An der Kampagne des Europarats anläßlich des „Europäischen Denkmalschutz-jahres 1975“ beteiligen sich 23 Länder Europas mit dem Ziel, unseren Bürgern den Schutz der historischen Stadtkerne und alten Dörfer nahezubringen. Die Art und Weise, wie wir uns zu diesem Problem stellen, wird nicht nur für uns selbst, sondern auch für die künftigen Generationen den Charakter der Umwelt bestimmen. Es ist schon spät, aber noch können wir, ob Bürger oder Politiker, auf eine schärfere Gesetzgebung und ihre Beachtung hinwirken. In diesem Sinne begrüße ich besonders die Initiative des „PARLAMENTS“, das, wie schon so oft, über den nationalen Rahmen hinausgeht und durcff diese Beilage den Beitrag des Komitees der Bundesrepublik zum Europäischen Denkmalschutzjahr würdigt.
Georg Kahn-Ackermann Generalsekretär des Europarates
I. Einführende Bemerkungen
Der Europarat hat auf Beschluß seiner 17 Mit-gliedstaaten das Jahr 1975 zum „Europäischen Denkmalschutzjahr" erklärt, ähnlich wie er lereits in den sechziger Jahren die europä-sche Öffentlichkeit auf die immer bedrohli-
werdenden Formen der Umweltverchmutzung durch Einberufung einer Umweltonferenz aufmerksam gemacht hatte. Das 1970 hatte er außerdem zum „Naturchutzjahr"
erklärt und im Zuge dieser Kamagne eine Wassercharta verabschiedet. Die einerzeitigen Bemühungen haben dazu beige-ragen, daß es heute kaum einen Europäer ibt, der inzwischen nicht umweit-und nairschutzbewußt geworden ist. Umweltpoli-k aber umfaßt alle Lebensbereiche. Zu ihr, o meint der Europarat, gehöre auch die Eraltung und Wiederbelebung unserer historichen Städte und Stätten. Gerade die ältere dusubstanz geschichtlichen Charakters gäbe nseren Städten ihr unverwechselbares Geräge und ihre Anziehungskraft. Daher soll ätzt die Allgemeinheit aus ihrer GleichgülgKeit gegebenüber ihrer näheren und ferne-a ^architektonischen Umgebung aufgerüttelt Inter dem Leitspruch Eine Zukunft für unsere. Vergangenheit es Ziel dieser Kampagne:
Denkmäler und Gesamtkomplexe von histosc ein oder ästhetischem Wert zu schützen und sie einer lebendigen Aufgabe in der modernen Gesellschaft zuzuführen, den Charakter alter Städte und Dörfer zu wahren bzw. sie zu restaurieren, in einer umfassenden Aufklärung der Öffentlichkeit auf internationaler, nationaler und kommunaler Ebene für den Gedanken des Denkmalschutzes zu werben."
Hat man doch festgestellt, daß seit 1945 in Europa wahrscheinlich schon mehr historische und kunstgeschichtlich wertvolle Bauten zerstört worden sind als während des gesamten Zweiten Weltkrieges. Während nach den Städtebombardierungen des letzten Krieges z. B. in Deutschland noch 27 % an historischer Bausubstanz aus der Zeit vor 1840 übriggeblieben ist, waren bereits 1970 vor der öffentlichen Förderung von Stadtsanierungen durch das Städtebauförderungsgesetz nur noch 15% vorhanden. Seitdem ist es weiter rapide bergab gegangen. Wenn wir den kostbaren Besitz unserer Altstädte und historischen Stätten erhalten wollen, dann ist es höchste Zeit, hier eine radikale Wende herbeizuführen. Gehen doch mit jeder „Sanierungsmaßnahme", die nicht auf die erhaltenswerten Altbauten Rücksicht nimmt, Werte unwiederbringlich verloren. Wer durch die deutschen Lande kommt, sieht selbst, wie immer mehr der Bewahrung würdige Gebäude Opfer von Planungen werden, die sicherlich auch auf andere Weise durchgeführt werden könnten.
Das Ziel kann zwar nicht sein, jedes alte Gebäude um jeden Preis zu erhalten. Wir sollten aber wissen, daß modernisierte alte Bauwerke häufig den gleichen Zweck erfüllen können wie neue Gebäude-Alte Bauten sollen daher durch neue Funktionen in eine städtebauliche Planung einbezogen werden. In der Tat sind Abriß und Neubau ganzer Straßenzüge und Stadtviertel kein Allheilmittel zur Rettung und Wiederbelebung unserer Städte und Ortschaften. Beruhen doch die Bindungen des Bürgers an seine Stadt oder Gemeinde vor allem auf der Unverwechselbarkeit von Stadtbild und Stadtstruktur. Gerade er ist daher daran interessiert, daß die Erhaltung historischer Substanzen mehr als bisher in die Stadtentwicklung einbezogen wird.
Allein mit der Erhaltung der Baudenkmäler ist es jedoch nicht getan. Man kann nicht erwarten, daß die Bevölkerung mit der Vergangenheit leben will, wenn diese Vergangenheit nichts weiter ist als ein Museum. Das europäische Denkmalschutzjahr steht daher unter dem Leitgedanken, der Vergangenheit eine Zukunft zu ermöglichen und zu sichern. Die Restaurierung nicht nur von einzelnen Gebäuden, sondern die Wiederbelebung ganzer Stadtkerne und Stadtviertel ist aus diesen Gründen das Ziel des Europäischen Denkmalschutzjahres. Es gilt, alte Ortskerne für Wohnzwecke attraktiv zu machen sowie dort Arbeitsplätze und die zur Versorgung notwendigen Geschäfte zu erhalten.
In der Tat geht es bei der Bewahrung historischer Bauten und Bereiche nicht nur um die Erhaltung von Monumenten der Vergan heit, sondern um die Qualität unseres Lei raumes überhaupt. „Die mit dem Abbruc ter, der Verfälschung historischer Bai Straßenzüge oder Stadtviertel eintretend; vellierung der Umwelt wird von einerw senden Zahl der Bürger als Verlust em den. Denkmalspflege und Stadterhaltung keine rückwärts gewandten Tätigkeiten, dem zukunftsweisende Aufgaben von 1 nender Aktualität", heißt es in dem A des Deutschen Nationalkomitees zur V, reitung des Europäischen Denkmalschut res 1975.
Man ist sich darüber klar, daß die Ursa für die Selbstzerstörung unseres kultur Erbes vielschichtiger Natur sind: verän Lebensauffassungen des Menschen, der si unmodernen Wohnungen und Häusern mehr wohlzufühlen scheint; eine immer ker werdende Fluktuation der Bevölke die Beziehungen zum Heim der Eltern 1 mehr kennt; zu geringe öffentliche Zuscl für Sanierungen und Modernisierungen Altbauwohnungen; hohe GrUndstücksp in den Stadtzentren, die zum Verkauf zw gewerblicher Nutzung anreizen; nicht z die Bedürfnisse des Verkehrs — um nur ge Gründe zu nennen. All das führt h zum Abriß oft unersetzlichen Kulturgutes ihm sind bereits auch große Teile des s sehen Bauhandwerkes verschwunden, riesige Geschäftshäuser können nur von ßen Baufirmen hergestellt werden. Das tionelle städtische Handwerk sollte daher falls gefördert werden, denn ohne seine stenz sind die historischen Teile unserer te nicht zu erhalten.
