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Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa | APuZ 11/1975 | bpb.de

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APuZ 11/1975 Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa

Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa

Gerhard Wettig

/ 78 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die vorliegende Analyse untersucht das Problem des immateriellen Austauschs zwischen Ost und West. Es wird die Frage gestellt, ob eine Abschirmung oder eine Öffnung der beiden Systeme dem Frieden in Europa dienlich ist. Nach grundsätzlichen Überlegungen über die bestehenden gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen folgt eine Analyse der sowjetischen Einstellung zu den Fragen des zwischengesellschaftlichen Zueinanders. Auf dieser Grundlage werden die Möglichkeiten erörtert, die sich für die westlich-demokratischen Landes unter der Zielsetzung eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Ost und West eröffnen. Es ergeben sich vier Alternativen für eine Regelung des Problems der immateriellen Ost-West-Austauschbeziehungen. Ihre Vor-und Nachteile werden gegeneinander abgewogen. Die erste und zweite Alternative — die Festschreibung des derzeitigen Zustandes sowie eine Reziprozierung der sowjetischen Abschirmungspolitik — erscheinen insofern problematisch, als zum einen auf eine wirklich wechselseitige Kommunikation und die Realisierung der Entspannungspolitik auch in Osteuropa verzichtet wird, zum anderen eine Abschirmungspolitik des Westens und die Unterdrückung systemkontroverser Meinungen nicht einem freiheitlich-demokratischen Selbstverständnis entsprechen und daher eine aufgezwungene Reaktionsweise darstellen würden. Die dritte Alternative — der Einsatz politischer Hebel für die Verbesserung des menschlich-geistigen Ost-West-Austausches — ist bei der derzeitigen Einstellung des Westens nur punktuell praktizierbar. Eine konsequente Durchführung des Prinzips der Reziprozität bedürfte eines kontinuierlichen Beharrens auf diesem Anspruch, das auch zeitweilige Spannungen hinzunehmen bereit wäre. Unter den gegebenen Bedingungen realistischer erscheint die vierte Alternative — ein zunächst nur auf die Machteliten beschränkter menschlich-geistiger Austausch, der zwar die im sowjetischen Machtbereich bestehende Furcht vor allgemeineren gesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigt, dennoch tendenziell auf einen breiteren Dialog hin angelegt ist.

1. Fragestellung

Abbildung 1

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer — die Entwicklungen von KSZE und MBFR problematisierenden — Arbeit des Ver-Sassers über die Möglichkeit von friedenssichernden Regelungen für Europa, die in der Schriftenreihe für Militärpolitik der Studiengesellschaft für Zeit-probleme e. V. erscheinen wird.

Das Thema: Der immaterielle Austausch zwischen Ost und West Auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bilden die Fragen des immateriellen Austauschs zwischen Ost und West ein wichtiges Beratungsthema. Der Austausch, der hier zur Diskussion steht, vollzieht sich auf zwei Ebenen: auf der des persönlichen Kontakts und auf der der geistigen Kommunikation. Es handelt sich dabei um Beziehungen, deren unmittelbare Subjekte nicht die Staaten sind. Vielmehr treten die Mitglieder der Gesellschaften in Ost und West als Subjekte dieser Beziehungen — als ihre unmittelbaren Nutznießer oder Leidtragenden — auf. Man kann daher je nach Terminologie entweder von zwischengesellschaftlichen Beziehungen oder von transnationalem Austausch sprechen.

Mithin haben die an der Europa-Konferenz teilnehmenden Regierungen eine Regelung für grenzüberschreitende Bewegungen zu treffen, die von gesellschaftlichen Kräften autonom — also ohne direkte staatliche Steuerung — durchgeführt werden. Dieser Umstand läßt bereits das Problem deutlich werden, das zu lösen ist: Nur die westlich-demokratischen Staaten billigen ihren Gesellschaften einen Freiraum zu, während in den Staaten des sowjetkommunistischen Typs die staatsbeherrschenden Monopolparteien die Gesellschaften uneingeschränkt zu steuern» beanspruchen. Die Möglichkeit, daß gesellschaftliche Kräfte Außenbeziehungen von relativer Unabhängig-keit aufbauen und unterhalten könnten, erscheint daher als eine Systemwidrigkeit und als eine Staatsgefährdung. Wenn man nun darauf verzichten wollte, das Modell autonomer Beziehungen -beiderseitig geltend zu machen, und dementsprechend bereit wäre, selbständig handelnde Gesellschaftskräfte westlicher Länder mit zentral dirigierten Gesellschaftskräften des sowjetischen Machtbereichs zusammenkommen zu lassen, dann ergäben sich für den Verlauf der wechselseitigen Beziehungen die größten Schwierigkeiten und Unausgewogenheiten. Es stünde dann nämlich im Osten ein einheitlich handelnder Machtblock vielen fragmentierten Einzelgruppen im Westen gegenüber. Die Leitvorstellung von zwischengesellschaftlichen Beziehungen, die sich in einem relativ machtfreien Raum entfalten könnten, würde durch eine Wirklichkeit karikiert werden, die zu einer machtpolitischen Ausnutzung der Freiräume auf der einen Seite durch politisch gesteuertes Handeln auf der anderen Seite geradezu herausfordern müßte. In diesem Falle könnte es kaum ausbleiben, daß die westliche Seite, um in der Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Lager keine offene politische Flanke darzubieten, ihrerseits die Ostbeziehungen auf der gesellschaftlichen Ebene einer staatlichen Kontrolle unterwerfen müßte.

Das Problem der Asymmetrie Unausgewogenheiten kennzeichnen bisher weithin das gesellschaftliche Feld der Ost-West-Auseinandersetzungen Asymmetrische Bedingungen bestehen vor allem in dreierlei Hinsicht:

— Im sowjetischen Machtbereich kontrollieren die Partei-und Staatsführungen fast uneingeschränkt, den öffentlichen Zugang zu den politisch und gesellschaftlich relevanten Informationen. Die Suche nach weiterreichenden Nachrichten gilt grundsätzlich als „Spionage". Demgegenüber gehen die öffentlich zugänglichen Informationen in den westlichen Ländern von den verschiedensten, miteinander rivalisierenden gesellschaftlichen Kräften aus, und es steht darüber hinaus jedem frei, weitere Nachforschungen anzustellen, wenn man von wenigen, sehr eng begrenzten Bereichen absieht. Daher sind über die bestehen-den Verhältnissen vielfältige und nachprüfbare Informationen verfügbar. — In den Ländern des sowjetischen Lagers beanspruchen die Männer im Kreml und ihre Verbündeten ein unumschränktes Monopol bei der Verbreitung von Informationen. Abweichende Nachrichten in-oder ausländischen Ursprungs werden als staatsfeindliche „Subversion" unterdrückt und bekämpft, weil ausschließlich die amtlich verordneten Darstellungen von Vorgängen und Tatbeständen Einfluß auf das Denken der eigenen Gesellschaften nehmen sollen. Demgegenüber dürfen in den westlichen Ländern alle Personen und Gruppen — auch die Repräsentanten und Sympathisanten östlicher Staaten — nahezu alle Informationen verbreiten und damit Einfluß auf die Gesellschaft nehmen. — In den sowjetkommunistischen Ländern ist jede politische Opposition gegen das herrschende System und seine Vertreter strikt untersagt. Damit ist jeder, der mit den westlichen Ländern sympathisieren wollte, von vornherein zumindest des Rechtsschutzes beraubt Demgegenüber können die östlichen Führungen in den westlichen Ländern ohne ernstliches Risiko darangehen, gesellschaftliche Kräfte im Sinne ihrer Zielsetzungen zu mobilisieren und zu organisieren, um so auf die amtliche Politik einzuwirken. Kommunikation, Schulung und Unterstützung sind möglich.

Der Wille der westeuropäischen Staaten, auf der Europa-Konferenz Regelungen für einen freieren zwischengesellschaftlichen Austausch herbeizuführen, hat bewußt oder unbewußt die Funktion, die bestehenden Asymmetrien zwischen Ost und West zu verringern. Dabei stehen freilich nur Probleme aus den beiden erstgenannten Komplexen zur Diskussion. Daran, daß auch im Osten opponierende, der Gegenseite zuneigende Kräfte politischen Handlungsspielraum erhalten könnten, denkt niemand. östliche Austauschbehinderungen und westliche Abhilfevorstellungen Im Vordergrund westlichen Strebens stehen freilich im allgemeinen kaum Gesichtspunkte einer besseren Ausgewogenheit der politi sehen Bedingungen in Ost und West. Vielmehr ziehen die praktischen Schwierigkeiten die Aufmerksamkeit auf sich, welche die im Zeichen der Entspannung vermehrten persönlichen und geistigen Beziehungen zwischen beiden Teilen Europas belasten. Die westlichen Journalisten in den osteuropäischen Ländern, vor allem in der Sowjetunion, seufzen unter den engen Restriktionen für ihre Tätigkeit. Wenn jede Reise und jedes Interview einer umständlichen Genehmigungsprozedur unterliegt und wenn jede Recherche durch den Verweis auf nichtssagende offizielle Quellen blockiert wird, wenn häufig grotesk wirkende überwachungs-und Schikanierungsmaßnahmen gegen westliche Presseleute ergriffen werden und wenn schließlich von stets drohenden Repressalien bis hin zur Ausweisung eine Art Nachzensur ausgeht, dann läuft dies auf eine weitgehende Kontrolle der westlichen Berichterstattung über die Länder des sowjetischen Machtbereichs hinaus

Westliche Geschäftsreisende, Wissenschaftler und Touristen müssen sich zahlreiche Kontrollen und Beschränkungen gefallen lassen, die ihre Erfahrungsmöglichkeiten empfindlich einengen. Bei der Abwicklung von Austauschregelungen macht sich häufig die Tendenz bemerkbar, daß die östliche Seite sowohl die einheimischen als auch die auswärtigen Anträge nach willkürlichen politischen Gesichtspunkten auszuwählen sucht. Die Hauptwaffe gegen die eigenen Staatsbürger ist die Verweigerung eines Passes, während die Entfernung unerwünschter Kandidaten aus westlichen Ländern häufig durch zwischengeschaltete Sympathisantenorganisationen angestrebt wird.

Ein schwieriger Komplex sind auch die Fragen, die mit der Ausreise oder gar der Auswanderung östlicher Staatsbürger verknüpft sind. Auch wenn oft genug andere Gründe, beispielsweise knappe Devisen, vorgeschoben werden, ist doch das generelle Mißtrauen gegen unkontrollierte Westkontakte zwischen Mitgliedern der eigenen Gesellschaften und dem westlichen Ausland eindeutig das ent-scheidende Motiv Der Wunsch, die eigenen Staatsbürger gegen Einwirkungen aus dem Westen abzuschirmen, veranlaßt die östlichen Behörden auch dazu, den Zugang zu westlichen Presseerzeugnissen, Büchern, Filmen und anderen Informationsträgern entweder völlig unmöglich zu machen oder aber in den engen Grenzen eines entpolitisierten und überwachten Kulturaustausch zu halten. Natürlich werden westliche Rundfunksendungen in erheblichem Umfange gestört, damit sie so wenig Hörer wie möglich in Osteuropa erreichen sollen. Das Fernsehen stellt bisher, von einigen Randzonen wie namentlich in der DDR abgesehen, praktisch noch keinn Faktor westlicher Einwirkung dar. Für die vorauszusehende Entwicklung eines Satellitenfernsehens, das von außerhalb in die UdSSR ausgestrahlt werden könnte, sucht die sowjetische Führung Vorsorge zu treffen. Sie betreibt bei den Vereinten Nationen das Projekt eines weltweiten Abkommens, das Fernsehsendungen über Staatsgrenzen hinweg verbieten soll

Die westlichen Teilnehmer der Europa-Konferenz möchten diese und ähnliche Barrieren für den Kontakt und die Kommunikation in Europa verringern. Sie streben beispielsweise danach, die Behinderungen für westliche Staatsangehörige in den Ländern des sowjetischen Lagers abzuschwächen oder möglichst allen Interessenten in Ost und West familiär oder wissenschaftlich motivierte Reisen über die Systemgrenzen hinweg zu gewährleisten. Wenn etwa sowjetische Politikprofessoren an westlichen Universitäten langfristige Lehrund Forschungstätigkeiten ausüben können, dann sollte es, so ist die Ansicht, auch denkbar sein, daß westlichen Politologen nicht länger das Betreten östlicher Institute und Hörsäle verweigert wird Es ist auch nicht einzusehen, wieso etwa die sowjetische Botschaft in Bonn seit langen Jahren eine deutschsprachige Monatszeitschrift herausgeben und verbreiten kann, während die Vertretung der Bundesrepublik in Moskau keine derartige Möglichkeit zugestanden erhält.

Verfahren des kommerziellen und nicht-kommerziellen Austauschs, die wechselseitige Zulassung von auswärtigen Kultureinrichtungen in Ost und West und der freie Verkauf inter

2. Die gesellschaftlich-politischen Voraussetzungen für Prozesse des immateriellen Austauschs zwischen Ost und West

Die Bilanz der strukturbedingten Vor-und Nachteile für beide Seiten Die welche praktischen Folgen bestimmte Bedingungen des Austauschs zwischen Ost und West nach sich ziehen, verweist auf Strukturen die ordnungspolitischen beider Seiten zurück. Das sowjetkommunistische Staats-und Gesellschaftsmodell postuliert eine durchgehende Organisation und Steuerung der Gesellschaft durch die machthabende Gruppe. Die zentrale Lenkung aller machtpolitisch relevanten Formationen stellt Kernstück dieses Konzepts -ein dar. Dement sprechend werden alle Kommunikationen und Kontakte als Informationsquellen rigoros überwacht und manipuliert. Was sich der Kontrolle zu droht, wird -entziehen rücksichts los unterdrückt. Das westliche Staats-und Gesellschaftsmodell dagegen gründet darauf, daß die Gesellschaft gegenüber der staatlichen Führung einen eigenständigen Charakter zu beanspruchen hat und daß in ihr sehr unterschiedliche Tendenzen zur Entfaltung kommen können. Ihm entsprechend bildet die Gesellschaft einen fragmentierten Bereich, der Einwirkungen von innen und außen offen-steht. Da die Gesellschaft zugleich — am deutlichsten sichtbar in periodisch wiederkehrenden Wahlen — den konstitutiven Vorraum des staatlichen Willens darstellt, ist in ihr ein entscheidender Ansatzpunkt für Einflußnahme auf die Politik des Staates gegeben.

Die sowjetische Führung und ihre Verbündeten haben sehr deutlich erkannt, daß diese Sinational redigierter Zeitschriften in allen beteiligten Staaten könnten dazu beitragen, die Völker wechselseitig mit Informationen übereinander zu versorgen. Das Recht des „freien Äthers" müßte dafür sorgen, daß die Bewohner verschiedener Staaten nicht in enge, getrennte Nachrichtenschachteln eingezwängt werden und dann gegebenenfalls ohne die Möglichkeit einer korrigierenden Einflußnahme mit verfeindenden Vorstellungen gegeneinander aufgewiegelt werden können. tuation ihnen bei der Ost-West-Auseinandersetzung auf der gesellschaftlichen Ebene wesentliche Vorteile bieten Anders als die kann. westlichen Regierungen sind sie imstande, die gesellschaftlichen Kräfte in ihrem Machtbereich unter den Gesichtspunkten eines ideologisch-politischen Kampfes zusammenzufassen. Umgekehrt verhindern in den westlichen Ländern die Divergenzen, die sich dort frei entwickeln können, vielfach jede einheitliche Interessenartikulation nach außen hin. Gezielten und koordinierten östlichen Einflußnahmen und Aufspaltungsbemühungen bieten sich daher zahlreiche Ansatz-und Angriffs-stellen. Aus östlicher Perspektive erscheint dies als . ein entscheidendes westliches Schwächemoment, das einer sich in Phase koexistenzieller Entspannung für die ideologisch-politischen Auseinandersetzungen optimal ausnutzen läßt.

Das ist freilich nur eine Seite der Medaille Die lockere Struktur der westlichen Gesellschaft kann auch ein Stärkemoment enthalten. Der Reichtum der wirtschaftlichen und geistigen Entfaltungsmöglichkeiten in den westlichen Ländern übt eine starke Anziehungskraft auf die Menschen im sowjetischen Herrschaftsbereich aus. Die Männer im Kreml und ihre Verbündeten sehen darin eine Gefahr für die Legitimation und den Bestand ihres Regimes. Aber auch abgesehen davon, sehen sie ihre Politik durch das Beispiel der westlichen Gesellschaften bedroht Denn die westliche Liberalität läßt die Menschen innerhalb des sowjetischen Machtbe-B reichs an der Notwendigkeit eines unerbittlichen Ost-West-Gegensatzes zweifeln und gibt dort vorhandenen Neigungen zu einem weniger militanten Verhalten gegenüber den politischen Grundprinzipien des Westens Auftrieb. Wenn aber die staatlichen und gesellschaftlichen Lebensordnungen der anderen Seite mit Verständnis und Duldsamkeit betrachtet würden, dann wäre dies nach amtlicher sowjetischer Auffassung mit einer Selbstpreisgabe des Kommunismus gleichbedeutend.

Die Kommunisten müssen, so lautet die offizielle These, ihre weltgeschichtliche Mission durch unermüdliche Anstrengungen zur Niederringung des Kapitalismus erfüllen. Andernfalls würde die gegnerische Sache triumphieren, indem der zum Untergang verurteilte Kapitalismus eine Uberlebensgarantie erhielte. Dahinter steht augenscheinlich die Vorstellung, daß der Westen, wenn er erst einmal nicht mehr als der unvermeidliche Gegner behandelt werde, durch seine Freiheitsgewähr, seine Ideenvielfalt und seine Prosperität eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Menschen im sowjetischen Machtbereich ausüben müsse. Wenn das richtig ist, dann hätte die Aufrechterhaltung des ideologischen Feindbildes die Funktion, das Stärkemoment des westlichen Staats-und Gesellschaftsmodelles zu neutralisieren. Zugleich kann man davon ausgehen, daß die Chance der Einflußausübung auf die westlichen Länder, die das Konzept des zwischen-gesellschaftlichen Kampfes der sowjetischen Führung eröffnet, zusätzlich einen entscheidenden Anreiz bildet.

Es bedarf für den Kundigen keiner besonderen Darlegung, daß die macht-und ordnungspolitischen Gegensätze zwischen dem sowjetischen Lager und den westlichen Staaten in Europa nicht einfach hinwegdiskutiert werden können. Sie müssen ausgetragen werden. Die Auseinandersetzung könnte auch die Form eines Dialogs annehmen. Das würde dem westlichen Staats-und Gesellschaftssystem besser entsprechen als der gegenwärtige ideologisch-politische Kampf der Länder des Ostens, der dem Ziel einer allmählichen Aushöhlung und schließlichen Beseitigung der Westlichen Ordnungen untergeordnet ist. In diesem Falle hätten die Länder des sowjetischen Typs eine Umstellung zu vollziehen. Allerdings würden sie dabei nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile erhalten. Der Umfang der publizistischen Apparate, der den kommunistischen Führungen zur Verfügung steht, und eine innenpolitische Situation, die durch das Fehlen von Oppositionsgruppen und mithin auch von Informationskorrektur gekennzeichnet ist, würde dafür sorgen, daß die östliche Seite ihre Konzepte mit einem unvergleichlichen Nachdruck ohne das Risiko störender Gegendarstellungen aus dem eigenen Land präsentieren könnte.

