Parteimitgliedern zu ermöglichen. „Ideologisierung“ oder „Entideologisierung" können also keine unmittelbaren „Instrumente" einer innerparteilichen Demokratisierungsstrategie darstellen. Durch sie bewirkte Veränderungen in der Partizipation der Parteimitglieder sind — mehr oder weniger erwünschte — Nebenwlrkunffen einer aus gesamtgesellschaftlichen Macht-und Konfliktbeziehungen begründeten Gesamtstrategie der Partei.

Verstärkung der materiellen Motivation. Ob Partizipationsausweitung durch materielle Anreize kritisch interpretiert oder eher systemimmanent als gleichrangig neben anderen Mitteln der Partizipationsausweitung diskutiert wird — unbestritten ist, daß die Aussicht auf materielle Belohnung einen zunehmend wichtigeren Teil der Partizipationsmotivation ausmacht. Dieses Mittel der Partizipationsausweitung erscheint aber selbst im technokratischen Kontext als problematisch, da die Zahl der materiellen Belohnungen begrenzt ist, so daß einerseits nicht alle bedacht werden können, andererseits die Partizipation auch der materiell Belohnten häufig nur so lange anhält, wie realistische Aussicht auf materiellen Zuwachs besteht. Vom kritischen Standpunkt aus gesehen führt eine Strategie der Partizipationsausweitung, die primär den individuellen egoistischen Nutzen anspricht, zu integrativer Partizipation, bei der vor allem die Identifikation der Aktivbürger mit ihrer Organisation und über sie mit dem System gefestigt wird. Das heißt, daß besonders hier die zur Partizipationsausweitung eingesetzten Mittel sich am Inhalt der Partizipation wiedererkennen lassen.

Verstärkung der sozialen Motivation. Hier ist vor allem die soziale und emotionelle Anerkennung des einzelnen in der Gruppe gemeint, die gefördert wird, wenn die politischen Führer einen „demokratischen Führungsstil" praktizieren, d. h. die Partizipation der Organisationsmitglieder fördern Daß demokrati-scher Führungsstil zur Partizipationsauswei, tung von Parteimitgliedern führen kann, ist weniger zweifelhaft als es die Prämissen dieses Satzes sind: das Interesse der Parteiführer an der Ausweitung von Entscheidungspartizipation der Parteimitglieder und -funktionäre und die Bereitschaft, auch solche inhaltlichen Resultate der Partizipationsausweitung — bei Aufrechterhaltung des demokratischen Führungsstils — hinzunehmen, die den Interessen der politischen Führer zuwiderlaufen. Ein dauerhafter demokratischer Führungsstil scheint überwiegend nur auf Druck von unten realisierbar

Die dargestellten Mittel der Partizipationsausweitung sind — entweder wenig oder gar nicht von oben steuerbar (z. B. ideelle Motivation) oder begrenzt steuerbar, dann aber unvermeidbar mit bestimmten inhaltlichen Konsequenzen versehen (materielle Motivation — integrative Partizipation) oder, — wo sie unmittelbar die Veränderung der Macht-bzw. Herrschaftsstruktur zur Voraussetzung haben (institutioneile Änderungen und Änderungen durch demokratischen Führungsstil), nur durch mehr oder weniger organisierten Druck von unten zu realisieren oder, — wo sie von innerparteilichen Führungsgruppen überhaupt einsetzbar sind, primär auf die Erweiterung der Organisationspartizipation, nicht der Entscheidungspartizipation gerichtet (vor allem auf Steigerung der Mitgliederbeteiligung am Organisationsleben auf der untersten Organisationsstufe).

Jedes der Mittel für sich genommen verfügt über eine relativ begrenzte Wirksamkeit und ein geringes inhaltliches Änderungspotential. Es ist anzunehmen, daß diese Mittel eher wirksam sind, wo sie in einem Konzept des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs kombiniert bzw. integriert werden können. Die beiden wichtigsten Faktoren für Partizipationsausweitung — die verschiedenen sozioökonomischen und Sozialisations-Variablen des einzelnen einerseits, der innerparteiliche Gruppenwettbewerb andererseits — entstehen aber grundsätzlich, oder doch primär, unabhängig von innerparteilichen Strategien der Partizipationsausweitung, d. h. sie haben nur Folgewirkungen für innerparteiliche Partizipation und sie sind mit allein innerorganisatonsehen Mitteln nicht oder nur wenig steuerbar.

IV. Innerparteilicher Gruppenwettbewerb als demokratisches Organisationsmodell

Innerparteilicher Gruppenwettbewerb ist als ein Organisationsmodell zu begründen, das trotz des strukturellen Unterschieds gegenüber dem ursprünglichen, bzw. „reinen“ Modell direkter Organisationsdemokratie — durch Elemente der Repräsentation und der organisierten antagonistischen oder dialogischen Pluralität — „eine möglichst weitgehende Annäherung an die ursprüngliche Funktion der direkten Demokratie" erreicht und dabei die durch gesellschaftlich-politischen Wandel entstandenen oder verschärften Probleme der Organisation berücksichtigt Im folgenden werden vier objektive, vom unterschiedlichen Willen zur Demokratisierung zunächst unabhängige Probleme skizziert. Dabei ist anzudeuten, wie traditionelle direkt-demokratische Organisationskonzepte versagen, insofern sie — implizit oder explizit — a) demokratisches Handeln primär vom einzelnen her konzipieren und Organisation als Zusammenfassung von Individuen verstehen (was bei der Behandlung des Problems innerparteilicher Opposition besonders deutlich wird) — diese einzelnen aber als einzelne prinzipiell unfähig sind zur Bewältigung der neu entstandenen Probleme, b) eine vorgegebene Homogenität bereits aufgeklärter Interessen und politischer Optionen unterstellen, wo politisches Bewußtsein und Handeln der einzelnen und der organisierten Gruppen erst Ergebnis intensiver, kontinuierlicher und langdauernder wechselseitiger Kommunikation bzw. Aufklärung sein kann, die sich gleichfalls unter gewandelten gesellschaftlich-politischen Bedingungen nicht anders als kollektiv realisieren läßt.

Die vier relevanten Probleme sind: 1) Umlang und Komplexität politischer Probleme Der Umfang der vom Staat und damit prinzipiell auch von den Parteien zu bearbeitenden Probleme wuchs in dem Maße, wie umfassende und alle gesellschaftlichen Bereiche abdeckende Interventionen des Staates zur Aufrechterhaltung des zur Selbststeuerung unfähig gewordenen sozioökonomischen Systems notwendig wurden. Die Komplexität erhöht sich durch die inner-und zwischengesellschaftliche Vermehrung der Subsysteme und die Vermehrung der Art und Zahl ihrer Verbindungen. Dem zunehmenden Umfang und der wachsenden Komplexität der politischen Probleme kann der einzelne allenfalls auf einem einzelnen Gebiet gerecht werden, eine Gruppe dagegen durch Arbeitsteilung und Spezialisierung auf vielen Gebieten. Gruppen sind eher dazu imstande, die systematische Beschaffung und Verarbeitung von Informationen aus Verwaltung, Verbänden, Wissenschaft und Massenmedien zu besorgen. Auch Gruppen werden in diesen Möglichkeiten so eingeschränkt sein, daß sie sich auf zahlenmäßig relativ wenige, aber grundlegende Entscheidungen, meist vom Typ der Innovationsentscheidung, konzentrieren müssen. 2) Organisationskomplexität Die Organisationskomplexität bezieht sich auf Struktur und Multifunktionalität der Organisation. Für Gruppen mit gesamtgesellschaftlicher Demokratisierungsstrategie zeigt sich die Organisationskomplexität sowohl innerhalb wie zwischen drei miteinander zu vermittelnden Funktionsbereichen:

— Massenmobilisierung /Bewußtseinsbildung und „Übersetzung" der Interessen gesellschaftlicher Gruppen in die von der Partei zu verfolgende Politik.

— Durchsetzung dieser Politik auf den verschiedenen Organisationsebenen der Partei. — »Übersetzung* des Parteiwillens in organisiertes Handeln innerhalb des Staatsapparats (Parlamentsfraktion, Regierung, Verwaltung). Solcher Organisationskomplexität versucht die Partei durch formelle Institutionen zu entsprechen (Vorstände, Fraktionen etc.). Nur ein arbeitsteilig operierendes Kollektiv, das innerhalb der Partei alternative Positionen vertritt, hat die Chance, ähnlich wie die Vorstandsbzw. Mehrheitsgruppen der Organisationskomplexität gerecht zu werden. Erst in größeren Gruppen können die spezifische Form der Arbeitsteilung und Kooperation, der Rotation und Überschneidung der verschiedenen Funktionen in den drei Funktionsbereichen und z. B. auch zwischen den Funktionen der Analyse und Programmbildung einerseits, den verschiedenen Formen praktischer Politik andererseits, zum Zuge kommen. Ein Erfolg in nur einem der drei Funktionsbereiche leistet nur einen geringen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Wandel. 3) Technische Faktoren Hohe Mitgliederzahl, große räumliche Ausdehnung der Organisation, Knappheit der zur Verfügung stehenden Zeit sind drei technische Faktoren, die der Realisierung direkter Demokratie im Wege stehen. Stand in der traditionellen Diskussion der erste Faktor im Mittelpunkt so gelten heute als primär wichtig die „Schranken, die der Größe der Organisation und der Zahl ihrer Mitglieder durch den Raum-wie Zeitfaktor gesetzt werden" Innerparteiliche Gruppierungen können, wenn ihnen in ausreichendem Maße vielfältige, unabhängige inner-und außerparteiliche Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen Diskussion und Entscheidungsfällung der vielen, im Flächenstaat voneinander getrennten und selbst unter Zeitknappheit stehenden Organisationsmitglieder initiieren bzw.organisieren und damit die Faktoren Zahl, Raum und Zeit als hemmende Faktoren direkter Demokratie modifizieren.

Der Zeitfaktor wird u. a. dadurch berücksichtigt, daß die große Zahl von Routine-und Zweckentscheidungen und auch die Krisenentscheidungen nur begrenzt zum Gegenstand der Demokratisierung gemacht werden, dagegen nach den Kriterien gesamtgesellschaftlicher Relevanz und taktisch-strategischem Stellenwert ausgewählte Innovationsentscheidungen in den Mittelpunkt der Demokratisierungsversuche rücken 33a). Außerdem z. B. dadurch, daß Diskussionen nach von der Organisation und den Organisationsmitgliedern verkraftbaren Zeiträumen durch die Gruppierungen zu Entscheidungsalternativen gebündelt werden. Der Raumfaktor ist als hemmender Faktor dadurch zurückzudrängen, daß der innerparteilichen Opposition über-lokale und über-regionale Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen, gleiche oder ähnliche inhaltliche Entscheidungsalternativen in allen Teilen der Organisation vorgelegt werden und Verbindlichkeit für die Entscheidungen der Parteimitglieder und -funktionäre gesichert wird.

