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Technostruktur und Partizipation | APuZ 7/1975 | bpb.de

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APuZ 7/1975 Artikel 1 Demokratisierung der Gesellschaft Positionen und Begründungszusammenhänge Technostruktur und Partizipation Strukturelle Bedingungen für die Wirkung von Partizipation Zum Verhältnis von Systemstrukturen und Beteiligungschancen auf kommunaler Ebene

Technostruktur und Partizipation

Henning von Vieregge

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Zusammenfassung

Die Demokratiediskussion wurde durch die Kritik an den elitären Demokratietheorien, die Rückbesinnung auf „klassische“ Demokratiepostulate und deren Verknüpfung mit der Sozialismusdebatte neu belebt. Es geht nun um Konzeptionen einer „partizipatorischen" Demokratie. Um die Bedingungen, d. h. die Potentiale und Restriktionen einer Ausweitung von Partizipation in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen systematisch erfassen zu können, wird vorgeschlagen, zwischen individuellen und strukturellen Bedingungen zu unterscheiden und von den letzteren insbesondere die „systemischen" (die politisch/ökonomisehen) und die technostrukturellen zu beachten. In der Partizipationsdiskussion ist vor allem die Bedeutung der technostrukturellen Bedingungen bisher zu wenig gesehen worden. Diese zeichnen sich durch gegenläufige, sich verschärfende Tendenzen (nicht: Sachzwänge!) aus, und zwar sowohl 2u. zentralen Machtausübung wie zur Partizipation. Diese Annahme wird am Beispiel der staatlichen Forschungspolitik in der Bundesrepublik zu belegen versucht. In diesem Zusammenhang wird anhand der sogenannten Leitlinien-Diskussion — der Diskussion um die Mitbestimmung in den staatlichen Großforschungszentren — auf die Gefahr verwiesen, die primär an der „Funktionalität“ ausgerichtete Partizipationskonzepte in sich bergen, weil sie zur Bildung neuer sozialer Klassen beitragen können. Eine „Theorie der Partizipation" — so wird abschließend festgestellt — steht noch aus.

I. Partizipatorische Demokratietheorie zwischen „links" und „rechts“

Schema zur funktionalen Bestimmung politisch-administrativen Handelns # Ökonom. System Steuerungsleistungen fiskalische Abschöpfung politischadministra- tives System sozialstaatl. Leistungen Massen-loyalität normatives (legitimatorisches) System Präpolitische Determinanten des normativen Systems

Eine „Theorie der Partizipation" gibt es (noch) nicht. Wie aber sollte sie beschaffen sein? Einerseits sollte sie normativ, andererseits sollte sie aber mehr als ein Bündel von Sollenssätzen sein. Neben die Frage nach dem, was wir an Partizipation wollen, dürfte nämlich die Frage nach dem zentral sein, was wir in einer konkreten Gesellschaft an Partizipation haben müssen. Eine „Theorie der Partizipation“ sollte also normativ und empirisch fundiert sein. — Diese Forderung soll im ersten Teil dieses Aufsatzes im Lichte der neueren Demokratiediskussion überprüft werden.

Wolfgang Zeidler, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, hat versucht, Partizipationsforderungen mit einer angeblich uralten Erfahrung der Psychologie zu erklären, „die nicht nur für grasendes Rindvieh gilt, daß auf der anderen Seite des Zaunes die Weide immer grüner zu sein scheint als diesseits“

Gem spricht Zeidler überdies vom „Zeitgeist", der bewirke, daß der „im Grundsätzlichen unlösbare Antagonismus zwischen der Repräsentativdemokratie und der Rätedemokratie" nun zunehmend in Frage gestellt werde.

• Man kann dem nebulösen „Zeitgeist“ durch Namen und Periodisierung Form und Gestalt geben. Ganz grob läßt sich unterteilen in:

— die Kritik an der elitären Demokratietheorie Schumpeters und der daraus resultierenden positiven Einschätzung politischer Apathie (z. B. durch Bachrach

— die Rückbesinnung auf die „klassischen" Demokratiepostulate (z. B. Habermas, Zimpel )

— die Verknüpfung der „Rückbesinnung des Normativen" mit der Sozialismus-Diskussion (z. B. Offe, Vilmar

Die Diskussion droht in der dritten Phase steckenzubleiben. Diese Gefahr ist durch dreierlei zu begründen:

a) Von „links“ werden Konzepte einer „partizipatorischen" Demokratie dadurch ins Abseits gestellt, daß an dem als unversöhnlich geltenden Gegensatzpaar „sozialistische contra kapitalistische Demokratie'festgehalten wird Eine Kritik aller Demokratie-Wirklichkeiten, auch der östlichen, mit der Elle „klassischer" Demokratievorstellungen ist in den Augen „orthodoxer" Marxisten unverzeihlich. Folglich: Anhänger einer „partizipatorischen" Demokratie werden als Flickschuster der Monopolherrschaft (also: Rechtsabweichler) oder/und „demokratistische“ Illusionisten (also: Linksabweichler) abgetan.

b) Von „rechts" betrachtet, geraten Konzepte einer „partizipatorischen" Demokratie ebenfalls zwischen die Scheren zweier angeblich unversöhnlicher Modelle der Demokratie, nämlich der „identitären“ (auch als „inhaltlich“, „totalitär“, „messianisch“ usw. rubriziert) und der „formalen" (auch „pluralistisch", „liberal-empirisch“, „freiheitlich" genannt). Die Leser der „Beilage" konnten sich in der Auseinandersetzung zwischen Giselher Schmidt und Fritz Vilmar ja bereits selber überzeugen, zu welch unfruchtbaren Ergebnissen ein solches Zwei-Fronten-Modell von Demokratie, wie es etwa G. Schmidt vertritt, führen muß. Schmidt war geradezu gezwungen, wollte er seinen eigenen Ansatz konsequent durchhalten, Vilmar in die Nachfolge von Marx, Engels, Lenin und Trotzki zu rücken.