II. Die Europäische Ebene
Grundsätzliches zur europäischen Denkmalschutzkampagne Hauptziel der europäischen Kampagne ist es, das Interesse der europäischen Völker für ihr gemeinsames Bauerbe zu wecken, ihnen das Gefühl zu vermitteln, daß sie auf dieses Erbe stolz sein können, die Gefahren, die ihm drohen, aufzudecken und die notwendigen Aktionen zu seinem Schutz in die Wege zu leiten. Die Gesamtplanung dieser Aktionen wurde einem Organisationskomitee für das Europäische Jahr des Denkmalschutzes unter dem Vorsitz des Präsidenten von Europa N des britischen Abgeordneten in der Be: den Versammlung des Europarates Schwiegersohn von Winston Churchill, Duncan Sandys, übertragen.
Dieses Komitee setzt sich aus Vertreter beteiligten Regierungen, der Beratender Sammlung des Europarates, der Komm der Europäischen Gemeinschaften, der päischen Gemeindekonferenz, der UN! der ICOMOS, der Europäischen F*remd kehrskommission, von Europa Nostra sonstigen wichtigen internationalen Org tionen zusammen. r wesentliche Teil der Kampagne muß je-ch auf nationaler, regionaler und kommuler geplant und durchgeführt werden,
wurden daher in allen Mitgliedstaaten des roparates sowie in einigen Nicht-Mitglied-taten wie Polen, Portugal, Ungarn und Spa-en nationale Komitees gebildet, die durch-eg die höchste nationale Schirmherrschaft inießen. Sie stellen zudem einen repräsenta-ten Querschnitt des politischen, kulturellen d wirtschaftlichen Lebens ihres Landes ir.
ese Komitees haben Arbeitsgruppen mit n verschiedenen Aufgaben der Kampagne auftragt. Ein gewisses Maß an Verantwor-ng ist dabei „Europa Nostra" — einem in-nationalen Verband nichtstaatlicher Orgasationen für Denkmal-und Naturschutz in iropa — übertragen worden. Europa Nostra t ca. einhundert Mitgliedsvereinigungen in threren europäischen Ländern. liklärung der öiientlichkeit e Kampagne zielt in erster Linie auf eine liklärung der Öffentlichkeit ab. Die Men-heu sollen denkmalschutzbewußt werden, werden daher auf internationaler, nationa: und kommunaler Ebene ständige Kontakte t den an Umweltproblemen interessierten lefredakteuren und Journalisten der Masimedien gepflegt. Insbesondere sind Rundik und Fernsehen dazu aufgefordert, das eresse der Öffentlichkeit zu wecken. In en Sendungen — in Form von Nachrichten, erviews, Dokumentarberichten und Diskusmen — soll sowohl über positive Aktionen i auch über nicht gelungene Planungen bebtet werden. 8 nationalen Komitees sind ferner aufgefor-rt, mittels Broschüren, Plakaten, Merkblät-n und anderen Schriften namentlich in Schui, Universitäten usw. für die Idee des Denklschutzes zu werben. Auch sollen Festwo! n, historische Spiele, Wettbewerbe, Besich-ungsfahrten in Städte und Dörfer von be1derem Interesse veranstaltet werden. Alle eiligten Länder sind ferner gehalten, zum nkmalschutzjahr Sonderbriefmarken her-szugeben. ropa Nostra hat umfangreiche Fotoausstel- igen zusammengestellt, die von den natio-en Komitees erworben werden können, -se Zusammenstellungen sollen bei Gele1 eiten, bei denen sie von vielen Menschen 6 en werden können, gezeigt werden.
Zeitgenössische Bauwerke Das Europäische Denkmalschutzjahr wird sich nicht allein auf den Schutz der Schätze der Vergangenheit beschränken. Die Kampagne soll auch Anlaß sein, für zeitgenössische Architektur hoher Qualität einzutreten und den Sinn für wertvolle moderne Gebäude zu wecken.
Konkrete Aktionen Selbstverständlich sind Öffentlichkeitsarbeit und Werbung nicht die einzigen Ziele der Kampagne. Initiativen für konkrete Aktionen zur Verschönerung von Städten, Dörfern, Plätzen usw. sollen ebenfalls im Zuge des Denkmalschutzjahres ergriffen weren. Auch die Schaffung möglichst vieler neuer Fußgängerzonen, die historische und architektonische Schönheiten zur Geltung bringen, gehört in diesen Zusammenhang.
Störende Schrift und Bildreklame Die verschiedensten Formen der Schrift-und Bildreklame haben das äußere Bild und den Charakter vieler malerischer Ortschaften Europas stark verändert. Eines der Ziele der Bemühungen um die „Zukunft unserer Vergangenheit" ist, solche Reklame und störende Schilder aus Stadtvierteln, die sich durch besondere architektonische Schönheit auszeichnen, zu verbannen.
Abgesehen von der Restaurierung alter Gebäude und ihrer Anpassung an neue Verwendungszwecke sowie der Aufwertung von Alt-stadtvierteln durch die Ansiedlung neuer Tätigkeitsbereiche regt das Europäische Denkmalschutzkomitee an:
1. überirdische Telefon-und Telegrafenleitungen in geschützten Zonen in die Erde zu verlegen sowie den Fernsehantennenwald durch Gemeinschaftsantennen oder andere Einrichtungen einzuschränken;
2. historisch oder architektonisch wertvolle Gebäude anzustrahlen;
3. in alten Städten und Dörfern für die architektonisch und historisch wertvollen Gebäude oder Gesamtkomplexe schöne und würdige Rahmen durch Anpflanzen von Bäumen und Anlagen von Rasen-und Blumenflächen sowie durch sonstige Maßnahmen der Landschaftsgestaltung zu schaffen;
4.den Abriß aller Arten von Gebäuden in Zonen von historischem oder architektonischem Wert sowie Neubauprojekte zur Gewährleistung eines harmonischen Einfügens des Neuen in die vorhandene Umgebung einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen.
Was soll geschützt werden?
