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Föderalistische Bildungspolitik in Europa | APuZ 50/1974 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50/1974 Gefährdungen des Prinzips der Gewaltenteilung in der Bundesrepublik Deutschland Föderalistische Bildungspolitik in Europa

Föderalistische Bildungspolitik in Europa

Wolfgang Mickel

/ 50 Minuten zu lesen

„Die Gemeinschaft ist nicht vor allem eine Fortsetzung der Vergangenheit; sie ist ein Entschluß für die Zukunft oder sie ist gar nichts.“

A. Spinelli (Agenda pour l’Europe. Paris 1972, S. 165)

I. Bildungspolitik als nationalstaatliches Essentiale

Abbildung 2

Die Bildungspolitik wird in allen Staaten zu den unverzichtbaren Essentialen der politischen Souveränität wie der ethnischen und nationalen Identität gerechnet. Daraus resultiert ihr hoher Stellenwert für die nationale Politik. Sie dient der Entfaltung und kritischen Hinterfragung sowie vor allem der Internalisierung der anerkannten Werte und Normen wie der politischen und kulturellen Tradition eines Landes auf dem Wege des menschlichen Sozialisations-und gesellschaftlichen Lernprozesses, um dadurch dem jeweiligen System Dauer zu verleihen. So ist die Bildungspolitik nicht nur ein bevorzugtes Mittel von ethnischen Großgruppen (den Juden in der Diaspora, den Slowenen und Kroaten in Jugoslawien, den Farbigen in den USA usw.) zur Selbstbestätigung, sondern dient ebenso der Stabilisierung eines jeden neuen politischen Systems (Condorcet als Pädagoge der Französischen Revolution, die „Erziehungsdiktatur" als marxistisches Programm, die Bildungspolitik in der DDR usw.). Deshalb entsteht die Frage, wie man nationale Integration und Internationalismus in der Bildungspolitik miteinander vereinbaren kann. .

Bildungspolitische Fragen genießen zwar heute in allen Staaten Priorität, dennoch gibt es einen weltweiten Konservativismus der Bildungssysteme, die den raschen gesellschaftlichen Veränderungen offensichtlich nicht zu folgen vermochten und deshalb einer starken öffentlichen Diskussion ausgesetzt sind. In den dynamischen Gesellschaften unserer Zeit erweist sich Bildung nicht länger als eine flankierende Maßnahme zur Erhaltung eines Status quo, sondern sie ist von existentieller Bedeutung für den einzelnen. Das Niveau seiner Vor-, Aus-und Weiterbildung entscheidet über seinen Lebensstandard, sein soziales Prestige und sein persönliches Glück. Ferner bedeutet bildungspolitischer Anachronismus die Verhinderung von Demokratisierung, die letztlich nur mit Hilfe eines mündigen, emanzipierten Bürgers durchzusetzen ist.

Die Diskrepanz zwischen einer veränderten Realität, repräsentiert durch fortgeschrittene Strukturen in Wirtschaft und Politik, und einer traditionsgehemmten Bildung wurde insbesondere durch die außerparla-mentarische Studenten-und Schülerprotestbewegung seit 1967 in unserem Lande aufgedeckt und zum Anlaß von Reformen genommen, vorbereitet durch die bildungspolitischen Arbeiten von Picht, Dahrendorf, Erlinghagen u. a. Bildungsökonomische Untersuchungen von Edding, Becker u. a. erkannten den investiven Charakter von Bildung im Sinne des Humankapitals. Bildung erhält damit einen höheren Stellenwert im Zusammenhang mit dem Produktivitätsfortschritt ebenso wie mit Freizeit und Muße. Im Rahmen solcher Erkenntnisse hat z. B. Schweden sein gesamtes Schulsystem umstrukturiert, ist die Zahl der Hochschüler eines Jahrganges in England auf 25 v. H., in Frankreich auf 20 v. H., in der Bundesrepublik Deutschland auf 12 v. H. (das bedeutet eine Verdoppelung innerhalb eines Jahrzehnts) angewachsen, wurden Vorschuleinrichtungen, Abschlüsse auf mittlerer Ebene (möglichst für alle Schüler), Bildungshilfen usw. in allen Ländern forciert, wurde der Anteil der Bildungskosten am Bruttosozialprodukt überall angehoben (BRD 5, 2 v. H. 1973 gegenüber durchschnittlich 7— 9 v. H. in anderen Staaten).

Ohne vermehrte Bildung ist der sich vollziehende soziale Wandel vom einzelnen nicht zu verkraften. Deshalb wird eine Verwirklichung des „Bürgerrechts auf Bildung“ (Dahrendorf) schichtspezifisch verkrustete gesellschaftliche Strukturen aufbrechen, wie sie noch besonders stark in Frankreich, England und Italien vorhanden sind, und für mehr Chancengleichheit sorgen.

Da die bildungspolitischen Grundprobleme in fast allen westeuropäischen Ländern sich strukturell ähneln, erhält Bildungspolitik eine zweifache Dimension: Sie ist Teil der nationalen (Regional-) Politik wie der internationalen (Integrations-) Politik.

Am Anfang des individuellen Erziehungs-und Bildungsprozesses steht alles, was sich unter dem Etikett der jeweiligen Nationalität ausweisen läßt. Darüber hinausgreifende, universale Betrachtungsweisen erscheinen als bewußte Lerninhalte erst nachdem sich die finitnationalen Strukturen im Jugendlichen stabilisiert haben. Unstreitig ist die Notwendigkeit einer Verankerung des Menschen zum Zwecke seiner Verhaltenssicherheit und Geborgenheit in einem regionalen Kulturkreis, jedoch darf Regionalismus nicht auf Provinzialismus, auf Heimatkunde im engeren Sinne, reduziert werden.

Dies ist aber der Fall, solange z. B. das Erlernen einer Fremdsprache zeitlich über Gebühr hinausgezögert, die nationalstaatliche Betrachtung in allen Unterrichtsfächern Priorität vor der supra-und transnationalen erhält, Vorschul-und Anfangsunterricht auf rein nationaler Basis erteilt werden. Eine international-komparative Analyse der Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien würde diese Aussage bestätigen, überdies kennen die meisten westeuropäischen Länder keinen politischen Unterricht, wie es ihn in der Bundesrepublik Deutschland gibt, so daß europäische Einigungsfragen meist nur im Zusammenhang historischer, geographischer und fremdsprachlich-länderkundlicher Themen bearbeitet werden können. Man darf sich über diese bildungspolitischen Defizite nicht dadurch hinwegtrösten lassen, daß insbesondere in den weiterführenden Schulen für eine privilegierte Minderheit die grenzüberschreitenden Perspektiven eröffnet werden. Dies geschieht im übrigen erst dann, nachdem nationale Denkund Verhaltensmuster „eingeschliffen“ worden sind (vgl. die didaktische Diskussion um die „direkte" Methode in den Fremdsprachen) und bedeutet, historisch gesehen, nichts Neues.

Die bisher praktizierte Form einer Erziehung hält kritischer Analyse nicht stand, wenn als Beurteilungskriterium das Maß an tatsächlicher, krisenverhindernder internationaler Solidarität genommen wird. Dies trifft in der Neuzeit weder politisch für die Internationalität und Solidarität der Arbeiterklasse zu (trotz straff organisierter Arbeiterparteien) noch kulturell für die Gruppe der sogenannten Gebildeten. Im Konfliktfall (Kriege, internationale Krisen) war/ist eine Renationalisierung zu beobachten (vgl. Ölkrise, Zypernkrise). D. h., die zu spät vermittelte, aufgestülpte universale Dimension der Bildung blieb/bleibt ohne überzeugenden Effekt. Es genügt offensichtlich nicht, gemeinsame europäische und abendländische Traditionen — die Kulturgemeinschaft — zu bemühen, wenn sie in der Ernstsituation infolge eines ineffizienten Vermittlungsprozesses nicht zur Grundlage politisch-solidarischer Aktionen werden. Dann bleiben sie bloßer überbau, ohne Rückkoppelung zur verhaltensorientierten Basis, haben als reine Kulturphänomene bloß ästhetische Bedeutung (die grundsätzlich nicht denunziert werden soll); aber ihnen fehlt die gesellschaftliche Relevanz, d. h. jenes Maß an Verwertungsmöglichkeit, nach dem auch die Beschäftigung mit Geschichte und Kultur analysiert werden muß. Zumindest läßt sich empirisch feststellen, daß die Jugend auch in Ländern mit einem stark historisch ausgerichteten Unterricht, jede Art von Tradition auf ihre Funktion hin befragt und nicht mehr unkritisch übernimmt. Daraus erklärt sich das zunehmende Desinteresse an einem nationalen, linear-chronologisch verlaufenden Geschichtsunterricht, sofern er auf die Frage nach seiner Legitimität keine zureichende Antwort geben kann. Das praktische Verhalten der Jugendlichen ist eher international angelegt, im Gegensatz zu den national orientierten Unterrichtsprogrammen. Das Empfinden dieser Diskrepanz äußert sich in der häufigen Ablehnung tradierter Unterrichtsinhalte. Verantwortlich für diesen Zustand ist u. a.der Provinzialismus der Bildungspolitik, der nationale Oktroi von liebgewordenen, jedoch engen Bildungskonzepten. Eine Effizienzuntersuchung würde zu erschütternden Ergebnissen gelangen. Sowohl Methoden wie Lerninhalte müßten geändert werden in einem Bildungssystem, dessen Ziel u. a.der europäische oder gar der Weltbürger sein soll. Die möglichen Folgen sind evident. Es geht um eine friedliche Beilegung von internationalen Konflikten, aber auch um sehr praktische Dinge wie die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen, Arbeitskräften und Studierenden. Die wachsende Interdependenz der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Industrienationen provoziert eine Bildungspolitik, die die Zeichen der Zeit erkennt und zu internationaler Kooperation sowie zum Verbund übergeht.

Auf bildungspolitischem Gebiet ist im westeuropäischen Rahmen aufgrund der nationalen Zentrierung wenig geschehen. Die gelegentlichen Treffen der europäischen Kultusminister und eine entsprechende Abteilung beim Europarat dürfen über die Defizite nicht hinwegtäuschen, ebensowenig wie die Einrichtung des Europa-Kollegs in Brügge für postuniversitäre Studien, die (noch nicht arbeitende) Europa-Universität in Florenz, das (elitäre) Atlantik-(Oberstufen) College in Süd-wales, das internationale Braunschweiger Schulbuchinstitut (Objektivierung der Geschichts-und Erdkundebücher, auch in Zusammenarbeit mit Osteuropa), die Europa-Schulen und einige wenige Institute für europäische Studien (Internationales Recht, Politik, Pädagogik, Kultur). Das Europa-Institut der Universität des Saarlandes bietet als einziges einen Zweijahreskurs für graduierte Studenten an.

II. Bildungspolitische Zielprojektionen der EG

Die EG-Kommission befaßt sich mit bildungspolitischen Fragen nur am Rande. Die Römischen Verträge weisen der (Aus-) Bildung und Kultur eine marginale Rolle zu: Artikel 57 (gegenseitige Anerkennung der Diplome), 118 und 128 (Berufsausbildung), 7 (Ausbildungsteile des Forschungs-und Ausbildungsprogramms), Artikel 9 Euratom-Vertrag (europäische Universität). Die Schlußkommuniques der Gipfelkonferenzen vom Haag und von Paris akzentuieren die kulturelle Dimension der europäischen Konstruktion. Erst 1973 wurde eine Generaldirektion für „Forschung, Wissenschaft und Bildung" (GD XII) bei der EG-Kommission gebildet und das Kommissions-

Ralf Dahrendorf legte ein Dokument mitglied vor) , das eine Reihe von älteren Ratsbeschlüssen als operationalisierbares Arbeitsprogramm konkretisiert.

Darin wird als mittelfristige Zielprojektion für das Bildungswesen aller entwickelten In-dustrieländer gefordert: ... „die Durchsetzung des Bürgerrechts auf Bildung und Chancen-gleichheit aller, die Bewältigung der Probleme neuer Größenordnungen (. Massenprobleme') im sekundären und tertiären Bildungswesen, das Verhältnis von Bildung und Beruf (Bildungsinhalte, Bedarfsstrukturen, Karriere-chancen usw.), die Erkundung neuer technischer und organisatorischer Methoden zur Öffnung des Weges in die . lebenslange Bildung', die qualitativen Veränderungen der Bildungsinhalte und der Organisation des Bildungswe-sens im Lichte der Forderungen nach Demokratisierung und der Tendenz zur kritischen Distanzierung von Wirtschaft und Gesellschaft" (S. 4 f.).

Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, wie diese Punkte durch eine gemeinsame europäische Bildungspolitik zu realisieren sind.

