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Systemveränderung als Ideologie oder Fritz Vilmars Demokratisierungsstrategie | APuZ 51-52/1974 | bpb.de

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APuZ 51-52/1974 Verfassung als Parteiprogramm? Anmerkungen zur Kontroverse um das Grundgesetz nach 25 Jahren Systemveränderung als Ideologie oder Fritz Vilmars Demokratisierungsstrategie Systemtheorie als Ideologie contra Systemveränderung

Systemveränderung als Ideologie oder Fritz Vilmars Demokratisierungsstrategie

Uwe Dietrich Adam

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51— 52/74, S. 17— 30 (Eine Entgegnung auf den Beitrag von Fritz Vilmar: Systemveränderung auf dem Boden des Grungesetzes. Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/74)

Diese Zeitschriit veröffentlichte im Mai dieses Jahres (B 18/74) einen Aufsatz von Fritz Vilmar mit dem Titel: . Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes. Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung'. Die Redaktion hatte es in ihrem Vorwort begrüßt, wenn die von Fritz Vilmar angeregte Diskussion über die Fortentwicklung der parlamentarischen Demokratie nicht nur eine passive Resonanz finden, sondern zu weiteren Überlegungen — auch zu Widerspruch — führen würde. In der Beilage vom 10. August (B 32/74) wurde eine erste kontroverse Stellungnahme veröffentlicht, auf die hier eine zweite folgt. In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine partielle Kritik, sondern um Einwendungen prinzipieller Art, auf die der Autor ebenso grundsätzlich antwortet. Die Redaktion beabsichtigt, diesem Streitgespräch um die Entwicklungschancen unserer politischen Ordnung noch einen weiteren Beitrag im kommenden Jahr folgen zu lassen.

Fritz Vilmar macht sich Gedanken über das politische und soziale System der Bundesrepublik. Er artikuliert sein Unbehagen an vielerlei von ihm als negativ empfundenen Erscheinungen und Zuständen und hält vieles für verbesserungswürdig. Vilmar glaubt aber auch ein Ziel zu erkennen, auf das hinzugehen es sich lohnt, und er gibt dem Unwissenden ein Vademecum an die Hand, das sich »strategische Theorie einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung" nennt und von der er sich den „Beginn einer neuen politischen Kultur" erhofft.

Kritik ist in einer Demokratie nur positiv zu bewerten, sie ist geradezu konstitutiv für ein demokratisches Verhalten selbst. Sofern Kritik mit Lösungsvorschlägen für die Überwindung von Mißverhältnissen verbunden wird, ist ein solches Verhalten als doppelt positiv zu bewerten. Man gerät allerdings in eine gewisse Unentschlossenheit, die sich zur Fraglosigkeit steigert, betrachtet man Vilmars Lösungsvorschläge und setzt sie in Beziehnug zur gesellschaftspolitischen Wirklichkeit und zu den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten.

I. Die erkenntnistheoretische Ausgangsposition und das methodische Verfahren

Erkenntnistheoretisch bevorzugt Vilmar ein betont antagonistisches Bild der Wirklichkeit. Zur Erleichterung der eigenen Position schafft er zwei Klassen politisch-weltanschaulicher Gegner, die er „statisch-konservativ" und »statisch-revolutionär" nennt und deren pro-

Die Wirklichkeit gerät dabei unter die Räder seines theoretischen Diktums. Seine Theorie ist kein Abbild der Wirklichkeit, sondern steht zur willkürlichen Disposition eines Bündels von unbewiesenen Annahmen und Erwartungen. In diesem Sinn ist Vilmars Theorie eine Ideologie bzw. ein ideologisches Denken, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Insofern wird also der Ideologiebegriff nach Theodor Geiger definiert Im einzelnen möchte ich diese Behauptung mit folgenden Überlegungen beweisen:

1. Die erkenntnistheoretische Ausgangsposition und der methodische Ansatz lassen eine wirklichkeitsadäquate Betrachtung nicht zu.

2. Die Ausgangsposition Vilmars, daß das Grundgesetz sich mit seinen theoretischen Deduktionen vereinbaren ließe, ist kaum aufrechtzuerhalten. Es läßt sich so summarsich zeigen, daß Vilmars theoretische Aussagen Sachverhalte betreffen, über die kaum belegbare oder widerlegbare Behauptungen aufgestellt werden können grammatische Aussagen und theoretische Bekenntnisse er mit dem Namen „Ideologie" belegt Damit gelingt Vilmar ein erster methodisch wichtiger Erfolg: Indem er die konkurrierenden Auffassungen und Meinungen innerhalb der Gesellschaft antagonisiert — einmal links gegen rechts, dann Ideologien gegen ein „reales“, „konkretes", „realistisches" Konzept der Systemveränderung —, kann er andere Modelle und Zielperspektiven als unrealistisch abtun und — dies ist die entscheidende Funktion seines Verfahrens — die gesellschaftliche, soziale und politische Komplexität auf einen Ansatz reduzieren, wobei selbstverständlich seine eigene Theorie (Strategie, Konzeption) apriorisch als die einzig mögliche suggeriert wird

Diese Simplifizierung durchaus heteronomer Entwicklungen, Tendenzen und Sachverhalte bestimmt Vilmars weitere Betrachtung, die von der einmal eingenommenen Position einer dualistischen Weltbetrachtung nicht Abstand nimmt. So widerstreitet bei ihm das Konzept eines nur-parlamentarischen Demokratie-und Fortschrittverständnisses dem Konzept einer revolutionären Totalumgestaltung Da steht die reale Demokratie der formal-demokratischen Selbstgenügsamkeit gegenüber; es gibt ein „scheinbares" und ein „reales" System der Volksvertretung die Mitglieder von Gesellschaftssystemen sind entweder selbstbestimmt oder fremdbestimmt Entscheidungsprozesse sind entweder autoritär oder demokratisch strukturiert es gibt Untertanen oder Herrschende man hat ein Demokratieverständnis oder man hat kein Demokratieverständnis Demokratisierungsgegner stehen gegen Demokratisierungsanhänger

Nun mag man zugeben, daß eine dualistische Betrachtung der Welt nicht gleichzeitig Erkenntnisverlust bedeuten muß. Dieser simplifizierenden Teilung der Welt in ein Negativum und ein Positivum als Prinzip der Erkenntnis liegt jedoch kaum eine empirisch verstandene Wirklichkeit zugrunde, sondern ist eine bloß spekulative Annahme. Sie beruht auf einer äußersten Reduzierung komplexer Bündelungen faktischer Sachverhalte und programmatischer Positionen. Die Grundannahme bildet eine Zweiheit antagonistischer Prinzipien: statisch-konservative und statisch-revolutionäreIdeologien. Vilmar will diese Antagonismen in seinem Programm der umfassenden Demokratisierung überwinden, wobei er nun jedoch neue Antagonismen konstruiert, die von seiner ursprünglichen Grundannahme völlig losgelöst sind, insofern er das eine als absoluten Wert, das andere als rückschrittliches, zu überwindendes Prinzip statuiert. Hier arbeitet Vilmar also nicht mehr — im Gegensatz zu seiner Ausgangsposition — mit einem bloßen Antagonismus der Wirklichkeit, sondern mit Antagonismen von Sein und Sollen, Ziel und Wirklichkeit.

Vilmar reduziert also die derzeit bestehenden programmatisch-theoretischen Ansätze auf zwei antagonistische Richtungen, die er als Möglichkeit von Gesellschaftsreform ausscheidet. Sodann konstruiert er Gegensatz-paare im Bereich des Sollens und des Seins, die weder dialektisch vermittelt sind, sich auch nicht monistisch oder pluralistisch aufheben, sondern Ziel und Realität ausdrücken sollen. Die Realität wird jedoch nun auf dieser Ebene nicht mehr antagonistisch gesehen, sondern als geradezu monistisch aufgefaßt, so als erschöpfe sich die Wirklichkeit in der Herrschaft, im Untertan, in der Formaldemokratie und der Fremdbestimmung.

Damit wird auch die methodische Position Vilmars deutlich. Sie beruht auf dem Prinzip eines dualistischen Nebeneinander zweier Weltanschauungen. Dieses antagonistische Prinzip wird jedoch nicht beibehalten, sondern gerät im Verlauf der Deskription zum Gegensatzpaar einer als einheitlich verstandenen Wirklichkeit und einer idealistisch-teleologischen Perspektive. Die solcherart reduzierte Wirklichkeit kann somit als erkenntnistheoretisches Problem negiert werden und wird in einem bloß manichäischen Sinn einem absolut notwendigen Ziel gegenübergestellt. Durch dieses methodisch äußerst anfechtbare Verfahren gelingt Vilmar ein Doppeltes: Zum ersten kann er alle gesellschaftlichen Prozesse ausschalten, die seiner Zielintention nicht entsprechen; zum zweiten suggeriert er dem Leser, daß wissenschaftlich kein Zweifel darüber bestehen könne, daß der von ihm gesehene Prozeß der Demokratisierung der einzig mögliche, ja der einzig wissenschaftlich beweisbare und deshalb gangbare sei Vilmar vergißt, daß er gerade dies weder bewiesen hat, noch je beweisen kann. Denn könnte er dies beweisen, so müßte er eine jeden Zweifel ausschließende Theorie über die not-wendige und hinreichende Begründung zur Entwicklung sozialer Systeme entwerfen, d. h., er müßte belegen, daß der ständige ökonomische und soziale Wandel zwangsläufig und notwendigerweise ohne seinen Begriff der Demokratisierung nicht denkbar sei. Es zeigt sich indessen, daß seiner Forderung nach Demokratisierung, der er Notwendigkeit unterstellt, nichts anderes innewohnt als ein normatives oder essentialistisches Postulat, eine bloße wertgebundene Überzeugung, die als Tatsachenbehauptung ausgegeben wird.