Schutzwürdig sollen in Zukunft nicht nur Einzelobjekte sein, sondern — es wurde bereits gesagt — ganze Ensembles, also das Milieu. Milieu-oder Ensembleschutz bedeutet demnach etwa die Einbeziehung von Bauten oder charakteristischen Landschaftsteilen in den Denkmalschutz, die man einzeln wahrscheinlich nicht in eine Liste schutzwürdiger Objekte aufnehmen würde. Damit können Orts-kerne, ja ganze Stadtviertel oder auch charakteristische Wasserläufe eines Schutzes teilhaftig werden. „Denkmalschutz", so heißt es auch in einem Beschluß des deutschen National-komitees, „will das ganze. Er gilt nicht nur Einzelheiten und nicht nur dem Dokumentarischen, sondern will Fülle und Vielfalt unserer Lebensbereiche erhalten, das Ineinander von Gegenwart und Vergangenheit, das Sichtbar-bleiben der Geschichte, die in uns und unserer Umwelt wirkt. Gegenstand des Denkmalschutzes ist daher nicht nur das Einzelobjekt, sondern auch das Ensemble, die Straße und der Platz. Schutzwürdig kann ein ganzer Stadtbereich, ja eine ganze Stadt sein . . . und über den Umgebungsschutz kann auch die Kulturlandschaft zum Gegenstand des Denkmalschutzes werden. Denkmalschutz heißt vor allem, im Rahmen moderner Stadtentwicklungspolitik unserer historisches Erbe in das Leben von heute zu integrieren."
Eine weitere Differenzierung hat der Denkmal-begriff durch seine zeitliche Ausdehnung auch auf die neueren Objekte erfahren. Während bis vor ca. 20 Jahren mit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts die Objekte aufhörten, schutzwürdig zu sein, ist die heutige Grenze ungefähr das Jahr 1930.
45 europäische Modellstädte
Zur Förderung dieser Zielsetzungen hat der Europarat ein Programm entwickelt, für das aus 400 000 europäischen Orten 45 als Modellstädte ausgewählt wurden. Diese sollen beweisen, daß die Einbeziehung geschlossener historischer Stadtteile in die Planungen sowohl deren Lebensfähigkeit für die Zukunft zugute kommt als auch dem Gesamtkonzept nützlich ist.
Diesen Beweis treten in Deutschland an: Berlin als Beispiel für eine Großstac 19. Jahrhunderts, Trier als Beispiel für eine große mittel ehe Stadt, Rothenburg ob der Tauber als Beispiel nen Fremdenverkehrsort, Alsfeld als Beispiel für eine kleine m terliche Stadt, Xanfen als Beispiel für eine Stadtsan im Rahmen der Neuordnung eines inds len Ballungsraumes.
Die deutschen Modellstädte Warum Berlin, Xanten, Trier, Alsteld ui thenburg ob der Tauber, warum nich Bamberg, Nürnberg, Lübeck?
Die Wahl der oben genannten Städte w neswegs unumstritten. Erst nach lange schwierigen Debatten wurden diese gewählt, weil ihre Sanierungsvorhabe Modell-Vorstellungen des Europarate sprachen:
Nicht Restaurierung und Konservierun Einzelobjekten ist — wie bereits darge! Hauptziel, sondern die funktionale Eil hung möglichst geschlossener histo Viertel und Ortskerne in eipe Planun diesen Ensembles ihre Lebensfähigkeit Zukunft erhält. „Reanimation" heißt di europäischer Ebene. Zudem sollten die wählten Städte für die in Deutschen kommenden Stadttypen repräsentativ Ferner wünschte man folgende Kriter berücksichtigen:
1. Nord-und Süddeutschland sollten gl maßen vertreten sein.
2. Ansätze guter Lösungen, offene Pn und die Aussicht auf eine positive Er lung sollten bis 1975 bereits erkennba den.
3. Bei wenigstens einem Beispiel sol Lösung sozialer Probleme im Vorde stehen.
Die betreffenden Städte sind demnact nur auf Grund dessen, was sie dar ausgewählt, sondern vor allem des 1 Charakters, also der Vorbildlichkeit ihr nungen wegen.
Im einzelnen sind folgende Gründe 1 Wahl von Berlin, Trier, Rothenburg Tauber, Alsfeld und Xanten ursächlich gewesen: Berlin ist eine europäische Großstadt des 19. Jahrhunderts. Es zeigt die Probleme der Sanierung und Modernisierung in der Auseinandersetzung mit der erhalten gebliebenen Stadtgestalt besonders gut. Obwohl große . Teile des alten Stadtgrundrisses aufgelöst werden mußten, haben doch eine Reihe von Straßen und Plätzen durch in historischem Maßstab gehaltene Neubauten den Charakter Berlins annähernd zu wahren vermocht.
Ferner sind Altbauten modernisiert worden, z. B. die Christstraße. Dabei sammelte man Erfahrungen, auf Grund deren weitere Modell-vorhaben durchgeführt werden sollen. Auch sind und werden noch Sanierungswettbeverbe so ausgeschrieben, daß es zu maximaler Erhaltung von Altbauten und der historischen Topographie kommt.
Was Trier betrifft, so stellt es ein Modell für eine große mittelalterliche Stadt dar — mit der Aufgabe, ein durch zweitausendjährige Geschichte geprägtes Stadtbild mit der Entwicklung zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des westlichen Eifel-und Hunsrückraumes zu verbinden. Dabei werden Lösungen angestrebt, bei denen dem Straßenbild sich einiügende Neubauten neben historischen Bauwerken stehen. Viele historische Bauwerke sind zudem neuen Funktionen zugeführt. Z. B. dient das ehemalige Kurfürstliche Schloß und das Augustinerkloster der Bezirksregierung und der Stadtverwaltung als Unterkunft. In einer Reihe von Klöstern sind Schulen untergebracht. Das Simeonsstift ist teils Verkehrsamt, teils Museum geworden.
Gegen eine Verunstaltung der Innenstadt plant die Stadt ein Ortsstatut. Teile der Innenstadt wurden zur Fußgängerzone gemacht. Für den Verkehr steht ein Alleengürtel zur Verfügung, Für die Bauwerke der Römerzeit und ihre Umgebung sollen Schutzzonen geschaffen werden. Alle kriegszerstörten oder be-Schädigten Kirchen werden restauriert. Der Dom z. B. ist seit kurzem wieder zugänglich. hothenburg o. d. T. ist als Modell naturgemäß über jeden Zweifel erhaben. Es ist eine Stadt, fe infolge wirtschaftlicher Stagnation seit dm 16. Jahrhundert ihre spätmittelalterliche Hestalt fast unversehrt bis ins 20. Jahrhundert mein bewahrt hat. Die Stadtmauer ist praktsch völlig erhalten. Wie war so etwas mög-lich? 9
Das Geheimnis liegt in der Ungunst der Ver5 rslage, welche die Industrialisierung verhinderte. So wurde Rothenburg seit Mitte des vorigen Jahrhunderts zum Fremdenverkehrsort. Zwar sind Teile der östlichen Altstadt im Kriege zerstört worden. Aber ihr Wiederaufbau hat den Charakter der Stadt erhalten und kann als gelungen bezeichnet werden. Die denkmalschutzwürdigen Bauten — wie z. B. Stadtmauer und Kirchen — sind zudem in den letzten Jahrzehnten vorbildlich restauriert worden. Eine Ortssatzung verhindert eine Veränderung des historischen Stadtbildes. Gasthäuser und Hotels dürfen z. B. nicht willkürlich vergrößert werden. Vor allem aber war für die Wahl Rothenburgs entscheidend, daß es nicht bloß Museum ist, sondern daß es ein reibungslos funktionierendes städtisches Leben in Verbindung mit einem mittelalterlichen Altstadtkern bietet, wie er wohl bei uns in Deutschland nicht noch einmal vorhanden ist.
