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Emanzipation durch Entwicklung? Kritik der Emanzipationspädagogik und die Frage nach den Erziehungswerten | APuZ 13/1975 | bpb.de

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APuZ 13/1975 Emanzipation durch Entwicklung? Kritik der Emanzipationspädagogik und die Frage nach den Erziehungswerten Erziehung zum Glück. Überlegungen zu einer pädagogischen Grundfrage

Emanzipation durch Entwicklung? Kritik der Emanzipationspädagogik und die Frage nach den Erziehungswerten

Hermann Boventer

/ 67 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ist eine größere Planbarkeit des Lernens durch das curriculare Verfahren gewährleistet? Altere Lehrpläne und Stoffdarbietungen für den Schulunterricht werden heute durch neue Curricula abgelöst. Die Curriculumtheorie verweist auf ein geistiges Umfeld, das den Lernbegriff behavioristisch faßt und eine verhaltenstechnologische Steuerung verspricht. Das curriculare Verfahren ist nicht nur eine Methode neben anderen, sondern das Curriculum erhält eine sinnstiftende Funktion. Kritisch ist zu fragen, ob die Schule überhaupt das Verhalten programmieren kann, ob der Lernbegriff nicht ein stark reduziertes Menschenverständnis aufgreift und das Curriculum als Verfahren seine totalitären Ansätze verleugnen kann. Wer setzt die Lernziele? Emanzipation als oberster Richtwert erhält in den nordrhein-westfälischen Richtlinien für den Politik-Unterricht, die in diesem Artikel paradigmatisch für die neuen Curricula stehen, die unbestrittene Priorität, und zwar nicht aus pädagogischen, sondern politischen Erwägungen. Der Emanzipationsbegriff selbst ist ambivalent, aber dieses moderne Erziehungsziel erhält das stärkste Profil durch die Kritische Theorie der Frankfurter Schule. Habermas, Horkheimer und Adorno haben die philosophischen Bezugsfelder abgesteckt, wobei marxistische Gesellschaftstheorien und Entfremdungslehren immer wieder durchschlagen. Die Absolutsetzung dieses Erziehungsziels macht seinen ideologischen Charakter aus. Das Pädagogische, vom unterscheidend Christlichen ganz zu schweigen, kommt zu kurz. Der dritte Teil dieses Aufsatzes geht von der Vorstellung aus, daß erzieherisches Handeln die Offenlegung der Wertvorstellungen verlangt und diese Werte im Sinne der Horkheimerschen „Theologie“ ihren Transzendenzbezug haben. Wie kann die Pädagogik heute den Wert der Freiheit rehabilitieren? Ist Emanzipation eine negatorische Verengung unserer konkreten Freiheit in der Bundesrepublik? Kritisiert wird die einseitige Soziologisierung der Pädagogikwissenschaft, die ein Menschenbild abstreitet und doch eines hat: Humanismus ohne Gott? Eine moralisierende, antagonistische Meinungskultur vermengt sich zunehmend mit dem Schulprogramm. An die Stelle des Urteilens tritt das Verurteilen in einer schon krankhaften Kritiksucht. Erziehung, die eine transzendente Sinnerfahrung nicht mehr ermöglicht, wird zur „Abrichtung“ des Menschen. Deshalb darf und muß heute in der Erziehung wieder von Werten gesprochen werden.

Vorbemerkung

Abbildung 1

Curriculum und Emanzipation, genauer: das curriculare Verfahren im Schulunterricht und der emanzipatorische Denkansatz in der Pädagogik sind der Gegenstand der folgenden Überlegungen. Vor einigen Jahren hat Max Horkheimer in seinem aufsehenerregenden „Spiegel" -Interview gesagt: Politik, die, sei es höchst unreflektiert, Theologie nicht in sich bewahrt, bleibt, wie geschickt sie sein mag, letzten Endes Geschäft. Das Interview erschien später als Buchveröffentlichung unter dem bezeichnenden Titel „Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ (Hamburg 1970). Aber Horkheimer versteht Theologie nicht im christlichen Sinn, als Wissenschaft vom Göttlichen oder gar als gläubige Annahme der Selbstmitteilung Gottes, sondern er bezeichnet mit Theologie das Bewußtsein, daß die Welt Erscheinung ist, daß sie nicht absolute Wahrheit, das Letzte ist.

Pädagogik, um den Horkheimerschen Satz auf sie zu übertragen, die Theologie nicht in sich bewahrt, bleibt sie, wie geschickt sie auch sein mag, nicht letzten Endes Geschäft und bloße „Abrichtung"? Unsere Frage geht an die Adresse der Curriculumtheorie, die vom behavioristischen Lernbegriff ausgeht, ohne sich genügend Rechenschaft darüber zu geben, was Bildung eigentlich ist, und welchen -Menschen diese Theorie ins Fadenkreuz nimmt, wenn sie das Verhalten steuert. Unsere Frage richtet sich an die Emanzipationspädagogik und ihre Werte, welches Menschen-und Gesellschaftsverständnis als Prämisse eingebracht wird. Was kennzeichnet as geistig-philosophische Umfeld des Lern-Kels «Emanzipation”? Sofern wir nicht alle 1 ormen als „gemacht" und somit aufheb-und veränderbar hypostasieren wollen: worin finden wir die Unbedingtheit, eben jene Horkheimersche Theologie der Erziehungswerte?

Mit solchen Fragen ist die Antwort unserer Kritik an der gegenwärtigen Bildungsreform in unserem Land schon angedeutet. Die curricular vermittelte Emanzipation, die weitgehend über das Verhalten programmierte Befreiung des (jungen) Menschen, erscheint in ihrer Zielsetzung und Werthaftigkeit von totaler Diesseitigkeit. Emanzipation wird zur sinnstiftenden Kraft. Das Problem des Transzendenzbezugs bleibt ungelöst oder wird beiseite geschoben. In ihrer Forderung nach Totalität steht Absolutheit die Emanzipationspädagogik in diametralem Gegensatz zum unterscheidend Christlichen. Das „ganz Andere“ ist jedoch unverzichtbar für eine Pädagogik, die von Christen mitverantwortet werden soll. Dabei messen wir die Emanzipationspädagogik nicht an ihren besten, vom marxistischen Humanismus abgeleiteten Intentionen, sondern daran, was sie beiträgt zur Menschwerdung, Mündigkeit und Bildungskompetenz des einzelnen.

Der Nachweis dieser Kritik an Curriculum und Emanzipation wird vorwiegend anhand der nordrhein-westfälischen Richtlinien für den Politik-Unterricht geführt. Diese Rahmen-richtlinien stehen paradigmatisch nicht nur für die wissenschaftliche Erörterung, die heute mit der Herausgabe neuer Lehrpläne verbunden ist, sondern sie sind eine Art von Magna Charta für das lernzielorientierte Programm, das sich heute emanzipatorisch nennt und politisch durchgesetzt werden soll für das gesamte Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung.

I. Curriculum und curriculares Verfahren

Das Curriculum verspricht planbare, objektive Lernprogramme von solider Wissenschaftlichkeit

Im Jahre 1967 ist Saul B. Robinsohns „Bildungsreform als Reform des Curriculum“ in deutscher Übersetzung erschienen. Damit hat das neue pädagogische Konzept des Curriculum seinen Eingang genommen in die erziehungswissenschaftliche Diskussion; aber auch weit darüber hinaus verbreitete sich der Begriff „Curriculum" -rasch und amalgamierte sich mit den reformistisch-progressiven Kräften in unserem Land, die das gesamte Bildungssystem nicht nur organisatorisch, sondern curricular neu zu verfassen suchten. Curricular, das bedeutet ein fugenlos durch-konstruiertes System von Lernzielkatalogen und Qualifikationen für das gesamte Schulprogramm. Das bedeutet die Hinwendung zu bewußter Organisation von Lernen, was, wann, wie, von wem und warum gelernt werden soll einschließlich der entsprechenden Methoden zur Lernerfolgskontrolle.

Angestrebt wird mit dem Curriculum der Bruch mit der bisherigen Tradition. Der „schiere Dezisionismus" der älteren Lehrpläne soll nach S. B. Robinsohn zugunsten „optimaler Objektivierung" überwunden werden. Robinsohn schlägt, grob gesprochen, folgenden Weg für die Gewinnung von Curricula vor. Die relevanten Lebenssituationen müssen analysiert werden. Daraus sind Qualifikationen für die Bewältigung der Lebenssituationen abzuleiten. Drittens stellt sich die Aufgabe, Curriculumelemente oder Lerninhalte, durch welche diese Qualifizierungen bewirkt werden sollen, zuzuordnen. Allgemeines Erziehungsziel ist es demnach, den einzelnen für die Bewältigung von Lebenssituationen auszustatten, und zwar vornehmlich dadurch, daß er für „richtiges" Verhalten disponiert wird. Die Aneignung der „qualifizierenden Elemente" wird durch Lernsequenzen ermöglicht. Die Lernziele selbst werden wesentlich als Qualifikationen, als Erwerb umfassender Verhaltensdispositionen mit inhaltlicher Bestimmung verstanden.

Was verspricht man sich davon? Mit dem Stichwort „Curriculum" verbindet sich die Hoffnung auf durchorganisierte Lehr-und Lernprogramme von solider Wissenschaftlichkeit und hoher Objektivität. Der Ehrgeiz, das Lernen in seiner Entfaltung nunmehr wirklich „planen" zu können und die Lernerfolge nach exakt nachprüfbaren Maßstäben zu kontrollieren, ist dem Curriculumverfahren mitgegeben. Entsprechend werden die älteren Lehrpläne in ihrer „Naturwüchsigkeit" abqualifiziert. Walter Gagel, der zu den Autoren der nordrhein-westfälischen Richtlinien für den Politik-Unterricht gehört, sieht alle Lehrplankommissionen heute vor die Notwendigkeit und Entscheidung gestellt, sich am Diskussionsstand der Curriculum-Methodologie zu orientieren, „da ein Rückfall in die naive vorcurriculare Lehrplanpraxis ein Verzicht auf die Aufklärbarkeit bildungspolitischer Entscheidungen bedeuten würde" 1). Gewissermaßen wird hier die Erziehungswissenschaft in die zwei Epochen einer naiven, vorcurricularen Unaufgeklärtheit und einer jetzt anbrechenden Rationalität aufgeteilt. Der curricularen „Zeitrechnung" fehlt es nicht an Selbstbewußtsein. „Stimmen die deutschen Lehrpläne noch?'lautete die Frage gegen Ende der sechziger Jahre. Vom Umgang mit Inhalten, politischen „Sachen" erwartete und erwartet man noch das Ergebnis politisch beteiligter, engagierter Bürger, so resümiert Grundmann-Roch. Dies habe sich als trügerische Hoffnung erwiesen. Vor allem der politische Unterricht sei „wenig effektiv gewesen", weil „in diesem Unterricht nicht das klar definierte Lernziel, sondern der Inhalt, der Lerngegenstand, den Vorrang" hatte Ältere Lehrpläne hätten bloße Stoffsammlungen mit einem hohen „Defizit an Wirksamkeit" ohne ersichtlichen Zusammenhang zwischen den Zielen des Faches und der konkreten Unterrichtsgestaltung angeboten. Kenntnisse über den Entscheidungs-und Legitimierungsprozeß, aus dem die jeweiligen Lehrpläne hervorgingen, seien so gut wie überhaupt nicht zu gewinnen gewesen.

Dies alles ändert sich grundlegend und tief-greifend mit der „Entwicklung eines rationalen Verfahrens zur Entscheidung über Ler ziele". Gagel und die Richtlinien-Autoren sparen in ihrem Theorie-Band nicht an großen Worten: Verwendung von effizienten Techniken bei der Konstruktion von Lernsequenzen, Abbau des Anweisungscharakters, System von Planungs-und Entscheidungsinstrumenten, Institutionalisierung von Öffentlichkeit, Aufbau eines Rückkoppelungssystems zur Revision im Sinne demokratischer Mitwirkung von Curriculum-Entscheidungen

Die Planbarkeit des Lernens scheint hergestellt in einem Verfahren, das einen objektiven, rationalen und transparenten Regelkreis gewährleistet. Bildungsreform wird im ganzen machbar, wenn Robinsohn das Curriculum als Programm geordneter Sequenzen von Lernerfahrungen, die auf beabsichtigte Bildungsziele bezogen sind, definiert. Es überrascht nicht, daß der Anspruch auf Methodisierung und damit Verwissenschaftlichung dessen, was man traditionell unter Lehrplänen verstand, die Autoren neuer Curricula und Rahmenrichtlinien fasziniert. Hier scheint endlich jenes Steuerungsinstrument eines Unterrichtssystems entdeckt worden zu sein, das als der naive Traum einer pädagogischen Omnipotenz eine lange Geistesgeschichte aufweist. 2. Der pädagogische Allmachtstraum ist nicht neu Der „Vervollkommnung des Menschen" — de hominis perfectione — über eine psychologische oder erzieherische Verfahrenstechnologie hat Goclenius ein frühes Buch gewidmet. Es erschien im Jahre 1590 im Stil des Humanismus. Anklänge einer benevolenten Erziehungsdiktatur und -Steuerung des Menschen finden sich auch in der „Utopia" des englischen Lordkanzlers und Literaten Thomas More, der in seinem Idealstaat an fixierten Lernzieleh nicht spart. Die Behavioristen der zwanziger Jahre, die mit Ratten und Tauben ihre Tierexperimente durchführten, haben in dem Begründer ihrer Schule, John B. Watson, einen beredten Fürsprecher des curricularen Ansatzes: „Gebt mir ein Dutzend Kinder und eine Welt, in der ich sie aufziehen kann, dann garantiere ich, daß ich jedes von ihnen auf die Besonderheit zu trainieren imstande bin, die ich möchte: Arzt, Rechtsanwalt, Künstler, Großkaufmann oder auch Bettler und Dieb."

Die behavioristischen Lerntheorien, die in Amerika sehr große Verbreitung gefunden aben, berufen sich auf die Pawlowsche Leh-

6 vom bedingten Reflex. Die Herstellung der

Verbindungen zwischen „Stimulus" und „response", zwischen Reiz und Reaktion wird vom Tier auf den Menschen übertragen. Mechanik und Automatik eines solchen Verhaltensmodells sind vorgegeben. Entsprechend vorgegeben ist auch ein Mensch, dessen Be-wußtsein beim Lernen keine entscheidende Rolle spielt, sondern „programmiert“ wird auf einen Prozeß, in dem eine Aktivität durch dauernde Übung hervorgerufen oder verändert wird. Was liegt näher, als daß nunmehr das „richtige" Verhalten beim Menschen einzuüben ist?

Die Curriculumtheorie ist nicht unberührt geblieben von dieser Psychologie, die menschliches Verhalten und menschlichen Organismus nach dem Modell eines Apparats erklärt. Die Eintrainierung gesellschaftlicher Rollen nach dem „Rattenmodell" überwiegt auch in den Schriften des heute in Pädagogik-seminaren so populären B. F. Skinner, der in seinem utopischen Roman „Walden Two“ jene Techniken entwickelt, deren es bedarf, aus dem „Dutzend Kinder" des J. B. Watson über die behavioristische Lernpsychologie beliebig tüchtige Akademiker zu machen. Immer läuft es auf eine von wissenschaftlichen Einsichten getragene Erziehung hinaus, wenn die Moral der Selbsterziehung durch eine Verhaltenssteuerung ersetzt werden soll. A. Koestler hat in seinem Buch „Das Gespenst der Maschine" dieses Motiv aufgegriffen. Von manipulatorischen Eingriffen in die Windungen unserer Großhirnrinde verspricht Koestler sich jene Weiterentwicklung, die unsere Zivilisation vor dem Untergang rettet. Den moralischen Kräften gibt er kaum noch eine Chance, obwohl er es selbst vorziehen würde, seine „Hoffnungen auf die moralische Überzeugungskraft des Wortes und des guten Beispiels zu setzen. Aber wir sind nun einmal eine kranke Spezies und haben für derlei nur taube Ohren. Angefangen vom Zeitalter der Propheten bis herab zu Albert Schweitzer hat man es wieder immer versucht. Was dabei herauskam, ist..., daß wir gerade genug Religion in uns haben, um hassen zu können, aber nicht genug, um einander zu lieben." B. F. Skinner bewertet die Steuerung des menschlichen Verhaltens nicht als eine letzte Zuflucht, sondern fordert sie im Namen des Fortschritts. Mit seinem Buchtitel „Jenseits von Freiheit und Würde" (Hamburg 1973) bezeichnet Skinner nicht nur ein Programm, sondern er bringt auch eine Zukunftssicht, die das aus moralischer Autonomie handelnde Individuum als überholtes Relikt darstellt. Die Verhaltenssteuerung, so wird dem Leser versichert, sei ethisch neutral. Nach Art einer technischen Wartung und dauernden Betriebsprüfung wird das Verhalten, das automatische Tüchtigkeiten hervorbringt, ständig kontrolliert. 3. Das Erziehungswesen wird zum Hebel für den Gesinnungs-und Richtungsstaat In Amerika sind Behaviorismus und Curriculumtheorie weithin pragmatisch geblieben. Der pädagogische Allmachtstraum zielt hier zwar auch auf die kognitiv-intellektuelle und moralische Vervollkommnung, aber eine umfassende Politisierung oder Ideologisierung konnte in diesem Land keine Anhänger finden.

