Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine Analyse des deutschen Faschismus unvollständig bleiben muß, wenn sie die Rolle der Großindustrie bei dessen Aufstieg und während seiner Herrschaft nur peripher behandelt. Um so mehr fällt, wie ich meine, die Tatsache ins Gewicht, daß die Erforschung dieses Problembereichs noch immer in seinen Anfängen steckt 1a): Dieter Petzinas Feststellung aus dem Jahr 1966, daß „das Verhältnis Hitlers zur deutschen Industrie vor und nach 1933 . . . noch heute eines der umstrittensten und ungeklärtesten Probleme der jüngsten deutschen Ge-schichte (ist)" trifft nach wie vor zu. Gerade dieses empirische Defizit vorausgesetzt, erscheint es mir legitim, eine kritische Bestandsaufnahme des derzeitigen Forschungsstandes zu versuchen. Daß die sozialgeschichtlich orientierten Arbeiten, die diesem Bericht zugrunde liegen, nur angemessen zu diskutieren sind, wenn der theoretische Rahmen, den sie bewußt oder unbewußt unterstellen, mit berücksichtigt wird, muß nicht eigens betont werden. Im ein-zelnen kommt es diesem Aufsatz darauf an, exemplarisch drei Forschungsrichtungen darzustellen, in deren Umkreis sich, soweit ich sehe, die Faschismus-Diskussion heute zentral bewegt. Zunächst sind anhand der Arbeiten von Stolper, Lochner, Treue, Turner jr. und Schulz die Ansätze herauszuarbeiten, die eine systematische Beziehung zwischen Faschismus und Kapitalismus leugnen. Im Anschluß daran wird die sowjetmarxistische Konzeption, die von einer strukturellen Identifät zwischen Mo-nopolkapial und Faschismus ausgeht, am Beispiel der Untersuchungen von Eichholtz, Czichon und Gossweiler zu rekonstruieren sein. Schließlich ist auf die von Hallgarten, Schweitzer, Sohn-Rethel und Petzina vertretenen Ansätze einzugehen, die zwar einen „Primat der Politik“ über die Wirtschaft im sog. „Dritten Reich, behaupten, gleichzeitig aber an einem srukturellen Zusammenhang zwischen den Interessen der Großindustrie und der Errichtung bzw. Konsolidierung des faschistischen Herrschaftssystems in Deutschland festhalten.
I. Das kontingente Verhältnis von Faschismus und Großkapital
1. Industrie und Nationalsozialismus vor 1933
Es ist sicherlich kein Zufall, daß Forschungsansätze, die von einem historisch kontingenten Verhältnis 3a) zwischen Faschismus und ausgehen, gewollt oder ungewollt auf eine Apologie der Rolle der Großindustrie im „Dritten Reich“ hinauslaufen. Der Faschismus erscheint dann als bloßer „Betriebsunfall der Geschichte“, der im wesentli-chen aus zwei Gründen geschehen konnte: Er wird entweder als eine Variante des Sozialismus dargestellt, der es gelang, das „freie Unternehmertum“ seiner Kontrolle zu unterwerfen, oder aber es steht der politische Zwang im Vordergrund, der die Industriellen zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten trieb, nachdem diese zur Massenpartei geworden waren. So hatte schon wenige Jahre nach dem Ende der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg gegen führende Repräsentanten der deutschen Industrie Gustav Stolper nicht nur jeden strukturellen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus verneint, sondern gerade die Modifizierung des privatkapitalistischen Systems, durch Monopolbildung bzw.dessen „Sozialisierung" durch zunehmende Staatseingriffe in den Wirtschaftsprozeß während der Weimarer Republik als den entscheidenden gesellschaftlichen Kontext behauptet, innerhalb dessen der Nationalsozialismus entstehen konnte: „Nicht daß die deutschen Industriellen Nationalsozialisten, Militaristen, Kriegshetzer gewesen wären, machte es Hitler so leicht, die Herrschaft über die deutsche Industrie und Finanz zu gewinnen. Die Staatskontrolle über Industrie und Finanz in einem engmaschigen, haltbaren Netz war schon längst eingebürgert, und dieser Umstand machte die deutsche Wirtschaft so abhängig von jeder Regierung, die ihre Macht mit Entschlossenheit ausnützte. Hitler brauchte bloß auf den Knopf zu drücken, um die Organisation wie ein Uhrwerk in Gang zu setzen. Die Organisation und der Knopf waren ihm von der Republik bereitgestellt worden."
Daß der Kapitalismus nicht mit der Entstehung des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden könne, war auch für Louis P. Lochner eine ausgemachte Sache. Einerseits interpretierte er den Aufstieg der NSDAP als Resultat der dämonischen Suggestionskraft Hitlers, der sich die Industriellen genau so wenig hätten entziehen können wie andere Schichten. Andererseits ging Lochner davon aus, daß die Großindustrie von allen •Bevölkerungsschichten am wenigsten für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich gemacht werden könne: diese sei eine autonome, vor allem vom Mittelstand und Teilen der Arbeiterschaft getragene Bewegung gewesen, mit der die Industrie sich habe arrangieren müssen, nachdem die Nazis zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen waren. Jedenfalls müsse davon ausgegangen werden, „daß die 4
Finanzhilfe der Industrie Hitler nicht den Schlüssel der Schlüssel lieferte, der ihm das Tor zur Macht aufschloß. Welches Ausmaß die Nazisubsidien auch gehabt haben mögen, ausgeschlossen erscheint, daß sie auch nur einigermaßen an die Summen heranreichten, welche die Nationalsozialisten laufend von den Massen der Bevölkerung. .. erhoben. Ausgeschlossen erscheint auch, daß diese Subventionen der Bedeutung der Zahlungen gleichkamen, welche die Industrie an andere politische Parteien gelangen ließ." Demgegenüber zeichnete gleichfalls Mitte der fünfziger Jahre Hallgarten ein wesentlich kritischeres Bild über das Verhältnis Hitlers zur Großindustrie vor 1933. Er kommt nämlich zu der bemerkenswerten Einsicht, „daß die Schwerindustrie einfach durch ihre Existenz und soziale Natur die Bewegung verursachte oder doch wenigstens dazu beitrug, sie zu verursachen, und nachdem sie einmal auf der Welt war, versuchte, sie für die Zwecke der Industriellen einzuspannen"
Dieser tendenziell kritische Ansatz, der den, wenn auch in der Sicht Hallgartens gescheiterten, Versuch großindustrieller Kreise, Hitler zu . instrumentalisieren', zur entscheidenden analytischen Perspektive erhebt, ist von Wilhelm Treue und Henry Ashby Turner im Rahmen der neueren Forschung nicht weiter verfolgt worden. Beide heben hervor, daß der Aufstieg des Nationalsozialismus zwar mit der Weltwirtschaftskrise generell, nicht aber mit bestimmten gesellschaftlichen Klassen in Zusammenhang gebracht werden könne. Zwar macht Treue eine spezifische wirtschaftspolitische Interessenlage nach dem Scheitern der Präsidialkabinette für die Zusammenarbeit der Industriellen mit der NSDAP verantwortlich. Gleichwohl kann auch bei ihm von einer strukturellen Beziehung zwischen den Reproduktionsschwierigkeiten des deutschen Kapitalismus Ende der zwanziger Jahre und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht die Rede sein. Einerseits hebt er nämlich die „unpolitische Haltung" der Großindustriellen hervor, die es verhindert hätte, die wahren, d. h. gegen die Interessen der Industrie gerichteten Intentionen der Nationalsozialisten zu durchschauen. Dieses „Versagen sei aber im übrigen auch bei anderen gesell-
schaftlichen Gruppen zu beobachten gewesen. Beispielsweise hätten sich die Gewerkschaf-ten „noch bis zum 2. Mal 1933 in der Hoffnung auf die Bildung einer mächtigen Einheitsgewerkschaft unter der Leitung der alten Funktionäre bereit" gezeigt, „mit dem Nationalsozialismus zu paktieren" Andererseits ist Treue bestrebt, spezifische Klasseninteressen der Großindustrie, die politisch hätten relevant werden können, überhaupt zu leugnen. Für eine differenzierte Betrachtung des Verhältnisses der Industrie zu Hitler, so lautet seine methodologische Option, sei es notwendig, „die Gruppe oder Schicht der Unternehmer auf(zu) lösen in Individuen und diese als solche in ihrem eigenen Lebenskreis (zu) betrachten“
Daß das Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus kontingent sei — also nicht bestehe—, versucht mit großer Vehemenz auch Henry Ashby Turner anhand detaillierter Einzelstudien zu erhärten. Zwar konzediert Turner, daß die deutschen Großunternehmer der Weimarer Republik skeptisch gegenüberstanden, weil sie deren Selbstverpflichtung zu Wohlfahrtsmaßnahmen und den Einfluß, den die SPD in Preußen ausübte, genau so ablehnten wie die Einführung von Zwangsschlichtungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Dennoch stellten Turner zufolge Repräsentanten der Großindustrie wie Thyssen und Kirdorf, die offen mit den Nationalsozialisten sympathisierten, Ausnahmen dar. Die Wirtschaft als Ganzes habe im Reichspräsidentenwahlkampf 1932 überwiegend auf der Seite Hindenburgs gestanden, während sie in der Reichstagswahl 1932 das Kabinett Papen unterstützten. „Hätte Geld politische Macht kaufen können, wäre auf die Republik Papens . Neuer Staat'gefolgt, und nicht Hitlers . Drittes Reich'. Aber der Versuch, Geld in Wählerstimmen zu verwandeln, erwies sich als ein niederschmetternder Fehlschlag.“
Wenn überhaupt Geld an die Nationalsozialisten gezahlt wurde, wie im Falle Flicks und der IG Farben, dann sei dies nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie mit dem Ziel geschehen, die Nationalsozialisten an die Macht zu bringen: „Während Flick und die IG Farben so etwas wie eine politische Versicherung für den Fall einer nationalsozialistischen Machtübernahme abschließen wollten, versuchten andere, der nationalsozialistischen Bewegung eine andere Richtung zu geben. Sie hofften dies zu erreichen, indem sie . vernünftigen'und gemäßigten’ Nationalsozialisten Geld gaben, um deren Position zu stärken und dann die wirtschaftlich und sozial radikalen Tendenzen zu schwächen, die stets das größte Hindernis einer Zusammenarbeit zwischen Großindustrie und Nationalsozialismus waren." In diesem Zusammenhang müsse auch die Funktion des Keppler-Kreises gesehen werden. Er habe nicht primär als Kanal für Spenden an die Nationalsozialisten gedient, sondern ein Gremium dargestellt, das versuchte, die Parteien zu einer konservativen Wirtschaftspolitik zu „bekehren“. Erst als dies gescheitert sei, hätten die Industriellen einen Umschwung zugunsten Hitlers vollzogen. Alles in allem könne man bestenfalls wie im Falle Thyssens und Kirdorfs von einem „indirekten" Beitrag eines Teils der Industriellen am Aufstieg*Iitlers ausgehen. • Die hier kurz skizzierten Interpretationsansätze, die — mit Ausnahme der Arbeit Hallgartens — sich nicht nur um eine für die Industrie verharmlosende Deutung ihres Verhältnisses zu Hitler, sondern auch um den Nachweis der strukturellen Nichtidentität von Faschismus und Kapitalismus bemühen, sind in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben. So ist zu Recht gegen Stolpers Identifizierung von Sozialismus und Faschismus argumentiert worden, daß eine solche Betrachtungsweise, die letztlich auf eine völlige Exkulpation der deutschen Industrie hinauslaufe, „die strukturellen Wandlungen der deutschen Wirtschaft von der freien Konkurrenz des 19. Jahrhunderts zu den Konzernen und Kartellen des 20. Jahrhunderts mißachtet" In der Tat kann nur, wr diesen Strukturwandel übersieht, behaupten, die Monopolbildung einerseits und die zunehmenden Eingriffe des Staates in die Wirtschaft andererseits seien primär gegen das „freie Unternehmertum" gerichtet gewesen und hätten ein antikapitalistisches Klima erzeugt, das die Nationalsozialisten an die Macht brachte, zumal die Monopolbildung ja gerade als das Resultat freier unternehmerischer Betätigung angesehen werden muß.
Aber auch Lochners These ist wenig überzeugend. Einerseits impliziert seine Behauptung, Hitler habe durch seine Suggestionskraft nicht wenige Industrielle „manipuliert“, eine wissenschaftlich unhaltbare Personalisierung, die nicht weniger als Stolpers These Zusammenhänge mehr verdunkelt als aufhellt. Andererseits ist seine Annahme, die Nationalsozialisten seien allein durch ihre Wahlerfolge zur Macht gelangt, nicht haltbar, zumal für Hitler spätestens seit 1923 klar war, daß er nur im Bündnis mit den traditionellen Ober-schichten das faschistische Herrschaftssystem errichten konnte.
