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Der europäische Agrarmarkt im Wandel Versorgung, Einkommenssicherung, StrukturVerbesserung | APuZ 48/1974 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 48/1974 Die erste Gewalt in der Europäischen Union. Überlegungen auf Grund von Erfahrungen in den europäischen Versammlungen Der europäische Agrarmarkt im Wandel Versorgung, Einkommenssicherung, StrukturVerbesserung

Der europäische Agrarmarkt im Wandel Versorgung, Einkommenssicherung, StrukturVerbesserung

Hermann Bohle

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Zusammenfassung

1. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EG stellt das Lebensinteresse von fünf unter neun EG-Staaten dar — ihre Reform ist notwendig, ihre Abschaffung müßte mit dem Ende der EG bezahlt werden. 2. Der Inhalt dieser Politik geht über die finanzielle Problematik von Weizen-und Butterbergen weit hinaus: Die Sicherung jedenfalls des Existenzminimums in der Nahrungszufuhr für die Viertelmilliarde EG-Bürger ist notwendig, wenn Westeuropas „Union" nicht noch abhängiger als ohnehin schon werden will. Zudem handelt es sich gegenüber vielen der 10 Mio. Landwirte — und damit gegenüber der Gesellschaft — um eine soziale Stabilitätspolitik, weil der Lebensstandard vieler Landwirte relativ niedrig ist. Mit der Agrarpolitik steht zugleich eine bedeutende Aktion zur Erhaltung eines selbständigen, mittelständischen Volksteils wie auch des ökologischen Gleichgewichts zur Debatte. Andererseits wird es die von der Brüsseler Kommission als elementare Voraussetzung für einen funktionierenden Gemeinsamen Agrarmarkt angesehene Wirtschafts-und Währungsunion — mit festen Wechselkursen zwischen den Mitgliedswährungen — kurz-und mittelfristig nicht geben können, solange der unterschiedliche Entwicklungsstand der beteiligten neun Volkswirtschaften das weitgehend unmöglich macht. 3. Diese Gesichtspunkte müssen bei der anstehenden EG-Agrarreform, mit der diese Politik besser in den Rahmen volkswirtschaftlicher Rentabilitätsprinzipien gestellt werden soll, gebührende Beachtung finden.

Einleitung

Der deutsche Paukenschlag in der Europäischen Gemeinschaft (EG) — zeitweise Zurückweisung des Ministerratsbeschlusses über die Erhöhung der den Bauern gezahlten Erzeugerpreise um global 5 Prozent — hatte im September/Oktober eine segensreiche Folge: Es ist zu erwarten, daß die Reform dieser Agrarpolitik, die für die Neuner-Gemeinschaft aus den neun einzelstaatlichen, in langer Frist gewachsenen Politiken geschmiedet wurde, endlich eingeleitet wird.

Niemand darf dabei die Leistung außer acht lassen, die mit der Anlage der agrarpolitischen Aktion für heute knapp 10 Millionen Bauern (unter 100, 6 Millionen Berufstätigen in der EG) vollbracht wurde: Die Landwirtschaftspolitiken der westeuropäischen Staaten waren jahrzehntelang gegensätzlich, nur auf das eigene Interesse gerichtet:

Die Deutschen versuchten, eine Ernährungsbasis zu erhalten, ohne damit aber die für den Industrieexport lebenswichtigen Importe zu gefährden. Seit etwa 1860, als die Deutschen mit der Industrialisierung Ernst machten, mußten sie notwendigerweise aufhören, landwirtschaftliche Selbstversorger zu sein. Für die Praxis bedeutete das: Es mußte die Möglichkeit für landwirtschaftliche Einfuhren geschaffen werden, weil sonst andere, agrarisch orientierte Länder außerstande sein würden, Industrieprodukte aus Deutschland zu kaufen.

Otto von Bismarck formulierte um 1890: Wenn das Reich seinen Bauern nicht beistehe, dann gehe mit dem „Wehrstand auch der Nährstand" zugrunde. „Der Bauer ist der Kern unserer Armee ..., wo der Bauernstand wohlhabend blieb, da ist mehr persönliche und politische Selbständigkeit". Unter solchen Überlegungen galt es mithin, nach und nach Systeme zu entwickeln, die einerseits den industriellen Export durch Importe von Nahrungsmitteln sicherten, andererseits solch eine Politik keinesfalls zu Lasten des staatserhaltenden Bauernstandes gehen ließen. Schon damals gab es in der Erkenntnis, daß der Bauernstand Teil des Mittelstandes war und ist, Ansätze zur Mittelstandspolitik: Die Einkünfte von Landwirten aus einem Nebengewerbe außerhalb des Hofes wurden steuerlich „geschont“. Im übrigen gestand die Agrarpolitik den Bauern relativ hohe Preise zu und schützte die Boden-produktion (Getreide, Zucker, Kartoffeln). Bismarck z. B. verübelte es deutschen Industriellen oft, daß sie modernes Gerät für Zucker-raffinerien nach Kuba verkauften, weil von dort dann billigere Konkurrenz zum deutschen Rübenzucker drohte.