Es dürfte nicht nur am Rande von Interesse sein, daß nicht nur die Anhänger eines „demokratischen Sozialismus", sondern darüber hinaus alle diejenigen, die beispielsweise einer „Demokratisierung" auch weiter nichtstaatlicher Bereiche das Wort reden, damit den Boden eines „formalen" Demokratieverständnisses unterminieren. Nun bekennt sich die CDU in ihrem Berliner Programm ausdrücklich zu einer „dynamischen" Demokratie Man redet in ihren Reihen von einer „Demokratisierung ohne Dogma" und notwendiger „Politisierung der Schulen“ n). Damit führt eine strikte Anwendung eines Zwei-Fronten-Modells von Demokratie zu dem vielleicht überraschenden Ergebnis, daß die Frontlinie mittlerweile nicht mehr zwischen den beiden großen Volksparteien verläuft, sondern mitten durch die CDU. Bedeutet nun aber „partizipatorische" Demokratie, d. h. eine solche Demokratie, in der Partizipation in allen gesellschaftlichen Teilbereichen eingeführt bzw. ausgeweitet werden soll, „sozialistische" Demokratie? An dieser Frage scheint das Herzblut speziell westdeutscher Wissenschaftler der noch jungen Partizipationsforschung zu kleben. Dieses besondere Interesse läßt sich mit der Überschrift: „Partizipation — ein trojanisches Pferd?" samt der Unterzeile „Zur Dialektik von Integration und Subversion" des Schlußkapitels in Reimer Grönemeyers Dissertation gut illustrieren. Die Bedeutung solcher Fragestellungen ist hier nicht zu bestreiten. Aber es ist doch auf die Gefahr hinzuweisen, die darin besteht, daß vor lauter Betonung des Trennenden die gemeinsamen Wegstrecken, die der Partizipationsforschung insgesamt nützen, nicht gesehen werden.

II. Bedingungen der Partizipation

In den letzten Jahren und Monaten konnte man in allen Bereichen Forderungen nach einer Ausweitung der Partizipation aufspüren Warum? Soviel scheint sicher: eindimensional läßt sich hier nur wenig erklären. Weder der „Zeitgeist", noch die „Friedensoffensive" der Sowjetunion, weder die Krise des Kapitalismus, das angebliche seelische Vakuum von uns allen noch das Wirken einiger Soziologieprofessoren dürften, wenn überhaupt, als ausschließliche Ursache dafür in Frage kommen. Bedingungen, genauer gesagt: Möglichkeiten und Chancen einer Ausweitung von Partizipation, dürften sich auf diese Weise kaum benennen lassen. Als Analyseebenen kommen vielmehr folgende Bedingungen in Betracht:

1. die individuellen, 2. die politisch/ökonomischen, 3. die ökologischen, 4. die technostrukturellen.

Individuelle Bedingungen liegen im Persönlichkeitsbereich des Menschen. Politisch/ökonomisch-strukturelle Bedingungen ergeben sich aus der speziellen Verfaßheit des Systems. Ökologische Bedingungen sind solche, die als »Überlebensbedingungen der Umwelt" in Betracht kommen. Unter technostrukturellen Bedingungen sollen solche verstanden werden, die als Bedingungen des wissenschaftlich-technischen Wandels gelten. 1. kann als Mikro-, 2., 3. und 4. können als Makrobedingungen bezeichnet werden. Eine systematische Verknüpfung der Mikro-und Makrobedingungen steht allerdings noch aus. Könnte man die Bedingungen für jede Analyseebene, für jeden gesellschaftlichen Teilbereich und dort für jede hierarchische Ebene benennen, also zum Beispiel im Betrieb für die Arbeits-, Leitungs-und Aufsichtsebene, und könnte man diese Bedingungen systematisch einander zuordnen, dann wäre die empirische Fundierung einer „Theorie der Partizipation" geleistet. Die Bedeutung der individuellen und der politisch/ökonomischen Bedingungsebenen wird knapp umrissen. Schwerpunktmäßig sollen dann die Hemmnisse oder Impulse zu einer Partizipationsausweitung durch die technostrukturellen Bedingungen herausgearbeitet werden. 1. Individuelle Bedingungen Es hängt wohl mit der eher strukturelle Fragen einfassenden Perspektive politik-wissenschaftlicher Forschung zusammen, daß — jedenfalls im Rahmen der aktuellen, in der Bundesrepublik betriebenen Forschung — die Restriktionen und Potentiale individueller Natur zu wenig in die Gesamt-analyse eingebracht worden sind. Diese individuellen Bedingungen analysiert die Mikrotheorie. Sie sucht zu erklären, „unter welchen psychologischen, sozialen und institutioneilen Bedingungen Individuen (oder Aggregate von Individuen) an politischen Entscheidungen partizipieren, welche Motivationen sie dabei leiten und welche Gratifikationen (im psychologischen Sinne) sie dabei erfahren" Fünf Aussagen aus diesem Forschungsbereich sollen hier zur Diskussion gestellt werden. Drei davon (die von G. Lehmbruch übernommen werden) skizzieren den Erkenntnisstand, eine betrifft den Zusammenhang von Mikround Makrotheorie und in der fünften Behauptung werden Folgerungen für Strategien einer Ausweitung von Partizipation gezogen: a) Hohe Partizipation korreliert mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen

b) Hohe Partizipation korreliert unter anderem mit bestimmten soziokulturellen Merkmalen, so vor allem gehobenen sozialem Status

c) Politische Partizipation ist nur ein Teil von breiter, gesellschaftlicher Engagiertheit, zu der beispielsweise auch alle Formen von Geselligkeit gehören

d) In der Trennung von Mikro-und Makro-bereich (mit anderen Worten: zwischen individuellen und strukturellen Bedingungen der Partizipation) liegt eine gewisse Gefahr, die nicht unterschätzt werden sollte. Denn individuelle Bedingungen sind in erheblichem Umfang nicht in der „Natur des Menschen" begründbar. Die Abhängigkeit individueller von der Gesamtheit der strukturellen Bedingungen könnte aber durch ein Auseinanderreißen beider Bereiche nicht mehr hinreichend bedacht werden 18a).

e) In „Sozialisationsagenturen“ wie Kindergärten, Schulen, Erwachsenenbildungsstätten wird es teilweise als angesehen, die Aufgabe Fähigkeit zur Wahrnehmung und Artikulation von „Betroffenheit“ zu steigern. Durch strukturelle Bedingungen sowie durch Erbfaktoren und vor allem die Frühsozialisation sind aber beim Individuum Hemmnisse gegen partizipatives Verhalten eingebaut worden, die im Einzelfall unaufhebbar sein können. Die Chancen, über „Sozialisationsagenturen" zu wirken, dürften immer dann als besonders gering eingeschätzt werden, wenn die Impulse nicht in allen Lebensbereichen des Individuums gleichmäßig gegeben werden DieBemühun-gen, etwa durch entsprechende Angebote im Lernbereich, sei es in der Berufsschule gegenüber dem Auszubildenden, sei es in einer Justizvollzugsanstalt durch Kurse der Volkshochschule gegenüber Straffälligen, im angedeuteten Sinne zu „sozialisieren", dürften solange illusorisch sein, wie Arbeits-und Lernbereich nicht verknüpft werden. Als Stufen kämen dafür die „theoretische Vermittlung", „übende Anwendung" und „Überführung in die Ernstsituation“ in Frage. 2. politisch/ökonomisch-strukturelle Bedingungen Welche Hindernisse und Möglichkeiten von Partizipation sind aufgrund der ökonomischen und politischen Verfaßtheit entwickelter Industriegesellschaften bestimmbar? Diese Frage scheint vielleicht nicht schwer zu beantworten zu sein. Aber: Was sind entwickelte Industrie-gesellschaften? In welcher Weise bedingen die politische und die ökonomische Verfaßtheit eines Systems einander?