Die kontinentaleuropäische Geistestradition setzt die Akzente von vorneherein anders. Das Bildungs-und Erziehungswesen steht ungleich stärker im Dienste des Staates und einer politischen Gesinnung. Schule als Vehikel des Gesinnungs-und Richtungsstaates ist ein wiederkehrendes Motiv der französischen Aufklärungs-und Revolutionszeit. Nadi Babeuf und Mably war damals vorgesehen, daß alle Leistungs-und Wissensunterschiede aufgehoben werden, daß die Kinder dem Einfluß der noch partikular orientierten Eltern entzogen werden, daß Wissenschaft und Kunst nicht mehr in den Dienst der individuellen Eitelkeit oder selbstbezogenen Intellektualität gestellt, sondern auf die einfachen, für jeden einsehbaren natürlichen Gesetze und das von ihnen geleitete praktische Handeln ausgerichtet werden. Damit sollte jeder Bürger in die Lage versetzt werden, politisch so zu handeln, daß jede Entscheidung plebiszitär getroffen werden könnte

Erziehung als umfassendes Steuerungs-und Manipulationsinstrument ist auch die Grund-these J. J. Rousseaus, der 1762 seinen Erziehungsroman „Emile“ veröffentlichte. Frei von Kind seinen eigenen Zwang soll das nach Bedürfnissen und Interessen heranwachsen; aber das Rousseausche Konzept ist alles andere als frei von jeglicher Manipulation. Ein Zögling, so schreibt er, müsse stets glauben, er sei der Herr, aber ihr (die Erzieher!) müßt es trotzdem sein. Keine Unterwerfung sei so vollkommen wie die scheinbar freiwillige, denn man nimmt den Willen selbst gefangen. Ohne Zweifel, so fährt Rousseau fort, soll das Kind nur das tun, was es selber möchte, aber es soll nichts wollen, was ihr nicht von ihm wollt. Das gesteuerte Lernprogramm nimmt hier seine perfekteste Form an, indem es die Illusion der Freiheit schafft, aber in Wirklichkeit genau erreicht, was es erreichen möchte. Diesem Leitgedanken der Außenlenkung folgend, sind die modernen Beha vioristen und Technologen des Curriculums gewiß bei J. J. Rousseau in die Schule gegangen

Die Curriculumtheorie in der Bundesrepublik ist nicht nur auf ihren psychologischen Stammbaum zu befragen, sondern auch in philosophische Bezüge einzuordnen, will man ihren umfassenden Ansatz nicht verkennen. Es geht nach Jürgen Habermas um die Herstellung einer neuen Gemeinsamkeit, um die Erzeugung von Sinn. Er schreibt, daß das Konzept des Curriculum als Chance, mindestens als Versuch zu werten ist, die Lösung der »fundamentalen Frage nach dem Fortbestehen eines für die Gesellschaft konstitutiven wahrheitsabhängigen Sozialisationsmodus" zu erleichtern

Die geistige Verwandtschaft zur Kritischen Theorie der Frankfurter Soziologen-und Philosophenschule, deren Vertreter Habermas ist, wird im Theorie-Band der Schörken-Kommission mehrfach erwähnt. Das curriculare Verfahren „nur" als eine Methode neben anderen zu sehen, deren Tauglichkeit und Brauchbarkeit zur Debatte steht, wäre eine verfehlte Betrachtungsweise. Nein, es kommt darauf an, die Welt zü verändern, wenn Habermas schreibt, daß „der Curriculumplanung die Prämisse zugrunde liegt, daß die Uberlieferungsmuster auch anders sein könnten: Die administrative Planung erzeugt einen universalen Rechtfertigungszwang gegenüber einer Sphäre, die sich gerade durch die Kraft der Selbstlegitimierung ausgezeichnet hatte" Hier kommt die Dialektik der Kritischen Theorie zum Durchbruch, auf die wir in anderem Zusammenhang noch zurückkommen. Habermas umgibt das Curriculumkonzept mit der notwendigen Mystik und spricht ihm eine sinnstiftende Funktion zu, wenn „das soziokulturelle System das erforderliche Maß an handlungsmotivierendem Sinn nicht (mehr) generiert". Die Gesellschaft leidet nach Ha-

bermas an einem Sinndefizit. Er beklagt den Konsensverfall und möchte die öffentliche Kommunikation als „herrschaftsfreien Diskurs" wiederhergestellt sehen. Die Curriculum-Planung lieferte ein Instrumentarium dazu

Nichtunvermittelt nimmt sich die Kritische Theorie der Curriculumplanung an. Uber die Bildungsplanung lassen sich die „aus ihrer Naturwüchsigkeit aufgescheuchten Traditionen" langfristig und wirkungsvoll verändern. „Sinn" ist nach Habermas eine knappe und immer knapper werdende „Ressource". So gerinnt im curricularen Verfahren die Hoffnung, das Problem der gesellschaftlich-politischen Zielvorstellungen und Werte pädagogisch zu bewältigen und alle politischen Entscheidungsprozesse letzten Endes aufklärbar zu machen: konsensual und herrschaftsfrei. Solche „Höhen" konnte Robinsohn, dessen Konzept gegenüber diesem Geistesflug an eine Lokomotive erinnert, nicht erreichen. Hoffnungslos läßt ihn die Dialektik in den Niederungen seiner „Lebenssituationen", an die es handfest anzuknüpfen gilt, zurück. Die Pädagogik wird in der Bundesrepublik Deutschland zum großen Welttheater. 4. Der Realitätsbezug ist unter der Herrschaft des Curriculum notleidend In einer Kritik des curricularen Verfahrens sollten die anthropologischen Aspekte den Vortritt haben, denn das Curriculum ist dauernd in der Gefahr, die menschliche Realität nicht so zu nehmen, wie sie ist, sondern nach vorgegebenen Konstruktionsmustern zu interpretieren. Es ist die Gefahr der „Abrichtung", die Hartmut von Hentig, den selbst ein gerüttelt Maß Schuld am Überziehen des Bildungskontos trifft, deutlich beim Namen genannt hat, „die große Abrichtung des Kindes durch das eingebaute Curriculum der totalen Anstalt Schule" die er eine Unmenschlichkeit der Gegenwart nennt. Dem Curriculum fehlt nicht nur die Nähe zum Kind und Menschen, sondern dem Verfahren würde es gut anstehen, sich auf die Frage zu besinnen, was denn Bildung eigentlich ist und wozu sie den Menschen befähigen soll. Die Antwort darauf ist durch die Erkenntnisse der Human-wissenschaften nicht leichter geworden, aber sie überhaupt nicht mehr stellen heißt, eine Bildungsplanung ohne Bildung riskieren. Was ist Bildung? Was ist der Mensch? Bert Brecht läßt 1929 seinen Chor sprechen: „Es weiß seit langer Zeit niemand mehr, was ein Mensch ist." Brecht weiß es ja denn doch; er hat ein „Bild" von ihm, seine Frage ist die Frage nach dem „Gutsein". Curriculum-Strategen sollten uns die Reflexion über ihr „Bild" vom Menschen nicht verweigern. So könnten sie sich am besten vor dem Mißverständnis schützen, ihr Menschenbild sei das der ferngesteuerten Maschine.

Der Lernbegriff ist heute so dehnbar geworden, daß er sämtliche Erziehungstatbestände abdeckt. Als pauschales Synonym für Erziehung verliert er jedoch seine Tauglichkeit und wird zur Chiffre. Wird der Lernbegriff präziser gefaßt und aus der Lernpsychologie abgeleitet, woher seine modische Verwendung stammt, sind es vor allem die Technik des Lernens, der Lernprozeß und das Lernprogramm, die das Interesse beanspruchen und erhalten. Unter der Herrschaft des curricularen Verfahrens wird das technische Lernen bevorzugt und der pädagogische Realitätsbezug notleidend. Ohne Zweifel wird Lernen durch viele Faktoren bedingt, die man nachweisen kann. Aber „wissend werden", etwas lernen hat auch viel mit eigener, nicht nachweisbarer Leistung, eigener „List", Einsicht, Erfahrung zu tun, daß ich etwas befolgen, erfüllen, ausführen, daß ich immer weiter in Sinn-und Sachzusammenhänge eindringen kann. Wie sich jemand in einer bestimmten Situation verhält, ob er den gelernten Erfahrungsschatz (die „memoria" der Alten) einbringt, wie er übernommene Bewertungen zuordnet, welche Lernquellen aus der eigenen Phantasie stammen, wie man das Schweigen „lernt" oder das Fluchen, das Autofahren oder die Liebe — wie will ich dies alles verhaltenstechnologisch nachweisen können? Kann die curriculare Methode dieser niemals ganz einholbaren Wirklichkeit des menschlichen Lernens auch nur annähernd gerecht werden? Sie kann es schon deshalb nicht, weil sie mit dem Behaviorismus die wissenschaftstheoretischen Kategorien des Operationismus übernimmt. Lernen tritt in der Curriculumtheorie auf doppelte Weise in einem stark reduzierten Verständnis auf. Einmal wird der personale Erziehungsvorgang schlechthin mit dem Lernbegriff gleichgesetzt. Zum anderen fordert die Curriculumtheorie die Operationalisierung von Lernzielen: „Durch Operationalisierung wird das Ziel eines intentionalen, also organisierten Lernprozesses in beobachtbaren Verhaltensleistungen beschrieben, also möglichst in einem , Tun'und nicht im . Denken'oder . Wissen" (NRW-Richtlinien 1/26). Das heißt, „diese Ziele beschreiben genau ein intersubjektiv beobachtbares Verhalten, das der Erfolgskontrolle unterzogen werden kann . . . Operationalisierbar erscheinen gegenwärtig nur erst Fähigkeiten aus dem Bereich des Kennens und des Transfers, nicht aus höheren Leistungsbereichen."

Diese Einschränkung läßt hoffen. Gewiß sind die Curriculumtheoretiker nicht so naiv, daß sie glauben, sie könnten die Schule lückenlos dem Operationalisierungsgebot ihrer Lernziele unterwerfen. „Derzeit" jedenfalls (NRW-Richtlinien 1/9) können wichtige Zielbereiche der politischen Bildung, z. B. Handlungsbereitschaft und Werthaltungen, nicht operationalisiert werden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, und darin liegt mehr Naivität als zulässig ist, anzunehmen, daß die Spiel-

räume des Verstehens, der Deutung, der Sinn-

und Werthaftigkeit oder der sittlichen Verantwortung und Gewissensbildung jemals mit den streng analytischen Denkmethoden der Naturwissenschaft restlos aufgedeckt werden.

Wie will ich eine Wertentscheidung rationalisieren, operationalisieren, in technifizierbare Schritte auflösen, ohne deren Wirklichkeit in unerträglichem Maße zu reduzieren?

Die Autoren der NRW-Richtlinien sind in der zweiten Auflage vorsichtiger geworden und räumen ein, daß mit zunehmender Komplexität und Problemhaltigkeit der Aufgaben des Faches Politik die Grenzen der Operationalisierung schnell erreicht seien (2/34). Daß die Erziehungswirklichkeit eine menschliche Wirklichkeit ist, deren „hartnäckige Irrationalität" (Arnold Gehlen) mit den Methoden des experimentellen Denkens überhaupt nicht oder nur unzulänglich erschlossen werden kann, ist als Begründung in den Richtlinien nicht auffindbar. „Eine lerntheoretisch stichhaltige'Unterrichtsstruktur" in der „Organisation des Lernprozesses" wird gefordert (2/34). Die hier zur Anwendung kommende Semantik zeigt mit entblößender Offenheit, wie das in Verhaltensleistungen meß-und kontrollierba-re Lernen der Richtwert ist, der den curricu-laren Verstehenshorizont definiert. Sprache ist ein zuverlässiger Index für den Realitätsbezug einer Theorie. Das Abstraktionsniveau der Curriculum-Methodologie ersteigt einsame Höhen in der Begrifflichket einer Sprache, in die man „eingeweiht" Sein muß, um sie zu verstehen. „Demokratisierung der Lernprozesse" soll über das Curriculum gefördert werden, aber die Begriffswelt ist elitär. „Sprachbarrieren" sollen beseitigt werden, aber hier werden neue errichtet. Ein Curriculum, das nicht a”ch für alle Lehre, unter den und wenigstens die intelligentesten das Ziel Schülern durchsichtig ist, verfehlt Gösta Thoma, um nur ein Beispiel herauszu-greifen, liefert geradezu komische Muster eines sprachlichen Imponiergehabes, etwa wenn es in einer Fußnote von ihm heißt: „Dabei steht Leistung als das Prinzip erfolgskontrollierten Handelns, das Zweckverwirklichung durch rationalen Mitteleinsatz intendiert. Nennen wir diese Intention die Herstellung eines . Ergebnisses'Produktion, so ist damit bereits die gesellschaftliche Produktionsverhältnisse legitimierende Kraft bezeichnet" (Theorie-Band S. 158). Thoma gehört wie Schörken zu den Autoren der NRW-Richtlinien. Letzterem gereicht es zur Ehre, daß er zu-gibt, eine solche Fachsprache müsse genau das unterstützen und fördern, was die Curriculumtheorie an der bildungstheoretischen Didaktik und den älteren Lehrplänen kritisierte und zu überwinden verspach: „Schneckengang in der Unterrichtspraxis und, unverbunden hoch darüber, Stratosphärenflug der Theorie.“

Die in den Richtlinien aufgeführte „Matrix zur Identifizierung von Unterrichtsinhalten“ (2/31) setzt die Situationsfelder des politischen Lernens und Handelns mit Handlungsintentionen (Interaktion, Kommunikation, Vorsorge, Konsum, Produktion, Mitbestimmung, Organisation) in Beziehung, um Inhalte und Themen systematisch bestimmen zu können. Der Lehrer soll mit Hilfe dieser Matrix vorhandene Unterrichtsinhalte einordnen und neue Inhalte finden, indem er die Kombinationsmöglichkeiten dieser Matrix ausnutzt und auf Interdependenzen achtet. In Wirklichkeit wird die politische Realität in eine gerasterte Bedeutungs-und Qualifikationsstruktur gezwängt, die der Gefangene ihrer eigenen Abstraktion bleibt. Die Konsequenzen für Schule, Lehrer und Schüler hat Hermann Giesecke geradezu wütend angeprangert, daß sich hier eine didaktische Theorie „überpädagogisierend“ vor die Realität schiebt und die meisten Lehrer und erst recht die Schüler wegen ihrer Kompliziertheit zur Unterwerfung zwingt: . Didaktische Konzepte aber, die die komplizierten Analysen der Sozialwissenschaften nicht vereinfachen, sondern eher noch weiter komplizieren, um dann Fragestellungen aufzuwerfen, auf die die einfache Lebenserfahrung auch auf direktem Wege kommen würde, scheinen mir überflüssig zu sein. Sie können 0 ektiv nur dazu dienen, die Wichtigkeit des Lehrers im Unterricht an der falschen Stelle zu eweisen und die Schüler von vorneherein n eine irreversible intellektuelle Ohnmacht diesem gegenüber zu versetzen."

— 5. Schule ist nicht der Ort für Verhaltenstraining oder Indoktrination Das Gegenteil dessen, was erreicht werden soll, wird erreicht. Die curricularen Ansprüche werden nicht nur hier nicht eingelöst. Die wohl ärgste Täuschung liegt darin, die Schule in unserem freiheitlich-pluralistischen Staat könne überhaupt gegenwärtiges und künftiges Verhalten mittels einer zentralen Lehrplanpolitik bestimmen. Giesecke, der sich selbst als Anwalt des Curriculumkonzepts der Richtlinien bezeichnet und mit seiner Didaktik der politischen Bildung für die progressiv-emanzipatorische Seite spricht, liefert zu diesem Punkt die treffsicherste Kritik, die vorliegt und kurz referiert werden soll:

Kann Schule überhaupt leisten, was der curriculare Leitbegriff des „Verhaltens" in der Lernzieltheorie ihr abverlangt? Giesecke verneint diese Frage kategorisch. Die Schule habe hinsichtlich der Unterrichtsorganisation nicht aufs Verhalten zu spekulieren, sondern ihre Chancen bestünden im systematischen Unterricht, eigene Erfahrungen konfrontiert zu sehen mit Erfahrungen anderer, aber auch solchen, die sich literarisch oder politisch niedergeschlagen, in Institutionen, Verfahren und Regeln, in Ideologien und wissenschaftlichen Theorien objektiviert haben. Es geht nach Giesecke um das Verstehen von Zusammenhängen, „den Schülern für die Verbesserung (im Sinne einer . Berichtigung') ihres Bewußtseins und ihrer Vorstellungen optimale Bedingungen und Möglichkeiten anzubieten". Es hieße jedoch, die schulischen Möglichkeiten überschätzen und die wirklichen Chancen unterschätzen, wenn Schule die politische Sozialisation ihrer Schüler „machen" soll im Sinne einer gezielten, unmittelbar angestrebten Verhaltenssteuerung und -änderung. Weil Schule eben nicht das „Leben" sei, bleibe der Sprung vom Bewußtsein zum konkreten Verhalten in konkreten Situationen für alle Beteiligten, Schüler eingeschlossen, „unkalkulierbar und somit auch unplanbar, und wäre er planbar, dann hätte die Schule dazu nicht die geringste Legitimation .. . Das Verhalten der Schüler, ihr künftiges und gegenwärtiges, geht im ganzen weder den Staat noch die Schule etwas an, sofern es sich nicht um Verhalten innerhalb der schulischen Arbeitskommunikationen handelt. Zu einem bestimmten außerschulischen (z. B. politischen) Verhalten zu erziehen, sind nur politische Partikularitäten befugt, denen man sich freiwillig anschließen kann.“

Die Curriculumtheorie zu verdächtigen, sie wolle die Welt des Erzieherischen auf dressierbares Verhalten reduzieren, trifft nicht das Problem. Die Komplexität der Phänomene wird auch seitens der Curriculumtheorie nicht geleugnet. Vielmehr ist es die Konditionierung des pädagogischen Denkens, das Vorgebahntsein durch Kategorien, woraus sich ein geschlossens System von Rechtfertigungsstrategien ergibt, das den Erziehungsauftrag verkürzt und verstümmelt. Diese Theorie hat etwas Rezeptartiges, das übergestülpt wird. Daß sich nur ein kleiner Rest durch „Verhaltensweisen" oder deren logische Operationalisierung nachweisen läßt, stört die Theorie nicht, diesen Rest zum Hauptprogramm zu machen. Das Spektrum des Lernens und Lehrens sollte jedoch so breit und so offen wie möglich gehalten werden. Lernen ist zu wesentlichen Teilen ein dialogischer Vorgang in der Begegnung von Person zu Person. Im curricularen Spektrum ist für dieses Lernen kaum ein Platz.