III. Systemvergleich als Voraussetzung einer europäischen Bildungspolitik

Die Prämisse einer föderalistischen europäischen Bildungspolitik beruht auf der Tatsache allgemeiner intersystemarer (gesellschaftlicher und politischer) Annäherung. Deswegen ist im folgenden zu skizzieren, in welcher Weise und auf welchen Gebieten die Systeme (Staaten) sich in zunehmendem Maße angleichen. Ferner ist daran zu erinnern, daß es längst eine systemübergreifende Politik von Banken, multinationalen Konzernen, Gewerkschaften und Verbänden gibt. 1. Intersystemare Angleichungen in den Industriestaaten Die systemvergleichende Darstellung folgt im wesentlichen den Ausführungen von Gerda Zellentin Sie faßt die für eine intersystemare Angleichung bedeutsamen Punkte zusammen: „Triebkräfte der intersystemaren Annäherung 1. Die Interdependenz aller wirtschaftlichen und sozialen Funktionen und das — teils daraus resultierende — . Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit'(A. Wagner) bewirken, daß die übernationale Vergemeinschaftung eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilbereichs auf angrenzende benachteiligte und Bereiche übergreift, damit ein Ausgleich geschaffen werden kann (spill-over-effect);

2. Wachsende Transaktionen — Kommunikation, Handel, Freizügigkeit von Kapital und Arbeit. Sie erfordern übernationale Absprachen und gemeinsame Regelungen einschließlich der Schaffung neuer Institutionen durch die nationalen Regierungen (und Selbstverwaltungskörperschaften). Einbezogen in diesen Prozeß werden auch die Interaktionen zwischen regionalen internationalen Organisationen, internationalen Interessenverbänden und Korporationen;

3. Transnationale, transregionale Koalitionen zwischen Politikern, Verwaltungen und Verbänden, die die Kooperation bzw. Integration unterstützen;

4. Herausbildung von Loyalität gegenüber übernationalen Institutionen, die an sie gestellte Erwartungen und Forderungen befriedigen; 5. Bestrebungen externer Akteure — außerhalb des sich bildenden Systems — wie Regierungen, Unternehmen und internationale Organisationen, auf den Integrationsbereich einzuwirken.

Das Vorhandensein dieser Triebkräfte allein bewirkt nicht automatisch die Integration. Folgende Bedingungen müssen gleichzeitig vorhanden sein:

Bedingungen der intersystemaren Annäherung 1. Symmetrie der Staaten, gemessen an den Kriterien der Ranghierarchie;

2. gleiche Werthaltungen der Eliten, zumindest in bezug auf die an spezifischen Aufgaben orientierten Tätigkeiten;

3. Pluralismus von Verbänden;

4. Fähigkeit der Akteure zur Krisenregelung; sie ist von dem Grad der jeweiligen internen wirtschaftlichen und politischen Stabilität abhängig; autonome Befugnisse 5.der übernationalen Organisationen in bezug auf ihre eigenen Ressourcen (Budget, Stimmen, Zeitdisposition, Gesetzgebung etc.);

6. Perzeption gleichmäßiger Verteilung der Kooperationsvorteile; Kovarianz der Interessen an wirtschaftlicher Effizienz und Wohlfahrtsmaximierung; 7. Perzeption der . Kosten'mangelnder Integration (Protektionismus etc.)." (Zellentin, S. 11 f.)

Diese Punkte stützen sich auf die Fortentwicklung des Status quo in Europa und geben dafür systemstabilisierende Hinweise. Die kapitalistische Konstruktion des EG-Europa -worin z. B. das Volk kaum eine Rolle spielt -wird, im Gegensatz zu der jugendlichen und linken Kritik, nicht in Frage gestellt.

Die entwicklungsmäßige Richtung, die eh Staat einschlagen kann, hängt nach Zellentin VOn seinen Ressourcen, seiner wirtschaftlichen Stabilität, seiner inneren und äußeren Sicherheit sowie vom Grad seiner politischen Integration in ein Staatensystem ab. Je höher diese Faktoren zu veranschlagen sind, desto höher steht ein Staat in der internationalen Ranghierarchie und um so größer ist der Grad seiner internationalen Interaktion. „Je höher ein Staat in der Ranghierarchie steht, desto mehr partizipiert er am internationalen System; je niedriger er eingestuft ist, desto geringer ist seine Partizipation." (S. 26). Um von einer unteren Rangposition wegzukommen, muß die gesamte wirtschaftliche Produktivität gesteigert werden, müssen u. a. hohe Investitionen für Bildungs-und Sozial-aufgaben vorgenommen werden. Die Qualität der Ausbildung wird über die Produktivitätssteigerung, den gesellschaftlichen Wandel und die soziale Mobilität mitentscheiden.

Eine bedeutsame Rolle bei der Bestimmung der Integrationsbereiche jenseits nationaler und internationaler Politik spielen dabei mehr und mehr die multinationalen Firmen aufgrund ihrer machtpolitischen Verfügung über große Mengen an Kapital, Arbeitsplätzen, technologischem Know-how und administrative Apparate. Daraus folgt nach Zellentin:

. Bei de jure fortbestehenden parlamentarisch-demokratischen Verfassungen könnte sich in den 80er Jahren de facto aus den sichtbaren Ansätzen folgendes Modell entwikkeln:

1. Die Entscheidungen über die Schaffung und Verteilung der Güter werden von der Exekutive gefällt, die die wirtschaftlichen Orientierungsdaten setzt.. Die um den . Arbeitsfrieden’ bemühten . Sozialpartner'halten sich daran.

2. Die Aufbereitung der Daten geschieht im Zusammenhang bzw. in der Auseinandersetzung zwischen großen Unternehmen, kommerzialisierter Wissenschaft, Gewerkschaften und politischer Exekutive.

3-Proteste und Opposition gegen diese Art politischer und wirtschaftlicher Steuerung werden entweder in den Willensbildungsprozeß hineingezogen und an ihn gebunden oder siewerdenunterdrückt."

(S. 67).

Die Gefahren für das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie sind evident, wenn intersystemare wirtschaftspolitische Entscheidungen von unkontrollierbaren Gremien getroffen werden. Die relative Ohnmacht der nationalen staatlichen Organe angesichts der ökonomischen Übermacht multinationaler Konzerne wurde seit der Ölkrise 1973 und erfolgloser Intervention des Bundeskartellamts für jedermann sichtbar. D. h., eine teilweise Machtverlagerung von den demokratisch-legitimierten Institutionen auf private internationale Unternehmen ist nicht zu leugnen. Deshalb kommt man zu einer skeptischeren Beurteilung der europäischen Unternehmensfusionen als Zellentin, die meint, „durch sie ließen sich Emanzipationspotentiale mobilisieren" (Zellentin, S. 87), z. B. dadurch, daß europäische Gewerkschaften eine Kontrolle durch Mitbestimmung ausüben. Eher scheinen die destabilisierenden Momente an Gewicht zu gewinnen, wenn es den nationalen Regierungen und der EG-Kommission nicht gelingt, die hohe Investitionstätigkeit, Produktions-und Arbeitsplatzverlagerung usw.der . Multis’ zu steuern. Oligopolistische Märkte schränken die desiderate Wirtschafts-und politische Freiheit nach liberaldemokratischem Verständnis in unzulässiger Weise ein. Deshalb sind intergouvernementale wie kommunitäre Planung und Koordination ein Gebot der Stunde.

Kritik an der Lernfähigkeit des westeuropäischen Systems infolge ökonomisch-kapitalistischen Dominanz meldet eine Arbeitsgruppe um Friedrich Edding an:

„Der Druck von außen hat einen stabilisierenden Effekt auf die bestehenden Strukturen, er erstickt jede Initiative, die dazu führen könnte, strukturelle Veränderungen einzuleiten. Die besondere innere Konstellation liegt in der Verknüpfung von privaten Kapitalverwertungsinteressen mit den politischen Interessen, was zu einer eigentümlichen Vermischung von politischer und ökonomischer Macht führt. Auf der Basis dieser beiden Kräfte lassen sich folgende Charakteristika des europäischen Sozialsystems umreißen:

Europa entwickelt sich zu einem Bundesstaat mit einer Anzahl gemeinsamer europäischer Entscheidungs-und Verwaltungssysteme im Bereich der Außenpolitik, der Militärpolitik sowie der Wirtschafts-und Finanzpolitik. Die Integration Europas gründet sich auf Kapitalverwertungsinteressen, durch die versucht wird, die relative Segmentierung der Produktionsseite durch die Zusammenfassung der Produktionsstätten zu überwinden, um die Vorteile zunehmender Spezialisierung und Arbeitsteilung zu gewinnen. Als Folge davon wird die Zahl der . übernationalen'Unternehmen beträchtlich zunehmen und zu einer oligopolistischen Marktstruktur für die meisten Arten von Gütern führen. Neben die Kapital-verwertungsinteressen als motivierenden Faktor für die europäische Integration tritt die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik gegenüber anderen wirtschaftlichen und militärischen Blöcken. Unter diesen Bedingungen richtet sich die politische Orientierung auf die Erhaltung des Status quo und das (wirtschaftliche) Krisen-Management, das durch gemeinsame Geld-und Finanzpolitik ermöglicht wird.“

Die Analysen und Vorschläge von Zellentin berücksichtigen demgegenüber einen gewissen Zwang zu konvergierenden Tendenzen und damit zu einer Kooperation zwischen West und Ost:

„Indem durch Abgrenzung und Gewaltverzicht der territoriale Besitzstand abgesichert wird, ist der Auftakt gegeben für verstärkte intersystemare Beziehungen und Kooperation. Diejenigen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die die Wirtschaft sowohl in Ost-als auch in Westeuropa bedingen, sind die Konzentration der Produktion — sichtbar in der Bildung internationaler Konzerne — sowie die wachsende internationale Arbeitsteilung. Die intersystemaren Beziehungen werden von neuen Tendenzen bestimmt: nämlich von den bestehenden Produktionsverhältnissen und den politischen Systemen ebenso wie von der intrasozialistischen Kooperation bzw.der westlichen Vergemeinschaftung." (Zellentin, S. 157) Eine gewisse gesellschaftliche Konvergenz unter den Industriestaaten in Ost und West ist nicht zu übersehen, wenn auch die Konvergenztheorie aus ideologischen Gründen von östlicher Seite abgelehnt wird. Ein sich entwickelndes Verbundsystem (ül, Erdgas, Elektrizität), Zusammenarbeit in ökologischen Fragen, Verbesserung der technischen Kommunikation (Fernsehen, Rundfunk) und persönliche Kontakte verstärken die konvergierenden Tendenzen und werden auch von osteuropäischen Staaten partiell akzeptiert, wie auf dem IV. Weltkongreß der Ökonomen in Budapest im August 1974 von sowjetischer Seite zum Ausdruck gebracht wurde 7a). 2. Bildungspolitische Konvergenzen in West und Ost Ähnliche soziale und ökonomische Entwicklungsprobleme führen zu ähnlichen Bildungsproblemen in den modernen Industriegesellschaften in Ost und West, wie eine jüngere systemvergleichende Untersuchung gezeigt hat Zur Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Welt im postindustriellen Zeitalter ist eine Erziehungswissenschaft erforderlich, die die „realistische Wende'(H. Roth) vollzogen, d. h., die eine idealistisch-geistesgeschichtliche Orientierung zugunsten einer empirisch-analytischen aufgegeben hat. Die philosophisch-anthropologische Betrachtungsweise wurde durch die theoretisch-sozialwissenschaftliche ersetzt, Aufklärung und Emanzipation, Selbst-und Mitbestimmung werden (im Westen) zu herausragenden Erziehungszielen. Der gesellschaftswissenschaftlich-analytische Aspekt ist ein Hauptcharakteristikum der östlichen Pädagogik. Im Westen wie im Osten wird in analogen Betrachtungsweisen die Rolle der Gesellschaft als maßgebend für Erziehungsprozesse reflektiert. D. h., der funktionale Zusammenhang zwischen dem jeweiligen politischen und sozioökonomischen System ist die Grundlage für die inhaltliche Definition von Erziehung. Schulorganisatorisch-strukturelle Konsequenzen aus der modernen Industriekultur bestehen in der Einführung differenzierter gesamtschulartiger Systeme in Ost und West, die individuelle Förderung mit kollektiver Kooperation optimal kombinieren sollen. Dadurch sollen soziale Chancengleichheit erhöht, individuelle Bildungswünsche erfüllt und der wachsende Bedarf an qualifizierten Kräften gesichert werden. So bestätigt sich im Vergleich der Schulentwicklung die Interdependenz von Gesellschafts-, Wirtschafts-und Bildungspolitik. Die Gegensätzlichkeiten haben sich in Ost und West abgeschwächt. Sie bestanden neben den ideologischen Divergenzen vor allem in der Bestimmung der Bildungskonzeption der sozialistischen Länder vom Primat der Berufsbezogenheit her, während bis in unsere Zeit in den westlichen Ländern die neuhumanistischen Ideen der Zweckfreiheit maßgebend waren

Unser Thema läßt eine zweifache Behandlung zu. Entweder man versteht unter „föderalistischer Bildungspolitik" die Bildungspolitik in einem als Staatenbund strukturierten (West:) Europa — dann bestünde die primäre Aufgabe in der Erstellung von Länderanalysen -oder man meint damit die Konzipierung einer einheitlichen Bildungspolitik im EG-Europa bzw. unter den Mitgliedstaaten des Europarates auf bundesstaatlicher Grundlage vgl. Schweiz, USA). Im Hinblick auf die strukturellen Probleme des Bildungswesens einzelner Länder wird auf das Schrifttum verwiesen Die Bildung gehört zum Reproduktionsbereich der Gesellschaft. Sie kann unter verschiedenen Nationen um so eher einander angenähert werden, als sich die ökonomischen und sozialen Bedingungen und Strukturen ähneln. Dies ist in den westlich-privatkapitalistischen Warengesellschaften zweifellos der Fall. In der Reproduktionsfunktion — als Bewahrerin und Tradiererin der gesellschaftlichen Verhältnisse — besteht jedoch nur die eine Aufgabe der Bildung; ihre andere wichtige Aufgabe liegt in ihrer Rolle als kritisches Korrektiv der Gesellschaft. Tradition, Interpretation und Antizipation sind demnach Schlüsselbegriffe für Bildung.