Wilfried Nelles bemüht sich in seinem Beitrag in dieser Zeitschrift um Antworten auf Fragen wie diese. Deswegen soll hier nur einer Behauptung nachgegangen werden: Die häufige Gleichsetzung von politisch/ökonomisch-strukturellen Bedingungen mit „kapitalistischen'Bedingungen ist abzulehnen, weil sie hinsichtlich der Beseitigung von Partizipationshindernissen zu Scheinalternativen verführt.

Gehen wir von Offes kleinem, instruktivem Schema aus. * Das Schaubild illustriert die Annahme, daß ein politisch-administratives Steuerungssystem zwischen zwei Anforderungen steht: Einerseits muß die Funktionstüchtigkeit des wirtschaftlichen Bereiches gesichert werden, andererseits können die staatlichen Leistungen gegenüber der Bevölkerung nicht vernachlässigt werden; zumindest ist eine Vernachlässigung „verständlich" zu machen. Die Methoden dazu variieren von Vertröstung bis Terror.

In dieser Abstraktheit trifft die Aussage sicherlich auf die Verhältnisse in allen Ländern der Welt zu, wie weit sie hinsichtlich ihrer ökonomischen und politischen Verfaßtheit und bezüglich ihres wissenschaftlich-technischen Entwicklungsgrades auch auseinander liegen. Legitimation — und das wird im Schema offenbar durch die präpolitischen Determinanten des normativen Systems" angedeutet — kommt dem politisch-administrativen Teilsystem aber nicht nur aus dem soziokulturellen, sondern auch aus dem funktionierenden ökonomischen zu. Dabei scheint es nun aber keineswegs so zu sein, daß die „Leistungen“ eines Teilsystems nur auf Kosten des anderen zu steigern sind. Sie können also unter Umständen nicht nur auf Vertrauen in Forderungen und Unterstützung aus dem „legitimatorischen" System, sondern auch auf dem Wissen um Entwicklungen und Notwendigkeiten im ökonomischen System beruhen. Indem man — wie es in der politischen Propaganda mitunter geschieht — allzu schablonenhaft zwischen den angeblichen Interessen der „Mehrheit der Bevölkerung" und den angeblich in bezug auf Partizipation kontroversen Interessen einer bestimmenden Minderheit unterscheiden will, vernachlässigt man unter Umständen wichtige Überlegungen für eine Strategie zur Partizipationsausweitung.

Ähnlich problematisch ist es, das Etikett „kapitalistisch" für solche Merkmale zu verwenden, die für jede Industriegesellschaft in Frage kommen. Sehen wir uns beispielsweise an, welche Merkmale Joachim Steffen, durchaus kein Autor, der schablonenhaft argumentiert, als Kennzeichen eines modernen Kapitalismus anführt: Für Steffen sind diese Kennzeichen a) der Verlust der „Naturwüchsigkeit" durch politische Eingriffe; b) die Integration der Arbeiterklasse, die in sich nicht homogen ist; c) die stärkere humane Bedrohung; d) die Tatsache, daß die sozialistischen Industriegesellschaften keine attraktiven Alternativmodelle bieten und e) die Tatsache, daß Technik und Wissenschaft zur wichtigsten Produktivkraft geworden sind

Sind dies Kennzeichen eines Kapitalismus? Der Punkt d) paßt überhaupt nicht in diese Reihe und sowohl der Verlust der „Naturwüchsigkeit", die Integration der Arbeiter als auch die steigende Bedeutung von Wissenschaft und Technik werden — teilweise angeblich gerade im Unterschied zu „kapitalistischen" Modellen — oft als Kennzeichen „sozialistischer“ Modelle herausgestellt. Es scheint also, als ob Steffen Merkmale jeder entwickelten Industriegesellschaft aufgezählt hat.

Damit stellt sich die Frage, wie denn über die partizipationshemmende Wirkung kapitalistischer Verfaßtheit sinnvoll nachgedacht werden kann, bevor nicht verdeutlicht worden ist, was Kapitalismus heute im ökonomischen Teilbereich ausmacht und — als wichtigste Anschlußfrage — auf welche Weise sich die kapitalistischen Ausprägungen des ökonomischen Teilbereichs im politischen abbilden. Claus Offe beispielsweise stellt fest, es sei ihm un-möglich, den Staat als kapitalistischen nachzuweisen. An diese Aussage schließt er folgende fragwürdige Argumentation an: „Wenn das zutrifft (nämlich: die Unmöglichkeit der Identifizierung, d. Verf.), dann ist auch die weitere Folgerung nicht zu umgehen, daß die historisch-konkreten Grenzen eines Herrschaftssystems, die zu ermitteln sowohl der normativ-analytisch wie der empirisch-analytisch verfahrenden objektivierenden Erkenntnis versagt ist, nur in der politischen Praxis wahrgenommen und allein in der durch Aktion und Organisation vollzogenen Klassenauseinandersetzung in der kollektive normative Optionen zur empirischen Gewalt werden, identifiziert werden können.“ Ganz scheint Offe allerdings von seinem eigenen Rezept nicht überzeugt zu sein. Denn sonst hätte er wohl nicht wenige Buchseiten weiter im gleichen Aufsatz „drei Stufen eines möglichen empirischen Beweisprogramms skizziert“

Kein Zweifel: Eine Identifizierung „kapitalistischer Strukturen stößt auf Schwierigkeiten besonderer Art, die Gerhard Himmelmann zu der sarkastischen Bemerkung reizten: „Die Forderung nach einer Konkretisierung dessen, was das „Wesen" des Kapitalismus ausmacht, hat bisher allein zu einer Inflationierung des Begriffes „konkret" geführt"

Aus einer irrigen Merkmaisbeschreibung werden dann allzuleicht irrige Schlüsse auf Restriktionen und Potentiale gezogen, denen dann irrige Handlungsanweisungen folgen Dazu noch ein Beispiel aus dem ökonomischen Bereich:

Eine gängige These zur Rolle der „Verfaßtheit" dieses Bereiches lautet: Die Partizipationschancen der Arbeitnehmer werden entscheidend beschnitten durch das Eigentum an den Produktionsmitteln. Anders ausgedrückt: die Aufhebung des Eigentums an den Produktionsmitteln hebt eines der wesentlichen Hindernisse der Partizipation auf. Dieser Annahme stehen Verweise auf die Befunde über Partizipation in solchen Ländern gegenüber, in denen die private Verfügungsgewalt an Produktionsmitteln als aufgehoben gilt: dort gebe es real eher weniger als mehr Partizipation im ökonomischen Teilbereich als hierzulande 3. Technostrukturelle Bedingungen a) Zwei Tendenzen: Partizipation und zentrale Machtausübung Aus den Bedingungen und Folgen der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik der „späten" Industriegesellschaft erwachsen zwei gegenläufige Tendenzen: die Tendenz zur Partizipation und die Tendenz zur zentralen Machtausübung. Diese Hypothese soll anhand zweier Beispiele aus dem Bereich der Wirtschaft und der Forschung verdeutlicht werden.

b) Dilemma der Technokraten? Es gibt ein „Dilemma der Technokraten“, die so viel Partizipation einräumen müssen, daß die überlieferten Herrschaftsstrukturen schließlich abbröckeln. Die Stichhaltigkeit dieser Hypothese wird anschließend diskutiert. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob dieses behauptete Dilemma nicht möglicherweise „systemübergreifend" wirksam werden könnte, also sowohl in „kapitalistischen" als auch in „sozialistischen" Systemen.

c) Die Grenzen . funktionaler'Partizipation Die Tendenz zur Partizipation könnte eine für alle Mitglieder der Gesellschaft keineswegs gleichermaßen vorteilhafte „Partizipationslawine" auslösen. Nur wenigen wäre damit gedient, denn neue Ungerechtigkeiten brechen dann auf. Diese Hypothese, die als Gegenthese zu der unter b) genannten gelten kann, wird ebenfalls diskutiert. a) Zwei Tendenzen: Partizipation und zentrale Machtausübung Nadi Franz Neumann wird in der Industriegesellschaft die Praxis der Demokratie immer schwieriger, während andererseits der Bedarf an . Demokratie’ wachse. Der wirtschaft-lich-technische Fortschritt bewirke eine zunehmende Komplexität der Gesellschaft. Damit würden zwei im modernen Industrialismus angelegte, einander diametral entgegengesetzte Tendenzen — nämlich der Trend zur Freiheit und der zur Repression — potenziert. Auf Partizipation bezogen, lautet diese Aussage dann: Die Entwicklung der (wie auch immer verfaßten) Industriegesellschaft birgt sowohl neue Hindernisse als auch neue Chancen der Partizipation

Je mehr Menschen im Dienstleistungssektor arbeiten, als desto weiter entwickelt gilt das wirtschaftliche Teilsystem. Zum Dienstleistungsbereich gehören Handel, Finanzen, Transport, Gesundheit, Erholung, Forschung, Regierung und Verwaltung

Diese Entwicklungen deuten auf wichtige Veränderungen in der Qualifikationsstruktur der Arbeitnehmer, aber auch in deren Arbeitsorganisation hin. Je entwickelter die Arbeitsorganisation eines Betriebes ist, desto mehr nimmt die Notwendigkeit zu, Entscheidungsbefugnisse zu delegieren. Es dürfte damit schwieriger, aber auch notwendiger werden, die Loyalität der Arbeitnehmer zu gewinnen und zu erhalten. Dieser Abbau traditioneller, autoritärer Führungstechniken zugunsten eher kooperativer könnte nun auf eine Art „Sachzwang Partizipation" hinweisen: Wenn ein System einer entwickelten Industriegesellschaft „überleben" will, muß Partizipation, d. h. Abbau von Herrschaft, in verstärktem Maße zugelassen werden.

Auf der anderen Seite kann man aus den Veränderungen im ökonomischen Bereich in entwickelten Industriegesellschaften auch — be-* zogen auf Partizipationschancen — Anhaltspunkte dafür finden, die den umgekehrten Schluß gerechtfertigt erscheinen lassen, nämlich, daß die Partizipationshemmnisse sich vergrößert haben. Denn sind die Unternehmen nicht — offensichtlich „sachnotwendig" — größer geworden? Sind nicht Zentralisierung und Einordnung in die jeweils größeren Wirtschaftsebenen (nationaler Rahmen, EWG-Rahmen, Welt-Rahmen) die bestimmenden Tendenzen?

Ein anderer Teilbereich, in dem die Behauptung von der wachsenden Tendenz zur Partizipation und zentralen Machtausübung überprüft werden soll, ist der Forschungsbereich. Für die zunehmende zentrale Machtausübung in diesem Bereich sprechen folgende Anzeichen: So hat sich beispielsweise der Kompetenzraum des Bundes stetig erweitert wie insbesondere ein Blick auf die Entwicklung des damaligen Bundesministeriums für Atomfragen (1955 eingerichtet) zeigt. Als wichtiger Durchbruch ist eine im Mai 1969 durchgeführte Grundgesetzänderung anzusehen, die dem Bund u. a. eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Regelung von Ausbildungshilfen, eine Rahmenkompetenz für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens und ein Zusammenwirken mit den Ländern in der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung in der Verfassung sicherte. Speziell auf die Forschungspolitik bezogen, kann festgehalten werden: Staatliche Forschungspolitik, wie sie von Leussink, v. Dohnanyi, Ehmke und nun Matthöfer seit 1969 formuliert wird, strebt eine größere Handlungsfreiheit auf der zentralen Ebene an, d. h. in erster Linie für die Ministerialverwaltung und die politische Leitung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Die größere Handlungsfreiheit soll zu besserer Planung, zur Prioritäten-setzung und zu stärkerer Koordinierung benutzt werden. Auf diese Weise soll Forschungspolitik nicht allein innerhalb der Interessenten-blöcke ausgehandelt werden, sondern man will eher „rationalen" Erwägungen und Abwägungen zwischen den beiden Hauptzielen jeder Forschungspolitik folgen: Die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft und die Sicherheit der Arbeitsplätze zu erhalten sowie die Lebensqualität der Bevölkerung zu wahren und auszubauen Zu den Markierungspunkten des Versuchs, zu diesen angegebenen Zwecken größere Handlungsräume für die zentrale Ebene zu erlangen, gehört eine stärkere Konzentrierung der Forschungsmittel beim Bundesministerium für Forschung und Technologie, d. h. die Koordinierung der Ressortforschung. Weiter ist der in den sechziger Jahren forcierte Aufbau von staatlichen Großforschungszentren zu nennen, die zwischen die Hochschulforschung, die Industrieforschung, die reine staatliche Auftragsforschung und die „autonome" Forschung der Max-Planck-Institute geschoben wurden. In diese Reihe gehört schließlich die 1969/70 durchgeführte Neuordnung des Beratungswesens im Ministerium selber Soviel zur Tendenz der zentralen Machtausübung.