Insofern Lernen einseitig auf Verhalten abgehoben wird, um nochmals Giesecke zu zitieren, wird auch die Außenwelt nur als Verhalten zugänglich gemacht und die Suche nach dem, was jenseits des Ideologieverdachts die gemeinsame „Wahrheit" sein könnte, gar nicht erst erprobt. Was verpaßt wird, ist die „Versachlichung“ der Tatbestände und das Verstehen fremder Erfahrungen und Erklärungsmodelle. Wenn hingegen die Erklärungen anderer nur eine interessenbedingte Ideologie sind, werden sie allenfalls als faktisch Vorhandenes toleriert, aber die geistige Auseinandersetzung findet nicht statt Das „richtige" Verhalten könnte die eigene Borniertheit nicht besser legitimieren.

6. Der Lehrer wird zum Vollzugsorgan der curricularen Strategie

Der curriculare Ansatz in der Unterrichtsgestaltung ist auch kritisch auf seine Begründungszusammenhänge zu befragen. Wer oder was legitimiert die normativen Entscheidungen in der Setzung von Lernzielen, die langfristige Prozeßabläufe geistiger und politischer Art vorstrukturieren und für die Gestalt des künftigen Bürgers in unserem Staat von großer Tragweite sein können? Ob es Rahmen-richtlinien und Curriculumstrategen jemals gelingt, was sie sich vornehmen, steht auf einem anderen Blatt. Daß es sich jedoch um politische Setzungen handelt und diese Entscheidungen mit keiner anderen Legitimation als eben dieser politischen auftreten können, macht das curriculare Verfahren nicht deutlich. Es umgibt sich mit der Aura wissenschaftlich erhärteter Legitimationen und beteuert mit Augenaufschlag, die Lernzielkataloge gäben nicht die geringsten Hinweise darauf, wie der Unterricht tatsächlich angelegt und durchgeführt werden soll. „Stofflich" räume der curriculare Unterricht dem Lehrer einen viel größeren Spiel-und Freiheitsraum ein als es frühere Lehrpläne erlaubten Tatsächlich wird jedoch mit vorweg festgelegten Lernzielen das Ergebnis des Lernprozesses in allen Details vorprogrammiert. Allem Anschein zum Trotz ist das curriculare Verfahren kein freies, freiheitlich-offenes Verfahren. „Sie (die Curricula) sind zentral reglementiert, d. h., sie werden als fertige Produkte von einer weisungsbefugten Behörde für die Schulen des Landes verordnet; sie sind umfassend formalisiert, d. h., die Anweisungen eines Curriculum sind relativ detailliert und standardisiert und erlauben wenig Abweichung; sie sind zweckrational legitimiert...“ Nicht umsonst spricht die amerikanische Curriculumtheorie von „Lehrer-sicheren", teacher-proof curricula. Der Lehrer wird zum Vollzugsorgan der Strategie, zum Organisator des Lernens, zum Sozialingenieur, zum Neutrum. Das Fatale liegt darin, daß es trotzdem ohne Wertungen nicht geht, daß sie jedoch nicht offen ausgewiesen sind und eine umfassende Pluralität der Lernziele gewährleisten. Das curriculare Verfahren hat auf jeden Fall eine Beschneidung der Lehrund Lernfreiheit zur Folge, die sich negativ unterscheidet von den Grenzziehungen älterer Stoffdarbietungen und Lehrpläne. Die NRW-Richtlinien setzen beim „Endprodukt" an, nämlich den Verhaltensweisen, aber es ist zu viel und gleichzeitig zu wenig, um ein wirkliches „Studieren" von Sach-und Sinnzusam menhängen zu ermöglichen. Giesecke sieht nur eine einzige Lösung dieses Problems, daß eben auf die Verfügung über die „Endprodukte" verzichtet wird. Hanna-Renate Laurien, Staatssekretärin im Kultusministerium Rheinland-Pfalz, vertritt die Auffassung, daß Rah menrichtlinien, die von einem „obersten Lernziel“ alle Inhalte und Lemfelder ableiten, selbst dann auch ihre erzieherische Aufgabe verfehlen müßten, wenn dieses Lernziel dem Grundgesetz entnommen sei: „Nicht das Lernziel selbst, sondern seine Vereinzelung, seine Verabsolutierung sind von Übel."

Was immer man auch für oder gegen ältere Lehr-und Bildungspläne vorbringt, so war doch der Grad ihrer relativen Unverbindlichkeit ihre Chance. Zunächst einmal ändert sich unter der curricularen Methode der kultusministerielle Einfluß „von oben", das heißt, es vergrößert sich der Staatseinfluß auf die Inhalte des Unterrichts. Um so dringlicher stellt sich die Frage, ob durch Regierungs-oder Verwaltungsakte einer Ministerialbürokratie die Legitimierung so einschneidender Lernzielbestimmungen genügend abgedeckt ist. Müßten nicht hier die Parlamente stellvertretend eine Willensbildung herbeiführen? Das wäre noch keine Garantie, daß nicht auch die Gesetzgeber auf das pseudowissenschaftliche Geflitter der Curriculumtheorie hereinfielen, aber die Eilfertigkeit wäre unterbunden und die Öffentlichkeit aufgefordert, die Verletzungen des Pluralismusgebots beim Namen zu nennen und zu fragen, „ob und inwieweit das überwältigungs-und Indoktrinationsverbot das Konzept des Curriculum selbst berührt"

Wenn die Erziehungswissenschaft ihren Sachverstand an die Politik verrät, begibt sie sich auf Irrwege. Das curriculare Verfahren beweist es. Eihe „Wissenschaft" ist die Pädagogik nur im begrenzten Sinn, insofern sie ohne Wertungen und die personale Zuwendung nicht auskommt. Als ständiges Warnsignal in lernzielorientierten Unterrichtsmodellen müßte eingebaut sein, die Vorläufigkeit und Begrenztheit der wissenschaftlichen Erkenntnis zu bedenken, die Aufmerksamkeit offenzuhalten für die Unbegreiflichkeit dessen, was wir „das Ganze" nennen, Mißtrauen zu erzeugen gegenüber jedem Anspruch, die erklärende Formel für die Erziehung gefunden zu haben.

Dieses Konstituens der geistigen Offenheit vermissen wir im curricularen Verfahren, das auf die „Machbarkeit" eingeschworen ist. Verplanung des Lernens: Verplanung des Menschen? Diese Angst ist doch wirklich nicht unbegründet. „Wenn das Vorhaben gelingt", schreibt Johannes Flügge, „werden diese erstrebten Lehrpläne Instrumente einer autoritären Leistungs-und Verhaltensdressur, gleichgültig, welche Absichten diejenige Macht hat, die sie in Händen hat." Die soziale Mannigfaltigkeit soll in ihrem bisherigen Umfang einem Einheitssystem unterworfen werden, und ebenso soll das einzelne Glied der Sozietät in seinem Denken und Verhalten dem Einheitssystem konform gemacht werden: das verdient keinen anderen Namen als . totalitär". Es mag nicht so gemeint sein, es mag in der besten Absicht geschehen, das geistige und politische Potential curricular zu entfalten. Aber es bleibt, daß der Mensch dies lernen muß; er muß es und hat ganz einfach keine andere Wahl. Es bleibt, was die SPD in ihrem Modell für ein demokratisches Bildungswesen (Januar 1969) zutreffend ausspricht, „daß mit der Festsetzung der Lernziele entschieden wird, was diese Gesellschaft sein soll“. Womit sich der Kreis wieder schließt: Wer setzt die Lernziele? Dies ist, wie man sieht, zuerst keine pädagogische Frage, sondern eine politische. Deshalb ist das curriculare Verfahren nur ein sehr begrenzt taugliches Instrument, weil wir nicht die politische Konditionierung und Abrichtung suchen, sondern dem (jungen) Menschen dazu verhelfen möchten, daß er wahrhaft Mensch wird.

II. Emanzipation und „kritische" Gesellschaftstheorie

1 . Der Emanzipationsbegriff bündelt sich in viel Widersprüchliches und schillert in allen Farben Emanzipation ist im curricularen Verfahren ds oberste Lernziel. Zwar betonen die Autoren der NRW-Richtlinien, Emanzipation sei nicht oberstes Lernziel in dem Sinne, daß aus ihm die Qualifikationen oder Lernziele abgeleitet würden, sondern die Emanzipation sei* der oberste Richtwert für die Beurteilung von Lernzielen und Instrumenten ihrer Auswahl. Ob Richtwert oder Lernziel — es dürfte sich jedoch kaum etwas daran ändern, daß „für den Politik-Unterricht der Sekundarstufe aus den Freiheitsrechten des Grundgesetzes ein kritisch-emanzipatorisches Verhalten als leitendes Prinzip abgeleitet und besonders betont worden" ist (Richtlinien 2/6). Auch in anderen Fächern und Lernbereichen sei diese Zielsetzung von Erziehung und Unterricht aufzunehmen und zu ergänzen, schreibt Kultusminister Girgensohn im Vorwort der zweiten Auflage.

Die Auflage war nicht zimperlich in der erste Definition: „Emanzipation als Ziel von politischem Lernen heißt, die jungen Menschen in die Lage zu versetzen, die vorgegebenen gesellschaftlichen Normen anzuerkennen oder abzulehnen und sich gegebenenfalls für andere zu entscheiden* (1/7). Diese radikal-naßforsche Sprechweise hatte den Richtlinien schwere Vorwürfe einer „Distanzienmgskultur'und „Selbstbestimmungs-Hochstapelei* (Hermann Lübbe) eingebracht. Die zweite Auflage ist vorsichtiger und will die jungen Menschen in die Lage versetzt wissen, „die Werte und Institutionen ihrer Gesellschaft zu verstehen und die Bereitschaft zu entwickeln, sie frei und selbstverantwortlich anzuerkennen, sich für sie einzusetzen oder Veränderungen anzustreben“ (2/9).

In den Richtlinien gibt es nach Walter Gagel eine Region von politischer Entscheidung über Werte, wie er es nennt: „Sie enthalten eine Option für die Emanzipation im Sinne von Selbstbestimmung, welche im gesellschaftlichen Leben auch als Mitbestimmung realisiert wird. * Diese Leitidee „Emanzipation* habe eine regulative Funktion: „Sie determiniert Unterricht nicht, sondern reguliert ihn. * Sie kennzeichne das Erkenntnisinteresse, das die Analyse der gesellschaftlichen Situation bestimmt. Sie sei schließlich der Kontrollmaßstab für die Frage, ob das jeweilige Lernen einen Gewinn in Richtung auf Selbst-und Mitbestimmung vermittelt

Was aber, wenn diese Frage verneint wird? Solche Erziehungsziele scheiden aus, wie es bei einer definitiven Wertsetzung kaum anders sein kann. Damit sind die Würfel für die Emanzipationspädagogik und keine andere gefallen. In diesem Punkt ist Klarheit gewonnen, nicht jedoch, was den Begriff der Emanzipation selbst betrifft. Schuld daran sind nicht die Autoren, sondern der Begriff bündelt in sich viel Widersprüchliches.

Die Revision der Richtlinien hat zwar eine abgewogenere Formulierung des Emanzipationsbegriffs gebracht; aber in den Qualifikationen schillert er auch weiterhin in verschiedensten Farben: „Verweigerung, Nichtmitmachen (Rückzug in den Privatbereich), Sich-wehren, Setzen von Alternativzielen, Entwurf von Veränderungsmethoden, Durchsetzung von Reformentwürfen, Veränderungsversuchen revolutionärer Art.“ Aber dann steht im folgenden Passus, daß in dieser Qualifikation jene Möglichkeiten ausgeschlossen seien, die zur Entpolitisierung „oder zur Radikalisierung führen“. Ungehorsam könne zur Pflicht werden, die „jedoch auch die Konformität als eine stabilisierende Eigenschaft einer Gesellschaft grundsätzlich akzeptiert" (2/15).

Was soll denn nun gelten? Soviel Anpassung wie nötig, soviel Widerstand wie möglich? Mit solchen Leerformeln werden die Ungereimtheiten, die dem jungen Menschen in den Kopf gesetzt werden, nur übertüncht Der Tübinger Soziologe Günter C. Behrmann schreibt dazu: Das Leitbild der Richtlinien sei wohl kaum jener „Staatsbürger, der sich mit der politischen Verfassung und dem politischen Institutionsgefüge unserer Gesellschaft aus vernünftiger Einsicht identifiziert, sondern der scheinbar sozialwissenschaftlich aufgeklärte Partisan der Emanzipation, der sich in ihr listenreich behauptet. Er entstammt dem kurzfristigen Verhältnis, das die kritische Theorie und die Studentenbewegung miteinander eingingen, weshalb er auch ungleich voluntaristischer und aktionistischer ist als die kritische Theorie.“ Emanzipation ist keine empirisch-rationale Kategorie. Dieses Erziehungsziel erinnert eher an ein . Tugendgeflecht“. Der Begriff hat etwas Schwebendes. In den Ton leiser Empörung mischt sich die Qualität eines Versprechens. Es gilt für die Emanzipation, Was Theodor W. Adorno von der Philosophie sagt sie „ließe, wenn irgend, sich definieren als Anstrengung, zu sagen, wovon man nicht sprechen kann“

Ist diese Vagheit konstitutiv für den Begtil der Emanzipation? Seine Verwendbarkeit für den pädagogischen Bereich und die Entwicklung unserer Gesellschaft ist durch seine Zwiespältigkeit in Frage gestellt. Robert Spae mann führt sie darauf zurück, daß Emanzipation, ursprünglich ein Rechtsbegriff, aus der Rechtssphäre herausgelöst und mit seinen Forderungen der Mündigkeit „verinnerlicht“ worden sei. Als Rechtsbegriff bezeichnet Mündigkeit eine Eigenschaft, die in vergleichbare Relationen gesetzt werden kann. Mündig ist ein Mensch, wenn er seine Rechts-geschäfte ohne fremden Willen selbst regeln kann. Emanzipation bedeutet hier eine ganz bestimmte, konkrete Freiheit von etwas, bezogen auf einen Zustand der Unfreiheit. Der Umschlag erfolgt, wenn es nunmehr um die innere Verfassung und Freiheit von Personen, Gruppen, Schichten geht, um die Zurückweisung von moralischer oder geistig-politischer Bevormundung, womit der Begriff aus der rechtlichen Sphäre ausgleichender oder verteilender Gerechtigkeit herausgerissen, psychologisch verinnerlicht oder geschichtsphilosophisch ausgeweitet wird. Es tritt hinzu, daß Emanzipation ursprünglich eine Abgrenzung zweier Rechtszustände durch einen einmaligen Rechtsakt bezeichnet hat. Jetzt wird daraus ein Ideal, das den Weg angibt; der Begriff wird zum Prozeß, dessen Ende nicht abzusehen ist, wobei auch die Grenzen zwischen Mündigen und Unmündigen fließend geworden sind. Dabei kann eintreten, daß dort, wo das emanzipatorische Lernen zur Pflicht erhoben wird, die Verletzung dieser Pflicht zu Nachteilen führt, weil die Politik gleichsam den erzieherischen Prozeß fortsetzt und insoweit den rechtlichen Status der Mündigkeit wieder aufhebt. Mit anderen Worten: Unpolitischsein ist nicht statthaft, „Entpolitisierung“ wird nicht nur nicht geduldet, sondern ist genau so verwerflich wie „Radikalisierung“ (Richtlinien 2/15). Die Affinität zur Erziehungsdiktatur braucht man nicht erst bei Herbert Marcuse nachzulesen. 1 Eindeutigkeit gewinnt die Emanzipationspädagogik als „sozialistische Alternative“