IV. Föderalistische Bildungspolitik für ein vereinigtes Europa

Worauf es ankommt, ist der Entwurf einer föderalistischen Bildungspolitik für ein vereinigtes Westeuropa. In letzterem besteht die politische Prämisse für die anzusteuernden Bildungsinhalte. Als bildungspolitisches Ziel wird ein europäischer Bürger angesehen werden müssen, dessen Bewußtsein und Verhalten qua Erziehung und Sozialisation auf regional-europäische und universelle Denkstrukturen und Verhaltensmuster hin anzulegen sind. Dadurch kann am ehesten ein politisches Defizit in Westeuropa abgebaut werden, nämlich das Fehlen eines politischen Drucks „von unten" gegenüber dem Übergewicht der gouvernementalen Organe „von oben“, d. h. die notwendige Reduktion und Verlagerung der europäischen politischen Verantwortung auf die demokratische Basis europäischer Bürger. Dazu kommt das Erfordernis wirklich transnationaler, nicht intergouvernementaler Institutionen. 1. Bildung und Bildungsziele Bildung versteht sich als ein Instrument der gesellschaftspolitischen Infrastruktur. Sie ist nicht zweckfrei — zu allen Zeiten wurde intentional-bewußt erzögen und Bildung als Herrschaftsinstrument gebraucht —, sondern erfüllt eine bestimmte Funktion in der Gesellschaft, wie Dilthey bereits am Ende des 19. Jahrhunderts aussprach und die Wissenschaft von der Bildungsökonomie uns heute lehrt. Bildung ist Produkt eines je bestimmten Vermittlungsprozesses und enthält gezielte Verwertungsintentionen (Zielprojektionen). Im übrigen sei hier angemerkt, daß der Bildungsbegriff in der erziehungswissensdiaftlichen Literatur außerordentlich schillernd und kontrovers ist. Wir verwenden ihn in dieser Arbeit im weitesten Sinne als ein deutsches Spezifikum und erinnern daran, daß er in anderen Sprachen nicht existiert, sondern mit education gleichgesetz wird.

Bildung wird heute als Produktivkraft verstanden, die sich a) instrumentell äußert als Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen der Ausbildung und beruflichen Qualifikation und dadurch zu höherer Produktionsleistung sowie zur Verbesserung des Lebensstandards beiträgt, ferner zur Aufhebung von Entfremdung am Arbeitsplatz dienen und für größere Berufsmobilität sorgen soll, und b) intellektuell und gesellschaftspolitisch manifestiert durch ein Mehr an Einsichten und Erkenntnissen, durch die vergrößerte Möglichkeit der Verwirklichung von Aufklärung schlechthin, realisiert als Emanzipation und Lebensqualität (Wahrnehmung von Freiheit und Mitbestimmungsrechten, mehr Selbständigkeit und Mündigkeit), d. h. von selbstbestimmter Orientierung und Entscheidung im Leben des einzelnen wie des Kollektivs.

In diesen Hinweisen sind einige (Grob-) Lernziele angesprochen worden, über die ein europäischer Konsens erzielt werden müßte. Er setzt die Koordinierung oder Harmonisierung der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen voraus; denn Bildungspolitik ist ein Teil der Gesellschaftspolitik. Die grundsätzliche Frage besteht z. B. darin, wie lassen sich die fortgeschrittenen Partizipationsrechte der Bürger auf allen staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen in der Bundesrepublik Deutschland mit den Abhängigkeitsverhältnissen in Italien oder Frankreich in Einklang bringen? Die Interdependenz von Wirtschaft und Gesellschaft/Politik, die Korrelation und Spiegelung von wirtschaftlicher und politischer Freiheit (Mitbestimmung) zeigt sich hier sehr deutlich. Oder: Eine weniger entwickelte Wirtschaft verlangt ein niedrigeres Ausbildungsniveau als eine hochtechnisierte Industrie und schränkt die Rechte der (oft gering qualifizierten) Arbeitnehmer erheblich ein. Die mindere Schulund Berufsbildung impliziert eo ipso größere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit. Andererseits wächst mit steigendem Bildungsgrad die persönliche wie die berufliche Unabhängigkeit sowie der Grad an Selbstbestimmung. Diesem Zwecke wäre ein Bildungsziel angemessen, das dem einzelnen, unabhängig von seiner Stellung im Produktionsprozeß, den ihm individuell gemäßen Standard zubilligt und ihn auch erreichen läßt. Bildung würde dann primär ihres humanisierenden und befreienden Charakters wegen vermittelt werden; sie würde zur emanzipatorischen Bildung. 2. Bildungspolitik und gesellschaftliche Strukturen Bildungspolitisch betrachtet, verlangt die demokratische Regierungs-wie die republikanische Staatsform ein hohes Maß an Einsicht und Aktivität auf Seiten der Bürger, ist Demokratisierung im staatlichen und gesellschaftlichen Bereich ohne den gebildeten Aktivbürger nicht durchzusetzen. Das gleiche gilt für die europäische Integration. Als politisches, auf demokratische Weise zu erstrebendes Ziel setzt sie einen beachtlichen Umfang an Gemeinwillen und ideologischem Konsens voraus. Die Frage erhebt sich, wie können die Franzosen oder Deutschen, die mehrheitlich für eine Integration eintreten, ihre Regierungen zu einem entsprechenden Handeln zwingen (z. B. Direktwahl der europäischen Abgeordneten), wie kann der gouvernementale Rekurs auf (vermeintlich) unabänderliche verfassungsrechtliche Positionen z. B. in Sachen nationalstaatlicher Souveränität (Frankreich, Großbritannien) gebrochen werden?

Ein infrastrukturelles Mittel ist die angedeutete Aufhebung von Allgemein-und Berufsbildung. Sie besteht in einer gesellschaftspolitischen Bildung, die sich an den heute und künftig notwendigen Qualifikationen zur Lebensbewältigung orientiert, wovon die bisher überbewertete Berufsqualifikation nur eine Seite ausmacht. Die Konsequenz ist die tendenzielle Aufhebung des seither an Berufslaufbahnen, d. h. ökonomischen Zwecken ausgerichteten Unterschieds zwischen durchschnittlicher, mittlerer und höherer Bildung Die Anhebung des Gesamtniveaus mit Hilfe eines jederzeit durchlässigen Bildungssystems sowie die internationale Angleichung der Qualifikationsebenen und -merkmale ist dringend erforderlich. Erst dann hat die gegenseitige Anerkennung von Diplomen jeder Art einen praktischen Sinn. Die Lehrerausbildung möge als Beispiel dienen. Für den Beruf des Volksschullehrers ist nur in der Bundesrepublik ein Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule die exklusive Voraussetzung. In allen übrigen EG-Ländern hat er eine geringere Professionalisierungsstufe, und es genügt meist eine niedrigere Eingangsqualifikation sowie eine Ausbildung an in der Regel selbständigen Lehrerbildungsanstalten (Colleges). Wie soll unter diesen Umständen berufliche Mobilität ermöglicht, wie soll ein hohes Ausbildungsniveau gewährleistet werden? Die internationalen Ausbildungsprofile einzelner Berufsgruppen geben genügend Anlaß zu ideologiekritischen Überlegungen. Man müßte folglich eine internationale Verständigung über die künftige Lehrerausbildung herbeiführen, so wie die Bundesrepublik z. B.den Ausbildungslevel der Fachschulingenieure wegen der Benachteiligung dieser Personengruppe im Ausland angehoben hat.

Weitere Erschwernisse für eine gemeinsame europäische Bildungspolitik ergeben sich aus der unterschiedlichen administrativen Struktur des Bildungswesens der Länder und dem damit verbundenen Grad an direkten Eingriffen des Staates. Neben der gewichtigen Unterscheidung zwischen staatlichen (Bundesrepublik Deutschland, Dänemark) und privaten Bildungssystemen haben wir in den meisten Staaten ein Mischsystem (Italien, Benelux, England, Irland, z. T. Frankreich). Die Konkurrenz staatlicher und privater Systeme führt zu beachtlichen Schwierigkeiten innerhalb des Einzelstaates. Hinzu kommen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen des Schulsystems und der Schulorganisation: das vertikal gegliederte, selektive Schulsystem (in der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und Frankreich) neben horizontal gegliederten Systemen; die zentralisierte Schulverwaltung in Frankreich, die föderale bzw. lokale Schulverwaltung in der Bundesrepublik und in England; die schulrechtliche Formalisierung in der Bundesrepublik und die relative Entscheidungsfreiheit der Einzelschule in Großbritannien; die verhältnismäßige pädagogische Autonomie in der Bundesrepublik, England und Ir land und die rigide Bindung an vorgegebene Lehrpläne usw. in den westeuropäischen Staaten; freiere Prüfungsformen in der Bundesrepublik Deutschland und häufig positivistisch orientierte, rigorose Prüfungen in Westeuropa; die unterschiedliche Bewertung von formaler, materialer und kategoraler Bildung schlechthin, die differierende Anzahl der obligaten Schuljahre, die erheblichen Niveau-unterschiede der Schulausbildung. Sie werden verstärkt durch die zentralstaatlich (Frankreich, Benelux, Irland, Dänemark, z. T. Italien) oder regional (Bundesrepublik, England, z. T. Italien) angesiedelte Bildungspolitik. 3. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland als Modell für eine europäische Bildungspolitik

Isoliert man die bildungspolitische Situation in der Bundesrepublik von der in den übrigen EG-Staaten, so erhält man einen Eindruck von den Hindernissen einer föderalistichen Bildungspolitik. Zehn bzw. elf Bundesländer pochen auf ihre bildungspolitische Selbständigkeit und Unabhängigkeit, während der Bund nur über eine eingeschränkte Kompetenz in Sachen Hochschulbau, Bildungsplanung, wissenschaftliche Forschung und Hochschulrahmengesetzgebung verfügt (Artikel 91a und b GG). Die Länderkompetenz im Bildungswesen mit dem dazugehörigen Behördenapparat macht den beachtlichsten Teil landesherrlicher Macht aus. Vom eigenkulturelllandsmannschaftlichen Standpunkt aus wäre sie nur in wenigen Bundesländern legitimier-bar, da die meisten Bundesländer in ihrer Struktur heterogen, kraft alliierter Setzung nach dem Kriege entstanden und im übrigen durch eine starke Binnenwanderung der Bevölkerung (10 Mio. Heimatvertriebene) gekennzeichnet sind. Eine bildungspolitische Koordination der Länder untereinander findet über die (empfehlenden) Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, über Staatsabkommen der Ministerpräsidenten, über die (empfehlenden) Gutachten des Deutschen Bildungsrats und des Deutschen Wissenschaftsrats, über die Westdeutsche Rektorenkonferenz im Hochschulbereich über die Bund-Länder-Kommission für das Bildungswesen statt.

Letztlich entscheidend sind die (partej-lpolitischen Mehrheitsgremien in den einzelnen Bundesländern. Sie bestimmen die Richtung der Bildungspolitik. Konservative Regierungsparteien neigen eher zur Bewahrung des Status quo im Bildungswesen und vertreten ein mehr obrigkeitlich-elitäres, selektives Bildungsmodell, sozialistische und liberale Regierungsparteien treten stärker für allgemeine Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit, für Demokratisierung und Änderung des vorhandenen Bildungssystems (Gesamt-(hoch-) schule) sowie für individuelle und kollektive Förderung ein und begünstigen damit eine breite Massenbildung, unter gewisser Benachteiligung der Hochbegabten. Diese Parteien (FDP und Teile der SPD) votieren für eine zentrale Bundeskompetenz in allen Erziehungs-und Bildungsfragen, die nur mit Hilfe einer verfassungsändernden (Zweidrittel-) Mehrheit zu erreichen wäre.

Die Problematik eines solchen Vorhabens liegt darin, daß eine bildungspolitische Uniformierung eines Landes nicht wünschenswert sein kann. Die mehrheitsparteiliche Ideologisierung des Bildungswesens würde für den ganzen Bund perfekt, ohne Rücksicht auf regional unterschiedliche Konstellationen. Beim jetzigen Verfahren des bildungspolitischen und ideologischen Föderalismus ist jeweils ein Bundesland betroffen, aus dem entfliehen kann, wer die Verhältnisse nicht mehr zu ertragen können meint. Zumindest macht die Bevölkerung in den Grenzgebieten seit langem von den Wahlmöglichkeiten Gebrauch. Im übrigen sorgen konkurrierende Systeme für Wettbewerb. Trotz mancher Abweichungen, die man nicht überbewerten sollte — es sei denn, es liege einem an einer ideologisch präformierten Einheitsbildung —, werden die in einem Bundesland nachgewiesenen Teilleistungen und -qualifikationen in allen Bundesländern und auf allen Bildungsebenen anerkannt (Baukastensystem).