England trieb — freilich mit einem aus seinen Strukturen erklärbaren Niedrigpreissystem im Binnenland — eine ähnlich orientierte Politik. Frankreich baute ganz auf die Nahrungsautarkie. Es hielt jedoch die den Bauern gezahlten Preise verhältnismäßig niedrig; dies aber weniger, um industriell konkurrenzfähig zu bleiben (ein britisches Motiv), sondern um allgemein, auf Kosten des politisch lange Zeit nicht sehr machtvollen Bauernstands, das Land langsam zu industrialisieren und die sozial unzufriedenen Massen in den Städten mit relativ mäßigen Nahrungsmittelpreisen ruhig zu halten.

Solche gegensätzlichen Orientierungen für erst sechs, dann neun Länder auf einen Nenner zu bringen, ist heute jedenfalls nach den Gesetzestexten gelungen: Doch wird kein EG-Land mit der gefundenen gemeinsamen Lösung glücklich.

Der EWG-Vertrag schreibt in seinem Art. 39 vor, der Landbevölkerung durch Steigerung der Pro-Kopf-Einkommen eine angemessene Lebenshaltung zu sichern, die Versorgung zu garantieren und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. Tatsache ist jedoch, daß die EG nach gemeinsamen Regeln ein angemessenes Pro-Kopf-Einkommen der Landwirte nicht schafft. Es liegt im Schnitt um ein Drittel unter dem vergleichbarer Berufe. Die EG-Preise standen jahrelang über denen auf dem Weltmarkt: In England müssen — im Zuge der Anpassung des Preisniveaus an das der EG — die Hausfrauen binnen einem Jahr 37 Prozent mehr für das Brot ausgeben, wovon nach EG-Kommissions-Auskunft drei Viertel auf die — im Vergleich zu den bisherigen britischen — höheren Getreidepreise zurückzuführen sind.

Das EG-Hochpreisniveau verliert freilich momentan seine aktuelle Schärfe, weil namentlich für Zucker, Brot-und Futtergetreide auf den Weltmärkten viel mehr bezahlt wird. Nach Angaben der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO) stiegen die Preise der wichtigsten landwirtschaftlichen Rohstoffe in einem Jahr um 46 Prozent.

Nur auf diese Entwicklung — über deren Dauer niemand etwas Verläßliches aussagen kann, die aber noch etwas anhalten dürfte — ist es zurückzuführen, daß es sich in der EG gegenwärtig billiger lebt als außerhalb. Agrarkommissar Lardinois konnte feststellen: Müßten die EG-Bürger heute Weltmarktpreise für Zucker zahlen (statt der EG-amtlich festgelegten), dann würde das im Jahr 5 Milliarden Dollar mehr kosten — also etwa so viel, wie 1975/76 aus dem EG-Haushalt für die Gemeinsame Agrarpolitik ausgegeben werden soll.

Die gemeinsame Politik für die Bauern und Farmer in den neun Ländern nimmt auch im kommenden Jahr noch rund 60 Prozent der Budgetausgaben der Gemeinschaft in Anspruch. Der „Europäische Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft“ (EAGFL) wird in seinem (wichtigsten) „Garantie" -Teil — der mit Aufkauf-, Lagerungsund Exportsubventionen für agrarische Über-schüsse bestimmt ist — 1975/76 zunächst über 3, 772 Milliarden „Rechnungseinheiten" verfügen (1 RE = DM 3, 66). Das sind 259 Millionen RE mehr als 1974/75.

Der Löwenanteil dieser Mittel dient dazu, das Überangebot an Butter und Milcherzeugnissen durch „Intervention“ (Aufkauf zum garantierten Mindestpreis) aus dem Markt zu nehmen, damit die Preise nicht infolge Über-angebot stürzen. Dafür werden 1, 445 Milliarden RE bereitgestellt.