Die unterschiedliche Zuordnung von Staat und Gesellschaft Dieser praktischen Aktionsvorteile ungeachtet, würde für die sowjetische Seite langfristig ein ordnungspolitisches Problem entstehen. Während im Westen Staat und Gesellschaft grundsätzlich als unterschiedliche Bereiche behandelt werden, erlaubt die sowjetische These von der monolithischen Struktur des Sozialismus keine Abweichungen der gesellschaftlichen Ordnung von den Spielregeln des staatlichen Lebens. Daher ist es nicht möglich, der Gesellschaft, so wie das in den westlichen Ländern der Fall ist, die Rolle eines vorstaatlichen Raumes zuzuweisen. Meinungen und Standpunkte, die in den östlichen Gesellschaften geltend gemacht werden, erhalten darum immer unmittelbare Bedeutung für die Vorgänge im staatlichen Bereich. Wenn in der Gesellschaft gegensätzliche Auffassungen ausgetragen werden, beeinträchtigt dies den staatlichen Entscheidungsprozeß, der sich in allen Ländern an einem einheitlichen Willen —: und nicht etwa an einem Gegeneinander konfligierender Ansichten und Interessen — zu orientieren hat. Es ist also nicht so wie im Westen möglich, daß der Streit der Meinungen in einem vorstaatlichen gesellschaftlichen Raum ausgetragen und abgefangen wird. Da die Parteiführung eine völlige Kontrolle über die Gesellschaft beansprucht, berühren die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auch die zentralen Schaltstellen des Staates.

Unter den ordnungspolitischen Voraussetzungen, die im sowjetischen Machtbereich gelten, ist in der Monostruktur der Gesellschaft zugleich auch die Monostruktur des Staates bedroht. Eine pluralistische Gesellschaft scheint undenkbar, weil sie als Ausgangspunkt für eine Zerstörung der staatlichen Funktionen betrachtet wird. Da kein gesellschaftlicher Freiraum anerkannt ist, hätte ein Dialog, der von außen in die Gesellschaft hin-eingetragen würde, den Charakter eines staatsaufspaltenden Konflikts. Konsequenterweise ist für die sowjetische Führung und ihre Verbündeten jede freie Diskussion, die in ihren Machtbereich hineinwirkt, gleichbedeutend mit „Subversion", also mit einem nicht-gewaltsam vorgetragenen Angriff gegen die bestehende Ordnung. Die vom westlichen Ausland ausgehenden geistigen Einflüsse werden als unzulässige auswärtige „Einmischung" in die inneren Angelegenheiten der kommunistischen Staaten bekämpft.

In der Praxis relativiert sich allerdings der idealtypische Gegensatz zwischen den beiden ordnungspolitischen Systemen. Den Führungen in den Staaten des sowjetkommunistischen Typs stehen erhebliche Mittel zur Verfügung, die auch im Falle einer freien Diskussion mit dem westlichen Ausland die Entfaltung von Gegenpositionen in der eigenen Gesellschaft aufhalten könnten. Das bleibende Verbot aller unkontrollierten Organisationen reicht aus, um die Vertretung abweichender Standpunkte außerordentlich zu erschweren. Indem sich die Führung die organisatorische Mobilisation gesellschaftlicher Kräfte selbst vorbehält, beraubt sie alle etwaigen Konkurrenten entscheidender Handlungsmöglichkeiten und verfügt über monopolitisch abgesicherte Instrumente ihrer gesellschaftlichen Machtdurchsetzung.

Wie sich inzwischen auch in westlichen Gesellschaften gezeigt hat, läßt sich die kommunistische Ideologie überdies als ein wirksames Mittel der Disziplinierung der ihr ausgesetzten Gruppen verwenden. Die Führung, die den Apparat der Ideologievermittlung beherrscht, kann ihre Politik als ein Erfordernis der Vernunft schlechthin darstellen und damit ihren Willen auf weite Zielgruppen übertragen. Auf diese und andere Weise lassen sich Anhängerschaften gegen unerwünschte Einwirkungen immunisieren.

Die westliche Trennung von Staat und Gesellschaft garantiert auf der anderen Seite keineswegs, daß östliche Einflußnahme im gesellschaftlichen Bereich steckenbleibt und nicht bis in die staatlichen Entscheidungszentren vordringt. Die Gesellschaft bildet den Vorraum des Staates nicht nur in einem separierenden, sondern auch in einem konstituierenden Sinne. Mit anderen Worten: Was sich auf der gesellschaftlichen Ebene tut, ist zwar von dem staatlichen Geschehen getrennt, stellt aber zugleich die langfristig ausschlaggebenden Impulse für dieses her. Die Repräsentanten des Staates sind darauf angewiesen, daß sie von hinreichend starken gesellschaftlichen Kräften getragen werden. Daher können sich kommunistische Einflüsse in den westlichen Gesellschaften sehr wohl zu einem Wirksamkeitspotential summieren, das, wenn es stark genug wird, schließlich auf den Staat übergreifen und die bestehende Staats-und Gesellschaftsordnung erschüttern muß. Von einer prinzipiellen Unverletzlichkeit der westlichen Gesellschaften gegenüber äußeren Einwirkungen kann also keine Rede sein.

3. Das sowjetische Konzept der gesellschaftlichen Ost-West-Auseinandersetzung

„Friedliche Koexistenz" und „unausweichlicher Klassenkampf“

Die Politik der „friedlichen Koexistenz" mit dem Westen darf nach sowjetischer Ansicht keinesfalls dazu führen, daß das Gegensatz-verhältnis abgeschwächt oder relativiert wird. Es geht demnach nur darum, „eine Lösung für das dringlichste politische Problem der Gegenwart zu finden, nämlich das Entstehen eines ballistisch-nuklearen Krieges zu verhindern". Das „soziale Hauptproblem der Gegenwart", das heißt die Ablösung der westlich-demokratischen Ordnung durch das sowjetkommunistische System, dürfe deswegen nicht vernachlässigt werden. Diese Frage müsse „auf dem Wege des Kampfes zwischen den Klassen, zwischen Unterdrückten und Unterdrückern gelöst" werden. Darum wird den Prinzipien der „friedlichen Koexistenz“ für diesen zwischengesellschaftlichen Bereich ausdrücklich jede Gültigkeit abgesprochen. Als das beherrschende Merkmal der gegenwärtigen Geschichtsepoche gilt, daß jede Klasse „die Politik der friedlichen Koexistenz in ihrem Interesse und für ihre Klassenziele auszunutzen" suche, um „den großen historischen Streit zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu ihrem Nutzen zu entscheiden". In der Prognose, daß die bevorstehenden Jahrzehnte „nicht idyllisch sein" würden, kommt die Auffassung von einer unerbittlidien Schärfe der Auseinandersetzung zum Ausdruck

Dementsprechend wird der „historisch unausweichliche Kampf" lediglich „in eine Bahn gelenkt, auf der keine Kriege, gefährlichen Konflikte und unkontrollierten Wettrüstungen drohen“. Er soll „im Bereich der Wirtschaft, der Politik und natürlich der Ideologie“ unerbittlich vorangetrieben werden Die militante Härte der anvisierten Auseinanäersetzungen kommt in Bezeichnungen wie „ideologischer Krieg" oder „Schlacht der Ideen" zum Ausdruck. Die „friedliche Koexistenz", die den zwischengesellschaftlichen Kampf in sich schließt, wird als „Form der feindlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Gesellschaftssystemen" charakterisiert Während der Widerstreit der beiden Systeme in Politik und Wirtschaft stellenweise durch einzelne Elemente der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit überlagert würde, nehme „die Rolle des ideologischen Kampfes ... unter den Bedingungen der internationalen Entspannung besonders zu" und rücke „immer mehr in den Vordergrund". Nach sowjetischer These geht dies „vor allem darauf zurück, daß in der derzeitigen Lage die Bedeutung der ideellen Einwirkung auf die Masse und der Verbreitung dieser oder jener Ideen und Ansichten unter ihnen gewaltig zunimmt" Mit anderen Worten: Der Charakter des Feindseligkeitsverhältnisses zwischen Ost und West wird in den Bereichen, in denen ohne ein Risiko der wechselseitigen physischen Vernichtung um die Macht gerungen werden kann, uneingeschränkt aufrechterhalten. Die sowjetischen Vorstellungen über die durchzusetzenden Kampfbedingungen Wenn es darum geht, einen Kampf möglichst erfolgreich zu führen, dann muß man nach der Festlegung von möglichst einseitig begünstigenden Bedingungen streben. Die sowjetische Führung sucht Spielregeln der gesellschaftlichen Ost-West-Auseinändersetzung zu etablieren, die ihr besondere Vorteile gegenüber der westlichen Seite einräumen sollen. Den Kommunisten soll in den westlichen Ländern „eine ehrliche, wahrhaftige Propagierung der Vorzüge der sozialistischen Ordnung, der Erfahrungen und der Errungenschaften des Sozialismus sowie eine Darlegung der Wahrheit über den Kapitalismus für die breiten Massen" gestattet sein. Entsprechende Bemühungen von Anhängern westlich-demokratischer Auffassungen innerhalb des sowjetischen Machtbereichs dagegen werden als „ideologische Diversionen", „Verleumdung" und „Desinformation" verurteilt, die nach den Normen der „friedlichen Koexistenz" nicht zulässig sind. Die sowjetische Seite wehrt sich dagegen, daß „man sie anerkennen und damit in gewissem Maße als Formen des ideologischen Kampfes schlechthin legalisieren" könne : — offensichtlich weilauf diese Weise dem gesellschaftlich-politischen Gegner reziproke Rechte gehören würden. Die „Kräfte des Friedens und des gesellschaftlichen Fortschritts" aber sollen in den westlichen Gesellschaften „offensiv die Ideen des Sozialismus propagieren und umfassend die Überlegenheit der sozialistischen Prinzipien der gesellschaftlichen Ordnung in aller Welt darlegen". Dabei sollen sie „gleichzeitig die prinzipielle Kritik am Kapitalismus als gesellschaftliche Ordnung verschärfen, die durch ihn hervorgerufenen antagonistischen Widersprüche bloßlegen, die Verantwortung des Kapitalismus für gesellschaftliche Unterschiede, das Fehlen des Glaubens an die Zukunft, die Regionen des Elends, die Zuspitzung der zwischenmenschlichen Beziehungen, die fehlenden menschenwürdigen gesellschaftlichen Ideale und die Verarmung der geistigen Sphäre des gesellschaftlichen Lebens deutlicher machen". Der Kapitalismus soll „als ein überlebtes Gesellschaftssystem wirkungsvoller kritisiert werden". Der propagandistische Auftrag lautet, die Menschen in den westlichen Ländern davon zu überzeugen, daß „alle Gefahrenquellen für die friedliche Entwicklung der Welt im Kapitalismus begründet sind“ und daß „nur der Sozialismus die drängenden Probleme der Entwicklung der Menschheit lösen kann"

Diese Einflußnahme soll in den westlichen Ländern ungehindert vor sich gehen können; der Gedanke an eine mögliche „Prävention der ideologischen Einwirkung auf die kapitalistische Welt" wird scharf verurteilt Die Leiter der sowjetischen Politik sind umgekehrt keineswegs damit einverstanden, wenn, wie es heißt, „bestimmte Kreise" des Westens „unter der Maske des , Kulturaustauschs'für sich die Freiheit der ideologischen Expansion in den sozialistischen Ländern zu erlangen“ suchen Den westlichen Staaten wird Vor. geworfen, sie wollten „ungehindert die bürgerliche Ideologie im Osten propagieren/Derartige „Einmischungen" und „Diversionen" könnten nicht in Frage kommen Der „Zugang zu den Gemütern der Menschen, die in der sozialistischen Gesellschaft leben“, soll den Anhängern der westlichen Demokratie unbedingt verwehrt bleiben. Dementsprechend werden alle unerwünschten Nachrichten und Ideen aus dem Westen zu „einem unaufhaltsamen Sturzbach gnadenlosester Des-information" erklärt, der niemandem zuge. mutet werden könne. Einen „ungehinderten Zugang" dürfe es nur geben „zu objektiver Information, die geeignet ist, den Interessen des wechselseitigen Verstehens der Völker und ihrer Aufklärung zu dienen" Darunter sind nur die Informationen zu verstehen, welche die sowjetische Führung als solche akzeptiert.

Das sowjetische Aktionsprogramm des internationalen gesellschaftlichen Kampfes hat zur Voraussetzung, daß sich das ideologisch-politische Ringen um die Gemüter der Menschen nur in der westlichen Welt, nicht aber im sozialistischen Lager abspielt. Michail Suslov, Mitglied des Politbüros der KPdSU und Leiter des außenpolitischen Apparats des ZK, sprach unumwunden davon, daß der „heftige Klassenkampf sowohl in der internationalen Arena als auch innerhalb der Länder des Kapitalismus" zu führen sei Die Abschirmung des sowjetischen Machtbereichs gegen alle politisch störenden westlichen Einflüsse soll es ermöglichen, daß die Führung der KPdSU und die mit ihr verbundenen Parteien ihre Kräfte auf den gesellschaftlichen Kampf im Westen konzentrieren können. Thesen der Begründung und Rechtfertigung Nach sowjetischer Lesart findet, wenn die prosowjetischen Kräfte den gesellschaftlichen Kampf in den westlichen Ländern vorantreiben, kein „Export der Revolution" statt, der dem als unzulässige Einmischung gebrandmarkten „Export der Konterrevolution" von Westen nach Osten entsprechen würde. Die gesellschaftliche Lage in der sozialistischen Gemeinschaft, so heißt es begründend, unterscheide sich in zweierlei Hinsicht grundlegend von der gesellschaftlichen Lage im Westen. Erstens berge der Kapitalismus im Gegensatz zum Sozialismus antagonistische Widersprüche in sich, die unvermeidlich zu inneren Konflikten führten und auf eine Beseitigung der bestehenden Ordnung hindrängten. Zweitens werde der Kampf — anders als im Warschauer-Pakt-Bereich — von opponierenden Kräften getragen, die aus der eigenen Gesellschaft kämen und von außen nur unterstützt würden. Die Argumentation läuft praktisch darauf hinaus, daß aus der Tatsache, daß auf der westlichen Seite Opposition zugelassen ist und auf der östlichen Seite nicht, auf die faktische und moralische Rechtfertigung der Konfliktanheizung im Westen und der Konfliktunterdrückung im Osten geschlossen wird.

Westliches Verlangen nach ausgewogeneren Bedingungen für den gesellschaftlichen Kampf wird mit dem interessanten Argument abgewiesen, daß es sich um ein Entlastungsmanöver handele, mit dessen Hilfe die Vertreter des kapitalistischen Systems die ihnen innerhalb des eigenen Lagers entgegentretende Bedrohung abzuwenden suchten: „Wenn man sich schon nicht von den . gegenwärtigen gesellschaftlich-ideologischen Antagonismen'in den kapitalistischen Ländern befreien kann, dann will man wenigstens versuchen, irgend etwas Ähnliches im Rahmen des entgegengesetzten Systems zu schaffen." Die „ideologische Offensive“ des sowjetischen Lagers gegen die westlichen Länder, die sich auf der Basis der angestrebten einseitigen Abschirmung des Warschauer-Pakt-Bereichs gegen alle westlichen Einflüsse entfalten soll, unterliegt ausdrücklich einer engen Koordination unter Moskauer Regie

4. Das sowjetische Verhalten bei den Beratungen über einen freieren Austausch von Menschen, Informationen und Ideen

Die ablehnende Ausgangsposition Die sowjetische Führung hat sich bis zum Dezember 1972 schärfstens allen westlichen Forderungen widersetzt, die freiere Bewegung von Personen, Informationen und Ideen in beiden Richtungen über die Ost-West-Schei-delinie hinweg zu einer Frage des Entspannungsprozesses im allgemeinen und der Europa-Konferenz im besonderen zu machen. Rechtfertigend hieß es, die diplomatischen Gespräche könnten lediglich den zwischenstaatlichen Beziehungen gelten Mit dieser Begründung lehnten die sowjetischen Vertre-ter während der ersten Runde der Vorgespräche zur Europa-Konferenz in Helsinki alle Vorschläge ab, Fragen des Kontakts und der Kommunikation auf die Tagesordnung zu setzen. Sehr bald zeichnete sich ab, daß die UdSSR und ihre Verbündeten mit dieser Haltung allein dastanden.

Der freiere Austausch begann zum Kristallisationspunkt einer antisowjetischen Einheitsfront der atlantischen und neutralen Staaten Europas zu werden. Die sowjetische Führung sah in dieser Entwicklung begreiflicherweise eine Gefahr für den Verlauf der Konferenz. Daher entschloß sie sich zu einer Modifikation ihres Standpunktes.

Taktische Anpassung an das Verlangen der westlichen Konferenzteilnehmer Am 21. Dezember 1972 erklärte Breshnev, auch sein Land befürworte eine kulturelle Zusammenarbeit, den Austausch von Ideen, die Erweiterung der Information und der Kontakte zwischen den Völkern — freilich unter der Voraussetzung, daß — die Souveränität, die Gesetze und die Gepflogenheiten der beteiligten Länder respektiert würden und — eine geistige Bereicherung, eine Vermehrung des Vertrauens und eine Stärkung der friedlichen Beziehungen das Resultat für die beteiligten Völker bilden würden

Die sowjetische Führung war demnach bereit, die Diskussion eines freieren Austauschs in Europa auf der Konferenz zuzulassen.

In der Sache jedoch hatte sich der sowjetische Standpunkt kaum geändert. Breshnevs Aussage enthielt das Verlangen, daß die sowjetkommunistischen Staaten weiter eine uneingeschränkte Kontrolle über alle sie betreffenden transnationalen Austauschprozesse ausüben müßten. Die Bewegung von Personen, Informationen und Ideen über die Grenzen hinweg sollte also wie bisher von den osteuropäischen Parteiführungen willkürlich zugelassen oder verweigert, kanalisiert und eingeengt, manipuliert und überwacht werden. Die beiden unterschiedlichen Vorbehalte dienten gleichermaßen diesem Zweck.

Die uneingeschränkte Unterordnung der Austauschprozesse unter die einzelstaatlichen Souveränitätsrechte und die aus ihnen resultierenden willkürlichen Normensetzungei waren dazu bestimmt, allen etwaigen Beschlüssen der Europa-Konferenz, die mit den sowjetischen Wünschen nicht übereinstim. men würden, von vornherein jede Verbindlichkeit zu nehmen. Die Festlegung auf bestimmte inhaltliche Kriterien des Kontakts und der Kommunikation diente dem Zweck, ausschließlich diejenigen Austauschprozesse, die den sowjetischen Vorstellungen entsprechen, für zulassungswürdig zu erklären.