Die Tendenz zur Partizipation läßt sich beispielsweise an den 1970/71 für die Großforschungszentren erstellten „Leitlinien zu Grundsatz-, Struktur-und Organisationsfragen von rechtlich selbständigen Forschungseinrichtungen" ablesen Sie sollen die fachliche Mitwirkung der sogenannten wissenschaftlichen Mitarbeiter auf der Arbeits-, Leistungs-und Aufsichtsebene der Großforschungszentren institutionalisieren. Es handelt sich dabei um 4 000 bis 5 000 von rund 15 000 Mitarbeitern an Großforschungszentren insgesamt. Weil sich m. E. aus der Diskussion um die „Leitlinien" Generelles zu Bedingungen der Partizipation erkennen läßt, wird auf sie weiter unten noch einmal eingegangen. Für unseren Zusammenhang sollte es aber zunächst nur darum gehen, an zwei Beispielen zu zeigen, daß mit der Entwicklung von Wissenschaft und Technik zwei gegensätzliche Tendenzen, nämlich die zur zentralen Machtausübung und die zur Partizipation, verstärkt werden. Für die staatliche Forschungspolitik in der Bundesrepublik ist überdies interessant, daß politische Anstrengungen zu beobachten sind, beide Tendenzen in einer politischen Konzeption zu „versöhnen". Aus der Sicht von Reformern um den damaligen Minister Ehmke lag die Chance, diesen Tendenzen zu folgen nämlich gerade darin, die Allianz zwischen Reformern in der staatlichen Forschungspolitik von „oben“ (ermöglicht durch mehr Handlungsraum der politischen „Leitung“) und von „unten“ (durch mehr Partizipation) gegen die herkömmlichen Interessensblöcke zu stärken b) Dilemma der Technokraten? Es gibt ein „ Dilemma der Technokraten die so viel Partizipation einräumen müssen, daß die überlielerten Herrschaftsstrukturen schließlich abbröckeln.

Mit dem Beispiel der „Ineffizienz der Hierarchie" im Bereich von komplexen Organisationen war bereits die Richtung angedeutet, in der ein „Dilemma der Technokraten" vermutet werden könnte. Wenn ein System einer entwickelten Industriegesellschaft „überleben'will, muß Partizipation verstärkt eingeräumt werden, möglicherweise aber nicht nur in dem von den „Herrschenden" freiwillig angebotenen Ausmaß.

Auf eine systematische Nutzung der Chancen, die durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung entstehen, eine Entwicklung, die hierzulande die private Verfügungsmacht über die Produktionsmittel und in den sozialistischen Staaten die Drangsal einer Bürokraten-herrschaft sprengen wird, setzt beispielsweise Fritz Vilmar Gegen solche Vorstellungen bestehen jedoch von „orthodox" -marxistisdier Seite erhebliche Vorbehalte. Die Hypothese, wonach durch wissenschaftlich-technische Entwicklung in allen Systemen ähnliche Bedingungen zur Partizipation entstünden, wird als „ideologische und politische Waffe zur Konservierung des überlebten kapitalistischen Systems" zurückgewiesen. Ihre besondere Gefährlichkeit wird interessanterweise darin gesehen, daß sie theoretische Grundlage für Konzeptionen sei, „die die Sprengung des Sozialismus von innen mit Hilfe einer sogenannten . Demokratisierung', . Liberalisierung'und . Humanisierung'des Sozialismus vorsehen“ Für eine Konvergenz zumindestens in der Problemstellung (??) könnte aber beispielsweise die Einführung der „Neuen Ökonomischen Systeme“ in der DDR und der CSSR zur Mitte der sechziger Jahre herangezogen werden. Das Ergebnis war eine Neuregelung des Verhältnisses von Zentralisation und Dezentralisation. Elmar Altvater zufolge hatte die „Leugnung der Dialektik von Spontanietät und Bewußtheit" immer größere Effizienzverluste zur Folge; Fred Schmid belegt diesen Sachverhalt mit Zahlenmaterial Auch hier — und diese Hoffnung kann wohl als Parallele zu den hiesigen Hoffnungen auf ein „Dilemma der Technokraten" gelten — bestand die Erwartung, „daß die ökonomisch und (von der Effektivität der Informationsströme und den Informationskosten her gesehen) organisatorisch begründete Dezentralisierung der Entscheidungen eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung des Bewußtseins einer kooperativen Verwaltung der Produktionsmittel darstellt, insbesondere, wenn sie mit der tatsächlichen Herstellung der Arbeiterselbstverwaltung einhergeht. Daher rühren die Hoffnungen, die man in den sozialistischen Ländern Osteuropas an die Wirtschaftsformen knüpft — Hoffnungen, die nicht ausschließlich auf die ökonomischen, sondern gleichermaßen auf die gesellschaftspolitischen Ergebnisse der Modellumgestaltungen gerichtet sind"

Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Gerade auch die teilweise Zurücknahme des Neuen Ökonomischen Systems in der DDR zeigt, daß von einem «Sachzwang Partizipation" und infolgedessen auch von einem „Dilemma der Technokraten" nur sehr bedingt gesprochen werden kann. Ob also einem „Transformationszwang zur Partizipation" wegen steigender Komplexität gefolgt wird, hängt ab von den anderen Bedingungen der Partizipation, insbesondere den politisch/ökonomisch-strukturellen und den individuellen. Bevor aber Aussagen zum Zusammenhang der unterschiedlichen Bedingungen der Partizipation gemacht werden, soll ‘abschließend für den Abschnitt „technostrukturelle Bedingungen" die Gegenhypothese zu der eben erörterten diskutiert werden. c) Die Grenzen „funktionaler“ Partizipation Diese Hypothese lautet: Die Tendenz zur Partizipation wirkt sich für alle Mitglieder der Gesellschaft keineswegs gleichermaßen vorteilhaft aus; es entstehen neue Ungerechtigkeiten. Man diesem Argumentationsansatz kann bei von der Frage ausgehen, ob die durch die wissenschaftlich-technische Entwicklung ausgelöste Tendenz zu einer Neuordnung der Verhältnisse von zentraler Machtausübung und Partizipation nicht neue Klassen schafft: Solche, die zunehmend qualifizierter und mittels der Chance zu fachlicher Partizipation privilegiert werden, und solche, die weiter als Unqualifizierte benötigt werden. Hier stößt man wohl auf ein Grundproblem jeder Ausweitung von Partizipation. Worum es geht, soll am Beispiel der erwähnten Institutionalisierung von Partizipation in den Großforschungszentren durch die „Leitlinien" verdeutlicht werden. Das noch von Schelsky beschworene Forscher-Ideal in «Einsamkeit und Freiheit" erweist sich zunehmend als Relikt vergangener Epochen. Im Bereich der Großforschung jedenfalls dominieren Forschergruppen. Die wichtigsten deutschen Großforschungszentren sind die Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe und die Kernforschungsanlage Jülich mit zusammen rund 7 000 Beschäftigten. Zu nennen ist noch die Deutsche Forschungs-und Versuchsanstalt für Raumfahrt in Köln-Porz, die Stiftung Deutsches Elektronen-Synchroton und die Gesellschaft für Strahlen-und Umweltforschung. Die Beschäftigten aller deutschen Großforschungszentren betragen rund 15 000, die Ausgaben liegen bei 1, 2 Mrd. DM.