Die Stützung der Getreidemärkte kostet wie 1974/75 wiederum 615 Millionen RE. An dritter Stelle stehen auf der Subventionsliste die Halter von Schlachtrindern mit erwarteten 337 Millionen RE. Es folgen die Anbauer von Oliven mit 327 Millionen RE und die von Zuckerrüben mit 166 Millionen RE — in allen drei Fällen liegt eine Steigerung der Ausgaben vor:

Daß die Mittel für Zucker voll ausgegeben werden müssen, ist aber zweifelhaft. Die Weltmarkt-Zuckerpreise steigen in einem Ausmaße, daß die EG weit darunter liegt — Exportsubventionen entfallen mithin, und ein Überangebot in der EG sollte wegen sinkender Importe ebenfalls ausbleiben.

Dieses Subventionsfestival erklärt sich aus der Grundannahme der vereinigten Agrarpolitik: 1. Die gemeinsame Verantwortung aller EG-Bewohner mit ihren bäuerlichen Mitbürgern wird „organisiert“; was zu viel produziert wird, geht zu Lasten der EG-Steuerzahler. 2. In der Gemeinschaft wird der freie Handel mit Agrarwaren ebenso hergestellt wie der mit industriellen Produkten in dieser Zollunion — dazu dienen die gemeinsamen Preise. 3. Die Vorzugsbehandlung der europäischen landwirtschaftlichen Produktion wird zur Regel: Durch ein gemeinsames „Abschöpfungs“ -System verteuert die EG von auswärts Importiertes derart, daß EG-Ware um bis zu 7 Prozent preiswerter ist — hier wirkt die „Gemeinschafts-Präferenz". Zur EG-Agrarpolitik gehört gleichermaßen eine strukturpolitische Ausrichtung. Der „Ausrichtungs" -Teil des EG-Agrarfonds erhält auch 1975/76 wieder 325 Millionen RE zugewiesen, mit denen die ländliche Strukturbereinigung in den Mitgliedsländern, vor allem in Süditalien, aber auch in Irland, im Bayerischen Wald, in Teilen Südwestfrankreichs oder Englands gefördert werden soll. Das Ergebnis weniger der europäischen als der nationalstaatlichen Strukturpolitik ist es, daß einem Prinzip der EG-Agrarpolitik zum Durchbruch verhülfen wird: Die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens auf dem Lande soll mit dem Sinken der Kopfzahl der landwirtschaftlichen Bevölkerung leichter werden. Dadurch können größere, lebensfähigere Bauernbetriebe entstehen.

Tatsächlich wird die Zahl der landwirtschaftlichen Höfe in den Ländern der EG seit 1959 immer geringer. Zwischen 1967 und 1970 beschleunigte sich die Reduzierung sogar noch; seit rund 15 Jahren liegt die Abwanderung aus dem Beruf des Bauern in jedem der alten und neuen EG-Staaten zwischen 3 und 4 Prozent im Jahr. Dennoch nahm die durchschnittliche Größe der Höfe nur von 11, 4 auf 12, 7 ha zu. Hier sind die Unterschiede sehr groß: Großbritanniens Durchschnittsfarm mißt heute knapp 57 ha, die französische über 22 ha, die italienische aber nur 7, 5 ha. Deutschland liegt mit annähernd 15 ha noch nicht in der Mitte.

Die Anlage der gemeinsamen Agrarpolitik ist — was wenige erkennen — geeignet, den EG-Europäern im Falle internationaler Krisen jedenfalls ein Existenzminimum an Nahrungsversorgung zu sichern. Deshalb waren die Versuche der USA bisher (und hoffentlich auch in Zukunft) ohne Erfolg, wenn sie periodisch die Europäer überzeugen wollten, sie sollten zumindest auf einen Teil ihrer Landwirtschaft verzichten, weil man Nahrungsmittel von den klimatisch begünstigten, rationell arbeitenden Farmern der Vereinigten Staaten billiger bekäme. Seit Washington letztes Jahr die Ausfuhr von Sojabohnen rationieren und in diesem Jahr die Europäer und Japaner bitten mußte, weniger Futtergetreide aus den USA zu importieren, weil die Ernte unzureichend sei, beginnt auch freihändlerische — im Prinzip durchaus angebrachte — Begeisterung in Realismus umzuschlagen.

