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Anmerkungen zur Arbeitslehre | APuZ 8/1975 | bpb.de

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APuZ 8/1975 Ziele und Lerngegenstände des politischen Unterrichts zur Vorbereitung auf die Arbeitswelt Anmerkungen zur Arbeitslehre Arbeitslehre — Entstehungsgeschichte und didaktische Problemlage im Zusammenhang mit Berufsausbildung und politischer Bildung

Anmerkungen zur Arbeitslehre

Anne Beelitz

/ 8 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Wirtschaft sieht den Schwerpunkt einer sinnvollen Arbeitslehre in einer sozialökonomischen Information und Orientierung, wobei sie der Formel AWT (Arbeit — Wirtschaft — Technik) positiv gegenübersteht. Die betrieblichen Informationen im Rahmen der Arbeitslehre sollten weniger durch Betriebspraktika als durch Betriebserkundungen, die allerdings in den schulischen Lehrplan integriert sein müßten, vermittelt werden. Gegenüber den Betriebspraktika, die dem einzelnen Schüler nur einen geringen Über-blick über das Berufsangebot und die Arbeitsbedingungen geben, sind die sog. „Aspekt" -Erkundungen zu bevorzugen, da diese die für den Schüler im Hinblick auf seine spätere Berufswahl wichtigsten Problembereiche berücksichtigen. Sinnvoll wäre es, die Arbeitslehre nicht nur auf die Hauptschule zu beschränken, sondern sie auch in die Lehrpläne der Sekundarstufen I und II etwa in Form eines jeweils spezifischen Curriculums aufzunehmen. An der Erarbeitung dieser Curricula sollten jedoch nicht nur die Instanzen der Bildungsbürokratie, sondern auch die Arbeitgeberverbände sowie die Gewerkschaften beteiligt werden.

Das fast unlösbare Problem der Arbeitslehre und ihrer Integration in den schulischen Unterricht begann mit der Erfindung dieses aus der Wortzusammensetzung nicht zu definierenden Begriffs und mit seiner vagen Funktionsbeschreibung in den Empfehlungen des Deutschen Ausschusses zum Aufbau der Hauptschule im Mai 1964. Die Erfinder hatten die Absicht, die Hauptschule neben den anderen weiterführenden Schulen attraktiv zu machen, indem sie ihr ein „didaktisches Zentrum", nämlich die Arbeitslehre gaben, die bis heute nicht zu diesem Zentrum geworden ist, sondern leider bereits begonnen hat, ihre Bedeutung in einigen Ländern und auch in den Planungen des Bundes wieder zu verlieren. Dieser Schultyp sollte einen besonderen inhaltlichen Schwerpunkt erhalten, der aus der Überlegung einer beruflichen Zukunft für die Mehrheit der Hauptschulabgänger an sich sinnvoll in der Hinführung zur modernen Arbeitswelt gesehen wurde. Die Aussagen in der Hauptschulempfehlung hatten dabei noch stark die Anlehnung an eine volkstümliche Bildung, in der „Kopf, Herz und Hand" gleichermaßen betroffen sein sollten. Daneben standen jedoch Forderungen nach einer Vermittlung von „Grundzügen der arbeitsteiligen, rational geplanten maschinellen Produktionsweise der Industrie", und hieran unter anderem entzündete sich eine lebhafte und kritische Diskussion.

Nicht die Bemühungen um eine Hinführung der Schüler an die Wirtschafts-und Arbeitswelt — diese Bezeichnung gab Fritz Holthoff der Arbeitslehre in Nordrhein-Westfalen noch 1968 — sondern der unklare Begriff, die ebenso undeutlichen Inhaltsaussagen über Jahre hinaus und das Desinteresse der amtlichen Stellen daran, mit den Vertretern dieser Wirtschafts-und Arbeitswelt auch nur ein Gespräch zu beginnen, riefen die zum Teil scharfe Kritik der Wirtschaft auf den Plan. Es ist jedoch schlicht unwahrhaftig, wenn heute aus den Reihen der GEW-Führung und der GEW-Forschung behauptet wird, daß die Haltung der unternehmerischen Wirtschaft noch Jahre nach Erfindung des Begriffs in toto abweisend gewesen wäre. Sie richtete sich gegen eine vorgezogene Berufsbildung, wie sie in manchen Planungen erschien; sie wandte sich, gegen das Simulieren von betrieblichen Ernstsituationen in schulischen Rollenspielen, deren Rolleninhalte selbst den Lehrern nicht bekannt sein konnten, da Wirtschaft und Betrieb nie zu ihren wissenschaftlichen Ausbildungsgebieten gehört hatten. Sie kritisierte ein weiteres, das F. Arlt während einer Fachtagung des Gesamtverbandes Niedersächsischer Lehrer bereits 1967 aufgriff, ohne daß in Zukunft leider darüber intensiv nachgedacht wurde. Er meinte „... es ist zweifelhaft, ob man mit den Schülern von echten, unechten, außengelenkten oder von innenbestimmten Konfliktsituationen im betrieblichen Leben überhaupt sprechen kann". Und sie wehrte sich dagegen, daß hier Lehrer plötzlich zu einem Dilettantismus des Unterrichtens verpflichtet werden sollten; denn außer den heute von linken Gruppen vielgeschmähten Arbeitskreisen Schule-Wirtschaft wurde von Amts wegen sehr wenig für die Pädagogen in diesem Bereich getan. Einige Länder zeigten Ansätze, die sie schnell mit der Arbeit Schule-Wirtschaft zusammenführten; andere rühren sich bis heute kaum.