Die Forschungseinrichtungen fallen als Unternehmen oder Betrieb mit überwiegend oder unmittelbar wissenschaftlichen Aufgaben unter den sogenannten Tendenzschutz. Die Folge sind Beschränkungen der Mitwirkungsrechte beim Betriebsrat; insbesondere fehlt der sonst in Unternehmen mit mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern zu bildende Wirtschaftsausschuß. Mit den „Leitlinien" wurden den wissenschaftlich-technischen Mitarbeitern (und nur diesen) jedoch fachliche Mitwirkungsrechte eingeräumt. Dadurch soll der wissenschaftliche, volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Nutzen der Forschungseinrichtungen gesteigert und die innere Struktur der Forschungseinrichtungen „auf -eine überzeu gende freiheitliche und demokratische Grundlage" gestellt werden, wie es in den „Leitlinien" heißt Mehr Effizienz bei mehr Partizipation als Zielvorstellung also!

Zwischen den Bereichen der Mitwirkung nach dem Betriebsverfassungsgesetz — die die sozialen Belange der Arbeitnehmer betreffen — und dem Weisungsbereich der staatlichen Stellen bzw.der bisherigen Leitung in den Zentren selber ist ein neues Mitwirkungsfeld eröffnet worden, das den besonderen Bedingungen wissenschaftlich-technischen Arbeitens entsprechen soll. Auf die konkrete Ausformung dieser fachlichen Mitwirkung auf den drei Ebenen, nämlich der Arbeits-, Leistungs-und Aufsichtsebene, kann hier nicht näher eingegangen werden Wichtig jedoch ist es, noch einmal daran zu erinnern, daß die Mitbestimmungsrechte nach den „Leitlinien“ unter „funktionalen" Gesichtspunkten eingeräumt wurden, also abgestuft nach der funktionalen Qualifikation der Mitarbeiter erfolgten. Der Trennstrich wurde zwischen der Gruppe der wissenschaftlichen und der Gruppe der nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter gezogen. Genau hier setzt der Argwohn der Gewerkschaften ein, die ja auch die Interessen der 50 bis 70 % nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter zu vertreten haben. Diese sind nach wie vor auf den traditionellen Weg über den Betriebsrat auf der Grundlage der Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes angewiesen.

Nun ist die Frage zu stellen, ob die fachliche Mitwirkung eigentlich so säuberlich von der Vertretung der sozialen Belange zu trennen ist? Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, anders als die „Leitenden", haben oft nur Zeitverträge und sind abhängig von bestimmten Forschungsprojekten. Bei stagnierenden, zumindestens in Jülich und Karlsruhe leicht rückläufigen Etats, bei Einstellungsstopps und Stellenkürzungen dürfte der wissenschaftliche Mitarbeiter geradezu gezwungen sein, im Rahmen der fachlichen Mitwirkung alles zu tun, um „sein" Forschungsprogramm zu halten und eventuell zu verlängern, gegebenenfalls auch wider besseres Wissen und auf Kosten der Interessen der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter.

III. Desiderat: Eine „Theorie der Partizipation"

Im Verlauf der jüngeren Demokratiediskussion wurden eine Reihe von Kritikpunkten an der vorfindbaren, überwiegend repräsentativ verfaßten Demokratie geäußert. Das Gemeinsame der Kritik an diesem Demokratiemodell und der ihm zugrunde liegenden Legitimationsbasis die Überzeugung, daß jedes, wie auch immer stellvertretendes Handeln, hinter der unmittelbaren Mitwirkung des Individuums zu rangieren habe.

In der Partizipationsforschung ist — bezogen auf diese Demokratiediskussion und auf die jüngste gesellschaftliche Entwicklung — der Frage nachzugehen, ob sich die Bedingungen für eine „partizipatorische“ Demokratie verändert, sich also die Chancen einer Ausweitung von Partizipation objektiv verbessert oder verschlechtert haben. Dabei kommt der Einschätzung der wissenschaftlich-technischen Entwickung eine Schlüsselrolle zu. Dies wurde im zweiten Teil dieses Aufsatzes ausgeführt. Die Anforderungen und Veränderungen in allem in diesem Bereich lassen es als notwendig erscheinen, fortlaufend in den einzelnen gesellschaftlichen Bereichen neu zu bestimmen, was „funktional" ist, oder, in der Begrifflichkeit Altvaters ausgedrückt, „die Dialektik von Spontaneität und Bewußtsein, von Autonomiebereichen und Zentralismus, von Markt und Plan" neu zu durchdenken. Ein „Sachzwang zur Partizipation" und eine quasi automatische Ausweitung von Partizipation steht allerdings nicht zu erwarten. Sowohl eine Analyse innerhalb der technostrukturellen Bedingungen als auch vor allem im Bereich der politisch/ökonomischen Bedingungen legt Hindernisse offen, die solchen Wissenschaftsoptimismus als naiv erscheinen lassen. überdies birgt, wie am Beispiel der „Leitliniendiskussion" gezeigt werden sollte, eine ausschließlich an „Funktionalität" ausgerichtete Strukturanpassung die ernstzunehmende Gefahr in sich, neue Klassendifferenzierungen zu schaffen bzw. zu verschärfen. Insbesondere die strukturell bedingte Grenzen und Möglichkeiten der Partizipation untersuchende Forschung steht noch ganz am Anfang. Eine „Theorie der (politischen) Partizipation", in der die Entwicklungen sowohl im ökonomischen (die Mitbestimmungsdiskussion) wie auch im engeren Sinne politischen Bereich (die Forderung nach mehr direkter Demokratie) in einen Zusammenhang gebracht werden, bleibt weiter zu entwickeln. Sie wäre eine Voraussetzung für eine „Strategie der Partizipationsausweitung".

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Die Klärung der Frage, was „funktionale" Partizipation in einem gesellschaftlichen Teilsystem, ob einer Schule, einem Krankenhaus oder einem Großforschungszentrum, nun eigentlich bedeutet, ist entscheidend. Untersuchungen könnten zeigen, daß angeblich „sachnotwendige" Barrieren gegen eine Ausweitung von Partizipation keineswegs „sachnotwendig" sind, sondern im Gegenteil eine Ausweitung der Partizipation unter . funktionalen'Gesichtspunkten geradezu angeraten scheint. Andererseits aber ist darauf hinzuweisen, daß eine schematische Anpassung gesellschaftlicherTeilbereiche an funktionale Erfordernisse unter politischen Gesichtspunkten und normativer Orientierung keineswegs gerechtfertigt sein muß.