Auseinandersetzung und Kompromiß bei der Festlegung der Tagesordnung Während der folgenden Vorgesprächsrunden in Helsinki spitzte sich die Auseinandersetzung darauf zu, ob es den Führungen der UdSSR und ihrer Gefolgsstaaten freistehen sollte, nach ihrem jeweiligen unumschränkten Belieben die geistigen und menschlichen Bewegungen über die Ost-West-Scheidelinie hinweg zu kontrollieren, einzuschränken und abzuwürgen. Die östlichen Vertreter machten dabei überdeutlich, daß es nach ihrer Ansicht nur darum ging, die bereits bestehenden Austauschpraktiken — insbesondere die eng reglementierten und leicht kontrollierbaren Formen der kollektiven Touristik und Delegationsentsendung oder entpolitisierte kulturelle Austauschunternehmungen — unverändert beizubehalten und quantitativ zu verbessern. Bei den bürokratischen Einschränkungen, Behinderungen und Belastungen, denen insbesondere die sich individuell in der Sowjetunion aufhaltenden westlichen Staatsbürger ständig ausgesetzt sind, sollte kein Abbau zur Diskussion stehen können, weil das angeblich auf einen Eingriff in die landeseigenen Gesetze und Gepflogenheiten hinauslaufen würde. Einzelne Auswüchse der westlichen Kultur wie Pornographie oder Rechtsextremismus mußten dazu herhalten, um den Anschein zu erwecken, als müsse jegliches Einwirken westlichen Gedankenguts auf Osteuropa zur Zerstörung der elementarsten moralischen Grundlagen der Gesellschaft und zur Auslö-B sung völkerverhetzender Feindschaftsemotionen führen

Die östlichen Diplomaten begnügten sich jedoch nicht damit, den westlichen Wünschen nach mehr Kontakt und Kommunikation in Europa bloß defensiv entgegenzutreten. Vielmehr versuchten sie auch, zur politischen Gegenoffensive überzugehen. Nach vorangegangener blockinterner Absprache stellte Ende Februar 1973 der polnische Vertreter die These auf, die Staaten müßten eine „Verantwortung” für alle Einflüsse übernehmen, die von ihren Gesellschaften auf andere Länder ausgingen. Das Prinzip der freien Meinungsäußerung, so fügte er ausdrücklich hinzu, dürfe keine „Ausrede“ darstellen, mit deren Hilfe sich die Regierungen der Verantwortung gegenüber anderen Ländern entziehen könnten

Im Klartext hieß dies, daß die sowjetische Führung und ihre Verbündeten von den westlichen Regierungen Rechenschaft zu fordern befugt sein sollten, wann immer sie unerwünschte westliche Einflüsse in Osteuropa bemerken würden. Die demokratischen Grundrechte, die für die Rechts-und Staatsordnung in den westlichen Ländern konstitutiv sind, sollten die westlichen Regierungen nicht vor östlichen Zumutungen schützen können. Das Verlangen lief praktisch darauf hinaus, daß, wenn die sowjetische Führung den westlichen Staaten eine Komplicenrolle unliebsame im Kampf gegen gesellschaftliche Tendenzen in Osteuropa zuweisen würde, bei Bedarf auch staatsbürgerliche Freiheiten in den westlichen Gesellschaften einzuschränken oder aufzuheben wären. Die Forderung entspricht einem durchgängigen außenpolitischen Verhaltensmuster der UdSSR: Wo immer die sowjetische Führung ihre Macht gegenüber anderen Ländern geltend zu machen begann, drang sie zuerst auf eine Repression unerwünschter Meinungsäußerungen

Die Schlußempfehlungen, die aus den Vorgesprächen über die Tagesordnung der Europa-Konferenz hervorgingen, enthielten Kompromißformulierungen. Da die Unterschiedlichkeit der Standpunkte nicht überwunden oder auch nur verringert werden konnte, blieb trotz detaillierter Ausführungen in der Agenda Raum für entgegengesetzte Themenakzente

Der Auftakt der Europa-Konferenz Demzufolge traten die unterschiedlichen Auffassungen bei nächster Gelegenheit, bei der Eröffnung der Außenministert^gung der Europa-Konferenz in Helsinki, in voller Schärfe hervor. Für die Sowjetunion sprach Gromyko dezidiert von einer „Ausweitung der kulturellen Zusammenarbeit sowie der Kontakte von Organisationen und Menschen" — also von einer quantitativen, nicht aber einer qualitativen Verbesserung. Anschließend wiederholte er in ausführlicher Form die Aussagen, die Breshnev im Dezember 1972 gemacht hatte

Demgegenüber erklärte der belgische Außenminister van Eislande, die Entspannung in Europa vollständig und -könne „nur dann dauer haft“ sein, „wenn sich die Europäer wirklich frei bewegen können und wenn sie sich ohne irgendwelchen Zwang ausdrücken können, wenn sie das sehen und besuchen dürfen, was sie wollen". Er fügte hinzu, es sei „unvorstellbar", daß man sich in dieser Hinsicht „nur mit vagen Versprechungen zufriedengeben könnte“. Der französische Außenminister Jobert bezeichnete den „Weg der Freiheit" als das entscheidende Problem des Friedens und der Sicherheit und sprach die Überzeugung aus, „daß der Friede durch den Austausch der Ideen und der Waren, durch die Freizügigkeit der Menschen und durch die Selbstbestimmung der Menschen geht" Gleichgerichtete Bekundungen gaben auch die Repräsentanten der anderen westlich-demokratischen Staaten ab.

Der Gegensatz fand-auch in den vorgelegten Textentwürfen seinen Niederschlag. Die sowjetische Delegation definierte in ihrem Projekt für eine Generaldeklaration vom 4. Juli 1973 Nicht-Einmischung als die Pflicht der Teilnehmerländer, „die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen der anderen Staaten zu respektieren“. Außerdem sollten sich die auf der Konferenz versammelten Staaten unter anderem dazu bereit erklären, „eine Ausweitung der kulturellen Zusammenarbeit, der Kontakte zwischen den Organisationen und Menschen und des Tourismus sowie einer Verbreitung von Information zu fördern". Diese Bemühungen sollten dem Ziel dienen, „daß die wahrhaften Werte der Kultur und der Kunst zum gemeinsamen Besitz der Völker werden und daß die Gefühle der Achtung und der Wohlgesonnenheit zwischen den Völkern sowie die Ideen der friedlichen Koexistenz und der gleichberechtigten Zusammenarbeit in Europa im Bewußtsein der Menschen, insbesondere der jungen Generation, Wurzeln schlagen" Die sowjetische Seite stellte damit eindeutig klar, daß nach ihrer Absicht ein Ost-West-Austausch in Europa nur so weit stattfinden sollte, wie er nach ihrem Ermessen dem angegebenen Ziele dienlich sein würde. Außerdem war daran gedacht, daß die Europa-Konferenz lediglich allgemeine Normen aufstellen sollte. Die konkreten Regelungen sollten anschließend von den interessierten Staaten getroffen werden.

Am folgenden Tag legten aufgrund einer blockinternen Absprache Polen und Bulgarien den Entwurf einer Deklaration über Fragen der kulturellen Zusammenarbeit, der Kontak-te und des Informationsaustauschs vor. Die Präambel enthielt dem Sinne nach wieder die beiden Vorbehalte Breshnevs. Die anschließenden konkreten Punkte brachten zum Ausdruck, daß der Abschluß zwischenstaatlicher Vereinbarungen über kulturelle Zusammenarbeit, über Kooperation im Bildungswesen, über Informationsaustausch sowie über interinstitutionelle und touristische Kontakte wünschenswert sei. Den Formulierungen lag deutlich das Konzept der Kulturabkommen zugrunde, wie sie die Sowjetunion und ihre Verbündeten herkömmlicherweise mit westlichen Ländern abschlossen Im Unterschied dazu brachten die Vertreter zahlreicher westeuropäischer Staaten detaillierte Einzelentwürfe ein, die genau umschriebene Verbesserungen in den verschiedenen Einzelbereichen des Kontakts und der Kommunikation in Europa vorsahen

Ein Kompromiß und seine Interpretation durch die UdSSR Wie nicht anders zu erwarten war, stießen die gegensätzlichen Auffassungen bei den Genfer Sachverständigenverhandlungen seit dem Herbst 1973 hart aufeinander. Die östlichen Vertreter erklärten sich nach langem Hin und Her schließlich bereit, über manche der westlicherseits gewünschten Verbesserungen zu sprechen, falls die vorgesehenen Maßnahmen durch Formulierungen in der Präambel qualifiziert würden, welche die Prinzipien der Souveränität und der Nicht-einmischung sowie die Respektierung der einzelstaatlich gültigen Gesetze und Gepflogenheiten zur obersten Richtschnur erhöben. Dieses Verlangen wurde von den nicht-kommunistischen Delegationen als Ausdruck der Absicht verstanden, eine Barriere gegen den Ost-West-Austausch zu errichten. Dagegen richtete sich heftiger Widerstand.

Kurz vor der Sommerpause 1974 wurde ein Kompromiß entworfen, der die Grundsatzfragen zu regeln bestimmt war. Unter dem Vorbehalt, daß über die noch strittigen Punkte des Verhandlungsprogramms, insbesondere der nachfolgenden Einzelresolutionen, eine Übereinkunft zustande komme, einigten sich die Delegationen auf eine Präambel zu den Texten über den zwischengesellschaftlichen Austausch. Das Einvernehmen wurde wesentlich dadurch ermöglicht, daß die östliche Seite auf ihr Verlangen nach einem nachdrücklichen Hinweis auf die Normativität der jeweils landesüblichen „Sitten und Gewohnheiten“ verzichtete, während die westlichen Vertreter einer Erwähnung souveräner Befugnisse zustimmten

Nach der vorgesehenen Formulierung plädierten die Teilnehmerstaaten für eine „Steigerung des Austauschs" von Menschen und Informationen und bezeichneten sich als „entschlossen“, dafür „bessere Bedingungen zu schaffen, bestehende Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln und zu stärken sowie neue, diesen Zielen gemäße Mittel und Wege auszuarbeiten". Der Hinweis auf die Nutzung bestehender Austauschverfahren entsprach dabei der östlichen Vorstellung, daß kein qualitativer Wandel eintreten solle, während dem westlichen Drängen auf eine Revision der bisherigen restriktiven Kontakt-und Kommunikationspraktiken mit dem Passus über neuartige Modalitäten Genüge getan wurde. Außerdem hieß es, alle Teilnehmer-staaten achteten das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates, „sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System zu wählen und zu entwickeln sowie sein Recht, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen". Diese Festlegung war deutlich von östlichen Auffassungen geprägt. Einschränkend wurde jedoch hinzugefügt, daß die Staaten bei der Ausübung ihrer souveränen Rechte bereit seien, „ihren rechtlichen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht" nachzukommen. Damit war nach westlicher Ansicht die Möglichkeit verbaut, daß sich einzelne Regierungen unter Berufung auf ihre souveränen Befugnisse den auf der Europa-Konferenz oder anderswo übernommenen Pflichten hinsichtlich des zwischengesellschaftlichen Austauschs willkürlich entziehen könnten. Der vereinbarte Text nahm darüber hinaus auf den Prinzipienkatalog der Europa-Konferenz als diejenigen Normen Bezug, an denen sich das Verhalten der Teilnehmerstaaten ausrichten werde Das bedeutete, daß unter anderem der Grundsatz von der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (bei dessen Formulierung im Herbst 1974 kein Vorbehalt bezüglich staatlicher Kompetenz eingefügt wurde) maßgebend sein sollte.

Die sowjetische Seite freilich suchte in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als habe sich ihr Standpunkt voll durchgesetzt. Zeitungen und Zeitschriften der UdSSR verbreiteten die Version, der Ost-West-Austausch solle nach der getroffenen Vereinbarung „unter voller Respektierung der Prinzipien" stattfinden, „welche die Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten regeln, insbesondere der Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten" Dabei suggerierte die ständige Wiederholung der gleichen Worte, daß es sich um den exakten Text handeln müsse. Tatsächlich aber lag eine Kombination weit auseinanderliegender Formulierungsbruchstücke vor, die in der angegebenen Weise irreführend war. Denn es war zwar richtig, daß der Prinzipienkatalog, also auch die beiden Grundsätze der souveränen Gleichheit und der Nicht-Einmischung, in einen Bezug zu den Verfahrensnormen bei Kontakt und Kommunikation gebracht worden waren, aber es konnte keine Rede davon sein, daß gerade diesen beiden Elementen ein besonderes Gewicht in diesem Zusammen-hang beigelegt worden wäre. Das gilt um so mehr, als bei der Abfassung beider Prinzipien keinerlei Hinweis darauf eingefügt wurde, daß „Souveränität" und „Nicht-Einmischung" abweichend vom herkömmlichen Gebrauch dieser Begriffe wesentlich auch die Befugnis der Staaten zur Unterbindung zwischengesellschaftlicher Austauschprozesse bedeuten sollten. Mit dem abschließenden Urteil, nach der Genfer Übereinkunft müßten die [westlichen] Staaten bei den grenzüberschreitenden Kontakten und Kommunikationen hinfort „die Prinzipien der Souveränität und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten, die Gesetze und Verwaltungsregeln beachten und respektieren“ machte die sowjetische Seite ihre Absicht klar, die vereinbarten Kompromißformulierungen im Sinne der Aussagen Breshnevs vom 21. Dezember 1972 aus-zulegen und anzuwenden. Dabei hieß es begründend, dem Bemühen der „kalten Krieger" im Westen, „Voraussetzungen für die Verbreitung ihrer Ideologie“ in Osteuropa zu schaffen, werde keinerlei Ansatzpunkt geboten werden

Die westliche Hoffnung bei dem Genfer Kompromiß war dahin gegangen, durch das Formulieren einer Präambel, die der sowjetischen Führung eine eingegrenzte Befugnis zur Regulierung der Austauschprozesse zubillige den Weg zu detaillierten Resolutionen in diesem Bereich freizumachen. Während des Frühjahrs 1974 waren nur drei derartige Entwürfe — über Verwandtenbesuch, Zeitungsvertrieb und Tourismus — zustande gekommen In den folgenden Monaten waren überhaupt keine Ergebnisse erzielt worden. Nach der Einigung über die Präambel setzte sich die Stagnation jedoch fort. Die sowjetische Publizistik machte das Bestreben Moskaus deutlich, sich jeder konkreten und verpflichtenden Festlegung auf Maßnahmen und Verfahren beim zwischengesellschaftlichen Austausch zu entziehen. Wie es hieß, gefährdete die „Tendenz, die Konferenz in die Ausarbeitung nicht von politischen Dokumenten . .., sondern von kleinlichen Reglements zu verstricken," den Fortgang der Entspannung. Details könnten nur anderwärts, nämlich „auf bilateraler Grundlage je nach dem jeweiligen Interesse und den jeweiligen Möglichkeiten", vereinbart werden Unter diesen Umständen gelang es erst Ende November 1974, ein weiteres Papier über eine Einzelfrage, diesmal über die Familienzusammenführung, mit teilweise spezifizierten Bestimmungen fertigzustellen

5. Die Frage eines friedlichen Nebeneinanders der Gesellschaften und der von ihnen getragenen Ideen

Die sowjetische Einstellung Von einer wirklichen friedlichen Koexistenz der Gesellschaften von Ost und West kann bislang keine Rede sein. Die „friedliche Koexistenz" sowjetischen Typs hat nur selektiven Charakter und steht, da der gesellschaftlich konservierte und angefachte Konflikt auf die staatliche Organisation der Gesellschaften übergreifen kann, auf schwankender Grundlage. Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht eine Chance für eine durchgängige und dauerhafte friedliche Koexistenz gibt.

Die sowjetische Seite setzt sich gegen derartige Vorstellungen mit äußerster Heftigkeit zur Wehr. Wie es in Moskau heißt, wäre es die schlimmste aller denkbaren Infamien, wenn der Westen die „Bedingung eines ideellen Waffenstillstandes" stellen würde. „Sagt euch von der ideologischen Gegensätzlichkeit los und kämpft nicht mehr gegen die bourgeoise Ordnung, so erklären die Vertreter derartiger Ansichten den Kommunisten sozusagen, und dann tritt eine allgemeine Friedensstiftung und Wohlstandsfülle auf unserem Planeten ein. Aber derartige Aufrufe sind einfach unsinnig. Wie sehr auch der eine oder andere den ideologischen Kampf beklagen mag, so läßt er sich doch nicht einfach , abschaffen'... Die reaktionären Ideologen würden es gerne erreichen, -daß sich die Kommunisten von ihrer Haupterrungenschaft lossagten — von der allbesiegenden Gewalt ihrer Ideen." „Selbstverständlich erkennen die Marxisten-Leninisten keine . ideologische Koexistenz’ an; im Kampf der Ideen kann es keinen Friedensschluß geben. Die Koexistenz von Staaten mit entgegengesetzten Systemen bedeutet keineswegs, daß man beispielsweise die Ideen des privaten und des gesellschaftlichen Eigentums oder die Konzeption der Rassenüberlegenheit und der Völkerfreundschaft miteinander versöhnen könnte."

Ein Nachlassen der „Wachsamkeit", das heißt der feindseligen Ablehnung gegenüber den westlichen Gesellschaften, wird als Verrat an der Sache des Marxismus-Leninismus gebrandmarkt. Ein Verzicht auf den aktiven Kampf gegen das westliche Gedankengut und die Bereitschaft zur Duldsamkeit gegenüber westlichen Gesellschaftsordnungen erscheint als eine „Kapitulation des Sozialismus vor dem Kapitalismus".

Wenn es dem Klassengegner gelänge, die Kommunisten von der Vermeidbarkeit des Klassenkonfliktes zu überzeugen und dementsprechend zu einer Einstellung ihres Kampfes gegen das westliche System zu veranlassen, dann hätten damit die „imperialistischen Kräfte" den Sieg über die Sache des Sozialismus errungen. Aus dieser Vorstellung heraus richten sich die heftigsten sowjetischen Angriffe nicht gegen die Vertreter harter antikommunistischer Positionen, sondern gegen die westlichen Träger einer sachlichen Auseinandersetzung und noch mehr gegen die Urheber von Konvergenzkonzepten, weil die nicht-gegensatzbestimmte Präsentation von Gedanken, die den Ausschließlichkeitsanspruch des Marxismus-Leninismus negieren, im eigenen Lager die Gefahr eines duldsameren Verhaltens gegenüber abweichenden Auffassungen heraufbeschwört.

Beweggründe für die sowjetische Einstellung Die Analyse der sowjetkommunistischen Stellungnahmen läßt verschiedene Motive für diese Einstellung vermuten. Das Selbstverständnis des Kommunismus in seiner sowjetischen Ausprägung basiert augenscheinlich auf dem Bewußtsein der „geschichtlichen Mission", der „Wahrheit" des Marxismus-Leninismus überall zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn diese Mission preisgegeben würde, so er-schiene dies als ein Verzicht auf das Wesen des Kommunismus. Dabei ist es zunächst unerheblich,. inwieweit man die Funktion der besagten „geschichtlichen Mission" in einer Ausdehnung der sowjetischen Macht (durch die Mobilisierung von Energien auf auswärtige Ziele hin) oder in einer Legitimierung des sowjetischen Herrschaftssystems (durch die Schaffung eines für alle Mängel und Anstrengungen verantwortlich gemachten Feindes) gesehen wird.

Für Staaten mit einer monolithisch-repressiven Struktur wie die Sowjetunion und ihre Verbündeten birgt offenbar die Koexistenz mit pluralistisch-freiheitlichen Gesellschaften besondere Probleme. Da ist die „Verführung" der eigenen Bevölkerung durch eine Welt, die eine unabsehbare Vielfalt von materiellen und geistigen Möglichkeiten bietet. Wenn es nicht gelingt, diese Welt als einen Pfuhl politischen und moralischen Lasters zu „entlarven“, gegen dessen Existenz man unaufhörlich ankämpfen muß, dann kommt es zu unideologischen Vergleichen, die nur zuungunsten der östlichen Staats-und Gesellschaftsordnung ausfallen können. Überdies scheint es für das Denken der östlichen Parteifunktionäre, das seine Fä- higkeiten und seine Begrenztheiten aus der Geltung eindeutiger ideologischer Setzungen bezieht, eine verwirrende, desorientierende Erfahrung zu sein, mit abweichenden Standpunkten der unterschiedlichsten Richtungen und Dimensionen konfrontiert zu werden. Das Rollenschema von kommunistischer Eigenposition hier und kapitalistisch-imperialistischer Gegenposition dort greift nicht mehr und verliert damit seine Glaubwürdigkeit.

Schließlich kann man annehmen, daß die einseitige Gunst der gesellschaftlichen Kampfbedingungen (maximale Chancen bei minimalen Risiken) für die östliche Seite eine Interessenlage geschaffen hat, welche die Fortdauer und die Verstärkung des gesellschaftlichen Kampfes als vorteilhaft erscheinen läßt. Die sowjetische Seite kann ja die gesellschaftlich-politische Entwicklung im Westen auf die verschiedensten Weisen beeinflussen, während zugleich die Gesellschaftsstrukturen und die Machtverhältnisse im Warschau-er-Pakt-Bereich eingefroren und jeder ernstlichen Einwirkung von außen entzogen sind. Damit bestehen ideale Bedingungen für eine politische Einbahnstraße von Osten nach Westen, und es wäre überraschend, wenn die Moskauer Führung diese leichten Möglichkeiten nicht ausnutzen wollte.