Alsfeld in Hessen — ein kleiner mittelalterlicher Ort — ist eine ehemalige Ackerbürgerstadt, die durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft eine neue Funktion erhalten mußte. Dies geschah durch Ansiedelung von Gewerbebetrieben in Stadtnähe wie durch Förderung des Einzelhandels überhaupt. So blühte die Wirtschaft der Stadt auf, ohne das historische Gefüge im Keime zu zerstören.
Eine vorbildliche Ortssatzung sorgt zudem für eine stufenweise Herausnahme des Individualverkehrs aus dem Stadtkern und schafft — durch Einbeziehung der Wallanlage — eine ringförmige Entlastungsstraße um die Altstadt mit Parkplätzen usw. Ferner soll die Altstadt selbst allmählich entrümpelt und eine wirtschaftliche Nutzung der Fachwerkhäuser ermöglicht werden. Dadurch will man eine Erhaltung der „Ensembles" erreichen. Der erste Abschnitt dieser Planungen ist 1974 mit der Restaurierung des Museumsbereiches abgeschlossen. .. Neben dieser denkmalpflegerisch befriedigenden städtebaulichen Lösung ist Alsfeld beispielhaft infolge einer durch gründliche Öffentlichkeitsarbeit herausgeforderten Mitarbeit der Bürgerschaft, durch niedrige Bodenpreise sowie durch Lösung anderer sozialer Probleme. Die bisherigen Bewohner der Sanierungsgebiete erhielten z. B. am Stadtrand moderne Wohnungen.
Die Stadt hat schließlich einen Farbfilm gemacht, der die Sanierungsprobleme behandelt. Alsfeld ist Modellstadt des „Bundes für Altstadtsanierungen". Xanten stellt das Sanierungsmodell einer fast antiken Stadt dar, die einen industriellen Ballungsraum unter Einbeziehung der Naturschutzgebiete ihrer Umgebung ordnet — also Stadtplanung mit großräumigem Naherholungsgebiet.
Die Planung umfaßt drei Bereiche:
1. Die bis heute nur wenig überbaute römische Stadt Colonia Ulpia Trajana. Sie wird als archäologischer Park mit Rekonstruktionen im Maßstab 1: 1 in den geplanten Freizeitpark einbezogen. Ein alter auszubaggernder Rhein-arm soll als Wassersportzentrum dienen.
III. Die nationale Ebene
Das deutsche Nationalkomitee Unter dem bereits mehrmals erwähnten Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit" sind in den Mitgliedstaaten des Europarates sowie in den vier Nichtmitgliedstaaten Polen, Portugal, Ungarn und Spanien Nationalkomitees für den Denkmal-und Landschaftsschutz geschaffen worden.
Dem Deutschen Nationalkomitee gehören 33 Mitglieder an, die die Fraktionen des Deutschen Bundestages, die beteiligten Bundes-ressorts, die Länder, die kommunalen Spitzen-verbände, die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, die Kirchen, Gewerkschaften, gewerbliche Wirtschaft, Jugendverbände, Massenmedien und den Deutschen Heimatbund vertreten.
Präsident des Deutschen Nationalkomitees ist Professor Dr. Hans Maier, Kultusminister von Bayern. Vizepräsidenten sind der Bundesminister des Innern, Professor Dr. Werner Maihofer, der Präsident des Deutschen Städte-und Gemeindebundes und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Dr. Hermann Schmitt-Vok-kenhausen, und Dr. Alfred Probst, Mitglied des Deutschen Bundestages.
Die Schirmherrschaft über das Denkmalschutzjahr 1975 in der Bundesrepublik Deutschland hat Bundespräsident Walter Scheel übernommen.
Das Deutsche Nationalkomitee hat vier Arbeitsgruppen eingesetzt:
1. Die Arbeitsgruppe „öiientlichkeitsarbeit“ soll die publizistischen Maßnahmen und Ver2. Die mittelalterliche Stadt selbst mit D Immunität und Regionalmuseum. Sie zum Geschäfts-und Kulturzentrum des samtbereiches werden. 3. Das Neubaugebiet Lüttingen, das ansch ßend an die freigelegten mittelalterlic Wälle strahlenförmig auf den Dom ausger tet wird. Die heute den Stadtbereich ringför schneidende Bundesstraße wird um die Stadt gelegt.
So wird ein geschlossener Komplex zus mengefaßt, der anschaulich einen Uberb über die rheinische Geschichte vermitte anstaltungen zum Europäischen Denk schutzjahr 1975 koordinieren mit dem : die neuen, in der Kampagne des Europar enthaltenen Vorstellungen zur Denkmalpf einer breiteren Öffentlichkeit bekanntz chen. Geplant sind eine Anzeigen-und 1 beaktion in deutschen Zeitungen und 1 Schriften und der Versand von Informati broschüren. Außerdem sollen für 1975 Schülerwettbewerb erarbeitet und eine zahl von Publikationen zu Fragen des Di malschutzes herausgegeben werden. Die nung von Veranstaltungen, Kundgebu und Ausstellungen gehört ebenfalls in Aufgabenbereich dieser Arbeitsgruppe.
2. Die Arbeitsgruppe „Europäische und n nale Beispielprogramme' schreibt unabhä von der europäischen Aktion „Modellstä einen nationalen Wettbewerb aus, der 2 stufig, auf Bundes-und auf Länderei durchgeführt werden und Gemeinden und vatleuten zur Teilnahme am Europäis Denkmalschutzjahr 1975 Gelegenheit g wird. Der Wettbewerb soll in einem dreij gen Rhythmus wiederholt werden.
Neben diesem Wettbewerb hat die Art gruppe ein „nationales Programm“ mit Hierbei werden die drei deutschen S Bamberg, Lübeck und Regensburg — 1 hängig von den offiziellen deutschen Mc Städten — in einer gemeinsamen Dokum tion die speziellen Sanierungsprobleme Altstädte zum Denkmalschutzjahr darstell 3. Die Arbeitsgruppe „Konzeption“ hat Aufgaben: Zunächst einmal erarbeitet si Programm zur Durchführung des Den! schutzjahres in der Bundesrepublik Den and. In einer zweiten Phase wird sie grund-
sätzliche Überlegungen zur Situation der Denkmalpflege unternehmen.
[. Die Arbeitsgruppe „Recht und Steuerfragen’ achtet zunächst die sehr unterschiedlichen rechtlichen Vorschriften zur Denkmalpflege in ier Bundesrepublik. Im Vergleich mit den Denkmalschutzgesetzen der anderen europä-schen Länder wird sie Vorschläge zur Verjesserung des Denkmalschutzes in den Bun-lesländern machen und sich darüber hinaus auch für steuerliche Erleichterungen bei Er-altung und Instandsetzung von Altbauten einsetzen.