Es geht nach Herbert Bath in seiner Studie . Emanzipation als Erziehungsziel?“ um die Fortsetzung der Pädagogik mit politischen Mitteln sowie um die Fortsetzung der Politik mit pädagogischen Mitteln zum Ziel der vollommenen Demokratie und des neuen Mensehen: „Im Begriff der Emanzipation als Prozeß gehen Pädagogik und Politik ineinander U er in dem Sinne, daß Pädagogik zur politi-SC en und Politik zur pädagogischen Ideolo-gie wird. Während Pädagogik ein Mündigkeitsideal konstitutiert, das sie nicht mehr mit ihren eigenen Mitteln einlösen kann, sondern vom Umschlag der gesellschaftlichen Verhältnisse erhofft, bis zu dem alles Erreichte zwangsläufig im Umkreis von Unmündigkeit bleibt, tut Politik ein gleiches, indem sie Zielvorstellungen entwirft, die mit den Mitteln der gesellschaftlichen Veränderung, etwa durch Sozialisierung der Produktionsmittel, nicht realisiert werden können, sondern die Umgestaltung des Menschen durch Erziehung zum neuen Menschen voraussetzen.“

Man fragt sich angesichts dieser Perspektiven, ob der Emanzipationsbegriff für die Pädagogik noch zu retten ist. Die Autoren der nordrhein-westfälischen Politik-Richtlinien unternehmen diesen Versuch am untauglichen Objekt. Deshalb hat auch die stilistische Kosmetik der zweiten Auflage die erwähnte Ambivalenz des Emanzipationsbegriffs zwischen Anpassung und Widerstand, Konsens und Systemüberwindung, Politik und Utopie nicht aufgehoben. Die neuen Richtlinien haben ohne Zweifel in dem Teil, der das Verhältnis des Politik-Unterrichts zu Verfassung und Rechtsordnung beschreibt, unmißverständliche Eindeutigkeit gewonnen. Dieser Teil fehlte vorher als Ganzes. Der Kontrast zu den emanzipatorischen Lernzielen ist jedoch dadurch noch verschärft worden. überzeugende Eindeutigkeit gewinnt der Emanzipationsbegriff nur, wo eine ganz bestimmte Welt-und Gesellschaftserklärung, nämlich die marxistisch-sozialistische, ihn zum Kampfbegriff umfunktioniert. Ein Beispiel dafür ist Hans-Jochen Gamms „Kritische Schule“, in der programmatisch für „die sozialistische Alternative“ geworben und Emanzipation verstanden wird „als politische und soziale Selbstbefreiung des lernenden Menschen, um diesen zu befähigen, sich von den bürgerlichen Lebens-und Herrschaftsformen kühn und endgültig zu distanzieren und neue, seinen Bedürfnissen entsprechende gesellschaftliche Muster zu erproben“ Entspre- chend ist der junge Mensch „zu begaben*, das heißt, dieser Erziehung fällt „die Aufgabe zu, in der heranwachsenden Generation das Potential gesellschaftlicher Veränderung hervorzubringen“ Hier weiß man wenigstens, woran man ist. In dem Band „Erziehung in der Klassengesellschaft", der von Mitarbeitern der Abteilung Erziehungswissenschaften der Frankfurter Universität erstellt wurde, heißt es zur emanzipatorischen Erziehung, sie sei kein pädagogischer Grundbegriff, „sondern die sozialwissenschaftlich fundierte Theorie des politischen Kampfes. Sie steht auf der Seite der Unterdrückten." Worauf die gebetsmühlenhaften Phrasen von der Systemüberwindung folgen An entschiedener Zielgerichtetheit läßt diese „Emanzipation" für die Klassengesellschaft nichts zu wünschen übrig.

Von einer ganz anderen Seite unternimmt Bernhard Fluck, Mitglied der NRW-Richtlinienkommission, den Versuch einer Domestizierung des Emanzipationsbegriffs. Emanzipation, so definiert er mit Giesecke, habe den „für Veränderungen disponiblen Menschen“ im Blick. Der Tendenzgruppe, die den neomarxistischen Ansatz streng durchhält, stellt Fluck eine andere gegenüber, „der bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit unserer Gesellschaftsordnung der . kritische'Ansatz als eine Methode dient, um mit ihrer Hilfe noch bestehende Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft auf reformerischem Weg abzubauen" Man fragt sich allerdings, wie dieser „kritische" Ansatz auf Schule übertragbar ist, und ob der Autor nicht erheblich die Sogwirkung des Emanzipationsbegriffs unterschätzt. Er dürfte schwerlich aus seiner derzeitigen ideologischen Befangenheit herauszulösen sein. 3. Die Kritische Theorie von Habermas mit ihren Begriffsrastern wird als Fertigware übernommen

Geistig haben wir besetztes Gebiet vor uns, wenn wir Emanzipation als pädagogischen Begriff aufnehmen. Eine ganz bestimmte Philosophie füllt diesen Begriff inhaltlich, und zwar die Kritische Theorie der Frankfurter Schule mit Namen wie Habermas, Adorno, Horkheimer. Die neuen Curricula Hessens oder Nordrhein-Westfalens wären ohne diese geistige Patenschaft, zu der man sich bekennt nicht denkbar. In den Curricula selbst wird diese geistige Anleihe jedoch kaum diskutiert. Das Bewußtsein der eigenen Bedingtheit fehlt. Daß Theorien durch Reflexion auf die eigenen Voraussetzungen relativiert und daß sie mit der jeweiligen Interessenlage vermittelt werden, hätten die Curricula gerade von der Kritischen Theorie lernen können, aber anstelle einer Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaftstheorie werden ihre Prämissen und Begriffsraster wie Fertigware übernommen.

Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule befaßt sich mit Krisenerscheinungen des so-genannten Spätkapitalismus im Stil einer Philosophenschule, die von der Aufklärung, dem deutschen Idealismus Hegels und der marxistischen Gesellschaftsanalyse ihre stärksten Impulse bezieht. In jüngster Zeit ist eine Krisenerscheinung nach vorn gerückt, die Jürgen Habermas als „Legitimationskrise'beschreibt Habermas sieht die Systeme des Spätkapitalismus unter einen Rechtfertigungszwang gestellt, seien sie doch immer weniger in der Lage, ihre Normen und ihr So-und-nicht-anders-Sein vor sich selbst und vor den von ihnen Beherrschten zu legitimieren. Der selbstverständliche Konsens über das, was gültig ist, sei geschwunden.

Daraus ergibt sich, daß es heute keine Normen, Institutionen und vorgegebenen Werte gibt, die ungefragt angenommen werden können. Diese Habermassche Maxime bricht in den Rahmenrichtlinien Hessens und Nordrhein-Westfalens geradezu aus allen Poren. Die Hinterfragung aller Werte sieht sich von der Überzeugung getragen, daß die spätkapitalistischen Systeme nur mit Hilfe der verschleiernden, legitimierenden Ideologien ihre Herrschaft aufrechthalten und fortentwickeln können, überwindbar sind sie folglich nur, wenn dieser Schleier zerrissen wird, wenn die unüberbrückbaren Grundwidersprüche des Kapitalismus im soziokulturellen Bereich bewußt gemacht werden in dieser neuen Strategie der Ideologiekritik, die sich von der marxistischen nur in Nuancen unterscheidet. Es geht, wie man sieht, um die Wahrheit und den Sinn. Wissenschaft ist hier nichts mehr, aber Philosophie alles, um nicht zu sagen: Glauben. Es handelt sich um ein höchst spekulatives Denken von der Gesellschaft, das die Ohnmacht des einzelnen aufdeckt. Die Menschen sind dem System und seinen raffinierten Täuschungen erlegen. Sie stehen, wie Adorno sagt, in seinem Bann und sind falsch in sich konstituiert. Und wie ist dieser Teufelskreis zu durchbrechen? Wie lassen sich die Interessen der Herrschenden entlarven? Das Wissen muß „emanzipatorisch" sein. Es muß die gesellschaftliche Situation „richtig" diagnostizieren können. Es muß für Freiheit und Selbstbestimmung, aber gegen die Herrschaft argumentieren. Herrschaft ist für die Kritische Theorie eine verwerfliche, zu überwindende Erscheinung. Sie ist synonym mit dem kapitalistischen System der Ausbeutung, Täuschung, Entfremdung.

Woher aber soll das befreiende Wissen, woher soll die dem Herrschaftsanspruch entgegenstehende Vernunft kommen? Habermas konstruiert zu diesem Zweck die „ideale Sprechsituation“ oder „den herrschaftsfreien und uneingeschränkten Diskurs", in dem sich jede Übereinkunft, jede Norm, aber auch jedes Interesse angeblich vernünftig und frei entscheiden läßt. Er konstruiert ein durchgehendes Interesse an Mündigkeit. Der einzelne habe ein „emanzipatorisches Erkenntnisinteresse", das ihn auf Vernünftigkeit, auf seine eigene Wahrheit schlechthin verweist. „Wahr" ist somit, was herrschaftslos ist, was im allgemeinen Konsens liegt, was nicht mehr Ideologie ist, die „Gegeninstitution schlechthin“, wie Habermas sagt. 4. Dem Schüler wird eine befremdliche Distanzierungskultur angetragen Im Grunde läuft diese Gesellschaftstheorie darauf hinaus, alle Gedanken, Handlungen und Zielvorstellungen, die nicht auf die Befreiung, sprich: Emanzipation des Menschen von unserer derzeitigen Gesellschaftsform gerichtet sind, zu diffamieren, alle geltenden Normen, die als Moral, Recht oder Institutionen anerkannt sind, zu verflüssigen. Sie sind Unterdrückungsmittel und somit unverbindich, überfällig, sturmreif geworden. Man braucht jetzt nur die emanzipatorischen Curricula mit ihrer Begrifflichkeit, Lernzielsetzung und Pädagogik heranzuziehen, um den rappanten Gleichschritt festzustellen, wie aus der Rezeption bei gleichzeitiger Revision e marxistischen Gesellschaftsanalyse das curriculare Grundgerüst entstanden ist.

Die Habermasschen Denkspiele einer „herrschaftsfreien" Zukunft bleiben im Unbestimmten. Das hindert die Emanzipatoren nicht daran, mit dem Siegel höchster Vernünftigkeit eine handfeste, antikapitalistische Erziehungsphilosophie in unsere Schulen zu transportieren, alle jene Interessen und Institutionen als „partikulär" und repressiv zu bekämpfen, die nicht nach ihrem politischen Geschmack sind. Die Emanzipationspädagogik erweist sich auf diesem Hintergrund der Motivation als böser Betrug, weil sie einen Begriff der Selbstbestimmung hypostasiert, der angesichts bestehender Problem-und Herrschaftszusammenhänge sehr wirklichkeitsfremd anmutet. Statt den Schüler zur Identifizierung mit den erprobten Formen demokratischer Herrschaft und Rechtsstaatlichkeit zu erziehen, wird ihm eine befremdliche Distanzierungskultur angetragen. Kritiker der Emanzipationsideologie wie Thomas Nipperdey, Hermann Lübbe oder G. C. Behrmann haben zu zeigen versucht, wie der junge Mensch zu einer Verschätzung der Realitäten verführt wird, so zu dem Glauben, die problematischen Folgen von Technik, Wissenschaft, Bürokratisierung, Politik ließen sich durch eine Art von Praxis überwinden, die nicht wiederum die Praxis technischen Handelns, wissenschaftlichen Forschens, der Verwaltung und der politischen Entscheidungen in spezifischen Situationen sei. Behrmann weist darauf hin, wie Probleme der Verfassung einer politischen Gesellschaft zunächst und vor allem sich als Probleme der Institutionen und der Institutionalisierung darstellen. Deshalb sei politische Theorie seit jeher Institutionentheorie gewesen. Hier treffe Habermas nicht zu Unrecht der Vorwurf eines unpolitischen Politikverständnisses

Das hat sich in den Curricula niedergeschlagen. Das Ausmaß des Politik-Unterrichts ist schon rein physisch, das heißt, stundenmäßig kaum zu bewältigen, es sei denn, die Schule betreibt vom Musikunterricht bis zur letzten Turnstunde „Emanzipation". Das Ausmaß ist auch politisch zur Überdosis geworden. Soweit sie politisches Interesse zu wecken sich vornehmen, dürften solche Curricula eher Überdruß am politischen Geschäft als Verstehen hervorzurufen geeignet sein, es sei denn, der Zögling konvertiert im frühen Alter zum habituellen Ideologen.5. Eine spezifisch deutsche und „dicke Metaphysik"

mit ihrer Kritik des Ganzen Der erwähnte Zug „zum Ganzen" ist im emanzipatorischen Denkansatz enthalten und verweist auf . Hegels Geschichtsphilosophie. Sie verfügt über eine abschließende Sicht der Totalität. Sie erhebt den Anspruch auf ein Wissen vom Ganzen. Horkheimer und Adorno verwerfen den Hegelschen Geschichtsoptimismus, ohne sich von der marxistischen Analyse, die auf Hegels Dialektik beruht, abzuheben.

Im Marxismus wird Hegel zwar „vom Kopf auf die Füße gestellt", aber durch die Übernahme des Zentralbegriffs der Dialektik, der die Welt als Prozeß sieht, waren die von Hegel ausgehenden Wirkungen entscheidend. In Hegels „absolutem Idealismus“ kommt dem Allgemeinen, das alles einzelne (und den einzelnen Menschen) umfaßt, die Priorität zu. Jenes Bewegungsgesetz, das im Dreitakt von der Setzung (Thesis) über die Negation (Antithesis) zu einer alles übergreifenden, aufhebenden, vermittelnden Lösung (Synthese) und Erlösung führt, gibt dem marxistischen Denken die ausgeprägte Dynamik, die so viele Geister anzieht. Es ist die Vorstellung einer ständig werdenden Welt, eines werdenden Gottes auch, die zugleich der Ausdruck der höchsten Vernünftigkeit und Wissenschaftlichkeit ist. Ernst Blochs Faszination mit der Welt des Noch-nicht-Sein, die aus der Hoffnung über die Utopie zur neuen Wirklichkeit, zur neuen Gesellschaft strebt, nimmt von Hegel und Marx gleichermaßen ihren Ausgang. In der Vorrede zu Hegels „Phänomenologie des Geistes" steht die Bemerkung, die Philosophie müsse „sich hüten, erbaulich sein zu wollen“. Diese Sorge braucht die Kritische Theorie nicht zu haben. Ihre apokalyptischen Ausdeutungen des gegenwärtigen Krisenzustandes unserer Gesellschaft verbinden sich mit jüdischem Messianismus, dessen alttestamentliche Prophetie als säkularisierter Fortschrittsglaube durchbricht. Die Welt liegt im argen. Alles was besteht und gesetzt ist (Thesis), muß überwunden werden durch die Negation. Erst die „Negation der Negation" (Herbert Marcuse) bringt das ganz andere hervor, ob sich das nun als klassenlose Gesellschaft, als Marcusesches „Glück" oder als Habermassches idealisches Konstrukt eines herrschaftsfreien Diskurses entfaltet. Deshalb konnte Adorno ein Hegel-Wort umkehren, daß das „Ganze das Unwahre" sei. Womit denn auch alle Sorge um politische Details aufgehoben ist. Weil das Bild so düster ist, lohnt es auch nicht mehr, an den Symptomen herumzukurieren, sondern das Übel muß an der Wurzel, es muß radikal beseitigt werden soll der „Bann" gebrochen werden.

Eine spezifisch deutsche und „dicke Metaphysik" wird in der Kritischen Theorie zu einer innerweltlichen Heils-und Erlösungslehre gemacht. Der Weg dorthin geht über Emanzipation und emanzipatorisches Bewußtsein. Er nimmt seinen Ausgangspunkt vom Schlechten und Negativen, von der „Kritik" des Ganzen. Horkheimer sagt in den „Notizen 1950 bis 1969", worauf seine Kritische Theorie beruhe, nämlich auf der Überzeugung, daß das Schlechte sich bezeichnen lasse, nicht hingegen das Gute. Horkheimer verweist in diesem Zusammenhang auf das jüdische Verbot, Gott darzustellen, und dies bedeute, daß eine Bestimmung des Absoluten unmöglich sei. Das Gute artikuliert sich gewissermaßen nur im Widerstand gegen den Lauf der Welt, kann nur als der Versuch, das Negative zu erkennen und zu bekämpfen, definiert werden. Dabei ist Horkheimer pessimistischer als Marx. Die Jahre vor seinem Tod (1973) hat er die Nichtigkeit des Menschen, die tiefe Sinnlosigkeit der Geschichte — „Es gibt keinen Gang der Geschichte, es sei denn, der ins Verderben" — offen bekannt.

Horkheimer übernimmt in seinem späten Werk den Pessimismus Schopenhauers, in Trauer über das nicht wiedergutzumachende Unrecht der Vergangenheit, zugleich in der Vorahnung, daß die Welt einem Unheil zu-treibt. Trotzdem bleibt er in seinem „Materialismus" eingesperrt, wenn er glaubt, die Menschen könnten das Unheil nur abwenden, wenn sie die Erkenntnis von der fundamentalen geschichtlichen Rolle der ökonomischen Verhältnisse gewinnen.