Die politische Funktion der sowjetkommunistischen Ideologie Für die Beurteilung der Frage, ob die Herstellung einer umfassenden und dauerhaften friedlichen Koexistenz zwischen Ost und West unter den gegebenen Voraussetzungen denkbar wäre, ist die politische Funktion der kämpferischen Ideologie von zentraler Wichtigkeit. Sollte die ideologisch bekundete Militanz nur dazu dienen, Anhänger und Bevölkerungsmassen mit einer plausiblen Erklärung für die Versorgungsmängel und die Leistungsanforderungen des Regimes zu versehen, dann wäre eine Überwindung des prinzipiellen Gegensatzbewußtseins vielleicht denkbar. Denn dann hätte die sowjetische Führung den wechselseitigen politisch-gesellschaftlichen Besitzstand akzeptiert, und es ginge nur noch darum, wie das Hinüberwirken einer innenpolitisch motivierten Feindbildsetzung auf den Bereich der internationalen Beziehungen zu vermeiden wäre. Das könnte zwar seine Schwierigkeiten haben, weil den Indoktrinierten natürlich der herrschaftslegitimierende Zweck der ideologischen Feindbildpropaganda verborgen werden müßte. Die östlichen Machthaber können sich jedoch in diesem Falle mit ihren westlichen Partnern stillschweigend über eine Eingrenzung der antiwestlichen Tendenzen auf den innergesellschaftlichen Raum Osteuropas verständigen. Sollte die ideologisch bekundete Militanz dagegen auf eine machtpolitische Expansion der UdSSR abzieln, dann erschiene ein umfassendes friedliches Nebeneinander zwischen Ost und West von vornherein undenkbar. Denn ein Regime, das die Existenz anderer Staats-und Gesellschaftsordnungen nicht hinzunehmen bereit ist und in bestimmten Bereichen den Kampf gegen diese ins Werk setzt, sabotiert damit den friedlichen Ausgleich. Dabei ist es relativ unerheblich, ob die aggressive Tendenz aus dem Drang nach Ausweitung der eigenen Herrschaft oder aus dem Wunsch nach Vernichtung einer attraktiven System-konkurrenz resultiert. Eine Führungsgruppe, die im Bewußtsein ihrer innenpolitischen Schwäche andere Staaten zu überwältigen trachtet, ist nach außen hin genau so gefährlich, als wenn sie ihr Regime aus Machtgier oder Missionseifer heraus auszudehnen suchte. Die These von der saturierten Sowjetunion Die Ansicht, daß die Männer im Kreml mit der bisher erreichten Größe ihres Machtbereichs zufriedengestellt seien, ist in den westlichen Ländern weit verbreitet. Ihre Bereitschaft, in gewissen Grenzen mit potenten westlichen Partnern wirtschaftlich und strekkenweise auch politisch zusammenarbeiten, wird als grundsätzlicher Wille zum Ost West-Ausgleich gedeutet. Daß praktische Bedürfnisse zu einer derartigen Politik nötigen und daß jede Kooperation strikt auf die zwischenstaatliche Ebene beschränkt wird, veranlaßt nicht zur kritischen Infragestellung der gemachten Annahme. Die gegen den Westen gerichteten Ideologisierungskampagnen und Abschirmungsmaßnahmen erscheinen nur als Bemühungen, die das durch die angenommene Westöffnung bedrohte Gleichgewicht der öst liehen Gesellschaften wiederherstellen sollen und damit lediglich eine innere Stabilisierungsfunktion zu erfüllen haben. Daraus leitet sich die Meinung her, daß die beiden Staats-und Gesellschaftsordnungen in Europa ein wechselseitiges Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer jeweiligen Strukturen haben müßten. Sie brauchten, wenn sie nur ihre Irrtümer und Mißverständnisse aus der Zeit des kalten Krieges korrigierten, keine Herausforderung oder Bedrohung füreinander darzustellen.

In dieser Sicht läßt sich der Konflikt zwischen Ost und West dadurch vermeiden, daß ideologisch-politische Einflüsse, die in der einen Ordnung ihren legitimen Ort haben, nicht in das Gebiet der anderen Ordnung hinüber-wirken. Dahinter steht die meist nicht ausgesprochene Vorstellung, daß das Gedankengut, das der einen Ordnung entspricht, für die andere Ordnung ein gefährlicher Infektionserreger werden müsse. Diese Logik läßt sich sowohl auf die Verbreitung westlichen Gedankenguts im sowjetischen Lager als auch auf die Verbreitung der sowjetkommunistischen Ideologie in den westlichen Gesellschaften anwenden. Praktisch freilich beziehen die Verfechter derartiger Auffassungen ihre Überlegungen im allgemeinen nur auf den ersten Fall. Das läßt die Möglichkeit offen, daß die Sowjetunion und ihre Verbündeten einen Anspruch auf Unbehelligtsein durch westliche Informationen und Ideen zugestanden erhalten, ohne daß ihnen darum ein Verzicht auf ihre Versuche zur ideologisch-politischen Einflußnahme in westlichen Ländern abverlangt wird.

Wenn man von der Einseitigkeit der praktischen Anwendung einmal absieht, dann ergibt sich das Modell eines dissoziativen Systems der Staaten und Gesellschaften in Europa. Aus der Unterschiedlichkeit der Ordnungen wird der Schluß gezogen, daß die von ihnen geprägten Gesellschaften sich getrennt entwickeln müßten, um ungestört ihren jeweiligen eigenen Gesetzlichkeiten folgen zu können. Das läuft auf das-Postulat einer möglichst vollständig getrennten Entfaltung hinaus. Wechselseitige Berührungen und Beeinflussungen würden, weil sie ordnungsfremden Störfaktoren Einfluß böten, die Friedlichkeit des Nebeneinanders beeinträchtigen. Überlegungen zur Problemstellung Gegen diese Überlegungen erheben sich Einwände. Die Trennung in zwei schottendicht gegeneinander abgeschlossene Lager erscheint als ein ungeeignetes Friedensprinzip, weil damit notwendigerweise eine Konservierung des wechselseitigen Gegensatz-und Feindschaftsbewußtseins verbunden wäre, das die von ihm bestimmten Gesellschaften früher oder später in einen offenen Konflikt treiben könnte. Läßt sich denn wirklich ernsthaft glauben, daß ein Friede, der eine energische Bekämpfung aller Annäherungstendenzen verlangt, die gesellschaftlichen Konfliktpotentiale wirksam entschärfen könnte? Nach allen menschlichen Erfahrungen wäre nicht mit einem Abbau, sondern mit einem Aufbau der Spannungen zu rechnen, überdies müßte ein derartiger Friede, indem er alle ordnungsund damit herrschaftswidrigen geistigen Einflüsse verbieten würde, die Momente einer innenpolitischen Repression aufs äußerste steigern. Es ist zweifellos eine richtige Beobachtung, daß in Staat und Gesellschaft der Sowjetunion konservative, ja sogar restaurative Elemente dominieren. Dementsprechend ist das Interesse der sowjetischen Führung an der Aufrechterhaltung des macht-und ordnungspolitischen Status quo innerhalb ihres Machtbereichs überdeutlich. Das muß jedoch nicht ausschließen, daß darüber hinaus auch Ziele der Machterweiterung verfolgt werden. Die Konsolidierung auf der eigenen Seite wird für jedes Regime, das seinen politischen Einfluß ausdehnen möchte, eine nützliche Voraussetzung für ein entsprechendes Vorgehen sein. Denn mit unzuverlässigen Kräften im Rücken läßt sich nicht ohne Risiko offensiv operieren.

Noch eine weitere Unterscheidung ist zu beachten. Ein Regime kann durchaus in seiner ordnungspolitischen Innenorientierung auf starre Stabilität — und damit auf die Abwehr jeglicher Dynamik — aus sein, aber zugleich in seinem machtpolitischen Außenvorgehen eine starke Dynamik — also einen Druck gegen die Stabilität der Verhältnisse anderswo — entfalten. Beides kann, von den betreffenden Machthabern her gesehen, dem gleichen Ziel dienen, nämlich dem Triumph der eigenen Herrschaft und der mit ihr verbundenen Strukturen über alle inneren und äußeren Herausforderungen. Die Bedrohungen von innen, die das Regime einem Veränderungsdruck aussetzen, müßten in diesem Falle deshalb eliminiert werden, damit die eigene Macht unabgelenkt nach außen wirken kann und die eigene Ordnung unverfälscht zum Modell für andere Länder zu werden vermag. Eine konservativ-restaurative Ausrichtung der Politik im Innern sagt daher noch nichts darüber aus, ob auch für die (nicht-beherrschte) Außenwelt das Ziel des Festhaltens an den bestehenden Verhältnissen gilt. Ebensowenig darf territoriale Saturiertheit von vornherein mit machtpolitischer Saturiertheit gleichgesetzt werden. Denn es ist gut möglich, daß mit indirekten Methoden Kontrolle über Gebiete ausgeübt wird, die nicht annektiert werden.

Die antiwestliche Offensivprogrammierung im ideologischen Bereich Zahllose sowjetische Aussagen deuten darauf hin, daß die Männer im Kreml auf der gesellschaftlichen Ebene der internationalen Beziehungen sich nicht mit einer Herrschaftsabsicherung im Warschauer-Pakt-Bereich zufriedengeben. So wird es beispielsweise der „imperialistischen Reaktion“ verübelt, sie suche „es den revolutionären Parteien zu verwehren, die Krise der bürgerlichen Gesellschaft zum Zerbrechen des alten sozialen Systems [das heißt der westlich-demokratischen Staats-und Gesellschaftsstruktur] zu benutzen und so den endgültigen Zusammenbruch des kapitalistischen Systems zu verhindern" Die Unvermeidlichkeit von Bürger-und Befreiungskriegen, von Aufständen und revolutionären Massenbewegungen, „die sich auf eine Veränderung des politischen und sozialen Status quo richten“, wird für die westliche Welt nachdrücklich hervorgehoben Das schließt die Auffassung ein, daß die sowjetische Seite nach jeweiligem Ermessen derartige Aktionen gegen die „kapitalistische" Ordnung unterstützen könne.

Die Ideologiekonferenzen der kommunistischen Parteien im sowjetischen Machtbereich haben sich ausdrücklich die „Verteidigung und Verbreitung der Ideen des Sozialismus" zur Aufgabe gemacht Das „friedliebende Programm der Kommunisten" für die Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen und die „Endziele einer revolutionären Transformation der Welt“ durch den ideologischen Kampf auf gesellschaftlicher Ebene werden als komplementäre Bestandteile der gleichen Strategie bezeichnet. Daß daraus „eine Bedrohung der bourgeoisen Ordnung" resultiert, gilt dabei als selbstverständlich Das offen verkündete Ziel des „ideologischen Kampfes'ist, den Bemühungen der „herrschenden Kreise der kapitalistischen Staaten“, „eine Befreiung der Massen von dem Einfluß der bourgeoisen Ideologie nicht zuzulassen“, einen Erfolg zu versagen

Die UdSSR und andere Warschauer-Pakt-Staaten bilden seit mehreren Jahren nach wechselseitiger Vereinbarung in großer Zahl ideologische Kader aus, die als Einflußagenten in spezielle gesellschaftliche Bereiche der verschiedenen westlichen Länder entsandt werden Ein Netz von geheimen bilateralen Abkommen zwischen den kommunistischen Parteien des sowjetischen Machtbereichs, das in den Jahren 1971 bis 1973 geknüpft worden ist, sorgt für genaue Abstimmung bei der Formulierung und Verbreitung ideologischer Aussagen. Alle damit zusammenhängende Aktivitäten werden konzertiert — ob es sich nun um die Durchführung von Kampagnen und Schulungen in den kommunistisch regierten Ländern oder um die Strategie der Kontakte, Einflußnahmen und Bündnisse in westlichen Gesellschaften handelt Mitte Dezember 1973 fand ein multilaterales Treffen der ZK-Sekretäre statt, an dem auch Vertreter Kubas und der Mongolei teilnahmen. Dabei ging es vor allem um die gesellschaftlich-politischen Probleme, die mit der Europa-Konferenz aktuell geworden waren Anschließend wurde die „ideologische Integration" zur offiziellen Leitparole in Osteuropa. Anzeichen deuten darauf hin, daß insbesondere an eine Vereinheitlichung der Verhältnisse im Presse-und Nachrichtenwesen — etwa durch gemeinsame Informationslenkungssysteme oder uniforme Journalisten-Statute — gedacht ist.

Die Strategie der „friedlichen Koexistenz“ dient nach übereinstimmender sowjetischer Aussage ganz wesentlich auch dem Zweck, die Chancen für den Erfolg des antiwestlichen Kampfes auf der gesellschaftlichen Ebene zu verbessern. Die gegenwärtige Entspannung, so hieß es in dem außenpolitischen Fachorgan der UdSSR, schaffe „noch mehr günstige Voraussetzungen für die Verbreitung richtiger Information über den Sozialismus in der [Außen-]Welt“ Die sowjetische Koexistenz-Politik werde, wie ein maßgeblicher Funktionär dem westlichen Publikum erläuterte, „den revolutionären Weltprozeß beschleunigen", denn auf diese Weise werde es „revolutionären Kräften [außerhalb des War-schauer-Pakt-Bereichs] ermöglicht, die wir-kungsvollsten Wege des Kampfes um die Macht zu wählen“. Dabei versteht es sich von selbst, daß die „sozialistischen Staaten" ihnen „Hilfe leisten". Eine „Anerkennung der Unerschütterlichkeit des Kapitalismus" wird ausdrücklich abgelehnt; für „die ganze Menschheit" dürfe es „nur eine Zukunft", nämlich „den Kommunismus", geben

Der sowjetische Spitzenfunktionär, der die Westabteilung des KPdSU-Zentralkomitees leitet, machte keinen Hehl aus der Ansicht, daß Lenin die „Unausweichlichkeit des Sieges der Revolution in den anderen Ländern" zum verbindlichen Leitstern des Handelns gemacht habe und daß durch ihn die aktive Mithilfe an „derartigen Siegen" zur bleibenden Verpflichtung sowjetischer Politik geworden sei Dafür haben sich, wie hinzugefügt wurde, durch die Entspannungspolitik die Möglichkeiten entscheidend verbessert. Mittlerweile sei „eine qualitative Wende in der Entwicklung der allgemeinen Krise des Kapitalismus“ eingetreten. Neben zahlreichen anderen Erschütterungen des westlichen Staats-und Gesellschaftssystems wird die „politische und ideologische Krise" hervorgehoben, die „sich in einer allseitigen Verschärfung des Klassenkampfes an der . inneren Front'des Kapitalismus, sozusagen innerhalb seiner Zitadellen", ausdrücke. Demzufolge wachse in der Bevölkerung „das Bewußtsein der Ungeeignetheit und der Unannehmbarkeit der bestehenden kapitalistischen Ordnungen". Zugleich nähmen im Schoße des „Kapitalismus" diejenigen gesellschaftlichen Kräfte an Umfang und Stärke zu, „die gegen die kapitalistische Struktur angehen" Das Hauptfeld des „antikapitalistischen" Kampfes auf gesellschaftlicher Ebene ist erklärtermaßen West» europa Zugleich soll die wirtschaftlich-technologische Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern auf dem Wege des „wirtschaftlichen Wettbewerbs“ schließlich zum „Sieg über den Kapitalismus in der Sphäre der Wirtschaft" führen

Nach sowjetischer Ansicht machen die verbesserten Kampfbedingungen, welche die östliche Seite im Zeichen der Entspannung gegenüber den westlichen Ländern für sich beanspruchen kann, den entscheidenden Unterschied zwischen „kaltem Krieg" und „friedlicher Koexistenz" aus. „Wenn in der vorangegangenen Periode der Sozialismus genötigt gewesen ist, in der internationalen Arena in nicht geringem Ausmaß unter Bedingungen zu agieren, die ihm durch die Außenpolitik der kapitalistischen Mächte aufgezwungen worden waren (. kalter Krieg'), dann ist der Kapitalismus jetzt bereits genötigt, unter neuen objektiven historischen Bedingungen zu agieren, da ihm der Sozialismus die friedliche Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Struktur aufzuzwingen vermag." Nach der sowjetischen Koexistenz-Doktrin besteht die Gunst der neuen Situation vor allem darin, daß der „ideologische Kampf" nunmehr unbehindert in den westlichen Ländern geführt werden kann, ohne daß zugleich irgendwelche Einwirkungsmöglichkeiten des Westens im sowjetischen Lager bestehen.

Es wäre überraschend, wenn die sowjetischen Kommunisten, die mit dem Anspruch revolutionärer Weltverbesserung in die Geschichte eingetreten sind und die diesen Anspruch seither immer wieder nachdrücklich präsentiert haben, ihnen zufallende Vorteile im internationalen gesellschaftlichen Kampf nicht ausnutzen wollten. Das würde ihrer Mentalität und ihrer Doktrin, die ganz auf Dynamik — und nicht auf Stabilität — ausgerichtet sind, völlig'zuwiderlaufen. Nicht zufällig klammert die sowjetische Koexistenz-Doktrin zwar die riskant gewordene zwischenstaat-liehe Gewaltanwendung, nicht aber den aussichtsreichen zwischengesellschaftlichen Kampf aus dem Ost-West-Konflikt aus. Die sowjetischen Koexistenz-Theoretiker lassen an den dahinterstehenden Absichten keinen Zweifel. Wie ausdrücklich betont wird, „bedeutet die friedliche Koexistenz nicht und kann nicht bedeuten die Aufrechterhaltung des politischen Status quo, den Verzicht der sozialistischen Länder und der anderen revolutionären Kräfte auf den Kampf für den Triumph der Idee des Sozialismus im weltweiten Maßstab"

Politische Funktionen der Offensivprogrammierung Wenn die sowjetische Führung einen ideologisch offensiven Kurs gegenüber dem Westen proklamiert, macht sie sich damit die auswärtigen Einflußmöglichkeiten zunutze, die ihr die offene Staatsordnung der westlichen Länder bietet. Im Zeichen der Entspannung haben sich, wie die Kommentatoren und Sachverständigen in Moskau immer wieder hervorheben, die Erfolgsaussichten für den Kampf der prosowjetischen Kräfte im Westen wesentlich verbessert. In den westlichen Gesellschaften tritt an die Stelle der früheren Ablehnung alles Sowjetischen zunehmend die Bereitschaft zu Duldung, Kompromiß und Verständigung. Dadurch vermindern sich die psychologischen Barrieren gegen östliche Einflußnahmen. Zugleich sind, weithin von Kreisen einer großbürgerlichen Jugend ausgehend, in zahlreichen westlichen Ländern radikale „antikapitalistische" Gruppierungen entstanden, die, ungeachtet sonst teilweise erheblicher Differenzen, mit der UdSSR die Gegnerschaft zur bestehenden Gesellschaftsordnung und die Festlegung auf die Ideale eines Sozialismus gemeinsam haben. Da die sowjetische Seite ungehinderten Zugang zu diesen Kreisen hat, kann sie ihr Bemühen unschwer darauf richten, das Feindschaftspotential im Bereich der entgegengesetzten Gesellschaftsordnung für ihre Zwecke nutzbar zu machen, indem sie es direkt oder indirekt zu steuern sucht.