Das deutsche Nationalkomitee appelliert in Erfüllung der den Arbeitsgruppen gestellten Aufgaben an alle, die zur Erhaltung des übernommenen Erbes beitragen können.
Es wird ferner unter anderem:
1. eine nationale Wanderausstellung organisieren, in der gelöste und ungelöste Probleme der Erhaltung historischer Stadtviertel und Gebäude an Beispielen aus den wichtigsten deutschen Denkmalstädten wie Bamberg, Heiielberg, Lübeck, Regensburg und anderen dargestellt werden;
2.den bereits erwähnten Wettbewerb der Geneinden und Städte ins Leben rufen, bei dem mnächst auf Landes-und dann auf Bundesbene vorbildlich geplante und verwirklichte rhaltungsmaßnahmen prämiert werden sollen;
! • für die Herausgabe von Sonderbriefmarken iorgen, mit denen für die Erhaltung wichtiger Denkmäler geworben werden soll; • die Denkmalschutzgesetzgebung, die in Balen-Württemberg, Bayern, Hamburg und ichleswig-Holstein bereits einen Anfang geiommen hat, auch in den übrigen Ländern veiter vorantreiben, sich für die Novellierung les Bundesbaugesetzes sowie für den Erlaß ines Modernisierungsgesetzes einsetzen; 'Maßnahmen der Steuergesetzgebung, für lie letzten Endes der Bund zuständig ist, un-er den Gesichtspunkten der Denkmalerhalung in die Wege leiten. Ein Gesetzentwurf er Länder, der zugunsten von Aufwendungen m denkmalgeschützte Bauten unter anderem 'Schreibungsmöglichkeiten vorsieht, ähnlich i sie bereits in § 7 b des Einkommensteueresetzes für neue Vorhaben enthalten sind, 1 vom Bundesrat bereits Ende Juni 1974 rucsache 197/74) eingebracht worden. Audi 0 das Deutsche Denkmalschutzkomitee zu erreichen, daß alle einschlägigen gesetzlichen Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Denkmalspflege vorbereitet werden, denn Denkmalspflege ist in der Tat eine Daueraufgabe. Man ist sich darüber klar, daß ein dauernder Schutz nur erreicht werden kann, wenn bedrohte Einzelobjekte und Ensembles einer ihnen gemäßen Nutzung zugeführt werden. Dazu ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten und Betroffenen notwendig. Vor allem der Städtebau muß den Erhaltungsgedanken als eigenes Anliegen aufgreifen. Insbesondere sind die zuständigen Verkehrsverwaltungen aufgefordert, in verstärktem Maße auf solche Vorstellungen Rücksicht zu nehmen und historische Stadtgebiete durch Ortsumgehungen zu schonen.
Das deutsche Nationalkomitee wird ferner die Länder auffordern, die Arbeitsfähigkeit der für die Bau-, Kunst-und Bodendenkmalpflege zuständigen Behörden wesentlich zu verbessern. Es bittet die Wirtschaft und die Architekten, bei der Entwicklung neuer Bauelemente und Verfahren mehr als bisher auf die Bedürfnisse eines Städtebaus Rücksicht zu nehmen, dessen Aufgabe auch die Erhaltung der gewachsenen Substanz ist.
Endlich wird sich das deutsche Nationalkomitee an der Formulierung einer „Europäischen Charta zur Erhaltung und Wiederbelebung des kulturellen Architekturgutes“ beteiligen und in Zusammenarbeit mit der Deutschen UNESCO-Kommission eine Veröffentlichung „Historische Städte — Städte von morgen" herausgeben.
Das sogenannte „Nationale Parallelprogramm" Im Rahmen der Arbeitsgruppe „Europäische und nationale Beispielprogramme“ ist angeregt worden, neben den offiziellen Modell-städten Alsfeld, Rothenburg o. d. T., Berlin, Trier und Xanten, auch die Städte Bamberg, Lübeck und Regensburg aufzufordern, in einer Art nationalem Parallelprogramm sich ebenfalls an der Kampagne des Europäischen Denkmalschutz]ahres 1975 zu beteiligen. Sie werden in einer gemeinsamen Dokumentation die Sanierungsprobleme ihrer Altstädte darstellen. Sie wollen kein „exklusiver Zirkel" sein, sondern ein Modell erarbeiten, das auch für andere Städte beispielhaft ist. Allerdings — so zeigen die Arbeiten — dürften riesige Summen erforderlich sein, um allein die historischen Stadtteile dieser drei Orte zu sanieren. Man spricht von drei Milliarden Mark, die auf 50 Jahre verteilt werden sollen. Auf das Jahr umgerechnet wären das ca. 80 Mio. Mark für die drei Städte. Etwa ein Sechstel der 80 Millionen DM sind in den Budgets der drei Städte für 1974 vorgesehen. Man denkt daher — ähnlich wie zur Finanzierung der Olympiade —, neben Sonderbriefmarken an Städtemedaillen, die über Banken und Sparkassen im gesamten Bundesgebiet verkauft werden könnten, sowie an Steuererleichterungen für private Besitzer, sofern sie bereit sind, ihre Gebäude unter Wahrung ihres historischen Gesichtes für Wohn-oder Geschäftszwecke zu modernisieren. Allerdings müßten hierzu das Städtebauförderungsgesetz und das Bundesbaugesetz novelliert werden.
Freilich ist wohl auch seitens dieser drei Städte noch sehr viel Vorarbeit zu leisten. Zwar gibt es in Lübeck seit kurzem eine Sanierungsplanung, die das Altstadtgebiet in drei Zonen teilt, und für Regensburg hat eine vom BDI finanzierte Arbeitsgemeinschaft in jahrelanger Arbeit eine vorbildliche Analyse der erforderlichen Sanierungsarbeiten geschaffen. In Bamberg hat man sich bisher offensichtlich nur auf die Restauration einzelner Gebäude — sogenannte Objektsanierung — beschränkt. Planungen über Sanierungsgebiete existieren hier — wie in den meisten deutschen Orten — wohl noch nicht. Aber zweifellos geschieht vielerorts doch schon einiges. In München sind aus Anlaß der Olympiade über tausend Fassaden aus der Jugendstilzeit verschönert worden. In Rolandseck bei Bonn wurde der alte Kaiserliche Prachtbahnhof zu einem Refugium für Künstler, in dem Kunstausstellungen, Konzerte usw. stattfinden. Die Hansestadt Bremen hat das bekannte, aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammende Schnoorviertel wieder aufgebaut. Die Haus-und Geschäftsbesitzer wurden von der Stadt unter der Bedingung unterstützt, daß sie auch in den alten Häusern wieder wohnen würden.
Privatinitiativen Zahlreiche Bürger und Vereine setzen sich bereits seit langem für die Erhaltung wertvoller Einzelbauwerke und charakteristischer Wohnviertel ein und helfen mit, die „menschliche Stadt" zu bewahren.