Die neueren Untersuchungen von Treue und Turner sind kaum weniger problematisch. Sie kranken ebenso wie die Arbeiten von Stolper und Lochner vor allem daran, daß sie sich mit der Konstatierung .der subjektiven Schuld bzw.des subjektiven Irrtums einzelner Industrieller begnügen. Diese personalisierende Interpretationsperspektive hindert sie daran, die entscheidende Frage zu stellen, „ob es Ende 1932 noch Industriellen-Gruppen gab, die wirksam Alternativlösungen propagierten, und ob es damals — nach Jahren der Wirtschaftsdepression — überhaupt noch Interessengruppen gab, die der Großindustrie an Mitteln gewachsen oder überlegen waren und daher noch mehr Anteil als diese am Siege Hitlers haben konnten"
In der Perspektive dieser Fragestellung muß in der Tat sowohl Turners als auch Lochners These von der politischen Impotenz des Geldes als problematisch gelten. Zu Recht betont Radkau, daß sich der Einfluß des Kapitals auf die Politik nicht nur auf kurzfristig-direktem, sondern auch auf langfristig-strukturellem Wege realisieren kann. Letzteres sei in dem Augenblick der Fall, wo „schließlich alle Alternativen zum Nazismus abgeschnitten oder paralysiert wurden, auch wenn der Nazismus selbst in seiner konkreten Erscheinungsform nicht den Köpfen der Industriellen entsprungen war" Zwar ist es richtig, daß Turner im Nationalsozialismus „unleugbar ein Kind des kapitalistischen Systems" sieht. Er fügt aber sofort einschränkend hinzu, diese Feststellung habe nicht viel Gewicht, zumal andere kapitalistische Gesellschaften ein ähnliches Phänomen nicht hervorbrachten und außerdem Kommunismus und liberale Demokratie dem gleichen kapitalistischen System entstammten. Nach meinerAnsicht werfen diese Formulierungen schlaglichtartig ein grelles Licht auf den methodologischen Ansatz der hier diskutierten Autoren: Der Auflösung des Gesamtgeschehens in isolierte Einzelaspekte entspricht der Rekurs auf organologische Kategorien (der Nationalsozialismus als . ein Kind des kapitalistischen Systems"), die am Ende „den historischen Prozeß und Gesamtzusammenhang ... so sehr zum leeren Einerlei'verwandeln, „daß der Forscher sich immer wieder in Details flüchten muß, um noch etwas klarer zu erkennen" 2. Industrie und deutscher Faschismus an der Macht Der Versuch der hier referierten Autoren, die Großindustrie — von einigen atypischen Ausnahmen abgesehen — von jeder aktiven Beteiligung an der Etablierung des faschistischen Herrschaftssystems zu entlasten, hat seine Entsprechung in der Anwendung der sog. identifizierenden Totalitarismustheorie auf das Verhältnis von Großindustrie und NSDAP während des „Dritten Reiches". Die entscheidende Aussage dieser Totalitarismustheorie besteht bekanntlich darin, „daß faschistische und kommunistische totalitäre Systeme grundsätzlich gleichartig sind“ Ihre Übereinstimmung wird gemessen an folgenden Strukturmerkmalen, die das Wesen des Totalitarismus ausmachen sollen, nämlich „einer Ideologie, einer einzelnen Partei, die im typischen Fall von einem Mann geleitet wird, einer terroristischen Polizei, einem Kommunikationsmonopol, einem Waffenmonopol und einer zentral gelenkten Wirtschaft" Darauf, daß die Totalitarismustheorie aufgrund ihrer einseitigen Betonung formaler Übereinstimmungen zwischen Kommunismus und Faschismus von den sehr verschiedenen gesellschaftlichen Inhalten beider Systeme abstrahiert, ist oft zu Recht hingewiesen worden. Abgesehen davon, daß sie „eine Ordnung vom Typus der historischen Erziehungsdiktatur mit einer Form geschichtlicher Beharrungsdiktatur" gleichsetzt, vernachlässigt sie offensichtlich „die besondere gesellschaftliche Trägerschaft, de(n) Unterschied zwischen Privateigentum und Gemein-eigentum an den Wirtschaftsmitteln und den tiefere(n) soziale(n) Zweck jeweiliger Macht ausübung"
Wie bewährt sich nun aber dieses Theorem, wenn es als analytischer Rahmen für die Be-Stimmung des Verhältnisses von Industrie und Faschismus im Dritten Reich verwandt wird? Die Grundtendenz dieses Ansatzes bringt Gerhard Schulz auf den Begriff, wenn er schreibt, der Nationalsozialismus an der Macht habe sich schrittweise die Ökonomie unterworfen und „die Sphäre der Autonomie der Wirtschaft beseitigt" indem viele Wirtschaftszwecke durch einen einzigen substituiert worden seien, nämlich durch den der „totalen Mobilmachung“ für den „totalen Krieg". Der Tendenz des Totalitären, die auf eine „Aufhebung des Privaten und Regie des öffentlichen" hinauslaufe, konnte die Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus nur jeweils soweit entgehen, „als ihre weitere Durchsetzung mit der Zerstörung der Produktionskapazität verbunden gewesen wäre. Sie erfaßte nicht nur die überlieferten Daseinsformen, sondern auch die bestimmenden Produktionsbedingungen und damit die Lebensbedingungen des deutschen Volkes und unterwarf sie der Diktatur" Eine Grenze der Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft über die Wirtschaft sei lediglich durch das Gebot „eines gesicherten Mindestwohlstandes der Volksmassen“ gesetzt worden, „der den Nationalsozialisten, nachdem sie ihren Nutzen aus der Wirtschaftskrise gezogen hatten, bis in die spätere Kriegszeit hinein als unaufgebbare Voraussetzung ihres totalen Staates galt"
Die Ursache dafür, daß die Gleichschaltung der Industrie angeblich „total“ war, erblickte Gustav Stolper in einem „System konzentrierter wirtschaftlicher Machtpositionen" das er, wie bereits ausgeführt wurde, als die wichtigste gesellschaftliche Voraussetzung für die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus ansah: „Dieses System hatte sich als willkommene und brauchbare Handhabe für Hitler erwiesen. Es half ihm, rasch mit seiner Gleichschaltung voranzukommen. Die Nazis brauchten bloß die demokratischen Elemente in diesem System — wie Wahl der Verwaltungsorgane — durch ihr , Führerprinzip'zu ersetzen, das heißt, durch Ernennung der Leiter, denen die Untergebenen, jetzt , Gefolg-schaff genannt, bedingungslosen Gehorsam schuldeten. Viele nahmen die neuen Grundsätze willig an, andere wurden einfach hinausgeworfen und verloren ihre Stellung, wenn nicht ihr Leben." Gegenüber dieser zentral gesteuerten „Gleichschaltung" sei „die Frage, ob das Eigentum an den Produktionsmitteln in privaten Händen blieb, . . . völlig bedeutungslos" Stolper sah das Wesen dieser „Kommandowirtschaft" gerade darin, daß „die IG Farbenindustrie und die Vereinigten Stahlwerke ... in jedem Sinn ebensowenig privat (waren) wie die Sowjet-Trusts. Die ausführenden Organe aller Industrien waren sowohl formell wie tatsächlich ausführende Organe der Partei.“ Daß das planwirtschaftliche System in Deutschland sich von den sowjetrussischen Verhältnissen bestenfalls graduell, nicht aber qualitativ unterschied, glaubte er durch folgende „Fakten" bestätigt zu sehen: „Die Anordnungen kamen von der Regierung-, Preise, Löhne und andere Kosten wurden von ihr bestimmt-, sogar die Produktionsmethoden wurden mit Billigung der Regierung gewählt und oft von ihr vorgeschrieben. Mit anderen Worten, von der durchgreifenden Kartellisie-rung zur Sozialisierung [ä la Nazi] war nur ein kurzer Schritt, und dieser Schritt wurde auf kurzem Wege gemacht.“
Freilich ist Stolpers Identifizierung von Faschismus und Stalinismus wenig überzeugend. Wenn er beispielsweise schreibt, ab 1936 sei die gesamte „durchorganisierte Planwirtschaft" auf ein einziges Ziel ausgerichtet gewesen, nämlich die forcierte Aufrüstung, dann geht er offenbar von der irrigen Annahme aus, die ökonomische Aktivität der Großindustrie im Dritten Reich sei einer totalen Militarisierung unterworfen gewesen. Diese These läßt sich angesichts der Resultate der neueren Forschung keineswegs halten. Sowohl Alan S. Milward als auch Dieter Pet-zina wenden sich dagegen, die wehrwirtschaftliche Orientierung des Vierjahresplans einseitig in den Vordergrund zu stellen. Abgesehen davon, daß die Preisgestaltung Angelegenheit der Privatwirtschaft blieb, kann Pet-zina zeigen, daß der Vierjahresplan eine ganz andere Struktur hatte als der sowjetische Fünfjahresplan. Im nationalsozialistischen Deutschland könne nämlich zu keinem Zeitpunkt von einer zentralen Planwirtschaft die Rede gewesen sein. Vielmehr stelle der Name „Vierjahresplan“ eine Schablone dar, hinter der „sich eine Reihe von Sonder-Programmen und Institutionen verbargen, die zumeist...
nichts mehr miteinander zu tun hatten“
Nicht weniger problematisch ist es, wenn Lochner im Sinne des Totalitarismustheorems argumentiert, den von Hitler „erpreßten" Industriellen sei als Gegenleistung für ihre Subventionen keineswegs die ihnen versprochene Privatinitiative garantiert worden. Im Gegenteil: Sie seien von der Gleichschaltung genau so betroffen worden wie der letzte Briefmarkensammler und Taubenzüchterverein auch:
„Der gleiche Hitler, der vor den Führern der Wirtschaft gepredigt hatte, daß die Werte der Persönlichkeit und die Initiative des einzelnen den . Kollektivismus'der Weimarer Republik ersetzen müßten, forderte nun noch lauter, daß alle Wege des Daseins nur einer einzigen Richtung zu folgen, jedwede Tätigkeit nur einem einzigen Kodex zu gehorchen hätte: der Richtung und dem Kodex der Nazis. Die Gleichschaltung kannte keine Ausnahmen.“ „An allen Fronten vom Totalitarismus eingekreist" vermochte Lochner zufolge ab „ 1942 und 1943 . . . ein Unternehmer oder ein Arbeiter kaum viel anderes mehr zu tun, als mit den Wölfen zu heulen und die unabänderlichen Umstände tunlichst erträglich zu gestalten" Die Unternehmer hätten keine Sonderstellung angesichts der monolithischen Herrschaftsstruktur des Nationalsozialismus im Dritten Reich gehabt. „Die blitzartige Geschwindigkeit, mit der Hitler die Machtstellung seiner Person und seiner Bewegung ausbaute, brachte die Elite der Unternehmerschaft genauso aus dem Gleichgewicht wie die Männer anderer deutscher Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten." Wohin das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 führte, ist für Lochner angesichts der Instrumentalisierung dieses Gesetzes im Dienste des Totalitarismus klar: „die nationalsozialistische Gleichschaltung zerstörte die Voraussetzungen des unternehmerischen Liberalismus" Gleichzeitig ist sie Lochner zufolge auch der Grund dafür, daß es zu einem geschlossenen Widerstand der Industrie gegen Hitler nicht kam. Dies habe daran gelegen, „daß sich alles in allem nur die mächtigsten und im Rufe höchster Prominenz stehenden Wirtschaftskapitäne den Luxus leisten konnten, Hitler offen herauszufor-dem ... Gegen den Terror der totalen Staats-maschinerie ist kein Kraut der Opposition gewachsen, das sich verzweifelt regt und als solches an der Oberfläche erscheint." Die deutsche Industrie, so kann man Lochners These zusammenfassen, muß von jeder aktiven Mitwirkung am Nationalsozialismus freigesprochen werden, weil auf ihr die „Faust der absoluten Diktatur... nicht weniger schwer als auf anderen Bereichen des deutschen Lebens lastete"
Aber auch diese Variante des Totalitarismus-Theorems muß als widerlegt gelten. Sowohl Schweitzer als auch Petzina können nachweisen, daß die Großindustrie relativ unversehrt aus der Gleichschaltung hervorging. Die Übernahme des Führerprinzips durch die Großindustrie schwächte keineswegs ihre Autonomie, sondern trug im Gegenteil erheblich zu ihrer Stärkung bei, weil die industriellen Interessenverbände nun optimal koordiniert waren und nach außen geschlossen auftreten konnten.