Die ideologische Westoffensive dient augenscheinlich auch innenpolitischen Bedürfnissen. Das Regime hat seine gesellschaftliche Dynamik verloren; es kann die Verhältnisse in der UdSSR nicht mehr nach Belieben umstoßen und ändern. Die partei-und staatstragende Schicht läßt sich nicht mehr ignorieren; ihr Interesse am erreichten sozialen Besitzstand und an der erworbenen relativen Rechtssicherheit und ihre Gewöhnung an prozedurale Usancen schränken den Handlungsspielraum der Herrschenden ein. Daher bietet sich etwa das — für den westlichen Betrachter verwirrende — Bild, daß die Dissidenten einerseits schärfster Unterdrückung ausgesetzt sind und andererseits doch nicht völlig eliminiert werden. Die sowjetische Führung ist dabei freilich noch zusätzlich durch außenpolitische Rücksichten, insbesondere wegen ihres Interesses an westlicher Technologie und an westlichen Krediten, gehemmt. Unter diesen Umständen kann die . ideologische Westoffensive die Funktion erfüllen, den dynamisch-revolutionären Charakter des Kommunismus, der in der sowjetischen Gesellschaft längst einer konservativen Status-quo-Politik gewichen ist, ersatzweise in den Außenbeziehungen zu demonstrieren. Auf diese Weise können die sowjetischen Führer ihr progressiv-veränderndes Credo wenigstens an einer Stelle ideologisch praktizieren und zugleich zur Legitimierung ihrer Herrschaft vorweisen. Es wäre auch denkbar, daß sie im gleichen Maße, wie sie im Inneren in die Defensive gedrängt werden, die auswärtigen Einflüsse offensiv an ihrem Ursprung zu bekämpfen suchen, um sich so mutmaßlich eine innenpolitische Entlastung zu verschaffen. Der Gedanke einer friedlichen Trennung zwischen Ost und West Da der Sowjetkommunismus eine geringe wirtschaftliche und politische Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausübt, muß er in einer konkurrierenden, attraktiveren Ordnung eine feindliche Herausforderung erblicken.

er Gedanke, daß zwei entgegengesetzte gesellschaftlich-politische Modelle ohne Schaden koexistieren könnten, widerspricht völlig jeder marxistisch-leninistischen Tradition. Statt dessen ist das Leninsche „Wer — wen?" im sowjetischen Bewußtsein lebendig. Das Ausmaß der zunehmenden wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen Ost und West macht zudem eine hermetische menschliche und geistige Abriegelung zwischen beiden Seiten illusorisch. Darum muß die sowjetische Führung, wenn sie ihre Bevölkerung gegen westliche Einflüsse immunisieren will, das gegnerische System auf dessen eigenem Gebiet bekämpfen. Schließlich ist in allen sowjetischen Analysen innerwestlicher Vorgänge und Entwicklungen davn die Rede, daß dort zunehmende Schwächen und Spannungen zu beobachten seien. Dadurch sich eröffnende Gelegenheiten machtpolitisch wahrzunehmen, ist ein naheliegender — und tatsächlich auch immer wieder ausgesprochener — Gedanke.

Die mit ideologischen Argumenten propagierte Politik des gesellschaftlichen Kampfes gegen die westlichen Bastionen in Europa ist machtpolitisch ausgerichtet. Das Instrumentarium revolutionärer Parolen und revolutionärer Subversionen wird zielbewußt für die außenpolitische Einflußverstärkung des Sowjet-staates eingesetzt. Die kommunistischen Parteien in Westeuropa haben immer — beispielsweise bei der sowjetischen Invasion in der CSSR oder bei der sowjetischen Politik gegenüber der französischen Regierung — Grund dazu gehabt, sich über eine totale Mißachtung ihrer Vorstellungen und Interessen durch die Moskauer Machthaber zu beklagen. Den Männern im Kreml geht es offensichtlich darum, die Anhänger, Verbündeten und Sympathisanten in den westeuropäischen Ländern den jeweiligen Bedürfnissen sowjetischer Einflußerweiterungsbestfebungen dienstbar zu machen, ohne, darum Anteil an deren gesellschaftsverändernden Aspirationen zu nehmen Dementsprechend hat Moskau viel Mühe darauf verwandt, gesellschaftliche Kräfte in Westeuropa für die Unterstützung der jeweiligen sowjetischen Westpolitik zu mobilisieren und bedeutend weniger Anstrengungen investiert, um den ordnungspolitischen Vorstellungen des Kommunismus Eingang zu verschaffen. Das Ziel des gesellschaftlichen Kampfes in Westeuropa scheint daher in der gegenwärtigen Phase weithin darin zu bestehen, daß die Potentiale „antikapitalistischer" Unzufriedenheit unter revolutionärem Wortgeklingel dazu verwandt werden, die Stärke und die Einheit der westlichen Staaten auf dem europäischen Kontinent aufzulösen und damit die Voraussetzungen für eine Dominanz der UdSSR bis zum Atlantik zu schaffen.

Kriterien einer friedlichen Konfliktaustragung Unter diesen Umständen kann man der Konfliktsituation zwischen Ost und West nicht dadurch entgehen, daß man wechselseitige Abgrenzung praktiziert. Eine Austragung des Gegensatzes ist unvermeidlich. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen dies geschieht. Das gilt in drei Hinsichten:

1. Handelt es sich um einen Streit mit Argumenten oder um einen machtpolitisch organisierten Kampf?

2. Sind die Konfliktparteien individuell urteilende einzelne oder hierarchisch disziplinierte Kollektive? 3. Sind die Chancen und Risiken der Auseinandersetzung für beide Seiten ungefähr vergleichbar oder stark disproportioniert? Die sowjetische Konzeption hat es jeweils auf die zweite Möglichkeit abgestellt. Dementsprechend ist es das Ziel, die andere Staats, und Gesellschaftsordnung zu überwältigen. Die Entfaltung von sozialer Macht gegenüber den Betroffenen — Und nicht der Appell an das individuelle Urteil der Staatsbürger — soll diesem Ziel dienen. Zugleich wird versucht, durch Bedingungen des einseitigen und antagonistischen Vorteils den Kampf so weit wie möglich vorzuentscheiden. Demgegenüber basiert die Zulassung freier Auseinandersetzungen in den westlichen Gesellschaften auf dem Vertrauen, daß die Konflikte ausschließlich mit den Mitteln der Überzeugung ausgetragen werden und daß daher bei den oben umrissenen Alternativen jeweils die erste Möglichkeit gewählt wird. Politische Kämpfe, denen diese Eingrenzung nicht als Konsens zwischen den Beteiligten zugrunde liegt, sprengen den Rahmen der westlich-demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnung und drohen diese allmählich von innen heraus zu zerstören. Gerade die Demokratie in Deutschland hat diese Erfahrung schon einmal machen müssen.

6. Die Zwangslage beider Seiten in der Frage des systemüberschreitenden Austauschs

Wandel durch Annäherung?

Ein entscheidender Antrieb für die westliche Entspannungspolitik ist die Hoffnung gewesen, durch einen Abbau der Feindseligkeitsbekundungen zwischen Ost und West Veränderungen im sowjetischen Lager anzubahnen, die allmählich eine Überwindung der struktu-rellen Gegensätze ermöglichen würden. Denker und Politiker vom Schlage Brzezinskis, de Gaulles oder Bahrs gingen davon aus, daß die harten Herrschaftsstrukturen der einzelnen Länder und des Blocks in Osteuropa entscheidend durch den Druck des Außenkonflikts mit dem Westen aufrechterhalten werden. Eine Beseitigung dieses Außendrucks sollte daher geeignet sein, die unterdrückten Evolu-tionstendenzen und Reformkräfte freizusetzen.

Das Konzept eines „Wandels durch Annäherung" ist für diese Denkschule charakteristisch. In der Überzeugung von der politischen Stärke der eigenen Staats-und Gesellschaftsordnung wurde dafür plädiert, „sich selbst und die andere Seite zu öffnen und die bisherigen Befreiungsvorstellungen [des Westens aus den fünfziger Jahren] zurückzustellen". Auf diese Weise sollte insbesondere in Deutschland die staatliche Wiedervereinigung in einem allmählichen Prozeß erreicht werden, indem die DDR „mit Zustimmung der Sowjets transformiert" werde. Diese Transformation war als eine Lockerung der Repression seitens der Machthaber gedacht; diese „Änderungen und Veränderungen" schienen „nur ausgehend von dem zur Zeit dort herrschenden Regime erreichbar". Dementsprechend sollte eine begrenzte Zusammenarbeit mit Moskau und Ost-Berlin stattfinden — mit dem Ziel, dort einen Wegfall der bisherigen Feindschaftspolitik zu signalisieren und westliche Hilfestellung bei der Lösung namentlich wirtschaftlicher Probleme zu bieten. Wenn den östlichen Machthabern, so lautete die Überlegung, die Sorge vor einer Gefährdung ihrer Herrschaftspositionen genommen würde, ließe sich ihre Bereitschaft erwarten, das Leben der ihnen unterworfenen Menschen zu erleichtern, die Abschirmung gegenüber dem Westen allmählich zu verringern und auf das Angebot zunehmender Ost-West-Bindungen einzugehen

Diesem Konzept liegt die Annahme zugrunde, daß Ost-West-Spannungen eine entscheidende Ursache für die fortdauernde Verhärtung im Sowjetblock bildeten und daß umgekehrt eine westliche Politik der Entspannung gegenüber der sowjetischen Führung und ihren Verbündeten bei diesen eine Neigung zu einer Auflockerung der monolithischen Strukturen hervorrufen müsse. Danach war der illiberal-repressive Charakter der sowjetkommunistischen Herrschaft wesentlich durch die Notwendigkeit bedingt, die Kräfte des eigenen Lagers gegen die westlichen Versuche zur Infragestellung dieser Herrschaft zusammenzufassen. Sobald die westliche Bedrohung nicht mehr existieren würde, könnten die Machthaber dem sozusagen natürlichen Antrieb folgen, eine möglichst milde, freundliche und populäre Herrschaft auszuüben.

Daher erschiene die Herstellung eines kooperativen Verhältnisses zu den kommunistischen Führungen in Osteuropa als das geeignete Mittel, um eine Abschwächung des inneren Drucks, eine Verringerung sowjetischer Disziplinforderungen und eine Öffnung der Gesellschaften nach Westen einzuleiten. Solcherart sich wandelnde Regimes könnten getrost mit westlicher Hilfe ‘konsolidiert werden: Sie würden ihrerseits aufhören, eine Bedrohung nach außen hin darzustellen und sogar dazu bereit sein, den westlichen Ländern freundliche Kooperationspartner oder sogar — im Falle der SED-Funktionäre — Mitwirkende am nationalen Einigungswerk zu werden.

Das gesamte Denkgebäude steht und fällt mit der Prämisse, daß die antiwestliche Einstellung der östlichen Machteliten nur unter der Bedingung eines feindseligen westlichen Verhaltens bestehen bleiben könne und daß daher kooperative Verhaltensänderung der westlichen Seite eine Erwiderung in gleichem Sinne finden müsse. Unter den veränderten Umständen der Entkrampfung und der Verständigung zwischen Ost und West würden dann zunehmend bislang unterdrückte gesellschaftliche und nationale Bedürfnisse hervortreten, welche die entscheidenden Probleme des Ost-West-Verhältnisses — die Machtballung eihes monolithischen Sowjetblocks und die Spaltung zwischen den beiden deutschen Staaten — allmählich eliminieren könnten.

Die Reaktion des Ostens auf das westliche Konzept Die Überlegung, daß es in Osteuropa ein starkes Potential an unterdrückten Bedürfnissen gibt und daß dessen Freisetzung nicht unerwünschte Entwicklungen einleiten könne, war nicht aus der Luft gegriffen. Vor allem die reformkommunistische Bewegung des Jahres 1968 konnte derartige Erwartungen eindrucksvoll belegen. Zugleich aber — und das war entscheidend — zeigte es sich, daß nur ein Teil der kommunistischen Führungen be25 reit war, den sich regenden gesellschaftlichen Tendenzen entgegenzukommen und entsprechende strukturelle Anpassungen vorzunehmen.

Dazu gehörte jedoch nicht die sowjetische Führung, die schließlich in ihrer Mehrheit auch das Odium des unprovozierten, offenen Gewaltgebrauchs gegenüber einem verbündeten Land nicht scheute, um ihre uneingeschränkte Herrschaft im Warschauer-Pakt-Bereich wiederherzustellen und den begonnenen Prozeß einer Öffnung des osteuropäischen Kommunismus gegenüber dem Westen rückgängig zu machen. Dabei nahm sie in Kauf, daß die politischen Chancen, die ein attraktives kommunistisches Reformmodell in Ost-wie in Westeuropa geboten hätte, ungenutzt blieben. Sie definierte ihre Herrschaftsinteressen nach Ordnungsvorstellungen eines konservativ-orthodoxen Kommunismus und erteilte 'dem Gedanken, sie könne ihre Positionen in einer evolutiven Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten behaupten, eine entschiedene Absage.

Von da an war nicht mehr darauf zu hoffen, daß ein Abbau westlichen Feindseligkeitsverhaltens die sowjetische Führung dazu veranlassen könne, ein wachsendes Maß an Emanzipation, Differenzierung und Öffnung in Osteuropa zu dulden. Während der folgenden Jahre machten die Männer im Kreml darüber hinaus deutlich, daß sie auch eine westliche Entspannungsbereitschaft, die nicht mehr das Ziel eines inneren Wandels im Warschauer-Pakt-Bereich anvisiert, nicht mit einem Verzicht auf die prinzipiell-ideologische Antihaltung gegenüber dem Westen und mit einer Aufgabe des Bemühens um den gesellschaftlichen Kampf in den westlichen Ländern zu honorieren gedachten Wenn viele im We-sten darauf hoffen, daß Moskau wenigstens den menschlichen Begegnungen und dem Informationsaustausch einen größeren autonomen Entfaltungsspielraum einräumen könnte, dann stehen dem die sowjetischen Vorstellungen über die Notwendigkeit einer absolut dichten Westabsicherung des eigenen Lagers entgegen.

Das Konzept, Änderungen im Einvernehmen mit den sowjetischen Machthabern herbeizuführen, ist mit dem Dilemma konfrontiert, daß diese die Schwelle für denkbare Systemstörungen extrem niedrig ansetzen und so jedes Stück freien Dialogs als abzuwehrende Gefahr behandeln. Die westliche Politik eines -kooperativen Austauschverhältnisses, das auch die Bereiche des Kontakts und der Kommunikation einschließen würde, scheitert daran, daß die Männer im Kreml nicht mitspielen. Ein innerer Wandel, der sich ohne Stabilitätseinbußen und im Einvernehmen mit den Machthabern durchsetzen könnte, wird durch das Verhalten der sowjetischen Führung und der von ihr gestützten osteuropäischen Parteikreise unmöglich gemacht.

Probleme des sowjetischen Westkonzepts Auch das sowjetische Vorgehen trifft auf Probleme. Die UdSSR und ihre Verbündeten sind zwar in wirtschaftlich-technischer Hinsicht zur Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern bereit, verweigern aber eine entsprechende Zusammenarbeit, wenn es um menschlichen und geistigen Austausch geht. Aus der Interessenlage der östlichen Machthaber heraus hat dieses zwiespältige Verhalten durchaus seine Logik, Da die Staaten des sowjetischen Lagers ihren großen Modernitätsrückstand gegenüber der westlichen Welt nicht aus eigener Kraft überwinden können, bedürfen sie dringend westlichen Know-hows und teilweise auch westlicher Finanzierung. Andernfalls könnten längerfristig die Konzentration der Ressourcen auf militärische Zwecke, das Sich-Abfinden der Bevölkerung mit den materiellen Lebensbedingungen und die Glaubwürdigkeit des kommunistischen Anspruchs auf wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gefährdet sein.

Die Führungsgruppe um Breshnev hat daher seit 1969 systematisch darauf hingearbeitet, daß das Potential westlicher Länder möglichstzu Vorzugsbedingungen dem „sozialistischen Aufbau" zugute komme Die Innenentwicklung der UdSSR legt die Vermutung nahe, daß der Griff nach westlicher Hilfe die Alternative zu einer Politik bildet, die das dringend erforderliche Wirtschaftswachstum durch Reformmaßnahmen angesteuert hätte Es ist auch nicht auszuschließen, daß die materielle Zusammenarbeit mit westlichen Ländern es der sowjetischen Führung erleichtert, den Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt hochzuhalten, indem auf diese Weise die Befriedigung der Wachstums-und Konsumtionsbedürfnisse nicht auf Kosten der Rüstung zu gehen braucht. Mit einer grundsätzlichen Option für den Westen hat dieser Kooperationskurs nichts zu tun.

Der Widerstand gegen einen freieren geistigen und menschlichen Austausch mit dem Westen liegt für die sowjetische Führung auf der gleichen Linie: Die eigene Macht soll gestärkt — und nicht etwa geschwächt — werden. Aus dem Blickwinkel der westlichen Länder jedoch muß sich die Frage stellen, ob denn Zusammenarbeit hier und das Gegenteil von Zusammenarbeit, nämlich antiwestliche Militanz, dort miteinander vereinbar sind. Ebenso muß es als ein Widerspruch zu Lasten der westlichen Seite erscheinen, wenn die sowjetische Parteiführung zwar die Gesellschaften der westlichen Länder dem östlichen Einfluß so weit wie möglich zu öffnen sucht, zugleich aber die Gesellschaften des eigenen Machtbereichs mit allen Mitteln gegen westliche Einflüsse abriegelt. Dieses Verhalten provoziert den Einwand, ob denn das, was für die eine Seite recht sei, nicht auch für die andere Seite billig sein müsse.

Soll die sowjetische Führung durch den Widerspruch ihrer Politik keine Beeinträchti-gung erleiden, dann bedarf es des Mitspielens der westlichen Regierungen. Wenn diese auf die sowjetische Koexistenz-Politik eingehen, ohne sich durch die Ausklammerung der geistig-menschlichen Zusammenarbeit und die Asymmetrie der Aktionsbedingungen auf gesellschaftlicher Ebene irremachen zu lassen, dann sind die Probleme für Moskau gelöst. Wie es scheint, ist die Bereitschaft dazu in den westlichen Hauptstädten weithin vorhanden. Dabei spielt sicherlich die Euphorie hervorrufende Suggestivwirkung der sowjetischen Entspannungsparolen eine Rolle.

Ein entscheidender Anteil kommt jedoch auch den strukturellen Vorgegebenheiten in den westlichen Ländern zu. Die bestehenden ordnungspolitischen Normen und Strukturen, die auf eine dialogische Austragung der gesellschaftlichen Konflikte in einem weitgehend machtfrei gehaltenen Raum abgestellt sind, erschweren das Ernstnehmen der Herausforderung, die dem Konzept des unerbittlichen gesellschaftlichen Kampfes innewohnt, überdies lassen sich Sondermaßnahmen gegenüber politischen Kräften außerhalb der bestehenden Ordnung nur schwer organisatorisch praktizieren und publizistisch präsentieren. Es fehlen vielfach die praktischen Voraussetzungen, welche die Anwendung des Reziprozitätsprinzips gegenüber der sowjetischen Seite und ihrer westlichen Anhängerschaft erlauben würden.