Fragen wir noch einmal, weshalb Demokratisierung notwendig ist. Vilmar gibt die Antwort, Demokratie sei erst real, wenn die Herrschaftskontrolle „von unten“ auf allen Ebenen und Stufen und zusätzlich die personale Selbstbestimmung und Mitbestimmung erreicht sei Dahinter steht die Tatsachen-behauptung, daß Demokratisierungsmaßnahmen die Effektivität von Organisationen steigerten — eine These, die er von Naschold und Hondrich übernimmt Zu Hondrich wäre anzumerken, daß er den Begriff der Leistung derart weit definiert daß der . logische Spielraum" nahezu total ist d. h. alles unter den Begriff subsumiert werden und prinzipiell keine menschliche Betätigung ausgeschaltet werden kann

Die Übernahme der Naschold-Hypothese, Demokratisierung — verstanden als Steigerung der Partizipation der Mitglieder — erhöhe die Leistungsfähigkeit von Organisationen Ist insofern umstritten, als Partizipation und Leistung unabhängig voneinander definiert werden müssen, da wohl auch Partizipation zu der von einer Organisation zu erbringenden Leistung zählt i zum andern behandelt Naschold Organisationen so, als lägen für alle Organisationsformen und -Strukturen die gleichen Bedingungen und Besonderheiten vor Es ist also die bereits oben getroffene Feststellung zu konstatieren, daß die allfällige Mitbeteiligung und -bestimmung in allen Bereichen der Gesellschaft überpositiv gesetzt wird. Letztlich bleibt eine Zieldefinition, die Systemveränderung durch Demokratisierung kennzeichnet, im Bereich des Normativen. Sie bietet sich weder zwingend an noch ist sie in irgendeiner Hinsicht vorgegeben, auch nicht in dem gängigen Sinn, daß ein notwendiger und gesetzmäßiger Geschichtsablauf dazu hinführten oder eine bestimmte Wirtschaftsverfassung sie aus Effizienzgründen forderte Eine solche Annahme könnte geradewegs zu einem gegensätzlichen Effekt führen, weil sie einen inaktiven Quietismus bestärkt, der auf das Argument baut, daß sich die den Demokratisierungstendenzen innewohnende Rationalität von selbst durchsetzen werde, inneres Engagement, aktive Beteiligung und ein diesbezüglicher Zeitaufwand sich deshalb erübrigten

„Strategie“ ist bei Vilmar das Ziel gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung. Das zur Erreichung des Ziels notwendige Vorgehen, die mittel-und langfristigen Schritte, die — sozusagen als „taktische“ Grundthese — einen „Allfrontenkrieg" bedingen oder, um bei der Sprache der Wissenschaft zu bleiben, die methodische Verfahrensweise bestimmt, übernimmt Vilmar aus strukturfunktionalistischen bzw. kybernetischen Theorieansätzen.

Vilmar nimmt innerhalb des staatlichen Gesamtsystems eine Anzahl sozialer Organisati-onsformen an, die er als Subsysteme kennzeichnet Diese Subsysteme werden nun, und dies ist Vilmars Kerngedanke, innerhalb seiner Demokratisierungsstrategie durch gleichzeitige Eingriffe zur Reaktion gezwungen. Durch die synchronen Veränderungsvorgänge innerhalb der repressiven Strukturen anderer Subsysteme wirken sie infolge deren Interdependenz stabilisierend auf ein vereinzelt dynamisiertes Subsystem

Vilmars politische Methode der Demokratisierung klingt sympathisch, ja sie überzeugt sogar auf den ersten Blick auch wissenschaftlich, denn die Umstellung des Gesamtsystems kann zwingenderweise nur durch eine Transformation Subsysteme erfolgen, überdies

kann Vilmar die Versicherung wagen, daß seine Strategie der Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes Argument, ein dem sich nur der verschließen kann, der in der Beharrung das Prinzip von Staatlichkeit überhaupt sieht.

Klare, überschaubare und relativ verständliche Modelle haben zumeist den Anschein der Plausibilität für sich, um so mehr, wenn sie eine allgemein oder in breiten Kreisen anerkannte Zielvorstellung modellhaft oder methodisch operationalisieren. Indessen stellt die soziale und politische Wirklichkeit heute ein derart komplexes Gebilde dar, daß sie sich einer modellhaft verkürzten und vereinfachten Perspektive nicht mehr fügt, ja im Gegenteil sogar geeignet ist, diese Wirklichkeit verzerrt darzustellen.

Besehen wir uns noch einmal das Vorgehen Vilmars. Er spricht von System und Subsystemen, was zu der Auffassung führt, er arbeite mit einem systemtheoretischen Ansatz. Vilmar läßt dabei — bewußt oder unbewußt — offen, mit welchem Ansatz er arbeitet. So bleibt ungewiß, ob er punktuell auf die allgemeine Systemtheorie (General Systems Theory) rekurriert, ob er die kybernetische Systemtheorie wählt oder ob sich seine Ausführungen wesentlich auf den Strukturfunktionalismus beziehen Seine „Strategie der Demokratisierung“ läßt nur den Schluß zu, daß Elemente und Erkenntnisse aller drei Theorie-typen gleichzeitig verarbeitet wurden *• Damit muß sich Vilmar allerdings der Gefahr aussetzen, daß die Kritik, die gegen jeden dieser Ansätze vorgebracht wird, zwangsläufig in seinem Systemmodell kumuliert. Ein derartiges Unterfangen ist jedoch weder notwendig noch angebracht, denn es läßt sich zeigen, daß Vilmar auf ein sehr mechanistisches Modell von System aufbaut, das weder die Wirklichkeit noch den Standard der wissenschaftlichen Forschung adäquat widerspiegelt. Ausgangspunkt Vilmars ist die Annahme, daß die Bundesrepublik als „System“ zu betrachten ist, und zwar im umfassendsten Sinn. Dieses System unterteilt er in 20 Subsysteme, von denen er annimmt, daß sie ähnliche Funktionen für das Gesamtsystem haben ähnliche und auch über Autoritäts-bzw. Oligarchiestrukturen verfügen Er nimmt dann weiterhin an, daß ähnliche und synchrone Impulse in allen Subsystemen zu einer Reaktion der Subsysteme führen, die parallel ablaufen und damit verstärkend auf das Gesamtsystem verändernd einwirken

Ich möchte im folgenden nicht die Frage angehen, ob die Bundesrepublik Deutschland überhaupt als eigenständiges System betrachtet werden kann oder ob nicht supra-und internationale Systeme die Annahme rechtfertigen, daß die Bundesrepublik bereits in bestimmenden Fragen-und Aufgabengebieten ein nurmehr sehr eingeengt souverän agierendes und reagierendes System darstellt und besser als beschränkt autonom rückkoppelndes System anzusprechen wäre

Eine weitere, stillschweigend mitgedachte Voraussetzung liegt in der Annahme eines geschlossenen Systems, in dem die Umwelt — also andere soziale und politische Systeme — als überschau-und berechenbar angenommen werden. Die politische und soziale Umwelt der Bundesrepublik wird somit als indifferent, wenig komplex und unstrukturiert betrachtet und zusätzlich vermutet, daß neben der Sy-stemveränderung, die das System als Richtungsanderung begreifen muß gleichzeitig alle von außen eindringenden Impulse und Informationen systemintern errechnet und dem eigenen Zielwert angepaßt werden Inwieweit Vilmar die Umweltkomplexität vor seinen allein systemintern ablaufenden strategischen Zielen und Entscheidungen vernachlässigt und welche Folgen dies für ein solcherart reduziertes Systemverständnis hat, zeigen in kaum zu überbietender Eindringlichkeit einige aktuelle Ereignisse aus dem Bereich der internationalen Politik

Die außenpolitischen, wirtschaftlichen und monetären Prozesse spielen in Vilmars System keine Rolle, ja sie werden geradezu extrapoliert. Er weist vielmehr darauf hin, daß er seiner Strategie eine Legitimationsbasis verschafft, die in der Erwartung liegt, daß demokratische Handlungsspielräume effektiver seien, wenn bei jeder möglichen politischen Konstellation demokratische Potentiale mitbestimmten Hier scheint ein Widerspruch vorzuliegen, wenn man die Frage stellt, wer unter welchem Interessenspektrum beim „gesellschaftlichen Krisenmanagement“ entscheidet, wenn ein gesichertes Partizipationspotential zwar vorhanden ist die Umwelt (Subsysteme) jedoch nur systemintern nach dem Gesichtspunkt der politischen und sozialen Maximierung handelt? Vilmar setzt hier offenbar eine Rationalität in der Aufarbeitung systemfremder Einflüsse voraus, die weder rational zu verarbeiten noch emotional erhoffbar sind

Ein weitaus gewichtigeres Problem, auch im Rahmen systemtheoretischer Ansätze, soll die Frage betreffen, ob Vilmars Subsysteme tatsächlich im Sinn der Systemtheorie als „Subsysteme" kennzeichenbar sind, d. h., sich durch eigene Grenzen von den sie umgebenden Subsystemen abheben. Vilmar stellt die Behauptung auf, seine Subsysteme seien insofern vergleichbar, als sie „weitgehend zusammenhängende gesellschaftliche Relevanz, Funk-tion, teilweise auch ähnliche Autoritäts-bzw. Oligarchiestrukturen haben“ Das Problem der gesellschaftlichen Relevanz gewisser Subsysteme ist schlechterdings in dieser Kürze nicht zu beantworten. Welche Funktion die Familie oder welche Struktur die Verwaltung eines Systems besitzt, bemißt sich kaum allein nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz. Ob primäre Sozialisationssysteme und Verbände gleich relevant sind, ist auch weniger eine Frage normativer Überlegungen als allenfalls gründlicher empirischer Erhebungen. Daß alle von Vilmar genannten Subsysteme gleicherart autoritär oder oligarchisch strukturiert sind, ist eine Annahme, deren Beweis noch aussteht. So gilt es hier festzuhalten, daß Vilmar Norm und Faktum einander gleichsetzt, ohne daß erkennbar wird, auf welchen Daten und Erkenntnissen seine Annahmen basieren.