Das deutsche Nationalkomitee wird in Zukunft solche Initiativen der Bürger und Gemeinden unterstützen sowie dabei helfen in anderen Ländern gemachten Erfahr für deutsche Verhältnisse nutzbar zu chen.
„Eine Zukunft für unsere Vergangenh liegt weitgehend in der Hand der Städte meinden und Kreise. Alle Bemühungen Schutz, Erhaltung und Belebung historis Substanz können nur dann Erfolg hi wenn die Kommunen sich hinter sie ste d. h. sie auch gegebenenfalls gegen am Ansprüche verteidigen.
Der Wiederaufbau der deutschen Städte r dem Zweiten Weltkrieg ist indessen n oder weniger abgeschlossen. Unter Druck erheblicher Wohnungsnot und gn Bevölkerungsbewegungen hatte sich der. und Ausbau der Städte zunächst überwieg an der Wiederherstellung der materiellen Stenzbedingungen orientiert. Die kulture Ziele der Stadtentwicklung sind dabei hä in den Hintergrund getreten. Diese Auf phase ist aber praktisch beendet. Jetzt is Aufgabe der Städte, dem Bedürfnis der Bü nach Identifikation mit dem Leben se Stadt entgegenzukommen, Dazu kann ge die Denkmalpflege einen wesentlichen trag leisten. Der Deutsche Städtetag hat i gens bereits am 4. /5. Mai 1973 auf se Hauptversammlung in Dortmund gefor „nicht aus Gründen der Bequemlichkeit der Rentabilität die kurzsichtige Zerstö überkommener Natur-und Kulturgüte Kauf zu nehmen, sondern diese auch um Preis höherer Kosten oder einer langsam Entwicklung zu schonen“. In diesem Zu menhang empfiehlt der Deutsche Städtetag Gemeinden u. a.: 1. private Initiativen zum Ankauf, zur staurierung und zur Wiederbelebung Gebäude und Gebäudegruppen zu fördern, 2. historische Bauten und Einzelobjekte vater oder öffentlicher Art in die Stadl Wicklung von vornherein einzubeziehen, 3. wertvolle Einzelbauwerke, z. B. Kir Schlösser, Bauernhäuser und Denkmäler Technik und Sozialgeschichte, zu erb bzw. sie gegebenenfalls funktional um stalten, 4. private Initiativen zur Restaurierung Fassaden und Gebäuden zu bezuschussen auf diese Weise die Wohnqualität in Häusern zu verbessern, örtliche diesbezügliche Initiativen von reinen und Bürgern zu unterstützen, private Spendenaktionen und Schülerwettwerbe anzuregen, besonders gelungene Restaurierungen zu imieren, wichtige Baudenkmäler und historische Beiche durch Schrifttafeln kenntlich zu maien,
die Öffentlichkeitsarbeit über denkmalpfle-»rische Aufgaben und Maßnahmen zu för-m.
ie Idee von der Erhaltung des kulturellen rbes und insbesondere des Baubestandes geinnt in der Bundesrepublik bereits seit eini-
er Zeit — unabhängig von der Denkmalhutz-Kampagne — immer mehr Anhänger, eit dem Ende der sechziger Jahre scheint es u einem Umschwung in der allgemeinen Halmg zu Vergangenheit und Zukunft gekommen usein. Inwieweit diese Entwicklung mit einem lerzicht auf Wachstumsillusionen einhergeht, ei einmal dahingestellt. Immer öfter wurde edenfalls in den letzten Jahren der Gedanke lusgesprochen, daß Neubauten sich den Geset-ten der Altstadt zu fügen hätten, und der Wunsch, eine historische Umwelt zu erhalten, blieb immer weniger das Reservat von Konser-vatoren und Historikern. So trat z. B. 1973 eine Arbeilsgemeinschaft für Stadtgeschichtsfor-schung, Stadtsoziologie und Denkmalpflege“ an die Öffentlichkeit. Sie wurde von 23 alten Städten in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz gegründet. Inzwischen sind es ca. 35 Orte geworden. Diese Arbeitsgemeinschaft, die zum ersten Male im August 1974 im bayerischen Weissenburg tagte, gibt bereits eine halbjährlich erscheinende „Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege" heraus.
Natürlich ist mit solchen Gründungen solange nichts getan, wie es an den erforderlichen Gelbem fehlt. Soviel Geld wie für Denkmal-und Milieuschutz nötig wäre, können die Kommunen und der Staat—das leuchtet ein—niemals aufbringen. Ohne eine Vielfalt privater Initialen ist in der Tat erfolgreicher Denkmalschutz unvorstellbar. Daß solche möglich und sogar mit praktischen wirtschaftlichen Interessen kombinierbar sind, dafür liefert Ham- burg nachahmenswerte Beispiele. Hier feiert er Denkmalschutzgedanke — eigentlich ent-
gen jeglicher Tradition — heute Triumphe. „Es wird kaum noch eine Stadt geben“, so sagte man dem Verfasser vor einiger Zeit in Hamburg, „in der sich Väter, Söhne und Enkel durch Jahrhunderte hindurch so einig waren in der Verachtung jeglicher Sentimentalität gegenüber den Baudenkmälern der Großväter und Urgroßväter." Wirkliche Baudenkmäler gibt es daher in Hamburg zumindest seit der Feuersbrunst von 1842 nicht mehr. Denkmalschutz in Hamburg ist somit in erster Linie „Ensembleschutz" und Bewahrung des Milieus, des Atmosphärischen. So hat der Hamburger Antiquitätenhändler Eduard Brinkama in rein privater Initiative den an der Alster gelegenen und infolge allmählichen Verfalls vom Abbruch bedrohten a klassizistischen Stadtteil Pöseldorf stilgerecht renoviert und zu einem Ensemble gemacht, das Geschäftsleute und Künstler, Studenten und Touristen in gleicher Weise immer mehr anzieht. Ein vom ihm geschaffener Immobilienfonds kann die Wünsche nach Wohn-und Geschäftsmöglichkeiten in Pöseldorf kaum befriedigen. Möglicherweise hätte man vom Standpunkt des reinen Kunstsachverständigen aus auch in Pöseldorf das eine oder andere nicht gemacht, wie es geschehen ist. Aber das, was hier geschaffen wurde, ist ohne jede öffentliche Hilfe entstanden. Inzwischen ist Pöseldorf weit über die Grenzen Hamburgs hinaus als Beispiel für modernen Denkmalschutz anerkannt.
Eine von dem Hamburger Handelsherrn Alfred Toepfer ins Leben gerufene Stiftung hat einen ganzen Straßenzug von Fachwerkhäusern aus der Zeit des Barock an der Peterstraße, einer Gegend, die sich bedrohlich dem Slumzustand näherte, neu erstehen lassen. An der Peter-straße sollen ferner von Toepfer sieben Hamburger Barockhäuser, die an verschiedenen Stellen der Stadt gestanden haben, aber im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden, wieder-errichtet werden. Es handelt sich hier nicht um die Restaurierung eines alten, in der Peter-straße vorhandenen gewesenen Ensembles, wie es z. B. die Polen in Danzig und Warschau gemacht haben, sondern eher um etwas Ähnliches wie die sog. „Ausfüllung der Baulücken" in Amsterdam, über die noch berichtet wird. Als Vorlage dienen Unterlagen des Denkmalschutzamtes. Das Innere der Häuser wird heutigen Bedürfnissen angepaßt.