Angesichts dieser Zusammenhänge geht Wilhelm Treue denn auch nicht mehr bei seiner Bestimmung des Verhältnisses von Industrie und NSDAP vom Gleichschaltungstheorem aus. Trotz aller antikapitalistischer und ständeromantischer Parolen seien die Kartelle nicht nur beibehalten, sondern in einem Maße gestärkt worden, „daß die privatwirtschaft-liehe Marktbeherrschung gesichert war. Die Preisgestaltung blieb ein Privileg privatwirtschaftlicher Organisationen." In dem Maße nämlich, wie der Staat im Rahmen der Aufrüstung größter Auftraggeber wurde, machte er sich einerseits immer stärker von der Existenz und Leistungsfähigkeit der Privatindustrie abhängig. Andererseits kam er dieser „durch wenigstens anfangs relativ leicht erreichbare Gewinne sowie durch die Abschaffung der Gewerkschaften" entgegen. Alles in allem seien Hitlers und Görings Versuche, ab 1936 den organisierten Privatkapitalismus „durch Dirigismus bis 1939 zum staatlich kontrollierten und schließlich zum Staatskapitalismus selbst zu transformieren, .. . zunächst an der kapitalistischen Gesellschaft und Wirtschaft" gescheitert, dann aber auch „an der Stärke der militärischen Gegner ..., die Hitler zwang, das vorhandene Wirtschaftssystem anzuerkennen, um mit dessen Hilfe das Dritte Reich vor der Niederlage zu bewahren“ * Auch wenn Treue im Gegensatz zu Stolper, Lochner und Schulz das Konzept der sog. „Kommandowirtschaft" offenbar verwirft, kommt es ihm darauf an, jede strukturelle Interessenidentität zwischen Faschismus und Industrie zu widerlegen. So betont er, das Verhalten der IG Farben-Industrie A. G. im Rahmen des Vierjahresplanes müsse als Son-derfall gelten, der für die Industrie insgesamt atypisch sei. Wie insbesondere der Konflikt um die Reichswerke Hermann Göring zeige, entstammten die Proteste von Seiten der Industrie „zumeist der Sorge vor einer übermächtigen staatlichen Initiative in Richtungen, die dem Privatkapitalismus innenpolitisch gefährlich werden konnten und die ihm außenpolitisch auf einen Krieg hinzuzielen schienen, den man wahrscheinlich nicht gewinnen konnte" Indem die Nationalsozialisten eine vollständig geplante Wirtschaft anstrebten, die, weniger als „sozialistische Planwirtschaft, als eine für den Angriffskrieg geplante Wirtschaft“ mit „äußerlich privatwirtschaftliche(n) Charakteristika" einzuschätzen sei, müsse Hitler als potentielle Bedrohung der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung gelten.
In diesem Kontext ist wohl auch der Hinweis auf die Tatsache zu verstehen, daß im Herbst 1939 „jene großen Rohstofflieferungen aus der Sowjetunion selbst und mit ihrer Hilfe als Tarneinkäuferin und Durchfuhrland (begannen), durch die Hitler die Sorge vor einer britischen Blockade genommen wurde und das . Dritte Reich'so viel Fett, Kautschuk und Buntmetalle erhielt, daß Vorratslager angelegt werden konnten. Durch diese Hilfe war während des ganzen Krieges die deutsche Vorratslage nie so gut wie im Augenblick des Überfalls auf die Sowjetunion, wurde es Hitler möglich, noch lange nach der militärischen Wende wirtschaftlich relativ gut versorgt den Krieg fortzuführen." Treue fragt denn auch, ob Stalin nicht möglicherweise davon überzeugt war, „daß der Gesamtschaden für die bürgerlich-kapitalistischen Mächte von Deutschland bis zu den USA um so größer und damit für die UdSSR um so erfreulicher wurde, je länger er selbst mit seinen Lieferungen die Fortdauer des Krieges ermöglichte"
Komplementär zu dieser Mutmaßung kann Treue zufolge umgekehrt nicht behauptet werden, „daß die oder einige Unternehmer Hitler den Vierjahresplan nahegelegt oder gar aufgezwungen haben“ Vielmehr bilde „das eigentlich entscheidende Ereignis für die Entstehung des Vierjahresplanes die Ernennung Görings zum Rohstoff-und Devisenkommissar am 4. April 1936“ Mit dieser Maßnahme habe nämlich die Verlagerung des Schwerpunktes der deutschen Wirtschaftspolitik auf eine Autarkiepolitik in Form eines verstärkten Ausbaus der innerdeutschen Erzeugungsmöglichkeiten begonnen. Gründe seien der Devisenmangel und die gesteigerten Anforderungen der Wehrmacht aufgrund der 1936 forciert vorangetriebenen Aufrüstung gewesen. Gerade an der Vorgeschichte von Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan versucht Treue zu zeigen, daß Schacht als Exponent des politisch nationalen, wirtschaftlich privatkapitalistischen Unternehmertums seit 1935/36 in dem Maße an Bedeutung verlor, wie er seine Opposition gegen das nationalso-zialistische Herrschaftssystem verstärkte. Ferner gehe aus dem Inhalt der Denkschrift eindeutig hervor, daß Hitler die Schwerindustrie und den Bergbau unter Drohungen zu größeren Leistungen anspornen wollte. Dies lasse erkennen, „daß er sich nicht unter einem aktiven Druck der Unternehmer befand, das andere, daß diese unter privatwirtschaftlichen Rentabilitätsgesichtspunkten dachten und handelten, sich freiwillig nicht der Wirtschaftspolitik Hitlers unterordneten und nur unter Drohungen dazu gezwungen werden sollten"
Freilich werden die Argumente der historischen Wirklichkeit nicht gerecht, mit denen Treue seine These stützt, daß die Industrie in prinzipieller Opposition zu Hitler gestanden habe und die enge Kollaboration der IG Farben für die deutsche Industrie atypisch gewesen sei. So kann Petzina zeigen, daß Görings Bevollmächtigter, der IG Farben-Direktor Krauch, keineswegs nur als Repräsentant partikularer bzw. atypischer industrieller Interessen auftrat, sondern „sich zum Fürsprecher der freien Initiative der Industrie (machte), und . . . die Beschränkung des HWA (Heereswaffenamt) auf die Entscheidungen über Quantität und Qualität der Produktion forderte, während er die Einschaltung in den Produktionsprozeß zurückwies" Deutest dies mehr auf einen Konflikt zwischen dem Heer einerseits und der Industrie und Partei andererseits hin, so kann darüber hinaus der Streit um den Bau der Hermann-Göring-Werke kaum als Indiz für den prinzipiellen Widerstand der Industrie gegen Hitler gewertet werden. Abgesehen davon, daß die Reichswerke bereits im Mai 1942 wieder aufgelöst wurden, sind „auch die im Zeichen des Vierjahresplans errichteten staatlichen Unternehmen in der Form privater Betriebe organisiert" worden und haben „sich bruchlos in das privatkapitalistische System" eingefügt Mit der Tatsache, daß bei prinzipieller Respektierung des Privateigentums im Dritten Reich die Chance privater Wirtschaftsgruppen erheblich vergrößert wurde, „die staatliche Wirtschaftspolitik gemäß eigenen Interessen mitzugestalten" korrespondierte, wie Petzina hervorhebt, „die hohe Einschätzung des Unternehmers durch die nationalsozialistische Führung, der zum Prototyp effizienten Handelns ideologisiert wurde und sich inso-weit zum Vorbild für den Aufbau neuer Ordnungsformen des Führerstaates entwickeln konnte Es mag sein, daß sich der Faschismus in bestimmten Aspekten im Widerspruch zum Kapitalismus befand: die von Treue hervorgehobenen „Fakten" jedoch beweisen dies nicht. Sie machen nur deutlich, daß auch eine modifizierte Form der Totalitarismustheorie, wie Treue sie vertritt, von der sozialen Wirklichkeit des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Faschismus nicht bestätigt wird.
Dies vorausgesetzt, stellt sich die Frage, ob die sowjetmarxistischen Autoren, die als die dezidiertesten Kritiker des Totalitarismustheorems auftreten, das Verhältnis von Faschismus und Industrie adäquater in den Griff bekommen haben.
II. Die strukturelle Identität von Monopolkapital und Faschismus
1. Monopolkapital und Hitlers „Machtergreifung"
Den Schlüssel zum Verständnis des Verhältnisses von Ökonomie und Politik sowohl in der Entstehungsphase faschistischer Systeme als auch unter den Bedingungen ihrer endgültigen Etablierung liefert nach der sowjetmarxistischen Interpretation die Feststellung Lenins aus dem Jahre 1916, daß „der politische überbau über der neuen Ökonomik, über den monopolistischen Kapitalismus .. . die Wendung von der Demokratie zur politischen Reaktion (ist). Der freien Konkurrenz entspricht die Demokratie. Dem Monopol entspricht die politische Reaktion." So betonen Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler, daß das von Lenin im Ersten Weltkrieg konstatierte Verwachsen von Monopolen und Staat, das er unter den Begriff des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" subsumierte, „eine aggressive Reaktion der herrschenden imperialistischen Kreise auf den Druck der Entwicklung der modernen Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Charakters der Produktion dar(stellt), auf die tiefen inneren und äußeren Widersprüche des Kapitalismus, auf die schweren ökonomischen und politischen Erschütterungen und Krisen, die mit der allgemeinen Krise des Kapitalismus einsetzten, auf die Zuspitzung des Klassenkampfes und insbesondere auf den Vormarsch des Sozialismus in der Welt" Dieser Prozeß, in dem sowohl die Konkurrenz als auch die Anarchie der Produktion und der gesellschaftlichen Verhältnisse „auf höherer Ebene und in neuen Formen" fortwirken, mündet nach dieser Interpretation dann in die faschistische Diktatur ein, wenn, wie ausgangs der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, die reaktionärsten und aggressivsten Elemente des Finanzkapitals ihre imperialistische Zielsetzung optimal im Rahmen eines faschistischen Regimes realisieren zu können glauben: Ihnen dienen dann die faschistischen Herrschaftsmethoden als Mittel, um durch „offenen Terror und mit Hilfe von Demagogie und Massenmanipulierung den gordischen Knoten innerer und äußerer Schwierigkeiten und Widerstände zu durchhauen, die sie an der rücksichtlosen Ausplünderung der arbeitenden Klassen, an einer forcierten Aufrüstung, an der Restauration imperialistischer Großmacht-stellung und schließlich an der imperialistischen Expansion in Europa und über Europa hinaus hinderten"
Daß sich unter dieser Voraussetzung der Faschismus als ein bloßes Instrument zur Reali-sierung monopolkapitalistischer Interessen und seine Entstehung als das Produkt reaktionärer Gruppen innerhalb des Großkapitals erweist, ist eine logische Konsequenz dieses interpretatorischen Ansatzes. So muß als symptomatisch angesehen werden, daß für Eberhard Czichon die Entstehung des Faschismus identisch ist mit dem „Anteil der deutschen Industrie an der Zerstörung der Weimarer Republik”. Im ersten Teil seiner Arbeit versucht Czichon die These zu belegen, daß die NSDAP keineswegs als eine originäre Massenbewegung angesehen werden kann. Vielmehr sei es zu ihrer Konstituierung notwendig gewesen, daß Hitler seine faschistische Ideologie nicht nur durch eine antikapitalistische und nationale Phraseologie kaschierte; sein Programm habe darüber hinaus auch „entsprechend propagiert“ werden müssen, „um größere Teile des deutschen Volkes systematisch zu. beeinflussen. Uber die für eine solche Manipulation erforderliche journalistische Skrupellosigkeit verfügte Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels. Doch dies allein reichte nicht aus. Es war in erster Linie Geld erforderlich.“
Dieses Geld sei den Nationalsozialisten von einer zunehmenden Gruppe einflußreicher Industrieller zugeflossen, die die NSDAP auch politisch, psychologisch und organisatorisch unterstützt hätten. „Sie erst machten Hitler vom unbedeutenden Führer politischer Abenteurer zu ihrem repräsentativen Exponenten." Der Höhepunkt dieser Entwicklung, innerhalb derer Hitler und seine Bewegung von Teilen der Großindustrie systematisch „aufgebaut“ wurde, bildete Czichon zufolge die Formierung einer Einheitsfront aller nationalen Gruppen in Bad Harzburg, an der sich außer den bekannten nazistischen Industriellen und Bankiers eine Reihe anderer Großindustrieller beteiligte (Blohm, Ravene, Schlenker, Gravert). Alle diese Bankiers erwarteten, so Czichon, „die Bildung eines Kabinetts mit Hitler und Hugenberg, deren Ansichten ihnen genau bekannt waren" Gerade weil sie wußten, daß Hitler entschlossen war, seine öffentlich propagierten und in internen Kreisen oftmals erläuterten Ziele auch als Reichskanzler durchzusetzen, „und weil ihre eigenen ökonomischen und politischen Interessen mit der programmatischen Konzeption der Nazi-Clique identisch waren, hatten sie deren Public Relations finanziert und ihren wachsenden öffentlichen Einfluß manipuliert“
Gegen diese Thesen hat neuerdings Eike Hennig einige stichhaltige Argumente formuliert. Insbesondere müsse festgestellt werden, daß Czichons Manipulationstheorem völlig losgelöst von jeglichem kommunikationspolitischen, sozialpsychologischen und sozialökonomischen Inhalt sei Indem dergestalt von der Beziehung zur Wirkungsproblematik und damit zur konkreten Verfassung der Rezipienten der Manipulation abstrahiert werde, bewege sich Czichon „beinahe schon auf der Höhe der Ausführungen Hitlers und Goebbels über das Wesen von Propaganda" Czichon erliege einer personalistischen Geschichtsbetrachtung, wenn er einzelne Kapitalisten als die Initiatoren Mer Manipulation herausstelle: „Der Faschismus erscheint in dieser Sicht als ein ganz und gar monokausaler Kaufakt: faschistische Bankiers und Industrielle haben die . Public Relations'der , Nazi-Clique'finanziert und danach deren wachsenden öffentlichen Einfluß manipuliert“. Czichon degeneriere „den geschichtlichen Prozeß zur Tat . großer Männer', diesmal keine Könige und Feldherrn, sondern eben . Kapitalisten'"
Allerdings scheint Czichon im 2. Teil seiner Arbeit die zu Recht kritisierte Schwäche personalisierender Darstellung zu vermeiden, wenn er die Situation innerhalb der herrschenden Klasse im Zusammenhang mit dem Aufstieg Hitlers analysiert. Er geht hier nämlich weder global von „dem” Monopolkapital noch von „den“ Einzelindustriellen aus, sondern differenziert zwischen verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Großindustrie. Zwar bestehe kein Zweifel daran, „daß alle Wirtschaftsführer der Arbeiterschaft gegenüber prinzipiell gemeinsame Interessen hatten“ Ebenso sicher sei aber, „daß innerhalb der Konzerne und einzelner Gruppierungen selbst sich der politische und wirtschaftliche Konkurrenzkampf angesichts der Verschärfung der Krise zuspitzte" Wenn sich auch bis 1931 eine zunehmend große Gruppe von Industriellen und Bankiers unter der Führung von Thyssen, Kirdorf und Schacht dar-auf geeinigt habe, einen faschistischen Staat zu errichten, so sei ihr doch eine andere finanzmonopolistische Gruppe (vor allem die Chemie-, Elektround Verarbeitungsindustrie sowie der Exporthandel) entgegengetreten, die, infolge einiger Monopolstellungen auf dem Weltmarkt nicht so schwer von der Krise betroffen, an der Notverordnungspolitik des Kabinetts Brüning festhielt. Die Theoretiker dieser Gruppe „befürworteten an Stelle des altliberalen Laissez-faire eine aktive Konjunkturpolitik durch staatliche Beeinflussung der Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise. Notwendig erschien ihnen dazu ein etappenweiser Abbau der Demokratie zugunsten einer autoritären Staatsform."