Schließlich wird in Westeuropa die Bereithaltung von Energien und Mitteln für die Zwekke einer Selbstbehauptung nach außen weithin als mühselige und unproduktive Last empfunden. Für die einer regelmäßigen Wählerentscheidung unterliegenden Regierungen liegt es daher nahe, internationalen Konflikten von potentieller Gewalthaltigkeit so weit wie möglich durch anpassende Nachgiebigkeit aus dem Wege zu gehen. Der Umstand, daß die Auseinandersetzung dadurch vielleicht nur kurzfristig vermieden wird, bleibt leicht verborgen. Im übrigen ist der hoffnungsfrohe Glaube weit verbreitet, daß eine wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen Ost und West von selbst den Frieden begründen müsse Das westliche Austauschverlangen in seiner innenpolitischen Motivation Was die Führer der westlichen Staaten davon abhält, das sowjetische Konzept in der Frage des transnationalen Austauschs uneingeschränkt anzunehmen, hat weithin nichts mit hoher Politik zu tun. Für Regierungen, die sich immer wieder Wahlen stellen müssen, kommt der Suche nach popularitätsfördernden Regelungen ein erhebliches Gewicht zu. Daher ist es zu einem wichtigen Grundsatz der Entspannungspolitik in Westeuropa geworden, daß sich die Verbesserungen nicht nur auf die offiziellen Beziehungen zwischen den Staaten, sondern auch die persönlichen Lebens-und Entfaltungsmöglichkeiten der Bevölkerung auswirken müßten. „Wer spürt heute nicht überall in Europa den Drang nach mehr Kontakten, mehr Information, mehr Begegnung? Die Menschen wollen endlich die Früchte der Entspannung im täglichen Leben spüren, sie mit Händen greifen.'Die „vielfachen Impulse" der westlichen Gesellschaften, „die auf Begegnung, Austausch, Kontakte drängen“, könnten von daher nicht außer Betracht bleiben. Die „elementaren Bedürfnisse der Menschen überall-in Europa“ gelten daher als ein entscheidender Teil „jener Wirklichkeit, die die Politik zur Kenntnis nehmen muß". Den Menschen — und nicht etwa nur den Regierungen — soll „der Abbau der Konfrontation zugute" kommen

7. Optionen für das künftige Ost-West-Verhältnis auf der gesellschaftlichen Ebene

Alternative 1:

Festschreibung des derzeitigen Zustandes Die bisherige Situation in den Fragen des Kontakts und der Kommunikation über die Systemgrenzen hinweg ist äußerst unbefriedigend. Hinter den Standpunkten, die auf der Europa-Konferenz geltend gemacht werden, stehen miteinander unvereinbare Vorstellungen. Der Versuch, den transnationalen menschlich-geistigen Austausch zwischen West-und Osteuropa mittels einer Politik des Einvernehmens und der Entspannung zu regeln, ist daher so gut wie gescheitert. Wenn sich nicht noch — wider alle Wahrscheinlichkeit — ein plötzlicher Wandel der Grundeinstellungen ereignen sollte, dann bleiben nur noch zwei mögliche Verhandlungsresultate übrig, die beide wenig verlockend sind. Entweder kommt es zu einem offenen Abbruch des Dialogs über den freieren Austausch von Personen, Informationen und Ideen, oder aber die beiden streitenden Seiten entschließen sich zu einem Kompromiß, der die entgegengesetzten Auffassungen mit gemeinsam formulierten, aber gegensätzlich ausgedeuteten Worten zudecken würde und außer einer scheinbaren Beifallskundgebung der westlichen Länder für angebliche sowjetische Zugeständnisse keinen realen Inhalt besäße.

Unter diesen Umständen blieben die gegenwärtigen Verhältnisse des transnationalen menschlich-geistigen Austauschs zwischen West-und Osteuropa unverändert bestehen. Das hieße: 1. Das selektive politische Einvernehmen zwischen den Regierungen in Ost und West würde durch einen Scheinkompromiß über den Tagesordnungspunkt III der Europa-Konferenz erweitert. Auf diese Weise würde in der westlichen Öffentlichkeit zunächst der Eindruck geschaffen, als mache die Entspannung auch an diesem heiklen Punkt Fortschritte. Dadurch wäre einer euphorischen Selbsttäuschung des Westens über die tatsächliche Lage Vorschub geleistet, die im weiteren Verlauf der Entwicklung mit großer Wahrscheinlichkeit zu bitterer Desillusionierung und erneuter Spannungsverschärfung führen würde. Je stärker das aus der Selbsttäuschung der westlichen Gesellschaften resultierende westliche Fehlverhalten gegenüber der UdSSR und ihren Verbündeten wäre, desto ausgeprägter wären die Gefahren nicht nur für die westliche Selbstbehauptung, sondern auch für den künftigen Fortgang der Entspannung.

2. Die westlichen Länder würden zwar nicht den Worten, wohl aber der Sache nach langfristig darauf verzichten, in den Fragen des transnationalen menschlich-geistigen Austauschs den Anspruch einer auch nur minimalen Reziprozität gegenüber der UdSSR geltend zu machen. Die sowjetische Führung und ihre osteuropäischen Gefolgschaften erhielten unangefochten das Recht zugestanden, nach Belieben alle unerwünschten westlichen Einflüsse aus ihrem Machtbereich herauszuhalten und gleichzeitig für sich das Recht zu uneingeschränkter Einwirkung auf die westeuropäischen Gesellschaften zu beanspruchen. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, daß dies in optimaler Weise der Zementierung der sowjetischen Herrschaftsstrukturen in Osteuropa und der Erschütterung der westlich-demokratischen Ordnungen in Westeuropa dienen würde, überdies würde die sowjetische Führung darin einen klaren Erweis dafür sehen, daß die westeuropäischen Regierungen sich im Bewußtsein ihrer Schwäche gezwungen gesehen hätten, ihre Politik an die sowjetischen Vorstellungen anzupassen 3. Die sowjetische Führung erhielte weiterhin einen starken Anreiz, ihre militante anti-65 westliche Grundeinstellung auf der gesellschaftlichen Ebene fortzusetzen. Es gäbe dann auf lange Sicht hin keine Aussicht auf eine Entspannung zwischen Ost und West, die über die Vermeidung des nuklearen Kriegsrisikos zwischen den beiden Supermächten und ihren Verbündeten hinausginge. Entspannung wäre festgeschrieben als ein Verhältnis, das die westliche Seite überall dort, wo es den sowjetischen Interessen entspräche, zur bedingungslosen Zusammenarbeit verpflichtete und zugleich der UdSSR im gesellschaftlichen Bereich völlig freie Hand für die antiwestliche politische Offensive ließe, ohne daß den westlichen Ländern das mindeste Recht zur Einwirkung auf den Warschauer-Pakt-Bereich eingeräumt würde Die Theorie und die Praxis des antiwestlichen gesellschaftlichen Kampfes würden für Moskau endgültig zum unaufgebbaren, weil risikolosen Instrument der politischen Einflußnahme in Westeuropa. Solange die Männer im Kreml mit Kampfbedingungen von derartig einseitigem Vorteil rechnen können, wäre es für sie eine politische Dummheit, den Kurs des unerbittlichen antiwestlichen Kampfes auf gesellschaftlicher Ebene zu korrigieren.

Alternative 2:

Reziprozierung der sowjetischen Abschirmungspolitik Der Logik der sowjetischen Abschirmungspo-litik würde es entsprechen, wenn die westeuropäischen Länder mit einer gleichartigen Gegenabschirmung reagieren würden. Damit würden sie sich gemäß jener theoretischen Auffassung verhalten, nach der eine „dissoziative" europäische Friedensordnung der Ost-West-Situation angemessen ist und am besten dem Entstehen wechselseitiger Spannungen entgegenwirkt. Die sowjetische Argumentation, daß zwischenstaatliche Entspan-nung und zwischengesellschaftliche Konfrontation sich wechselseitig bedingende Bestandteile der „friedlichen Koexistenz" darstellten, würde konsequent praktiziert.

Gegen eine derartige Ansicht erheben sich jedoch schwerwiegende Bedenken:

1. Die sowjetische Führung würde, obwohl die westliche Seite nur den östlichen Standpunkt übernehmen würde, voraussichtlich mit Heftigkeit reagieren und von einem Bruch der Entspannung sprechen. Soweit die Machtverhältnisse dies ohne ernstliches Risiko zuließen, wären auch Repressalien auf zwischenstaatlicher Ebene zu erwarten. Eine derartige Politik ließe sich daher nur verwirklichen, wenn die westlichen Regierungen auf die politische Zusammenarbeit mit Moskau in den bisherigen Teilbereichen zu verzichten bereit wären und genügend Stärke zum Bestehen sowjetischer Verärgerungsstürme (bis hin zur Androhung bewaffneter Gewalt) besäßen.

2. Die prinzipielle Konfrontation zwischen Ost und West würde zementiert und verewigt. Eine künftige Hinentwicklung zu einem allmählichen Abbau der gesellschaftlich-politischen Trennungen wäre genau so wenig zu erwarten wie in dem vorher diskutierten Fall, daß der bestehende Zustand des einseitigen antiwestlichen Kampfes festgeschrieben würde.

3. Die westlichen Länder müßten, was die Wirksamkeit sowjetischer beziehungsweise sowjetisch gesteuerter Kräfte in ihren Gesellschaften anbelangt, ein Verhalten praktizieren, das ihren ordnungspolitischen Normen und Strukturen widersprechen würde. Diese Opponenten müßten ebensosehr unterdrückt werden, wie es im Warschauer-Pakt-Bereich mit allen Andersdenkenden geschieht. Das würde nicht nur praktische Probleme schaffen sondern auch die moralische Glaubwürdigkeit der westlich-demokratischen Ordnung beeinträchtigen, wenn es nicht gelänge, eine weithin überzeugende Rationale des Vorgehens zu entwickeln.

Zweifellos würde es aber gleichzeitig der westlichen Seite sehr zugute kommen, wenn das Prinzip der Reziprozität wirksam zur Geltung käme. Nicht länger würde eine Asymmetrie der gesellschaftlichen Kampfbedingungen es der sowjetischen Seite erlauben, mit einer sich fortsetzenden Serie einseitiger politischer Eroberungen im westlichen Lager zu rechnen.

Alternative 3:

Einsatz politischer Hebel für die Verbesserung des menschlich-geistigen Ost-West-Austauschs

Wenn man davon ausgeht, daß die gegenwärtigen Bedingungen der zwischengesellschaftlichen Auseinandersetzung, die der sowjetischen Führung ein Maximum an Chancen und ein Minimum an Risiken bieten und dafür den westlichen Ländern ein Minimum an Chancen und ein Maximum an Risiken zumuten, den Hauptbestimmungsfaktor für die antiwestliche Militanz Moskaus darstellen, dann kommt man nicht um die Schlußfolgerung herum, daß ein Anwachsen der Duldsamkeit, der Offenheit und der Verständigungsbereitschaft auf sowjetischer Seite nur unter der Voraussetzung größerer Symmetrie auf der zwischengesellschaftlichen Ebene möglich ist. Feindselig-kämpferische „friedliche Koexistenz“ darf sich nicht einseitig bezahlt machen. Die Nachteile und Risiken müssen auch für die Männer im Kreml beträchtlich sein, wenn diese zu einem Nachdenken darüber angeregt werden sollen, ob das antiwestliche Vorgehen auf zwischengesellschaftlicher Ebene für sie weiterhin nützlich und zweckmäßig ist. Das bedeutet: Die Anreizstruktur der sowjetischen Führung ist zu verändern, indem die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens mit dem Verlust von Vorteilen und Chancen und/oder mit dem Erwerb von Nachteilen und Risiken gekoppelt wird.

Einen Ansatz für eine derartige Politik könnte das sowjetische Bedürfnis nach technologisch-wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Westen bieten. Wenn man von den Interessen einzelner Branchen absieht und den Blick auf das Ganze der Volkswirtschaften richtet, ist die angestrebte Kooperation für die UdSSR ungleich wichtiger als für die westlichen Länder. Der Vorteil fremden Know-hows und ausländischer Kredite ist für das ökonomische Wachstum der Sowjetunion dringend erwünscht — und nur in den hoch-entwickelten westlichen Industriestaaten zu haben. Die Gewährung der Meistbegünstigung und der Verzicht auf Kontingentierung sind Maßnahmen, die nur auf Seiten der Marktwirtschaftsländer gegenüber den Staatshandelsländern Bedeutung haben. Gleichzeitig haben sich die wirtschaftlichen Hoffnungen nicht erfüllt, die zeitweilig in Westeuropa auf das sowjetische Lager gesetzt worden sind

Nachdem die UdSSR zunächst eine breite Versorgung Westeuropas mit den Energien und Rohstoffen in Aussicht gestellt hatte, die mit westlicher Hilfe erschlossen würden, sind diese Töne schon lange vor der Ölkrise sehr gedämpft worden, und westliche Experten schätzen, daß die sowjetische Wirtschaft künftig ihre Vorräte weithin selbst benötigen wird. Als die arabischen Staaten im Herbst 1973 — augenscheinlich nicht zuletzt auch auf sowjetische Ermutigung hin — begannen, zuerst die Ölversorgung Westeuropas in Frage zu stellen und dann über den ölpreis das wirtschaftliche Gleichgewicht in dieser Region zu erschüttern, zeigte es sich, daß die sowjetische Seite keineswegs geneigt ist, den westeuropäischen Ländern ihre Situation zu erleichtern; sie ging vielmehr sofort dazu über, die veränderte Lage ökonomisch für sich auszunutzen. Damit gingen die Aussagen maßgeblicher Funktionäre einher, welche die wirtschaftliche „Krise des Kapitalismus" als Erschütterung seiner politischen Positionen feierten

Unter diesen Umständen haben die westeuropäischen Länder von einer wirtschaftlich-technologischen Zusammenarbeit mit der UdSSR nicht diejenigen stabilitätsfördernden Wirkungen zu erwarten, auf die es die sowjetische Seite für sich abgesehen hat. Das Interesse an dieser Zusammenarbeit liegt somit, gesamtwirtschaftlich gesehen, überwiegend auf östlicher Seite. Daher könnte eine koordinierte westliche Politik hier einen Preis nennen

In einer wichtigen Teilfrage wurde die Probe aufs Exempel gemacht. Einer der maßgeblichen Männer der amerikanischen Legislative, Senator Jackson, bestand darauf, daß der sowjetischen Regierung die gewünschten Handelserleichterungen und Kredithilfen nur dann gewährt werden dürften, wenn sich diese hinsichtlich des Auswanderungsverlangens vieler ihrer Bürger stärker als bisher an die Menschenrechtskonvention zu halten bereit sei. Der Senator ging daven aus, daß die UdSSR in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecke und daher auf westliche Hilfe angewiesen sei. Die Hartnäckigkeit Jacksons nötigte die Leiter der amerikanischen Außenpolitik dazu, diesen Standpunkt gegenüber der sowjetischen Seite zu vertreten. Das Ergebnis war eine Absprache zwischen Washington und Moskau, auf Grund deren der amerikanische Außenminister dem Senator genaue Einzelheiten darüber mitteilte, wie die UdSSR ihren auswanderungswilligen Bürgern künftig nicht mehr die bisherigen Hindernisse in den Weg legen wolle und auf ihre Anträge in angemessenem Umfang einzugehen gedenke. Die amerikanische Legislative behielt sich vor, die der UdSSR daraufhin gewährten wirtschaftlichen Vorteile wieder rückgängig zu machen, falls die Zusagen nicht eingehalten werden sollten.

Das Arrangement wurde freilich bald in Frage gestellt. Bereits am 26. Oktober 1974 richtete der sowjetische Außenminister ein Schreiben an seinen amerikanischen Amtskollegen, in dem er gegen Jacksons Darstellung der Sachlage protestierte und sie als ein „entstelltes Bild“ von den gegebenen Zusagen bezeichnete. Die Frage, so erklärte Gromyko, gehöre „an und für sich voll und ganz zu den inneren Kompetenzen“ der UdSSR, und die sowjetische Seite werde auch künftig „diesbezüglich ausschließlich in Übereinstimmung mit unseren einschlägigen Gesetzen verfahren". Im übrigen sei die Zahl der auswanderungswilligen Sowjetbürger rückläufig. In einer TASS-Erklärung machte Moskau überdies geltend, daß die „Aufnahme derartiger Vorbehalte und einschränkender Bedingungen“ (wie sie Jackson stipulierte) „in direktem Widerspruch“ zu den 1972 getroffenen amerikanisch-sowjetischen Vereinbarungen stehen würde (bei denen die Washingtoner Administration nicht auf Auswanderungskonzessionen bestanden hatte). Das neu gestellte Verlangen laufe auf eine amerikanische Einmischung in innersowjetische Angelegenheiten hinaus. Nur auf der Grundlage der „vollen Gleichberechtigung der beiden Seiten“ und der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen" könnten die wechselseitigen Beziehungen gedeihen; die UdSSR beabsichtige, „sich auch künftig strikt an diese Grundlagen zu halten" 73a).

Die Aussagen aus Moskau signalisierten deutlich den Willen, die gegebenen Zusicherungen nicht als übernommene Verpflichtungen gelten zu lassen. Die These von dem abnehmenden Auswanderungsinteresse deutete auf eine künftig verschärfte — und nicht etwa erleichterte — Verfahrenspraxis hin. Anfang 1975 ging die sowjetische Führung noch einen Schritt weiter. Mit einem Schreiben vom 10. Januar kündigte sie das Handelsabkommen mit den USA. Begründend hieß es, die UdSSR sei nicht bereit, einen Handelsstatus zu akzeptieren, der „diskriminierend und politischen Bedingungen unterworfen" sei. Sie erwarte vielmehr eine vorbehaltlose Erfüllung der Vereinbarungen, die 1972 festgelegt worden seien. NeuVerhandlungen könnten nur auf dieser Basis erfolgen. Außerdem brachte die sowjetische Seite Unmut darüber zum Ausdruck, daß die diskreten Gespräche mit Außenminister Kissinger (die Jacksons Forderungen betrafen) in der Öffentlichkeit* aufgebauscht worden seien 73b). Die Kommentare lassen deutlich die Absicht erkennen, das Handelsarrangement mit den USA zu erneuern, aber mittels Ausspielung der Administration und der Öffentlichkeit gegen den Senat von den damit verknüpften Auflagen zu lösen.

Das sowjetische Vorgehen könnte durch mehrere Hypothesen zu erklären sein. Es wäre denkbar, daß die Männer im Kreml bereits von Anfang an darauf spekuliert haben, sie könnten sich, wenn die amerikanische Handelsgesetzgebung erst einmal unter Dach und Fach sei, nachträglich von den Bedingungen der Senatsmehrheit freimachen. Das Kalkül wäre in diesem Falle gewesen, daß die amerikanische Seite nach perfektem Arrangement kaum wieder zum Verzicht auf die eingeleiteten kommerziellen Verbindungen bereit sein würde und daß Moskau daher mit der Drohung eines Abbruchs die zunächst scheinbar hingenommenen Auflagen loswerden könne. Der Umstand, daß die Administration in Washington das Verlangen Jacksons selbst nicht billigte und nur widerwillig gegenüber der UdSSR vertreten hatte, mochte einer derartigen Überlegung zusätzliche Erfolgsaussicht gegeben haben. Andererseits erscheint es aber auch möglich, daß die Leiter der sowjetischen Außenpolitik zunächst nur an eine möglichst weitreichende Umgehung der Zusagen gedacht haben und erst allmählich zu dem Kündigungsentschluß gelangt sind. Dabei könnten Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsgruppe, zunehmende Verärgerung über eine der Absprache unerwünscht gegebene Publizität oder Enttäuschung über das unerwartet geringe Ausmaß des amerikanischen Kreditvolumens für die UdSSR (das bis 1978 auf 75 Mio. $fixiert wurde) eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Die Jackson-Politik hat eine Unterstützung der UdSSR bei der Lösung ihrer Wirtschaftsprobleme 'gegen die Akzeptierung be-stimmter Spielregeln des Kontakts, der Kommunikation, der Freizügigkeit und/oder der Duldsamkeit durch. Moskau zum Inhalt. Dieses Vorgehen birgt freilich auch Risiken in sich:

1. Eine weitreichende wirtschaftlich-technologische Unterstützung durch westliche Länder führt möglicherweise dazu, daß die sowjetische Führung darum herumkommt, die dringend gebotene Steigerung der ökonomischen Effizienz durch strukturelle Reformen (die beim Produktionslenkungssystem erfolgen würden, aber kaum ohne gesamtgesellschaftliche Auswirkungen bleiben könnten) zu suchen. Das Regime Breshnev-Kossygin hat alle früheren Ansätze in diesem Sinne rückgängig gemacht, um die bestehenden Herrschaftsstrukturen uneingeschränkt konservieren zu können. Sein Bestreben, westliches Knowhow und westliche Finanzkraft für den Ausbau der sowjetischen Wirtschaft zu mobilisieren, könnte nicht zuletzt durch den Wunsch nach einer Alternative zur inneren Reform bestimmt sein. Umgekehrt hat das Beispiel der Tschechoslowakei in den Jahren 1965 bis 1968 gezeigt, daß wirtschaftliche Stagnation einen mächtigen Antrieb für die Initiierung von Reformen werden kann, welche die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse tiefgreifend ändern.