Horkheimer akzeptiert keine Verbindlichkeit für die moralischen Gebote, sondern auch sie sind durch die ökonomische Situation und die aus ihr hervorgegangenen Interessen bedingt, also jederzeit aufhebbar. Wahrheit ist gleicherweise als Prozeß durch die Gesellschaft vermittelt. Philosophische Wahrheit fordert, „daß in die Gedanken das Bewußtsein von ihrer gesellschaftlichen Rolle hineinspielt Wahrheit erscheint demnach als das sich seiner selbst bewußt gewordene Vernunftinteresse an Emanzipation, einer normativen Kra t, die eine „rätselhafte Übereinstimmung zW sehen Denken und Sein“ aufweist. So ä sich also, weil das Ziel einer vernünttigen Gesellschaft in jedem Menschen wirklich an gelegt ist, mit Hilfe des „richtigen" Denkens die Idee der vollkommenen Gesellschaft en hüllen. Deren Ausmalung verbietet ihm 3 biblische Bilderverbot, auf das er und Ador sich berufen. Jedenfalls ist es eine Gesellschaft der emanzipierten Menschen

Horkheimer hat seine Theorie auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Barbarei, die ihn ins Exil trieb, in entscheidenden Punkten abgewandelt. „Daß die Realität mit Notwendigkeit, wenn nicht unmittelbar das Gute, doch die Kräfte erzeuge, die es verwirklichen können, daß der furchtbare Geschichtsverlauf das Endziel nicht vereitle, vielmehr auf es hinarbeite", dieser Glaube Horkheimers schlägt um in Angst vor neuem Unheil Woher kommt es, daß dieser sensible Denker die Auswege immer stärker verbaut gesehen hat, daß er sich gegen die Verdrängung des Todes wendet, gegen die Verabsolutierung des Diesseits und das $» Wichtigtun mit aufgeblähten Lappalien"? Der emanzipatorische Fortschritt ißt ihm fragwürdig geworden. „Ich trauere dem Aberglauben vom Jenseits nach, weil die Gesellschaft, die ohne ihn auskommt, mit jedem Schritt, mit dem sie dem Paradies auf Erden näherrückt, von dem Traum sich entfernt, der die Erde erträglich macht."

Selbstzweifel vom denkerischen Tiefgang Horkheimers würden der Emanzipationspädagogik etwas von ihrer Selbstsicherheit nehmen, so und nicht anders habe das Programm zu lauten, so und nicht anders sei die pädagogische Provinz umzukrempeln. Als Beispiel dafür kann der verabsolutierte Genuß-Materialismus der Qualifikation 7 der NRW-Richtlinien in erster Auflage dienen. Dümmlicheres und Traurigeres, das die revidierte Auflage uns jetzt erspart hat, ist seit langem nicht als Programm an eine Schule herangetragen worden: „Chancen zur Realisierung selbstbestimmten Genusses kennen und nutzen . .. Die Wirksamkeit von Einflußnahmen auf die Bedürfnissteuerung abschätzen können . .. Innere und äußere Widerstände gegen die Verwirklichung von Genuß überwinden können" (1/20). 6• Erziehung zum Madigmachen oder: Die Fallgruben der Emanzipationsideologie Was folgert aus diesem kulturpessimistischen und zugleich apokalyptischen Ansatz für die Praxis der emanzipatorischen Erziehung? Den „Bildungsbegriff" der Frankfurter Schule hat Theodor W. Adorno ausgeprägt. Seinen Schriften, insbesondere seiner „Erziehung zur Mündigkeit", kommt in der Emanzipationspädagogik ein hoher Stellenwert zu, insbesondere dort, wo sie sich aufklärerisch versteht. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich allerdings die kritische Erziehungswissenschaft von der Aufklärung Kants, dessen Philosophie Adorno fortentwickelt. Kant nannte die Unmündigkeit noch eine „selbstverschuldete". Er gab der persönlichen Feigheit und dem Mangel an Mut die Haupt-schuld. Er rief dem einzelnen zu: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Adorno stellt mit Karl Marx die Dinge auf den Kopf und nennt die gesellschaftlichen Verhältnisse als die Hauptursache der Unmündigkeit, nicht jedoch den Mangel an Vernunftgebrauch, seien doch schon die Voraussetzungen der Mündigkeit, von der eine freie Gesellschaft abhängt, von der Unfreiheit eben dieser Gesellschaft determiniert

Auch hier greift die Kritische Theorie mit Karl Marx wieder „ins Ganze". Adorno spricht von dem unbeschreiblichen Druck, „der heute auf die Menschen ausgeübt wird, einfach durch die Einrichtung der Welt und bereits durch die planmäßige Steuerung auch der gesamten Innensphäre durch die Kulturindustrie". Man müsse die großen Schwierigkeiten bedenken, die heute in unserer Welt „der Mündigkeit entgegenstehen". Adorno nennt als maßgeblichen Grund dafür den gesellschaftlichen Widerspruch, „daß die gesellschaftliche Einrichtung, unter der wir leben, nach wie vor heteronom ist, das heißt, daß kein Mensch in der heutigen Gesellschaft wirklich nach seiner eigenen Bestimmung existieren kann". Der Mensch ist entfremdet. Die spätkapitalistischen Systeme mit ihren an Profit und Konsum orientierten Interessen sind es, die nach Adorno auf dem Weg zur Emanzipation und Mündigkeit überwunden werden müssen

Der Marxsche Entfremdungsbegriff schlägt im emanzipatorischen Denkansatz immer wieder durch. Im Kommunistischen Manifest heißt es: „Die Bildung ... ist für die enorme Mehrzahl die Heranbildung zur Maschine." Das heißt, bürgerliche und bisherige Bildung stand und steht im Dienst der Entfremdung des Menschen. Pädagogik muß deshalb als „subversives Element" in den bestehenden re-* pressiven Erziehungsprozeß eingebracht werden, so Hans-Jochen Gamm, und deshalb könne die kritische Erziehungswissenschaft ihre Inhalte nur als Negation der bestehenden Gesellschaft und ihre Aufgabe in der Enthüllung ihrer Herrschaftsformen verstehen

Adorno neigt eher zur Resignation. Er sieht die einzige Konkretisierung der Mündigkeit darin, „daß die paar Menschen, die dazu gesonnen sind, mit aller Energie darauf hinwirken, daß die'Erziehung eine Erziehung zum Widerspruch und Widerstand ist". Es sei zunächst einmal das Bewußtsein dafür zu wekken, daß „die Menschen immerzu betrogen werden, denn der Mechanismus der Unmündigkeit heute ist das zum Planetarischen erhobene mundus vult decipi, daß die Welt betrogen sein will". Adorno spricht von einer „Erziehung des Madigmachens", daß dem jungen Menschen die Verhältnisse, in denen wir leben, „madig" gemacht werden

Ein böses Wort ist diese Aufforderung zum Madigmachen in einer Welt, die schwer genug zu tragen hat an Ekel, Verdächtigung und Negation. Bei Adorno ist es die Verteufelung des Bestehenden, die ihn zum Haß antreibt. Arnold Künzli schreibt, Adornos negative Dialektik sei eine Theodizee mit negativen Vorzeichen — eine Satanologie. Hier werde das radikal Böse, das Böse schlechthin zum Weltgeist promoviert. Adorno erscheint die Welt als „das System des Grauens". Philosophie im Angesicht der Verzweiflung ist ihm nur noch als Versuch zu verantworten, „alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten". Der Haß auf die vorhandene Welt und Alltags-praxis durch Adornos negative Dialektik ist durch die Hoffnung auf das Heil getragen, aber auf welches Heil denn eigentlich? Das emanzipatorische Pathos wird hier zum Opfer seiner Verabsolutierungen, deren verheerende Folgen in der tatsächlichen Politik bekannt sind. Adorno nennt denjenigen, der trotzdem im Bestehenden Positives entdecken will, „mordlustig“. Was kann eine von solchem Geist inspirierte Pädagogik Gutes hervorbringen? Aber wir haben es ja fast vergessen, um mit Adorno zu sprechen: Der Mensch ist noch nicht mündig. Er ist noch nicht reif für die Zeit in den Augen der Kritischen Theorie, bis er gelernt hat, das Gegenteil von dem zu tun, was man ihm beigebracht hat oder was die schon Mündigen, nämlich die Emanzipatoren, ihm zu tun vorschreiben. Die Emanzipation schlägt auch hier in ihr Gegenteil um. Sie macht nicht mündig, sondern sie entmündigt um den Preis des Versprechens, die verlorene Identität erst dann wiedergewinnen zu können, wenn sie geopfert worden ist. Robert Spaemann hat das die „Fallgruben der Emanzipations-Ideologie“ genannt, in der „jeder des anderen Pädagoge, Psychotherapeut und Vormund im Namen des gemeinsamen Ideals der Mündigkeit und Emanzipation" wird. Ursprünglich sei genau das Gegenteil gemeint gewesen, nämlich daß Menschen in rechtlicher Hinsicht von fremder Vormundschaft befreit werden, während jetzt nicht der Kreis der Mündigen, sondern der Kreis derer, die vorerst als unmündig erklärt werden, erweitert wird

Wer wahrhaft frei sein will, muß durch das Purgatorium der Unmündigkeit hindurchgefiltert werden zum neuen Homunkulus, die „verkehrte Welt" (Marx) wieder in jenen Zustand zu überführen, wo Wesen und Wirklichkeit zusammenfallen. Wir sind auf der Spur des umfunktionierten biblischen Prinzips, daß wer sein Leben verliert, es gewinnen wird. Bert Brecht hat das in seinen „marxistischen Studien" folgendermaßen beschrieben: „In den wachsenden Kollektiven erfolgt die Zertrümmerung der Person ... Sie fällt in Teile, sie verliert den Atem. Sie geht über in anderes, sie ist namenlos, sie hat kein Antlitz mehr, sie flieht aus ihrer Ausdehnung in ihre kleinste Größe, aus ihrer Entbehrlichkeit in das Nichts —; aber in ihrer kleinsten Größe erkennt sie tiefatmend übergegangen ihre neue und eigentliche Unentbehrlichkeit im Ganzen.

III. Werte, die eine Erziehung bestimmen

1. Freiheit, nicht Emanzipation ist der Grundwert unserer Lebensordnung Wir verfügen heute in der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Demokratie über ein größeres Maß an Freiheit als jemals zuvor. Die Bundesrepublik zählt zu den freien, freiheitlichsten Staaten der Erde. Aber die Crux ist, daß Freiheit stets in dem Augenblick zu V blassen scheint, in dem sie Realität wird. Wir stellen an ihr eine zunehmende Ohnmac fest, sich im Geflecht der immer komplizierte werdenden Interessen, Lobbies, Bürokratien und technokratischen Instanzen zu behaupten. Die Freiheit wird nicht unterdrückt, sondern ihre Umrisse werden diffus, ihre Substanz scheint zu entgleiten, weil der einzelne sich immer stärker in ein Räderwerk der Abhängigkeit eingespannt sieht.

Der befreiende Ruf nach Emanzipation fällt in dieser Situation auf fruchtbaren Boden. Mit der Vokabel „Repression" wird der ganze Unmut aufgerafft, der sich. angestaut hat. Diese Unzufriedenheit schlägt sogleich ins Metaphysische um. Die Freiheit, die ein Herbert Marcuse meint, ist der uralte Traum der Menschheit, frei zu sein ohne jede Bindung und Abhängigkeit, frei zu sein von Angst, Schuld, Erbsünde. Das wird nicht gesagt, aber es ist gemeint. Das Ideal ist die totale Transparenz aller in allem, für alle. Das Ideal ist eine Ichfindung, in der Wesen und Existenz zusammenfallen und die „depravierte Seele" Wieder „repariert" (Karl Marx) ist. Es ist der Zustand und die Hoffnung, daß die Menschen alle Bedingtheiten ihres Daseins, natürliche und geschichtliche, durch die Kraft der aufklärerischen Reflexion eingeholt haben: Parusie der Freiheit.

Nun läßt sich bekanntlich ein Ideal so hoch stecken, daß die Sache selbst auf raffinierte Weise denunziert wird. Dieses böse Schicksal widerfährt der Freiheit gegenwärtig in unserem Land. Recht und Freiheit erscheinen als die Ideale, die mit geläufigen, gewohnten und legitimen Mitteln einer Politik der kleinen Schritte nicht mehr zu realisieren sind. Der Weg dorthin, das ist die Emanzipation, das ist der Aufbruch in das ganz andere Land. Der Emanzipationsbegriff hat den Freiheitsbegriff an den Rand gedrängt, weil es ihm gelungen ist, die Dynamik der Veränderung zu usurpieren. Das Bestehende wird verneint und damit auch die bestehende, konkret vorhandene Freiheit; sie wird negatorisch verengt und diffamiert. Der geistige Zentralbegriff unserer gesellschaftlichen Ordnung, nämlich die verantwortliche Freiheit, erhält mit der sprachlichen Umfunktionierung in Emanzipation den Laufpaß. Freiheit wird zur langweiligen Angelegenheit. Freiheit, so sagen die Emanzipatoren, könne heute die Frage nach dem Sinn nicht mehr beantworten, brauche man doch nur die gesellschaftlichen Verhältnisse an ihren eigenen Sinn-und Moralvorstellungen zu messen. Womit die Emanzipato-

ren ihre „Legitimationskrise" wieder begründet hätten.

Wie kann die Erziehungswissenschaft und re agogik den Wert der Freiheit rehabilitie-

en‘ Es ist richtig, wenn wir sagen, die Freiheit sei heute in erster Linie durch ein geschwächtes Freiheitsbewußtsein bedroht, durch ihre Abtrennung von Verantwortung und Pflichtethik, durch ihre Bindungslosigkeit und Verwechslung mit Beliebigkeit, Ideologie, Utopie. Aber damit tteffen wir noch nicht den Nerv. Es ist nicht schwer, den Traum von einem bindungslos freien und neuen Menschen oder vom anbrechenden Reich der Freiheit als nie erreichbare Utopie zu charakterisieren. Freiheit und Bindung gehören zusammen, aber diese Selbstverständlichkeit darf nicht als Alibi dienen, sich von der Sorge um das bessere Mögliche freizusprechen. Die Frage nach der Legitimation der Bindungen muß gestellt werden, inwieweit solche Fesseln tatsächlich freiheitsfördernd uni nicht freiheitszerstörend sind, inwieweit sie auch nicht der Ausdruck von Sonderinteressen sind ohne Rücksichtnahme auf das Ganze Die Ethik dieses Ganzen ist mit dem Begriff „Gemeinwohl" umrissen worden. In anderer Beziehung sprechen wir heute von den Grundwerten und vom Minimalkonsens. Immer wird der Wert der Freiheit als ein umfassend übergeordnetes angesprochen, dessen „Kritik" wir keineswegs ausschließen, sofern sie nicht die Zerstörung zum Ziel hat. 2. Die aus der Vernunft auferlegte Verantwortung mir selbst und den anderen gegenüber

Das Herz der freiheitlichen Philosophie ist der Satz von der unantastbaren Würde des Einzelmenschen. Ohne Verweis auf die christliche Herkunft ist dieser Kernsatz der Menschenrechte schwerlich begründbar. Der Christ ist zur Freiheit „berufen" (Gal. 5, 13). Er übernimmt die Freiheit als ein Geschenk, er ist nicht „verdammt" zur Freiheit. Er ist ein „Freigelassener" der Schöpfung, befreit aus dem Zustand der Knechtschaft und Gefallenheit unter Sünde, Gesetz, Trägheit, Feigheit. Eindeutig geht es in dieser Freiheitsphilosophie um den einzelnen in dem nicht einholbaren Wert seiner Person und Identität. Viel später und nachgeordnet tritt das Politische und Gesellschaftliche ins Bild. Das Unveräußerliche der Menschenrechte ist vorrangig-

ln diesem Sinn ist das Christentum, wie Hegel es zutreffend beschreibt, die Religion der Freiheit. Erst seit dem Neuen Testament gibt es das Recht auf das eigene Gewissen, näm-lieh Widerstand zu üben gegen staatliche oder gesellschaftliche Bevormundung und obrigkeitliche Knechtung, was nach thomistischer Lehre auch einbezieht, daß selbst das irrende Gewissen von den staatlichen Gewalten zu respektieren ist. Nach Thomas von Aquin hat die Freiheit „als Ursache den Willen" und „als Wurzel die Vernunft“. Der Freiheitsakt entzieht sich daher dem eigenen wie fremden Urteil, was allerdings nicht bedeutet, es gäbe kein Bewußtsein der Verantwortung und der Schuld. Es geht um das Unverfügbare, Unantastbare im freiheitlichen Handeln, das nach Ziel und Weise davon abhängt, „was einer für ein Mensch sei" (Aristoteles).

Die Bindung jeglicher Freiheit ist deshalb vorgegeben durch die von der Vernunft auferlegte Verantwortung mir selbst und den anderen gegenüber. Das ist nicht nur biblische Auslegung, sondern ebenso die Grundlage jener freiheitlichen Verantwortungsethik, die Immanuel Kant ausgesprochen hat und die über die Aufklärungsphilosophie unser Freiheitsbild bis zum heutigen Tage prägt. Emanzipation ist in diesen geistesgeschichtlichen Zusammenhängen ein völlig unzureichender Begriff, verengt auf eine prozeßhafte Strategie der Befreiung „von" etwas auf ein Wozu hin, das keinen verpflichtenden Charakter mehr hat.