Erst nach dem Rücktritt Brünings sei es zu einer signifikanten Modifikation dieser Frontstellung gekommen, weil sich das Lager der Keynesianer spaltete. Der Konflikt wurde ausgelöst, als Gereke eine Arbeitsbeschaffungspolitik der öffentlichen Hand forderte. Unterstützt von v. Schleicher und den Gewerkschaften regte er an, „daß der Staat mit seinen kommunalen Organen (wie tadt-, Kreis-und Gemeindeverwaltungen) entsprechend den geltenden Lohntarifen Aufträge für Straßenbau, Wohnungsbau und landwirtschaftliche Siedlungen, sowie für Meliorationen, also für volkswirtschaftlich notwendige Arbeiten“ auf der Grundlage der Finanzierung durch Staatskredite „an die örtliche Industrie vergeben sollte" Dieses Konzept, das aufgrund der lenkenden Eingriffe des Staates, der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und der Aufsiedlung des verschuldeten ostelbischen Grundbesitzes als marktwirtschaftliche Lösung von links bezeichnet werden könne, stieß Czichon zufolge sowohl auf den Widerstand der . Rechtskeynesianer'(Wagemann, Dalberg, Vershofen und Erhard) als auch auf den der Nazi-Industriellen. Die . Rechtskeynesianer', deren politischer Repräsentant von Papen war, „lehnten jede Arbeitsbeschaffung mit den Gewerkschaften ab, bei der die Tariflöhne erhalten blieben und eine Markterweiterung durch eine Beschränkung der Rendite der Industriellen angestrebt wurde" Sie drangen vor allem auf eine privatwirtschaftliche Produktionserweiterung, die zur Einsparung von Importen führen konnte und bei der vor allem ein „Freiwilliger Arbeitsdienst" heranzuziehen wäre, dessen Mitglieder unter Tarif zu bezahlen seien.
Die nationalsozialistischen Industriellen, im Keppler-Kreis organisiert, seien zwar auch für eine Arbeitsbeschaffung durch Staatsaufträge eingetreten, hätten als Ziel jedoch kein sozialpolitisches Programm, sondern die militärische Aufrüstung Deutschlands im Rahmen einer neu zu schaffenden, staatlich geplanten und kontrollierten Rüstungsindustrie propagiert. Diese Differenz habe jedoch nach der Spaltung der keynesianischen Fraktion die Annäherung der Papen-Gruppe an die Nazi-Industriellen nicht verhindern können. Angesichts der für die NSDAP ungünstigen Wahlergebnisse vom 6. November 1932, die Hitlers politischen Abstieg anzuzeigen schienen, und der dem Kabinett Schleicher unterstellten Sozialisierungstendenz nahm, so Czichon, die Koalition zwischen den , Rechtskeynesianern‘ und den Nazi-Industriellen konkrete Formen an. Allerdings stellte nach Czichon die erreichte Zusammenarbeit Papens mit Hitler „keinen Kompromiß beider finanzmonopolistischer Gruppierungen mehr dar, sondern bedeutete vielmehr die Unterordnung der . rechten'Keynesianer unter die Gruppe der Nazi-Industriellen und die Identifizierung mit ihren Zielen. Gegenüber dieser Mehrheit gelang es der Minderheitsgruppe innerhalb der Industrie nicht, den sich anbahnenden Sturz des nur von ihr getragenen Kabinetts zu verhindern."
Dieses Bild, das Czichon von der herrschenden Klasse im Zusammenhang mit der Machtergreifung Hitlers zeichnet, scheint auf den ersten Blick realistischer zu sein als die poin-tillistische Zergliederung der großindustriellen Kreise in Einzelpersonen, wie dies für die Arbeiten von Treue und Turner charakteristisch ist. Dennoch sind die strukturellen Schwächen des Versuchs Czichons, die Genese der Machtergreifung Hitlers zu rekonstruieren, nicht zu übersehen. Räumte etwa Kuc-zynski noch ein, der Faschismus sei zu vermeiden gewesen, wenn sich gesellschaftliche Gegenkräfte formiert hätten und insbesondere die Arbeiterschaft einheitlich organisiert gewesen wäre, so fällt an Czichons Darstellung die systematische Ausklammerung der Rolle der organisierten Arbeiterbewegung aus dem Ursachenzusammenhang auf, der zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten geführt hat. Daß die damit gegebene Reduktion der faschistischen Machtübernahme auf eine rein innerkapitalistische Angelegenheit nicht zufällig ist, liegt auf der Hand: Sie hat ihre Entsprechung in der Exkulpation der KPD, deren historische Rolle durch die Verdrängung der Frage, „ob nicht auch , die'Arbeiterbewegung ihre Chance in der Beeinflussung und Agitation der proletarisierten Mittelschichten hätte finden können“ indirekt legitimiert wird. Gleichzeitig zwingt diese Apologie dazu, die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Klassenverhältnisse, die den Aufstieg des Faschismus ermöglichten, durch eine politische Soziologie der herrschenden Klasse zu ersetzen, die Tim Mason zu Recht mit der Methodologie des konservativen Historikers Namier verglichen hat: „riesenhafte Kapitalgesellschaften treten hier an die Stelle von Namiers Adelsfamilien, verhalten sich aber mit ihren spinnennetzartigen und rivalisierenden Einflußsphären jenen frappierend ähnlich. Wer saß an welchen Hebeln der Macht, wann und warum? — dies sind sicherlich nicht belanglose Fragen für den Historiker. Im klassischen Marxismus kommt ihnen aber gegenüber den säkular-ökonomischen Fragen der Entwicklung des Wirtschaftssystems eine zweitrangige Bedeutung zu. Lenins Imperialismus-Begriff legt zwar diese Art von Querschnittsanalyse doch ist dieses theoretische Konzept m. E. sowohl empirisch weniger solide wie auch vordergründiger als Kategorien des historischen Materialismus Marx bei selber." 2. Der Faschismus als . Agentur des staatsmonopolistischen Imperialismus'
Komplementär zu der These, der Aufstieg der faschistischen Bewegung sei zurückzuführen auf die Initiative der reaktionären Teile der Monopolbourgeoisie, gilt der Faschismus an der Macht im Lichte der sowjetmarxistischen Interpretation als „die offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" Oder noch prägnanter formuliert: „Der Faschismus — das ist die Macht des Finanzkapitals selbst." Diese von Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Inter-nationale vorgetragene Definition steckt nach wie vor den Rahmen ab, innerhalb dessen die sowjetmarxistischen Autoren das Verhältnis von Ökonomie und Politik im „Dritten Reich“ bestimmen. Ausdrücklich wird in der neueren Literatur die Dimitroffsehe Formel gegen jede Kritik in Schutz genommen, weil sie, wie Gossweiler und Eichholtz betonen, „das Ergebnis jahrelanger Klassenkämpfe gegen den Faschismus besonders in Italien und in Deutschland" sei. „Die Erfahrungen dieses Kampfes, niedergelegt in zahlreichen Dokumenten der KP Italiens und der KPD aus den Jahren vor 1933, führten stufenweise zu der klaren theoretischen Formulierung der Komintern, für deren Wahrheitsgehalt die Geschichte die schlagendste Bestätigung lieferte.“
Für die sowjetmarxistischeaInterpretation gilt es als ausgemacht, daß faschistische Diktatur und bürgerliche Demokratie nichts anderes seien als „zwei verschiedene Formen des politischen Überbaus über ein und derselben . Gesellschaftsstruktur'", nämlich der des „staatsmonopolistischen Kapitalismus" Die identische „Klassenstruktur und ökonomische Basis" der unterschiedlichen im überbau verankerten Herrschaftsformen vorausgesetzt, sind deren Zielfunktionen eindeutig determiniert: sowohl faschistische als auch halbfaschistische Regimes bleiben „im Imperialismus ... stets imperialistisch, ihre gesellschaftliche Grundstruktur stets staatsiponopolkapitalistisch" Damit ist den empirischen Arbeiten über das Verhältnis von Wirtschaft und Faschismus ein klares Erkenntnisziel gesetzt: der Nachweis nämlich, daß dieser nicht einen einzigen nichtmonopolkapitalistischen Inhalt hervorbrachte.
Herausgefordert durch die Arbeiten von Schweitzer, Petzina und Mason ist die neuere sowjetmarxistische Historiographie vor allem bemüht, die These zu widerlegen, daß es aufgrund einer Spaltung der herrschenden Klasse spätestens nach 1936 zu einem Primat des Politischen im Nationalsozialismus gekommen sei, der diesen gewissermaßen „über seinen Auftrag hinausschießen" ließ. Auch wenn ausdrücklich Interessenkonflikte innerhalb der herrschenden Klasse konstatiert werden, so nehmen sie für die sowjetmarxistischen Autoren nie einen eigenständigen Charakter an, weil die an ihm beteiligten Gruppen, wie Czichon betont, „die gemeinsame sozio-ökonomische Basis der Klassenherrschaft nicht verlassen konnten“ 1936 habe sich kein Strukturwandel des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik zugunsten eines Primats der Politik vollzogen, sondern lediglich ein Führungswechsel im Oligopol mit dem eindeutigen Ziel, die nationalsozialistische •Aufrüstung auf einer autonomen Wirtschaftsgrundlage zu beschleunigen: Die neue Führungsgruppe „übernahm nun die Gesamtrepräsentanz der herrschenden Klasse und bestimmte in den folgenden Jahren die Grundlinien der nationalsozialistischen Innen-und Außenpolitik"
Wie war nun die Alternative, die sich angeblich 1935/36 für den deutschen Imperialismus ergab, inhaltlich bestimmt? Dietrich Eichholtz und Kurt Gossweiler weisen darauf hin, daß sich die Unterschiede in der politisch-strategischen und ökonomischen Konzeption der Schacht-Thyssen-bzw.der Göring-IG-Farben-Gruppe auf die folgende Kurzformel bringen lasse: Die Schacht-Thyssen-Fraktion glaubte, ihr imperialistisches Programm, das auf die Liquidierung des Versailler Vertrages, die Wiederherstellung Deutschlands als europäische Großmacht und als Kolonialmacht abzielte, nur verwirklichen zu können, wenn sie sich wenigstens der wirtschaftlichen Unterstützung der USA versichern konnte. Eine militärische Expansion zuerst gegen die Sowjetunion und dann gegen die USA setzte dieser Gruppe zufolge nicht nur — „möglichst unter Vermeidung inflationärer oder sonstiger krisenhafter Erscheinungen“ — eine mit optimalem Tempo vorangetriebene Aufrüstung voraus, sondern auch die notwendigen Vorräte und Reserven Demgegenüber ging die Göring-IG-
Farben-Gruppe davon aus, daß die militärische Expansion Deutschland „unvermeidlich in Gegensatz zu allen am Status quo interessierten Großmächten bringen" wird. Da das gegnerische Lager den deutschen Rüstungsvorsprung bald aufholen werde, liege die einzige Chance „in einer maximal forcierten Rüstung für eine Reihe von Blitzkriegen, mit denen man nicht mehr lange warten kann, und wirtschaftlich in einer wenigstens zeitweilig aufrechtzuerhaltenden Autarkie als Mittel gegen Blockade*
Daß es innerhalb des Oligopols zu einer Machtverschiebung kam, hatte nach Gossweiler und Eichholtz in langfristiger Perspektive seine primäre Ursache in „Unterschiede in den ökonomischen Interessenlagen der Konzemgruppen, auf kürzere Sicht (in der) Notwendigkeit für den deutschen Imperialismus, akute Alternativentscheidungen von größter politischer und ökonomischer Tragweite zu fällen" Dabei sei jedoch der imperialistische Konsens innerhalb der Monopolbourgeoisie nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Vielmehr habe es sich dabei um eine Rivalität gehandelt, die den Rahmen des objektiven Klasseninteresses des Großkapitals nicht an einer einzigen Stelle sprengte. Dies werde im übrigen dadurch bestätigt, daß das Jahr 1938 nicht nur eine Stabilisierung der Führung des von den IG Farben verkörperten Kurses und die Festigung dieser Gruppierung selbst brachte. Zugleich seien im Zuge der inneren („Arisierung" der Wirtschaft) und der beginnenden äußeren Expansion (Österreich, CSR) „auch die zunächst von den vordersten Positionen abgedrängten Konzerngruppen" reaktiviert worden. Noch vor Kriegsausbruch hätten sie „teilweise ihren staatsmonopolistischen Einfluß bzw. dafür günstige Ausgangspositionen'89) zurückerlangt.