Dieses Modell scheint für eine föderalistische europäische Bildungspolitik praktikabel. Es handelt sich um eine Grobabstimmung und -angleichung der Bildungsgänge auf einem durchschnittlichen Niveau, das die grundsätzliche gegenseitige Anerkennung der bereits erworbenen Zertifikate und sonstigen nachgewiesenen Leistungen ermöglicht. In Zusatz-kursen könnten die landesüblichen Specifica repräsentiert sein. Voraussetzung wäre die Verständigung über die unerläßlichen Minima der Curricula, inklusive der unverzichtbaren Essentiale nationaler Wertsysteme sowie der Aufbau und der Anerkennung einer internationalen, pluralistischen Wertordnung. Dies ist keine leichte Aufgabe, weil zwar die Konstruktionsmerkmale wissenschaftlich in einef verbindlichen Matrix fixiert werden könnten, ihre Inhalte jedoch von legitimen politischen Interessen mitbestimmt werden. Dazu gehören die je unterschiedlichen Zielprojektionen, das je andersartige philosophische Vorverständnis vom Menschen schlechthin, das sich im nationalen Wertsystem manifestiert. Hinzu kommen kontroverse Fragen des Bildungsverständnisses, ob man den bildungstheoretischen und geistesgeschichtlichen Aspekt der gemeinsamen kulturellen Werte und Überlieferung in den Mittelpunkt rückt oder ob man Bildung mehr informations-und lerntheoretisch als Erwerb und Speicherung von Informationen zu bestimmten Zwecken versteht. Im ersten Fall orientiert sich Bildung formell und/oder materiell am Grundsatz der (vermeintlichen) Zweckfreiheit, im zweiten Fall stärker an ökonomischen Bedingungen, technischen Zwängen und am Lebensstandard. Letzteres ist vor allem im Ausbildungssektor zu beobachten, etwa am Unterschied zwischen qualifizierten und unqualifizierten Arbeitern. Diese verschiedenartigen Gesichtspunkte, die die Beurteilung eines nationalen Bildungssystems erschweren, potenzieren sich auf internationaler Ebene. Sie machen einleuchtend, daß zwar eine Vielfalt der Bildungsgänge erhalten bleiben, aber eine inhaltliche Annäherung stattfinden müßte. Die bloße gegenseitige Anerkennung von Diplomen, etwa bei Lehrern, Ärzten, Ingenieuren u. a., nützt wenig, wenn ihre gemeinsame Basis zu schmal ausgelegt ist und sie in der Tat untereinander nicht austauschbar sind. Eine Angleichung der akademischen Ausbildungsprofile sollte infolge der Internationalität und der weitgehenden Autonomie der Hochschulen am ehesten erreichbar sein. Für eine Annäherung der beruflichen Ausbildung in den EG-Staaten könnten die Artikel 118 und 128 der Römischen Verträge hilfreich sein. Die Einführung der education permanente (Bildungsurlaub, Volkshochschulen, extramurale Universitätskurse, Abend-(hoch) schulen, Erwachsenenbildungsstätten usw.) könnte Bildungsdefizite ausgleichen helfen. 4. „Partizipation" als Beispiel für die Kompliziertheit einer europäischen Bildungspolitik Der Versuch einer internationalen Angleichung der Schulsysteme wirft erhebliche formale (organisatorisch-strukturelle) und materiale (inhaltlich-curriculare) Probleme auf und resultiert nicht zuletzt aus der politischen Philosophie. Dies soll im folgenden am Schlüsselbegriff der „Partizipation' verdeutlicht werden, der von allen westlichen (und östlichen) Ländern in der Tradition der Aufklärung für ihre politische Verfassung beansprucht und als Fundamental-oder Binnendemokratisierung (oder als demokratischer Zentralismus) durchzusetzen versucht wird. Die Schwierigkeiten der Begriffsdefinition sind infolge der Vielzahl von Positionen bereits in einem Lande unlösbar. Man denke an die Mitbestimmungsdikussion in der Bundesrepublik, an die (pädagogische) Auseinandersetzung um das Elternrecht und die Schülermitbestimmung (fortschrittliche Regelungen in SPD-regierten Ländern, konservative in CDU/CSU-Ländern). überall spiegelt die Konkretion des Partizipationsbegriffes den politischen Realitäts-und Bewußtseinsstand. Dabei ist auf zwei Dinge hinzuweisen: Erstens ist Partizipation Ausfluß der qualitativen Gleichheit aller Menschen, und zweitens ist sie ihrer Herkunft aus der Französischen Revolution nach ein politisches Postulat. D. h., Partizipation bejaht konfligierende Interessen, will für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen eine angemessene Beteiligung an den sie betreffenden Entscheidungen. Dabei geht es im Bildungsbereich — nach einer Arbeit von Rita Süßmuth — um Beteiligungen an Schulverwaltung, -Organisation, Curri, cula, Methoden, Leistungskontrollen und Unterrichtszielen. Das Ziel besteht im Abbau von Autoritäts-und Abhängigkeitsstrukturen zugunsten demokratischer Verhältnisse, in der Artikulation von Interessen der Beteiligten, in der Realisierung des konflikttheoretischen Schulmodells (allerdings nur in einigen Ländern der Bundesrepublik). Partizipation ist demnach eine politische Kategorie, die Entscheidungsbefugnisse beinhaltet. Subsumierbare Zentralbegriffe sind nach Süßmuth: Information, Kommunikation, Beratung, Kooperation, Partnerschaft, Mitverwaltung, Selbstverwaltung, Kontrolle und Autonomie. Mißt man daran und im Anschluß an den internationalen Bericht über „La Pedagogie de Participation" die Verhältnisse, so ergibt sich im Bereich der westeuropäischen Staaten ein die jeweiligen politischen Zustände im Lande reflektierendes Bild. In den romanischen Ländern ist Partizipation gegenüber vorangegangenen Zeiten ein Mehr an Dialog zwischen Schulleitern, Lehrern, Eltern und älteren Schülern, eine erweiterte Beratung und Information von Eltern und Oberstufenschülern über die schulischen Möglich'keiten. Es handelt sich um einen eindimensionalen, von der Schule zu ihren Benutzern verlaufenden Interaktionsvorgang. Die starke Stellung der Schulleiter und teilweise der Lehrer ist unangefochten. Für die Schüler bleibt eine gewisse Wahl von (vorgegebenen! Fächern, eine geringfügige Mitbeteiligung an der Organisation des Lernprozesses und eine Einflußnahme auf die Bildung von Lerngruppen. Dagegen wird eine Mitbestimmung am Lehr-und Stundenplan abgelehnt und die Gemeinschaft der Lehrer beschworen als diejenigen, die schließlich für alles maßgebend sind. Die Lektüre des zitierten Berichts nährt die Vermutung, daß die Zustände vor den Studenten-und Schülerunruhen, durch die ja einiges geändert wurde, autoritär gewesen sein müssen. Jedoch ist auch heute von Rechten der Schüler und Eltern (sie haben vorwiegend Anhörungsrechte) in den erwähnten Ländern kaum die Rede. Irgendwelche Rechte für Schüler der Primär-oder Sekundarstufe I werden erst gar nicht diskutiert.

Anders ist die Situation in den germanischen Ländern. Hier stoßen wir auf demokratischere Traditionen im Schulwesen in Großbritannien und in Deutschland. Während in England die Autonomie der Einzelschule, allerdings mit herausragender Stellung des Headmasters, unbestritten ist, ergeben sich in der Bundesrepublik Differenzen im Hinblick auf die Verwirklichung des demokratischen Potentials zwischen den einzelnen Bundesländern Realisierungsdefizite an Demokratie in Gestalt partizipativer, emanzipativer und kritischer Eltern-13a) und Schülermitbestimmung sind vor allem in Baden-Württemberg und Bayern festzustellen, während sie in Hessen und Nordrhein-Westfalen auf allen Ebenen, von der Einzelschule bis zum Ministerium, praktiziert wird kraft institutioneller Verankerung in den zutreffenden Erlassen und Rechtsverordnungen. Das Fazit dieses Exkurses liegt in der notwendigen internationalen Annäherung der politischen Philosophie, besonders des Demokratieverständnisses, als eine Voraussetzung für die Angleichung gesellschaftlicher Bereiche.

V. Desiderata einer föderalistischen europäischen Bildungspolitik

En bei der EG-Kommission zu errichtender kommunitärer Planungsstab müßte die Ist-und Soll-Werte erarbeiten. Ein Katalog von Desiderata müßte u. a. folgendes vorsehen: Erlernen mindestens einer Fremdsprache durch alle Kinder (um internationale Verständigungsmöglichkeiten zu erschließen, um für kulturelle Angleichung, völkerpsychologisches und ökonomisches Verständnis vorzusorgen); Schüler-und Lehrlings-, Lehrer-und Dozentenaustausch sowie Austausch von Verwaltungsbeamten; freie Arbeitsplatzwahl; Koordination der Curricula auf allen Ausbildungsebenen; Vermehrung des Angebots an internationalen Studientagungen; Vergrößerung der Anzahl der Europaschulen; Produktion gemeinsamen Unterrichtsmaterials; Ausbau der Erwachsenenbildung mit internationaler Themenstellung; Durchsetzung sozialintegrativer Lehr-und Lernmethoden gegenüber dominativen; Publikation gemeinsamer Zeitschriften; Errichtung einer Datenbank, einer Dokumentationszentrale, eines Archivs und eines Informationspools für Fragen der europäischen Bildungspolitik; Zusammenarbeit der Telekollegs, Einrichtung eines Medienverbundsystems, Austausch von Unterrichtspro-grammen;

Ausnutzung der Erfahrungen der Open University; internationaler (englischen)

Kapazitätsausgleich in Numerus-clausus-Fä-Chemn und Anerkennung ausländischer Studien-

eistungen; rasche Umsetzung von Innovatio-nen. Die einzurichtenden bzw. auszubauenden nationalen und internationalen Planungs-und Forschungsinstitute (vergleichbar den Instituten für Strategische Studien in London und Paris) hätten sich in einer ersten Phase mit vergleichenden Studien zur Bildungs-und Gesellschaftspolitik der einzelnen Länder zu befassen, z. B. mit der Rolle, die eine bestimmte (intellektuelle, berufliche) Bildung sowie die Institution Schule im sozialen Spektrum spielt, welcher gesellschaftliche Bedarf für bestimmte Berufspositionen vorliegt, wie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichtungen beurteilt werden (= Behinderung einer adäquaten Ausbildung, besonders in den Unterschichten, auf dem Land, bei Mädchen stärker als bei Jungen, in der katholischen Bevölkerung mehr als in der evangelischen), wie die Stellung des Kindes und Jugendlichen in der Gesellschaft gesehen wird, wie der soziale Wandel sich in den verschiedenen Staaten vollzieht usw. Mit Hilfe der sozialwissenschaftlichen Strukturanalyse wird man Aussagen machen können über konvergierende Entwicklungstrends in den westlichen Industriegesellschaften, z. B. über die Hauptrichtungen des tech, nisch-wissenschaftlichen Fortschritts, die ihrerseits Veränderungen der Arbeitsverfahren wie in der Organisation der Produktion und Distribution zur Folge haben. Ein sich darauf einstellendes Bildungsprofil wird z. B. die geistigen Fähigkeiten, das Verantwortungsbewußtsein, die Entscheidungsfähigkeit, Mobilität und Disponibilität — auch politisch — stärker hervorheben als bisher. Auf diesem Hintergrund erhalten seitherige Randdisziplinen wie Bildungsökonomie, -Soziologie, -geographie, -diagnostik und -prognostik eine herausragende Bedeutung.

Diese (unvollständige) Aufzählung beinhaltet ein recht kompliziertes Programm und ist allein mit Hilfe eines noch nicht selbstverständlichen gesellschaftspolitischen Engagements der Lehrer sowie vor allem der Politik selbst durchzusetzen. Die juristische Betrachtung des Problems, daß nämlich die Bildungspolitik aus den Römischen Verträgen ausgeklammert sei, kann auf Dauer nicht als Alibi für eine vernachlässigte, selbständige Bildungspolitik der EG dienen. Im übrigen könnte der bildungspolitische Ansatz wahrscheinlich wirksamer über die Gremien des Europarats erfolgen. Erschwerend wirkt das Fehlen trans-nationaler politischer Parteien sowie das Fehlen des politischen Drucks von unten durch die europäische Öffentlichkeit. Nicht zuletzt wurde bisher weitgehend versäumt, die Jugend an einer westeuropäischen Politik zu interessieren. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wären über die Schulen etwa elf Millionen Schüler und ca. 400 000 Lehrer anzusprechen. Dieses leicht erreichbare Potential an künftigen europäischen Bürgern wird ebenso wie die übrige Bevölkerung im Hinblick auf eine europäische Bewußtseinsbildung, die wir als die konstitutive Voraussetzung einer Politisierung der europäischen Öffentlichkeit halten, vernachlässigt.