2. Wenn der sowjetischen Führung für die Lösung ihrer ökonomischen Probleme westliche Kredite zur Verfügung gestellt werden, kann dies den Druck, den die so lange vernachlässigten zivilen Erfordernisse auf die aufgeblähten Militärausgaben auszuüben beginnen erheblich verringern. Das würde bedeuten, daß der Beitrag westlicher Länder indirekt der sowjetischen Rüstung zugute kommen würde Es wäre daher zu fragen, ob nicht die Arrangements über eine weitgespannte Ost-West-Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft und der Technologie mit Vereinbarungen über ein ausgeglichenes Verhältnis der Streitkräfte und Rüstungen auf beiden Seiten gekoppelt werden müßten.

Für die westlichen Staaten besteht aller Grund, zu verhindern, daß die Entspannung zu einer Zementierung der Repressionsstrukturen im sowjetischen Lager zu einer Etablierung von einseitig die UdSSR begünstigenden Koexistenz-Bedingungen und zur Ermöglichung einer hegemoniebereitenden Rüstung Moskaus führt. t Ein weiterer Hebel, der die Männer im Kreml zu Konzessionen hinsichtlich der zwischengesellschaftlichen Kontakte und Kommunikationen veranlassen könnte, wäre die strikte Geltendmachung des Reziprozitätsstandpunkts durch die westlichen Regierungen an allen denjenigen Stellen, wo die sowjetische Seite ein Interesse an Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesellschaften westlicher Länder hat Der sowjetischen Führung müßte klar gemacht werden, daß sie nur so weit damit rechnen kann, anderswo ihre Vorstellungen zu verbreiten, Kontakte anzuknüpfen und Verbindungen herzustellen, wie sie ihrerseits den jeweiligen Staaten ähnliche Möglichkeiten in ihrem Herrschaftsbereich einräume. Die Männer im Kreml müßten sich dann darüber klar sein, daß ihre eigenen Einwirkungsmöglichkeiten von der Konzession gleichartiger Einflußchancen an die Gegenseite abhängen. Freilich würde diese Einsicht in Moskau nur während eines längeren Erfahrungszeitraums wachsen. Erst wenn sich die sowjetische Führung nach vielen und ausdauernden Versuchen zum Beweis des Gegenteils endgültig davon überzeugt hätte, daß die veränderte Ausgangslage unwiderruflich festliegt, würde sie die Gegebenheiten zu akzeptieren bereit sein. Eine historische Parallele bietet das sowjetische Verhalten der Jahre 1953 bis 1955, als sich die Männer im Kreml schließlich damit abfanden, daß das Konzept einer einseitig nur die westliche Seite verpflichtenden Viermächte-Kooperation in Deutschland seit 1947 gescheitert war, und dementspre-chend zu erkennen gaben, daß sie sich mit der Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Lager vorerst abfanden.

Wenn die westlichen Länder ihre Reziprozierungsmaßnahmen immer unzweideutig mit der Bereitschaft zu Kontakt und Kommunikation auf der Basis der Gegenseitigkeit verbunden haben, könnte nach Abschluß de sowjetischen Lernprozesses der Weg frei werden für einen langsamen und vorsichtigen Abbau der gesellschaftlichen Abschirmung und für den Beginn eines breiten Dialogs in verschiedenen Bereichen. Das könnte so verlaufen, daß eine Seite mit kleinen, an sich unbedeutenden Vorgaben ihre Bereitschaft signalisiert und dadurch bei der anderen Seite einen entsprechenden Schritt der Gegenentspannung anregt Dabei brauchte keiner der Beteiligten etwas zu riskieren, weil in dem Fall, daß die erwartete Reaktion ausbliebe, kein nennenswerter Nachteil entstanden wäre. Es wäre dann lediglich der Entspannungsverlauf unterbrochen, bis neue Impulse wirksam werden. Die Möglichkeiten für eine Ost-West-Auseinandersetzung mit den Mitteln des überzeugens (statt des Manipulierens und Zwingens) würden zunehmen.

Die Reziprozität könnte freilich kaum plötzlich, auf einen Schlag durchgesetzt werden. Wenn nicht mit vorsichtiger (wenngleich konsequenter) Allmählichkeit zu Werk gegangen würde, wären bei der sowjetischen Führung, die sich mit einemmal selbstverständlich geglaubter Rechte beraubt sähe, Kurzschlußreaktionen und Pressionsausübungen wahrscheinlich. Dem könnten die westlichen Länder nur bei einem starken inneren und äußeren Zusammenhalt und bei einer verstärkten militärischen Macht ruhig entge-gensehen. Aber selbst dann wäre ein Wieder-ausbruch des Kalten Krieges unnötig und unangenehm. Das Konzept zunehmender gesellschaftlicher Öffnungen zwischen Ost und West wäre nicht auf das Ziel ausgerichtet, das sowjet-kommunistische System aus den Angeln zu heben und die gegenwärtigen Herrschaftsgruppen zu beseitigen. Vielmehr würde sich allmählich eine Veränderung in Teilbereichen des östlichen Systems anbahnen, der sich die Herrschaftsgruppen in gleichem zeitlichen Rhythmus anpassen könnten, und aus der eine neue innere Stabilität resultieren würde. Mit der Zulassung einer begrenzten gesellschaftlichen Autonomie im Verkehr mit den westlichen Ländern würde in Osteuropa die bisherige starre Identität von Staat und Gesellschaft gelockert werden. Die gesellschaftliche Diskussion könnte auf dieser Basis einen gewissen Freiraum gewinnen, ohne daß die Herrschaftsverhältnisse dadurch berührt würden. Die Stärke der Macht-und Informationsapparate, über welche die Herrschenden nach wie vor verfügen würden, könnten die Stabilität der Gesellschaftsordnung mühelos gewährleisten — womit ein Stabilitätsvorteil gegenüber den westeuropäischen Ländern weiterhin gegeben wäre.

Eine solche Entwicklung würde die Hoffnung eröffnen, daß sich die bestehende ideologisch-politische Konfrontation, welche die sowjetische Seite gegenüber dem Westen forciert, allmählich lockern könnte. Zwei überlegungenverdeutlichen dies: 1. Ein Dialog nötigt, auch wenn ihn die beiden Antagonisten zunächst in durchaus gegnerischer Absicht beginnen, zu einer Berücksichtigung und damit zu einem Ernstnehmen der Ansichten auf der anderen Seite. Das kann und wird natürlich zunächst wesentlich polemischen Zwecken dienen — aber auch auf diese Weise lassen sich die Vorstellungen des Gegenübers nicht mehr einfach ignorieren, oder abtun. Daher ist die Aufrechterhaltung autistischer Einstellungen erschwert. 2. Eine Wechselseitigkeit der Risiken und Frustrationen bei der Auseinandersetzung fördert mit fortschreitendem Zeitablauf eine Kampfmüdigkeit. Auf diese Weise hat sich bisher schon die zwischenstaatliche Konfrontation zwischen Ost und West als nutzlos und riskant für beide Seiten erwiesen — mit der Folge, daß beide Seiten auf dieser Ebene nunmehr ein entspanntes Verhältnis anstreben, " enn ein analoger Prozeß auch im Bereich dos zwischengesellschaftlichen Kampfes einsetzen würde, könnte dies allmählich auf sowjetischer Seite die Bereitschaft zu einem Waffenstillstand auch auf diesem Felde fördern. Man kann auch an die Erfahrung der konfessionellen Auseinandersetzungen im 16. und 17. Jahrhundert erinnern: Die schiere Unmöglichkeit, die Vertreter des anderen Glaubens niederzuzwingen, verbunden mit den Gefahren und Opfern, die dem eigenen Lager aus den Kämpfen erwuchsen, wurde zur Basis einer zunächst sehr widerwilligen Koexistenz, die unter den Bedingungen enger Berührung schließlich in ein Verhältnis wechselseitiger Toleranz und wechselseitigen Verstehens aus-mündete. Darum geht es auch heute. Die zwischenstaatliche Koexistenz bei zwischengesellschaftlicher Feindschaft muß allmählich durch eine umfassende Koexistenz im Geiste der verständnisvollen Duldung abgelöst werden. Nur von einer solchen Grundlage her kann der Ost-West-Konflikt schließlich einmal überwunden werden.

Alternative 4:

Ein auf die Machteliten beschränkter menschlich-geistiger Austausch Wenn die Spannungen gescheut werden, die mit einem Kurs der langfristigen Ost-West-Offnung zeitweilig verbunden sein können, dann bleibt nur noch die Möglichkeit, eine qualitative Verbesserung des menschlich-geistigen Austauschs ausschließlich im Verhältnis der Führungsgruppen in Ost und West anzustreben. Eine derartige Politik würde dem westlichen Wunsch, die Stabilität der osteuropäischen Regimes nicht zu beeinträchtigen, und dem sowjetischen Bedürfnis, die vollständige Kontrolle über den Ost-West-Austauschprozeß zu behalten, am besten entsprechen. Allerdings bliebe die westliche Hoffnung, daß sich etwas an den repressiven Strukturen im Warschauer-Pakt-Bereich ändern könne und daß die antiwestliche Militanz des sowjetischen Gesellschaftskonzepts allmählich verschwinden möge, nicht mehr als ein frommer Wunsch ohne konkrete Erfolgsperspektiven. Denn es würde grundsätzlich von dem Belieben der sowjetischen Machthaber abhängen, inwieweit sie den Argumenten des westlichen »Klassenfeindes“ irgendwelches selbstkritisches Nachdenken widmen wollten und in-35 wieweit aufgeschlossene Teile des eigenen wie des verbündeten Funktionärsapparats überhaupt einem Ost-West-Dialog ausgesetzt werden dürften Da die unmittelbare Auseinandersetzung mit der westlichen Seite die breite Öffentlichkeit nicht berühren würde, entfiele für Moskau die Notwendigkeit, deren Resonanz auf die Selbstdarstellung im Westen zu berücksichtigen.

Dieses Konzept kann leicht darauf hinauslaufen, daß faktisch nur die Alternative 1, nämlich die Festschreibung des Zustandes antiwestlicher Asymmetrie und folglich auch antiwestlicher Unversöhnlichkeit, Wirklichkeit wird. Dies ließe sich nur dann verhindern, wenn die westlichen Regierungen gleichzeitig den Partei-und Staatsapparaten des sowjetischen Lagers alle einseitigen Einflußmöglichkeiten in den westlichen Gesellschaften versagen würden. Damit zögen sie, soweit sie nicht mit der UdSSR und ihren Verbündeten auf Führungsebene einen wechselseitig akzeptierten Dialog anbahnten, wenigstens mit der östlichen Politik der Gesellschaftsabschirmung gleich. Das wäre — mit der besagten Einschränkung — ein Vorgehen gemäß Alternative 2, also eine wechselseitige Isolierung der Gesellschaften in Ost und West voneinander. Die Probleme, die bei dieser Alternative auftreten» wären daher in dem jetzigen Zusammenhang ebenfalls zu beachten. Die westlichen Länder könnten zwar, wenn die anfänglich zu erwartenden Spannungszunahmen ausgehalten würden, schließlich für sich ausgewogene Bedingungen beim Austragen des Ost-West-Konflikts beanspruchen, aber es würde keine Perspektive sichtbar, wie dieser Konflikt irgendwann einmal abgebaut werden könnte. Denn die Chance, daß sich die sowjetische Führung eines Tages aus freien Stükken durch westliche Appelle zu Duldsamkeit und Versöhnlichkeit bekehren könnte, ist einigermaßen unsicher. Eine Aussicht auf schließliche Konfliktdeeskalation bietet nur die Alternative 3, welche die Politik der Sym-metrie für die zwischengesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem unablässigen Streben nach freierem Austausch von Personen, Informationen und Ideen auf beiden Seiten verbindet.

Fazit Bei den erörterten vier Alternativen handelt es sich um begriffliche Idealtypen, welche die Optionen westlicher Politik in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen verdeutlichen sollen. Da sich Außenpolitik nicht nach einem starren Schema abwickeln läßt, wird in der Praxis eine Kombination mehrerer Elemente gewählt werden müssen. Dabei will freilich das Mischungsverhältnis gut überlegt sein. Beispielsweise ist es durchaus denkbar, daß sich die westlichen Regierungen, nachdem sie lange und beharrlich unter Einsatz aller Mittel auf Bedingungen eines freieren und reziprokeren zwischengesellschaftlichen Austauschs gedrungen haben, mit Teilergebnissen zufrieden geben (die vielleicht zum Teil der Alternative 4 entsprechen). Sie könnten dann aber ein Austauschverhalten anschließen, das die entstandenen Kontakt-und Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur für den Dialog mit offiziellen Repräsentanten, sondern auch für das Gespräch mit nonkonformistischen Personen in Osteuropa nützen würde. Dabei könnte den Stimmen in der UdSSR und anderswo, die größere staatsbürgerliche Freiheiten, eine zunehmende wirtschaftliche Entlastung und eine wirkliche Ost-West-Verständigung fordern, vermehrte Resonanz und stärkerer Einfluß gegeben werden. Ein wesentliches Element bei einer derartigen Politik wäre auch die Fortdauer der Information, die über den Äther aus dem Westen in den sowjetischen Machtbereich gelangt und die das Nachrichtenmonopol der Herrschenden einschränken. Besondere Bedeutung besitzen dabei „Radio Liberty" und „Radio Free Europe", die, weil sie über mit Schweigen übergangene Vorgänge in Osteuropa berichten, ein dringliches Informationsbedürfnis der dortigen Menschen befriedigen.

Die westliche Politik sollte es zu ihrem Hauptziel machen, auf unrestriktiven und ausgewogenen Spielregeln der Begegnung, des Dialogs, der Freizügigkeit und der Duld samkeit zwischen den Gesellschaften in Ost und West zu bestehen, welche die politisch-ideologische Auseinandersetzung überhaupt erst ermöglichen (weil andernfalls im Osten unterdrückender Zwang und im Westen ferngesteuerte, unbehinderte Indoktrination das Feld beherrschen). Das heißt: Die westlichen Regierungen sollten sich nicht das sowjetische Koexistenz-Konzept — und damit die Bedingungen für einen einseitigen östlichen Kampf gegen den Westen — aufnötigen lassen. Symmetrie der Handlungsmöglichkeiten und Offenheit in größtmöglichem Umfang sollten die Ost-West-Beziehungen im gesellschaftlichen Bereich kennzeichnen. Gleichzeitig sollte sich das westliche Augenmerk darauf richten, daß die Entspannung nicht unversehens die Festigkeit und die Machtposition der sowjetischen Zwangsapparate nach innen und außen stärkt und damit den Boden für eine unüberwindbare Überlegenheit des Regimes gegenüber den Dissidenten im eigenen Land und gegenüber den westlichen Staaten bereitet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In den sowjetischen Aussagen wird scharf unterschieden zwischen internationalen und zwischenstaatlichen Beziehungen: Nur die ersteren umfassen auch den gesellschaftlichen Bereich des Wechselverhältnisses zwischen verschiedenen Ländern, während die letzteren ausschließlich das Mit-oder Gegeneinander der staatlichen Repräsentanten beziehungsweise Apparate meinen.

  2. Vgl. K. Kaiser, Transnationale Politik, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 1 (1969), S. 80— 109; D. Singer, The Global System and Its Subsystems, in: J. Rosenau (Hrsg.), Linkage Politics, New York 1969, S. 24; J. Nye/R. Keohane, Introduction, in: J. Nye/R. Keohane (Hrsg.), Transnational Relations and World Politics, Cambridge/Mass. 1972, S. XIII.

  3. Vgl. E. R. Goodman, Disparities in East-West-Relations, in: Survey, Jg. 19 H. 3 (Nr. 88), Sommer 1973, S. 88— 96.

  4. Zu den Arbeitsbedingungen westlicher Journa-

  5. Kennzeichnend ist die erbittert-feindselige Reaktion auf westliche Überlegungen über einen Devisenfonds für reisewillige Sowjetbürger; vgl. A. C. A. Dake, Impediments to the Free Flow of Information Between East and West, Atlantic Treaty Association, Paris 1973, S. 11.

  6. Text des sowjetischen Konventionsentwurfs vom 8. 8. 1972: Osteuropa 7/1974, A 477— 480. Zur Problematik vgl. R. D. Heffner, Offener Himmel oder Vorzensur? in: Osteuropa, 7/1974, S. 486— 496.

  7. Vgl. das Beispiel bei K. Mehnert, Friedliche Koexistenz — eine deutsche Meinung, in: Osteuropa, 4/1974, S. 272.

  8. So in einem programmatischen Artikel von A. Bovin in: Izvestija, 11. 9. 1973, auszugsweise wie-dergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 458— 460.

  9. Rede von KPdSU-Generalsekretär L. Breshnev vom 21. 12. 1972 anläßlich des 50. Jahrestages des Bestehens der UdSSR, zitiert nach der auszugsweisen Wiedergabe in: Osteuropa, 7/1974, A 457.

  10. Rede von L. Breshnev auf dem 24. Parteitag der KPdSU vom 30. 3. 1971, in: Pravda, 31. 3. 1971.

  11. Leitartikel des theoretischen Parteiorgans „Kommunist“, 14/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 461; Grundsatzartikel von V. Midheevy in der außenpolitischen Fachzeitschrift . Mezdunarodnaja izn‘" 11/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 132.

  12. Grundsatzartikel v°n A. Sovetov in der außenPplitischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja izn", 972, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, ''‘ 973, A 467.

  13. Grundsatzartikel von V. Micheev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn'", 11/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 132. Vgl. die Äußerungen M. A. Suslovs vom 13. 7. 1973 zu diesem Thema, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 458.

  14. Beitrag von Ju. Nikolaev zu einer Diskussion sowjetischer Außenpolitikexperten Anfang 1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1973, A 474 f.

  15. Überlegungen der Prager Ideologie-Konferenz vom Januar 1974 zu Ausführungen des für ideologische Fragen zuständigen ZK-Sekretärs der PVAP, J. Lukaszewicz, im theoretischen Organ seiner Partei „Nowe Drogi“, 2/1974, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 455.

  16. Grundsatzartikel von S. Sanakoev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja izn", 11/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 129.

  17. Grundsatzartikel von V. Matveev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn , 11/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 130. ,

  18. Ausführungen von M. Michajlov über den Tagesordnungspunkt III der KSZE in der außenpolitischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn 4/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1973, A 476? .

  19. Ungezeichneter Leitartikel des theoretischen Parteiorgans der KPdSU, „Kommunist", 14/1971 auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/19741 A 462 f.

  20. Rede von M. Suslov am 13. 7. 1973, wiedergegeben in: Pravda, 14. 7. 1973.

  21. Grundsatzartikel von S. Sanakoev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja izn", 41974, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 473.

  22. Dies wurde ausdrücklich festgestellt von dem Leiter des ZK-Apparats für Westarbeit, B. Ponomarev, in einem programmatischen Artikel (V. I. Ionin i mezdunarodnoe kommunisticeskoe dvienie) in: Kommunist, 2/1974, S. 8, und von dem für ideologische Fragen zuständigen ZK-Sekretär der PVAP, J. Lukaszewicz, in dem theoretischen Partei-organ „Nowe drogi", 2/1974, auszugsweise wieder-gegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 456. Vgl. auch andere Dokumente zum Komplex der ideologischen Onzertierung im sowjetischen Machtbereich: Ost

  23. Vgl. die Stellungnahme von §. Sanakoev in der außenpolitischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn'“, 7/1972, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1973, A 468.

  24. Wiedergabe der entsprechenden Passagen in: Osteuropa, 7/1973, A 469 f.

  25. Bezeichnend für die Argumentation sind beispielsweise die Ausführungen von M. Michajlov in der außenpolitischen Fachzeitschrift „Mezdunarod-naja zizn'“, 4/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 475— 477.

  26. Vgl die Argumentation von V. Kravcov, 2bceevropejskoe s 0Vescanie: na puti k istori-ceskim resenijam, in: Mirovaja ekonomika i medunarodnye otnosenija, 9/1974, S. 36.