Die Wirtschaft wünschte gedankliche Vorarbeiten vor einer Realisierung — fast eine Selbstverständlichkeit bei der Entwicklung neuer Fachgebiete im Bereich der Pädagogik. Doch was geschah? Es kam zwar zu einigen sinnvollen Modellen konkreter Begegnung der Schüler mit der Arbeitswelt in Erkundungen und Praktika; aber der Streit darum, ob Arbeitslehre als Fach oder als Fach plus Prinzip, das heißt als fächerübergreifender Themenbereich anzusehen sei, geriet fast in den Rang einer weltanschaulichen Auseinandersetzung. Die Vertreter des „Faches" erwarteten durch Aüs-und Fortbildung eine Art von Überlehrer, der sowohl Meister des praktischen Tuns als auch Vermittler wirtschaftlichen und sozialen Grundwissens und darüber hinaus Gesprächspartner und Helfer in der Zusammenschau komplizierter volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer und gesellschaftspolitischer Strukturen und Zusammenhänge sein konnte; oder aber sie sahen bereits damals die Möglichkeit der auch heute noch so mühsam zu erreichenden Form eines team-teaching von Lehrern verschiedener Fachrichtung in diesem einen Fach und an dem jeweils abgestimmten Projekt.

Am 3. Juli 1969 kam es zu einer zweiten amtlichen Verlautbarung, diesmal von der Stän-B digen Konferenz der Kultusminister. Darin wird unter anderem gefordert, daß sowohl die allgemeine Orientierung zum Arbeitsverhalten wie die Einführung zur Berufswahl »auf der Grundlage praktischen Tuns und thematischer Durchdringung zu e*rschließen seien. Als Maßnahmen werden naturwissenschaftlich-technologisches Werken, Betriebserkundungen und -praktika angeboten. Im Gegensatz zu den Äußerungen des Deutschen Ausschusses wird hier Arbeitslehre mit Berufswahlbefähigung (hieße es nicht besser Berufsfeld-wahl?) verbunden.

Die Veröffentlichung der Kultusministerkonferenz nach fünfjähriger Diskussion zeigte, daß die Fragen der ersten Stunde trotz vieler Überlegungen, Diskussionen, Ausschußarbeiten unbeantwortet geblieben waren, das heißt, daß man einer Didaktik der Arbeitslehre keinen Schritt näher gekommen war. Nach Bestimmung dieser Empfehlungen gehören zur Arbeitslehre „alle weitgehend mit praktischer Tätigkeit verbundenen oder auf sie bezogenen Unterrichtsinhalte', die ein Vorverständnis für Arbeitswelt und Beruf vermitteln

Hier setzt wiederum die Kritik — zumindest der Wirtschaft — an. Mit Sicherheit hat das praktische Tun einen Bildungswert; das ist in jeder betrieblichen Berufsausbildung festzustellen. Für eine Verhaltensbildung genereller, nicht berufsspezifischer Art ist die Arbeit in der Schulwerkstatt ein hervorragendes Mittel. Dazu erhalten die Schüler eine elementare Material-und Werkzeugkenntnis und -erfahrung; sie lassen den beobachtenden Lehrer vielleicht auch berufliche Neigungen und Eignung erkennen. Eine Anzahl von Fragestellungen aus dem ökonomischen und sozialen Bereich werden sich bei diesem Tun ergeben. Als nicht möglich wird jedoch der Versuch angesehen, auf diese Weise ein ausreichendes soziales und ökonomisches Grundwissen und -Verständnis zu vermitteln. Das aber ist die erforderliche Grundlage, um kritisch die Gesellschaft weiterentwickeln zu können.