Für die sowjetmarxistischen Autoren gilt es mithin als erwiesen, daß die faschistische Herrschaftsstruktur in jeder Phase des Dritten Reiches an ihre imperialistisch-kapitalistische Basis gebunden war. Weit davon entfernt die Voraussetzungen für einen Primat des Politischen geschaffen zu haben, bestätigt ihrer Meinung nach.der 1936 erfolgte Führungswechsel innerhalb der Oligopols vielmehr die These, daß „die großen Monopole nicht nur allein an (der) Aufrüstung profitierten, sondern daß sie selbst die Aufrüstungspolitik in ihren entscheidenden Phasen vorgezeichnet, in den hauptsächlichen Entwicklungslinien bestimmt und deren Durchführung größtenteils dirigiert haben. Sie haben den staatsmonopolistischen Regierungsapparat der Rüstungswirtschaft selbst geformt und ständig vervollkommnet und die entscheidenden Positionen in ihnen eingenommen."
Auch wenn das Verdienst der sowjetmarxistischen Historiographie ist. das unbestritten Verhältnis von Ökonomie und Politik bereits zu einem Zeitpunkt thematisiert zu haben, als die westliche Forschung noch eindeutig im Bannkreis der sog. identifizierenden Totalitarismustheorie stand — deren charakteristisches Merkmal gerade darin zu sehen ist, von der Frage nach dem strukturellen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus abzulenken —, sind bedeutende analytische Schwächen dieses Ansatzes nicht zu übersehen. Zwar können die sowjetmarxistischen Autoren zeigen, daß in vielen westlichen Arbeiten die von der Wirtschaft gesetzten Bedingungen, unter denen die Faschisten politisch agieren mußten, unterschätzt worden sind. Gleichwohl bleiben ihre Hauptthesen weithin eher ideologische Behauptungen, so lange ihre Funktion darin gesehen wird, die mechanistische Zuordnung von Basis und überbau, die mehr einen dogmatisch-voluntaristischen als einen wissenschaftlich ausgewiesenen Charakter hat, zu illustrieren.
Es dürfte kein Zufall sein, daß die monokausale Zuordnung von bürgerlicher Demokratie sowie von halbfaschistischen und faschistischen Herrschaftsformen zur identischen staatsmonopolistischen Klassenstruktur — die die Einheitlichkeit der bürgerlich-imperialistischen Epoche verbürgen soll — zu Tatsachenfeststellungen führt, die erst noch zu beweisen wären. So behauptet Czichon kategorisch, Konflikte innerhalb der Monopolbourgeoisie müßten a priori, weil auf den Gesetzen der Konkurrenz basierend, zu einem „finish" führen, das einerseits die Homogenität der Gesamtklasse unangetastet läßt und andererseits »jedes Gleichgewicht schließlich aufhebt und... eindeutig eine Führungsgruppe etabliert Dieses »Axiom“ selber hätte kritisch mit der konkreten innen-, außen-und rassenpolitischen Willensbildung des nationalsozialistischen Regimes konfrontiert werden müssen. Statt dessen rekurrieren die sowjetmarxistischen Autoren vorzugsweise auf Pläne und Absichten der einzelnen Industriellen selbst, ohne den Erklärwert solcher Dokumente (also Denkschrif-
ten, Briefe etc.) zu hinterfragen. Davon abgesehen, gilt es durchaus noch zu klären, »ob diese Pläne tatsächlich verwirklicht wurden"
Zweifellos hat die mechanistische Zuordnung des „Überbaus zur Basis" als die entscheidende gedankliche Voraussetzung für das Agentur-Theorem ihre Entsprechung in der mit großem dokumentarischen Aufwand betriebenen Klärung der subjektiv-politischen Präferenz führender Industrieller in den Jahren von 1930 bis 1945. Diese in der konkreten Forschungspraxis zu beobachtende Hinwendung zu einem „linken Historizismus" (E. Hennig), für die nicht der dialektische Bezug zwischen einem gesamtgesellschaftlich orientierten theoretischen Rahmen und der empirischen Mannigfaltigkeit des historischen Prozesses, sondern die nachträgliche „Bestätigung" bereits vorweg bestimmter „Resultate" charakteristisch ist, zeigt sehr deutlich das Dilemma der sowjetmarxistischen Historiographie. In dem Maße nämlich, wie die Einordnung des Faschismus in ein differenziertes epochales Geschichtsbild Marxscher Prägung als Tatsachenfeststellung nur behauptet, nicht aber geleistet wird, tritt eine Moralisierung der Geschichte in den Vordergrund, „die der Theorie des historischen Materialismus — wenn auch nicht immer seinem Urheber selber — fremd ist
Es ist im Rahmen dieses Ansatzes denn auch kein Zufall, wenn Czichon die Situation unmittelbar vor der faschistischen Machtübernahme in Deutschland mit dem Bild illustriert, es hätte in diesem Augenblick „ein Satyrspiel von Intrigen seinen Höhepunkt erreicht. Die Einzelheiten dieses schaurigen geschichtlichen Dramas sind atemberaubend primitiv und niveaulos, aber in ihnen vollzog sich das Schicksal von Millionen Menschenleben, indem sich der Spruch realisierte, den eine Mehrheit deutscher Industrieller, Bankiers und verschuldeter Großagrarier gefällt hatte. Als vielleicht notwendiges Korrelat eines „linken Historizismus“ muß der Rekurs auf personalisierende und moralisierende Kategorien als Indiz dafür gewertet werden, daß auch in der sowjetmarxistischen Analyse eine materialistisch fundierte Klärung des Verhältnisses von Kapitalismus und Faschismus entgegen ihrem eigenen Anspruch nicht geleistet worden ist.
III. Der Faschismus als tendenziell verselbständigte Exekutive
1. Das Bündnis zwischen Großindustrie und Faschismus vor 1933
Wie wir sahen, konnte der Aufstieg des Nationalsozialismus weder mit dem sowjetmarxistischen Manipulationstheorem noch mit jenen Ansätzen überzeugend gedeutet werden, die einen systematischen Zusammenhang zwischen der faschistischen Machtergreifung und dem Bündnis zwischen der Großindustrie und Hitler überhaupt leugnen. Demgegenüber versuchen die in diesem Abschnitt vorgestellten Arbeiten zu einer differenzierteren Bestimmung des Verhältnisses von Großindustrie und Nationalsozialismus vor 1933 zu gelangen. Wie einerseits die faschistische Massen-bewegung keineswegs als ein künstlich erzeugtes Produkt reaktionärer Monopolherren erscheint, sondern ihre Entstehung an der gesellschaftlichen Struktur Deutschlands Ende der zwanziger Jahre festgemacht wird, so versuchen sie andererseits die Verharmlosung des Aufstiegs Hitlers zur Macht zum bloßen „Verkehrsunfall der Geschichte" zu vermeiden und die strukturellen Voraussetzungen dieses Ereignisses zu betonen.
Wichtig ist nun, daß sich der Aufweis dieser Bedingungen implizit oder explizit an dem Konzept des „Klassengleichgewichts" orientiert, das — wenn auch jeweils in charakteristischer Ausprägung — von zeitgenössischen Autoren wie Bauer 94a), Trotzki 94b) und Thalheimer 94c) vertreten wurde: Wie sich -ei nerseits das Proletariat als zu schwach erwies, am Ende der Weimarer Republik die Macht zu erringen, so fühlte sich andererseits die deutsche Bourgeoisie nicht mehr stark genug, mit Hilfe ihrer im Parlament vertretenen Repräsentanten die Bedingungen für Reproduktion des deutschen Kapitalismus zu garantieren. Es entstand ein politisches „Machtvakuum", in das die Vertreter der faschistischen Massenbewegung stießen, nachdem sie den Repräsentanten der alten traditionellen Eliten glaubhaft machen konnten, daß deren soziale Macht, d. h. also deren private Verfügung über die Produktionsmittel, unangetastet bleibe. Um also ihre gesellschaftliche Herrschaft behaupten zu können, mußten die Oberschichten den Nationalsozialisten den „Primat des Politischen" konzedieren, der sich freilich, wie noch zu zeigen sein wird, von 1933 bis 1936 anders darstellte als in der Zeit danach.
Wie schon angedeutet wurde, impliziert dieser Ansatz, daß die Entstehung der faschistischen Massenbewegung in Deutschland nicht durch die Hypothese erklärt werden kann, sie gehe zurück auf eine gezielte Strategie der reaktionärsten Teile der Monopolbourgeoisie. So wies Hallgarten bereits darauf hin, daß die Industriellen die nationalsozialistische Bewegung keineswegs „gemacht“ hätten, auch wenn Hitler von Teilen der Großindustrie kraftvoll unterstützt worden sei. Andererseits läßt er aber keinen Zweifel daran, daß die faschistische Massenbewegung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die faschistische Machtergreifung war: in letzter Instanz ermöglicht wurde sie erst durch ein Bündnis relevanter Teile der Oberschicht mit der NSDAP. Zwar kam es Hall-garten zufolge vor der Wirtschaftskrise 1929 nur zu einer punktuellen Zusammenarbeit zwischen den Nationalsozialisten und der Großindustrie, „und auch dann nur allmählich in einzelnen Schritten" Erst die durch den Osthilfeskandal und den Fall Gelsenkirchen erfolgte Verunsicherung großer Teile der Industrie und der Großagrarier habe Hitler wertvolle Trümpfe in die Hand gespielt. Dennoch seien große Teile der Schwerindustrie selbst zum Zeitpunkt des Kabinetts Schleicher noch immer weit davon entfernt gewesen, „den Nazis ihre einstimmige und uneingeschränkte Unterstützung zu geben." Audi wenn die unabhängigen Produzenten über Schleichers Kurs, der sich um Rückendeckung bei den Sozialisten im Reichstag bemühte, bestürzt waren, „fürchteten sie doch die wirtschaftliche Diktatur der Männer um den Stahlverein viel zu sehr, um mit ihren politischen Wünschen einverstanden zu sein“
Der große Umschwung kam dann aber nach den Wahlen vom 31. Juli 1932, als die finanzielle Situation der NSDAP ihren Tiefpunkt erreicht hatte und die Partei von der Spaltung bedroht wurde. „Zum Glück für Hitler war der gemäßigte Flügel der Großindustrie, der von Papen unterstützte, kaum weniger daran interessiert, einen völligen Zusammenbruch der Partei zu verhindern, als die Hitlerenthusiasten um die Vereinigten Stahlwerke." Angesichts der Politik von Schleichers, „die wahrscheinlich einen Schlag für die Junker und die Großindustrie als Ganzes bedeutete, war die Papengruppe mit ihrem Zentrum im Herrenclub bereit, auf Kompromißvorschläge ihrer zu Nazis gewordenen Kollegen zu hören“ Dies, so Hallgarten, sei der Hintergrund des Treffens zwischen von Papen und Hitler am 4. Januar 1933 im Haus des Kölner Bankiers Curt von Schröder gewesen, das Hitlers Aufstieg zur Macht sicherte.