Wie herkömmliche und durch das Grundgesetz eindeutig geschützte Bindungen einfach kaputtgemacht, im Adornoschen Sinne „madig" gemacht werden sollen, illustriert ein Beispiel aus einem neuerdings in unseren Schulen verwendeten Arbeitsbuch „Gesellschaft und Politik". Die Schüler werden aufgefordert, selbst einmal zu versuchen, „Neufassungen der Gesetzesbestimmungen zu formulieren". Es folgt die „Information", die Familie werde heute auch bestimmt durch „weltanschaulichen (ideologischen) Einfluß, z. B. durch die Kirchen". Schließlich wird eine Reihe von überwiegend kritischen Zitaten zur Kleinfamilie abgeschlossen durch „einige handfeste Aussagen und Berichte über den Familienalltag heute" mit dem folgenden Text: „Wenn ich noch mal neu anfangen könnte, würde ich die Ehe ganz ans Ende setzen. Man muß das mal mitgemacht haben, um zu merken, wie beschissen das ist und wie blöde. Dieses Gebundensein. Man kann ja auch so mit jemandem Zusammenleben. Ohne Trauschein. Auch dann, wenn ein Kind da ist. Die Leute nehmen sich viel mehr zusammen, wenn sie nicht dauernd auf ihr Recht pochen können. Und wenn einer eben nicht mehr will, dann ist eben Schluß. Dann kann keiner den anderen unter Druck setzen, wie das momentan noch so ist. Die Ehe, das ist so ein Vertrag. Wie ein Kaufvertrag, an den man gebunden ist. Unwillkürlich denkt man immer dran. Das kriegt man nicht mehr raus aus dem Kopf." Dem Zitat ist nichts hinzuzufügen, außer, daß es der (pseudo) linken Sex-und Politpostille „konkret" entnommen wurde, wohlgemerkt für Dreizehn-bis Sechzehnjährige, Die Frage nach der Freiheit ist in unserer geistigen Situation der alles überspannende Horizont. Einer, der auszog, die Freiheit zu lernen — sollte das nicht die ungeschriebene Präambel eines jeden Schulbuchs in unserem Land sein? Statt dessen sehen wir die konkrete, erreichte Freiheit in Schulbüchern lächerlich gemacht, bezichtigt, entlarvt, unter eine permanente Herrschaft des Verdachts gestellt, als „Klassenstandpunkt" denuziert. Dieser Art von geistiger und politischer Selbstliquidierung leiht die Emanzipationspädagogik ihre Hand. Ob „nolens" oder „volens", ist hier nicht zu entscheiden, sondern es kommt auf die langfristigen Spurenwirkungen an. „Freiheit ist mehr als Sich-Befreien", schreibt Kultusminister Hans Maier in einem Text, der die Lösung des Freiheitsbegriffs von den Emanzipationsvorstellungen fordert. Freiheit lasse sich nicht auf die eindimensionale Beziehung Individuum-Staat reduzieren, sondern verwirkliche sich immer doppelseitig, nämlich individuell und institutionell. Das heißt, wer Freiheit nur in Befreiung des einzelnen von Institutionen, Normen, Herrschaftszwängen, sozialen und religiösen Bindungen sieht, bleibt bei einem unzulänglichen und vordergründigen Verständnis von Freiheit stehen. Deshalb spricht Maier davon, jenseits von Liberalismus und Sozialismus „ein neues Freiheitsdenken zu entfalten", was zugleich ein Weg sei zum besseren Verständnis unserer vom Postulat des sozialen Rechtsstaats geprägten Verfassungssituation

Ob es gelingt, Freiheit neu zu denken, ist eine Frage an unser Erziehungs-und Bildungssystem. Es geht um eine Freiheit, die nicht emanzipatorisch auf neuzeitliche Autonomie-und Befreiungsvorstellungen eingeengt ist, sondern die soziale Hilfs-und Ergänzungspflicht des Menschen einbezieht und sich vom Antagonismus löst. Eben dies, so folgert Hans Maier, habe Luther mit dem Pa* '" ratiox gemeint, ein Christenmensch sei „ein freier Herr über all Ding und niemand untertan" und zugleich „ein dienstbarer Knecht aller Ding und jedermann untertan“. 3. Was Pädagogik eigentlich ist, kann nicht allein von der Soziologie beantwortet werden Daß die Pädagogik empirische Befunde nicht zur Kenntnis nehmen wollte, ist ihr lange vorgehalten worden. Die Humanwissenschaften haben eine Fülle von Erkenntnissen über menschliches Sein und Verhalten ausgebreitet, deren Rezeption jedoch heute nicht mehr das Problem ist. Vielmehr stellen wir umgekehrt eine Verabsolutierung der Empirie fest, die ihrerseits jedoch wiederum vor aller Einzelinterpretation der Fakten für ein politisches Glaubensbekenntnis optiert. Politik — Politpädagogik, wie man heute formuliert — drapiert sich mit hohem Wissenschaftsanspruch und spricht sich als Wissenschaft von der Pädagogik, als Wissenschaft von der Politik die fast vollständige Unfehlbarkeit zu

Der alte Streit, ob die Pädagogik eine Wissenschaft ist oder nicht, soll hier nicht ausgetragen werden. Wo es um den Menschen geht, sollten rasche und endgültige Lösungen immer verdächtig bleiben. Was wissen wir denn abschließend und unverrückbar über das Interdependenzgeflecht der Variablen, die menschliches Lernen bestimmen? Wissenschaft wird hier im Handumdrehen zur „Willenschaft", wie Eduard Spranger einmal zutreffend formulierte Der erzieherische Wille läßt sich überhaupt nicht ausklammern, ebensowenig der personale oder wertbezogene Aspekt im pädagogischen Handeln.

Wolfgang Brezinka unterscheidet zwischen »Erziehungswissenschaft" einerseits und einer »Moralphilosophie der Erziehung" andererseits. Es sei ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit, daß Werturteile nicht als wissenschaftliche Erkenntnis ausgegeben werden. Solche Setzungen gehörten in den Bereich einer Erziehungs-und Moralphilosophie. Er folgert: „Die Erziehungswissenschaft informiert über die Erziehungswirklichkeit’ oder über erzieherisch relevante Sachverhalte, aber aus ihr sind keine Anweisungen darüber ableitbar, zu welchen Zielen, nach welchen Nor-men (Richtlinien, Prinzipien, Handlungsmaximen) und mit welchen Mitteln erzogen werden soll."

Für viele ist Wissenschaft heute die letzte, außer Zweifel stehende Autorität. Die generelle Frage, wie eine verbindliche Ethik des Zusammenlebens möglich ist, kommt in Diskussionen um den Wissenschaftsbegriff immer wieder zum Vorschein. Erziehung als Technologie des Beeinflussens und Steuerns auf das gute ethische Ziel hin, erscheint vielen als die wissenschaftliche Tat schlechthin. Die Versuchung liegt darin, unter den aller-verschiedensten Lösungsmöglichkeiten, die aus der analytisch-experimentellen Wissenschaft hergeleitet werden können, eine einzige zur normativen zu machen. Jenen Schwebezustand, daß ich immer nur Teilerkenntnisse besitze und Wissenschaft ein vorläufiger Akt ist, halten viele nicht aus. Sie denken in Kategorien des geschlossenen Regelkreises und der dialektischen Totalität.

Im Vorwort der Richtlinien spricht Kultusminister Girgensohn vom politisch mündigen Bürger, der „Steuerungsprozesse durchschauen und Steuerungsmittel handhaben kann" (2/5). Was sind eigentlich diese vielbeschworenen Steuerungsprozesse? Das 18. Jahrhundert, das sich geradezu als das pädagogische Jahrhundert versteht, hat die Devise geprägt: „Jedermann ein Philosophus". Unser Zeitalter scheint diesen Satz erweitern zu wollen um die Maxime: „Jedermann ein Kybernetiker". Ob das noch sehr viel mit Erziehung zu tun hat? In der Besinnung auf die „dialogische Natur" des Menschen (Martin Buber) ist die geistige Dürftigkeit solche „Handlungswissenschaft", die sich in der Beschreibung von Funktionen erschöpft, mit Händen zu greifen.

Erziehung, sagten die alten Definitionen, verwirklicht sich in Pflege (Fürsorge), Führung (Zucht) und Bildung (Lehre) als Urfunktionen des Erzieherischen. E-ducatus: Es wird etwas heraus-und höhergeführt aus einem unfertigen, noch nicht erschlossenen Zustand in Eigenständigkeit. Man sprach vom „erzieherischen Eros". Diese Definitionen, wie altmodisch sie auch heute anmuten, hatten alle den Vorzug, daß sie am Eigenwert des Erzieherischen orientiert waren. Heute wird das Konzept des Unterrichts auf das Verhältnis von Ursache und Wirkung angesetzt. Mit einiger Zwangsläufigkeit und in Analogie zum natur-haften Geschehen soll etwas bewirkt und erzielt werden. Der „empirische" Mensch istaber nicht der ganze Mensch. Wer bindet das Ich, damit es sich täglich selbst bindet und erzieht? Woher nehmen die Kräfte des Psychischen ihre Erziehung? Wer befreit die Person von der Angst? Woher gewinnt der Mensch Sinnhaftigkeit, die das Leben trägt? Was bedeutet das Wort Senecas in der Erziehung, daß das Ich frei bleibt, um Gott zu gehorchen? 4. Die nicht nachlassende Anstrengung des Denkens und die Selbstvergegenwärtigung des Geistes

Lehren, Lernen und Erziehen scheint heute alles, was an Wissen und pädagogischer Erkenntnis über lange Zeiträume erworben wurde, auf dem Altar des Molochs „Gesellschaft" opfern zu wollen. Weil das Menschenbild fehlt, beschränkt sich der Horizont auf das gerade Modische, das heute in die These von der „gesellschaftlichen Relevanz" gekleidet ist. Die Sache, nämlich Erziehung des Menschen, denaturiert zur Soziologie, und dazu noch einer mißverstandenen. Die Pädagogik als eine Gesellschaftswissenschaft zu klassifizieren, den Erziehungsvorgang auf einen Sozialisationsmodus einzuengen, bedeutet eine beispiellose Verödung des pädagogischen Bezugs.

Das niedersächsische Kultusministerium hat „Handreichungen für den Sekundarbereich II, sprachlich-literarisch-künstlerisches Aufgabenfeld" herausgebracht. In diesen Rahmen-richtlinien wird das Fach „Musik" behandelt. Der Schüler wird mit dem Verhältnis Musik und Politik vertraut gemacht unter Zuhilfenahme von neuen Volksliedern aus der DDR und dem sowjetischen Realismus in der Musiktheorie. Im Kapitel „Gesellschaftliche Momente in Mozarts Hochzeit des Figaro" bedauert der Verfasser, daß in der Vorlage von Beaumarchais „die revolutionäre Tendenz weitgehend getilgt“ sei, aber „der sozialkritische Unterton unüberhörbar" geblieben sei. Zu den Lernzielen gehört „Einsicht in den gesellschaftlich bedingten Wandel des Musiklebens und in die sich damit verändernden Bedingungen von Produktion und Rezeption der Musik“

Inzwischen ist dieses Beispiel nicht mehr vereinzelt, sondern das Schulbuchgeschäft hat die emanzipatorische Lücke entdeckt und pro-duziert mit sozialistischem Brett vor dem Kopf, auf dem immer dasselbe zu lesen ist: Gesellschaftsveränderung.

Schule, Schüler, Lehrer und das Lernen selbst sind nicht davon ausgespart, in heutigen Schulbüchern als rückständig, reaktionär, auf Drill und Demütigung bedachte Unterdrük. kungsmechanismen angeprangert zu werden. Ein weiteres Beispiel liefert das Lesebuch „Drucksachen", das für die Unterrichtspraxis zugelassen ist und in der Öffentlichkeit scharfe Ablehnung findet. Da gibt es über den Arbeitsplatz des Schülers in diesem Lesebuch einen Gebrauchstext aus der „oppositionellen Schülerliteratur“, dem „kleinen roten Schüler-buch“, einem agitatorischen Text, der „auch mit agitatorischen Mitteln zum Handeln anleiten" will, wie das dazugehörige Handbuch (41) formuliert. Einige Sätze daraus: „Nur wenige schulen ähneln plätzen, an denen kinder und jugendliche sich wohlfühlen ...der lehrer ist der einzige, der sich frei bewegen darf...der lehrer ist der einzige, der so sitzt, daß er alle gesichter sehen kann ... nur der lehrer hat seinen persönlichen schrank und seine schublade ..." Der Text endet mit dem Vorschlag, die Klassen zu verändern, Möbel herauszustellen, den „platz vor der täfel... mit einigen kissen und kisten (evtl, apfelsinenkisten, die man billig bekommt) besser zu nutzen. Vielleicht sollte der Schreibtisch des lehrers raus oder für einige zeit irgendwo anders hingestellt werden, denn es ist schön, einen platz zu haben, wo man sich hinlümmeln oder sich sonst irgendwie niederlassen kann."

Im kabarettistischen Rahmen könnten solche Texte hingenommen werden: Warum nicht. Rahmen und Zielsetzung sind aber keineswegs spaßig oder ironisierend-sarkastisch, sondern blutig ernst und verbissen, wie nur Missionare eines politischen Credos erscheinen. Die Vorwürfe gegen Lehrer und Lehrmethoden sind massiv. „Er wußte", so wird andernorts ein Lehrer geschildert, „was für diese Jugend gut war. Weisheiten wie Mens sana in corpore sano'oder Zäh wie Leder und flink wie Windhunde'hafteten in seinem Gedächtnis." Es kommt zu einem Zusammenstoß dieses Lehrers mit Herbert, zur gegenseitigen Beschimpfung, zur Ohrfeige, zur nEnt fernung“ des Schülers aus dem Schullan heim. Eine der Arbeitsanweisungen lautet. Nimm an, du sollst vor einem Disziplinar ausschuß als Verteidiger Herberts auftreten Entwirf eine Redel Dieser Rede könnte man Worte von Max Horkheimer oder Theodor W. Adorno voranstellen. „Die Welt“, so schreibt Horkheimer in seinen Notizen, „ist das Haus der herrschenden Klasse". Die Gesellschaft sei „weitgehend ein Zuchthaus". Und Adorno: „Aller Geist“ steht „bis heute unter einem Bann". Die Welt wird zu einem Freiluftgefängnis, in dem „alles eins" ist. Deshalb ist „alles, was heutzutage Kommunikation heißt, ... nur der Lärm, der die Stummheit der Gebannten übertönt". Die Menschen sind „ausnahmslos unterm Bann, keiner zur Liebe schon fähig"

Soll das der neue Humanismus unserer Pädagogik sein? Die jungen Menschen werden so verwirrt wie angeekelt aus dieser Retorte hervorgehen. Wenn der Streit nur darum ginge, daß die einen behaupten, Pädagogik sei immer auf Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse angelegt gewesen, während die anderen diese unzulässige „Soziologisierung“ zurückweisen und die erste Aufgabe von Schule darin sehen, den Bestand der geistig-menschlichen Überlieferung zu sichern in der nicht nachlassenden Anstrengung des Denkens und der Selbstvergegenwärtigung des Geistes. Auch darum geht es in diesem Streit, aber er läßt sich austragen und kann für beide Kontrahenten nutzbringend ausgehen. Unerträglich und nicht mehr diskutabel ist jedoch eine Pädagogik, die junge Menschen zu Paranoikern oder Zwangsneurotikern erzieht unter dem „Bann" der Kritischen Theorie.

Vielleicht würde, da wir uns heute in unserem Land wohl kaum noch auf unterscheidend Christliches in den Erziehungswerten einigen können, die Wiederentdeckung Humboldts wenigstens das unterscheidend Pädagogische am Leben erhalten können. Wie Deutschland Pädagogik in von Anfang an auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse — darunter heute zu was immer verstehen istl — angelegt war und wie unter Bildung immer menschliche Bildung und des befreiten Menschen verstanden wurde, hat der unlängst verstorbene Pädagoge Heinz-Joachim Heydorn in seiner letzten Veröffentlichung nachzuweisen versucht. Humboldts Sorge galt der Sicherung eines pädagogischen Bezirks der Menschwerung, in dem der einzelne um seiner selbst willen Widerstand leistet in der schöpferischen Entfaltung seines Lebens. 5. Kritik: Ja. Aber sie ist das beschwerlichste aller Geschäfte Wovon lebt der Mensch? Er lebt wohl schwerlich von der Kritik allein. Kanonisiert werden in der Emanzipationspädagogik der kritische Mensch, die kritische Schule, die kritische Erziehungswissenschaft. Die Kritik ist Methode, Theorie und Wahrheit in einem.