Die Wirtschaft sieht also den Schwerpunkt einer richtig verstandenen Arbeitslehre in dieser sozial-ökonomischen Information und Orientierung, wobei sie der gegenwärtigen Formel AWT (Arbeit-Wirtschaft-Technik) durchaus positiv gegenübersteht. Es grenzt an Lächerlichkeit, wenn ihren Vertretern, vor allem aus dem Institut der deutschen Wirtschaft, von der GEW vorgeworfen wird, daß es ihnen in erster Linie nur um Rechtschreibleistungen gehe. Allerdings lehnt sie es ab, wenn Arbeitslehre einer politischen Bildung untergeordnet wird, die nur eine einzige positiv zu beurteilende Gruppe, nämlich die der lohnabhängigen Arbeitnehmer, kennt. Es ist besonders interessant, daß die GEW als einzige Gewerkschaft, der dieser Tätigkeitsbereich nicht eingängig, ist, hier besonders extreme Planungen vertritt. Der Streik im Werk XYZ als Rollenspiel ist nur ein Beispiel dafür, wie man Jugendliche zu einer total negativen Einstellung für ihr zukünftiges Berufsleben heranführt. Für die Wirtschaft ergibt sich die Formel: Arbeitslehreals Fach und als Prinzip — bei einer bestmöglichen Kooperation und optimalen Weiterbildung der Lehrer aui diesem Gebiet.Teilweise zur Motivation der Schüler, die nicht ohne weiteres gegeben ist, zum Teil aber auch zur praktischen Untermauerung des Erfahrens oder als Versuchsfeld für die Zukunft sind konkrete Begegnungen mit der Arbeitswelt erforderlich. Man sollte jedoch in der Planung in Kultusverwaltungen und Schulen Klarheit darüber gewinnen, was hier machbar und möglich ist. Betriebspraktika können nicht der Berufsfindung dienen, da sie, in einem Berufsfeld abgeleistet, keine Vergleichsmöglichkeiten bieten. Sie vermitteln einen ersten Einblick in Atmosphäre und Rhythmus der Arbeit in Produktion oder Dienstleistung; sie geben neue Motivationen für die schulische Arbeit, da die Jugendlichen jetzt erfahren, wie die Anforderungen an sie bei Berufseintritt aussehen, und sie geben Anlaß zum Fragen.

Dasselbe gilt für die Durchführung von Betriebserkundungen, die als „Aspekt" -Erkundungen, also auf bestimmte Themen ausgerichtet, durchgeführt werden sollen. Nur in Partnerschaft mit der Wirtschaft können hier sinnvolle Aspekte herausgearbeitet werden und nur bei der Garantie, daß solche Veranstaltungen in den schulischen Lehrplan integriert werden, dürfte die Wirtschaft ihre Betriebe auch in Zukunft dafür öffnen. Erkun-B düngen können berufsorientierend (Aus-und Weiterbildung in verschiedenen Berufen) sein; sie können Vergleiche zwischen alten und neuen Produktionsweisen ermöglichen; sie können gewisse soziale Fragestellungen hervorrufen, aber wohl nur selten ökonomische Tatbestände aufdecken.

Auch die Projektmethode, in vielen Durchführungsvorschlägen der Arbeitslehre, indirekt auch von der Kultusministerkonferenz empfohlen, kann den Weg zu vielen sozialen und ökonomischen Themenstellungen nicht öffnen. Die Arbeitskreise Schule-Wirtschaft sind aus inzwischen gründlicher betrieblicher Fakten-und Problemkenntnis ständig bemüht, praxisbezogene Projekte zu erarbeiten und ihren Lehrerkollegen zur Verfügung zu stellen. Jedoch spüren die Lehrer verstärkt die Unzulänglichkeit des eigenen Wissens im Bereich sozial-ökonomischer Bildung und verlangen nach intensiven Weiterbildungsmöglichkeiten. Hier muß die Wirtschaft helfen, wobei ihre Vertreter harten Diskussionen nicht ausweichen. Nach aller Überprüfung sind die fachlichen Richtziele der Arbeitslehre im Verständnis der GEW nicht sehr unterschiedlich zu dem, was die unternehmerische Seite sich vorstellt. Auch darin besteht ein von der Wirtschaft bereits 1972 geäußerter Consensus, daß im Gegenteil zur Meinung im Strukturplan des Deutschen Bildungsrates das, was hier grob umrissen als Aufgabe der Arbeitslehre angegeben wurde, mit der Umstrukturierung des Schulwesens innerhalb der Sekundarstufe I nicht zum Wahlfach degradiert werden soll, nach Möglichkeit auswechselbar mit einer zweiten Fremdsprache. Die Sekundarstufe I bietet die große Chance, die fälschlich der Hauptschule allein zugeordnete Arbeitslehre zu einem für alle Schüler dieser Stufe verpflichtenden Themenbereich (Kernfach) zu machen, um allen Jugendlichen die Möglichkeit zu kritischem Verständnis, konstruktiven Entscheidungen und erforderlichen Verhaltensweisen im sozialökonomischen Bereich zu geben.