Vilmar — und das zeigt seine Strategie der Demokratisierung in aller Deutlichkeit — ignoriert überdies die eminent wichtige theoretische Trennung zwischen politischem und sozialem System. Für ihn ist Gesellschaft ein nicht näher definiertes Konglomerat, in dem sowohl politische wie gesellschaftliche Entscheidungen gegenseitig austauschbar sind. Vilmar glaubt, daß der Anstoß von Subsystemen, seien sie politischer oder gesellschaftlicher Natur, gleichzeitig Entscheidungen auf beiden Systemebenen auslöse Worauf Vilmar hinausmöchte, ist eine Parallelisierung individueller, gesellschaftlicher, sozialer und politischer Prozesse. Ein derartig un-strukturiertes Gebilde, in dem quasi ein politisch-soziales Supersystem einzig durch die Merkmale differenziert wird, wie in Subsystemen Entscheidungsprozesse ablaufen sollen, ist in höchstem Maße wirklichkeitsfremd, wenn diese Entscheidungsprozesse den jeweiligen Funktionen der Subsysteme als adäquat zudiktiert werden, ohne die Frage zu berücksichtigen, inwieweit beispielsweise oligarchische Strukturen für die Funktion eines Subsystems „Leistung“ für das Gesamtsystem sind

Vilmar versucht den hier auftretenden Schwierigkeiten durch den Lösungsvorschlag auszuweichen, man müsse den Grad der Partizipationsmöglichkeiten entsprechend den tatsächlichen gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen in einer gleitenden Skala festlegen, die von einer minimalen Mitentschei düng bis zu einem optimalen Mitspracherecht reicht Damit löst er jedoch unwissentlich seinen theoretischen Ansatz auf, der sehr stark auf die Parsonsche Theorie der Gesellschaft als soziales System aufbaut und dessen stark formalisierte Gesellschaftsgliederung übernimmt. Die Suche nach der jeweilig angemessenen Entscheidungsbeteiligung läßt sich gerade nicht nach Vilmars Vorstellungen in ein „oben“ oder „unten" der einzelnen Subsysteme ansiedeln, sondern bedingt über die formalen Systemgrenzen hinaus und stärker noch innerhalb der angeführten Unter-gliederungen, die Annahme eines informationsverarbeitenden Steuer-und Regelungsprozesses über das Medium der Kommunikation, was zu wesentlich komplexeren Ergebnissen führt als das statische, einseitig kausal angesehene Schema der stimulus-response-Reaktion, die Vilmar seinem System offensichtlich zugrunde legt Dem entspricht auch die aus einer schiefen Perspektive getroffene Feststellung, nicht Informations-, sondern Machtstrukturen seien zu verändern

Diese Gegensetzung dürfte bei Vilmar eigentlich nicht bestehen. Er sucht ja gerade Macht-beschränkung durch verstärkte Partizipation, weshalb Macht nach Lasswell und Kaplan auch definiert werden könnte als „Mitwirkung an der Entscheidungsbildung" also als Erweiterung des Informationsnetzes und der Kommunikationskanäle. Damit bricht aber gleichzeitig auch das nach funktionalen Bedingtheiten entworfene Strukturgitter der Subsysteme auseinander, weil nunmehr nicht einfach nur ein apriorisch angenommenes Bündel an Subsystemen Ausgangspunkt seiner Strategie darstellen dürfte, sondern hier die primäre Überlegung stehen müßte, daß ein System nicht allein nach seiner funktionalen Äquivalenz, als vielmehr nach den Merkmalen der Organisation, Kommunikation und Steuerung gekennzeichnet ist Damit aber verliert das System, sofern es auf den Organisationsbegriff reduziert wird den Charakter des Statischen, Berechenbaren, dem alle strukturfunktionalistischen Betrachtungen zugrunde liegen, und wird zu einem dynamischen Modell, das ganz wesentlich anderen Erkenntnissen und Prämissen unterliegt. So laßt sich z. B.zeigen, daß Vilmar die Zielvorstellungen (goal-attainments) eines Systems — hier: Demokratisierung und Emanzipation — in das sehr schematische Verfahren des stimulus-response-Modells einspannt, wodurch unterschiedliche Stimuli in den verschiedenen Subsystemen sich letztlich durch Adaption aller Subsysteme in einen Gleichgewichtszustand einpendeln, in dem sich die funktionalen Erfordernisse des Systems wieder im Zustand der Interdependenz befinden

Ein derart reduziertes Panorama möglicher gesellschaftlich-politischer Aktivitäten von den Faktizitäten der Wirklichkeit lassen die informationstheoretisch-orientierten Ansätze nicht zu. Während es, um ein Beispiel anzuführen, beim Subsystem der primären Sozialisationssysteme (Familie, Kindergarten) nach Vilmar ausreicht, als Stimulus ein „Demokratisierungspotential" hineinzutragen, um das erwünschte Ergebnis größerer Mitsprache und -beteiligung zu erreichen, so sucht die kybernetische Systemtheorie nach den Reaktionen, mit denen das System auf die Informationseingabe antwortet Deshalb sind die Ergebnisse der Stimuli nicht automatisch größere Mitbestimmung, sondern sie wirken in erster Linie zurück auf die Ausgangsbedingungen was bei den einzelnen Subsystemen zu durchaus unterschiedlichen Reaktionen führen kann, ganz abgesehen von der Tatsache, daß die Informationsaufarbeitung in den verschiedenen Informationssystemen zeitlich unterschiedlich erfolgt

Auf die möglichen Ergebnisse von Vilmars synchroner Demokratisierungsstrategie in den von ihm konstruierten Subsystemen soll hier nicht eingegangen werden. Es mag auf ein mögliches Ergebnis hingewiesen werden, das noch relativ einfach strukturiert ist. Gehen wir davon aus, daß innerhalb der Familie und des Kindergartens, der Vorschule etc. hierarchische Verhältnisse abgebaut werden und Mitbestimmung dort praktiziert wird, wo die elementaren Bedürfnisse der Betroffenen tangiert werden. Dies sind einmal die Kinder, nen, schließlich die Träger eines Kindergartens und letztlich das gesellschaftliche Gesamtsystem, das bestimmte Erwartungen an Kinder, Eltern und Kindergärtnerinnen heran-trägt. Ein hierarchisches System besteht ohne Zweifel zwischen Eltern und Kindern, zwischen Kindergärtnerinnen und Kindern, zwischen dem Träger des Kindergartens und den Kindergärtnerinnen. Selbst wenn man von der einfachen Tatsache absieht, daß hier wesentlich verschiedene Informations-und Entscheidungsebenen bei einer Aufgabe Zusammenwirken, gehört eine betont unrealistische Betrachtung dazu, in diesem konkreten Fall durch gleichzeitige Eingriffe in die repressive Struktur der angesprochenen Subsysteme ein gleiches Ergebnis zu erhoffen. Dies zeigt allein die Überlegung, daß die eigentlich individuell Betroffenen, nämlich Eltern und Kinder, innerhalb des Subsystems Familie keine wie auch immer geartete völlig autonome Einheit bilden. Eltern sind nicht nur Eltern, sondern in einer pluralen Gesellschaft auch Wähler, Käufer, Arbeiter, Angestellte und Teilnehmer des gesamten sozial-politischen Prozesses, wobei die in diesem Rollenverhältnis empfangenen Informationen bei einem Elternpaar rückkoppelnd wirken.

Und selbst wenn individuell die Einsicht bestehen sollte, daß Demokratisierung eine Forderung unserer Zeit ist, so wird spätestens dann die Demokratisierungsgrenze erreicht sein wenn die Gefahr besteht, daß die vorzeigbare Leistung eines Systems mit demokratischen Bedürfnissen hinter den Erwartungen nach Leistungssteigerung im jeweiligen Subsystem zurückstehen sollte. Dies scheint eine bittere Erkenntnis, aber sie zeigt, daß eine optimistisch-idealisierte Wirklichkeitsbetrachtung mit der Wirklichkeit selbst nichts zu tun hat.