Eine europäische Politik, die keinen engen Kontakt zu den bedeutendsten Bildungsinstitutionen, den Schulen, pflegt, braucht sich über die mangelnde Rückkoppelung zu ihrer Basis nicht zu beklagen. Vordringlich muß also das gestörte Verhältnis der EG zur Jugend beseitigt werden 1313). Im letzten Punkt ihres Kommuniques der Haager Gipfelkonferenz vom 1. 12. 1969 hatten die Staats-und Regierungschefs erklärt: „Den hier beschlossenen Maßnahmen für die schöpferische Gestaltung und das Wachstum Europas steht eine größere Zukunft offen, wenn die Jugend daran engen Anteil hat..." Daraufhin schlug die EG-Kommission dem Rat vor, einen ständigen (Beamten-) Ausschuß für Jugendfragen einzurichten sowie einen aus Vertretern internationaler Jugendorganisationen zusammengesetzten Jugendbeirat. Aufgaben des Ständigen Ausschusses sollen sein:

„... umfassende Information der Jugend der Mitgliedstaaten über Ziele und Durchführung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften;

— Beteiligung der Jugend an der Prüfung und Durchführung bestimmter Aktionen, die sich durch die Anwendung dieser Verträge ergeben;

— Förderung neuer Maßnahmen, mit denen die Jugend am Aufbau der Gemeinschaft beteiligt wird.'

Dem Beirat sollen folgende Tätigkeiten übertragen werden:

„Was die unter die Verträge fallenden Aktionen betrifft, so hat der Beirat u. a. Stellungnahmen zu folgenden Fragen abzugeben: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit der Jugendlichen und ihre Mobilität, Interventionen des Sozialfonds, Berufsausbildung und Berufsberatung, spezifische Probleme der Junglandwirte, Niederlassungsfreiheit und gegenseitige Anerkennung der Diplome, Jugendarbeitsschutz, soziale und kulturelle Weiterentwicklung, Austausch junger Arbeitnehmer, Mitwirkung der Jugend bei bestimmten Programmen der Entwicklungshilfe."

Dem Europäischen Parlament wurden diese Vorschläge bereits am 20. 2. 1972 vorgelegt, ohne daß man sich bis heute einigen konnte, Die Jugendlichen kritisieren das fehlende Initiativrecht und den Modus, wonach die Mitglieder von den Regierungen vorgeschlagen werden sollen. Der Jugend-und Kulturausschuß des Europäischen Parlaments, der sich inzwischen der Sache angenommen hat möchte aus dem Jugendbeirat ein Jugendforum machen, das aus drei Abteilungen bestehen soll: für politische Jugendverbände, für Jugendverbände sozialer und gewerkschaftlicher Organisationen und für pädagogisch-kulturelle Jugendverbände. Die Benen nung der Mitglieder soll durch die Verbände selbst, ohne Einflußnahme der nationalen Regierungen, erfolgen.

Langfristig muß im Bereich der westeuropiischen Bildungsplanung nach F. Edding u. a berücksichtigt werden:

„ 1. Die Bildungsaktivitäten müssen darauf gerichtet sein, Werthaltungen, Zielvorstellungen und Kenntnisse zu fördern, die geeignet sind, die Kommunikation und das Verstehen zwischen den Bewohnern der Staaten zu verbessern, die das Zusammenwachsen anstreben.

2 Die Curricula und insbesondere die Abschlüsse sind so zu planen, daß freie Wanderung über die Staatsgrenzen möglichst wenig behindert wird.

3 Die Großräumigkeit ist für technische und organisatorische Rationalisierungsmaßnahmen im Bildungswesen zu nützen, die den gemeinsamen Zielen dienen." (Edding, S. 3)

Dafür sind nach Edding fünf Leitvorstellungen maßgebend:

I. Das Ziel, mehr und bessere Bildung für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zu erreichen, bedingt, daß die Identifizierung von guter Bildung mit gymnasialer Bildung und akademischen Diplomen aufgehoben wird.

II. Eine breite Vorbereitung für berufliche Tätigkeit ist zum Kem jeder Allgemeinbildung zu machen.

III. Die verschiedenen Bildungseinrichtungen und außerschulischen Lernorte sind zu ihrem spezifischen Optimum zu entwickeln.

IV. Ein großer Teil des systematischen Lernens ist in Intervallen der Berufstätigkeit zu organisieren.

V. Wichtigste Bildungsziele für das Zusammenwachsen einer europäischen Gesellschaft sind die Fähigkeit, die Eigenart anderer Personen und Gruppen zu akzeptieren, sowie die Bereitschaft zu gesellschaftlicher Mitbestimmung und Mitverantwortung.“ (Edding S. 12) Dazu gehört die Förderung des sozialen Ausgleichs im Bereich der Vorschulerziehung, der Ausgleich des Nord-Süd-Gefälles, eine bessere Berufsbildung als Voraussetzung für Demokratie, eine Erziehung zur Kooperation, die Berücksichtigung außerschulischer Lebensbereiche (Entschulung) und schließlich die Verwirklichung der Menschen-und Freiheitsrechte, die die politische Kultur Europas seit der Französischen Revolution ausmachen. (Edding, S. 12)

Administrative Voraussetzung für die Verwirklichung der aufgestellten Forderungen ist u. a., daß die Europäische Gemeinschaft in Brüssel mit Hilfe ihrer nationalen Büros größeres Verständnis für die Öffentlichkeitsarbeit entwickelt und sich bemüht, ihre Einigungsphilosophie publizistisch zu vertreten.

Demgegenüber überläßt sie diese Aufgabe zum Teil privaten Organisationen, wie etwa dem Europäischen Erzieherbund (vgl. Die europäische Charta der Erziehung von 1968

dem Europäischen Kulturzentrum in Genf, der Europa-Union, dem Bildungswerk Europäische Politik, der Vereinigung Europäischer Journalisten und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, ohne aber diese Institutionen ausreichend zu unterstützen. Ihre eigenen Publikationen leiden teilweise unter qualitativen und quantitativen Mängeln. Ohne eine ausreichende Dotierung der Öffentlichkeitsarbeit aller amtlichen und privaten europäischen Institutionen bleibt der Informationsstand in Sachen Einigungspolitik unter den Europäern weiterhin defizitär zum Schaden des säkularen Einigungswerkes.

Von den Parteien hat neben der CDU vor allem die FDP die Frage einer europäischen Bildungspolitik 1972 aufgegriffen:

„Die europäische Integration ist auf Dauer nur möglich, wenn auch eine gemeinsame europäische Bildungspolitik erreicht wird. Eine europäische Bildungspolitik muß über die Notwendigkeiten, die sich aus der wirtschaftlichen Integration ergeben, hinausgehen. Gemeinsame Bildungspolitik als Teil der europäischen Integration hat als Aufgabe, die demokratische und fortschrittliche Entwicklung in Europa zu fördern. Deshalb ist es notwendig, die von der FDP formulierten Grundprinzipien liberaler Bildungspolitik bei der inhaltlichen Gestaltung europäischer Bildungspolitik durchzusetzen. Zentrale Bedeutung hat dabei die Herstellung von Chancengleichheit bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Prinzips der individuellen Förderung in den verschiedenen Bildungssystemen."

VI. Der Beitrag supra und internationaler Organisationen zur europäischen Bildungspolitik.

Charakteristisch für eine europäische föderalistische Bildungspolitik ist ihr spätes Er—scheinen auf der politischen Bühne. (Der ehemalige Bundeskanzler Brandt hat in seiner bekannten Rede über die Europäische Union vor dem Europäischen Parlament in Straßburg am13. 11. 1973 auf die notwendige „Bildungsgemeinschaft“ hingewiesen Dies hängt damit zusammen, daß die bildungspolitische Dimension der allgemeinen wie der europäischen Einigungspolitik während der ersten zwanzig Nachkriegsjahre in vielen Ländern angesichts des Vorrangs der Beseitigung materieller Not sowie innenpolitischer Pazifizierung und Stabilisierung der nationalen Restauration anheimfiel. Eklatant ist dies nachzuweisen am Beispiel der Bundesrepublik, wo man bildungspolitisch fast kritiklos an die Weimarer Zeit anknüpfte (z. B. dreigliedriges Schulsystem, Übergang nach dem 4. Schuljahr, 13 Schuljahre, tradiertes Universitätssystem) und Änderungsversuche der Besatzungsmächte und einzelner Bundesländer fast völlig zu verhindern wußte. 1. Die Kooperation der Erziehungsminister Auch übernationale Institutionen wie OECD, UNESCO, Europarat und Europäische Gemeinschaft erkannten relativ spät die Bildungsproblematik) eine ständige Konferenz der Erziehungsminister der Europarat-Staaten gibt es erst seit 1959, der EG-Staaten seit 1971. Unmittelbar vor der Haager Gipfelkonferenz (1969) schlug der französische Erziehungsminister Olivier Guichard die Errichtung eines einem europäischen Bildungsrat (bestehend aus den Erziehungsministern) zu unterstellenden „Europäischen Zentrums" für die Entwicklung einer europäischen Erziehung vor 17a). Dieser Vorschlag wurde vom Rat der EG-Erziehungsminister auf ihrer ersten Sitzung am 16. November 1971 gebilligt und eine Expertengruppe eingesetzt. Ferner wurde von ihnen „die Definition eines europäischen Kulturmodells“ als Ziel der Gemeinschaft festgelegt Das Zentrum soll für die folgenden Punkte zuständig sein:

1. für die Mobilität der Lehrkräfte und Schüler,

2. für die Anerkennung der Diplome und Studienzeiten, 3. für neue Bildungstechnologien, 4. für Erwachsenenbildung.

In drei Phasen müßte das Zentrum sich befassen mit 1.der Informationsbeschaffung und Errichtung einer europäischen Datenbank für Erziehungsfragen, 2.der Koordinierung der nationalen Bildungspolitiken,

3.der Förderung einer europäischen Erziehungspolitik. Die Erziehungsminister der dem Europarat angehörenden Staaten haben auf ihrer achten Sitzung in Bern im Juni 1973 folgenden ko. operativen Maßnahmen Priorität gegeben:

1. dem Prinzip eines lebenslangen Lernens, 2.der Vorschul-und Primarerziehung, 3.der kompensatorischen Erziehung für die Unterprivilegierten, 4.der Entwicklung einer Erziehungspolitik für die 16— 19jährigen 5.der Reform der Lehrerausbildung und Lehrerweiterbildung, 6.der Erziehung der Migrantenkinder, Eine Aufschlüsselung von Punkt 4 zeigt die Problematik solcher allgemeinen Grundsätze: Sie sind formaler Natur und abstrahieren von inhaltlich-materialen Festlegungen. So geraten sie in die Nähe von Leerformeln:

1. Die Unterrichtsbedingungen sollten eine Erwachsenenatmosphäre darstellen, 2. die Unterrichtsmethoden sollten ein individuelles, selbstgesteuertes Lernen ermöglichen, 3. die Interdependenz der Lerngegenstände sollte bewußt gemacht werden, 4. außerschulische Erfahrungen sollten im Schulunterricht nutzbar gemacht werden, 5. die Unterrichtungsgegenstände sollten durch Beratung gewählt werden und den Interessen sowie sozialen Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenkommen

Solche Empfehlungen stoßen offene Türen ein, wo diese, wie in der Bundesrepublik, als selbstverständliche Prinzipien der Schulpolitik und -Organisation gelten können. In Ländern mit einem lehrerdominanten Unterrichtsstil können sie ebenfalls in dieser Allgemeinheit jederzeit argumentativ untergebracht werden, ohne daß sich etwas zu ändern braucht.

Für die letzte (8.) Konferenz der Erziehungsminister der Europarat-Staaten 1973 haben der belgische Professor Janne und der französische Generalinspekteur Geminard einen Bericht (sog. Janne-Bericht) zum Konferenzthema über die Erziehungsbedürfnisse der 16 bis 19jährigen vorgelegt Der Text enthält eine soziologische (Janne) und eine pädagogische Analyse (Gminard) der Fragestellung. Seine Prämisse besteht in der Annahme eines dauernden Interaktionsprozesses zwischen Erziehung und Wertsystemen im weitesten Sinne (Ziel-und Handlungswerten). In komplexen Gesellschaften unterliegen die Werte einem dauernden Wandel, der sich aus dem Konflikt zwischen Tradition und neuen Wünschen und Bedürfnissen ergibt (Janne soziologischen Geminard, S. 9). Nach der Analyse sind die folgenden Faktoren für die Erziehung der 16— 19jährigen notwendig: die Familie, produktive Arbeit, angemessene Beratung, die jugendliche Subkultur (als Teil der informellen Erziehung), die Schule im sozialen Kontext („offene“ Schule), die Betrachtung dieses Alters als erste Phase einer dauernden (Erwachsenen-) Erziehung (education permanente), nicht mehr als letzte Phase des Schullebens, freie Unterrichtsformen, individualisiertes und Gruppenlernen, Konzentration auf die Gegenwart, selbständiges Lernen statt belehrt zu werden (Janne/Geminard, S. 17 f. und 30). Entsprechend diesen Forderungen stellt die pädagogisch-psychologische Analyse u. a. die Bedeutung der Motivation, des Erwerbs der Arbeitsmethoden und der Entwicklung sozialen Verhaltens heraus (Janne Geminard, S. 37).