Die große Zahl der Organisationsmitglieder verhindert bei solchem Organisationsmodell prinzipiell nicht deren Beteiligung an relevanten Entscheidungen, wohl aber deren massenhafte Mitwirkung an der Formulierung der Alternativen. Insofern bleibt die Zahl der Organisationsmitglieder ein relevanter hemmender Faktor für radikaldemokratische Organisationsmodelle. 4) Motivation Gesellschaftliche Entwicklungstendenzen lassen die in der klassischen Demokratietheorie gemachte Annahme allseitiger Bereitschaft zur politischen Partizipation weitgehend als unrealistisch erscheinen. Es gibt viele gesellschaftliche, sich in Parteien wie in anderen politischen Institutionen reproduzierende Faktoren, die die verbreitete politische Apathie bedingen u. a. Konsum-und Freizeitmotivation, Karrieredenken Nutzenmaximierung und materielle Belohnung als das gesellschaftlich-politische Handeln leitende Gesichtspunkte Folgenlosigkeit des politischen Handelns des einzelnen bzw.der Übermacht der politischen Führungsfiguren und deren Abhängigkeit wiederum von funktionalen Imperativen des sozioökonomischen Systems, mangelnde Transparenz dadurch, daß die erhöhte Komplexität von den politischen Führungsgruppen zu scheinhaften Sach-und personalistischen Vertrauens-Alternativen reduziert wird, etc. Wieweit innerparteilicher Gruppen-wettbewerb solche grundlegenden Apathie-Faktoren auch nur modifizieren kann, bleibt zu prüfen. Möglich erscheint eine Kombination verschiedener, Partizipation bewirkender Motivationsgründe mit dem innerparteilichen Gruppenwettbewerb: — ideelle: aufgrund der Politisierung, die mit einer primär sachlich-politischen Gruppenkonkurrenz verbunden ist, — soziale: Vermittlung des Gefühls eigener Bedeutung sowohl als unmittelbar in einer der Richtungsgruppen Tätiger als auch als Adressat von Gruppendiskussionen und -Werbung etc.

— materielle: Durch die Gruppierungen wird das Angebot an Ämtern, Aufstiegschancen, Dienstleistungen etc. vergrößert.

Diese Darlegungen mögen illustrieren, wie innerparteilicher Gruppenwettbewerb als ein gewandelten gesellschaftlich-politischen Verhältnissen angemessenes Organisationsmodell zur Annäherung an radikaldemokratische Normen verstanden werden kann. Allerdings ist nicht jeder innerparteiliche Gruppenwettbewerb auf die radikaldemokratische Zielvorstellung zugeordnet — weder analytisch noch empirisch. Wo — analytisch — mit dem System- überlebensmodell gearbeitet wird, reduziert sich die Fragestellung auf die Bedingungsfaktoren für ein System von in sich meist sehr oligarchisch strukturierten Gruppierungen Wo im Systemzielmodell die Norm fortschreitender Demokratisierung aufgenommen wird, können auch Kriterien formuliert werden, die eine vorschnelle Identifikation demokratischer Normen mit halbdemokratischer Realität verhindern. Dazu gehören z. B.: Abbau oligarchischer Strukturen innerhalb der Gruppierungen, Stärkung der innerparteilichen Diskussion durch die Gruppenauseinandersetzungen, allgemeine Zugänglichkeit der Gruppierungen für Parteimitglieder, Transparenz der Gruppen-auseinandersetzungen, Vermittlung von parteiinterner und parteiexterner Öffentlichkeit.

Wendet man sich der empirischen Überprüfung solcher Überlegungen zu, wird — zumindest im vorliegenden Fall — bald sichtbar, wieweit die Realität des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs hinter dessen theoretisch denkbaren Demokratisierungsmöglichkeiten zurückbleibt.

V. Innerparteilicher Gruppenwettbewerb in der Berliner SPD

Am Beispiel der Berliner SPD sollen empirisch folgende Probleme behandelt werden: — Auswirkungen des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs auf Organisations-und Ent-

scheidungspartizipation, — Partizipationschancen innerhalb der Richtungsgruppen, — Funktionen der durch Gruppenwettbewerb erweiterten Partizipation.

Der Fall der Berliner SPD eignet sich aus mehreren Gründen für eine solche Analyse. In der Bundesrepublik gibt es in keiner Partei ein eispiel für einen ähnlich lang dauernden und entfalteten innerparteilichen-Gruppenwettbewerb wie in der Berliner SPD. Dort besteht seit 1950 ein innerparteilicher Gruppenwettewerb, der in Konfliktintensität und Organisationsgrad variierte, vor allem seit den sech" ziger Jahren aber voll institutionalisiert und fester (informeller) Bestandteil des normalen Organisationslebens der Partei ist. Die linke Richtungsgruppe in der Berliner SPD hat selbst den Anspruch gesetzt, durch den Faktionalismus (= Gruppenwettbewerb) 38a) die Demokratisierung der Organisation zu fördern — der Demokratisierungsmaßstab wird also nicht, wie es z. B. in der Studie von Naschold geschieht, von außen in eine prinzipiell beliebige Organisation hineingetragen. Der Konflikt zwischen den innerparteilichen Gruppierungen umfaßte relevante sachlich-politische Themen.

Untersuchungsebenen waren einerseits der Landesverband der Berliner SPD, andererseits der Kreisverband Charlottenburg mit seinen Abteilungen (diese entsprechen den Ortsvereinen der westdeutschen SPD). In Charlottenburg wurde seit Ende der sechziger Jahre die Institutionalisierung und dann auch die interne Demokratisierung des Gruppenwettbewerbs im Vergleich zu den anderen Berliner Kreisverbänden relativ am weitesten getrieben. Hier kam es zu siebenmaligen „Machtwechseln" zwischen den Gruppierungen seit 1959 — in dieser Form m. W. ein Sonderfall der deutschen, wenn nicht der westeuropäischen Parteiengeschichte. Wie wirkte sich dieser innerparteiliche Gruppenwettbewerb auf die Organsationspartizipa- tion in der Berliner SPD aus? Eine sozialwissenschaftliche These besagt, ein Konflikt in der Organisation steigere die Aktivität der Organisationsmitglieder Zwar sei Apathie eine von verschiedenen Möglichkeiten der Antwort auf Konflikte doch überwiege die stimulierende Funktion des Gruppenkonflikts gegenüber ihrer lähmenden Wirkung. Diese These bezieht sich zunächst auf die Organisationspartizipation, sie wurde durch empirische Arbeiten über den institutionalisierten innerorganisatorischen Gruppenwettbewerb mehrfach bestätigt

Als Indikator für die Veränderung der Organisationspartizipation soll hier die Milgliederbeteiligung in der Berliner SPD herangezogen werden. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre wurde die durchschnittliche Beteiligung der Mitglieder an den Abteilungsversammlungen von den befragten Aktiven der Westberliner SPD in aller Regel mit 10 °/o der eingeschriebenen Mitglieder veranschlagt. Ein Unterschied zwischen Charlottenburg und anderen Kreisverbänden mit weniger oder keinem Faktionalismus bestand nicht. Der Besuch der Wahlversammlungen war stärker, er betrug ungefähr 25 °/o. In Charlottenburg lagen in den sechziger Jahren die niedrigsten Anteile bei 25 °/o bis 30 °/o, die höchsten Anteile zwischen 50 % und 75 %. Dabei variierten die ungefähren Anteile im Kreisdurchschnitt zwischen

ca. 30 •/#für 1963, ca. 40 ’/o für 1965 und 1967 und ca. 50 °/o für 1969.

Wo die sichere Mehrheit einer Gruppe zu erwarten war und die Mehrheit auch hart ausgespielt wurde, blieb die Minderheit zu Hause das Ergebnis war eine geringe Wahlbeteiligung. Wo eine Abteilung hart umkämpft war, kam es zu einer höheren Beteiligungsrate -eine Folge des direkten Ansprechens der Gelegenheits-Aktiven oder Inaktiven durch die Aktiven. Zwar gab es spannungsarme Abteilungen mit stabiler Mehrheit und gleichblej. bend niedriger Wahlbeteiligung, es gab aber keine Abteilung mit gleichbleibend hoher Wahlbeteiligung. Hohe Wahlbeteiligung war immer das Ergebnis besonderer Mobilisierungsaktivität der Gruppierungen.

Machtwechsel war nicht immer verbunden mit hoher Wahlbeteiligung. Er kam auch bei geringer Wahlbeteiligung zustande, z. B. wenn die Mehrheit zerfiel oder wenn vorher durch die Entwicklung der Abteilung schon klar war, daß es eine ungefährdete neue Mehrheit geben würde. Die oft eindrucksvollen Beteiligungsraten für die Wahlversammlungen relativieren sich rasch, wenn man sie der normalen Versammlungspartizipation gegenüberstellt. Die Aktivierung der meisten Mitglieder blieb punktuell auf den einen Tag der Abteilungswahl bezogen.

Als Hinweis auf die Steigerung der Organisationspartizipationdurch innerparteilichenGruppenwettbewerb kann auch der überproportionale Anteil der Debattenredner aus der linken Richtungsgruppe auf dem Landesparteitag betrachtet werden. Vor allem die Aktivität der innerparteilichen Opposition modifiziert die sonst häufig anzutreffende Erscheinung der schweigenden Mehrheit, die sich durch professionelle Redner (Vorstandsmitglieder, Abgeordnete etc.) artikulieren läßt.

Wie groß war die Entscheidungspartizipatio^ Zwischen 1950 und 1970 wurden inhaltlich relativ bedeutungsvolle, alternative Entscheidungen auf Landesebene gefällt, die zuvor in der ganzen Organisation intensiv diskutiert worden waren und wozu es (Willensbildungs Entscheidungen der beiden unteren Ebenen gab, deren Ergebnisse durch Delegierte nach oben getragen wurden. Wichtige Beispiele dafür sind die Entscheidungen über — Regierung oder Opposition (1951/52), — Brandt oder Kressmann als Regierenden Bürgermeister (1957/58), _ Gesetz zur Anwendung unmittelbaren Zwangs (1970).

Daneben gab es eine ganze Reihe weiterer landespolitischer (sachlich-politischer und vor allem personell-politischer) und bundespolitischer Fragen, bei denen — dank der Aktivität der Gruppierungen — über Alternativen zu entscheiden war. Zwar gab es Alternativen und Entscheidungspartizipation der Mitglieder, aber es gab keine wirklich offenen Entscheidungssituationen. Der Inhalt der Alternativen war von den Führungsgruppen der Faktionen vorgefertigt, und die Gruppenführer übten auf die Anhänger ihrer jeweiligen Gruppierung einen argumentativen und moralischen Druck zur Konformität aus. Zudem gab es nicht-alternative Entscheidungen, deren Inhalt zwischen relativ wenigen linken und rechten Führern ausgehandelt wurde, und gegen die trotz teilweise vorhandenen Unmuts eine Alternative aus der Gruppierung heraus nicht mehr organisiert werden konnte (z. B. die innerparteilichen Koalitionsentscheidungen 1967 und 1971). Auch hierbei noch gab es durch die innerparteiliche Opposition — im Vergleich zum üblichen — eine allerdings geringfügig verbreiterte Entscheidungsstruktur.