Auch Arthur Schweitzer unterstreicht den „autonomen“ Charakter der radikalisierten mittelständischen Schichten, aus denen sich die Massenbasis der Nationalsozialisten rekrutierte. Insbesondere deren antikapitalistische Stimmung habe es den Nationalsozialisten ermöglicht, alle mittelständischen Gruppen für ihre Politik zu gewinnen. Deren erfolgreiche , Nazifizierung‘ ist Schweitzer zufolge auf drei Faktoren zurückzuführen: There were, first, the intense animosity that many paesants or artisans feit towards the la-bor movement; second, the lack of democratic ideals and the indifference of many middle groups (between Capital and labor) to the Weimar Republic; and, finally, the widely feit preference for a preindustrial way of life. These three factors gave the growing radicalism of the middle dass a counterrevolutionary direction that was beneficial to the Nazis.“ Gleichwohl geht auch Schweitzer davon aus, daß ohne aktive Unterstützung der Oberschicht die nationalsozialistische „Machtergreifung" nicht möglich gewesen wäre. Ausdrücklich betont er: „The Great Depression and the Nazification of the middle dass were necessary — but not sufficient — causes for the rise of the Nazi System." Er nennt drei zusätzliche Bedingungen, die es den Nazis ermöglicht hätten, an die Macht zu gelangen, ohne einen offenen Bürgerkrieg zu riskieren: „The first was the unification of the upper dass into a single power bloc dedi-cated to overcoming the depression by promoting a political dictatorship. Of equal importance were the allianc which the generals, big business, and the landowners had used their influence to restore between the two par-ties, the NSDAP and the DNVP and the tie-in between these Parties and the upper dass. Finally, as parliament lost its power because of a Nazi-Communist majority, the subsequent presidential government came under the ef-fective control of the various segments of upper dass. This power bloc had captured the government prior to the rise of the Nazis.“
Schweitzers These, daß sich Big Business und Großgrundbesitz, die bis 1931 in zwei große Gruppen zerfallen gewesen seien, sich aber am Vorabend des Dritten Reiches zu einem einzigen Machtblock vereinten, um die Depression mit Hilfe der politischen Diktatur zu überwinden, ist freilich in sich selber problematisch. Sie wirft nämlich die Frage auf, „ob nicht gerade die Existenz eines solchen Machtblocks für die , upper dass'die Delegierung der politischen Macht an Hitler überflüssig gemacht hätte; ob nicht eher Rivalitäten und Unsicherheiten in der Oberschicht Hitler den Weg zur Macht gebahnt haben" In der Tat kann Dieter Petzina in seinem Aufsatz „Hauptprobleme der deutschen Wirtschaftspolitik 1932/33" zeigen, daß es weder unmittelbar vor noch nach der „Machtergreifung" eine monolithische Oberschicht in Deutschland gab. Vielmehr erkläre der Konflikt zwischen industriellen und agrarischen Interessen teilweise sogar Hitlers Politik der „Aufrüstung großen Stils“ als Vermittlung zwischen diesen Interessengegensätzen. „Steigende Rüstungsaufträge verwiesen die Unternehmer auf den Binnenmarkt, d. h. machten sie vom Export unabhängiger, so daß die Wirtschaftspolitik den Agrarprotektionismus verstärken und gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten in der Industrie erhöhen konnte"
Dies vorausgesetzt, könnte gegen Schweitzer die These formuliert werden, daß die Nationalsozialisten erst mit politischen Mitteln die Industrielien-Agrarier-Koalition, die sich bekanntlich erstmals 1879 formiert hatte, reaktivierten. Genau von dieser Beobachtung geht Tim Mason bei seiner Bestimmung des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus aus. Abgesehen von dem prinzipiellen Dilemma der Weimarer Republik, „keine dauerhaften Kompromisse zwischen den in ihr verfaßten gesellschaftlichen Klassen und Interessen und ihren politischen Gruppierungen zustande" zu bringen, sei die entscheidende unmittelbare politische Voraussetzung für das Zusammengehen der Oberschicht mit den Nationalsozialisten die Tatsache gewesen, „daß auch die Besitzenden unter sich nicht einig waren: unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise fiel das — schon durch den ersten Weltkrieg und die Inflation schwer erschütterte — politische und soziale Gefüge des bürgerlichen Deutschlands erst recht auseinander“ Das Dilemma am Ende der Weimarer Republik, das sich die Nationalsozialisten zunutze machten, habe zwei Aspekte einbegriffen: einerseits den Zerfall des deutschen Bürgertums in seine elementaren politischen Gruppierungen, nachdem die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA unmöglich geworden war; andererseits die politische Aktualisierung der Klassengegensätze angesichts der massiven Arbeitslosigkeit.
Die dergestalt ins Stocken geratene gesellschaftliche Reproduktion konnte, so Mason, nur von einer Regierung wieder in Gang gebracht werden, die stark genug war, die folgenden Forderungen politisch durchzusetzen: „ 1. die auseinanderklaffenden Interessen von Schwer-und Konsumgüterindustrie auszugleichen und die Sonderinteressen der Landwirtschaft zu wahren; 2.der Wirtschaft allgemeine , Ruhe und Ordnung'zu verschaffen; 3.den Lebensstandard der breiten Bevölkerung vorerst auf dem Krisenniveau festzuhalten — das hieß effektiv Ausschaltung der Gewerkschaften, denn die Periode eines zyklischen Aufschwungs ist bekanntlich die einer erhöhten gewerkschaftlichen Aktivität; 4. eine strenge Bewirtschaftung der sehr knapp gewordenen Devisen durchzusetzen; 5.der tief verwurzelten Inflationsangst im Volk wirksam entgegenzutreten, um somit eine staatliche Kreditexpansion zu ermöglichen"
Spätestens als Schleicher mit ADGB und SA verhandelte, so Mason, wurde der Schwerindustrie klar, daß diese Bedingungen nur die NSDAP erfüllen konnte. Während unter den Bedingungen einer stabilen liberalen Demokratie ein dem Kapital erträglicher Ausgleich mit den Interessen der Arbeiterklasse und ein Konsens der stärksten Meinungsorgane in Grundsatzfragen notwendig und möglich sei, habe die Funktion des Nationalsozialismus am Ende der Republik gerade darin bestanden, „den fehlenden Ausgleich, den fehlenden Konsens, also eine neue Gesamtrepräsentation des Volks, mit politischen Mitteln herzustellen; und das hieß 1933 mit offener Gewalt“ Dieser fehlende gesamtgesellschaftliche Konsens, so lautet die These Masons, der, die privilegierten Interessen insbesondere der Großindustrie optimal berücksichtigend, für die Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft Ende der zwanziger Jahre konstitutiv war, sei es gewesen, der 1933 die faschistische Machtergreifung ermöglichte.
Darauf, daß in der Tat das „Bündnis“, das die Großindustrie und die mit ihr liierten Gruppen innerhalb der Oberschicht mit den Nationalsozialisten einging, aus strukturellen Gründen der Kapitalverwertung erfolgte, hatte bereits Sohn-Rethel in den dreißiger Jahren hingewiesen. Da seine erst kürzlich veröffentlichten Analysen der Entstehung und Funktion des deutschen Faschismus zu den wenigen marxistischen Arbeiten gehören, deren Autor aufgrund seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Büro des „Mitteleuropäischen Wirtschaftstages e. V.'in Berlin während der entscheidenden Jahre vor und nach der „Machtergreifung" „ungestört Einblick in wichtige interne Vorgänge und politische Überlegungen verschiedener Kapitalfraktionen erlangte" muß auf sie detaillierter eingegangen werden. Ausgangspunkt der Analyse Sohn-Rethels ist das strukturelle Dilemma, in das große Teile der deutschen Großindustrie während der Rationalisierungsphase (1924/25— 1929) geraten seien 112a). Diese Rationalisierung (Einführung der Fließbandarbeit, Automatisierung etc.), der ein Übergang von der „freien" zur „gebundenen" kapitalistischen Wirtschaft in Form von Kartellen, Trusts und anderen Mo-nopolgebilden sowie eine wachsende Vielfalt staatlicher Wirtschaftsfunktionen entsprach, habe bewirkt, daß aufgrund der technologischen Innovationen der Anteil der fixen Kosten am Produktionsprozeß immer größer wurde, während die proportionalen Kosten, die sich am Umfang der Produktion orientieren, kontinuierlich zurückgingen. Die extreme Krisenanfälligkeit dieser neuen Produktionsökonomie, die sich bald nach 1929 zeigen sollte, resultierte aus folgendem „Dilemma der Rationalisierung“: „Wenn die Nachfrage groß und die Preise hoch waren, erzeugten die Anlagen die Produkte zu billigeren Kosten als je zuvor, denn dann liefen sie auf vollen Touren. Fiel die Nachfrage, so daß die Preise sanken, dann stiegen die Kosten je Produktionseinheit in geometrischer Progression jenseits aller Kontrolle, wenn das Produktionsvolumen entsprechend der Nachfrage abnahm. Preise und Kosten bewegten sich umgekehrt proportional statt parallel zueinander." Zwar werde heute die Unvereinbarkeit von Markt-und Produktionsökonomie, die jenes Dilemma hervorbringe, durch Planung und Programmierung der großen Privatkonzerne in dem Sinne kompensiert, daß von vornherein durch die geplante Verklammerung beider Ökonomien die Widersprüche zu überbrücken versucht werden. In der historischen Situation der zwanziger Jahre jedoch, in der diese Krise als ein Novum angesehen werden mußte, „befand sich die neue Ökonomie des Arbeitsprozesses noch in ihrer Gründerzeit und steuerte blindlings und ahnungslos in das ökonomische und gesellschaftliche Chaos hinein, das aus dem unvermittelten Zusammenstoß der beiden Ordnungen resultierte“
Welche Wege standen nun Ende der zwanziger bzw. Anfang der dreißiger Jahre zur Lösung der Krise offen? Sohn-Rethel läßt keinen Zweifel daran, daß die durch das „Dilemma der Rationalisierung“ hervorgerufene Krise in der Endphase der Weimarer Republik „die tragenden materiellen Elemente einer sozialistischen Produktionsweise im Schoße des Kapitalismus" sichtbar machte. Hätte die Arbeiterbewegung an die systemsprengende Dialektik, die die kapitalistische Entfaltung der Produktivkräfte selber aus sich hervor-trieb, erfolgreich anknüpfen können, so wäre -der Kapitalismus damals überwunden und beseitigt" worden. „Aber wenn die
Mächte versagen, die ihm auf dem politischen Wege der sozialen Revolution in seiner Existenzkrise den Garaus machen könnten, so muß die anonyme Kausalität des Verhängnisses ihren Gang nehmen und ihre mörderischen Konsequenzen gebären" Dadurch nämlich, daß „seine metakapitalistischen oder, sagen wir, sozialistoiden Elemente in die Bedingungen des Kapitalismus eingeschlossen" blieben, wurde dessen Krise in Deutschland in seinem eigenen Sinne gelöst, indem er „aus dem Geleise der ökonomischen Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums" heraussprang „und die Bahn der Vernichtungsökonomie" einschlug.
Diese Transformation wird von Sohn-Rethel mit dem Übergang von der relativen zur absoluten Mehrwertproduktion erklärt. Die relative Mehrwertproduktion ist dadurch charakterisiert, daß sie Waren erzeugt, die strukturell an den Absatz auf dem Markt gebunden sind und damit zugleich an die konsumtive Kaufkraft. Demgegenüber ist die absolute Mehrwertproduktion mit der Erzeugung eines Mehrprodukts verklammert, „das in seiner Endgestalt zu seiner Verwertung nicht auf den Markt, d. h. in letzter Instanz auf eine Steigerung der konsumtiven Kaufkraft, angewiesen wäre. Das Mehrprodukt muß vielmehr durch seinen Verkauf (an den Staat) aus dem Markt herausfallen oder darf durch seinen Verkauf auf dem Markt höchstens an die Stelle von konsumbezogenen Waren treten, die inzwischen ausfallen."
Daß die absolute, im Gegensatz zur relativen, Mehrwertproduktion nicht im Rahmen einer bürgerlich-pluralistischen Demokratie realisiert werden kann, liegt auf der Hand, zumal für sie die terroristische Ausschaltung der Organisationen der Arbeiterbewegung conditio sine qua non ist. Die aus der absoluten Mehrwertproduktion resultierende Möglichkeit, unabhängig von der Marktlage, d. h. nichtreproduktive Güter vor allem in Form von Rüstungsmaterial, zu erzeugen, bedarf vielmehr „einer Staatsmacht, die die Bezahlung für solche Produktion der Bevölkerung aufzwingt" Damit ist die Funktion des Faschismus für das kapitalistische System in der Sicht Sohn-Rethels bestimmt: Nachdem es der Arbeiterbewegung nicht gelang, die vom Kapitalismus selber hervorgebrachten und auf dessen Überwindung angelegten materiellen Elemente für die Etablierung des Sozialismus zu nutzen, mußte der Faschismus im kapita-livischen Kontext die Akkumulationsrate mit terroristischen Mitteln steigern und komplementär dazu die Konsumtionsrate gewaltsam niederhalten Da am kapitalistischen System in Deutschland festgehalten wurde, gab es Sohn-Rethel zufolge zur absoluten Mehrwertproduktion und damit zum Faschismus keine Alternative: Der Übergang zur „Vernichtungsökonomie" wäre nur zu vermeiden gewesen, wenn „die einseitig in den Händen der drei großen Demokratien monopolisierte Weltreserve an Investitionskapital" ihre Funktion „international erfüllt“ hätte, nämlich Investitionskredite in die übrige Welt auszustrahlen. Dies sei aber seit 1931 nicht mehr der Fall gewesen. Andererseits betont auch Sohn-Rethel, daß die deutsche . Monopolbourgeoisie'ihre eigene . Faschisierung’ keineswegs einheitlich vollzog. In den für diesen Prozeß entscheidenden Jahren 1931 und 1932 sei die deutsche Großindustrie deutlich in zwei Lager gespalten gewesen. Die eine Fraktion, gewöhnlich unter den Begriff „Exportindustrie“ subsumiert, habe sich im sog. Brüning-Lager politisch organisiert; die andere Gruppe, die sog. Autarkisten, schloß sich politisch im „Harz-burger Lager“ zusammen. Obwohl beide Fraktionen ökonomisch ein identisches Ziel verfolgten, nämlich die Expansion auf dem Weltmarkt, unterschieden sie sich eindeutig in der Wahl ihrer Methoden. Die neuen Industrien nämlich strebten einen Ausweg aus der Krise auf der Grundlage der relativen Mehrwertproduktion an, weil sie aufgrund eigener Monopolstellungen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt durchaus gewachsen waren. Demgegenüber war die Montanindustrie von der Weltwirtschaftskrise einerseits und der selbst-erzeugten Rationalisierungskrise andererseits so stark getroffen, daß sie nur in einer entschlossenen Politik der Aufrüstung eine Lösung ihrer Probleme sah.