Die EG-Erziehungsminister sind seit ihrer ersten Tagung 1971 zu einer zweiten Ratssitzung am 6, /7. Juni 1974 in Luxemburg zusammengetroffen. Sie haben folgende Entschließung angenommen:

, 1. Die Zusammenarbeit im Bereich des Bildungswesens wird auf folgenden Grundsätzen beruhen:

— die Einführung einer Zusammenarbeit im Bereich des Bildungswesens entspricht der schrittweisen Harmonisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Gemeinschaft und muß gleichzeitig den spezifischen Zielen und Interessen dieses Bereichs gerecht werden:

— das Bildungswesen darf unter keinen Umständen einfach als Bestandteil des Wirtschaftslebens angesehen werden;

— die Zusammenarbeit im Bereich des Bildungswesens soll unter Berücksichtigung der Traditionen jedes Landes sowie der Vielfalt der Bildungspolitik und der Bildungssysteme erfolgen. Daher kann die Harmonisierung der Bildungssysteme oder der Bildungspolitik nicht als Ziel an sich angesehen werden.

2. Vorerst wird sich diese Zusammenarbeit hauptsächlich auf folgende Bereiche vorrangiger Aktionen erstrecken:

— bessere Möglichkeiten der Bildung und Ausbildung der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaften und der Nichtmitgliedsländer sowie ihrer Kinder;

— Verbesserung der Korrespondenz der Bildungssysteme in Europa;

— Zusammenstellung einer Dokumentation sowie aktueller Statistiken im Bereich des Bildungswesens;

— Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen;

— Verbesserung der Möglichkeiten einer akademischen Anerkennung der Diplome und einer Anerkennung der Studienzeiten;

— Förderung der Freizügigkeit und der Mobilität der Lehrkräfte, der Lernenden und der Forscher, insbesondere durch Beseitigung der verwaltungstechnischen und sozialen Hindernisse für die Freizügigkeit dieser Personen sowie durch Verbesserung des Lehrens und Erlernens von Fremdsprachen;

— Anstreben einer besseren Chance im Hinblick auf den uneingeschränkten Zugang zu allen Bildungsformen."

Diese „Grundsätze" stellen kein konkretes Programm dar und gehen nicht über das hinaus, was auf dem Gebiet der internationalen Bildungspolitik, insbesondere unter den Mitgliedsländern des Europarats, schon postuliert worden wäre. Bemerkenswert ist vor allem die amtliche 'Zurückhaltung gegenüber einer Harmonisierung der Bildungssysteme, als wäre irgendeine Art von Gleichmacherei und Nivellierung überhaupt diskutabel. Alle Punkte sind so allgemein formuliert, daß ihr Leerformelcharakter unübersehbar ist. Von einer gemeinsamen Bildungspolitik sind die zuständigen Minister noch weit entfernt. Insgesamt ist die Tätigkeit der Erziehungsminister auf europäischer Ebene wenig erfolgreich. Sie haben zwar manche nützliche Untersuchung angeregt und durchführen lassen, leiden jedoch offensichtlich am Mangel an Entscheidungskompetenzen.

Ihre Zusammenkünfte sind wenig mehr als ein internationaler Erfahrungsaustausch.

2. Der Europarat Der Beratenden Versammlung des Europarats wurde von ihrem Komitee für Kultur und Erziehung am 25. Sept. 1973 ein Bericht über die Situation der europäischen Kooperation auf den Gebieten der Kultur und Erziehung seit 1959 vorgelegt Das Komitee arbeitet zusammen mit dem 1962 gegründeten Rat für kulturelle Zusammenarbeit (Conseil de la Cooperation Culturelle, CCC) beim Europarat. (Ferner gibt es beim Generalsekretariat ein Direktorat für Erziehung und für kulturelle und wissenschaftliche Angelegenheiten.) Ihm gehören die 17 Mitglieder des Europarats sowie Spanien, Finnland und Griechenland an. Er veranstaltet Tagungen und läßt wissenschaftliche Untersuchungen durchführen, ist aber in der europäischen Öffentlichkeit wenig bekannt. Bereits in seinem Gründungsjahr publizierte er die von 20 Staaten übernommene Konvention zur kulturellen Zusammenarbeit (gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen und Diplomen, Angleichung von Curricula und Examensordnungen).

Der CCC befaßt sich mit 1.der Information und Dokumentation pädagogischer Innovationen, 2.dem Austausch von Personen, Ideen und Erfahrungen, 3.dem Vergleich von Erziehungssystemen 4.der Unterstützung von Aktivitäten (Untersuchungen, Leitstudien), die einen allgemeinen Charakter haben.

Dazu kommen europäische Kunstausstellungen, europäischer Kulturausweis, Koproduktion von Unterrichtsmedien, Patronat über den Europäischen Schultag, Stipendien für Studenten usw.

Für ein künftiges Europa beschränken sich die Vorschläge auf äducatlon permanente und auf eine kulturelle Entwicklung

Des weiteren hat die Beratende Versammlung des Europarats die Gründung eines Europäischen Erziehungsbüros (Office europeen de l'education) bereits 1969 vorgeschlagen. 3. Der EG-Ministerrat sion und die EG-Kommis.

Schon 1971 hat der EG-Ministerrat Allgemeine Richtlinien für ein Gemeinschaftsprogramm von Aktivitäten auf dem Gebiet der Berufsausbildung angenommen. Diese durch die Römischen Verträge abgedeckten Bemühungen konzentrieren sich auf — die Intensivierung Sammlung von Informationen und Erfahrungen der nationalen Berufsausbildungspolitiken sowie auf laufende Reformen und die Handhabung und Finanzierung der Berufsausbildung, —-die Kooperation in der Angleichung von Ausbildungsstandards, — die Entwicklung und Verbesserung von beruflicher Information und Beratung, — die Förderung von Aktivitäten in Verbindung mit der Vorsorge für eine fortdauernde Ausbildung, — die Entwicklung moderner Ausbildungsmethoden und -techniken und die Förderung der Ausbildung von Ausbildern, — die Lösung von vordringlichen Ausbildungsfragen, insbesondere für unterprivilegierte Personen, — die Lösung in bestimmten wirtschaftlichen Sektoren und bestimmten Regionen

Im Rahmen der Berufsausbildung ist noch einmal auf das Dahrendorf-Programm zurückzukommen. Dahrendorf zählt zu den Aufgaben der EG „die Koordination der beruflichen Bildung. Im Zusammenhang mit den neueren Tendenzen des allgemeinen Bildungswesens (Verbindung von Theorie und Praxis, . Baukastensystem', lebenslange Bildung) einerseits, im Hinblick auf eine Industriepolitik ständiger, struktureller Anpassungen andererseits, gewinnt dieser Bereich an Bedeutung. Die Koordinierung und zum Teil Harmonisierung der berufsbezogenen Bildung ist also eine . flankierende Politik'und damit von Bedeutung für andere Bereiche gemeinschaftlicher Tätigkeit" (Dahrendorf, S. 6)

Zum Zwecke der Forschungsförderung, des Informationsaustausches, der Annäherung des Ausbildungsstandes und der Erstellung von Ausbildungsprogrammen soll ein Europäisches Zentrum für Berufsausbildung geschah fen werden. Der Wirtschafts-und Sozialausschuß der EG, bei dem die Berufsbildung assortiert, hatte bereits in seinem Vorschlag vom 4. 2. 1970 die Schaffung eines Europäischen Instituts für Berufsbildungsforschung und Berufsberatung angeregt.

Ein umfangreiches Memorandum vom 14. 11. 1972 für eine Gemeinschaftsaktion im Bereich der Kultur wurde als Ergebnis der Arbeitsgruppe „Unterricht und Ausbildung" von Kommissionsmitglied Spinelli dem Rat im Dezember 1972 vorgelegt In weitschweifigen, wenig substantiellen Ausführungen wird auf folgendes verwiesen: Plan einer Gründung eines Europäischen Entwicklungszentrums für das Bildungswesen, Kohärenz zwischen allgemeinbildendem Unterricht, der Berufsausbildung und der Kultur, Kohärenz der Maßnahmen im Bildungs-und Unterrichtswesen mit der Beschäftigungs-und der Regionalpolitik, Einrichtung eines Europäischen Fonds für Denkmäler und Kunststätten, Mobilität der Kulturarbeiter u. a.

In einer „Aufzeichnung“ des Rates vom 18. 4. 1973, die sich mit der Zusammenarbeit im Bildungswesen befaßt, wird betont, daß „das Bildungswesen unter keinen Umständen einfach als Faktor des Wirtschaftslebens angesehen werden darf; trotz der Bedeutung des Bildungswesens vom sozialen Gesichtspunkt aus darf die künftige Zusammenarbeit die Bildungsfragen nicht sozio-ökonomischen Aspekten unterordnen" (Ani. I, S. 1). Die . Harmonisierung der Bildungssysteme oder der Bildungspolitik" wird nicht „als Ziel an sich“ angesehen, jedoch soll „eine zweckmäßige Konzertierung über die Bildungssysteme" herbeigeführt werden (Ani. I, S. 2).

Hier wird zum erstenmal in einem EG-Dokument eine Alternative zur Harmonisierung angeboten: die Konzertierung. Die Vorbehalte gegenüber einer Harmonisierung scheinen Natur zu sein. Offensichtlich versteht man darunter in den meisten Ländern eine weitgehende nivellierende Angleichung der Strukturen und Inhalte der Bildungssysteme, ohne die konkreten Möglichkeiten bisher untersucht zu haben. Dagegen wird unter „Konzertierung" eine neutrale Kooperation verstanden, die an die Strukturen bestehender Systeme nicht rührt. Die Konsequenz würde in einem bildungspolitischen Konservativismus und Separatismus bestehen, der heute schon in manchen Ländern anachronistische Formen im Bildungswesen zum Schaden der Bevölkerung aufrecht erhält und die Lernfähigkeit des eigenen Systems paraly-siert. Einig ist man sich darüber, daß die Zusammenarbeit auf Ministerebene, vertreten durch einen Ständigen Ausschuß, stattfinden soll. Uneinigkeit besteht in der Frage nach der Rechtsverbindlichkeit gemeinsamer Programme. Unerklärlich ist die Haltung der bundesdeutschen Delegation angesichts der offiziellen europäischen Einigungspolitik der Bundesregierung, daß sie zwar (unverbindlich) im Bildungswesen Strukturvergleiche zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erleichterung der Übergänge anregt, aber andererseits eine anti-europäische Position einnimmt: ..... die Festlegung von Bildungsinhalten sowie von Studien-und Ausbildungszeiten dürfe jedoch nicht Ziel der Zusammenarbeit sein". Dagegen schlagen die belgischen, französischen, italienischen und luxemburgischen Delegationen vor, „die Politik der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Bildungswesens zu koordinieren unter Wahrung der Eigenart der einzelnen Unterrichts-und Ausbildungssysteme, damit allzu große Abweichungen in der Qualität der Ausbildung vermieden werden" (Ani. III, S. 4).

überhaupt scheint es mit der bundesdeutschen Kooperationsbereitschaft auf europäischer Ebene infolge des streng gehüteten Kultur-föderalismus nicht zum besten zu stehen. H. Hamm-Brücher beklagt sich über die „bildungspolitische Unterrepräsentanz der Bundesrepublik in den internationalen Organisationen" am Beispiel des OECD-Länderexamens 29a).

Ein Jahr nach dem Dahrendorf-Bericht hat die EG-Kommission dem Ministerrat ein Expose über „Das Bildungswesen in der Europäischen Gemeinschaft" vorgelegt. Darin wird eingangs auf das Schlußkommunique der Haager Gipfelkonferenz vom Dezember 1969 verwiesen, wo in Punkt 4 die Notwendigkeit betont wurde, Europa als „eine ungewöhnliche Quelle der Entwicklung, des Fortschritts und der Kultur" zu erhalten. Ferner beruft sich die Kommission auf Punkt 16: „Den hier beschlossenen Maßnahmen für die schöpferische Geistaltung und das Wachstum Europas steht eine größere Zukunft offen, wenn die Jugend daran regen Anteil hat; dieses Anliegen haben die Regierungen beherzigt, und die Gemeinschaften werden sich dessen annehmen." * Erneut wurden Akzente von der Gipfelkonferenz im Oktober 1972 in Paris gesetzt. Neben der Zielprojektion einer „Europäischen Union" heißt es in der Schlußerklärung: „Die wirtschaftliche Expansion, die kein Selbstzweck ist , muß ihren Niederschlag in einer Verbesserung der Lebensqualität und des Lebensstandards finden; denn europäischem Geist gemäß wird eine besondere Aufmerksamkeit den nichtmateriellen Werten und Gütern sowie dem Umweltschutz gelten, damit der Fortschritt wirklich im Dienst des Menschen steht."