Verschafften die Gruppierungen so zu ausgawählten Themen Mitgliedern und Funktionären die Chance der Abstimmung über formulierte Alternativen, so ist nun noch genauer nach der Verbindlichkeit der Entscheidungen von Gremien unterer Organisationsebenen zu fragen. Zwar sahen alle Statuten des Berliner Landesverbandes bis 1969 die Urabstimmung als institutionelle Möglichkeit vor, doch wurde sie seit 1946 nicht wieder praktiziert. Es gab verschiedene Initiativen, aber nur in zwei Fällen hat man sich der Möglichkeit einer Urabstimmung tatsächlich genähert. Im einen Fall bemühte sich ein Teil der Linken um eine Urabstimmung zur Frage des Eintritts der SPD in die Große Koalition in Bonn 1966, im anderen Fall wollte ein Teil der Rechten eine Unvereinbarkeits-bzw. Ausschluß-Entscheidung für diejenigen linken Mitglieder und Funktionäre, die im Februar 1968 an der Berliner Vietnam-Demonstration der APO teilgenommen hatten. In beiden Fällen wurde die Urabstimmung nicht durchgeführt, obwohl die erforderliche Zahl von Unterschriften vorlag. ei konträren inhaltlichen Tendenzen hatten m Urabstimmungsaktionen von Rechten und inken einige Gemeinsamkeiten:

Beide Aktionen — wurden von Charlottenburger Linken bzw. Rechten initiiert, was auf den vergleichsweise hohen Politisierungsgrad dieses Kreisverbandes hinweist;

— wurden als Urabstimmung von der Führungsgruppe der jeweils initiierenden Faktion nicht voll unterstützt, zum Teil desavouiert und von der jeweils gegnerischen Faktion bekämpft;

— ergaben sich zu aktuellen Anlässen (nicht etwa zu lange diskutierten grundsätzlichen Fragen). Sie sollten als Demonstration einer Einstellung dienen, von der die Initiatoren meinten, sie sei in der Mitgliedschaft weit verbreitet und stehe zumindest in ihrer Entschiedenheit und Eindeutigkeit im Gegensatz zu den Parteiführungsgruppen. Tatsächlich blieben die plebiszitären Aktionen hinter denen der Parteigremien zeitlich sehr bald zurück und wurden durch diese überholt;

— wurden nach relativ kurzer Zeit abgebrochen, ohne daß es zu einer Urabstimmung gekommen war;

— hatten insgesamt nur einen recht geringen Politisierungseffekt, was wesentlich auch auf die Abblockung durch die eigene und die gegnerische Faktion zurückzuführen ist.

Das imperative Mandat für die Delegierten der verschiedenen Parteiebenen war im Statut der Berliner SPD weder ausdrücklich vorgesehen noch verboten. Es gehört zu den spezifischen normativen Handlungserwartungen gegenüber den Mitgliedern von Wahlversammlungen, den von ihnen Delegierten ein „freies" Mandat zu geben bzw. zu lassen, d. h., sie inhaltlich nicht zu binden, sondern allenfalls auszuwechseln bzw. — und dies gilt als das „Normalere" — sie bei der nächsten Wahl nicht wieder zu wählen. Es gab kein imperatives Mandat, mit dem die Mehrheit des delegierenden Gremiums alle ihre Delegierten auf der nächsthöheren Ebene hätte binden können. Was in der Berliner SPD praktiziert wurde, war das imperative Mandat der Richtungsgruppe. Dies wurde — pauschal gesehen — bei den Linken stärker praktiziert (und auch teilweise formalisiert) als bei den Rechten, es wurde bei den Linken in wesentlich größerem Maße politisch gutgeheißen als bei den Rechten, die damit erhebliche ideologische Schwierigkeiten hatten, und es wurde — zumindest in Charlottenburg — bei sachlich-politischen Fragen weniger strikt als bei perso-nell-politischen Fragen praktiziert. Letzteres hing damit zusammen, daß in Charlottenburg die Minderheit von der Mehrheit oft nur wenige Stimmen trennte und nicht-einheitliches Stimmverhalten wichtige inner-und außerparteiliche Positionen kosten konnte, während sachlich-politische Fragen in der Regel auf Kreisebene nicht entschieden wurden.

Für Parteien wie für politische Systeme als ganze ist nicht nur relevant, wer an einzelnen beobachtbaren Entscheidungsvorgängen beteiligt ist, sondern von eher noch größerer Bedeutung ist, wer die Macht über den Nondeci-sion-making-process hat. Nondecision-making kann definiert werden als die Unterdrückung von Alternativen zu im System herrschenden Werten oder Interessen, die verhindert, daß diese Alternativen artikuliert werden oder sich entfalten können Von den vier Formen des Nondecision-making sind für Parteien drei relevant: Ausübung von Macht; Appell an den existierenden Bias (dt. hier etwa herrschende Tendenz) des politischen Systems, um eine bedrohliche Forderung zu unterdrücken; Umgestaltung oder Verstärkung der herrschenden politischen Tendenz. Da die Partei ein engeres System ist als die Gesamtgesellschaft, sich in Konkurrenz gerade auch zu den jeweils inhaltlich angrenzenden Parteien befindet und sie oft ein Maximum an Geschlossenheit anstrebt, wird die Macht über die Nondecisions hier besonders rigide ausgeübt. In bezug auf die Wahrung des von ihr akzeptierten Konsenses der Gesamtpartei ist die innerparteiliche Opposition am Nondecision-making beteiligt, in bezug auf sie direkt berührende Themen ist sie Opfer des Nondecision-making der Parteiführung.

In der Berliner SPD erstreckte sich die Macht der Mehrheit zur Unterdrückung von Alternativen u. a. auf die sozialistische Alternative (seit 1959 z. B. hat die Forderung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien den Landesparteitag nicht mehr beschäftigt), auf Zusammenarbeit mit Bündnispartnern links von der Partei (gegenüber den Kommunisten beteiligte sich ein großer Teil der Linken am Nondecision hinsichtlich einer linken innerparteilichen Minderheit) und auf die offene Kritik am amerikanischen Verbündeten.

In der Analyse der Berliner SPD lassen sich viele Beispiele für das Nondecision durch Ausübung von Macht mittels positiver und negati-ver Sanktionen finden (vom Angebot des Aufstiegs innerhalb des Staatsapparats bis zum Ausschluß aus der Partei). Häufig waren auch die Appelle an die in der SPD herrschende po. litische Tendenz, um eine bedrohliche Forderung zu unterdrücken. Linken Forderungensprach man z. B. die Legitimität ab, indem man sie als kommunistisch oder undemokratisch disqualifizierte. Z. T. wurden nach 1967 zunächst als „undemokratisch" verurteilte Forderungen bzw. Forderungen von als „undemo.

kratisch“ verurteilten Gruppen als „demokratische Reform" in das Programm der Partei aufgenommen (z. B. in der Hochschulpolitik). Es wurde immer wieder gemahnt, das Godesberger Programm (bzw.dessen Interpretation durch den jeweils Mahnenden) nicht zu verlas-[sen; es wurde appelliert, das freie, nicht das i imperative Mandat zu praktizieren, etc. Der herrschende Bias der SPD wurde Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre durch Godesberger Programm, Unvereinbarkeitsbe-

schluß mit SDS etc. verstärkt, speziell in West-Berlin zusätzlich im Gefolge der APO-Aktivi-täten, z. B. 1968 durch die Abgrenzungsbeschlüsse. Welche Partizipationschancen boten sich nun j innerhalb der Richtungsgruppen? Die Gruppie-rungen haben mehr oder weniger informelle auf Kreis-und Landesebene aufgebaut. Dies sind innerhalb der Gruppie-rungen z. T.deutlich formalisierte und ausdifferenzierte Träger der Entscheidungskompe-tenz. Gerade bei der Linken schafft die Verbin-düng von formalisierter und teilweise demo-; kratisierter Delegationsstruktur mit der Erwar j tung, das imperative Mandat einzuhalten, den einen großen Einfluß. Diese entwickeln aber noch einmal aus sich heraus einen inneren Führungskem.

Die alte Linke zeigte eine offenkundig oligarchische Struktur, aber auch einzelne linke Kreise wurden von wenigen linken Führern „von oben" geführt. Es ist sicher, daß die Demokratisierung der Leitungsstruktur, die in Charlottenburg begann und sich auf Landes-ebene Ende der sechziger Jahre fortsetzte, die Führer stärker der Kritik und Kontrolle unterwarf und sie zwang, durch Argumentationsund Überzeugungskraft die Zustimmung 21 ihnen und zu ihrer Politik zu erlangen. Offen bleibt jedoch, ob die formale Demokratisierung auch den Kreis der faktisch Entscheidenden wesentlich erweitert hat.

Auf die Frage nach dem tatsächlich entsche denden Kern der linken Gruppierung auf derverschiedenen Ebenen, dessen einheitliche Initiative sich in aller Regel durchsetzt und gegen dessen einheitlichen Willen eine andere Initiative kaum Aussicht auf Erfolg hat, wurde immer eine wesentlich kleinere Zahl von Leuten genannt, als die Leitungskreise umfassen.

Die Frage war bezogen auf die Charlottenburger Abteilungs-und Kreisebene und auf die Landesebene. Kreisverbände, die lange Zeit von der Alt-Linken beherrscht wurden (Tiergarten und Kreuzberg), waren in der formellen wie in der informellen Entscheidungsstruktur der linken Gruppierung weniger demokratisiert als solche Kreisverbände, in denen sich die Linke erst später herausbildete und keine oder keine sichere Mehrheit hatte (z. B. Charlottenburg und Zehlendorf). Es ist zu betonen, daß die Entscheidungsmacht der kleinen Gruppe nur gilt, wenn sie in sich einig ist. Sind die führenden Genossen unter sich uneinig, vergrößert sich die Zahl der Entscheidungsträger. Funktionäre, die offensichtlich nicht im inneren Entscheidungskreis standen, haben diesen Kreis für größer eingeschätzt, zumal wenn sie selbst dazu gehören wollten, als die, die offenbar tatsächlich zum Entscheidungskreis gehörten (die z. B. wußten, mit wem der Gruppenführer telefonierte, wenn etwas gemacht werden sollte). Diese Verzerrung trat schon bei einzelnen auf, die auf zwei Ebenen tätig waren, auf der einen Ebene zum innersten Entscheidungskern gehörten, auf der anderen niht. Dort, wo sie nicht dazugehörten, schätzten sie den Entscheidungskern für größer ein als dort, wo sie dazugehörten.