Wenn dem aber so ist, muß die Frage beantwortet werden, wie es kam, daß die ökonomisch stärkere Gruppe, nämlich das Brüning-Lager, politisch der wirtschaftlich bankrotten Fraktion der Harzburger Front unterlag. Sohn-Rethel nennt zwei Ursachen für diese Entwicklung: Die Politik des Brüning-Lagers, mit traditionellen Mitteln der Wirtschaftskrise Herr zu werden, mußte scheitern, weil sie kurzfristig keine Lösung anzubieten hatte, wie sie mit dem Problem der etwa sieben Millionen Arbeitslosen fertig zu werden gedachte. Außerdem war „Deutschland als Schuldnerland für eine erneute marktökonomische Prosperität auch auf einen erneuten ausländischen Kapitalstrom angewiesen ..., wofür ... für absehbare Zeit kaum Aussicht bestand“ Für beide Probleme aber hatte die Harzburger Front mit ihrem Konzept der Aufrüstung eine kurzfristig wirksame politische Antwort. Unter dieser Voraussetzung ist es in der Tat plausibel, wenn Sohn-Rethel das Fazit zieht, „daß die ökonomisch intakten Teile der deutschen Wirtschaft politisch paralysiert waren und nur die ökonomisch paralysierten Teile politische Bewegungsfreiheit besaßen. Und von dieser Bewegungsfreiheit wurde von allen defizitären Elementen nachhaltiger Gebrauch gemacht.“ Ihr politischer Handlungsspielraum wurde im übrigen noch dadurch erweitert, daß auch die neuen Industrien die defizitären Branchen „nicht in Liquidation gehen lassen“ konnten, „weil dieses Defizit so groß war, daß seine Aufrechnung aus Gründen der Kapitalverflechtung und der politischen Gefahr der Arbeitslosigkeit etc. für sie untragbar war, die Gesamtherrschaft der Klasse aufs Spiel gesetzt hätte" Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Sohn-Rethel bemerkenswerte analytische Perspektiven aufreißt, die das Verhältnis zwischen der Großindustrie und der Etablierung des faschistischen Herrschaftssystems in strukturellen Zusammenhängen begreift, ohne einer ökonomischen Monokausalität oder einer personalisierenden Apologie das Wort zu reden. Indem Sohn-Rethel konsequent das analytische Zentrum seiner Untersuchung in den Reproduktionsschwierigkeiten des deutschen Kapitalismus lokalisiert und von hier aus die politische Differenzierung innerhalb der herrschenden Klasse interpretiert, unterscheidet er sich in zwei wesentlichen Aspekten von der sowjetmarxistischen Interpretation: Einerseits deutet er im Unterschied zu dieser die einzelnen Monopolgruppen keineswegs als reine Machtgebilde, deren Politik mit kriminalistischem Scharfsinn in ihrer Motivation und Auswirkung zu rekonstruieren wäre. Andererseits korrigiert Sohn-Rethel die Komintern-Definition des Faschismus in einem entscheidenden Punkt. Im Gegensatz zu dieser kommt er nämlich, wie dargelegt, zu dem Resultat, daß der Faschismus keineswegs als „die obere Vollendung des Finanzkapitalismus" angesehen werden kann; denn „er ist im Gegenteil — in der vorigen Krise — bel dem (durch Kriegsverlust, Enteignung des Auslandskapitals und Reparationen) schwächsten Kettenglied des Weltkapitalismus und in ihm wiederum von den ökonomisch schwächsten Teilen der Bourgeoisie herbeigeführt worden" 2. Wirtschaft und Politik im faschistischen Herrschaftssystem Die Bestimmung des Verhältnisses von Ökonomie und Politik unter den Bedingungen des Faschismus an der Macht, wie sie trotz aller Differenzen und kontroversen Deutungen in den hier vorzustellenden Arbeiten vorgenommen wird, versucht sowohl die Fehler der sog. identifizierenden Totalitarismus-Theorie als auch die der im Zeichen der Dimitroff-Definition des Faschismus stehenden Analysen der sowjetmarxistischen Historiographie zu vermeiden. Für sie stellt sich das Verhältnis von Großindustrie und faschistischem Herrschaftsapparat nicht als eine statische Zuordnung dar, innerhalb derer einer der beiden Pole a priori die eindeutige Dominanz innehätte, sondern als Prozeß einer zunehmenden Verselbständigung der von den Faschisten kontrollierten Exekutive, dessen Verlauf in schwerwiegenden Strukturänderungen der bürgerlichen Gesellschaft Deutschlands nach 1933 gesehen wird.
Der analytische Rahmen dieser Untersuchungen läßt sich vielleicht am besten mit dem Hinweis charakterisieren, daß in ihm die Großindustrie von vornherein weder als ein gleichgeschalteter gesellschaftlicher Bereich neben vielen anderen erscheint noch als bloßer Auftraggeber „an seinen NS-Faschismus" (Eichholtz). Dabei liegt allen hier referierten Positionen die Annahme zugrunde, daß sich ab 1936 ein eindeutiger Primat des Politischen herausgebildet habe, der eine Eigendynamik entwickelte, die tendenziell den Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft bzw. ihres Staates sprengte oder zu sprengen drohte. Während freilich Schweitzer und Petzina den »Primat des Politischen" auf der Grundlage eines konflikttheoretisch orientierten Pluralismuskonzepts zu interpretieren versuchen, indem sie die Konkurrenz der Macht-blocke im Dritten Reich „als Ausdruck Hitlerscher , divide-et-impera'-Strategie" (Hennig) begreifen, nähern sich Mason, Sohn-Rethel und Schäfer 127a) mehr den Positionen an, wie sie von F. L. Neumann im „Behemoth" und von E. Fraenkel im „Dual State" in den dreißiger bzw. vierziger Jahren entwickelt wurden: Das antagonistische Nebeneinander von NSDAP, Industrie, Militär und SS wird im Zusammenhang mit den Reproduktionsschwierigkeiten des Kapitalismus in Deutschland nach 1933 interpretiert und gedeutet.
Für die erste Variante des „Primats des Politischen" ist Arthur Schweitzers Untersuchung über „Big Business in the Third Reich" charakteristisch. Schweitzer geht davon aus, daß bis zum Vierjahresplan im Jahre 1936 ein Machtgleichgewicht bestand, das auf einer Koalition zwischen Nationalsozialisten (NSDAP und SS) einerseits und Big Business und Wehrmacht andererseits bestand. Diese Allianz war freilich bis zum sog. Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 nicht ungefährdet: Sie mußte erst gegen die intransigenten Vertreter des „Mittelstandssozialismus" durchgesetzt werden, die eine korporative Umgestaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems forderten. Um die Koalition mit dem Big Business zu ermöglichen, gegen das diese Bestrebungen gerichtet war, kam es zu einer Spaltung innerhalb der NSDAP, die durch eine nachfolgende Säuberung, der die SA-Spitzen zum Opfer fielen, beseitigt wurde. Die Ziele dieser Allianz, so Schweitzer, wurden bis 1936 im großen und ganzen erreicht: die militärische Gleichstellung Deutschlands mit den anderen Großmächten, die politische und ökonomische Autonomie in Verbindung mit militärischer Aufrüstung und wirtschaftlicher Rekonstruktion sowie die Stärkung der kapitalistischen Institutionen. Die aus dieser Koalition resultierende Machtstruktuf ist Schweitzer zufolge durch vier Machtblöcke charakterisiert, nämlich NSDAP, SS, Wirtschaft und Wehrmacht: eine Konstellation, die er als „quadri-partite society" bezeichnet. Jeder Block habe über eine spezifische Einflußsphäre verfügt, die er nahezu uneingeschränkt kontrollierte, auch wenn sich diese Sphären partiell überlappten. Die Großindustrie bewahrte die völlige Autonomie in ihrem Bereich, hatte aber kaum Einfluß auf die ser Spaltung: Big Business verlor seinen kollektiven Konsens gegenüber der NSDAP und konnte in der Krise nur noch auf Lösungsmöglichkeiten reagieren, die von anderen vorgetragen wurden. Zusammenfassend sieht Schweitzer den Zusammenbruch der ursprünglichen Allianz durch folgende Stufen charakterisiert: 1. Die Spaltung innerhalb der Großindustrie hinderte diese daran, ihre ökonomische Macht in Politik umzusetzen; 2. die gleichzeitige Entfremdung zwischen den Generälen und den Spitzen der Großindustrie machte es beiden Gruppen unmöglich, eine gemeinsame Militär-und Wirtschaftspolitik zu betreiben; 3. die Spaltung der Wehrmacht in zwei Fraktionen, nämlich in die Gruppe der Traditionalisten und die der Kollaborateure, paralysierte die Armee so sehr, daß sie dem „challenge" der „von Fritsch-Affaire“ 130a) nicht effektiv begegnen konnte.
„The ultimate effect of these events“, so resümiert „was to prepare undoubtedly the way for the Nazis’ seizure first of the economic and then of the military leadership of the country“ 131).
Es ist oft darauf hingewiesen worden, d
Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß Schweitzer einer der ersten Nachkriegsautoren in der westlichen Welt war, der die These entwickelte, die sog. „Gleichschaltung“ ab 1933 durch die Nationalsozialisten könne keineswegs identifiziert werden mit der Etablierung eines monolithischen Herrschaftssystems, das die Durchsetzung gesellschaftlicher Partikularinteressen, wie etwa die der Großindustrie, per se unmöglich machte. Ungeachtet der Verdienste der Analyse Schweitzers, ist diese These jedoch im Hinblick auf ihre konkrete Ausführung zu Recht kritisiert worden. Seine Konzeption der „quadripartite society", die auf eine Vergröberung von Landwirtschaft Gleichfalls mußte sie den starken Einfluß der Generäle auf die Waffen-herstellung akzeptieren. Umgekehrt beherrschten die Generäle den Verwaltungs-und Befehlsapparat der Armee, übten aber nur eine begrenzte Kontrolle über die Luftwaffe und die wenigen Regimenter der SS aus. Demgegenüber hatte die NSDAP den Primat im politischen und ideologischen Bereich, den Informations-und Erziehungssektor natürlich eingeschlossen. Gleichzeitig sah sie sich aber gezwungen, den Kompetenzbereich der militärischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung bzw.deren Politik in diesen Bereichen zu respektieren.
Angesichts dieser . Bestandsaufnahme“ der frühen Phase NS-Regimes kommt des Tota Schweitzer zu dem Schluß, daß die sog. -litarismustheorie, die das nationalsozialistische Einparteienregime mit der unbeschränkten Herrschaft über alle der Gesellschaft gleichstellt, zumindest für diese Phase nicht zutreffend ist: Sie wird von Schweitzer denn auch im Gegensatz zum . full facism" als „partial facism'bezeichnet. Dieser -unter scheide sich von jenem dadurch, daß in seinem Rahmen die Nationalsozialisten, wollten sie die politische Macht erlangen und behaupten, gezwungen waren, die Autonomie der alten herrschenden Klasse weitgehend zu respektieren. Entscheidend ist nun, daß Schweitzer zufolge nach 1936, als alle selbst gestellten Ziele dieser Koalition verwirklicht waren, das dem „partial facism" zugrunde liegende Machtgleichgewicht zusammenbrach, weil es der NSDAP gelang, zuerst Big Business, dann das Militär zu spalten. Der äußere Auslöser dieser „splits" war, so Schweitzer, die Außenhandelskrise von 1936. Weder die rivalisierenden Monopole noch die Parteiführer und Generäle konnten eine Lösung anbieten, die geeignet gewesen wäre, die Krise auf der Grundlage der alten Koalition beizulegen. Während ein Teil von Big Business unter der Führung der IG Farben für einen stärkeren Ausbau der synthetischen Produktion optierte und hierin von den Nationalsozialisten unterstützt wurde, forderten Teile der Schwerindustrie und der Militärs eine Intensivierung des Stahlexports. „The split within business thus centered in the issue of whether expansion should be used to create new markets at home or abroad — of whether a policy of economic imperialism should be set up immediately or only after the building up of syn-thetic Industries at home“ 130). Genau so wichtig aber ist die politische Dimension die-Fraenkels . Dual State'hinauslaufe, so argumentiert z. B. Radkau, könnte bestenfalls als Hilfskonstruktion, nicht aber als Ersatz für eine eingehende Darstellung gelten. Wenn Schweitzer beispielsweise im Sinne seines Modells . einen tiefen Graben" zwischen Armee und Großindustrie einerseits und NS-Be-wegung und SS andererseits konstruiere, so laufe seine Konzeption am Ende auf eine subtile Entnazifizierung der Oberschicht hinaus.