Wegen der unbestimmten Ausführungen Vilmars kann eine letzte Vermutung nur marginal angeführt werden. Vilmar entwirft eine Methode, mit der in den von ihm bezeichneten Subsystemen Anstöße zur Demokratisierung und Partizipation gleichzeitig in Angriff genommen werden sollen, um keine beharrenden Subsysteme dysfunktional auf die bereits lernenden Subsysteme einwirken zu lassen. Er beabsichtigt einen „kumulativen Prozeß“ was heißen soll, daß die in die Subsysteme hineingetragene Demokratisierungsstrategien sich gegenseitig progressiv verstär-kumulativ in Richtung der erwünschten Veränderung intensivieren. In der politischen Kybernetik fand man für einen solchen Vorgang den Terminus der „kumulativen Rückkoppelung", die letztlich dazu führt, daß die Stabilität des Systems aufgehoben wird und erst die Veränderung des Systems erneute Stabilität bewirkt Deutsch verwendet hier den Begriff der „positiven Rückkoppelung", die, ganz im Sinne Vilmars, bei einer Information über die Reaktion des Systems eine Verstärkung dieser Reaktion in gleicher Richtung erzeugt, was wiederum eine Verstärkung des durch die Information hervorgerufenen Verhaltens führen kann. Eine solche Situation kann nun einerseits die Leistung des Gesamtsystems sich einem oberen Grenzwert nähern lassen, sie kann indessen auch außer Kontrolle geraten und das System zugrunde richten

Nun darf aus dieser Annahme nicht die Vermutung abgeleitet werden, daß die Demokratisierung zur Selbstzerstörung eines Systems führe. Indessen ist ein Gesichtspunkt hier besonders hervorzuheben. Systemveränderung durch Demokratisierung kann nichts anderes heißen, als daß der angegebene Zweck und das Ziel des Veränderungsprozesses ungeachtet der Auswirkungen auf andere Systemelemente bevorzugt maximiert werden sollen Das Zielmodell Vilmars ist nun allerdings von radikaler Einfachheit durch den Rückgriff auf ein überschaubares System, das jedoch den sich ständig neu ausdifferenzierenden Subsystemen insofern nicht Rechnung trägt, als diese Subsysteme „zu vielfältig und zu veränderlich werden, um noch Konsensus zu finden" Aus dieser Tatsache folgt wiederum eine relativ große Autonomie der Subsysteme, was als Kommunikationsgefälle zwischen den einzelnen autonomen Organisationen dargestellt werden kann

Sofern man also davon ausgeht, daß die heutige Gesellschaft aus einer Vielzahl autonomer oder halbautonomer Organisationen besteht, die sich gegenseitig durch die inneren Kommunikationsvorgänge unterscheiden und sich durch ein Kommunikationsgefälle ab-57 grenzen, ist eine doppelte Fragestellung notwendig. Zum ersten ist zu fragen, inwieweit die Leistungsfähigkeit der internen Kommunikationskanäle den zu bewältigenden Aufgaben angemessen sind, d. h., ob die Maximierung des Ziels Demokratisierung, die dem System aus seiner Umwelt herangetragen werden, zu einem entsprechenden Ausgleich mit dem internen Rückkoppelungsstrom zu bringen ist“ Zum zweiten ist zu fragen, wie intensiv die Externinformationen auf den inneren Regelkreis autonomer Organisationen einwirken müssen, um diese zu entsprechenden Zieländerungen zu veranlassen. Nur als Vermutung kann deshalb hier die Behauptung gewagt werden, daß die „gleichzeitigen Eingriffe“ Vilmars allein dann Erfolg haben, wenn gleichzeitig auch die repressive Struktur aller autonomen Subsysteme zur Veränderung und Anpassung gezwungen werden.

Es soll hier außer acht bleiben, daß Vilmar politisches und soziales System gleichsetzt und nicht die Allgemeinheit der Entscheidungen des Politischen für das Gesamtsystem berücksichtigt Es dürfte indessen außer Zweifel stehen, daß in Vilmars Modell eine annähernde Gleichzeitigkeit nur dann zu erreichen ist, wenn die Informations-oder Machteinwirkungen auf einzelne autonome, ja nahezu souveräne Subsysteme in einer derartigen Schnelligkeit und Konzentration erfolgen, daß die interne Informationsverarbeitung keine Möglichkeit hat, sich auf einen Gleichgewichtszustand einzupendeln, der unterhalb der Schwelle liegt, die mit Demokratisierung erreicht werden soll und in anderen Subsystemen auch erreichbar ist. Es zeigt sich nämlich, daß komplexe politische Systeme selbst auf Änderung mehrerer Parameter kaum reagieren

II. Rechtssystem und Systemveränderung

Vilmar beruft sich in seinem Modell der Systemveränderung auf das Bonner Grundgesetz, das einen weiten Rahmen verfassungsrechtlicher und sozialpolitischer Ausgestaltung den bewegenden Kräften der Gesellschaft zur Disposition überläßt. Sehr richtig zitiert er einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, in dem die unverletzlichen Elemente dieser Verfassung als conditia sine qua non und gleichzeitig als Grenzen der Verfassungsinterpretation angegeben werden’ Es steht auch außerhalb jeder Frage, daß der Verfassungsgeber die nähere sozioökonomische Gestaltung der Wirtschafts-und Sozialordnung dem freien Kräftespiel derer überantwortete, die im Sinn des Grundgesetzes die politischen Mehrheiten bilden Insofern kann Vilmar voll beigepflichtet werden, wenn er von Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes spricht. Von großem Interesse dürfte nun allerdings die Frage sein, ob die Strategie Vilmars und deren methodische Prämissen vielleicht nicht auch das Rechtssystem und somit in erster Linie das Grundgesetz in einer Weise verändern, daß der Boden dieser Verfassung als ein Sprungbrett für eine Rechts-und eine Verfassungsordnung dient, die nachträglich, d. h. nach erfolgter System-Veränderung, durch die normative Kraft des Faktischen eine völlig andere Ausgestaltung erhält.

Vilmar ist der Ansicht, daß Grundgesetz erschöpfe sich in einer Interpretation des Bundesverfassungsgerichts. Er führt. das Sozialstaatsprinzip und das Demokratisierungsprinzip an. Dieser Versuch, aus der Interpretation eines Verfassungsartikels die Gesamtverfassung auszulegen, ähnelt im methodischen Vorhaben dem seinerzeit gelungenen Unternehmen Carl Schmitts, die Weimarer Verfassung von einer angenommenen Zentralregelung her zu interpretieren und den Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung und damit die Macht und den Einflußbereich des Reichs-präsidenten als bestimmende Norm für alle weiteren Verfassungsbestimmungen heranzuziehen Das Bundesverfassungsgericht fordert demgegenüber, daß die Verfassung nicht aus einzelnen Sätzen heraus isoliert ausgelegt wird sondern daß das Verfassungsrecht „aus gewissen, sich verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen" konkretisiert wird Deshalb verlange auch die Verfassung — immer nach der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts — eine Auslegung, in der das Grundgesetz als Einheit betrachtet und immer wieder eine Gesamtheitsbetrachtung unter Beachtung des „Sinngefüges der Verfassung“ gefordert wird Für unsere Betrachtung ist es von Nutzen, daß die Grundrechte nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden dürfen und daß der Verfassung über den Grundrechtskatalog hinaus bestimmte Postulate inhärent sind, die für das demokratisch-sozialstaatliche Prinzip und die Gesamtkonstruktion der Verfassung bestimmend sind

Zu den folgenden Ausführungen muß in Erinnerung gerufen werden, daß das Grundgesetz gewisse Normen als primär verbindlich voraussetzt, die auch vom Verfassungsgesetzgeber nicht tangiert werden dürfen Im übrigen bestehen gewisse Auslegungsregeln, die als quasi verfassungsrechtliche Leitsätze eine allzu dezisionistische Interpretation nach allein politischen Bedürfnissen verbieten

Wie weit also tangiert Vilmars Strategie der Demokratisierung das Grundgesetz als oberstes Normengefüge des Rechtssystems? Die Problematik wird sich vielleicht eher darstellen lassen, wenn man vom großen Rahmen Vilmars ausgeht. Hier haben wir mehrere zusammenhängende Aussagen, aus denen sich ein Gesamtbild formen läßt. Dem Verfasser geht es um eine „reale Demokratie", die nach Meinung des Verfassers nur eine „sozialistische Demokratie" sein kann Diese Demokratie baut auf einer klassenlosen Gesellschaft auf einer Gesellschaft der Gleichen und Freien

Die innere Organisation dieser von Vilmar entworfenen Gesellschaftsordnung regelt sich weitgehend nach den Prinzipien der Selbstbestimmung aller einzelnen Mitglieder und der gesellschaftlich relevanten Institutionen, wobei soweit als möglich und anwendungsfähig rätedemokratische Elemente zwischengeschaltet werden Dies richtet sich gegen alle elitären Gruppen, seien sie wirtschaftlich oder politisch bestimmt Das Ziel ist eine freie Gesellschaft; der Staat ist eo ipso eine Maschinerie, dessen Zweck einzig in der Durchführung gesellschaftlicher Forderungen geseher wird.

Sofern Vilmar seine Demokratievorstellung als sozialistisch definiert, ja mehr noch, diese sozialistische Form der Demokratie als die einzig mögliche ansieht und daraus die Schlußfolgerung ableitet, daß das Grundgesetz ein Verfassungsgebot zur „realen Demokratie" beinhalte — daß also die „Theorie der gesamtgesellschaftlichen Transformation“ die Kluft zwischen der Verfassungswirklichkeit und der dem Verfassungsrecht immanenten Ziele überbrücken helfe —, kann dem nicht beigepflichtet werden. Denn hier arbeitet Vilmar mittels eines Kunstgriffes, indem er die Verfassung in politischer Absicht zum Auftraggeber seines Staats-und Gesellschaftsverständnisses in Anspruch nimmt, wiewohl der Verfassungsgeber die nähere inhaltliche Konkretisierung des von ihm als Grenze und Beschränkung gedachten Verfassungsrahmens sehr bewußt und mit Absicht den gesellschaftlich-politischen Kräften überantworten wollte

Es zeigt sich hier die fatale Eigenschaft, jeder genuin politischen Veränderung das Mäntelchen der Verfassungskonformität umzuhängen, so als ob politische Initiativen und Ziele aus sich selbst heraus bereits unstatthaft seien So wird von Vilmar der Eindruck erzeugt, das Grundgesetz verlange oder fordere eine bestimmte Form von Demokratie und sanktioniere allein diese, wogegen das Grundgesetz einzig auf den Konsensus der Mehrheit abhebt, der in der aktuellen politischen Praxis durch die hierfür vorgesehenen Gruppen umgesetzt werden soll. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich das Grundgesetz zur „realen“, d. h. sozialistischen Ausprägung von Demokratie bekenne und daß die Protagonisten einer derartigen Überzeugung das Recht für sich in Anspruch nehmen könnten, namens der Verfassung auf ihre verfassungsgetreue Interpretation zu verweisen, um damit den politischen Gegner in eine Ecke abzudrängen, die stillschweigend oder zumindest verbal für den Verfassungsgegner reserviert ist Insofern ist auch Vilmars Interpretation dahingehend zu modifizieren, daß das Grundgesetz bestimmte gesellschaftspolitische Vorstellungen nicht erzwingt, sondern ihnen vielmehr nicht entgegensteht.