Wenn man davon ausgeht, daß es eine Art Sachzwang zur Einräumung fachlicher Partizipation gibt, der größer wird, weil die Organisationsspitze in ihrer Effizienz immer abhängiger davon wird, ob ihre organisationsinternen „Sachverständigen" auf allen Ebene informieren und informiert sind, dann wird man sich vorstellen können, daß diese . neuen'Spannungsverhältnisse bedeutsamer werden könnten.

Das dargestellte Problem weist weit über den Bereich der Großforschungszentren hinaus. In der Diskussion um die Unternehmensmitbestimmung spielt die Frage, ob zwischen „leitenden" und „sonstigen" Arbeitnehmern unterschieden werden soll, innerhalb der sozialliberalen Koalition eine wichtige Rolle. Die . Bruchstellen'dieser Auseinandersetzung dürften aber in naher Zukunft, wenn auch von Bereich zu Bereich verschieden, insgesamt schmerzlicher werden, eben weil sie in der Beschäftigtenpyramide tiefer anzusetzen sind.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Bei dem vorliegenden Aufsatz handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung des von mir geschriebenen Teils eines gemeinsam mit Ulrich v. Alemann verfaßten Diskussionspapiers „Partizipation — Demokratisierung —/Mitbestimmung. Überlegungen zu Potentialen und Restriktionen“, das im Arbeitskreis „Parlamente, Parteien, Wahlen" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft zu dessen 4. Tagung am 16. /17. Nov. 1974 in Koblenz vorgelegt wurde. Die Einbettung in den Diskussionszusammenhang der „Studiengruppe Partizipationsforschung“ verdeutlichen zwei Kapitel aus dem von U. v. Alemann herausgegebenen Band (Partizipation — Demokratisierung — Mitbestimmung, Düsseldorf 1975), nämlich das von mir zusammen mit Wilfried Nelles verfaßte Schlußkapitel . Partizipationsforschung — wozu und wohin?" sowie der Teil „Formen, Bedingungen und Probleme der Partizipation in Bildung und Wissenschaft". Das im vorliegenden Aufsatz präsentierte „Raster“ von Bedingungen der Partizipation habe ich für die Bereiche Schule, Hochschule und hochschulfreie Forschung anzuwenden versucht. Vgl. dazu in für die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel erstelltes Diskussionspapier v. Alemann/v. Vier-eg 9e: „Aspekte der Demokratisierung, Voraussetzungen und Folgewirkungen".

  2. Wolfgang Zeidler, Der Standort der Verwaltung und das Demokratieprinzip, in: Hans-Joachim von

  3. Ebd., S. 43.

  4. Peter Bachrach, Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, Frankfurt 1970 (engl. 1967).

  5. Jürgen Habermas, Uber den Begriff der politischen Beteiligung, in: ders. u. a., Student und Politik, Neuwied 1963’; Gisela Zimpel, Selbstbestimmung oder Akklamation?, Stuttgart 1972.

  6. Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Edition Suhrkamp, Frankfurt 1972; Fritz Vilmar, Strategien der Demokratisierung; Bd. I Theorie der Praxis, Bd. II Modelle und Kämpfe der Praxis, Darmstadt u. Neuwied 1973; vgl. auch Henning von Vieregge, Uber Partizipation in den demokratischen Sozialismus?, Wiener Tagebuch Nr. 2/74; ders., Vorwärts in den Sozialismus? Einwendungen gegen Fritz Vilmars Strategien der Demokratisierung, in: ZParl Nr. 3/74 S. 432— 435.

  7. Vgl. dazu den Beitrag von Ulrich v. Alemann in diesem Heft.

  8. Fritz Vilmar, Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes. Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/1974; Giselher Schmidt, Zur Problematik von „Demokratisierung" und „Systemveränderung", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/74; Fritz Vilmar, Zur Problematik einer antisozialistischen Streitschrift, in: ebd.

  9. In der 2. Fassung des Berliner Programms der CDU von 1971 heißt es: „Die CDU versteht die De-

  10. So die programmatische Überschrift des Schlußkapitels des Buches von Warnfried Dettling, Demokratisierung, Wege und Irrwege, Deutscher Instituts-Verlag: Köln 1974. Dettling ist Leiter der Planungsgruppe der CDU Bundestagsgeschäftsstelle.

  11. Das jüngste Beispiel dazu lieferte der Bundeskongreß der Schülerunion in Recklinghausen.

  12. Reimer Grönemeyer, Integration durch Partizipation?, Frankfurt 1973, S. 208.

  13. Vgl. u. a. Fritz Vilmar, Strategien ... (s. Anm. 6).

  14. Gerhard Lehmbruch, Partizipation: Die ambivalenten Funktionen politischer Beteiligung in hochindustrialisierten Demokratien. Diskussionsbeitrag für die Tagung des Arbeitskreises „Parlament, Parteien, Wahlen der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft am 16. /17. Nov. 1974 in Koblenz (vgl. auch Anm. 1). Dieser Beitrag ist inzwischen erschienen in: Beat Junker, Peter Gilg und Richard Reich, Festschrift für Erich Gruner, Bern 1975, S. 237— 264; hier wird nach dem Ms. zitiert (S. 2).

  15. Vgl. ebd., S. 2 mit weiteren Literaturhinweisen.

  16. Vgl. ebd.

  17. Vgl. ebd.

  18. Vgl. dazu auch Michael Buse/Wilfried Nelles, Bedingungen und Hindernisse politischer Partizipation in: Ulrich v. Alemann (Hrsg.) (Anm. 1).

  19. Uwe Grünewald hat deshalb für den Bereich der beruflichen Bildung eine Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung im Rahmen einer integrierten Gesamtschule vorgeschlagen. Vgl. Uwe Grünewald, Partizipation im Bereich der beruflichen Bildung, in: Ulrich v. Alemann (Hrsg.) (Anm. 1), S. 267 ff.

  20. Das Schema ist dem Aufsatz von Claus Offe, Krisen des Krisenmanagements: Elemente einer politischen Krisentheorie, in Martin Jänicke (Hrsg.), Herrschaft und Krise, Opladen 1973, S. 273 entnommen. In teilweise abgewandelter Form findet es sich u. a. bei Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973; Peter Grottian, Strukturprobleme staatlicher Planung, Hamburg 1974 und Wilfried Nelles, Strukturelle Determinanten der Partizipation, in: v. Alemann (Hrsg.) (vgl. Anm. 1).