Woher kommt es, daß heute fast alle Kultur-bereiche auf doppelte Weise in den Sog des kritischen Zeitbewußtseins geraten sind: Sie sehen sich selbst in ihren Grundlagen durch eine oft bedingungslose Kritik erschüttert, aber genieren sich nicht, auch ihrerseits Anklage zu verstreuen und ihr Ethos luxurieren zu lassen, wie es Arnold Gehlen ausgedrückt hat. Dieser Kulturphilosoph hat in seinem Werk „Moral und Hypermoral" das Phänomen der moralisierenden Meinungskultur unserer Tage anthropologisch zu begründen versucht. Nach Gehlen schwächt das Trommelfeuer der publizistischen Dauerkritik, das uns die Medien, und darunter vornehmlich die elektronischen, mit ihrem advokatorischen Journalismus liefern, das Traditionsgefüge. Es senkt die Tabu-und Normschwellen, bis jedermann sie beliebig überschreiten zu können glaubt. Diese Schwächung führt jedoch überraschenderweise nicht zum Fortfall der moralischen Positionen. Das allgemeine Gelten-und Gewährenlassen bewirkt im Gegenteil eine erhöhte Aggressionsbereitschaft beim Menschen. Die moralischen Standpunkte polarisieren sich in scharfen Kontrasten. Die Durchschnittlichkeit des Alltags, in der alles zusammengeht, wird aufgestöbert. Damit senkt sich die Schwelle der kritischen Distanz der moralischen Positionen gegeneinander. Man fühlt sich eher verletzt oder herausgefordert. Der Aggressionsstau wird freigesetzt durch die Radikalisierung der Moral in einer Art von „gnadenlosem Humanitarismus“, der die sittlichen Entscheidungen in den Gesinnungsraum verlegt, wo sie als „Reindarstellung" absolut gesetzt werden

Wie sich eine gewisse öffentliche Kritik heute mit „vollem Herzen der Moral der Anderen annimmt" und „in der Opposition des schlechthin unaufhörlichen Kritisierens" die eigene Moral wuchern läßt, ist nicht nur Gehlens Beobachtung. Getragen wird sie von einem Menschentypus, der sich intellektuell gibt. Kritik und Angriff waren schon immer die einzigen Mittel zur Wirksamkeit der Intellektuellen, seit sie als „ideologisierte Insti-tutionenkritiker* (E. K. Scheuch) hervorgetreten sind. Es geht um eine Neuschöpfung der Welt aus intellektuellem Guß, aber was von dieser sehr kritischen Beschäftigung mit Ideen auf der unteren Ebene übrigbleibt, ist oft nicht mehr als eine verheerende Mischung aus Dauernörglertum, Idealismus und Aggression. Die Kritik, erklärt der Anthropologe, sei die unterste Eskalationsstufe der Aggression. Hebbel sagt von ihr in seinen Tagebüchern, sie sei „oft die Frucht und stets die Ursache einer niedrigen Denkweise in jedem Gemüt, welches sich dauernd damit beschäftigt“

Gleichwohl läßt die Radikalisierung der Moral und Kritik heute spüren, wie groß die Nachfrage für sittliche Imperative ist. Der Mensch sucht nach Weisung, was er tun soll. Das Erziehungsziel der Emanzipation vermittelt ihm diese Weisung und Führung. Es führt zur Polarisierung der Moral in richtig und falsch, gut und böse, wahr und ideologisch. In einer Untersuchung über die Kulturintelligenz „zwischen Geist und Politik“ meint Erwin K. Scheuch, „daß das wichtigste Mittel zur Verringerung von Komplexität in modernen Gesellschaften die Moralisierung von Sachproblemen ist“. Von einer Story im „Spiegel“ bleibe meist nicht sehr viel haften, mit einer wichtigen Ausnahme: Der Leser weiß, wer die gute Fee und wer der böse Zauberer ist

Wie hier in das Politische zwischen Freund und Feind, gut und böse jene Trennung unseligen Angedenkens wieder eingeführt wird, deren Wege in Auschwitz geendet haben, scheint den Repräsentanten der emanzipatorischen Erziehung nicht bewußt zu sein. Politische Gegner eines solchen „Politikverständnisses“ werden zu „objektiven“ Feinden des gesellschaftlichen Fortschritts erklärt und in die Nähe zum Faschismus gerückt

Die Alternative zum Kritikverbot im totalitären Staat scheint heute für viele darauf hinauszulaufen: Gebt uns die totale Kritik! Dieses überschwappen in die große Weltkritik ist im reifen Zustand des Erwachsenen schon schwer auszuhalten, geschweige, daß junge Menschen damit fertig werden. „Die Kultur in einem menschenwürdigen Sinne erhält sich dadurch", schreibt Gehlen, „daß junge Menschen in vernünftige Einrichtungen hineinwachsen, die von langen Erfolgen legitimiert sind; sonst werden unersetzbare Erbschaften verschlissen: die Disziplin, die Geduld, die Selbstverständlichkeit und die Hemmungen, die man nie logisch begründen, nur zerstören und dann gewaltsam wieder aufrichten kann.“ Horkheimer selbst scheint das gespürt zu haben, als er davor warnte, die Kritische Theorie in Soziologie zu Verwandeln und das „ein problematisches Unternehmen“ nannte. Kritische Theorie als plattes Desiderat einer „Gesellschaftskritik" kann man bei aller geistigen Reserviertheit gegenüber Horkheimer oder Adorno diesen Denkern nicht anlasten, sofern man sie philosophisch versteht. Die Unfähigkeit, heute zu philosophieren — um Alexander Mitscherlichs Titel abzuwandeln —, führt jedoch zur Verwechslung einer philosophischen Grundhaltung mit dem Rezept der Pseudo-Soziologie. Auf der Schulebene erfolgt eine weitere Reduktion zum pubertären Kritikastertum, dem die Maßstäbe fehlen. Einem Vierzehnjährigen dürften sie im Regelfall immer fehlen. Die behutsame Hinführung an das kritische als das schwierigste aller Geschäfte ist schon aus erzieherischen Gründen notwendig. 6. Die Tradition ist die bei weitem bedeutsamste Quelle unseres Wissens „An die Stelle des Urteilens tritt das Verurteilen", meint Hanna-Renate Laurien. Auch werde dem Schüler weisgemacht, Lernen könne sich schlechterdings nur „vom kritischen Ansatz" her begründen, „so als ob es Staunen, Erschütterung, Freude nicht auch als Lernmotivationen gäbe. Wer Institutionen, Normen, Sprachgemeinschaft, Staat, Mitmensch, Familie nur im Zugriff kritischer Entlarvung anpackt, produziert die totale Venmsicherung des jungen Menschen. Personwerden kann ihm nur gelingen, wenn er auch Identifikationserfahrungen mit Meinungen, Gedanken, Mitmenschen und mit sich selbst machen kann."

Daß die Vorbildpädagogik heute in die Rumpelkammer gestellt worden ist, gehört zu den Torheiten, die auf die Abwesenheit der entwicklungspsychologischen Einsichten zurückzuführen sind. Die Suche nach dem Vorbild gehört zu den Urformen, wie soziale Bindungen hergestellt werden. Fehlt es an Gelegenheiten zur Identifikation im Leben des Kindes und heranwachsenden Menschen, sind psychische Ausfallerscheinungen fast immer die Regel. Das antisoziale Verhalten vieler Jugendlicher geht häufig darauf zurück, daß sie ohne ausreichenden emotionalen Kontakt in der frühen Kindheit geblieben sind, daß ihnen zu schwache Angebote der Introjektion gemacht wurden und sie später unfähig waren, nachhaltige Identifikationen vorzunehmen. Mitscherlich spricht vom „Identifikationshunger“ gerade des jungen Menschen Das unterscheidet den Erwachsenen nicht unwesentlich vom Jugendlichen.

Die nordrhein-westfälischen Richtlinien erklären, der angezeigte Katalog von Qualifikationen und Lernzielen könne „seiner Möglichkeit nach schulformübergreifend für alle Jahrgangsstufen bis zur Erwachsenenbildung als Ausgangsbasis benutzt werden“ (2/7). Jahrzehnte der Entwicklungs-und Jugendpsychologie sind offenbar an den Autoren spurlos vorübergegangen. Der junge Mensch wird wie ein Erwachsener behandelt und intellektuell eingestuft, was nicht nur eine Überforderung bedeutet, sondern ihn psychisch zum Freiwild macht. Der „Identifikationshunger" kann umschlagen in einen Hunger nach Idolen und Der Heranwachsende Ideologien.

braucht stabile Außenhalte, der Unsicherheit und Ungewißheit in seinem noch sehr ungewissen Leben zu begegnen.

So stößt die Überdosis an verfrühter „Gesellschaftskritik" die Einfallstore für Rezepte und simplifizierende Ideologien weit auf. Die Gebärde des Abscheus, ja der Verzweiflung kann die Folge sein, aber auch die Unfähigkeit, sich zu freuen und anzunehmen, was geschenkt ist. Das ist ohnedies das meiste, ob es sich als Glück, Schmerz oder Erfolg einstellt. Wer die bestehenden Gegebenheiten notorisch abwertet und kritisiert, wie es die Emanzipationspädagogik tut, muß selbst mit einer krankhaften Unausgeglichenheit belastet sein und projiziert seine Neurosen der unreflektierten Progressivität auf die zu Erziehenden

Nicht die Kritik, sondern die Tradition ist die bei weitem bedeutsamste Quelle unseres Wissens. Dabei ist jeder Teil unseres überlieferten Wissens einer kritischen Überprüfung auszusetzen. Diese Freiheit ist dem Wissen mitgegeben, sich preiszugeben nicht aus prinzipiellen Erwägungen, sondern wenn die Tatsachen nicht „stimmen" und das Leben mich fortwährend belehrt vor aller Theorie und dem Versuch, die „reine" Idee zu realisieren. Condorcet war falsch beraten, als er schrieb: „Die Verpflichtung der Menschheit gegenüber den Ungeborenen besteht nicht darin, ihnen das Leben zu gewähren, sondern das Glück." Derlei Perfektion hat keine Erziehung anzubieten noch gar der Staat oder eine Partei, die sich bevorzugt zum Volksbeglükker erklären in der Ethisierung und Maximierung eines Diesseitsglücks, das für den Kommunismus, aber niemals für eine freie Ordnung der Menschen das erstrebenswerte Kollektiv-und Lernziel sein kann.

7. In der Frage nach dem Sinn steht der Mensch selbst zur Frage an

Die Emanzipationspädagogik geht von der Annahme aus, daß Normen machbar und so -mit veränderbar sind. Diese Pädagogik lehnt jeden Transzendenzbezug ab. Rationales Denken und Transzendenz schließen sich aus in der aufklärerischen Emanzipationsphilosophie. Es gibt keine Unbedingtheit der Normen.

Legt man diese Auffassung zugrunde, dann hat der universale Rechtfertigungszwang der Kritischen Theorie, dem alle Normen zu unterwerfen sind, seine tiefe Berechtigung. Woher denn sonst will ich die „Wahrheit" eines sittlichen Postulats ableiten, wenn nicht aus der menschlichen Vernunft in ihrer strengen Diesseitigkeit? Martin Buber spricht von der unüberschreitbaren Grenze, die gezogen wer-den muß zwischen einer „Welt, die daran geglaubt hat, daß es eine dem Menschen übergeordnete Wahrheit gibt, und einem Zeitalter, das eben daran nicht mehr glaubt — nicht mehr glauben will oder nicht mehr glauben kann". Fragen wir aber nun, so fährt Buber fort, wie denn in dieser Situation eine Charaktererziehung möglich sei, so werde etwas Negatives sogleich offenbar. Es habe gar keinen Sinn, mit Argumenten irgendwelcher Art beweisen zu wollen, daß es die geleugnete Unbedingtheit der Normen dennoch gibt. Das hieße ja annehmen, die Leugnung entstamme der Reflexion, gegen die man Gründe und neue Materialien vorbringen könne. In Wirklichkeit entstammt sie aber der Beschaffenheit eines herrschenden Menschentypus des Zeitalters. Wohl dürften wir in dieser Beschaffenheit eine Erkrankung des Menschen-geschlechts erblicken, aber es sei ein müßiges Beginnen, einer Menschheit, die ewigkeitsblind geworden ist, zuzurufen: Seht da, die ewigen Werte!

Welchen Weg sollen wir denn gehen in diesem Dilemma, daß es auch weiterhin Menschen in unserem Land gibt, die an der Unbedingtheit der Normen festhalten, während andere diese Grenzen nicht anerkennen? Martin Buber antwortet darauf: „Man muß damit beginnen, sie auf den Bezirk hinzuweisen, in dem sie selber von Zeit zu Zeit, in Stunden, wo einer ganz allein mit sich ist, die Erkrankung in jähen Schmerzen verspüren: auf das Verhältnis des einzelnen zu seinem eigenen Selbst. Um in eine persönliche Beziehung zum Absoluten eintreten zu können, muß man erst wieder eine Person sein; man muß das reale persönliche Selbst aus dem feurigen Rachen des alle Selbstheit verschlingenden Kollektivismus retten. Das Verlangen danach birgt sich in dem Schmerz des einzelnen um das verstörte Verhältnis zu seinem Selbst; er betäubt den Schmerz mit einem feinen Gift immer neu und hält so auch das Verlangen nieder. Den Schmerz wachzuhalten, das Verlangen zu erwecken ist die erste Aufgabe eines jeden, den die Verdunkelung der Ewigkeit leiden macht; es ist auch die erste Aufgabe des echten Erziehers in dieser Stunde." Buber ist sicher beizupflichten, daß heute die Organe für Transzendenz verkümmert sind und es wenig hilft, eine Pädagogik, die sich emanzipiert hat, aus ihrer Weltlichkeit herausführen zu wollen. Anzuknüpfen ist vielmehr bei den Fragen nach dem Sinn. Die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie über die Sinnperspektiven eines „wahrheitsabhängigen Sozialisationsmodus" (Habermas) müßte in verstärktem Maße geführt werden. In der Frage nach dem Sinn steht der Mensch selbst zur Frage an. Das Gefühl der inneren Leere überfällt ihn heute schonungsloser denn je. Dieses Sinnlosigkeitsgefühl wird von Psychiatern als die geradezu „klassische'Neurosenform unseres Zeitalters diagnostiziert überall in curricularen und emanzipatorischen Strategien und Modellen treffen wir auf die großen Worte des Noch-nicht-Erfülltseins: Selbst-und nicht länger Fremdbestimmung, Befreiung und nicht länger Repression, Glück und nicht länger Unterprivilegierung. Sinnerfahrungen zu ermöglichen, ist eine vorrangige Erziehungs-und Bildungsaufgabe, damit der Zugang zu den Werten nicht verschüttet wird. Die Frage nach dem Sinn ist die Frage nach dem Leben und seinem Wozu. Wortgeschichtlich geht Sinn auf „Gang, Weg, Reise" zurück. Sinn ist der verfolgte Zweck, die Bedeutung eines gegebenen Zeichens, die Verstehbarkeit, der Wert von etwas, seine objektive Dienlichkeit. Es geht in dieser Erziehung um Frage-und Denkanstöße, die alle den anthropologischen Bezug herstellen helfen. Vor allem darüber ist heute der Transzendentalbezug einzuholen, das In-die-Wahrheit-Kommen der Erkenntnis und des eigenen Seins, das sittliche Handeln zum Guten um seiner selbst willen, der Bezug zur Liebe, der die größte Sinngewißheit schenkt, das heute im Schulprogramm an den Rand gedrängte Phänomen des Schönen, aber auch die Geschichte als das Maß, mit dem die Zukunft gemessen wird, und die Philosophie mit ihrer Geduld, zuhören zu können, Zeit zu haben, Weisheit von innen zu gewinnen. 8. über Werte und Tugenden darf wieder gesprochen werden In der Ontologie ist jahrhundertelang die Frage nach den inneren Möglichkeiten des Seienden gestellt worden. Diese „Kritische Theorie" ist älter als die der Frankfurter Schule, deren Scheitern am Transzendenzproblem Horkheimer in seinen letzten Äußerungen in erschütternder Weise zeigt, wenn er die Sehnsucht nach dem ganz Anderen belegt: „Alle Versuche, die Moral anstatt durch den Hinblick auf ein Jenseits auf irdische Klugheit zu begründen ..., beruhen auf harmonistt sehen Illusionen... Es gibt keine logisch zwingende Begründung, warum ich nicht hast sen soll, wenn ich mir dadurch im Leben keine Nachteile zuziehe."

Wertkristallisationen im Verhalten sind die Tugenden, die wir rehabilitieren sollten: „Im Blick auf die Gefährdungen, denen das Menschsein heute von Seiten gerade verhaltens-technologischer Planungen ausgesetzt ist, gilt es für eine Ethik, die rational-kommunikativ sein will, Tugend sichtbar zu machen als letzte, wertbestimmte Grundhaltung gegenüber dem Humanum. Dies derart, daß zugleich auch deutlich wird, daß ohne solche Grundhaltung der Mensch mit seinem Selbst-verlust zu rechnen hat." Der Theologe Bernhard Stoeckle, von dem dieses Zitat stammt, benennt einige typische Fehlhaltungen unserer Zeit, denen wir „notwendige" Tugenden gegenübersetzen sollten. Die von dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz angeführte Unfähigkeit, Triebaufschub und Triebsublimierung überhaupt noch zu leisten, begründe die Forderung nach Haltungen, „welche im Rahmen einer schöpferisch-personalen Triebsteuerung vor allem die Frustrationstoleranz, die Bereitschaft zu Verzichtleistungen, neu erwecken". Die Tugend des „Maßes“ ist angesprochen, aber auch die meditative Fähigkeit, „den Stecker mal aus der Dose zu ziehen und sich vorübergehend abzukapseln“, die Befähigung des Ausharrens und Aushaltens zu lernen. Dorthin gehöre auch jene Nüchternheit, die »den Menschen Ja sagen läßt zu seiner konstitutionellen Endlichkeit, zu seiner Unvollendbarkeit innerhalb der Geschichte". Es habe sich gezeigt, so meint dieser Autor, daß der Mensch erst in diesem Augenblick, da er sich mit der Kontingenz seines Daseins einverstanden erklärt, für ein realitätskonformes Verhalten befähigt wird

Welchen Grund könnte es geben, daß wir die reiche Überlieferung der Tugenden abschnüren und auf den Müllhaufen der Geschichte befördern? Woran uns Landesverfassungen erinnern — Ehrfurcht vor Gott, Nächstenliebe, Brüderlichkeit, Selbstbeherrschung, Bekenntnis und Handeln nach der Wahrheit, Duldsamkeit, Bildung von Herz und Charakter und viele andere, die Landesstaatsgewalt bindende Erziehungs-und Bildungsziele —, soll das nach 25 Jahren schon alles Fassade sein? Viele Bürger unseres Landes fühlen sich in ihrem Gewissen an diese gemeinsamen Werte gebunden. Der Pendelschlag läßt heute diese Werte zunehmend an Allgemeinheit und Bindungskraft verlieren. Wenn wir dieses Feld nicht bestellen, aus Furcht vor Ideologieverdacht oder einfach aus Gleichgültigkeit, wird das ideologische Unkraut auf dieser Brache weiterwuchern, wird der Nihilismus sein Gift weiter aussäen. Deshalb darf, muß heute in der Erziehung wieder von Werten gesprochen werden, durchaus mit einer neuen Nachdenklichkeit für einen der zentralen Sätze des Philosophen Josef Pieper: „Alles Sollen gründet im Sein. Die Wirklichkeit ist das Fundament des Ethischen. Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße."