Da diese Arbeitslehre Vorstufe für das sein soll, was in der Sekundarstufe II als „Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung" postuliert wird, sei hier die Frage gestellt, ob man nicht endlich daran gehen sollte, aus der dahinsiechenden Arbeitslehre endlich ein lebensfähiges Gebilde zu entwickeln — und zwar auf Bundesebene.

Es ist hier also an eine Curriculum-Entwicklung gedacht, die ausnahmsweise für alle Länder Gültigkeit haben sollte, wobei nicht, wie auch im Bildungsrat mancherorts gewünscht, nur Lehrer an der Entwicklung der Didaktik zu beteiligen wären. Es hat sich gezeigt, daß Schule und Hochschule in diesem Fall nicht in der Lage sind, ein gültiges Konzept zu erarbeiten. Audi bisher von privaten Stiftungen finanzierte Forschungsvorhaben scheinen dieses erhoffte Ergebnis nicht hervorzubringen. Man sollte m Kreisen der Bildungsplanung die enge Einsicht abschütteln, daß allein Schulen, Lehrstühle und wissenschaftliche (pädagogische) Institute Bildung „produzieren" können. Hier wäre wirklich einmal der Platz, auch die Gremien intensiv einzuschalten, die für sehr viele junge Menschen die auf die Sekundarstufe I folgende Stufe didaktisch mitbestimmen; gemeint ist die Wirtschaft, die seit über einem Jahrzehnt immer wieder beweist, wie sehr sie sich in dieser Thematik engagiert, die eng verknüpft ist mit dem überdenken und Modernisieren darauf folgender beruflicher Bildungsgänge, gleich ob sie in den Betrieben, in den Verwaltungen oder wo sonst auch immer beschritten werden. Gemeint sind auch die Gewerkschaften, aber ähnlich wie in der alten „septembergesellschaft" mit den anderen an einem Tisch sitzend und nicht, wie die GEW heute, durch ständige klassenkämpferische Polemik wieder Polemik provozierend. Interessenkonflikte sollten nicht auf den Schultern der Dritten — hier der Schüler — ausgefochten werden. Hier sollte vielmehr durch Vermittlung von Fakten, von Problemstellungen, von Alternativen für Problemlösungen der Grund gelegt werden, damit die heutigen Schüler als Erwachsene morgen ihre eigene, begründete Meinung finden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ständige Konferenz der Kultusminister, Empfehlungen zur Hauptsdiule — Beschluß der KMK vom 3. 7. 1969, Anlage 1 der Pressemitteilungen der KMK aus Anlaß der 131. Plenarsitzung am 3. /4. 7. 1969, Bonn 8. Juli 1969; vgl. ferner Deutscher Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen, Empfehlungen zum Aufbau der Hauptschule, Stuttgart 1964; Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, Richtlinien und Lehrpläne für die Hauptschule in NRW, Heft 32 der Schriften des Kultusministeriums, Ratingen 1973; Verband Niedersächsischer Lehrer (Hrsg.), Arbeitslehre — Standpunkte und Meinungen, Hannover 1968.

Weitere Inhalte

Anne Beelitz, Dr. rer. pol., Mitglied der Geschäftsführung des Instituts der deutschen Wirtschaft. Veröffentlichungen u. a.: Führungskräfte der Wirtschaft zur Hauptschule, Heft 32 der Auswahlreihe B, Hannover 1970 (zus. mit F. Arlt); Die Arbeitslehre, in: Berufliche Bildung zwischen Tradition und Fortschritt, Folge 33 der Materialien zu bildungs-. und gesellschaftspolitischen Fragen des Deutschen Industrieinstituts, Köln 1972, S. 17 ff.