  27. Auf dieses Verhaltensmuster, das seit den Früh-P äsen sowjetischer Expansion immer wieder fest

  28. Text: Schlußempfehlungen der Helsinki-Konsultationen [sechssprachig], Helsinki 1973, S. 14— 17/Europa-Archiv, 13/1973, D 374— 376.

  29. Zitiert nach Pravda, 5. 7. 1973. Wiedergabe der DDR-amtlichen Übersetzung in: Europa-Archiv, 16/1973, D 427— 435.

  30. Europa-Archiv, 16/1973, D 450.

  31. Text: Pravda, 5. 7. 1973 /Europa-Archiv, 16/1973, D 481— 483.

  32. Text: Pravda, 8. 7. 1973 /Europa-Archiv, 16/1973, D 487— 490.

  33. Wiedergabe der wichtigsten Texte: Europa-Archiv, 16/1973, D 472— 481.

  34. In Genf beharrt der Westen auf Wahrung seiner Rechte, in: FAZ, 27. 7. 1974; Bonn begrüßt Fortschritt bei Sicherheitskonferenz, in: Stuttgarter Zei-tung, 31. 7. 1974; Undurchsichtiges an der „Sicherheitskonferenz", in NZZ, 6. 8. 1974.

  35. Rekonstruktion der Textstücke nach den übereinstimmenden Zitaten und Angaben bei: H. Kepper, KSZE kommt von der Stelle, in: Frankfurter Rundschau, 31. 7. 1974; Bonn begrüßt Fortschritt bei der Sicherheitskonferenz, in: Stuttgarter Zeitung, 31. 7. 1974; Bonn sieht Sicherheitsfortschritte in Genf, in: Süddeutsche Zeitung, 31. 7. 1974. Zu den folgenden Ergebnissen bei den Beratungen über die relevanten Teile des Prinzipienkatalogs (Menschenrechte, Perspektiven beim Selbstbestimmungsrecht) vgl. Zwischenspurt auf der Genfer Sicherheitskonferenz, in: FAZ 17. 12. 1974.

  36. Za bezopasnost'i sotrudnicestvo v Evrope, in: Pravda, 28. 7. 1974; V. Kravcov, Obsceevropejskoe sovescanie: na puti k istoriceskim resenijam, in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 9/1974, S. 33, 37; Tekuscie problemy mirovoj politiki, in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 10/1974, S. 94.

  37. V. Kravcov, a. a. O., S. 37.

  38. K. Perevoscikov. Plodotvornaja 8. 10. 1974.

  39. Der Leiter der Delegation-der BRD, Guido Brunner, während eines Interviews mit Lothar Ruehl im ZDF am 3. 5. 1974 um 23. 10 Uhr.

  40. K. Perevoscikov, a. a. O.

  41. AP-Bericht aus Genf vom 27. 11. 1974; Kompromiß über Eheschließung, in: Kölner Stadt-Anzeiger. 13. 12. 1974; Zwischenspurt auf der Genfer Sicherheitskonferenz, in: FAZ, 17. 12. 1974. In dem letzten Artikel sowie in: die „Sicherheitskonferenz'vor der Weihnachtspause, in: NZZ, 12. 12. 1974 finden sich auch Angaben über den Stand der Verhandlungen über die verschiedenen anderen Einzelregelungen innerhalb des Tagesordnungspunktes DI.

  42. Grundsatzartikel von A. Sovetov in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja izn‘“, 9/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3 1974, A 126 f.

  43. Ungezeichneter Leitartikel des theoretischen Zentralorgans der KPdSU, . Kommunist’, 14/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 1/1974, 463.

  44. Grundsatzartikel von §. Sanakoev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn'“, 4/1974, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 472.

  45. Grundsatzartikel von A. Bovin in: Izvestija, 11. 9. 1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 459.

  46. So in der internationalen Wochenübersicht von O. OrestoV in der „Pravda" vom 23. 12. . 1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 7/1974, A 441. Hervorhebung durch den Verfasser.

  47. Grundsatzartikel von A. Sovetov in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja zizn ", 9/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 126 f.

  48. Grundsatzartikel von V. Micheev in der außen-politischen Fachzeitschrift „Mezdunarodnaja izn" 11/1973, auszugsweise wiedergegeben in: Osteuropa, 3/1974, A 133.

  49. In der DDR konzentriert sich diese Arbeit, die dort vor allem auf die Bundesrepublik zielt, auf das Franz-Mehring-Institut. Das IPW hat die westdeutschen Aktionen zugrunde zu legenden Informationen zu liefern. Es arbeitet teilweise auch — s 0 im Falle des „Schwarzbuches" über Chile (das die CDU/CSU der Beihilfe zum Militärputsch von 1973 beschuldigte) — die von den „fortschrittlichen Kräften“ in der BRD zu verwendenden Texte aus.

  50. Vgl. A. Razumovsky, Wie Moskau sein Lager ideologisch ausrüstet, in: FAZ, 27. 8. 1973. Unter Berufung auf geheime, nur einem kleinen Kreis von Finnen zugängliche Dokumente berichtete „Svenska Dagbladet" Einzelheiten über ein sowjetisches Aktionsprogramm zur allmählichen Transformation Finnlands in einen „sozialistischen" Volksfront-Staat unter kommunistischer Führung, das neben Manipulationen des politischen Lebens insbesondere eine zunehmende Kontrolle über die Massen-medien vorsehe (Sowjetische Einmischung in Finnsand, in: FAZ, 21. 11. 1974).

  51. Kommunique des Treffens der ZK-Sekretäre der KPdSU, BKP, SED, KPK, MAP, PVAP, RKP und KPC vom 19. 12. 1973, in: Pravda, 20. 12. 1973. Vgl. Engelbrecht, Osten geht in die Offensive, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 21. 12. 1973.

  52. Ju. Kaslev, „Informacionnyj vzryv" i bor'ba idej, in: Mezdunarodnaja izn‘, 8/1974, S. 103.

  53. M. S. Woslenskij, Friedliche Koexistenz aus sowjetischer Sicht, in: Osteuropa, 11/1973, S. 851, 854, 855. Vgl. Ob uglublenii obego krizisa kapitalizma [Arbeit des maßgeblichen Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen], in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 9/1974, S. 3.

  54. B. Ponomarev, V. I. Lenin i medunarodnoe kommunisticeskoe dvizenie, in: Kommunist, 2/1974,

  55. B. Ponomarev, a. a. O., S. 12 f.

  56. Vgl. C. Olgin, Communists and Socialists in Capitalist Countries, Radio Liberty Research, RL 312/74, 30. 9. 1974, S. 2.

  57. Ob uglublenii obego krizisa kapitalizma [Arbeit des maßgeblichen Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen], in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 9/1974, S. 4f.

  58. Problemy obego krizisa kapitalizma [Bericht über eine Sitzung des Wissenschaftlichen Rates des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen], in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 10/1974, S. 69.

  59. D. Tomasevskij, SSSR i kapitalisticeskij mir. ini Mezdunarodnaja izn‘, 3/1966, S. 20. Ähnliche Formulierungen bei D. Tomaevskij, Leninskij princip mirnogo sosuscestvovanija i klassovaja bor'ba, in: Kommunist, 12/1970, S. 109. Tomasevskij ist ein maßgeblicher Autor zu dieser Frage; seine Aussagen sind als Auftakte zu den jeweils folgenden KPdSU-Parteitagen zu werten.

  60. Zur sowjetischen Einstellung gegenüber den Anliegen der eigengewichtigen kommunistischen Westparteien vgl. L. Grünwald, Das Dilemma der „Revisionisten", in: Osteuropa, 10/1974, S. 708— 712 (mit weiterführenden Literaturangaben).

  61. Auf die systematisch ausgebaute Fähigkeit der UdSSR, westliche Staaten (innen-) politisch an der Entfaltung ihrer Aktionsmöglichkeiten gegenüber der UdSSR zu hindern, verweist P. Lange, Der Warschauer Pakt im Prozeß der europäischen Entspannungspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP — S 2041, Juli 1974, S. 47 f. Dabei wird ein sowjetischer Außenpolitikexperte mit einer ausdrücklichen Stellungnahme dieses Inhalts zitiert (V. M. Kulis, in: Voennaja sila i mezdunarodnye otnosenija, Moskau 1972, S. 222). — Die staatliche Machtpolitik, der die von Moskau aus manipulierte „revolutionäre" Bewegung dienen soll, richtet sich auf eine auswärtige Einflußvermehrung, nicht aber auf eine territoriale Expansion der UdSSR. Die 50. wjetische Führung sucht ihre Macht unter Beibehatung der bestehenden Grenzen auszudehnen.

  62. Referat von E. Bahr in Tutzing am 15. 7. 1963, “ iedergegeben in: Die deutsche Ostpolitik 1961 11970, hrsg. von B. Meissner, Köln 1970, S. 45

  63. Es ist bezeichnend, daß die westdeutsche Zusicherung, die kommunistische Partei werde wieder zugelassen werden und die folgende Einlösung dieses Versprechens die Wende der sowjetischen Politik gegenüber der Bundesrepublik im Winter 1968/1969 entscheidend vorbereitet haben. Vgl. H. Timmermann, Im Vorfeld der neuen Ostpolitik, in: Osteuropa, 6/1971, S. 388— 399. Die Sicherung der 1968 gegründeten DKP war für Breshnev so wichtig, daß er das erste Gespräch mit Bundeskanzler Brandt nach dem sowjetisch-bundesdeutschen Interessenausgleich (durch Moskauer Vertrag und Berlin-Abkommen) im September 1971 dazu benutzte, um eine ausdrückliche Zusage einzuholen.

  64. Der Weg, Wirtschaftswachstum durch Reformen hervorzubringen, war seit 1967 durch Ota Sik in der CSSR eingeschlagen worden. Die Entwicklungslinien, die von dort zu der reformkommunistischen Bewegung von 1968 führten, dürften in Moskau als ein Menetekel verstanden worden sein. Ende der sechziger Jahre wurde es in der Sowjetunion still um die zuvor mit einigen Erwartungen (wenn auch mit großer Vorsicht) eingeleiteten Wirtsdiaftsreformen.

  65. Den öffentlichen Auftakt bildete ein Leitartikel 13 novym sversenijam") in der „Pravda" vom • L 1970, der interne Aussagen Breshnevs vor ent ZK der KPdSU am 15. 12. 1969 paraphrasierte.

  66. Vgl. A. Wohlstetter, Threats and Promises of Peace, in: Orbis, XVI: 4 (Winter 1974), S. 1109 bis 1115.

  67. So Bundesaußenminister Scheel auf der Außenministertagung der KSZE in Helsinki am 4. 7. 1973, wiedergegeben in: Bulletin, hrsg. vom Presse-un Informationsamt der Bundesregierung, 82/1974, 5.'1974, S. 834, 837, 836.

  68. In allen sowjetischen Verlautbarungen heißt es, daß die gegenwärtige Entspannung ausschließlich auf das wachsende Gewicht der sowjetischen Macht zurückzuführen sei, welche die westlichen Staaten zunehmend dazu nötige, auf die sowjetische Entspannungspolitik einzugehen. Die westliche Entspannungsbereitschaft hat demnach den Charakter einer erzwungenen Anpassung an die Realitäten wachsender sowjetischer Überlegenheit. An den Punkten, an denen die westlichen Regierungen bislang nicht den sowjetischen Wünschen zu entsprechen geneigt sind, erscheint konsequenterweise der weitere Ausbau der sowjetischen Machtpositionen als das geeignete Mittel, eine westliche Verhaltensinderung im sowjetischen Sinn herbeizuführen. Nachdem die westeuropäischen Staaten zunächst mit allem Nachdruck auf einem freieren Austausch von Personen, Ideen und Informationen zwischen st und West bestanden haben, kann nunmehr ein achgeben in dieser Frage nur als Bestätigung der sowjetischen These aufgefaßt werden. Die Westeuropäer, so würde in Moskau gefolgert werden, " iagen eine Aufrechterhaltung ihres Verlangens J 11 t. weil sie sich nicht mehr zutrauen, den andern-p, Is zu erwartenden Konflikt mit den Warschauera -Führungen durchstehen zu können.

  69. Je stärker die sowjetische Führung den Eindruck gewinnt, daß die westeuropäischen Staaten um jeden Preis zu einer Kooperation bereit sind (weil sie sich auf das politische Einvernehmen mit der UdSSR angewiesen sehen), desto mehr ist mit einem sowjetischen Druck auf sie zu rechnen, im Sinne der östlichen Interpretation des, Nicht-Einmischungs-Prinzips von sich aus alle in Moskau unerwünschten Einwirkungen auf die ostearopäischen Gesellschaften zu verhindern. Vgl. Anm. 27 und 50.

  70. Die Grenzlinie zwischen (zulässiger) systemkonformer Opposition und (unzulässiger) systembedrohender Opposition läßt sich oft nicht ganz klar abstecken.

  71. Zur Vorteilsrelation bei der wirtschaftlich-technologischen Zusammenarbeit zwischen Ost und West vgl. R. Conquest /B. Crozier /J. Erickson /J. Godson /G. Grossmann /L. Labedz /B. Lewis /R. Pipes/L. Schapiro /E. Shils /P. J. Vatikiotis, Detente: An Evaluation, in: Survey, 20. Jg. H. 2/3 (Nr. 91/92), Sommer 1974, S. 10— 13.

  72. Vgl, das Referat des Leiters der Westabteilung eim ZK der KPdSU, B. Ponomarv, vom 18. 1. 1974, wiedergegeben in: Pravda, 19. 1. 1974.

  73. Allerdings hat es Moskau bisher recht gut verstanden, den westlichen Ländern entweder die Wirkungslosigkeit einer bedingungsweisen Inaussichtnähme wirtschaftlich-technologischer Nicht-Kooperation zu suggerieren (obwohl die zeitweilige sowjetische Judenemigrationspolitik im Blick auf erhoffte amerikanische Außenhandelskonzessionen deutlich auf das Gegenteil hinweist) oder aber durch den Appell an westliche Brancheninteressen (unter dem Anspruch eines wechselseitig ausgewogenen Nutzens) zu neutralisieren.

  74. Vgl. die Angaben und Überlegungen (mit Literaturangaben) bei G. Wettig, Kontakt und Kommunikation — ein wünschenswertes Element europäischer Friedensordnung? in: Die Ostpolitik der Bundeserepublik, hrsg. von E. Jahn/V. Rittberger, Opladen 1974, S. 261— 284.

  75. Vgl. Kapitel IV/2. Wie groß die Vernachlässi-gung der zivilwirtschaftlichen Bedürfnisse ist, läßt sich erahnen, wenn man erfährt, daß nach west-idher Schätzung 80 % des Aufwandes für Forschung und Entwicklung in die Rüstung gehen (M.Gallagher /K. F. Spielmann Jr., Soviet Decision-Making for Defense, New York 1972, S. 55. 67.

  76. Indizien dafür, daß in der sowjetischen Führung erartige Überlegungen eine Rolle spielen, werden erwähnt bei P. Lange, Der Warschauer Pakt im Prore der europäischen Entspannungspolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP — S 2041, Juli 1974, 5f. Der Umstand, daß Breshnev nach vorangeängenen Schwankungen in dem Augenblick, als

  77. Aus der UdSSR hat Andrej Sacharov die westlichen Regierungen vor einer „Entspannung ohne Demokratisierung“ im Moskauer Machtbereich gewarnt (A. Brumberg, Zur Opposition der Intellektuellen in der Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B 45/74, 9. 11. 1974, S. 24). Sacharov hat bei anderer Gelegenheit die Sorge ausgesprochen, daß der sowjetische Unterdrückungsapparat, wenn im Zeichen der Entspannung die bisherigen Gegengewichte in der Welt weiter reduziert würden, eine über alle entgegenstehende Bestrebungen triumphierende unwiderstehliche Macht gewinnen könnte.

  78. Sacharov warnte vor einer „Entspannung, bei der der Westen unsere Spielregeln akzeptiert" (A. Brumberg, a. a. O., S. 24). Zur Problematik vgl. G. Wettig, Das sowjetische Koexistenz-Konzept, in: Osteuropa, 3/1974, S. 180— 187; G. Wettig, Der Hintergrund — die sowjetische Europa-Politik, in: Osteuropa, 7/1974, S. 514— 521.

  79. Sacharov warnte vor einer Situation, in welcher der Westen im Zeichen der Entspannung seine militärischen Anstrengungen vermindere, während die UdSSR „bis an die Zähne" bewaffnet sei (A. Brumberg, a. a. O., S. 24).

  80. In Moskau ist man sich durchaus der Wichtigkeit bewußt, welche die innenpolitische Szenerie der westlichen Länder für den Erfolg der sowjetischen Außenpolitik hat. Wie es heißt, besitzen bei der Veränderung des zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisses und bei der Anpassung der kapitalistischen Staaten an die Bedingungen wachsenden sowjetischen Einflusses „die Verteilung und das Verhältnis der Kräfte in den hauptsächlichen Ländern des Kapitalismus” eine „bestimmte Bedeutung” (Problemy obego krizisa kapitalizma [Bericht über eine Sitzung des Wissenschaftlichen Rates des Moskauer Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen], in: Mirovaja ekonomika i mezdunarodnye otnosenija, 10/1974, S. 69). Daraus ergibt sich, daß die bestehenden Möglichkeiten zur Beeinflussung innenpolitscher Vorgänge in den westlichen Ländern für die Männer im Kreml von erheblichem Interesse sind. Dementsprechend heißt es ausdrücklich, Ausweitung und Anwachsen des sowjetischen Einflusses auf den Westen veränderten „die Bedingungen des Klassenkampfes“ (d. h.der Ost-West-Auseinandersetzung) sowohl „in den Ländern des Kapitals’ selbst als auch „auf internationaler Ebene“ (ebenda, S. 67). Die innenpolitischen Hemmnisse für eine effiziente Machtpolitik wurden bereits Ende der sechziger Jahre in einer grundlegenden Analyse der Position und der Aktionsmöglichkeiten der USA im internationalen Kräftefeld als entscheidende Determinante bewertet: G. A. Arbatov, Amerikankaja vnesnjaja politika na poroge 70-ch godov, in: SSA, 1/1970. S. 21— 34.

  81. Das Modell ist für Abrüstungsprozesse im einzelnen formuliert worden, vgl. Ch. Osgood, An Alternative to War or Surrender, Urbana /111. 196 — Gegenwärtig wäre ein Vorgehen in diesem Sinne zwecklos, weil die sowjetische Führung — auf de Basis der bislang berechtigten Erwartung einseit ger westlicher Leistungen — keinen Anlaß zu -e stungen von ihrer Seite gegeben sieht

  82. Voraussichtlich würde sich wiederholen, was in den sechziger Jahren geschah: Diejenigen Funktionäre, welche die Auseinandersetzung mit dem Westen ernsthaft — und nicht nur taktisch — betreiben, werden, bevor sie maßgeblichen Einfluß im sowjetischen Lager gewinnen können, beiseite gedrängt und/oder völlig unterdrückt.

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Gerhard Wettig, Dr. phil., geboren 1934 in Gelnhausen/Hessen, Studium der Geschichte, Slawistik und Politikwissenschaft; Wissenschaftlicher Referent am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943 bis 1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967; Die Rolle der russischen Armee im revolutionären Machtkampf 1917. Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 12, Berlin 1967; Politik im Rampenlicht. Aktionsweisen moderner Außenpolitik, Fischer Bücherei 845, Frankfurt 1967; (zusammen mit Ernst Deuerlein, Alexander Fischer und Eberhard Menzel) Potsdam und die deutsche Frage, Köln 1970; Europäische Sicherheit. Das europäische Staatensystem in der sowjetischen Außenpolitik 1966— 1972, Düsseldorf 1972. Demnächst: Frieden und Sicherheit in Europa; Die Sowjetunion, die DDR und die Deutschland-Frage (engl. Ausgabe: Conflict and Community in the Socialist Camp).