Für die Charlottenburger Abteilung lautet die Regel, daß der Entscheidungskern meist auf sechs bis zehn Personen geschätzt, teilweise aber auch deshalb für größer gehalten wurde, weil innerhalb der Charlottenburger Linken sich in den letzten Jahren deutliche Divergenzen zeigten. Die Führungsgruppe soll einheitlicher in Personen-, kontroverser in Sachfragen sein. Es wurde betont, daß hinter den Entscheidungsträgem meist die Delegierten ihrer Abteilungen stehen, so daß ihr Gewicht im Entscheidungsprozeß zu einem Gutteil bestimmt wird durch das Stimmenpotential, das sie mobilisieren können. nur die Linken auf Landesebene wurde ein Entscheidungskern von etwa sechs Personen genannt, der sich bemißt durch das Machtpotential, das diese Personen einzubringen haLassen sich solche geschätzten Oligarchisierungsdaten durch objektive Indikatoren ergänzen? Alle Linken, die von 1950 bis 1970 dem Landesvorstand angehörten, waren auch Mitglieder des jeweiligen linken Führungskreises auf Landesebene. In diesem Zeitraum nahmen 13 Positionsinhaber insgesamt 53 Landesvorstands-Positionen ein, davon entfielen auf acht Positionsinhaber, die viermal und häufiger eine Landesvorstands-Position besetzten, allein Positionen 44). 1952 bis 1970 besetzten 15 linke Positionsinhaber 49mal die Position eines Kreisvorsitzenden, davon nahmen sechs Positionsinhaber 37mal diese Position ein Zusätzlich wurde nach den linken „Rede-Oligarchen“ auf den Landesparteitagen von 1950 bis Mai 1969 gefragt Zwölf der linken Diskussionsredner leisteten fünfmal oder häufiger Diskussionsbeiträge. Aus diesen zwölf Rednern kristallisiert sich eine noch kleinere Gruppe von sieben Delegierten heraus, die neunmal oder häufiger längere, inhaltliche Diskussionsbeiträge lieferten

Wenn auch vieles dafür spricht, daß die innerparteiliche Opposition die kleine Zahl der faktischen Entscheidungsträger der Mehrheit nur verdoppelte (womit es immer noch sehr wenige wären), so war doch der Kreis der Linken, der mehr oder weniger aktiv und mehr oder weniger ausschlaggebend am Gruppenprozeß beteiligt war, wesentlich größer. Bleibt auch die faktische Entscheidungskompetenz im System der „konstitutionellen Oligarchie" in der Hand relativ weniger, so dient die Organisierung der Opposition doch offensichtlich der Rekrutie-rung qualifizierter Funktionäre. Dieser Gesichtspunkt wird vor allem vom Charlottenburger Kreisverband bestätigt, der zwar insgesamt schon von seiner sozialen Zusammensetzung her stark mittelschichtbestimmt ist, der aber durch den ausgeprägten Faktionalismus, durch die personelle Alternative zwischen den Gruppierungen bis zum letzten Unterkassierer und durch Positionen bzw. Qualifizierungsmöglichkeiten innerhalb der Gruppierung reiche Möglichkeiten schafft, Führungsnachwuchs zu rekrutieren und die Leistungsfähigkeit der Funktionäre in einem gemischt kompetitiv-kooperativen System zu erhöhen. Die Fähigkeiten, die ausgebildet wurden, waren allerdings stark auf die Qualifikationserfordernisse der „Volkspartei“ bezogen: inner-und außer-parteiliche Wahlwerbung und Arbeit in parlamentarischen Gremien. Eine intensive theoretisch-politische Schulung wurde von der Parteilinken nur ansatzweise und insgesamt völlig unzureichend in Angriff genommen.

Die Frage nach den Auswirkungen des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs auf die Partizipation der Organisationsmitglieder läßt sich in zwei Punkten zusammenfassen:

1. Innerparteilicher Gruppenwettbewerb förderte in der Berliner SPD nur sehr begrenzt die Partizipationsausweitung.

Die Ausweitung der Organisationspartizipation der Parteimitglieder erstreckte sich primär auf innerparteiliche Wahlen, vor allem dort, wo der Ausgang relativ offen war. Auch auf den verschiedenen Organisationsebenen trug innerparteilicher Gruppenwettbewerb (vor allem die Existenz einer innerparteilichen Opposition) zur verstärkten Organisationspartizipation bei (Häufigkeit der Sitzungen, Diskussionsbeiträge etc.). Eine von aktuellen Konflikten unabhängige, kontinuierliche Partizipationsausweitung wurde durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb im wesentlichen nicht bewirkt. Die Entscheidungspartizipation der Mitglieder und Funktionäre wurde — im Vergleich zu einer Organisation ohne innerparteilichen Gruppenwettbewerb — erhöht. Sie blieb aber eingeschränkt u. a. aufgrund einer begrenzten Zahl kompetitiver Entscheidungssituationen, Mängeln in der Verbindlichkeit der von unten nach oben delegierten Willensentscheidungen, der Beschränkung auf in der Regel zwei vor-formulierte sachlich-politische Alternativen.

Das Nondecision-making war weitgehend ein Monopol der Mehrheits-bzw.der Vorstandsgruppe, u. a. mit der Wirkung, daß die linke Richtungsgruppe z. B. zwischen 1959 und ci 1967 weitgehend aus dem formellen Entscheidungsprozeß ausgeschlossen wurde, d. h. für sie, daß sie aufgrund von Machtausübung (Disziplinarverfahren etc.), Appell an den und Verstärkung des herrschenden Bias daran gehindert wurde, Alternativen in den Entscheidungsprozeß einzubringen.

Begrenzt war auch die Partizipation innerhalb der Gruppierung. Zwar ist hier eine Partizipationsausweitung gegenüber Organisationen ohne innerparteilichen Gruppenwettbewerb festzustellen und hat sich primär die linke Richtungsgruppe in den sechziger Jahren intern demokratisiert, aber es bleibt doch ein System der „konstitutionellen Oligarchie', in dem die Oligarchisierung der Gesamtorganisation reproduziert und verdoppelt wird. Die vorhandenen Modifikationen lassen kaum Ansätze in Richtung auf Reduktion oder Aufhebung von Oligarchisierung erkennen. 2. Auch wo Partizipationsausweitung festzustellen ist, betrifft sie nicht überproportional gesellschaftliche „Unterschichten". Im innerparteilichen Gruppenwettbewerb reproduziert sich in hohem Maße die gesamtgesellschaftlich konstatierbare schichtenspezifische Verteilung von Apathie/Partizipation wobei sich in linken und rechten Gruppierungen die Disproportionalität zugunsten der privilegierten sozialen Schichten — wie in der gesamten Partei — von Organisationsebene zu Organisationsebene steigert. Die Versuche zur „Gegensteuerung" (in der Berliner SPD nur durch Ansätze von Schulungsarbeit bei der linken Gruppierung) blieben marginal. Welche Funktionen hat nun die durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb bewirkte Partizipationsausweitung für die Partei? Die linke Opposition in der Berliner SPD wird toleriert, soweit sie Grundbedingungen des Systems akzeptiert. Unter diesen Bedingungen ist sie nämlich in hohem Maße funktional für die von der Rechten beherrschte Gesamtpartei. Dann dominieren ihre stabilisierenden Funktionen wie: Stimmengewinn bei Wählergruppen, die von der Parteirechten nicht mehr erreicht werden; Integration progressiver Randgruppen über die Partei in das gegebene System; Analyse zentraler gesellschaftlicher Widersprüche und Erarbeitung von Lösungsvorschlägen, von denen die Parteirechte sich diejenigen Teile aneignet, die für ihr überleben — bei Fortbestehen der Widersprüche — erforderlich sind; Verschleierung des grundlegenden Gegensatzes zwischen sozialistischen Positionen und solchen der sozialen Demokratie. Unter diesen Bedingungen bedeutet dann auch die durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb (vor allem durch die innerparteiliche Opposition) ermöglichte Ausweitung der Partizipation — formal — zwar eine erweiterte, aber prinzipiell nach wie vor an privilegierte Funktionen gebundene Partizipation (Oligarchisierung) und — inhaltlich — eine Partizipation, die den von der Mehrheit definierten Konsens nicht prinzipiell überschreitet (integrative Partizipation).

Greifen wir zur Konkretisierung zwei Funktionsbereiche heraus, die vor allem aus der Handlungsperspektive des einzelnen große Bedeutung haben: die durch Partizipation bewirkte soziale und emotionelle Befriedigung der Parteimitglieder und die vermehrten Chancen für materielle Belohnungen. In Großorganisationen besteht ein Defizit sozialer und emotioneller Befriedigung der einzelnen Organisationsmitglieder. Mit der Intensivierung des lebens in den Kleingruppen, aus denen sich die innerparteiliche Opposition zusammensetzt, erhöhen sich für den einzelnen die Chancen, in den zweckorientierten Großorganisationen soziale und emotionelle Befriedigung zu gewinnen. Können die (aus der Perspektive der Par-ts 1 möglichen Disfunktionen (z. B. gegenseitige Isolierung der Gruppen bzw. Abkapselung Von der Gesamtpartei, überwiegen der Grup-Penoyalität über die Loyalität zur Gesamtorganisation) vermieden oder sogar die Identifia ion mit der Gesamtorganisation — selbst 11 er die oppositionellen Gruppen — noch ge-Segert werden, dann kann innerparteiliche Position den „Volksparteien" bei der Erfül-

ng i rer primären Funktionen nützlich sein.

Es ist sicher, daß der Faktionalismus für einen Teil der Mitglieder und Funktionäre der Berliner SPD eine Quelle von Frustrationen war. Für beteiligte Mitglieder und Funktionäre waren es die harten, häufig personalisierten Konflikte zwischen den Gruppierungen, der Konformitätsdruck und zusätzliche Spannungen innerhalb der Richtungsgruppe, die letztlich begrenzten Wirkungsmöglichkeiten innerparteilicher Opposition etc. Für nichtbeteiligte Mitglieder waren es die „ewigen Streitereien" zwischen den Gruppierungen, das Ausgeschlossensein von Gruppierungen, die das Leben in der Abteilung bestimmten, etc. • Für einen zahlenmäßig nicht sehr großen, aber aktiven Teil der Mitglieder war der Faktionalismus — neben der Frustration, die er auch für sie gelegentlich oder häufiger bedeutete — eine Quelle sozialer und emotioneller Befriedigung. Das bezieht sich nicht so sehr auf die Fülle der zur Verfügung stehenden Ämter, die insgesamt gesehen einen sowohl relativ geringen parteiexternen wie auch parteiinternen Status haben. Wichtiger sind die — vom formalen Status unabhängigen — gegenseitige Anerkennung und Sympathie bei ungewöhnlich intensiven Kommunikationsbeziehungen. Hier ist innerhalb der Gruppierung ein Umfang und eine Intensität der Kontakt-und Kommunikationsbeziehungen möglich, für die viele keine Alternative in ihrem privaten und beruflichen Leben besitzen. Die soziale und emotionelle Befriedigung, die die Aktiven aus dem Faktionalismus gewinnen können, hilft der innerparteilichen Opposition bei der Erfüllung ihrer Funktionen, sie hilft aber auch der gesamten Organisation, weil die Tätigkeit in ihr und für sie dadurch dem einzelnen als bedeutungsvoller und befriedigender erscheint.