Die Kommission hat sich mit diesem Expose aktiv der Bildungspolitik angenommen. Sie wendet sich zwar gegen eine „vollständige Harmonisierung und Koordinierung der Bildungsstrukturen und Bildungsinhalte" als „unerwünscht wie unrealistisch“, aber sie insistiert auf der „Entwicklung einer gemeinschaftlichen Perspektive auf dem Gebiet des Bildungswesens 30) (S. 6). Den Test bestehen solche Erklärungen jedoch erst, wenn sie konkret werden. Was bietet die Kommission an? Die „Entwicklung einer Strategie der Zusammenarbeit im Bildungsbereich" soll sich zunächst „auf einen systematischen Informations-und Erfahrungsaustausch“ stützen (S. 6). Eine weitere Forderung erstreckt sich auf die Errichtung eines „Europäischen Ausschusses für das Bildungswesen" als beratendes Organ für ein von der Kommission zu erstellendes bildungspolitisches Programm.

Der Kommissionsbericht, als „erstes Programm" bezeichnet, beschränkt sich auf drei Hauptgebiete, auf 1. die Mobilität im Bildungswesen (S. 11 bis 16): Schüler, Studenten, Lehrer, Forscher, Personen aus Bildungsverwaltung und Jugend-pflege; Anerkennung von Schulzeugnissen, Diplomen, Studienzeiten;

2. die Ausbildung der Kinder von Wanderarbeitnehmern (S. 17— 20), verantwortlich ist das Soziale Aktionsprogramm des Rates vom 21. 1. 1974;

3. die europäische Dimension im Bildungswesen (S. 21— 28). Erlernen von Fremdsprachen, Aufnahme von Europastudien in die Lehrpläne, Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen, Vergrößerung der Anzahl der Europaschulen.

Inhaltlich bringt dieser Bericht nichts Neues. Im Anhang fügt er einen Finanzierungsplan bei, der die Mittelanforderungen zu seiner Realisierung enthält.

Im Jahre 1973 hat der ehemalige belgische Erziehungsminister Henri Janne der Kommission einen weiteren Bericht „Für eine gemeinschaftliche Bildungspolitik" vorgelegt. Es handelt sich um die Auswertung einer Schrift-liehen und mündlichen Befragung internationaler Bildungsexperten, darunter aus der Bundesrepublik Leussink, C. F. v. Weizsäcker, Edding und H. Becker.

Anfangs wird zugegeben, daß die praktischen Auswirkungen der gemeinsamen Bildungspolitiken, seit etwa 15 Jahren in mehreren Dokumenten niedergelegt, noch sehr begrenzt sind. Die Langwierigkeit resultiert u. a. daraus, daß sie „gemeinhin zwischen den Regierungen vereinbarten Verfahren" unterliegen 31) (S. 10). Im Gegensatz zu den EG-Bildungsdokumenten sind die Janne-Experten fortschrittlicher, indem sie unterstreichen, „daß die jeweilige Bildungspolitik der Mitgliedstaaten sich im Rahmen der Gemeinschaft als ebenso kohärent erweisen muß wie ihre Wirtschaftspolitik. Die eine Kohärenz bedingt die andere, und das Gebot eines , Angleichungs-oder . Harmonisierungs-Prozesses stellt sich auch hier unter Wahrung der erforderlichen Behutsamkeit" 31) (S. 11). Dabei werden die Artikel 118 und 128 EWG-Vertrag wieder als Ausgangspunkte genommen, Berufsausbildung soll mit einer soliden Allgemeinbildung koordiniert werden. Allerdings wird die Fortschrittlichkeit Jannes von den Vertretern Großbritanniens und Dänemarks stark relativiert.

Resümierend werden als die wesentlichen Grundzüge einer Gemeinschaftspolitik genannt: „Es gilt, die nationalen Strukturen und Überlieferungen im Erziehungsbereich gewissenhaft zu wahren, dabei aber gleichzeitig die unerläßliche Harmonisierung durch eine ständige Konzertierung auf allen Ebenen und einen immer stärkeren Bildungsaustausch zu fördern" 31) (S. 55). 4. OECD, UNESCO, KMK Seit Beginn der 60er Jahre hat die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) in Paris ihre Tätigkeit auf das Gebiet der Wissenschafts-und Bildungspolitik ausgedehnt, auf Natur-und Ingenieurwissenschaft sowie auf die Sozialwissenschaft (Ökonomie des Bildungswesens unter dem Aspekt des wirtschaftlichen Wachstums auf Curriculum-und Schulbaupro-bleme, ferner auf die Arbeitsprogramme über die Beziehungen zwischen Erziehung und Gesellschaft, auf die Entwicklung und den Austausch von Innovationen im Lehr-/Lernprozeß und auf die Verstärkung nationaler und internationaler Vorkehrungen für Innovationen auf dem Gebiet der Erziehung Im »Zentrum für Forschung und Erneuerung im Bildungswesen" der OECD finden gemeinsame Tagungen der genannten Gremien untereinander statt. Bemerkenswert ist der sog. Kallen-Bericht über ein Kolloquium an der Georgetown Universität in Washington vom März 1973. Darin wird eine Strategie zur Gewährleistung der Möglichkeit des lebenslangen Lernens „definiert".

Die Internationale Kommission zur Entwicklung der Erziehung bei der UNESCO wurde 1971 eingerichtet und soll den Regierungen helfen, nationale Erziehungsstrategien zu entwickeln sowie die internationale Kooperation zu fördern. In der Bundesrepublik unterhält die UNESCO ein Institut für Erziehung in Hamburg sowie mehrere Modellschulen mit dem Ziel, curriculare und praktische Beiträge zur internationalen Verständigung zu leisten. Erwähnenswert ist die zwischenstaatliche Konferenz über Kulturpolitik in Europa 34a).

Die Kommission beschäftigt sich konkret u. a. mit der Verwirklichung des Rechts auf Erziehung, mit der Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen im Bildungswesen, mit der education permanente, mit dem Auslandsstudium, mit Curriculumentwicklung, mit Unterrichtsmedien (programmierte Instruktion, audio-visuelle Medien), mit Lehrerbildung, Hochschulbildung, Erwachsenenbildung, Jugendaktivitäten, Schulbau-und -Verwaltung. Das Jahr 1970 hatte die UNESCO zum Internationalen Erziehungsjahr proklamiert. Die Bundesrepublik legte den Schwerpunkt auf den Fremdsprachenunterricht und auf die Förderung der Gastarbeiterkinder Im sog. Faure-Bericht schlägt die UNESCO eine Politik der lebenslangen Bildung vor, die die Abschaffung der Schranken zwischen den verschiedenen Schulstufen und -ebenen sowie die Überwindung des Gegensatzes zwischen formeller und informeller Bildung voraussetzt. In der Bundesrepublik prüft das Sekretariat der Kultusministerkonferenz die bildungspolitischen Dokumente internationaler Organisationen auf ihre Auswertbarkeit und Umsetzungsmöglichkeit für den innerdeutschen Gebrauch

Das entscheidende Handicap einer europäischen föderalistischen Bildungspolitik liegt in dem Mangel an Kompetenz. Alle länder-übergreifenden Maßnahmen unterliegen einer strengen rechtlichen Fixierung mit der Negativwirkung, daß in den Verträgen nicht angesprochene Bereiche kaum durch eine initiative Politik in Bewegung gesetzt werden können. So können nicht existente Rechtspositionen dazu dienen, als Alibi für eine unerwünschte (Bildungs-) Politik herzuhalten. Dies entspricht der Erfahrung mit Beamten aus europäischen Behörden und nationalen Ministerien. Ihre Initiativen sind rechtspositivistisch orientiert, sie finden rasch ihre Grenzen am fehlenden gesetzlichen Rahmen. Insgesamt dominiert daher die fachliche Kooperation in den internationalen Bildungsgremien gegenüber einer (notwendigen) politischen Zusammenarbeit.

VII. Didaktisch-kategoriale Strukturierung des Themas „Europäische Einigungspolitik" im Unterricht

Im Schulbereich müssen die politisch-historischen Fächer eine priore Funktion im Hinblick auf eine europäische Bewußtseinsbildung erhalten Dazu bietet sich, gleichsam als deren Grammatik, eine kategoriale Aufschlüsselung des komplexen Sachbereiches an. Das mit konkreten Inhalten zu füllende europäische Bewußtsein und die Motivation zu potentiellem europäischen Handeln sollte sich an den folgenden Kategorien orientieren: Als Ausgangspunkt können die von der Internationalen Politik anhand der gesamtpolitischen Lage erarbeiteten Kriterien dienen. Allem voran steht die positive Einstellung zum (1.) Internationalismus als Überwindung der gelegentlich feststellbaren Renationalisierung des europäischen Integrationsprozesses. Der Wille, die nationalen Egoismen auf allen, besonders den politischen Ebenen, aufzugeben, ist die Voraussetzung für eine (2.) internationale Koordination und Integration sowie für (3.) internationale Solidarität. Integration wird als ein Prozeß verstanden, durch den wichtige Aufgaben zentralen europäischen Instanzen übertragen werden und die politisches Handeln nicht mehr nationalstaatlich, sondern europäisch entscheiden. Wenn, als Folgen einer (4.) geistigen und politischen Emanzipation in allen europäischen Ländern, ein (5.) autonomes und zugleich europäisches Denken sowie ein Denken in Konvergenzen ermöglicht wird, kann eine in allen Menschen der beteiligten Staaten grundlegende (6.) Sensibilisierung für Supranationalität erfolgen. Die grundlegende Kategorie zur Erreichung politischer Ziele ist (7.) die Politik selbst. Hier ist in erster Linie an eine gemeinsame Außen-, Sicherheits-und Gesellschaftspolitik zu denken und nicht an eine Beschränkung auf die Wirtschaftspolitik.

Gerade im Rahmen einer didaktischen Besinnung muß nachdrücklich darauf verwiesen werden, daß zwar die europäische Erziehung ein wichtiger Faktor für die Vorbereitung einer sich irgendwann vollziehenden europäischen Einigung ist; aber die Bildung eines vereinten Europa ist eine komplizierte Aufgabe im Hinblick auf die Lösung vielfältiger Machtfragen. Diese müssen getragen sein von dem Willen nach (8.) internationaler Verantwortung und unbeschränkter Anerkennung der Menschenrechte als den Momenten moralischer Internalisierung der Macht. Und dort, wo von Macht die Rede ist, wird man auf Gewalt kaum verzichten können. Die europäische Gesellschaft wird als eine (9.) Konflikt-gesellschaft begriffen, in der es widerstrebende Auffassungen in Permanenz geben wird. Sie gilt es, als systemimmanent zu begreifen, nicht als Störelemente in einer angeblich konfliktlosen Ordnung. Die europäische Demokratie ist auf den Konflikt als progressives Moment dauernder Veränderung angewiesen. Es muß so etwas entwickelt werden wie eine internationale Ethik des Politischen, die einmal die europäischen Fragen unter dem internationalen Rechtssatz des pacta sunt servanda betrachtet und die zum anderen die politische Verantwortungsethik über den partikularen Bereich des eigenen Landes auf den europäischen überträgt. Wir sind erst dann Europäer im verantwortungsethischen Sinne wenn uns die Solidarität mit den Menschen und Zuständen in allen Gebieten Europas im Sinne tatkräftiger Hilfe verbindet. Aus dieser Einstellung resultiert die Forderung nach einer weiteren Kategorie europäischer Erziehung, nach dem (10.) Gemeinwohl. Dieser Begriff beinhaltet das Streben und die Verpflichtung zu einem maximalen materiellen und immateriellen Standard des europäischen Bürgers. Vor allem wäre das soziale Gefälle zwischen einzelnen Ländern auszugleichen, das abhängig ist von den (verbesserungswürdigen und verbesserungsbedürftigen) materiellen Bedingungen. Darauf aufbauend hat eine der modernen Leistungs-qua Bildungsgesellschaft entsprechende geistige Ausbildung aller Menschen zu erfolgen.

An dieser Stelle zeigt sich erneut die Notwendigkeit europäischer Erziehung, um essentielle politische Veränderungen vorbereiten zu helfen. Ihre Bedeutung liegt weniger in der von den Politikern kraft ihres politischen Willens zu schaffenden politischen Einheit Europas, sondern in der Verwirklichung der Aufklärung unter den Menschen. Erst auf dieser Grundlage können die Massenmedien das herstellen, was man (11.) internationale Öffentlichkeit nennen könnte. Bis jetzt wird vor allem die Meinung der „tonangebenden Kreise", von Einzelpersonen und Verbänden, artikuliert. Eine internationale und europäische Öffentlichkeit besteht nicht, kann noch gar nicht bestehen im Hinblick auf den sprichwörtlichen kleinen Mann. Er benötigt nicht nur eine über den beschränkten Kreis seiner persönlichen Interessen hinausreichende Ausbildung, sondern auch die Möglichkeit zu (12.) internationaler Kommunikation. In einer doppelten Weise sollte jeder Mensch „Welf erfahren, er sollte sie intellektuell begreifen und visuell sehen lernen.