An dieser Stelle bedarf es allerdings einiger Einwürfe, weil der Verdacht begründet ist, daß trotz aller verbalen Versicherungen ein Verfassungssystem projiziert wird, das mit der Grundkonstruktion des Grundgesetzes und einiger seiner wesentlichen Bestimmungen nicht mehr allzuviel gemein hat.

Vilmar spricht — um einen Hauptpunkt näher aufzugreifen — vom Einbau rätedemokratischer Elemente in die Struktur der parlamentarischen Demokratie wobei jedoch die verfassungsrechtlich festgelegte Kompetenz der durch Wahlen legitimierten Exekutive nicht in Zweifel gezogen werden dürfe An anderer Stelle soll der Parlamentarismus zu einem „realen“ System der Volksvertretung vorangetrieben werden Eine weitere Textinterpretation läßt erkennen, daß Vilmar zwar die verfassungsrechtlich fixierte Stellung der Regierung unangetastet lassen möchte jedoch den Art. 38 GG insofern modifizieren will, als die in Fraktionen zusammengefaßten Mitglieder der Parteien in den Volksvertretungen aller Ebenen (Gemeinde, Kreis, Land und Bund) und die Delegierten, d. h. Abgeordneten, durch stärkere Kontrolle, verstärkte Rechenschaftspflicht und die Möglichkeit der Delegation von Entscheidungen und Beschlüssen aus unteren Ebenen ein imperatives Mandat auferlegt erhalten

Vorausgesetzt, das imperative Mandat wäre verfassungsrechtlich realisierbar — seine Einführung erforderte dann von Bundestag und Bundesrat sowie von allen Landesparlamenten nur die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der änderungswilligen Organe.

Diese Hürde ließe sich zweifelsohne überwinden, legte man Vilmars Strategie zugrunde und wären sich alle Betroffenen darin einig, daß es tatsächlich „unsere einzige Chance“ zu sein scheint. Jedoch hat die Verfassungswirklichkeit oder -praxis für die „Theorie" einige Hindernisse eingebaut, die verfassungsrechtlich und damit auch machtpolitisch gewisse Probleme aufwerfen. Gesetzt den Fall, die von Vilmar befürwortete stärkere Bindung der Abgeordneten führe dazu, daß sich tatsächlich die erforderliche Mehrheit der Abgeordneten für eine Änderung des Art. 38 GG aus-spräche, und gesetzt auch den Fall, daß der Bundesrat einer solchen Verfassungsänderung sein Plazet gäbe, so bliebe immer noch die Frage unbeantwortet, ob nun die Wähler eines Wahlkreises einen gewählten Abgeordneten abwählen könnten oder die Mitglieder des Parteienverbandes, dem der Abgeordnete entstammt. Weiterhin stellt sich die nicht unwichtige Frage, ob die Abgeordneten durch ein Mehrheits-oder Verhältniswahlrecht gewählt werden Wenn aber ein gewählter Abgeordneter relegiert werden soll, wer bestimmt dessen Nachfolger? Die Gesamtwählerschaft des betreffenden Wahlkreises oder die relegierende Parteiengruppierung?

Sollte man tatsächlich über die grundsätzlich bestehenden verfassungsrechtlichen Hürden hinwegkommen, um zu einem weitgehend modifizierten Grundgesetz in der Frage des verfassungsrechtlichen Status der Abgeordneten zu gelangen, so wäre hiermit nur eine Norm berührt. Weittragender scheint das Problem bei denjenigen Abgeordneten, die als Minister in eine Bundesregierung berufen werden und nunmehr einer zweifachen Rechenschaftspflicht ausgesetzt sind, die zum einen darin besteht, unter dem Druck eines imperativen Mandates im Parlament eine Haltung einnehmen zu müssen, die im direkten Widerspruch zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers steht’ Gewiß, so könnte Vilmar entgegnen, fiele die Einrichtung und Organisation der obersten Bundesorgane in den Bereich, den er . Fundament der repräsentativen Demokratie“ nennt Wenn er jedoch von rätedemokratischen Formen in der Volksvertretung spricht — eine Möglichkeit, die in den beschränkten Einrichtungen des „recall“ in allen Volksdemokratien und in einigen westlichen Staaten vorhanden ist —, sollte er berücksichtigen, bis zu welcher Schwelle die Eingriffs-und Kontrollrechte vom derzeitigen Verfassungssystem getragen werden können, ohne die Institution der Volksvertretung aufzulösen in einer Vertreterversammlung imperativ geführter Mandatare — eine Vision, die das Grundgesetz im Art. 20 zweifellos nicht deckt

Vilmar versäumt es aus guten Gründen, die Schranken zwischen repräsentativ eingerichteten Körperschaften und rätedemokratischen Mechanismen aufzuzeigen, weil diese Grenzziehung auf parlamentarischer Ebene sowohl praktisch wie rechtstechnisch kaum realisiert werden kann. Dabei steht es außer Frage, daß sich als praktische Konsequenz eines verstärkt rätedemokratisch orientierten politischen Systems dies positiv-rechtlich niederschlagen muß’ Ein kleines Beispiel soll die hier auftretenden Schwierigkeiten illustrieren.

Prinzipiell muß nach Vilmar die Abberufung jedes Abgeordneten, also auch der Minister und der Parlamentarischen Staatssekretäre, möglich sein, da sonst eine doppelte Klasse von Abgeordneten geschaffen würde, was sicherlich der Norm des Art. 3 GG zuwiderliefe. Sollte indessen tatsächlich der von Vilmar praktisch angelegte Fall eintreten, daß eine Vertreterversammlung gleich welcher Art einen Abgeordneten abwählte, so hieße dies für den Bundeskanzler, einen Parlamentarischen Staatssekretär zu entlassen einen Minister ohne Abgeordnetenstatus beizubehalten oder auch diesen zu entlassen, was zu einem erhöhten Unsicherheitsfaktor in der allgemeinen Kabinettspolitik führen würde. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers nach Art. 65 GG wäre allerdings nicht allein abzuändern, auch die Geschäftsordnung der Bundesregierung bedürfte bei der Frage des imperativen Mandats einer Neufassung ebenso Art. 69 Abs. 2 GG, der die Beendigung der Amtszeit eines Ministers regelt.

Insgesamt kann im Fall der Einführung eines imperativen Mandats festgestellt werden, daß die Organisation und die derzeitig verfassungsrechtlich fixierte Stellung des Organs Bundesregierung, insbesondere die herausgehobene Position des Bundeskanzlers, einer weitgehenden Revision unterzogen würden. Weitere Grundgesetzänderungen wären darüber hinaus notwendig, um die z. Z. bestehenden Rechte des Bundestages einzuschränken Ein weiterer Bereich der Demokratisierung kann hier zusammengefaßt werden. Es geht um die Herrschaftskontrolle im Bereich der politischen Parteien und der öffentlichen Verwaltungen. Beide Gebiete sind als Aufgabe politisch-demokratischer Betätigung spätestens seit Michels „ehernem Gesetz der Oligarchie“ und seit der Erkenntnis des sukzessiven Machtzuwachses und der anwachsenden Eigengesetzlichkeit bürokratisch organisierter Apparaturen zu einer Ordnungsaufgabe ersten Ranges geworden. Es könnte scheinen, daß Vilmars „Demokratisierungsstrategie“ zu einem nicht geringen Teil dieser Verfestigung als rigid empfundener Organisationsstrukturen entgegenarbeiten möchte Nun steht der Grundgedanke des Art. 21 GG einer stärkeren Demokratisierung der Parteien durchaus nicht im Wege, ja er fordert sogar die größtmögliche Beteiligung der Basis an politischen Entscheidungen 2. Dies hat ohne Zweifel Rückwirkungen auf die genuin staatliche Ebene, die in der Strategie Vilmars nicht bedacht wird.

Es ist heute eine allseits bekannte Tatsache, daß Parteien nicht nur allein die Transmission politischer Entscheidungen bewirken, sondern deren Durchsetzung und Absicherung mit einem vielfältig abgestuften Instrumentarium personeller04Begünstigungen und Bevor-teilungen abzusichern suchen Nun ist die Institution des politischen Beamten, bei dem bewußt die parteipolitische Etikettierung in Kauf genommen wird, auf eine gewisse Ebene der Beamtenschaft beschränkt. Allerdings stellt sich bei ihm die allgemeine Problematik verfassungsrechtlicher Grundsätze nicht weniger zwingend als bei gewöhnlichen Beamten. Man muß hier die Tatsache sehen, daß ein beliebiger, parteipolitischer gebundener Beamter durch die Form der Ausübung seines Amtes das parteipolitische Gewissen verletzt und das Mißfallen seiner parlamentarisch-parteilichen Basis hervorruft. Diese Basis beginnt nun, nach Vilmar völlig gerechtfertigt, gegen dieses Mitglied mit Sanktionen vorzugehen Dies bedeutet nun nichts anderes, als auf dem Weg über das imperative Mandat in den eigentlichen Staatsbezirk einzugreifen, der wiederum durch verfassungsrechtliche Garantien abgesichert ist, und impliziert die Tatsache, daß die Anstellungskörperschaft eines Beamten in ihrer Gesamtheit weniger an Fragen des „öffentlichen“ als an parteipolitischen Interessen ausgerichtet ist. Zum zweiten beinhalten derartige von der Basis auf dem Weg des imperativen Mandats ausgeübte Entscheidungsrechte einen Eingriff in Art. 33 und Art. 34 GG, die demgemäß abzuändern wären.