Durch innerparteilichen Gruppenwettbewerb werden für Parteimitglieder und -funktionäre mehr Kanäle zur Beschaffung gewünschter Güter (z. B. Verwaltungsstellen, Sozialbauwohnungen) geöffnet. Die Konkurrenz zwischen den Gruppen bedeutet, daß — in der Werbung um mehr Anhänger — auch mehr Güter angeboten werden, da die entsprechenden Ressourcen von zwei oder mehr Gruppen innerparteilichen Zwecken nutzbar gemacht werden. Der öffentliche Dienst war in der Westberliner SPD der große materielle Hebel, mit dem Aktivität und politische Richtung der Parteimitglieder bestimmt werden konnte. Dies galt von der untersten Ebene des Bezirksamts bis zu hoch-dotierten Spitzenpositionen in vom Staatsapparat abhängigen Positionen. Stellenbeschaffung und Beförderung standen — soweit es die gesetzlichen Regelungen erlaubten — im Dienste beider Faktionen, was das Angebot insgesamt vermehrte und so zugleich für die innerparteiliche Opposition wie für die Gesamtpartei bei der Verfolgung ihrer Ziele funktional war.

Offensichtlich sind in einer „Volkspartei“ solche materiellen Hebel notwendig, um bei vielen Mitgliedern Aktivität für die Gesamtpartei wie für die arbeitsaufwendige Gruppenaktivität zu gewährleisten. Ein führender linker Funktionär, der in der Verwaltung arbeitet, sagte im Interview wie selbstverständlich: „Wenn ich jemand habe, der mich politisch unterstützt, kann ich und muß ich davon ausgehen, daß irgendwann auch mal eine materielle Besserung erreicht werden soll.“ Da die Funktionäre einen wesentlich höheren Anteil an Verwaltungsbeschäftigten aufweisen, als die Gesamt-mitgliedschaft, hat die Entschädigung durch Aufstiegsförderung im öffentlichen Dienst große Bedeutung. Die vor allem durch die Verwaltung vermittelten Entschädigungen können sich verselbständigen und zum faktischen Hauptinhalt der Gruppenarbeit werden. Für viele Mitglieder erfüllen die lokalen Parteiführer verschiedene andere Dienstleistungs, funktionen. Es ist klar, daß dort, wo Faktionalismus besteht, diese Dienstleistungshilfen ein Mittel der Anhängerwerbung darstellen.

Im Ergebnis ist für den Fall der Berliner SPD bei aller Ambivalenz ein Übergewicht der integrativen Funktionen der durch Gruppenwettbewerb erweiterten Partizipation deutlich.

VI. Kritische Anmerkungen zu neueren Demokratisierungstheorien

Zum Schluß soll das Ergebnis begrenzter Partizipationsausweitung und der überwiegend integrativen Funktionen des innerparteilichen Gruppenwettbewerbs kurz im Lichte aktueller Demokratisierungstheorien erörtert werden. Die Arbeit von Hondrich enthält keine systematische Demokratisierungsstrategie, sondern eine soziologisch-historische Analyse der Bedingungen und Grenzen von Demokratisierung. Eine zentrale These lautet, daß das politische System sich heute einer weitergehenden Demokratisierung im Sinne erweiterter und verstärkter Partizipationsrechte verschließe. Der wichtigste Grund dafür liege im hohen Komplexitätsgrad des politischen Systems, angesichts dessen Demokratisierung einzelner politischer Institutionen auf Kosten von deren Entscheidungs-und Kontroll-Leistungen gegenüber anderen Institutionen gehe. Da das politische System den eigenen Konflikt zwischen demokratischem Anspruch und Realität und die Konflikte, die aus anderen Subsystemen auf es zukommen, nicht mehr durch eigene Demokratisierung bewältigen könne, sei es objektiv notwendig — wolle man disfunktionale Apathie oder Ablehnung des Gesamtsystems nicht hinnehmen —, die Demokratisierungsforderung auf gesellschaftliche Subsysteme abzulenken (z. B. Hochschulen).

In der Analyse von Hondrich werden die Parteien nicht eigens erwähnt. In seiner Systematik könnten sie zu den „zentralen Institutionen des politischen Systems" gerechnet werden, für die er Regierung, Parlament und Exekutiv-Bürokratie nennt. Dann würde für die Parteien wie für Regierung und Parlament als öffentlich legitimierenden Instanzen der Wettlauf mit der hohen funktionalen Differenzierung bzw.dem hohen Komplexitätsgrad vor allem der Ministerial-Bürokratie gelten. „Demokratisierung in ihnen zu vertiefen, würde bedeuten, daß ihre Mitglieder einen noch größeren Kommunikations-Austausch in Form von Kritik und Rechtfertigung, Wahl und Abwahl bewältigen müßten und durch die Erfüllung dieser Demokratisierungs-Leistung in bezug auf alle andern inhaltlichen Entscheidungs-Leistungen gegenüber den hoch-komplexen Bürokratien noch mehr in Rückstand geraten und abhängig würden.“

Möglicherweise würde Hondrich die Par teien aber auch zu den „Interessen-Organisationen" zählen. Auch für sie gilt „das gleiche demokratische Dilemma mit etwas anderen Akzenten: Auf der einen Seite läßt sich durchdringende Beteiligung auf breiter Basis dauerhaft nicht ohne Strukturierung mobilisieren, in der schon wieder der Oligarchie-Bazillus steckt. Auf der anderen Seite ist die innerorganisatorische Demokratisierung von Interessenverbänden in einem pluralistischen System, indem man einen Verband durch Vertretung der eige nen Interessen braucht, ein zweischneidigs Schwert: Zeitweise erscheint sie nötig, um ie oligarchisierende Elite des eigenen Verban es aus einer Verselbständigungs-und Fraternisierungs-Tendenz mit den Eliten der gegnerischen Verbände, die sich aus der Logik häufiger Kommunikation und einem gemeinsamen Funktionärs-Interesse ergibt, zu den Interessen der Mitglieder zurückzuholen. Auf der andern Seite bindet jedoch der innerorganisatorische Konflikt und das Bemühen, im Demokratisierungs-Prozeß immer wieder einen Konsens zu finden, Leistungs-Kapazitäten, die der Interessen-Vertretung nach außen fehlen und die Leistung des Verbands, besonders in der Auseinandersetzung mit in sich geschlossenen gegnerischen Organisationen, herabsetzen.'1

Diese Analyse ist sehr global; wäre sie uneingeschränkt richtig, entzöge sie jeder unmittelbar auf das politische System gerichteten Demokratisierungsstrategie ihre Basis. Ohne zweifellos richtig erfaßte Elemente dieser Real-analyse in Frage zu stellen, seien doch einige Modifikationen bzw. kritische Fragen angebracht. Problematisch ist beispielsweise die Darstellung der Komplexität als wichtigstem, weiterer Demokratisierung im Wege stehenden „objektivem" Faktor. Nicht getrennt werden dabei unbestreitbarer objektiver Komplexitätszuwachs und der Gebrauch, den bürokratisch-politische Machtgruppen im eigenen Interesse von diesem Komplexitätsargument machen: als einem Rechtfertigungsmittel für von demokratischen Einwirkungen ungeschmälerte Herrschaftsausübung. Indikatoren für die ideologische Funktion des Komplexitätsarguments sind der Zuschnitt der Bildungspolitik primär auf Bedürfnisse des Arbeitsmarkts, die . überschießende", politisch verwertbare Qualifikationen nicht entstehen lassen und die Ausklammerung technologisch heute oder in näherer Zukunft möglicher Formen der Informationsverbesserung, der rationalen (nicht manipulierten oder personalisierten) Reduktion von Komplexität und der Partizipationsausweitung für „jedermann".

Der mögliche Beitrag organisatorischer Zwischenträger (wie z. B. innerparteilicher Gruppenwettbewerb) wird von Hondrich vorschnell aufgrund der oligarchischen Ansteckungsgefahr („Oligarchie-Bazillus“) verworfen, nicht aber auf sein Leistungsvermögen zu einer beachtlichen Eigenkomplexität zur Erfassung und Bearbeitung der zunehmenden Komplexität politischer Fragen und zur Reduktion von Komplexität auf mindestens zwei Entscheidungsalternativen, die wenigstens punktuell einen größeren Kreis von Organisationsmitgliedern in Entscheidungen einbezieht. Anhand der Analyse der Berliner SPD ließe sich zeigen, daß nicht eine abstrakte Komplexitätssicherung, sondern die Machtsicherung politischer Führungsgruppen den Hauptgrund für die Abwehr innerparteilicher Demokratisierungsforderungen darstellt. Die linke Opposition allerdings, die von ihrem Anspruch her die Qualifizierung der Organisationsmitglieder und die rationale Reduktion von Komplexität (wesentlich über innerparteiliche Schulungsarbeit) hätte leisten müssen, konnte für sich aus Mangel an Zeit, Personen und materiellen Mitteln diese Aufgabe nicht erfüllen, wollte sie mit dem Komplexitätsanspruch der bürokratisch-politischen Eliten auf einer Höhe bleiben. — Außerdem erscheint in der Darstellung von Hondrich Komplexität als monokausaler Erklärungsfaktor, womit z. B. die wichtigen Probleme im Bedingungsfeld „Motivation" ausgeblendet werden.

Der zweite Einwand gegen die Analyse von Hondrich richtet sich dagegen, daß die Partizipation strukturierenden Institutionen (innerparteilicher Gruppenwettbewerb ist eine spezifische Form davon) global wegen der — fraglos bestehenden — Oligarchisierungsgefahr verworfen werden, ohne daß geprüft wird, wieweit sie Oligarchisierung modifizieren und — durch entsprechende interne Strukturierung — ein Mittel neben anderen zur schrittweisen Annäherung an das radikaldemokratische Organisationsziel sein können. Ebenso undifferenziert wird die seit Michels herrschende Meinung von der Effizienzminderung der Organisation in bezug auf ihre Umweltfunktionen durch innerorganisatorischen Konflikt wiederholt, ohne die gegenläufigen Resultate zu berücksichtigen, die verschiedene empirische Arbeiten erbracht haben.

Der pessimistischen und globalen These Hondrichs von der objektiven Unmöglichkeit, Teile des politischen Systems zu demokratisieren, steht bei Vilmar die optimistische, aber ebenso globale These von der Demokratisierbarkeit aller gesellschaftlich-politischen Subsysteme gegenüber Der hervorragende Stellenwert der politischen Parteien für eine Demokratisierungsstrategie wird an vielen Stellen betont, Parteien werden als einzige der im engeren Sinne politischen Institutionen zusammen mit den Gewerkschaften zum „Kernbereich" (im Unterschied zum sekundären und peripheren Bereich) der Demokratisierung gezählt Dieser Ansatz scheint schon deshalb eher mit der Fallanalyse der Berliner SPD in Beziehung zu stehen, weil die Identifizierung von Sozialismus und Demokratie und das strategische Konzept „Demokratisierung" wesentliche Ziel-projektionen auch des linken Flügels der SPD sind.