Die Erziehung zu einem vereinten Europa muß auf kritische und kategoriale Einsicht gerichtet und grundsätzlich emanzipatorisch sein. Eine solche Erziehung schafft die Voraussetzungen für weitere didaktische Kategorien. Geht man von der Lebens-und Regierungsform der Demokratie in Europa als der zeitgemäßen Form politischen Zusammenlebens von Völkern und einzelnen aus, gehört die (13.) Demokratisierung aller Lebensbereiche zu den vordringlichsten Aufgaben. Um dies durchzusetzen, müssen in einer europäischen demokratischen Gesellschaft die fundamentalen politischen Forderungen der Französischen Revolution, (14.) Freiheit und (15.) Gleichheit, für alle verwirklicht werden. Es wird Aufgabe einer europäischen Gesellschaftspolitik sein, diese beiden Kategorien in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander zu halten. Zunächst geht es in manchen europäischen Ländern um weit Elementareres, um die Herstellung und Gewährleistung der Freiheit und Gleichheit für alle. Infolge des Bildungsdefizits zwischen den einzelnen sozialen Schichten werden weite Kreise der Gesellschaft oft eo ipso von der Wahrnehmung der ihnen verfassungsmäßig zugebilligten Grund-und Bürgerrechte weitgehend ausgeschlossen. Europa kann im Sinne westlicher politischer Tradition nur als ein freies, auf parlamentarisch-repräsentativen und demokratischen Grundsätzen basierendes Gemeinwesen verstanden werden.

Aus dieser Disposition entsteht die (16.) internationale Toleranz, das Verständnis für gemeinsame wie für verschiedenartige Reaktionen auf gleiche Vorgegebenheiten. Politische Toleranz wird die Einsicht in die Relativität der eigenen Position fördern. Auf diese Weise lassen sich nationale Egoismen als das dekouvrieren, was sie tatsächlich sind: Vorurteile mit all Ihren Verschleierungen wirklicher Tatbestände. Der übernationale Horizont, die globale Sicht, müßte den Menschen aufgeschlossener machen für die Probleme der anderen. Dies begreifen zu lernen, leistet eine europäische Erziehung zur politischen Toleranz. Dazu gehört auch die Anerkennung des (17.) europäischen Wertepluralismus. Es geht hier darum, bestimmte Wertsysteme als Möglichkeiten menschlicher Lebensverwirklichung transparent zu machen. Daß dabei auch Interessen und Herrschaftsideologien ins Spiel kommen, versteht sich von

Die Befähigung zum Denken in internationalen Dimensionen impliziert das Sehen und Erkennen (18.) europäischer Interdependenzen sowie von Wirkungs-und Funktionszusammenhängen. Damit gelingt der europäischen Erziehung die Bewältigung eines der wichtigsten Probleme internationaler Politik der Gegenwart: die Einsicht in den globalen, d. h. universal-interdependenten Charakter politischer Handlungen.

Das neben einem europäischen Gemeinwohl Projizierte Ziel europäischer Erziehung und Politik ist eine (19.) europäische Friedensord-nung, in der Recht und Gerechtigkeit zu einer maximalen Verwirklichung gelangen sollen. Schließlich ist auf die Technologie als (20.) Kategorie hinzuweisen. Europa bedeutet die Möglichkeit für eine neue Größenordnung des wirtschaftlich-technischen Handelns. Die Technologie kann künftig nur in Form von Großprojekten und damit in Gestalt der Groß-forschung mit den amerikanischen, sowjetischen und japanischen Großunternehmen Schritt halten. Als Klammer aller Kategorien kann das (21.) europäische oder internationale Recht gelten, das durch seinen Zwang zur Loyalität gegenüber den eingegangenen zwischenstaatlichen Verpflichtungen für deren Gültigkeit und Beständigkeit eintritt.

Die aufgestellten Kategorien eignen sich als Inhalte einer europäischen Erziehungs-und Bildungspolitik. Durch ständige Überprüfung an den Realitäten sollten sie nach dem kybernetischen Modell im Prozeß der Rückkoppelung einer steten Innovation unterworfen werden. Im Sinne moderner Curriculumforschung geben sie gleichzeitig Grundlagen für Lernziele der europäischen Erziehung an. Ihre Reihenfolge hat nichts mit Priorität zu tun. Diese wird von den jeweils wechselnden aktuellen politischen Notwendigkeiten und didaktischen Möglichkeiten bestimmt.

Die Aufgabe des Unterrichts besteht nun darin, europäische Themen anhand der entwikkelten Kategorien zu strukturieren und entsprechende Handlungsmotivationen zu erzeugen. Dies wird in den einzelnen Unterrichtsfächern verschieden sein müssen. Es ist nicht daran gedacht, sie im Sinne einer europäischen Erziehung gewaltsam umzupolen. Abgesehen davon, daß sich der Geschichts-, Erdkunde-und der Neusprachliche Unterricht auf ihre europäische Aufgabe stärker besinnen sollten, ist an die Behandlung europäischer Gegenstände oder Aspekte außerhalb des politischen Unterrichts nur dann gedacht, wenn sie sich von der Thematik her anbieten. Die europäische Erziehung in allen Unterrichtsfächern ist lediglich ein Spezialfall des von den Lehrplänen aller Bundesländer postulierten Prinzips politischer Bildung.

Ferner können die Kategorien als Grundlage einer gemeineuropäischen Philosophie der Erziehung gelten. Es sollte sich um einen eigenen philosophischen Entwurf handeln, der die zeitbedingten Schwächen einer politischen Ideologie vermeidet, aber andererseits pragmatisch genug orientiert wäre, um ein Einheitsbewußtsein mit politischer Dimension zu erzeugen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Carl August Schröder, Schulbücher in Europa, in: Blickpunkt Schulbuch. Zeitschrift für moderne Unterrichtsmedien, H. 13, März 1973, S. 36 bis 39; vgl. ferner die in „Aus Politik und Zeit-geschichte" B 46/74 enthaltenen Arbeiten zum westöstlichen Schulbuchvergleich.

  2. Vgl. E. Häckel — W. Elsner, Kritik der jungen Linken an Europa, Bonn 1973; Wolfgang W. Mickel, Jugend und europäische Einigungspolitik, in: Lurop. Erziehung 14 (1973), Nr. 8, S. 29 f.

  3. Vgl. Internationales Jahrbuch für Geschichts-und Geographieunterricht, hrsg. v. Internat. Schulbuch-institut in Braunschweig. Georg Eckert, Das Internationale Schulbuchinstitut, in: Blickpunkt Schulbuch. Zeitschrift für moderne Unterrichtsmedien H. 13, März 1972, S. 29— 33.

  4. Vgl. Peter S. Bauer, Lehrfach Europa, in: Dokumente 24 (1968), S. 52— 56.

  5. Ralf Dahrendorf, Forschung, Wissenschaft und Bildung. Wissenschaftliche und technische Information. Arbeitsprogramm, Brüssel 1973.

  6. Gerda Zellentin, Europa 1985. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Gesamteuropa, Bonn 1973 2.

  7. Vgl. Johan Galtung, Kapitalistische Großmacht Europa oder Die Gemeinschaft der Konzerne? Reinbek b. Hamburg 1973.

  8. Friedrich Edding u. a., Uber die Zukunft des europäischen Bildungswesens, Frankfurt/M. 1973, S. 104 f.

  9. Vgl. Wolfgang Mitter (Hrsg.), Pädagogik und Schule im Systemvergleich. Bildungsprobleme m 0 derner Industriegesellschaften in Ost und West Freiburg 1974.

  10. Vgl. S. Baske, in: W Mitter (Hrsg.), a. a. O., S. ®

  11. Vgl, Walther Schultze (Hrsg.), Schulen in Europa, Weinheim 1969; Oskar Anweiler u. a., Europäische Bildungssysteme zwischen Tradition und Fortschritt, Mülheim/Ruhr 1971; Karl Brauk-mann (Hrsg.), Bildungspolitik in Europa. Schule im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, Köln-Deutz 1968; Direction Generale Presse et Information des Communautes Europeennes, References bibliographiques. L’Enseignement Jans les Pays de 4 Communaute Europeenne. Bruxelles 1970 (21. 368/x/70 — F). Raymond Poignant, Das Bildungs-Wesen in den Ländern der EWG, Frankfurt/M. 1967; huisella Goldschmidt-Clermont, Integration Euro-Penne et Scolarisation, Bruxelles 1972; R. Nave-Herz, Vorberuflicher Unterricht in Europa und Nordamerika — Eine Übersicht, Berlin 1966 (Heft 8 der Studienberichte des Instituts für Bildungsforschung in der Max-Planck-Gesellschaft).

  12. Rita Süßmuth, Partizipation in westeuropäjschen Schulsystemen, in: Bildung und Erziehung 26 (1973 S. 245— 259 (vor allem Frankreich).

  13. Association Europeenne des Enseignand (Hrsg.), La Pedagogie de Participation, Brüsse 1971 (Maschinenschrift).

  14. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Instrumente zur Emanzipation der Schüler. Schülervertretung und Schülerpresse, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29/72.

  15. Claus Schöndube, Beteiligung der Jugend at Aufbau der EG, in: Das Parlament vom 6. 7. 197 S. 13; vgl. ferner Erwin Häckel und Wolfram E ner, Kritik der Jungen Linken an Europa, Bonn 1973.

  16. Europ. Erzieherbund, Die europäische Charta der Erziehung von 1968, in: Europ. Erziehung 9 (1968), Nr. 3 S 59.

  17. FDP, Thesen für eine liberale Europapolitik, in: Mitteilungen des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, Nr. 11/1972.

  18. Abgedruckt in: DAS PARLAMENT vom 24. 11. 1973.

  19. Vgl. Olivier Guichard, L'education et l’Europe, in: Le Monde 28 (9. 7. 1971), No. 8237, S. 1 u. 3. 18) Vgl. Bericht dieser Arbeitsgruppe R'967/73 EN 42.

  20. Vgl. Dok. Nr. 2257/71 (Presse 111) S. 6.

  21. Vgl. Standing Conference of European Ministers of Education. Eighth Session: The Educational Needs of the 16— 19 Age Group. Country Reports, Strasbourg 1973 (CME/HF [73] I) j dies., Areas fet Intensified European Cooperation. Report by the Committee of Senior Officials, Strasbourg 19b (CME/VIII [73] 5); dies., Problems and Pressures m Education Policy. Country Reports, Strasbourg 19b (CME/HF [73] 2).

  22. Council of Europe, Education News C (73) 6 vom 7. 6. 1973.

  23. Henri Janne — Lucien Geminard, The Educational Needs of the 16— 19 Age Group, Strasbourg 1973 (CME/VIII [73] I).

  24. Dok. 1071 d 74 (Presse 38) sc.

  25. Council of Europa Doc. 3340; vgl. ferner Kurt-Jürgen Maas, Europäische Hochschulpolitik. Die Arbeit des Europarats im Hochschulbereich 1949 bis 1969, Hamburg 1970.

  26. Vgl. J. Thomas — J. Majault, Schulen Europas. Probleme und Tendenzen, Stuttgart 1964 (Rat für kulturelle Zusammenarbeit des Europarates, Straßburg 1963. Bericht an die 3. Europ. Kultusminister-konferenz).

  27. Vgl. Maurice Rohrer, Le Conseil de la Cooperation Culturelle. Documents pour l’enseignement, Civisme Europeen 10/2, Mai 1974.

  28. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Das berufsbildende Schulwesen als Grundlage einer föderalistischen Bildungspolitik in Europa (die Studie erscheint demnächst in: Die berufsbildende Schule). Ferner: Wirtschafts-und Sozialausschuß der EG, Studie des Wirtschafts-und Sozialausschusses über die Bi: dungs-und Berufsbildungssysteme in den sechs Ländern der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel 13. 12. 1973 (Dok. CES 926/73 ti).

  29. Dok. SEK 672/4250

  30. Dok. R/967/73/(EN 42).

  31. Dok. KOM (74) 253 endg.

  32. Henri Janne, Für eine gemeinschaftliche Bil dungspolitik, in: Beilage 10/1973 zum Bulletin da EG.

  33. Z. B. OECD, Begabung und Bildungschancen Frankfurt/M. 1967. Zu den bildungspolitischen Initiativen der OECD vgl. Klaus Hüfner, a. a. 0, Einleitung, S. 8— 21.

  34. Für Details im Hinblick auf die Arbeit der erwähnten Institutionen vgl.: Standing Conference of Furopean Ministers of Education. Eight Session: Progress Report of the International Organisations 1971— 1972, Strasbourg 1973 (CME/VIII [73] 3). OECD-Länderberichte sind erschienen in der Reihe . Reviews of National Policies for Education". 1969 über Schweden, Irland, Italien, 1970 über Osterreich, Holland, 1971 über Japan, USA, Frankreich, 1972 über die Bundesrepublik.

  35. 0. B. Kallen, Recurrent Education. A Strategy for Lifelong Learning. A Clarifying Report, Paris

  36. Vgl. DAS PARLAMENT vom 12. 9. 1970.

  37. wird wie folgt geändert: Edgar Faure u. a., Wie wir leben lernen. Der UNESCO-Bericht über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme, Reinbek b. Hamburg 1973.

  38. Vgl. die Jahresberichte der KMK, zuletzt: Ständige Konferenz der Kultusminister, Kulturpolitik der Länder 1971— 1972, Bonn 1973, S. 262 f.

  39. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Europäische Einigungspolitik, Neuwied/Rh. 1974.

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