Die anstehende Reform der EG-Agrarpolitik wird von drei Grund-Konzepten ausgehen müssen: 1. Das „Grüne Europa" ist für fünf von neun EG-Staaten ein wesentliches, wenn nicht ein Lebensinteresse. Damit entfällt die Vorstellung, daß man mit der gemeinsamen Politik einfach Schluß machen könnte. 2. Es handelt sich um einen wichtigen Teil Sozialpolitik, weil viele der 10 Millionen Bauern arm sind. Sie können von den auf dem Markt erzielten Preisen nicht leben, aber auch die in den letzten Jahren relativ hohen Preise der EG sind nicht ausreichend. Man wird ihnen künftig mit einer auf Stützung, Modernisierung oder Abwanderung aus dem Bauernberuf gerichteten Sozialpolitik beistehen müssen, statt mit einer trotz allem unzureichenden Hochpreispolitik (die modernen Bauernhöfen mehr bringt, als sie brauchen). Es gilt in zwischen einer die -Zukunft, auf Rentabili tät moderner, gesunder Höfe orientierten Preispolitik und einer bäuerlichen Sozialpolitik für „die anderen" zu unterscheiden.

3. Daraus ergibt sich, daß sich eine gemeinsame Preispolitik für alle EG-Bauern kaum halten läßt: Sie ist längst zur Fiktion geworden, weil Leitkurs-und Paritätsänderungen bzw. das Floaten zwischen den EG-Währungen das Preissystem seit 1969 aus den Angeln gehoben haben. Dieses Preissystem basiert auf festen Wechselkursverhältnissen der einzelnen EG-Währungen zur Agrar-„Rechnungseinheit“, in der die gemeinsamen Preise fixiert sind: Jede Paritäts-oder Leitkursänderung eines EG-Landes senkt oder steigert die im betreffenden Staat den Bauern gezahlten EG-Preise (nach deren Umrechnung aus der EG-Einheit in die Landeswährung). Der freie Agrarhandel funktioniert aber heute mit den „Grenzausgleichsabgaben" (zur Kompensation solcher Preisunterschiede nach Wechselkurs-Operationen) durchaus zufriedenstellend.

Auf diese Erfahrung wird die EG zurückgreifen müssen, um eine Preispolitik zu führen, die — gemeinsam mit Mengensteuerungen wie heute schon beim Zucker — kostspielige Überschüsse vermeidet (die überseeische Handelspartner, wenn die EG die Ware subventioniert auf den Weltmärkten ablädt, arg belastet, was wiederum Europas Industrieexporten schadet). Zu berücksichtigen wird freilich sein, daß die Welt wohl einigen Jahren knapperer Nahrungsmittelzufuhr entgegensieht.

I. Ursprünge und Interessen

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es verschiedene Ansätze zur Vereinigung Westeuropas. Mehrfach, namentlich unter britischem Einfluß, wurde versucht, hierbei die Landwirtschaft auszuschließen und lediglich eine industrielle Zollunion zu errichten. Frankreich hat sich mit Blick auf die Zukunft gegen dieses Verfahren stets gewehrt. Man erkannte in Paris, daß der industriellen Konkurrenzfähigkeit in einer europäischen Zollunion entgegenstand, daß die französische Volkswirtschaft und Politik die enormen Lasten aus einer zahlenmäßig starken, wirtschaftlich im Durchschnitt schlecht gestellten Landwirtschaft mitzuschleppen hatten: Viele unzufriedene Bauern als innenpolitische Hypothek; daraus der Zwang, zur Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens die Zahl der Landwirte durch Abwanderung in andere Berufe zu senken — Schaffung neuer Arbeitsplätze und Umschulung bzw. Umsiedlung. Es galt, diese Situation grundlegend zu korrigieren. Dazu boten sich zwei Mittel an: zunächst die Einbeziehung mit dem Ziel, Frankreich zur Kornkammer der Europäischen Gemeinschaft zu machen, des weiteren die Errichtung eines agrarpolitisehen, gemeinschaftlichen Systems, das den besser gestellten Partnern als Gegenleistung für die reichliche Aufnahme von deren Industrieexporten in Frankreich einen Teil der Lasten überträgt, die sich aus der Sanierung des französischen Bauernstandes ergeben. Dies im Zeichen europäischer Solidarität, die genauso umgekehrt funktioniert: hohe industrielle Exporte in die übrigen Gemeinschaftsländer sichern heute in der Bundesrepublik Millionen von Arbeitsplätzen.

Die Logik agrarpolitischer Solidarität wurde mit dem Verfahren vollendet, das die Hergabe aller mit der Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten aus nicht zur EG gehörigen Drittländern bei den Mitgliedstaaten anfallenden „Abschöpfungs" -Einnahmen an den „Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft“ (EAGFL) vorschreibt: Wenn ein EG-Land in erster Linie europäische Nahrungsmittel konsumiert, zahlt es weniger in den Agrarfonds ein, aus dem die EG-Bauern subventioniert werden. Dafür stützt es jene Landwirte durch den Kauf ihrer Erzeugnisse. Zieht ein Mitgliedstaat dagegen die Importe aus Drittländern vor, steigen automatisch die Zahlungen nach Brüssel — also erhöhen sich die Mittel, die zur Förderung der europäischen Bauern benützt werden.