So verdienstvoll die Arbeit von Vilmar z. B. bei verschiedenen Operationalisierungen ist, die für das Demokratisierungskonzept unerläßlich sind, so sehr bleibt doch die Arbeit hinter einer systematisch begründeten Strategie-theorie zurück und entspricht in ihrem Kern eher einer mit Emphase formulierten Zusammenstellung von Praxisanleitungen — was nicht gering geschätzt werden soll, nur eben, zumal für den selbst gesetzten Anspruch, nicht ausreicht. Hier sei ein Punkt grundsätzlicher Kritik darin zusammengefaßt, daß diese „Theorie der Strategie" mit ihrem betont voluntaristischen Element nicht aufbaut auf einer wenigstens umrißhaften Realanalyse (und deshalb eine skeptische Position hinsichtlich der Demo- krütisierung des politischen Systems, wie z. B. die von Hondrich, nicht einmal diskutiert wird), daß ferner den bei einer Umsetzung der Demokratisierungsstrategie in der Realität zu erwartenden gegenläufigen Tendenzen (Repression, Integration) zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird und daß diese Strategie — dies hängt damit zusammen — in ihrer Effizienz nur in sehr geringem Maße einer Kontrolle durch die Realität unterworfen werden kann. Letzteres erklärt sich auch daraus, daß Demokratisierung a) (zu Recht) kumulativ konzipiert ist, was in der vorliegenden Form aber beliebig gestattet, Mißerfolge in einem Subsystem mit zurückgebliebener Demokratisierung in einem oder mehreren anderen Subsystemen zu erklären bzw. zu entschuldigen (wobei naheliegt, daß diese Suche nach Gründen mangelnder Demokratisierung in Zirkeln verläuft); b) als zeitlich unbegrenzt konzipiert ist, wasim Zusammenhang mit der Tatsache, daß Demokratisierung c) prinzipell gradualistisch verstanden wird, bedeutet, daß es keine Fixpunkte institutionalisierten Systemwandels gibt (z. B. Regierungsgewalt in Händen von einer oder mehreren sozialistischen Parteien und umfassende Sozialisierung als zwar bei weitem nicht ausreichende, aber notwendige Bedingungen für eine Gesellschaft, in der Sozialismus und Demokratie tendenziell identisch werden sollen). Damit erfüllt das Konzept von seiner Struktur hei eher Voraussetzungen für eine unbegrenzt verwendbare Rechtfertigungs-Ideologie (für . Reformpolitiker"), denn für ein Strategiekonzept das aufgrund politischer Erfahrungen in präzise angebbaren Punkten revidierbar sein muß.

Die Vernachlässigung der integrativen Funktionen von Partizipation ist nicht etwa deshalb problematisch, weil Vilmar sie nicht sähe oder erwähnte sondern weil Vermeidung vonIntegration vielfach nicht oder nicht nur eine Sache „guten Willens" ist, vielmehr ihre realen, oft auch materiellen Ursachen hat. Dies zeigt sich z. B. im relativ privilegierten sozialen Status, im Konkurrenzverhalten und in der Aufstiegsorientierung auch vieler linker Parteifunktionäre. Systematische Analyse hätte vor allem zu zeigen, wie solchen und vielen anderen Integrationsverfahren mit ihren realen zu begegnen wäre. Dies ist gerade für bereits formal demokratisierte und die demokratische Norm akzeptierende Organisationen wie die SPD notwendig, in der die aktiven Kader auch sehr wohl den Unterschied zwischen wichtigen und unwichtigen Entscheidungen erkennen können und die taktisch-strategischen Anleitungen des Vilmarschen Handbuchs in vielen Variationen bereits durchprobiert haben, dennoch aber die durch Repression und Integration gesetzten Schranken kaum verrücken konnten. Wo keine systematische Analyse der bisher sichtbaren hemmenden Faktoren bzw. Grenzen von Demokratisierung vorgenommen wird, gleicht „Demokratisierung j mehr einem Universalkonzept für Menschen guten Willens, das sich durch Mangel an reali tätsorientierter Selbstkritik möglicherweise selbst um eine größere Effizienz bringt.

VII. Zur Reichweite innerparteilicher Demokratisierungsstrategien

Da die in den innerparteilichen Gruppenwettbewerb gesetzten hohen Erwartungen sich im Falle der Berliner SPD auch in einem längeren Zeitraum nicht erfüllten, wäre zu fragen, ob es daran liegen kann, daß dort ein relativ . festes Zweiparteiensystem“ bestand und nicht — wie z. B. Naschold aus SPD-spezifischen (. Furcht vor Fraktionsbildungen") und theoretischen Gründen für die Gesamtpartei empfahl — ein „oszillierendes Parteiensystem in Form informeller und offener Gruppen, die zu konkreten wie auch langfristigen Anlässen sich bilden" Es spricht manches dafür, daß die auf politische Sachprobleme bezogene Kapazität solcher zahlreichen, für verschiedene Problembereiche sich bildenden ad hoc-Gruppen (ohne feste Mitglieder und Organisationsstruktur) in Hinsicht auf Informationsgewinnung und -Verarbeitung, d. h. für theoretische Problemlösung, einem festen innerparteilichen Gruppensystem überlegen sind. Dies schon aufgrund der Rekrutierung der für den jeweiligen Problembereich Sachverständigen und/oder besonders Motivierten und aufgrund der Entlastung von einer Reihe anderer Funktionen. Diese „anderen" Funktionen entscheiden aber erst über die Realisierungschance alternativer Problemlösungsvorschläge und über die politische Form ihrer Durchsetzung. Im Falle der SPD werden dabei drei wichtige Gesichtspunkte übersehen:

— In wichtigen Punkten gibt es zwischen Mehrheit und Minderheit (mindestens zwischen relevanten Teilen der Gruppierungen) in der SPD grundlegenden Dissens. Der grundlegende Interessen-und Wertdissens fördert Problemlösungsvorschläge, die in Inhalt und Entstehung spezifisch für die jeweilige Richtungsgruppe sind; ihm entsprechen andere Organisationsformen des Konflikts als sie der grundlegende Zielkonsens für die verbleibenden kontroversen Probleme benötigt.

— Grundlegender Zieldissens, Monopolisierung der Interpretation des „eigentlichen“

ahlerwillens bei den Führungsgruppen sowie eren Machtsicherungsinteressen sind Faktoren, die dem Machtaspekt neben dem, vielfach a er auch übergeordnet zum Informations-aspekt einen zentralen Stellenwert verleihen.

Ore Chance interner Demokratisierung st in sich organisierenden Richtungsgrup-pen, sofern sie ihre internen Strukturen demokratisch formalisieren. Vor allem nimmt die Verbindlichkeit von Entscheidungen der Gruppierungen zu.

Daß es keine realistische Alternative zu fester Gruppenorganisation gibt, gleichzeitig aber die Disfunktionen solcher Organisationsweise unübersehbar sind (Verstärkung der Repression, Verlust der Dynamik etc.), gehört zum Dilemma der SPD-Linken. Das Problem der Grenzen innerparteilicher Partizipationsausweitung soll an einem Faktor verdeutlicht werden, der außerordentlich starken Einfluß auf die Partizipation hat: dem Bildungsfaktor. Dies gilt schon für die Organisationspartizipation, wesentlich stärker aber noch für die Entscheidungspartizipation in den Parteien. Gleichviel wie stark der Arbeiteranteil an Wählern, Mitgliedern und Funktionären auf der unteren Organisationsebene einer Partei ist, in den Parteiführungsgruppen dominieren immer stärker und in allen Parteien Organisationsmitglieder mit höherem Bildungsgrad Wo die Elitenrekrutierung sich mehr oder weniger naturwüchsig vollzieht, wie z. B. in den westeuropäischen „Volksparteien", ist eine völlig einseitige Selektion der sozial und bildungsmäßig Privilegierten in Führungspositionen festzustellen die mit den Argumenten gestiegener Komplexität und korrespondierenden Qualifikationsanforderungen einerseits, innerparteilichen Marktprozessen („freie Auswahl“) andererseits in „Volksparteien“ weitgehend problemlos hingenommen werden. Anders stellt sich die Problematik in Kommunistisch/Sozialistischen Parteien, die ihre egalitären Ansprüche noch nicht auf aktuell vorhandene bzw. ohne Konfliktverschärfung gegebene Möglichkeiten zurechtgestutzt oder auf eine unbestimmte Zukunft vertagt haben.

Zu untersuchen wäre, wieweit diese Parteien durch gegensteuernde Maßnahmen die Ent-scheidungspartizipation unterprivilegierter Gruppen innerhalb der Partei grundsätzlich verändern und damit zur realen Demokratisierung beitragen können. Unter „Gegensteuerung" sind einerseits kontrollierende (partei-offizielle Präferenzbildung), andererseits qualifizierende (innerparteiliche Schulungsarbeit) Maßnahmen zu verstehen. Immerhin sind im westeuropäischen Vergleich die Kommunistischen Parteien die einzigen Parteien, die überhaupt noch relevante Arbeiteranteile an den Führungsgruppen aufweisen, die auch dem programmatischen Anspruch nach diese Präferenz (inzwischen auf Führungsebene faktisch eher: Minderheitsbeteiligung) vertreten und die durch vergleichsweise umfangreiche, vor allem aber kontinuierliche und intensive innerparteiliche Schulungsarbeit die Bildungsdefizite gesellschaftlich unterprivilegierter Parteimitglieder wettzumachen versuchen.

Ohne solche Bemühungen wird die Dominanz der Intelligenz in den Führungsgruppen der westeuropäischen Parteien bald absolut sein. Die Betonung eines „hohen allgemeinen Ausbildungsniveaus“ als notwendige langfristige Voraussetzung innerparteilicher Demokratisierung scheint angesichts der an die Partei und andere politische Institutionen gestellten Anforderungen richtig, sie bleibt aber ein relativ unverbindlicher Hinweis bzw. nur eine Hoffnung, solange eine sehr ungleiche Verteilung von Bildungsqualifikation für das kapitalistische Gesamtsystem als immanent angesehen werden muß, in dem Bildungspolitik primär durch die Anforderungen des Arbeitsmarkts bestimmt wird. Demokratisierung im Sinne der Partizipationsausweitung heißt dann primär immer nur Umverteilung der Partizipationschancen innerhalb des Kreises der bildungsmäßig Privilegierten.