In Hamburg aber haben die Peterstraße und Pöseldorf wie eine Initialzündung für alle möglichen Formen des Denkmalschutzes ge-wirkt. So renoviert jetzt die Stadt Hamburg die berühmten Kramer-Amtswohnungen zu Füßen des Michel, und wiederum eine private Initiative ist dabei, am Nikolaifleet eine Gruppe von barocken Speichern, Wohn-und Fleethäusern vor Verfall und Abbruch zu retten. Man hat einen von allen Parteien unterstützten Verein gegründet, der jenem En-semble Leben und neue wirtschaftliche Be tung verleihen will. Natürlich hätte in di Rahmen auch auf Celle, Lübeck, Lüne Nürnberg und zahlreiche andere Orte ei gangen werden können. Wenn dies unte ben mußte, so nur deshalb, weil eine we führende Darstellung den Rahmen dieses richts sprengen würde.
IV. Zwei erste europäische Beispiele
Ein gutes Beispiel, welches viele Anregungen auf dem Gebiet der Konservierung aufzuweisen hat, bietet Amsterdam. Hier wurden bisher ca. 7 000 Gebäude unter Schutz gestellt — vor allem Wohnund Lagerhäuser. Das holländische Gesetz von 1961 verpflichtet die Eigentümer nicht, die Gebäude restaurieren oder instandsetzen zu lassen. Sie müssen jedoch eine Genehmigung zum Abbruch oder zur Änderung der Fassade einholen. Sollten sie sich für die Restaurierung entscheiden, können sie eine etwa 40°/oige Kostenbeihilfe beantragen. Darüber hinaus kann der Eigentümer, sein Architekt oder der von ihm beauftragte Bauunternehmer kostenlose Beratung und Entwürfe eines Architekten sowie Bauüberwachung beantragen und kostenlose Dienste von Wissenschaftlern in Anspruch nehmen.
Seit Bestehen des Gesetzes sind etwa 1 800 Anträge eingegangen. Die größere Zahl bezieht sich auf Fassadenarbeiten. Bei mehreren hundert Projekten handelt es sich freilich um vollständige Restaurierungen. Während bis vor kurzem vor allem Banken und Versicherungsgesellschaften unter Erhaltung der Fassaden das Innere der Gebäude für ihre Zwekke umbauten, soll jetzt die Nachfrage auch nach Wohnungen im historischen Zentrum der Stadt wachsen. Verschiedene Wohnungsbaugesellschaften haben sich bereits auf diesem Sektor spezialisiert. So ist z. B. das in einem'Abbruchgebiet stehende und aus dem 17. Jahrhundert stammende De-Pinto-Haus gerettet worden. Jede dieser Gesellschaften hat lange Wartelisten von Bewerbern.
Ein Problemkomplex, mit dem sich Amsterdam besonders beschäftigt, ist dasjenige der Lücken zwischen historischen Gebäuden. Die sie ausfüllenden, meist schlecht erhaltenen Gebäude mindern zuweilen die Qualität einer historischen Gegend. Oft müssen solche Gebäude abgerissen werden. Das Ausfülle ner „Lücke" aber bringt eine Reihe diff Probleme mit sich, weil es meistens schw ist, ein modernes Gebäude zu entwerfen zu der formstrengen Architektur des Er bles paßt. Die Lösung dieser Art Fi wird um so schwieriger, als die heu Funktionen eines Hauses, die ja im wes chen sein Aussehen prägen, grundvers den von den seinerzeitigen sind. Das Stadthaus wurde um einen Wohnraum g und war auf das Leben und Treiben au Straße ausgerichtet. Heute ziehen wir es daß uns unsere Wohnungen vom Straß schehen möglichst isolieren. Vielleich dem Fußgängerzonen diese Tendenz w Es bedarf noch der Erwähnung, daß in sterdam historisch wertvolle Gebäude aus irgendwelchen Gründen abgerissen den mußten, in solche Lücken originale wieder hineingebaut werden.
In Frankreich wurde — nach den Bemüh einzelner Vorkämpfer für die Erhaltun überlieferten Baudenkmäler wie etwa ’ Hugo und Prosper Merimee — kurz vginn des Ersten Weltkrieges die Idee d meinsamen kulturellen Erbes in ein Gese faßt und in diesem der Begriff des „bien mun“, also der des gemeinsamen Besitze schaffen. Zwar galt er vor allem für C häuser, aber der Gedanke wurde auch hü lieh des profanen kulturellen Erbes pc Infolge des Krieges verging mehr als ein zehnt, bis im Jahre 1925 ein neues Geset sah, daß, wenn ein privater Schloßbesitz« zur Klassifizierung seines Besitzes und zr nung für den Tourismus sowie zur Unt« fung unter gewisse Änderungsverbote 1 fand, er vom Staat den Ersatz der Hälfte tuell anfallender Restaurierungskosten v gen konnte. Nach diesem Gesetz wird noch verfahren. Der große Durchbruch des Denkmalschutzgedankens erfolgte 1962 unter General de Gaulle durch Andre Malraux. Er schuf den Grundsatz der „secteurs sauvegardes", der „reservierten Viertel" — also den Gedanken des Ensembleschutzes. In diesen „secteurs sauvegardes“ sollte nichts mehr verändert werden, vielmehr alles in einer künstlerisch-architektonisch-ästhetischen Harmonie erhalten bleiben. Das bekannteste dieser sogenannten Reservate ist das in Paris zwischen Rathaus und Bastille um die Place des Voges gelegene . Quartier des Marais".
Inzwischen sind auf Veranlassung von Malraux in Paris viele weitere Stadtteile wie z. B. die Rue de Rivoli und Teile des Faubourg-Saint-Germain unter Denkmalschutz gestellt, und in zahlreichen Provinzstädten wird nach dem Pariser Vorbild verfahren.
Während sich aber bei uns in Deutschland die Jugend einstweilen für den Gedanken des Denkmalschutzes noch nicht sehr engagiert, ist es bei unseren Nachbarn jenseits des Rheins vor allem die junge Generation, die sich für die Erhaltung des architektonischen Erbes einsetzt und sich um seine Erhaltung mit vielfältigen eigenen Initiativen bemüht. In der Bundesrepublik wirkt sich die Geschichtslosigkeit aus, in der die Jugend zur Zeit aufwächst.
Ganz Hervorragendes leisten die Polen im Bereich des Denkmalschutzes. Daß die historischen Straßenzüge und Baukomplexe von Danzig und Warschau in vorbildlicher Weise wiederaufgebaut wurden, ist oft beschrieben worden. Weniger bekannt dürfte sein, daß die Polen den Denkmalschutz zu einer wissenschaftlichen Disziplin gemacht haben. Die Universität Thorn verleiht als einzig Universität der Welt eine Doktorwürde für Denkmalschutz. Zudem hat sich ein das ganze Land umfassender Denkmalschutz entwickelt, in den alle, die davon etwas verstehen, irgendwie eingegliedert sind, übrigens sollen auch Kunstwerke mit deutschen Inschriften restauriert werden.