Allerdings ist hier die Schranke bereits höhergelegt, da die Institution des Beamtentums eine „institutionelle Garantie“ darstellt die als solche einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz unterliegt Das Problem spitzt sich insbesonders auf das Weisungsrecht zu: Muß der Beamte, sofern er Parteimitglied ist, Weisungen des staatlichen Bereichs oder einer parteilichen Gruppierung entgegennehmen, von der er gleichermaßen abhängig ist wie von seinem Vorgesetzten in der Beamtenhierarchie? Es kann kein Zweifel bestehen, daß Vilmars Vorstellungen die Institution des Berufsbeamtentums durch die Einwirkungsmöglichkeiten politisch herrschender Gruppierungen zu weitgehenden Veränderungen zwingt

Ein weiteres Problem betrifft den Rechtsschutz und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die derartig umfassend sind, daß sie zu Axiomen des Grundgesetzes überhaupt zählen Die einfache Frage lautet hier, wie sich Minderheitsgruppen schützen, wenn Vilmars Vorstellungen Realität würden?

Das Grundgesetz läßt die Individualklage des Bürgers zu, was heißt, daß jedermann seine Grundrechte als berührt oder verletzt einklagen kann Es wird das Prinzip der Demokratisierung logisch also auch im Bundesverfassungsgericht Fuß fassen müssen, denn eine Verfassungsänderung wäre sinnlos, wenn ein Gericht gegen den Willen des Volkes oder der Mehrheit das Grundgesetz in einer Art und Weise interpretierte, die gerade nicht dem Willen der Mehrheit entspricht. Welchen Stellenwert erhalten des weiteren Verwaltungsrechtsklagen, d. h. alle Klagen gegen den Staat, wenn dessen Akte Ergebnisse demokratischer Mehrheiten sind? Wie kann man eine Klage gegen eine staatliche Instanz begründen, wenn nicht der Anonymus „Staat“ die Entscheidung fällte, sondern eine demokratisch legitimierte Versammlung? Wer könnte die Garantie für die Rechtssicherheit übernehmen, wenn Recht das sein soll, was eine demokratisierte Verwaltung als „Recht" feststellt

Bereits an dieser Stelle mag die Tatsache deutlich werden, daß Vilmar die Veränderbarkeit des Rechtssystems einseitig als monokausales Ergebnis einer Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Entscheidungsform voraussetzt, ohne der Frage nachzugehen, inwiefern die dem modernen positiven Recht eigentümliche Multifunktionalität und sein Verfahrenscharakter mit der Struktur hochkomplexer Gesellschaften untrennbar verbunden sind. Vilmar ignoriert hier eine Problematik, die auch von Protagonisten eines ähnlichen Gesellschaftsverständnisses bereits früher sehr viel differenzierter dargestellt und bewertet wurde

Welche rechtlichen und funktionalen Auswirkungen auf das Gesamtsystem die punktuellen Änderungsvorschläge Vilmars zeitigen, mag an seiner Forderung nach Demokratisierung der Subsysteme Bildung und Verwaltung exemplifiziert werden. In diesen Bereichen sollen die Betroffenen in allen die Basis des Subsystems „vital betreffenden Entscheidungen" Mitspracherechte erhalten, „die Ent-

Scheidungen gegen den Willen ihrer Fraktion unmöglich machen" Dabei soll hier die Frage unberücksichtigt bleiben, wer durch welche Entscheidungen eigentlich „vital betroffen“ ist 5. Um dieses Problem einzuengen, beschränken wir uns auf die Institution Schule, den Personenkreis der Lehrer, Eltern und Schüler und den Fragen der Curricula, der Lehrerwahl und der finanziellen Ausstattung der Bildungsinstitutionen.

Unterstellen wir die Behauptung, daß die Aufstellung und Anwendung von Curricula für die Genannten und nicht zuletzt für den Staat von „vitalem Interesse“ ist. Gesetzt den Fall, unter den Beteiligten könnte in einem demokratischen Verfahren der Mitbestimmung ein Kompromiß über die allgemeinen Ziele und die inhaltlichen Anforderungen gefunden werden (ein derartiger Prozeß scheint Vilmar vorzuschweben), so werden folgende rechtlich-funktionalen Bedingungen nunmehr zu beachten sein: Gemäß der spezifisch-funktionalen Anforderung wird dem Beamten ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt, der sich beim Lehrer in einer gewissen Freiheit der zu wählenden didaktischen Ansätze, der Unterrichtsmethode und des zur Erreichung des jeweiligen Lernziels bestimmenden inhaltlichen Materials niederschlägt.

Dieser pädagogische Freiraum kann nun insofern modifiziert werden, als dem Lehrer eine unmittelbare Freiheit der Lehre übertragen wird, in deren Rahmen die allgemein beamtenrechtlichen Aufsichtspflichten und die besondere Weisungsgebundenheit des Lehrers gegenüber staatlichen Akten abgebaut werden und an Stelle der staatlichen Lenkungsgewalt die Legitimation durch demokratische Basisentscheidungen tritt. Für den Lehrer bedeutet dies die Ablösung der Abhängigkeit von „oben" durch die Möglichkeit einer institutionell gesicherten Mitsprache an der Basis, wobei das Abhängigkeitsverhältnis nach „unten" nunmehr zum Konstituens seines Berufes wird. Dies muß notwendigerweise eine weitgehende Änderung des Beamtenrechts, des Dienstrechts und des allgemein beamtenrechtlichen Status nach sich ziehen Der Beamtenstatus wird allerdings gänzlich zur Disposition gestellt, wenn die Person des Lehrers selbst demokratischen Willensentscheidungen unterworfen wird. Die Entscheidung über die Einstellung eines Lehrers ist nach einer derartigen Konstruktion nicht in einem staatlichen Hoheitsakt begründet, sondern obliegt der Wahl eines Gremiums der Betroffenen nach einem Auswahlverfahren. Der Lehrer wird somit „Angestellter auf Zeit', dessen Vertrags-verlängerung im wesentlichen auf der periodischen Zustimmung seiner Wahlkörperschaft beruht

Nicht zuletzt wäre die Institution Schule, wie sie sich nach der derzeitigen Rechtslage darstellt, einer tiefgreifenden Veränderung ausgesetzt. Die Mitbestimmung der Betroffenen über die Lehrpläne und die Prüfungsordnungen sowie eine demokratische Lehrerwahl würde den politisch-und verfassungsrechtlich normierten Führungsanspruch der Volksvertretungen und damit die parlamentarische Verantwortlichkeit für alle maßgeblichen schulischen Entscheidungen ersetzen Die Schulen müßten weiterhin aus der unmittelbaren staatlichen Verwaltung herausgenommen werden und als quasi unabhängige Einrichtungen rechtlich einen Körperschaftsstatus erhalten, der sie befähigt, eigenständig und unbeeinflußt von nichtdemokratischen Entscheidungen den Willen ihrer demokratischen Mehrheiten zu vollziehen Das Elternrecht müßte weiterhin insofern eingeschränkt werden, als die Garantie des „natürlichen“ Rechts der Eltern der Auffassung weichen muß, daß ein solches Recht nur Ausfluß eines demokratisch festgelegten „Mitentscheidungsrechts" sein kann 8.

Zuletzt — und vielleicht liegt hier das wesentliche rechtliche Problem — ist Vilmars Konstruktion nicht in der Lage, die Antwort auf die gerade für die Verwirklichung eines individuellen Freiheitsspielraums maßgebliche Frage zu geben, worin die Chance besteht, jenseits aller demokratischen Verantwortung und Mitbestimmung einen Freiraum eigenständiger Entscheidungen aufrechtzuerhalten Vielleicht hat Vilmar diese Frage schon selbst beantwortet, wenn er die überpositiven Verbürgungen der allgemeinen Gleichheits-und Freiheitsrechte davon ob sein Demokratisierungsprozeß macht, Erfolg hat.

Der Optimismus im Hinblick auf die Möglichkeit einer Veränderung und der Anpassung von Gesellschaften an neue Normen und Strukturen ersetzt nicht den Zwang, die Bewegungen und Wertvorstellungen dieser Gesellschaften zu analysieren. Eine „Theorie“ oder „Strategie" aus simplifizierenden Annahmen und (durchaus honorigen) Wunschvorstellungen bleibt auch dann noch utopisch, wenn sie vorgibt, real zu sein. Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, größere Mit-und erweiterte Selbstbestimmung führen in hochdifferenzierten Gesellschaften zu diffizilen gegenläufigen Vorkehrungen im sozialen Bereich Weder Vilmars methodisches Verfahren noch seine Ausführungen zur Veränderung des Grundgesetzes lassen erkennen, daß er diese Problematik berücksichtigte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Fritz Vilmar, Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes. Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender'Demokratisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/74, S. 9, 29.

  2. Theodor Geiger, Ideologie und Wahrheit, Neuwied 1968 2, S. 136.

  3. A. a. O., S. 155.

  4. Vilmar, S. 4 f.

  5. Vilmar, S. 9, 11.

  6. So suggeriert Vilmar, der Demokratisierungsprozeß „scheint unsere einzige Chance" (S. 4), ohne daß man erfährt, weshalb es die einzige sein soll und worin die günstige Möglichkeit besteht, etwas zu tun.