Daß die ungleiche Verteilung von Bildung eine prinzipielle Schranke für parteiinterne Demokratisierung darstellt, läßt sich nicht nur mit der Dominanz der Intelligenz in den Parteiführungsgruppen belegen. Eine Untersuchung der italienischen PSI, d. h. einer linkssozialistischen, sozialstrukturell heterogenen Partei (die z. B. auf der Ebene der lokalen Parteiführung noch einen erheblichen Anteil von Arbeitern aufweist), zeigt, daß Partizipation für diejenigen mit niedrigerem Bildungsgrad die politischen Kenntnisse und — dies bereits weniger — den „sense of efficacy“ verstärkt D. h., daß innerparteiliche Parti, zipation ein zum Schulsystem alternativer Weg des Erwerbs von politischen Kenntnissen uni des „sense of efficacy" darstellt. Gleichzeitig werden aber die Vorteile derjenigen mit höherem Bildungsgrad deutlich bestätigt. Sie sind denen mit niedrigerem Bildungsgrad hinsichtlich politischen Kenntnissen und „sense of efficacy“ auch dann überlegen, wenn sie innerparteilich wenig aktiv sind, und sie sind ; weit überlegen, wenn sie aktiv sind. Diejeni-! gen mit niedrigerem Bildungsgrad können also durch Partizipation nicht die Vorteile derjenigen aufholen, die durch längeren Besuch von Schule bzw. Hochschule von Anfang an privilegiert sind.

Sen-Das gilt ganz besonders für die „ideelle sitivität", unter der die Fähigkeit verstanden wird, politische Anlegenheiten mehr in allgemeinen politischen Begriffen zu sehen. Ideelle Sensitivität ist eine wichtige Voraussetzung für Führungstätigkeit innerhalb von Parteien, sie erlaubt, politische Ereignisse begrifflich zu erfassen, Alternativen zu formulieren, Tagespolitik mit der Programmatik der Partei zu rechtfertigen etc. Der wichtigste Erklärungsfaktor für den Grad an ideell-politischer Sensitivität ist der Bildungsgrad des einzelnen; je höher der Bildungsgrad, desto stärker die ideell-politische Sensitivität Die für den einzelnen verfügbare abstraktere Begrifflich-keit und die Gewinnung einer allgemeineren politischen Orientierung basieren auf der Fähigkeit zu abstraktem Denken, die ein längerer Bildungsprozeß vermittelt. Diejenigen mit hohem Bildungsgrad können ihre ideell-politische durch Partizipation noch weiter erhöhen, diejenigen mit niedrigerem Bildungsgrad verbleiben dagegen auch bei Partizipation auf ihrem niedrigen Niveau ideell-polt i tischer Sensitivität. Partizipation vertieft bei dieser wichtigen Führungsqualifikation also die Kluft zwischen denjenigen mit niedrigem und jenen mit hohem Bildungsgrad zusätzlich-Eine intensive und langdauernde innerparteiliche Schulung, die solchen Qualifikationsvorsprung verringern oder einholen hilft, wird -wo überhaupt — nur für wenige Parteimitglieder möglich sein.

Im Lichte solcher Ereignisse gewinnt die frühe sozialistische Kritik an Michels neues Gewicht, die gerade auf den Faktor ungleich verteilter Bildung innerhalb des kapitalistischen Regimes verwies, um die Tatsache innerparteilicher Oligarchisierung zu erklären und die breite Streuung von Bildungsqualifikation in der sozialistischen Gesellschaft als Grund für den möglichen Abbau von Oligarchie in diesem Gesellschaftssystem festzumachen. Sie lenkt den Blick jener, die Demokratisierungsstrategien innerhalb der Parteien entwickeln, sehr rasch über diesen Rahmen hinaus auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungen, die notwendig wären, um Voraussetzungen innerparteilicher Fundamentaldemokratisierung zu schaffen.

Die Einwirkung gesamtgesellschaftlicher Faktoren wird nach wie vor bei der Erforschung innerparteilicher Partizipation vernachlässigt. Bei Naschold wurde formal die Notwendigkeit betont, Organisationen über Funktionen mit dem System in Beziehung zu setzen Offe hat die Prägung der realen Qrganisationsstruktur durch gesamtgesellschaftliche Faktoren und die inhaltliche Determiniertheit der von der Organisation betriebenen Politik durch ihre Organisationsstruktur hervorgehoben Die Ausführung solcher Zusammenhänge steht erst in ihren Anfängen. Eine solche gesamtwirtschaftliche Organisationsanalyse kann bei Generalisierungen für alle Parteien nicht stehen-bleiben. Sie muß die sozialstrukturelle Basis, den sozialstrukturellen Selektionsprozeß und die Systemfunktionen der Parteien in den spezifischen Varianten für die unterschiedlichen Parteitypen analysieren. Dabei wird z. B. ein Zusammenhang zwischen Art und Umfang des parteispezifischen Widerspruchs-potentials einerseits, dem parteispezifischen Demokratisierungspotential andererseits sichtbar, der der Rede von den westeuropäischen Parteien oder auch nur von den „Volksparteien" die Basis entzieht. Erst auf solcher Grundlage kann systematisch nach Unterschieden in den Partizipationsmustern und Partizipationsfunktionen in den verschiedenen Parteitypen und nach der parteispezifischen Verarbeitung von außerhalb der Partei liegenden Bedingungsfaktoren gefragt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. z. B. Karl Otto Hondrich, Demokratisierung und Leistungsgesellschaft, Stuttgart 1972, und— für einen stärker historisch-deskriptiv orientierten Ansatz — Arthur Rosenberg, Demokratie und Sozialismus. Zur politischen Geschichte der letzten 150 Jahre, Frankfurt 1962.

  2. Bodo Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, erg. Neuauflage, Berlin 1970, S. 83, schätzt, daß sie jeweils 5 bis 15 Personen umfassen.

  3. Vgl. Ulrich Lohmar, Innerparteiliche Demokratie, Stuttgart 1963; Bodo Zeuner, Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl 1965, Den Haag 1970; ders., Innerparteiliche Demokratie, a. a. O.; Heino Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen 1971.

  4. Vgl. dazu Hermann Adam, Pluralismus oder Herrschaft des Kapitals? Überlegungen zu Theorien gesellschaftlicher Machtverteilung in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/74, S. 26 ff.

  5. Vgl. Armin Meyer, Entscheidungsprozesse in Parteiorganisationen. Einige sozialwissenschaftliche Forschungsansätze, kritisch erläutert am Beispiel einer Fallstudie über die Wahl des Landesvorstands der Berliner SPD im Mai 1967, Diss., FU Berlin 1969.

  6. Als Beispiel für die dabei auftretenden Probleme vgl. die Fallstudie über den Verbändeeinfluß > organisationsexternen Entscheidungsbereich M Otto Stammer u. a., Verbände und Gesetzgebung'Köln und Opladen 1965.

  7. Vgl. Peter Bachradi, Morton S. Baratz, Power and Society, New York 1970. Zur Definition der Nondeisions siehe S. 22.

  8. Zusätzlich zu den in Anm. 3 und 5 genannten do 'Jürgen Dittberner, Die Bundesparteitage Hn. C hristlich-Demokratischen Union und der So-hi demokratischen Partei Deutschlands von 1946 pan 968. Eine Untersuchung der Funktionen von toirtet agen, Augsburg 1969; Renate Mayntz, Paroino ppen in der Großstadt. Untersuchungen in öonen Berliner Kreisverband der CDU, Köln und mPl den. 1959; dies., Oligarchie Problems in a Ger-DeacniFsairotnysD-Misatkreircst,, Ginl: enDc-oeMa 1r 9w 61i. ck (Hrsg.), Political

  9. Die Partizipation der Mitglieder an den Mitgliederversammlungen wird heute auf 10% der eingeschriebenen Mitglieder geschätzt. Zu Literatur-verweisen für die Bundesrepublik und West-Berlin zu verschiedenen Zeitpunkten vgl. Raschke, Innerparteiliche Opposition, a. a. O., S. 403 f.

  10. Vgl. Robert Michels, Zur Soziologie des Partei-wesens in der modernen Demokratie, Neudruck der 2. Aufl., Stuttgart o. J. (1957), und Rolf Ebbighausen, Die Krise der Parteiendemokratie und die Parteiensoziologie, Berlin 1969.

  11. Repräsentativ für diesen Ansatz: Wolfgang Abendroth, Das Problem der innerparteilichen und innerverbandlichen Demokratie in der Bundesrepublik, in: PVS, 5. Jg. (1964), S. 307 ff.

  12. Vgl. z. B. die Arbeiten von Max Weber, McKenzie, Hennis und Hättich.

  13. Vgl. Leon D. Epstein, Political Parties in Western Democracies, New York 1967.

  14. Vgl. Gisela Zimpel, Selbstbestimmung oder Akklamation? Politische Teilnahme in der bürgerlichen Demokratietheorie, Stuttgart 1972.

  15. Vgl. Wolf-Dieter Narr, Frieder Naschold, Theorie der Demokratie, Stuttgart 1971, und Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972.

  16. Die prinzipielle Betonung der System-Umwelt-Beziehung, vermittelt über die Funktionen der Organisation im Gesamtsystem, war zwar ein methodischer Fortschritt (vgl. Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O., S. 45 f., 58), daß die Systemfunktionen der Parteien aber nicht wenigstens ansatzweise auf soziale Klassen/Schichten und Interessen bezogen wurden (vgl. Naschold, a. a. 0., S. 46 54), hat dazu beigetragen, daß die Diskussion vielfach formal bleiben konnte. Für letzteres ist die Arbeit von Wolfgang Jäger (Hrsg.), Partei und System, Stuttgart 1973, ein Beispiel.

  17. Zur Diskussion von demokratischem bzw. undemokratischem „Output“ vgl. Vilmar, a. a. 0., S. 121 ff. • Lu

  18. Vgl. die in Anm. 15 zitierten Titel von Nan Naschold (die entsprechenden Passagen stammen von Narr) und Offe. Das Problem selbst war auch schon bei Naschold präsent, vgl. z. B.seinen Begriff der „Pseudo-Beteiligung“ und seine Ktt der Human-Relations-Schule. Die Arbeit von Reimann Grönemeyer, Integration durch Partizipation Frankfurt 1973, sieht eine prinzipielle Ambivalenz der Partizipation hinsichtlich der integrativen und subversiven Funktionen, ohne m. E. ausreichoer zu klären, unter welchen Bedingungen die eine od die andere Funktion überwiegt.

  19. Zur Reichweite von Änderungen des institutioneilen Faktors vgl, J. David Edelstein, An Organizational Theory of Union Democracy, in: American Sociological Review, Bd. 32 (1967); für die Bundesrepublik Deutschland: Ute Müller, Die demokraisdie Willensbildung in den politischen Parteien, Mainz 1967; Bodo Zeuner, Innerparteiliche DemoKratie, a. a. O.; Ulrich von Alemann, Mehr Demoratie per Dekret? Innerparteiliche Auswirkungen 255 Deutschen Parteiengesetzes von 1967, in: PVS, 13. Jg. (1972), S. 181 ff.