V. Abschließende Bemerkungen
Zwei Dinge hält der Verfasser, der in früheren Zeiten selbst einmal mit dem Denkmalschutz praktisch zu tun hatte, vor allem anderen für wesentlich. Einmal sollte die Erstellung oder Wiederherstellung von Wohn-und Geschäftsraum in denkmalschutzwürdigen Gebäuden in ähnlicher Weise wie die Neuschaffung von Wohnraum staatlich gefördert werden. Sodann muß die Öffentlichkeit denkmalschutzbewußt gemacht werden. Das ist insbesondere mit Hilfe des Fernsehens möglich. In einem Mit-gliedsland des Europarates verbreitet z. B. das Fernsehen vor oder nach den Abendnachrichten je ein Beispiel gelungenen und nicht gelungenen Denkmalschutzes. Beide Spots benötigen zusammen zwei Minuten. Dem Vernehmen nach kann sich das Fernsehen dieses landes kaum vor allseitigen entsprechenden retten. Vorschlägen Ke europäische Denkmalschutzkampagne wird im Oktober 1975 ihren Höhepunkt in einem Kongreß in Amsterdam finden, an dem mehrere Tausend Delegierte teilnehmen dürften und der sich zur Aufgabe stellt, 1. Maßnahmen auf Dauer zu ergreifen, die es ermöglichen, die Verwirklichung der Ziele des Europäischen Denkmalschutzjahres auch nach 1975 fortzusetzen, 2. die bereits erwähnte Europäische Charta des Denkmalschutzes zu billigen, die für die Gesetzgebung und Planung in allen europäischen Ländern als Grundlage dienen soll.
Die Erhaltungsarbeit könnte übrigens noch wirksamer werden, wenn die sie betreffenden Gesetze in ganz Europa aufeinander abgestimmt würden. Auch das ist eines der Ziele, die sich das Denkmalschutzjahr gesetzt hat. Darüber hinaus sollte die Denkmalschutz-kampagne auch eine gewisse Verantwortung für die Zukunft übernehmen. „Die neuen Bauwerke sollten sich" — so etwa hieß es einmal im Straßburger Europarat — „der Tradition der erprobten europäischen Baukunst, d. h. ihren Qualitätsmaßstäben würdig erweisen, damit künftige Generationen sich für ihre Erhaltung einmal genau so einsetzen wie wir es für die aus der vergangenen Zeit tun." Anlage
„weissenburger Thesen"
Politische und soziale Verpflichtung der Denkmalspflege Die „Arbeitsgemeinschaft für Stadtgeschichtsforschung, Stadtsoziologie und städtische Den! maispflege e. V.“ hat am 21. 122. Juni 1974 in Weißenburg i. Bay. eine Arbeitstagung uni dem Thema „Die alte Stadt morgen“ veranstaltet. Die Tagung ist von nahezu 200 Wissenscha lern und Praktikern aus Städten der Bundesrepublik, Frankreichs, der Schweiz, Österreichs u Italiens besucht worden.
Zum Abschluß äer Sitzungen und Diskussionen stellen die Tagungsteilnehmer aus ihren 9 meinsamen wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen heraus folgende Gegebenheiten le und folgende Forderungen auf: 1. Innerhalb der gegenwärtigen Entwicklungen und der zu erwartenden Trends befindet sich die alte Stadt in einer alarmierenden gefährdeten Situation.
2. Zu einem Verstehen und Erleben von historischer Wirklichkeit ist die alte Stadt als Demonstrationsmodell wie als Lebensraum unentbehrlich. Ihr fällt für die historische Bewußtseinsbildung der Allgemeinheit eine bedeutende didaktische Rolle zu.
3. Für die Erneuerung der alten Stadt ist es eine entscheidende Aufgabe, die Öffentlichkeitsarbeit auf allen Ebenen zu intensivieren. Die bürgerschaftliche Initiative muß geweckt und unterstützt und die Bürgerschaft für die Anforderungen der Stadtsanierung und Stadt-erneuerung sensibilisiert werden.
4. Die Gemeinde hat auf interdisziplinärer Grundlage bindende und kontinuierliche Grundsatzplanungen durchzuführen. Sie darf sich nicht mit Sekundärplanungen begnügen, die oftmals von Einzelinteressen geleitet werden.
5. Die sozialen Strukturen und Prozesse bei der Sanierung von Innenstadtbezirken müssen intensiver als bisher untersucht werden, und zwar unter deutlicher Berücksichtigung interdisziplinärer Komponenten.
6. Bei der Erneuerung von alten Stadtteilen wie von Baudenkmalen ist deren künftige Nutzung zu berücksichtigen.
7. Nicht nur signifikante Baudenkmale bedürfen des Schutzes; auch uns unscheinbar dünkende Baudenkmale sind für das Gesamterscheinungsbild bedeutsam.
8. Denkmalpflege, bislang im wesentlichen isoliert betrieben, muß sich ihrer sozialen und politischen Verpflichtungen bewußt werden. 9. Das gesetzliche und verfahrensmäßige I strumentarium für die Altstadtsanierung in Denkmalpflege ist auf allen Ebenen zu verbe sern und voll auszuschöpfen. Dabei sollte d Handlungsspielraum der Kommunen erweite auch sollten sie bei der Durchführung der Al stadtsanierung nicht unter Zeitdruck geset werden.
10. Der Erfahrungsaustausch zwischen dt Städten, die sich der Erneuerung ihrer Alts® stanz widmen, muß bedeutend intensiver g handhabt werden als bisher.
11. Die Kooperation zwischen staatlicher Den malpflege und Gemeinde muß wesentlich vf stärkt werden.
12. Die Architekten sind in ihrer Ausbildui und Praxis an die Erfordernisse der Denkm pflege heranzuführen, die Handwerker in d Anwendung der denkmalpflegerischen Tee niken zu schulen, die Denkmalpfleger mit d Erfordernissen der baulichen Praxis vertra zu machen.
13. Stadtplanung und Stadtsanierung darf oh Berücksichtigung der historischen Dimension nicht mehr betrieben werden.
14. Bei den Planungsund Sanierungsvorl ben bietet der Stadthistoriker auch dem Der malpfleger und dem Architekten notwendig Beurteilungsmaterial.
15. Stadtgeschichtsforschung muß von ihr Lernzielen, ihrem Themenkatalog wie V ihrem Selbstverständnis her so praktiziert u dargeboten werden, daß sie in den Prozeß c Stadtplanung eingehen kann.
16. Ohne die Erschließung neuer Finanz rungsmöglichkeiten werden die Städte d Wettlauf mit dem Verfall ihrer historisdh Bausubstanz verlieren.