  7. Vilmar, S. 3.

  8. A. a. O„ S. 3, 7.

  9. A. a. O., S. 8.

  10. A. a. O., S. 9.

  11. A. a. O., S. 11.

  12. A. a. O., S. 14.

  13. A. a. O., S. 19.

  14. A. a. O., S. 28.

  15. Vilmar, S. 4 f.

  16. A. a. O., S. 4.

  17. A. a. O., S. 6.

  18. A. a. O„ S. 11, 18.

  19. „Von Leistung spreche ich, wenn Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen bereitgestellt werden“. Karl Otto Hondrich, Demokratisierung und Leistungsgesellschaft, Stuttgart 1972, S. 23.

  20. Zum „logischen Spielraum“ von Aussagen, die bei einem totalen Spielraum keinen Informationsgehalt mehr besitzen und derart auf alle denkbaren und möglichen Sachverhalte angewendet werden können, siehe Hans Albert, Probleme der Wissenschaftslehre in der Sozialforschung, in: Rene König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, I, Stuttgart 1967 ’, S. 51 f.

  21. So sieht Hondrich, S. 126, auch die Transformation alter Inhalte von Organisationen, hier der Universität, in neue als Leistungssteigerung an. Ein Absinken des Forschungsstandards durch ausschließliche Beschäftigung der Hochschullehrer in der Lehre würde somit durch das quantitative Argument des höheren Anteils von Studierenden aus dem Felde geschlagen.

  22. Frieder Naschold, Organisation und Demokratie. Untersuchung zum Demokratiepotential in komplexen Organisationen, Stuttgart 1971 *, S. 10, 52.

  23. So Dieter Oberndörfer, Demokratisierung von Organisationen?, in: ders. (Hrsg), Systemtheorie, Systemanalyse und Entwicklungsländerforschung, Berlin 1971, S. 593.

  24. Vgl. hierzu Hermann Scheer, Innerorganisatorische und innerparteiliche Demokratie, in: Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Demokratisierung von Staat und Gesellschaft, München 1973, S. 147.

  25. Vilmar beantwortet nicht die Primärfrage, ob die Höhe eines Bruttosozialprodukts oder der Bewußtseinsstand eines Volkes zur Forderung nach Demokratisierung führt. Dies leitet zur Frage über, weshalb in der Bundesrepublik und nicht in . Japan; weshalb nicht in der UdSSR und in Frankreich.

  26. Es kann hier nicht die Frage beantwortet werden, weshalb Vilmars Theorie letztendlich auf die Aufhebung der Gegensätze von Kapital und Arbeit hinausläuft, obwohl seine „Strategie" nur so verständlich wird. Siehe Vilmar, S. 13.

  27. Da Vilmar militärischen . Vokabeln bei seinem Theorieentwurf den Vorzug gibt, sei darauf hingewiesen, daß er Strategie und Taktik häufiger synonym verwendet. Ich habe hier den adäquaten Begriff zu „Strategie“ selbst eingesetzt.

  28. Vilmar, S. 5, Anm. 1 b und S. 9 f

  29. A. a. O., S. 10 f.

  30. Zu den Typen der Systemtheorie siehe Wolf-Dieter Narr, Theoriebegriffe und Systemtheorie (Einführung in die moderne politische Theorie, Teil I), Stuttgart 1972’, S. 97 ff.

  31. So verwendet Vilmar die informationstheoretischen Konzepte (S. 13), er übernimmt gleichartige und -gerichtete Organisationsstrukturen der GST in seinen Subsystemen (S. 10) und er baut diese ein in das umfassende System des Strukturfunktionalismus, der die Gesellschaft als relativ geschlossene Einheit betrachtet, in der eine beobachtbare Interdependenz zwischen Struktur und Funktion besteht (S. 17). Siehe auch im Uberblick: Gabor Kiss, Einführung in die Soziologischen Theorien II, Opladen 1973, S. 164 f.

  32. Vilmar, S. 10.

  33. A. a. O„ S. 14.

  34. Einige Ansätze zur Theorie der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen rücken den Gesichtspunkt der beschränkten Autonomie des tradierten nationalstaatlich-politischen Systems zunehmend in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Vgl. W. J. M. Mackenzie, Politikwissenschaft. Hauptströmungen der sozialwissenschaftlichen Forschung (Ullstein-Buch Nr. 2923), Frankfurt/M. 1972, S. 49 f.

  35. Zur Richtungsänderung von Systemen vgl. K. W. Deutsch, Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven, Freiburg/Br. 1970, * S. 271 f.

  36. Frieder Naschold, Systemsteuerung (Einführung in die moderne politische Theorie II), Stuttgart 1969, S. 43 ff.

  37. Es mag hier nur an die sogenannte „*Ölkrise erinnert werden sowie an die Preispolitik der OPEC-Staaten; als Folge der gestiegenen Energiekosten sind die Handelsbilanzen nahezu aller westlichen Industriestaaten in Unordnung geraten, die gesamtgesellschaftlichen Folgen kaum absehbar.

  38. Vilmar, S. 14.

  39. Ebenda.

  40. A. a. O„ S. 15.

  41. Siehe Naschold, Systemsteuerung, S 47

  42. Vilmar, S. 10.

  43. A. a. O., S. 11, 13.

  44. Man vgl. Talcott Parsons, Soziologische Theorie, hrsg. v. D. Rüschmeyer, Neuwied 1964, S. 182, auf den sich Vilmar häufiger beruft.

  45. Vilmar, S. 12.

  46. A. a. O., S. 9.

  47. A. a. O„ S. 13.

  48. Vgl. Harold D. Lasswell/Abraham Kaplan, Power and Society. A Framework for Political Inquiery, New Haven 1963 5, S, 74 f. Es darf auch bezweifelt werden, ob Vilmars undifferenzierter Machtbegriff dem Untersuchungsgegenstand überhaupt angemessen ist. Näheres zum Machtbegriff bei Klaus v. Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einführung, München 1972, S. 168 bis 172.

  49. Deutsch, a. a. O., S. 131.

  50. über den Zusammenhang von System, Teilsystem und Organisation bei Parsons siehe E. Schwanenberg, Soziales Handeln, Bern 1970, S. 120 f.

  51. Narr, Theoriebegriffe, S. 111.

  52. Deutsch, S. 142, mit weiteren Hinweisen.

  53. Ebenda und Narr, Theoriebegriffe, S. 101.

  54. Der Entscheidungsprozeß wird hierbei maßgeblich beeinflußt von der Rollen-und Positionsstruktur sowie der Zahl und Struktur der Außengruppen. Vgl. Naschold, Systemsteuerung, S. 50

  55. Zur Demokratisierungsgrenze aus vorgegebenen institutioneilen und faktischen Bedingtheiten siehe v. Beyme, S. 225.

  56. Vilmar, S. 11.

  57. Georg Klaus u. a., Wörterbuch der Kybernetik, Bd. 2 (Fischer TB 6142), Frankfurt/M. 1971 *, S. 537; Deutsch, S. 267 f.; Narr, Theoriebegriffe, S. 102.

  58. Deutsch, S. 267.

  59. Frieder Naschold, Demokratie und Komplexität. Thesen und Illustrationen zur Theoriediskussion in der Politikwissenschaft, in: PVS 10 (1968), S. 499.

  60. Niklas Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Köln 1971 2, S. 123.

  61. Deutsch, S. 283.

  62. Deutsch, S. 284.

  63. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren (Soziologische Texte 66), Neuwied 1969, S. 157.

  64. Zum Begriff des „souveränen Subsystems“ siehe Deutsch, S. 287 ff.

  65. Vgl. v. Beyme, S. 189.

  66. BVerfGE Bd. 2, S. 1, 12.

  67. Martin Kriele, Pluralistisdier Totalitarismus? Eine Auseinandersetzung mit Helmut Schelsky, in: Merkur 6/1973, S. 520.

  68. Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, insbes. S. 131 ff.

  69. BVerfGE Bd. 1, S. 208, 227.

  70. Es muß daran erinnert werden, daß das Verfassungsrecht nicht nur aus den Artikeln des Grundgesetzes besteht, sondern auch die nichtgeschriebenen „überstaatlichen“ Grundrechte umfaßt.

  71. BVerfGE Bd. 2, S. 380.

  72. Siehe auch Otto Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, Bd. 1, Tübingen 1964’, S. 7f.

  73. Ebenda.

  74. Bachof, Bd. 2, Tübingen 1967, S. 124 f., und Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, München 1964 », S. 84 f.

  75. Vgl. hierzu die Auslegungen zu Art. 78 Abs. 3 GG.

  76. Bachof, Bd. 2, S. 14 f.

  77. Vilmar, S. 9, 19.

  78. A. a. O., S. 17.

  79. A. a. O., S. 20, 26.

  80. A. a. O., S. 9.

  81. Ebenda.

  82. A. a. O., S. 4f.

  83. A. a. O., S. 10.

  84. Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Rdnr. 47 zu Art. 79.

  85. Es ist die von Robert Leicht („Grundgesetz und politische Praxis“, München 1974) zu Recht beklagte Angewohnheit, das Grundgesetz als „materielle Verfassung“ für die Verfolgung beliebiger politischer Ziele zu reklamieren und somit originär politische Konflikte auf eine quasi-verfassungsrechtliche Ebene zu transportieren. Vgl. auch ders., in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 2- 3/74.

  86. Derartige Versuche, den politischen Gegner ein „gestörtes" Verhältnis zur Verfassung vorzuwerfen, haben in letzter Zeit in der Bundesrepublik in erheblichem Umfang zugenommen.