Die von dem Pädagogen Theodor Wilhelm geforderte „Neuvermessung der Wirklichkeit“ braucht nicht an der Partikularität der pluralistischen Wertentscheidungen zu scheitern. Allerdings können wir diese Aufgabe nicht „den" Wissenschaften, sprich: Wissenschaftlern allein überlassen.

Bei Bert Brecht ist, was die Christen „Gnade" nennen, als faules Ei denunziert, als christliches „Ei-ei“. Die Krone der Schöpfung, „das Schwein, der Mensch", wird von Gottfried Benn nicht allein entmystifiziert. Aber wir finden ja auch andere Sätze in der modernen Literatur, die hier für den Geist der Gegenwart steht, etwa wenn Dürrenmatt erklärt: „Es ist immer noch möglich, den mutigen Menschen zu zeigen.“ Oder: „Der Mensch gerät in sein Jüngstes Gericht, der Mensch muß sich selbst aushalten.“

Wissenschaft, Literatur, aber auch die neuere Theologie mit ihrem von Tillich geprägten Begriff der „Grenze" oder deren heute fast vergessene „Magd“, die Philosophie eben nicht nur der Frankfurter Schule, beschreiben alle das Unbeschreibbare, was sich niemals ganz ausloten läßt. Diesen Respekt vor dem Geheimnis, das der Mensch ist — auch der zu erziehende —, lassen wir uns auf keinen Fall streitig machen, auch nicht durch eine Aufklärung, deren dialektischer Umschlag jene emanzipatorische Gegen-Aufklärung hervorbringt, die total ist in ihrer Diesseitigkeit. Damit ist die Grenze des Zumutbaren für viele Eltern, Lehrer und Schüler dieses Landes überschritten, was die Bildungsreform und ihr dezeitig propagiertes Lernziel der programmierten Emanzipation betrifft.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Walter Gagel, Sicherung vor Anpassungsdidak tik?, in: Rolf Schörken (Hrsg.), Curriculum „Politik — Von der Curriculumtheorie zur Unterrichtspr xis, Opladen 1974, S. 15. Dieser Sammelband, auo als „Theorie-Band" eingeführt, enthält theorettsdit Grundlegungen von Autoren der „Richtlinien den politischen Unterricht". Diese Richtlinien der Kultusminister des Landes Nordrhein-West/e len im April 1973 vorgelegt. Inzwischen ist eins vidierte 2. Auflage der Richtlinien jetzt als „Kl linien für den Politik-Unterricht" im Oktober erschienen. Als Quellenangabe steht im folge jeweils vor der Seitenzahl die Auflage, z. B. . linien 2/26". ... das

  2. Anneliese Grundmann-Roch, Übersicht ube curriculare Verfahren, in: Schörken (Hrsg.), a S. 37.

  3. Gagel, a. a. O„ S. 20.

  4. Zit. nach Peter R. Hofstätter, Individuum und Ge-

  5. Arthur Koestler, Das Gespenst der Maschine, Wien 1968, S. 368.

  6. Vgl. Günter C. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation, Stuttgart 1972, S. 102.

  7. Hofstätter, a. a. O., S. 193.

  8. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Kapitalismus, Frankfurt 1973, S. 194. ,

  9. Habermas, a. a. O., S. 101.

  10. Vgl. Friedrich Minssen, Legitimationsprobleme .der Gesellschaftslehre — Zum Streit um die hessischen . Rahmenrichtlinien", in: Aus Politik und Keitgeschichte, B 41/73, S. 6 f. Minssen zeigt diese zuge zur Kritischen Theorie und bewertet die einTiculum-Diskussion in Her Bundesrepublik als senen allerersten Anfang einer Reihe von „Diskurim Habermasschen Sinn, aber nicht ohne Ironie konstatiert er bisher ein deutliches überwiegen der „spekulativischen" vor den „ersprießlichen“ Momenten.

  11. Zit. nach Minssen, a. a. O., S. 17.

  12. Grundmann-Roch, a. a. O„ S. 47 f.

  13. Schörken, a. a. O„ Vorwort.

  14. Funkermann Giesecke, Pädagogische und politische onen von Richtlinien. Eine Diskussion über

  15. Giesecke, a. a. O., S. 107 f.

  16. Giesecke, a. a. O., S. 110.

  17. So auch Kultusminister Girgensohn im Vorwor! zu den NRW-Richtlinien: „Ein allgemein yerph tender Themenkanon wird nicht vorgeschrieben 0. Es müssen jedoch alle Qualifikationen berücst tigt werden.“

  18. Wolfgang Sachs /Christoph Scheilke, EolgePfür bleme geschlossener Curricula, in: Zeitschritt Pädagogik, Weinheim, 3/1973, S. 378.

  19. Hanna-Renate Laurien, Pädagogik — Instrument serzystemüberwindung?, in: Kirche und Gesell-SanattMönchengladbach, 16/1975, S. 7. In Rhein-fällen i ist offiziell der Terminus „Curriculum“ vom gelassen worden. Anstelle dessen spricht man " emnzielorientierten Unterricht" und gewährt

  20. Minssen, a. a. O., S. 17.

  21. Johannes Flügge, Lernzielplanung und totalitäre Gesellschaftspolitik, in: Fragen der Freiheit, hrsg. vom Seminar für freiheitliche Ordnung durch L. Vogel und H. Vogel, Koblenz 1973, S. 40.

  22. Giesecke, a. a. O., S. 96.

  23. Günter C. Behrmann, Der Begriff des , sehen“ in den Richtlinien für den politischen in richt in NRW. Mitteilungsblatt des Landesversap.des Nordrhein-Westfälischer Geschichtslehrer, tember 1974, S. 14.

  24. Theodor W. Adorno, Drei Studien zu 89 Frankfurt 1969, S. 119.

  25. obert Spaemann, Autonomie, Mündigkeit, wranzipation, in: S. Oppolzer (Hrsg.), Erziehungs-Gossenschaft zwischen Herkunft und Zukunft der esellschaft, Wuppertal 1971.

  26. Herbert Bath, Emanzipation als Erziehungsziel, Bad Heilbrunn 1974, S. 138. Bath hat das geistige Umfeld des Emanzipationsbegriffs in seiner Untersuchung überzeugend dargestellt. Vgl. auch Bernhard Sutor, Didaktik des politischen Unterrichts, Paderborn 19732. Diese umfassende Studie hebt sich wohltuend ab von der geistigen Kurzatmigkeit „emanzipatorischer“ Konzepte, indem sie an die Wertüberlieferungen der europäischen Geistesgeschichte anknüpft und den Pluralismus der Auffassungen gelten läßt.

  27. Hans-Jochen Gamm, Kritische Schule. Eine Streitschrift für die Emanzipation von Lehrern und Schülern, München 1970, S. 12.

  28. Klaus Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation, München 1968, S. 67.

  29. Zit. aus Helmut Kasper, Pädagogik, Emanzipation und Politik, in: Die neue Ordnung, Walberberg, 2/1974, S. 84.

  30. Bernhard Fluck, Emanzipation und soziokulturelle Bedingungen der Jugend, in: Schörken (Hrsg.), a. a. O., S. 91.

  31. So schreibt Gagel, a. a. O., S-29, daß bei Thoma (und Blankertz) die Gesellschaftsanalyse im li einer Theorie der Gesellschaft durchgeführt wirdie der sog. Kritischen Theorie der Frankfurte Schule nahesteht.

  32. Vgl. Jürgen Habermas, Legitimationsproblem im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973.

  33. Vgl. Thomas Nipperdey, Ende der Selbstbestimmung, in: Klassenkampf und Bildungsreform, Herderbücherei Initiative 2, Freiburg 1974, S. 95 ff.; Hermann Lübbe, Wie man es lernt, sich zu distanzieren, in: FAZ vom 24. Juni 1974; Günter C. Behr-mann, Soziales System und politische Sozialisation, Stuttgart 1972, Kap. 3 und 4.

  34. Vgl. Arnold Künzli, Aufklärung und Dialektik,

  35. MaX Horkheimer, Kritische Theorie, Frankfurt 3) 08 Bd. 2/VII.

  36. Max Horkheimer, Notizen 1950 bis 1960 und npr n erung. Notizen in Deutschland, hrsg. v. Wer-er Brede, Frankfurt 1974, S. 23.

  37. Vgl. Helmut Kasper, a. a. O., S. 88.

  38. Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1970, S. 151 ff.

  39. Hans-Joachim Gamm, a. a. O., S. 51.

  40. Adorno, a. a. O., S. 154.

  41. Vgl. Künzli, a. a. O., S. 137 f.

  42. Robert Spaemann, Jeder der Vormund des ar deren, in: FAZ vom 31. Dezember 1974.

  43. Vgl. Künzli, a. a. O., im Kapitel „Freiheit und Bindung von Hobbes bis Marcuse", S. 13 f.: „Nicht die Repression von Freiheit, sondern deren Ohnmacht ist bei uns das eigentliche Problem.“

  44. Kurt Gerhard Fischer und Mitarbeiter, Gesel schaft und Politik. Ein Arbeitsbuch für die Sot und Gemeinschaftskunde der Klassen 7 bis 9 aller Schulen, Stuttgart 19728, S. 98 f. .

  45. Hans Maier, Die Zukunft der Freiheit, Po mentation (D 43) des Zentralkomitees der sehen Katholiken vom 84. Deutschen Katholiken 9 13. 9. 1974, S. 18.

  46. Vgl. Elisabeth von der Lieth, Wege und Irrwege derErziehungsWissenschaft, in: Stimmen der Zeit, 51973, S. 327.

  47. Eduard Spranger, Wissenschaft, Ideologie, Ge-1969, 21291937), in: Ges. Schriften Bd. V, Tübingen

  48. Wolfgang Brezinka, Von der Pädagogik zur Erziehungswissensdiaft, Weinheim 1971, S. 151.

  49. Vgl. Artikel „Eine merkwürdige Beziehung zur Musik. Niedersächsische Rahmenrichtlinien: sozialistische Verödung in vier Phasen“, in: FAZ, 31. 5. 1974.

  50. Lesebuchwerk „Drucksachen“, 5. Bd., Düsseldorf 1974, S. 59.

  51. Ebenda, S. 63.

  52. Vgl. Künzl, a. a. O., S. 141.

  53. Heinz-Joachim Heydorn /Gernot Koneffke, Studun. zurSozialgeschichte und Philosophie der Bil-dung, 2 Bde., München 1974.

  54. Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, Bonn 1970, S. 141 ff.

  55. Zit nach Gehlen, a. a. O., S. 71.

  56. Erwin K. Scheuch, Kulturintelligenz als Macht-faktor, Zürich 1974, S. 38.

  57. Vgl. Sutor, a. a. O., S. 335.

  58. Gehlen, a. a. O., S. 101. Zu verweisen ist auf das Gutachten zu den Hessischen Rahmenrichntlinien Gesellschaftslehre von Thomas Nipperdey und Hermann Lübbe, Hessischer Elternverein, Bad Homburg 1973, S. 33, mit einer bestechenden Parade von Argumenten, wie zerstörerisch „Emanzipation m der Schulwirklichkeit ist: „Erziehung hat es mit der Bildung der Identität des Ich, der Person zu tun, nur dann kann von Selbstbestimmung die Re sein. Und sie hat es mit der Integration des Me .sehen in die vorgegebene Gesellschaft zu tun

  59. Laurien, a. a. O., S. 10.

  60. Günter Loew beschreibt in einem Artikel der wochenzeitung „Rheinischer Merkur", Nr. 30, 1974, wie das personale Vorbild durch die Ideologie ersetzt wird und führt in diesem Zusammenhang den Koman " Das Vorbild“ von Siegfried Lenz an. Die . , n 1K habe diesen Roman, dessen Sujet das Pro-piem.der Vorbilder im Unterricht sei, als „restauTitv abgetan. Die Suche nach Vorbildern wurde 4s berbleibsel einer bürgerlichen „Säkularisation“ hoi ennzeichnet, „wo Klassiker und andere Riesen , . er Uberich-Bildung herhalten müssen*. Lenz leiRanz. anderer Auffassung, daß wir nämlich „vieldo» v ingender als je eine Generation vor uns des Vorbildhaften bedürfen*.

  61. Der französische Tiefenpsychologe Marc Oraison sieht die Wurzeln einer als Leidenschaft für Gerechtigkeit und Gesellschaftsveränderung getarnten Kritik und Aggressivität in Angstkomplexen. Das Fundament, so erklärt er in seinem Band „Überwindung der Angst", sei ein affektiver Konflikt im einzelnen und keine rationale, geistige Begründung. Der „Aggressivität der Linken“ setzt er das Syndrom einer überzogenen konservativen, integralistischen Geisteshaltung entgegen mit ihrer krankhaften Furcht vor Freiheit und sozialem Wandel. Eine verantwortliche Erziehung wird beide Extrem-haltungen zu meiden haben.

  62. Vgl. Gehlen, a. a. O., S. 66, mit einer Fülle geschichtlicher Durchblicke und Zitate. Gehlen meint, der „Kritiker" sei stets der eigentliche Nutznießer des Ideals, das zum Versuch der Realisierung sich noch nicht stark genug fühlt.

  63. Martin Buber, Reden über Erziehung — über Charaktererziehung, Heidelberg 1969, S. 62 ff.

  64. Ebenda.

  65. So z. B.der Wiener Psychiater Viktor E. Frankl. Der Mensch auf der Suche nach Sinn, Herderbuc rei Bd. 430, Freiburg 1972.

  66. Max Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, Hamburg 1970, S. 60 f.

  67. Bernhard Stoeckle, Rechtfertigung der Tugend suterin: Stimmen der Zeit, 5/1974, S. 297 f.

  68. Vgl. Christian Starck, Privatschulen als Antwort di RaahmenrichUinien, in: FAZ v. 14. 1. 1975 über verfassungsrechtlichen Gebote, denen das Schüul-wesen untersteht.

  69. Josef Pieper, Die Wirklichkeit und das Gute, München 1949, S. 11. Sutor, a. a. O., S. 258, bringt dazu im Kapitel über Ziele Und Struktur des politischen Unterrichts in seiner Didaktik einen lesenswerten Teil über exemplarisches Lehren, Einsicht, und Gewissen. Die Vokabel „Gewissen" stirbt in der Emanzipationspädagogik den sanften Tod; sie kommt allenfalls im repressiven Kontext vor.

Weitere Inhalte

Hermann Boventer, Dr. phil., geb. 1928 in Düsseldorf; Studium der Philosophie, Kunstgeschichte, Soziologie; drei Jahre Studium und Lehrtätigkeit in Nordamerika, USA-Vortragsreisen; zwölf Jahre Tätigkeit als Journalist (Chefredakteur der Jugendillustrierten „kontraste", freiberuflich); seit 1968 Akademie-leiter (Thomas-Morus-Akademie Bensberg); derzeit Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands. Veröffentlichungen: Broschüren und Magazine der Bundeszentrale für politische Bildung, u. a. „Automation wohin?", „Wahlrecht", „Der einzelne vor der Politik: Eine politische Verhaltenslehre", „Respekt vor der Obrigkeit: Autorität und Staat", „Fremde, Gäste, Freunde: Gastarbeiter in Deutschland", Bonn 1966-69; Artikel „Die Illustrierten“, in: Handbuch der Publizistik, Bd. 3, 1969; Die Ideologie wiederentdeckt. Zum Protest der jungen Generation, in: Neue Ordnung, Walberberg, 4/71; Lebensqualität: Unbehagen am Fortschritt, in: Neue Ordnung, 2/73; Sinnfrage, Mensch und Bildungskonzept, in: Neue Ordnung, 3/73; Medienpolitik: Eine andere Pressefreiheit?, in: Neue Ordnung, 5/73; Fernsehen und Politik, in: Stimmen der Zeit, München, 1/74; Abschied von der christlichen Erziehung?, in: Pastoralblatt, Köln, 4/74; Das utopische Denken, in: Stimmen der Zeit, 6/74; Medienpolitik — Nicht mehr, sondern weniger Pressefreiheit, Nr. 15 von „Kirche und Gesellschaft“, Mönchengladbach 1974; Der Mensch und die Gesellschaft, in: Pastoralblatt, 3 und 4/75.