  20. Ein Beispiel dafür ist die institutioneile Vern erung einer ineffizient gewordenen Führungsstruktur. (wie bei der SPD 1958), die nicht Herr-matt abbauen, sondern effizienter machen soll

  21. Dies ist eine Hypothese, die empirisch zu überen. Wäre. Die Analyse des langjährigen Grup-Penwettbewerbs in der Berliner SPD (s. u.) zeigt, a die demokratisierende Wirkung innerparteidoper Opposition sich eher auf eine Veränderung als Tealen innerparteilichen Machtstruktur bezieht auf eine Veränderung der Herrschaftsstruktur.

  22. Belege dafür finden sich in der 1975 im Westdeutschen Verlag erscheinenden Arbeit des Verfassers „Konflikt und Demokratie in Parteien“.

  23. Darunter werden vielfältige Formen mit meist indirekten materiellen Folgen gefaßt, vor allem aber die Formen materieller Belohnung, die die Parteien aufgrund ihrer Kontrolle des Staatapparats einsetzen können: Stellen-und Aufstiegsvermittlung im öffentlichen Dienst, Vergabe von Aufträgen des öffentlichen Dienstes (z. B. Bauaufträge), Beschaffung von öffentlich gebauten Wohnungen

  24. Oft aufgrund einer radikaldemokratischen Position, die eine (zumindest dominant) ideelle Motivation für politische Partzipation als adäquat unterstellt. Vgl. z. B. Ossip K. Flechtheim, Zur Frage der innerparteilichen Demokratie, in: Neue Kritik, 2. Jg. (1961), H. 8; Zeuner, Innerparteiliche Demokratie, a. a. O.

  25. Vgl. z. B. Hans-Otto Mühleisen, Theoriebildung und politische Parteien. Bestandsaufnahme und Entwicklungsmöglichkeiten, Diss., Freiburg 1970; Jäger, Partei und System, a. a. O.

  26. Vgl. dazu Amitai Etzioni, Soziologie der Organisationen, München 1967, und Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O.

  27. So auch Naschold, a. a. O., S. 93.

  28. Zu letzterem vgl. Lucio Lombardo-Radice, Pluralismus in marxistischer Sicht, in: Werkhefte, 19. Jg. (1965), H. 8/9.

  29. Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O., S. 54.

  30. Dieses Organisationsmodell hat theoretisch und praktisch seine Wurzeln in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Für den linken Flügel der SPD '" der Weimarer Republik vgl. Anna Siemens, i arteidi sziplin und sozialistische Überzeugung, Bern 1931, und Fritz Bieligk u. a., Die Organisation mK assenkampf, Neuaufl. Frankfurt 1967. Wäheng der ersten Krise des linken Flügels der SPD n der Bundesrepublik knüpfte Seifert auch an foesestheoretischen Schriften an. Vgl. Jürgen Sei-Hoti Innerparteiliche Opposition, in: Frankfurter hi, 6, 15.

  31. Vgl. Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O„ S. 53 f., 57.

  32. A. a. O., S. 57.

  33. Darauf hat vor allem Samuel H. Barnes, Party Democracy: Politics in an Italian Socialist Federation. New Haven 1967, hingewiesen.

  34. über Tatsache und Erklärungsgründe sChosr spezifischer Partizipation/Motivation wird We 1 unten zu sprechen sein. .

  35. Vgl. Jürgen Habermas, Legitimationsprobe im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973. _

  36. Vgl. C. B. Macpherson, Drei Formen der mokratie, Frankfurt 1967, S. 56 f.

  37. Vgl Lipset u. a., Union Democracy, a. a. O., 3 “ ames, Party Democracy, a. a. O.

  38. Im folgenden fasse ich einige Ergebnisse meiner sams Innerparteiliche Opposition, a. a. O., zu-himomen, wobei die dort gemachten Anmerkungen weitgehend fortgelassen werden.

  39. Vgl. Lewis A. Coser, Theorie sozialer Konflikte, Neuwied 1967, S. 85.

  40. Vgl. Robert E. Lane, David O. Sears, Public Opinion, Englewood Cliffs, New Jersey 1964, S. 41.

  41. Vgl. Lipset u. a., Union Democracy, a. a. O., S. 297 ff.; G. N. Ostergaard, A. H. Halsey, Power in Co-Operatives, Oxford 1965, S. 137 ff.; Andreas Villiger, Aufbau und Verfassung der britischen und amerikanischen Gewerkschaften, Berlin 1966; J. David Edelstein, Countervailing Powers and the Political Process in the British Mineworkers’Union, in: International Journal of Comparative Sociology, 9. Jg. (1968), S. 268.

  42. Vgl. Bachrach, Baratz, Power and Society, a. a. O.

  43. Vgl. a. a. O„ S. 44 ff.

  44. Im Fraktionsvorstand haben 1950— 1970 16 linke Positionsinhaber 65 Positionen besetzt, dabei 5 Positionsinhaber allein 48 Positionen. Von den 13 Positionsinhabern im Landesvorstand hatten 8 auch Positionen im Fraktionsvorstand. Von den 8 linken Positionsinhabern im Landesvorstand, die viermal und häufiger dem Landesvorstand angehörten, waren 5 auch im Fraktionsvorstand.

  45. Von den 15 linken Kreisvorsitzenden hatten nur 3 Positionen im Landesvorstand inne, 5 Positionen im Fraktionsvorstand.

  46. Dabei wurden nur die meist zehnminütigen Diskussionsbeiträge zu politischen Fragen gerechnet. Die In der Regel kürzeren Beiträge z. B. zur Geschäftsordnung oder zu einem einzelnen Antrag im Prozeß der Abstimmung über die Anträge wurden nicht berücksichtigt. Sprach ein Delegierter auf einem Landesparteitag mehrmals, wurde das nur einmal aufgenommen.

  47. Von den 12 linken „Redeoligarchen* waren 9 Landesvorstandsmitglieder (von insgesamt 13), davon 5, die viermal und mehr im Landesvorstand vertreten waren (von insgesamt 8). Von den 12 waren nur 5 im Fraktionsvorstand (von insgesamt 16), nur 3 waren Kreisvorsitzende (von Insgesamt

  48. Die Parteilinke wollte so viele Linke wie möglich an politischer Verantwortung beteiligen und versuchte deshalb, die Ämterhäufung einzuschränken. 1971 sollten die linken Bezirksamtsmitglieder keine Mandate im Kreisvorstand übernehmen. Wenn ein Genosse in den Kreisvorstand gewählt wurde, war es fraglich, ob er auch in die Bezirksverordnetenversammlung kam. Als Prinzip galt: eine Position für einen Genossen, nicht mehr. Bei abweichenden Fällen sollten Vor-und Nachteile genau abgewogen werden. Nur so konnte man allen Linken, die aktiv sein wollten, eine Position verschaffen. Das war auch notwendig als Belohnung für die vielen „Läuferdienste treppauf, treppab".

  49. Für weitere empirische Belege vgl. in Arbeit Innerparteiliche Opposition, a. a °-'allem S. 160 ff. p

  50. Für die Bundesrepublik vgl. Jörg Steiner, tische Partizipation und sozialer Status, in: U Welt, Nr. 97/98 (1968), S. 332 ff., und ders. Bürge und Politik, Meisenheim 1969.

  51. Vgl. Hondrich, Demokratisierung und Leistungsgesellschaft, a. a. O.

  52. A. a. O., S. 115.

  53. Aa. 0., S. 115 f.

  54. Mitglieder höherer sozialer Schichten verfügen Ch» ihremeist höhere Bildung über größere Chancen die komplexität relativ besser selbständig zu bewältigen

  55. Vgl. Robert Jungk, Beteiligung der Bürger S A 7« morgen, in: Partizipation, Opladen 1970,

  56. Nicht zuletzt dadurch, daß Gruppen der Intelligenz (vor allem aus Staatsapparat und Hochschulen) überproportional auch an der linken innerparteilichen Opposition beteiligt sind.

  57. Vgl. Vilmar, Strategien, a. a. O.

  58. Vgl. a. a. O„ S. 111.

  59. Vgl. z. B. a. a. O., S. 166 ff. Allerdings tauben diese wenigen Hinweise in der „popularisientnr. Zusammenfassung seiner Arbeit — bezeichnen weise? — nicht mehr auf. Vgl. Fritz Vilmaras stemveränderung auf dem Boden des Grunga zes, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18

  60. Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O.,

  61. Die verbleibenden und politisch relevanten Unterschiede zwischen den westeuropäischen Parteien unterschiedlichen Parteityps, vor allem zwischen den Kommunistischen und allen anderen Parteien, werden näher analysiert in der Arbeit des Verfassers Konflikt und Demokratie in Parteien, a. a. O.; hier soll nur die generelle Entwicklungstendenz betont werden.

  62. Für die Bundesrepublik vgl. Dietrich Herzog, Karrieren und politische Professionalisierung bei CDU/CSU, SPD und FDP, in: Jürgen Dittberner/Rolf Ebbighausen (Hrsg.), Parteiensystem in der Legitimationskrise, Opladen 1973, S. 109 ff.

  63. Naschold, Organisation und Demokratie, a. a. O., S. 83.

  64. Hierzu und zu den folgenden Ausführungen vgl. Barnes, Party Democracy, a. a. O., und den. Participation, Education, and Political Competense: , Evidence from a Sample of Italian Socialists i APSR, 60 Jg., (1966), S. 348 ff. — Unter .sense « efficacy" ist das Gefühl des einzelnen zu verstenen durch seine Person politisch etwas bewirken können.

  65. Vgl. Lipset u. a., Union Democracy, a. aAr: 409; Barnes, Party Democracy, a. a. O., S. Io S Raschke, Innerparteiliche Opposition, a. a° 148.

  66. Vgl. Max Adler, Die Staatsauffassung des Marxismus, Darmstadt 1964, S. 174 ff.; Nikolai Bucharin, Theorie des historischen Materialismus, Hamburg 1922, S. 365; Georg Lukäcs, Rezension der zweiten Auflage von Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, 13. Jg. (1928), S. 309 ff.

  67. Vgl. Anm. 16.

  68. Vgl. Offe, Strukturprobleme, a. a. O.

Weitere Inhalte

Joachim Raschke, Dr. phil., Diplom-Politologe, geb. 1938, Studium der Politischen Wissenschaft und Soziologie an der FU Berlin, 1965 bis 1973 Redakteur der Schriftenreihe »Zur Politik und Zeitgeschichte", seit 1973 Assistent für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Die Zukunft der Opposition, in: Die neue Gesellschaft, 14. Jg. (1967), H. 2; Wahlen und Wahlrecht, Berlin 19682, Wie wählen wir morgen? Verhältnis-oder Mehrheitswahl in der Bundesrepublik, Berlin 19694; Der Bundestag im parlamentarischen Regierungssystem, Berlin 19702; Parteien, Programme und . Entideologisierung", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/70; Mehrheitswahlrecht — Mittel zur Demokratisierung oder Formierung der Gesellschaft?, in: Winfried Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 19732; Innerparteiliche Opposition. Die Linke in der Berliner SPD, Hamburg 1974.