  87. Vilmar, S. 9.

  88. A. a. O., S. 13.

  89. A. a. O„ S. 8.

  90. A. a. O., S. 7.

  91. A. a. O., S. 9. Der Fetisch des imperativen Mandats, den auch Vilmar wieder als Rezeptur gegen bestimmte Entartungserscheinungen des Repräsentativsystems beschwört, scheint unausrottbar, gleichgültig, welche Argumente ihm entgegengestellt werden. Engels bemerkte zu dieser Konstruktion: „Wir werden einzig und allein darauf aufmerksam machen, daß, wenn alle Wahlkörperschaften ihren Delegierten zu allen auf die Tagesordnung gesetzten Punkten imperative Mandate gäben, die Versammlung der Delegierten und ihre Debatten überflüssig wären. Es würde genügen, die Mandate an irgendein zentrales Büro zu schicken, das den Wahlgang vornehmen und das Ergebnis der Abstimmung proklamieren würde. Das würde viel billiger sein.“ In: Die imperativen Mandate auf dem Haager Kongreß, MEW Bd. 18, S. 171.

  92. Da Art. 38 GG nicht unter das Anderungsverbot des Art. 79 Abs. 3 GG fällt, könnte er mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Mehrheiten modifiziert werden.

  93. Dem imperativen Mandat entspricht als funktionaler Wahlmodus zweifellos das Mehrheitswahlrecht im Einer-Wahlkreis. Dies bedeutete eine Abkehr von den im Bundeswahlgesetz verankerten Wahlrechtsgrundsätzen, ja ein völlig neues Wahl-verfahren mit weitestgehender Anlehnung an das Vorbild Großbritanniens. Wenn Vilmar schon von einer Prolongation der derzeitigen Regierungsparteien im Bund ausgeht, dann ist diese Verfahrens-frage zumindest für die Liberalen eine existentielle Machtfrage.

  94. Siehe Art. 65 GG sowie Ernst-Ulrich Junker, Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Tübinger Schriften zur Geschichte und Politik, Bd. 17), Tübingen 1965.

  95. Vilmar, S. 9.

  96. Vgl. U. D. Adam, Abgeordnetenmandat und Parteienwechsel, in: PVS 13 (1972), S. 303 ff.

  97. Der Passus „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe . . . ausgeübt” (Art. 20 Abs. 2 GG) sowie die eingeschränkte Institution der Volksbefragung und des Volkentscheids lassen vermuten, daß der Verfassungsgeber seine Entscheidung für das System der repräsentativen Demokratie getroffen hat. Siehe BVerfGE Bd. 8, S. 104 ff.; v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. 2. neubearb. Aufl. München 1967, S. 604 ff.; Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 20 zu Art. 3 Abs. 3. Dürig sieht das Repräsentationsprinzip nicht nur durch Art. 20 GG garantiert, sondern auch durch das auf die Staatsorganisation durchgreifende Prinzip des Differenzierungsverbots, was durch ein imperatives Mandat nicht mehr voll gewährleistet werden könnte. Vgl. auch a. a. O., Rdnr. 50— 53 zu Art. 20 und Bonner Kommentar, Art. 20, Erl. II 2 e sowie BVerfGE Bd. 3, S. 26. Diese Verfassungsinterpretationen wurden nicht beachtet von Peter v. Oertzen, Freiheitlich-demokratische Grundordnung und Rätesystem, wiederabgedruckt in: Udo Bermbach (Hrsg.), Theorie und Praxis der direkten Demokratie (UTB 187), Opladen 1973, S. 173 ff.

  98. Vgl. hierzu Jürgen Fijalkowski, Bemerkungen zu Sinn und Grenzen der Rätediskussion, in: Probleme der Demokratie heute 2, Sonderheft 2 der PVS 1970, S. 140; Theodor Eschenburg, Demokratisierung und politische Praxis, in: ders., Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, Bd. III, München 1972, S. 240.

  99. Da das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs an den Status des Abgeordneten gebunden ist (§ 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre v. 6. 4. 1967), ist die Abberufung eines Abgeordneten gleichbedeutend mit der Entlassung aus dem Amt.

  100. Zumindest modifiziert werden müßten § 1 (Richtlinienkompetenz), § 2 (Einheitlichkeit der Geschäftsführung), § 12 (Äußerungen in der Öffentlichkeit) und § 28 Abs. 2 (Einheitliche Vertretung von Regierungsvorlagen).

  101. So ginge der Bundestag des Rechts verlustig, aus Art. 41 Abs. 1 GG den Mandatsverlust eines Abgeordneten festzustellen — siehe hier §§ 46 f. Bundeswahlgesetz — sowie der Feststellung aus Art. 46 GG, die Aufhebung der Indemnität und Immunität zu beschließen.

  102. Vgl. Robert Presthus, Individuum und Organisation. Typologie der Anpassung, Hamburg 1966, S. 281 ff.

  103. Vgl. Vilmar, S. 13.

  104. Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 14 zu Art. 21.

  105. Theodor Eschenburg, Ämterpatronage, München 1958.

  106. Siehe den exemplarischen Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten Littmann bei Eschenbu

  107. Institutionelle Garantien sind verfassungsrechtliehe Verbürgungen öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Sie gewährleisten diese Einrichtungen, nicht jedoch bestimmte individuelle Rechte, Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 97 zu Art. 1 Abs. 3.

  108. Maunz, Staatsrecht, S. 90 f.

  109. Dies wird sofort einsichtig, wenn man an die von Vilmar vorgeschlagene „Ämterrotation“ denkt, ein wesentliches Element der Rätedemokratie. So darf z. B. die Versetzung eines Beamten in ein anderes Amt, die grundsätzlich statthaft ist (Vgl. BVerfGE Bd. 7, S. 155), nicht dazu führen, daß der betreffende Beamte in ein Amt mit niedrigerem Gehalt oder mit einem Aufgabengebiet versetzt wird, daß seiner Vor-und Ausbildung nicht entspricht. Siehe auch § 18 Beamtenrechtsrahmengesetz und OVG Münster in DVB 1 1957, S. 429.

  110. Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 118 z. Art. 1 Abs 3 und Rdnr. 1 ff. zu Art. 19.

  111. Art. 93 Abs. 1 GG und § 90 BVerfGG.

  112. Dies zeigt in aller Deutlichkeit eine der Bruchstellen in der Argumentation Vilmars. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dessen Umfang und Inhalt sich aus dem Grundgesetz ergibt (Art. 20, 19 Abs. 2 und 4, 28 Abs. 1 und 80 Abs. 1), beruht doch auf der Fiktion der Gewaltentrennung, die in Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 2 und 3 GG festgeschrieben werden. Demokratisierung der Verwaltung kann nun doch aber nichts anderes bedeuten, als daß das Prinzip der Mitbestimmung sich auch auf die materielle Tätigkeit der Verwaltung erstreckt, ansonsten diese Mitbestimmung ja leerliefe. Dies bringt aber die Gefahr mit sich, daß die Verwaltung nicht allein den Richtlinien des Gesetzgebers folgt, sondern auch an seiner Stelle Entscheidungen trifft und ein eigenständiges behördliches Ermessen in Anspruch nimmt. Damit jedoch wäre die Konstruktion des Grundgesetzes ad absurdum geführt.

  113. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 2, Hamburg 1972, S. 218 f., 308 f.

  114. Siehe v. Oertzen, a. a. O., S. 179 f.

  115. Vilmar, S. 6.

  116. Derartige diffuse Begriffskoppelungen sind in der Tat eher geeignet, den Sachverhalt, um den es hier geht, zu diskreditieren.

  117. Dies betrifft auch noch den gesamten Block des Dienststrafrechts und der einschlägigen Befangenheitsvorschriften für alle staatlichen Beamten.

  118. Dies hätte natürlich zur Folge, daß der Lehrer aus dem Beamtenstatus zu entlassen wäre, was besoldungsrechtliche Konsequenzen nach sich zöge.

  119. Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 26 zu Art. 7. Da die meisten Landesverfassungen die Verantwortung des Staates für seine Schulen betonen, müßten diese Verfassungen entsprechend abgeändert werden.

  120. Die „school-boards" der gemeindeeigenen Schulen in den USA wären hier ein — allerdings unzureichendes — Vorbild.

  121. Hierzu Maunz/Dürig/Herzog, Rdnr. 141 zu Art. 3 Abs. 2.

  122. Man sollte an dieser Stelle nicht den Gesichtspunkt außer acht lassen, daß das Grundgesetz auch die Freiheit verbürgt, anders zu sein. Dies gilt gerade für Vilmars „Aktionspotential“ von fünf bis sieben Prozent, das sicherlich überwiegend der mittleren und gehobenen Mittelschicht zuzurechnen ist. Man wird davon ausgehen dürfen, daß der internalisierte Wertkodex dieser Schichten auf dem Weg der Demokratisierung den eigentlich Betroffenen aufgenötigt wird, ohne daß erkennbar wird, inwieweit deren Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt werden.

  123. Shmuel N. Eisenstadt, Social Change, Differentation and Evolution, in: American Sociological Review 1964, S. 375 ff.

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Uwe Dietrich A dam, Dr. phil., geb. 1940 in Berlin; Studium der Neueren und der Zeitgeschichte, Politikwissenschaft und des Staats-, Verfassungs-und Verwaltungsrechts in Tübingen; Assistent im Fach Wissenschaftliche Politik/Gemeinschaftskunde der Päd. Hochschule Reutlingen. Veröffentlichungen u. a.; Judenpolitik im Dritten Reich (Tübinger Schriften zur Sozial-und Zeitgeschichte 1), Düsseldorf 1972; Abgeordnetenmandat und Parteienwechsel, in: Politische Vierteljahresschrift 13 (1972); Anteil und Möglichkeiten des Rechts in einem Curriculum Sozialwissenschaften, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Wissenschaft und Studium 2 (1973); A General Plan of Anti-Jewish Legislation in the Third Reich?, in: Yad Washem Studies Bd. XI; Liberalismus und Dialektik, in: liberal 16 (1973). Weitere Aufsätze zum Faschismus/Totalitarismus, zur Methodenlehre in den Sozialwissenschaften und zum politischen System der Bundesrepublik.