  21. Joachim Steffen, Strukturelle Revolution — Von der Wertlosigkeit der Sachen, Rheinbeck 1974, S. 162 f.

  22. Claus Offe, Strukturprobleme ... (Anm. 6), S. 90.

  23. Ebd. S. 95.

  24. Gerhard Himmelmann, Globalsteuerung und Warenwirtschaft, Referat zum DVPW-Kongreß in Hamburg vom 1. — 4. Oktober 1973, S. 4.

  25. Allerdings ist aus dieser Argumentation nicht zu folgern, das der sogenannte Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit als Hindernis einer Partizipationsausweitung bedeutungslos ist. Im Gegenteil: „Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob der in seiner Funktion der privaten Bereicherung abge. schaffte Gewinn in einer anderen Funktion und in anderen Erscheinungsweisen nicht doch wieder in die Ziel-Konstellation sozialistischer Unternehmen, sozusagen durch die Hintertür der Produktionskennziffern, Einzug hält." (Karl Otto Hondrich, Demokratisierung und Leistungsgesellschaft, Stuttgart 1972, S. 45).

  26. Vgl. Winfried Steffani (Hrsg.), Parlamentaris-Ms ohne Transparenz, Opladen 1971, S. 18 f.

  27. Vgl. dazu Peter Ehrhardt, Mitbestimmung im Betrieb, in: Ulrich v. Alemann (Anm. 1).

  28. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft In: Das 198. Jahrzehnt. Eine Teamprognose für 1970 bis 1980, Hamburg 1969, S. 352; vgl. auch Pierre Bertaux, Innovation als Prinzip, in: ebd., S. 479 ff. und Richta-Report, Politische Ökonomie des 20. Jährhunderts. Die Auswirkungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution auf die Produktionsverbaltnisse, Frankfurt 1971, S. 353.

  29. Vgl. Henningv. Vieregge, Formen, ... (Anm. 1) S. 195— 277.

  30. Vgl. Hans Matthöfer/Volker Hauff (Hrsg.), Forsthungspolitik für eine lebenswerte Zukunft, Grafenau 1974, darin z. B. die Einleitung von Matthöfer, „Forschungspolitik wird sich mehr, als das bisher der Fall war,, am gesellschaftlichen Bedarf zu orientieren haben. Der Inhalt des Stichworts . Gesellschaftlicher Bedarf kann an zwei Punkten besonders deutlich gemacht werden. Der erste Bereich ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und damit die Sicherheit der Arbeitsplätze ... Der zweite Bereich ist die Mitwirkung der Forschungspolitik an der Ausgestaltung unseres Gemeinwesens im Innern, an dem was heute unter dem Begriff Lebensqualität zusammengefaßt wird."

  31. Vgl. Henning v. Vieregge, Formen ... (Anm. 1) S. 203 ff., sowie ders., Die Neuordnung des Beratungswesens im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft im Herbst 1971, Magisterarbeit, Bonn 1973.

  32. Vgl. Bundesministerium für Forschung und Technologie: Bericht über die Erfahrungen mit den Leitlinien zu Grundsatz-, Struktur-und Organisationsfragen in rechtlich selbständigen Forschungseinrichtungen, Bonn 1974. Neben dieser Broschüre, die auch den Text der Leitlinien in der gültigen Fassung enthalten/sind zwei Materialbände vom Ministerium veröffentlicht worden, in denen Berichte und Stellungnahmen der Betroffenen (Gewerkschaften, Geschäftsleitungen der Großforschungszentren, Betriebsräte) und zwei vom Ministerium eingeholte Gutachten (von Battelle und vom Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund) enthalten sind.

  33. Vgl. z. B. Horst Ehmke, Demokratischer Sozialismus und demokratischer Staat, Gesprächskreis Politik und Wissenschaft, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1973, S. 19: „Ich stelle dem die These entgegen, da) die demokratische Selbstorganisation der Gesellschaft eine notwendige Ergänzung, aber kein Ersatt für die Notwendigkeit des Staates und staatlicher Politik sein kann."

  34. Claus Offe, Strukturprobleme ... (Anm. 6 S. 107 ff.

  35. Fritz Vilmar, Strategien (Anm. 6).

  36. Günther Rose, Konvergenz der Systeme-Legende und Wirklichkeit, Köln 1970, S. 39.

  37. G. P. Davidjuk, Kritik der Theorie von der „einheitlichen Industriegesellschaft", Selbstverlag Akademie für Staats-und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht": Potsdam-Babelsberg 1972, S. 223.

  38. Elmar Altvater, Rationalisierung und Demokratisierung: Zu einigen Problemen der neuen ökonomischen Systeme im Sozialismus, in: Das Argument, 8. Jg„ H. 4 Nr. 39, S. 270.

  39. Fred Schmid, Neue ökonomische Systeme in der DDR und CSSR, in: ebd., S. 291.

  40. Wlodzimierz Brus, Wirtschaftsplanung. Für ein Konzept der politischen Ökonomie, Frankfurt 1972, S. 94 f., zitiert nach: Herbert Ehrenberg, Zwischen Marx und Markt, Frankfurt 1974, S. 129.

  41. So Reimer Grönemeyer, Integration ... (Anm. 12), S. 51.

  42. In der „Vorbemerkung" unter 3. in den „Leitlinien", die als Anhang des Berichtes über die Erfahrungen mit den „Leitlinien" (vgl. Anm. 32) abgedruckt sind.

  43. Vgl. dazu Henning v. Vieregge, Formen... (Anm. 1), insbesondere Kapitel 2. 1. 6. Fallstudie: die Leitliniendiskussion, S. 213— 229.

  44. Elmar Altvater, Rationalisierung . . . (Anm. 38)

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Henning von Vieregge, geb. 28. 12. 1946, Magister-Examen (Hauptfach: Politikwissenschaft) 1973 in Bonn; 1973/74 wissenschaftlicher Angestellter in der „Studiengruppe Partizipationsforschung'', seit August 1974 dort nebenamtlicher Mitarbeiter und Forschungsstipendiat der Thyssen Stiftung; seit Wintersemester 1973/74 Lehrbeauftragter am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Formen, Bedingungen und Probleme der Partizipation in Bildung und Wissenschaft, in: U. v. Alemann (Hrsg.), Partizipation — Demokratisierung — Mitbestimmung, Düsseldorf 1975 (im Ersdeinen); (mit Wilfried Nelles) Partizipationsforschung — wozu und wohin?, in: U. v. Alemann (Hrsg.) a. a. O.; Vorwärts in den Sozialismus? Einwendungen gegen Fritz Vilmars Strategien der Demokratisierung, in : ZParl, Nr. 3/1974; Gesellschaftsrelevante Forschungspolitik — was ist das? in: Die Neue Gesellschaft Nr. 3/1975.