II. Die Marktorganisationen

Insgesamt sind rund 90 Prozent der EG-Agrarproduktion durch 19 gemeinsame Marktordnungen erfaßt. Alle haben das gleiche Ziel:

— gemeinsamer Außenschutz auf der Basis der Liberalisierung durch Anwenden des Gemeinsamen Zolltarifs, in der Mehrzahl der Fälle ersetzt oder ergänzt durch die erwähnten „Abschöpfungen".

— Befreiung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs von allen Hemmnissen (freier Handel mit Agrarprodukten).

— Sicherung der bäuerlichen Einkommen unter Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungem: Hieraus entstand im September/Oktober d. J.der Streit um unerlaubte Beihilfen für die Landwirtschaft u. a. in Frankreich und Italien. Wie im industriellen Bereich verbietet der EWG-Vertrag Beihilfen auch in der Landwirtschaft und überläßt der Europäischen Kommission die ausnahmsweise Genehmigung. Letztlich findet auch die angemessene Berücksichtigung der Verbraucherinteressen Beachtung.

Die ersten gemeinsamen Marktorganisationen für Getreide, Schweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch wurden am l. Juli 1967 wirksam. Die Zollunion, zu deren Bestandteilen der gemeinsame Agrarmarkt zählt, wurde am 1. Juli 1968 geschaffen. An diesem Tage fielen die Zölle zwischen den Mitgliedstaaten. Gleichzeitig wurde der gemeinsame Zolltarif gegenüber der Außenwelt voll gültig.

Die landwirtschaftlichen Probleme sind in den Art. 38— 47 des EWG-Vertrags geregelt. Die Grundlage der Gemeinsamen Agrarpolitik bildet — wie erwähnt — der Artikel 39. Zur Erreichung seiner Ziele sieht der Art. 40 des EWG-Vertrags je nach Erzeugnis drei Organisationsformen vor: 1. gemeinsame Wettbewerbsregeln, 2. bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen, 3. eine europäische Marktordnung. Die letztgenannte Möglichkeit ist bisher immer zum Zuge gekommen.

Alle Verordnungen basieren namentlich auf Art. 43. Das bedeutet: Beschluß des Minister-rats während der ersten beiden Stufen (bis Ende 1965) einstimmig und danach mit qualifizierter Mehrheit, nur auf Vorschlag der Kommission und nach Anhören des Europäischen Parlaments. In der Praxis beschließt der „Rat" aber immer noch einstimmig.

Der Fächer der Produkte, für die es bisher Marktordnungen gibt, ist weit gespannt. Außer den genannten vier sind es: Reis, Milch und Milchprodukte, Rindfleisch, Obst und Gemüse einschließlich Verarbeitungserzeugnissen, Wein, Ole und Fette, Zukker, nicht der Ernährung dienende Gartenbau-Erzeugnisse (z. B. Tulpenzwiebeln), Tabak, Flachs und Hanf, Saatgut, Fische, Hopfen — auch Seidenraupen und Baumwollsamen fehlen nicht.

Die Marktordnungen haben zwei Säulen: 1. Ein gemeinsames System für die Ein-und Ausfuhr, das der EG-Produktion eine gewisse Vorzugsbehandlung sichert und sie überdies vor der Konkurrenz billig vom Weltmarkt ereinkommender Importe schützt) 2. ein geumsames Verfahren zur Preisbildung und heisstützung auf dem EG-Binnenmarkt.

Ke bestehenden Marktordnungen lassen sich iiwei Gruppen gliedern. Die erste umfaßt Getreide, Reis, Zucker, Olivenöl, Milch, khweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch:

egenüber Drittländern wird hier eine variale Abschöpfung bei der Einfuhr erhoben, deen Höhe dem Unterschied zwischen Angeotspreis und dem EWG-Preisniveau entpricht. Umgekehrt wird die Ausfuhr aus der G auf der Basis der Weltmarktnotierungen emöglicht, indem — soweit das für erforderich erachtet wird — der Unterschied zwi-

chen diesen (bisher meist niedrigeren) Notienungen und den (bisher höheren) Preisen der Gemeinschaft durch eine „Erstattung" beim Export ausgeglichen wird.