In der Tat ist eine deutliche Ambivalenz in der Einschätzung der alten Eliten im Rahmen der Analyse Schweitzers nicht zu übersehen. Einerseits betont er, wie bereits dargelegt, die aktive Schuld der deutschen Oberschicht an der Machtergreifung Hitlers, andererseits vertritt er jedoch die These, die deutschen Kapitalisten hätten sich gegen den Terror des Nationalsozialismus dadurch geschützt, daß sie deren Anführer in Sold nahmen. Demgegenüber muß allerdings gefragt werden, ob . die NS-Bewegung von außen in die Welt des Privatkapitalismus hinein(brach), wie ein No-madensturm oder eine verirrte Soldateska“ Unter dieser Prämisse blende Schweitzer nicht nur die Tatsache aus, daß der Nationalsozialismus von Anfang an auch von Mitgliedern der Oberschicht unterstützt wurde, weil er mit wesentlichen Zielsetzungen derselben konform ging. Gleichzeitig überschätzte er auch im Rahmen seines Modells, innerhalb dessen er die Nationalsozialisten als einen autonomen Machtblock interpretiere, die politische Potenz der NSDAP. Die Macht des Nationalsozialismus, so Radkau, habe nicht so sehr auf der Parteiorganisation beruht, als vielmehr auf seiner Fähigkeit zur Manipulation bestehender politischer Potenzen, etwa der Bürokratie, der Wirtschaftsverbände und der Militärführung. Prinzipiell unfähig, die Gesellschaft von Grund auf neu zu formen und sich an die Stelle der bisherigen Mächte zu setzen, müsse mit Kühnl gefragt werden, ob nicht das Bündnis mit der Oberschicht für jeden Faschismus, nicht nur für den . partial facism“, konstitutiv sei
Damit ist übergeleitet zu Schweitzers problematischer idealtypischer „Unterscheidung" zwischen „partial facism“ und „full facism". Auf methodologischer Ebene wird gegen sie eingewandt, daß sie im Grunde eine willkürliche Differenzierung darstelle: „statt aus den empirischen Phänomenen Idealtypen zu ent-wickeln, wird hier die Wirklichkeit als unvollkommene Realisierung eines vorgefaßten Idealtypus von (Faschismus'charakterisiert, ohne ausführlich darauf einzugehen, woher dieser Idealtypus bezogen ist, ob aus der späteren Entwicklung NS-Deutschlands oder aus anderen faschistischen Staaten" Außerdem beruht, wie ein anderer Kritiker hervorhebt, die Unterscheidung von „partial facism"
und „full facism" auf einer problematischen Annahme: der Hypothese nämlich, daß organisierter Kapitalismus und „partial facism"
nebeneinander hätten existieren können. Eben dieser Schluß aber erscheint problematisch, zumal vieles dafür spricht, daß die Koalition ab 1936 nicht trotz, wie Schweitzer annimmt, sondern wegen der Erfüllung ihrer Ziele zusammenbrach. In dem Maße, wie Schweitzer in diesem Zusammenhang von der sich verändernden In-
teressenkonstellatlon innerhalb der Oberschicht abstrahiert, versucht er die Machterweiterung der Nationalsozialisten ab 1936 personalisierend zu deuten: „if the German upper dass had developped leaders with the necessary will and organizational ability to defend their position of power effectively against the Nazis“ hätte der „partial facism" sich angeblich durchhalten können. Demgegenüber muß allerdings gefragt werden, ob der umgekehrte Schluß nicht näher liegt: „Die während des Booms bis 1936 vereinten divergierenden Interessen des Kapitals mußten notwendig bei Erreichung der Vollbeschäftigung, Ausnutzung aller Kapazitäten und der durch eine ausschließlich auf Rüstung orientierte Politik entstandenen Krise auseinander-fallen und so der Partei die Chance weiterer Machtkonzentration bieten." Mit anderen Worten: Träfe dies zu, so hätte Schacht als anerkannter „Führer" von Big Business durch seine Politik bis 1936 selbst die Voraussetzungen für seinen eigenen Sturz geschaffen. Auch für Dieter Petzina ist die entscheidende. Zäsur für die Umorientierung des Verhältnisses von Großindustrie und Nationalsozialismus das Jahr 1936. Vor diesem Zeitpunkt sei die Entscheidung, ob Wiedereingliederung in den Weltmarkt oder Autarkiekurs, nicht notwendig gewesen. „Erst die auftretenden Engpässe bei industriellen Kapazitäten und Produktionsfaktoren ließen bei dem gegebenen Ziel schneller Aufrüstung den wirtschaftspolitischen Kurs zum Problem werden. Die Strategiemilitärischer Expansion, verbunden mit einer schweren Außenhandelskrise im Sommer 1936, ließ die Parteiführung sich für die Konzeption der wirtschaftlichen Autarkisie-
rung entscheiden.“ Wichtig für diese Umorientierung sei es gewesen, daß „die politischen Interessen der nationalsozialistischen Führung an innerer Militarisierung und wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung .. . mit dem Interesse eines gewichtigen und schließlich des stärksten und einflußreichsten Teils der deutschen Wirtschaft am Aufbau einer neuen profitablen Industrie und der an Einflußnahme auf die staatliche Wirtschaftspolitik" zusammenfielen. Diese Koalition habe, worauf schon Schweitzer hinwies, die Großindustrie in zwei rivalisierende Flügel gespalten, nämlich die Schwer-und Montanindustrie auf der einen und die Chemie-und Elektroindustrie, die im Rahmen des Vierjahresplanes dominierten, auf der anderen Seite. Damit sei zugleich ein entscheidender Wandel eingetreten, weil „vorher trotz verschiedener Einzelinteressen doch insofern eine einheitliche Front innerhalb der Privatwirtschaft vorhanden gewesen war, als man versucht hatte, gemeinsam seinen Einfluß innerhalb des Staates und der Gesellschaft zu erhalten“ Die Spaltung der Wirtschaft, so lautet Petzinas zentrale These, ermöglichte es der nationalsozialistischen Führung, mit Hilfe der mit der staatlichen Wirtschaftsleitung kooperierenden Teile vor allem der Großindustrie ihren Einfluß auf die Gesamtwirtschaft zu verstärken. Auch gelang es ihr schließlich, die Wehrmachtsstäbe aus der Wirtschaftspolitik herauszudrängen. Petzina zufolge reflektierte sich dieser Prozeß in der Organisation und personellen Struktur des Vierjahresplanes. Wie nämlich einerseits unter Mißachtung deutscher Verwaltungstraditionen Industrievertreter wichtige Amtsträger der Wirtschaftspolitik wurden und sich die Unternehmeraktivität insgesamt zu einer quasi-öffentlichen Aufgabe entwickelte — wie dies insbesondere bei den IG Farben der Fall gewesen sei —, so führte andererseits „die personelle und sachliche Verschmelzung industrieller und staatlicher Bereiche ... zu einer Durchdringung der Wirtschaftspolitik“ Es erfolgte also deren Privatisierung „zugunsten großer Monopolgruppen, so daß der Staat in zweifacher Hinsicht — von Seiten des Regimes und von Seiten der Großunternehmer — zersetzt und von einzelnen Macht-gruppen usurpiert werden konnte" Ohne die liberale Marktwirtschaft völlig zu verdrängen, könne man das vom Vierjahresplan geprägte Wirtschaftssystem als „staatliche Kommandowirtschaft“ bezeichnen, sofern man sich bewußt ist, „daß , der Staat'sich in dem vom Vierjahresplan beherrschten Bereich der Wirtschaftspolitik qualitativ geändert hatte und mehr dieser geschilderten Allianz des Regimes mit Teilen der Großindustrie" als „der herkömmlichen Hoheitssphäre glich" Unbestritten ist, daß es Petzina gelingt, -wert volle Einblicke in die Struktur jenes Prozesses zu vermitteln, der sich in Richtung auf die stufenweise Auflösung des bürgerlichen Staates Gleichwohl krankt seine Arbeit
daran, daß in ihr die Wirtschaft „in erster Linie aus der Perspektive des Politikers, des Generals oder des Beamten gesehen (wird), die die Prozesse zu beeinflussen suchten. Die Prozesse selber dagegen kommen viel zu kurz. Markt und Wettbewerb als Organisationsprinzipien der deutschen Wirtschaft in diesen Jahren, die erstrebte Regelung beider durch die Industrie selber, das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Wachstum und wirtschaftlicher sowie politischer Expansion beispielsweise werden nicht eingehend erörtert; darum werden auch die politischen Einflußnahmen auf die Wirtschaft implizit überschätzt. Alle wissenschaftliche Aufmerksamkeit gilt den Lenkungsmaßnahmen, wenig Beachtung hingegen dem ungemein dynamischen Prozeß des öffentlichen Lebens selbst, der gelenkt werden soll: der deutschen Wirtschaft."
Demgegenüber versucht Tim Mason jene nach 1936 einsetzende Auflösungstendenz der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gerade in ihrer Prozeßhaftigkeit zu analysieren. Daß er dies im Rahmen einer marxistisch orientierten Konzeption versucht, dürfte ebensowenig ein Zufall sein wie die Tatsache, daß diese vom Untersuchungsgegenstand selber gesprengt wird. Das Phänomen, das es Mason zufolge zu erklären gilt, sei nämlich „einmalig in der ganzen Geschichte der bür-
gerliche Gesellschaft und ihrer Regierungen seit der industriellen Revolution", daß nämlich „die Inne«-und Außenpolitik der nationalsozialistischen Staatsführung ab 1936 in zunehmendem Maße von der Bestimmung durch die ökonomisch herrschenden Klassen unabhängig wurde, ihren Interessen sogar in wesentlichen Punkten zuwiderlief“ Worauf kann nun nach der Etablierung des faschistischen Herrschaftssystems der sich fortsetzende Verselbständigungsprozeß des Politischen zurückgeführt werden? Genau so, wie „die Machtergreifung des Nationalsozialismus ... auf eine unvermeidliche Zersplitterung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland zurückzuführen (ist)", beruhte nach Mason „der Primat der Politik in seiner ausgereiften Form ,.. auf einer erneuten Zersplitterung in den Jahren 1936— 1938" Der mit dem Vierjahresplan einsetzende Strukturwandel der Wirtschaft habe sowohl einen permanenten Mangel an Rohstoffen als auch an Arbeitskräften zur Folge gehabt. Infolge des nun einsetzenden hemmungslosen Wettbewerbs zwischen den Firmen sei der kollektive Konsens der Großindustrie endgültig verlorengegangen: Die im Rahmen des Vierjahresplanes erfolgte Spaltung betriebswirtschaftlicher Natur zwischen den für die Aufrüstung und den für den Export bzw.den Konsum produzierenden Firmen habe das Ende der geschlossenen Interessenvertretung des deutschen Kapitals eingeleitet. Was es von nun an noch gab, so Mason, seien Sonderinteressen von Firmen bzw. von Wirtschaftszweigen gewesen. In dem Maße, wie auf diese Weise die besitzende Klasse den Sinn für ihr kollektives Interesse verlor, wurde die öffentliche Hand der Interpret des Interesses der Wirtschaft, das heißt, das nationalsozialistische Regime, das sich seinerseits die Zustimmung der Arbeiterschaft zum System durch höhere Löhne erkaufte.
Der Primat der Politik, in dessen Rahmen die Kompetenz der Wirtschaft eindeutig auf das „wie" beschränkt war, reflektiere sich nicht zuletzt in der spezifischen Struktur des faschistischen Imperialismus, der sich in zwei wesentlichen Punkten von früheren imperialistischen Expansionen unterschieden habe: Einerseits sei der wirtschaftliche Bedarf, der durch ihn befriedigt werden sollte, „keineswegs autonomwirtschaftlicher Natur (etwa fehlende Absatz-oder Investitionsmöglichkeiten), sondern politisch stark bedingt gewesen“ Erst die forcierte Aufrüstung der Jahre 1936— 39 habe den Fehlbedarf an grundsätzlichen Produktionselementen verursacht, „der wiederum durch den Krieg verstärkt wurde, gleichzeitig aber auf brutalste Art und Weise befriedigt werden konnte" Andererseits habe es weder konkrete Kriegsziele gegeben noch ein Konzept einer neuen imperialistischen Ordnung Europas, „das sich auf die Bedürfnisse der Wirtschaft stützte — es wurde einfach geplündert, damit der Krieg weitergeführt werden konnte"
Im Gegensatz zu der Einschätzung der sowjet-marxistischen Autoren geht Mason also davon aus, daß dem staatsmonopolistischen Kapitalismus unter dem Faschismus keine Garantie seiner Selbsterhaltung gegeben sei: wie gerade Hitlers Vabanquepolitik zeige, fehle dieser, obwohl zeitweise füg die Industrie ertragreich, auch nur der mittelbare Bezug zu den Erfordernissen der gesellschaftlichen Reproduktion. Wenn deren Sicherung erst im größeren gesamtgesellschaftlichen und politischen Rahmen geleistet werden könne, greife die von der sowjetmarxistischen Interpretation betriebene immanente Analyse der staatsmonopolistischen Mechanismen unter dem Faschismus zu kurz, selbst wenn ein enges kausales Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und außenpolitischen Konzeptionen zwischen 1933 und 1941 oder eine Vorrang-stellung der Wirtschaft in der nationalsozialistischen Okkupation feststellbar sei. Ebenso-wenig wie behauptet werden könne, der zweckrationale Imperialismus allein sei imstande, sich historisch durchzuhalten, könne geleugnet werden, daß in der konkreten Situation Deutschlands Ende der dreißiger Jahre eine vorsichtigere Politik den imperialistischen Interessen lang-als auch kurfristig besser gedient hätte. Unter dieser Voraussetzung müsse sich jede marxistische Analyse der Frage stellen, wieso Hitlers Vabanquepolitik überhaupt möglich wurde; „und diese Fragen weisen wiederum auf den gesellschaftlichen Rahmen zurück, auf die Bedingungen, unter denen die Monopole sich durchzusetzen hatten, auf die Herrschaftsform des Nationalsozialismus“