Die Exporterstattung ist ein wichtiges Instrument für die Marktregulierung innerhalb der : G und wirkt sich durch Entlastung des Marktes, also Verringerung des Angebots, auf he Erzeugerpreise innerhalb der Gemeinxchaft aus. Eine Schutzklausel erlaubt es, bei tobenden Störungen des EG-Binnenmarktes anden Außengrenzen tätig zu werden: durch teitweise Verhinderung von Importen — im Sommer und Herbst 1974 beispielsweise galt ho totaler Einfuhrstopp der EG für Rindfleisch — oder durch Besteuerung (also Behinderung) von Exporten knapp werdender Erzeugnisse wie im Sommer und Herbst 1974 bei Zucker.

In der genannten Gruppe landwirtschaftlicher Produkte wird dem Bauern eine weitgehende Preisgarantie gewährt. Bei Getreide gilt das lür die gesamte Produktion des Landwirts, allerdings unter Beachtung bestimmter Qualitätsansprüche. Für am Markt nicht verkaufba’e Ware erhält der Landwirt den garantierten Mindestpreis, „Interventionspreis" genannt.

Die EG litt jahrelang unter einem Uberschuß an Weichweizen und einem Zuschußbedarf an Futtergetreide. Versuche, bei der europäischen Preisgestaltung sicherzustellen, daß überschüssiges Brotgetreide niedriger, mangelndes Futtergetreide zum Produktionsanreiz höher im Preis eingestuft wurde, schlugen fehl: unter anderem gab das Interesse der USA an großen Futtergetreideexporten nach Westeuropa hierfür mit den politischen Ausschlag. m Gegensatz zum Getreide gibt die Zucker-marktordnung dem Landwirt nur auf eine zuvor festgelegte Produktionsquote die Preisgarantie. Sobald die Garantiemenge überschritten wird, muß der Erzeuger für den Absatz dieser Zuckermengen die finanzielle Verantwortung mittragen: er entrichtet für die über die Quote hinaus erzeugte Menge eine „Produktionsabgabe". Für die Uberschußproduktion wird ihm aber der volle Absatz garantiert. Da der Zuckerfabrikant 60 Prozent dieser Abgabe seinem Zuckerrübenlieferanten anlasten kann und nur 40 Prozent selbst trägt, soll die Abgabe, indem sie dem Zuckerproduzenten eine geringere Gewinnmarge und dem Zuckerrüben-Bauern einen niedrigeren Preis bringt, im Sinne verringerten Produktionsanreizes wirksam werden. Neben der Grundquote erhält jeder Zuckerhersteller eine hiervon abgeleitete Höchstquote zugeteilt, bei deren überschreiten er auf eigene Kosten am Weltmarkt verkaufen muß. Das war bis 1972, als es ein weltweites Zuckerüberangebot gab, kein Geschäft, Trotzdem gab es einen strukturellen Überschuß von 1 Mio. Tonnen in der EG.

Der gemeinsame Richtpreis für Milch wird dem Bauern nicht garantiert. Es handelt sich vielmehr um den Preis, der für die von den Erzeugern im Milchwirtschaftsjahr insgesamt verkaufte Milch angestrebt wird, und zwar entsprechend den Absatzmöglichkeiten, die sich auf dem Markt der Gemeinschaft und den Märkten außerhalb der EG bieten. Die staatliche, aus dem EAGFL finanzierte Interventionspflicht — Aufkauf von am Markt nicht verkäuflichen Überschüssen zum garantierten Interventionspreis — ist begrenzt auf Butter, Magermilchpulver und bestimmte Käsesorten. In diesen Fällen wie auch für Rahm ist die Gewährung von Beihilfen für private Lagerhaltung vorgesehen. Falls Magermilch und Magermilchpulver zu Viehfutterzwecken verwendet werden, gibt es auch Beihilfen.

Um einen erheblichen Preisrückgang bei Schweinefleisch zu verhindern oder zu mildern, können Subventionen für private Lagerhaltung gewährt und Überschüsse von den Interventionsstellen aufgekauft werden. Die Orientierung für solche Maßnahmen liefert der „Grundpreis“: liegt das arithmetische Mittel der Preise für geschlachtete Schweine auf den in der EG typischen Märkten unter dem Grundpreis und ist damit zu rechnen, daß es dabei bleibt, können Interventionsmaßnahmen beschlossen werden. Der Kaufpreis für geschlachtete Schweine der Standardqualität darf nicht höher als 92 Prozent und nicht niedriger als 85 Prozent des Grundpreises sein. In solcher Lage aufgekaufte Fleischmengen konnten bisher stets ohne Schwierigkeiten später zum Verkauf gebracht werden.

Auch für Eier und Geflügelfleisch gibt es keine Garantie zugunsten des bäuerlichen Produzenten. In den betreffenden Verordnungen ist aber die Möglichkeit festgelegt, zur Unterstützung der Initiativen der beteiligten Berufsstände und Branchen, die eine Anpassung des Angebots an die Markterfordernisse erleichtern, gemeinschaftliche Maßnahmen zu treffen: Förderung einer besseren Organisation der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung, Verbesserung der Qualitäten, neue Verfahren zur leichteren Feststellung der Marktpreisentwicklung und neue Maßnahmen, die die Aufstellung von kurz-und langfristigen Vorausschätzungen aufgrund der Kenntnis eingesetzter Produktionsmittel ermöglichen. Bei der zweiten Gruppe von Marktordnungserzeugnissen handelt es sich um Wein, Obst und Gemüse, Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, Fische, Rind-und Kalbfleisch, Olsaaten und Tabak. Der Außen-schutz erfolgt auf der Basis des gemeinsamen EG-Zolltarifs. Auf der Grundlage von innereuropäischen Referenzpreisen können bei deren Unterschreitung gegenüber Importen aus Drittländern zusätzlich Ausgleichsabgaben für Wein, Obst und Gemüse sowie Fische erhoben werden. Drittländer haben die Möglichkeit, sich zur Einhaltung der Referenzpreise zu verpflichten und also eine Benachteiligung durch eine systematische Anwendung dieser Abgabe zu vermeiden.

Allen in dieser Gruppe aufgeführten Erzeugnissen ist gemeinsam, daß es zur Entlastung des EG-Binnenmarktes Ausfuhrerstattungen gibt: relativ teuer aufgekaufte EG-Nahrungsmittel werden zu niedrigeren Weltmarktpreisen (etwa in die Sowjetunion) exportiert; das preisdrückende Warenangebot in der EG sinkt und der EAGFL „erstattet" die Differenz zwischen EG-und Weltmarktpreis. Die „Schutzklausel“ sichert dort ebenfalls, daß weder billige Importe bei Überangebot noch unerwünschte Exporte aus der EG im Falle von Knappheit den Gemeinsamen Markt stören.

Nur für Olsaaten gibt es in dieser Gruppe die totale Preisgarantie zugunsten des Landwirts. Einem großen Bedarf an Fetten steht in der EG nur eine geringere Erzeugung gegenüber. Die Zollsätze der Gemeinschaft gegenüber der restlichen Welt liegen auf Null. Eine Beihilfe zugunsten der Olsaaten-Anbauer deckt folglich den Unterschied zwischen Weltmarkt-preis und EG-Richtpreis. Lassen sich Olsaaten aus europäischer Produktion nicht verkaufen müssen die Staaten zum Interventionspreis aufkaufen.

Der Verkauf europäischen Tabaks wird durch die jährliche Festsetzung eines für bestimmte Qualitäten geltenden „Zielpreises" gefördert; die Erstkäufer von Tabakblättern erhalten zur Absicherung dieses Zielpreises eine Prämie. Unverkäufliche Tabakmengen werden mit Zu-und Abschlägen entsprechend ihrer Qualität zu 90 Prozent des Zielpreises aufgekauft. Die Weinmarktpolitik soll dem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage und der Förderung der Produktion guter Weinqualitäten bei Einschränkung minderer Weine nützen. Eine einheitliche Preisregelung gilt: Für jede Tafelweinart wird jährlich ein Orientierungspreis und auf dessen Grundlage ein Schwellen-Preis für die Auslösung von Aulkaufmaßnahmen zur Herausnahme unverkäuflicher Mengen aus dem Markt festgesetzt. Für die private Lagerhaltung von Tafelwein kam es bei Bedarf Beihilfen geben.

Bei der Marktorganisation für Obst und Gemüse spielen gemeinsame Handelsklassen eine erhebliche Rolle. Ware unzureichender Qualität soll damit vom Markt ferngehalten, die Produktion entsprechend den Anforderungen der Verbraucher ausgerichtet werden Unverkäufliche Überschüsse ziehen die Erzeuger-Organisationen aus dem Handel, wofür sie — eine Verpflichtung aus der EG-Marktorganisation — zu Lasten des europäischen Agrarfonds einen finanziellen Ausgleich von den Mitgliedstaaten erhalten. Im Falle einer ernsten Krise infolge massenhaften Überangebots müssen die EG-Staaten die angebotenen Erzeugnisse aufkaufen. Stößt das auf ernste Schwierigkeiten, können die EG-Partnerstaaten von dieser Pflicht befreit werden. Die Vernichtung aus dem Markt genommener Erzeugnisse wird weitestmöglich dadurch verhindert, weil die Liste der Verwendungszwecke aufgekaufter Obst-und Gemüse-mengen ergänzt wurde.

Für Fische gibt es neben der Einführung von Vermarktungsnormen (hier geht es um die Qualität) eine gemeinsame Preisregelung zur Stabilisierung der Märkte sowie Maßnahmen, mit denen Erzeugerorganisationen gefördert werden. Die letzteren können einen Preis festsetzen, unter dem sie die von ihren Mitglie dem angelieferten Fische nicht verkaufen Daraus kann es sich ergeben, daß die Erzeuger-Organisationen einen Teil der angebotenen Ware nicht abstoßen. Diese Art der Intervention wird zu einem Teil von der EG gemeinsam finanziert.

Für Rindfleisch setzt die Gemeinschaft alljährlich einen Orientierungspreis fest. Interventionsmaßnahmen „können" einsetzen, wenn der Marktpreis in der EG 98 Prozent des Orientierungspreises und in mindestens einem Gebiet der EG 93 Prozent des Orientierungspreises unterschreitet. Sie „müssen" getroffen werden, wenn der Marktpreis in der ganzen Gemeinschaft 93 Prozent des Orientierungspreises nicht mehr erreicht. Im Rahmen der Interventionsregelung sind Beihilfen zur privaten Lagerhaltung von Rindfleisch möglich.

III. Ergebnisse

Zum Einkommen:

Die Gemeinsame Agrarpolitik hat bisher nicht die gewünschten Resultate gezeitigt. Der Versuch, für Bauern in Sizilien und Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Südwestfrankreich, Nord-Holland und im Bayerischen Wald eine gleiche Preispolitik zu treiben und ihnen dabei anderen Berufen vergleichbare Einkommen zu sichern, ist gescheitert. In einem Arbeitsdokument der Europäischen Kommision vom 20. März 1973 — SEK (73) 900 — heißt es dazu:

, Aus einer Analyse der makro-ökonomischen Daten geht hervor, daß a) zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede in der Höhe der Nettowertschöpfung je JAE (Jahresarbeitseinheit) bzw. je landwirtschaftlicher Erwerbsperson bestehen. Das Weiter-wirken dieser Unterschiede auf die tatsächliche Einkommenshöhe und über diese auf den Lebensstandard ist jedoch schwer zu bestimmen; b) wenn die landwirtschaftlichen Einkommen im allgemeinen niedriger sind als die Einkommen in anderen Wirtschaftsbereichen, eine genaue Messung der Unterschiede beim derzeitigen Informationstand jedoch praktisch unmöglich ist, so ist für den Zeitraum 1964 bis 1970 — mit Ausnahme von Belgien und Italien — aber festzustellen, daß sich die Spanne zwischen Landwirtschaft und übrigen Wirtschaftsbereichen offenbar weiter vergrößert.“

Obwohl die Lücke zwischen landwirtschaftlichen und vergleichbaren nicht-landwirtschaftlichen Einkommen per Saldo bei weitem nicht geschlossen worden ist, nahmen die Kosten der Gemeinsamen Agrarpolitik ständig zu. 1972 wurden für die Abteilung „Garantie* des EAGFL — also zum subventionierten Aufkauf, zur Lagerung und zum verbilligten Export von Überschüssen — 2, 33 Milliarden RE verausgabt. 1975 sieht der EG-Haushaltsent-wurf hierfür bereits 3, 77 Milliarden vor. Die Erwartung, daß die gemeinsame Politik schnell zur Schaffung größerer und großer, kapital-und konkurrenzstarker, moderner Betriebe führen würde, hat sich noch nicht realisiert. Zwischen der höchsten Durchschnitts-größe in Großbritannien mit 57 ha und der niedrigsten in Italien mit 7, 5 ha besteht ein Unterschied in der Größenordnung 1 : 7. Zwischen diesen beiden Extremwerten können die Mitgliedstaaten in zwei Gruppen zusammengefaßt werden: Frankreich, Luxemburg und Dänemark mit einer Durchschnittsbetriebsgröße über 22 ha, Holland, Belgien und Deutschland mit einer Durchschnittsgröße von 11— 15 ha. Dazwischen liegt Irland (17, 5). Auf Betriebe mit über 50 ha Fläche — das sind 5 Prozent aller Betriebe — entfallen 39 0/o der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die Strukturerneuerung stößt häufig auf schwierige Probleme, weil in den besonders reformbedürftigen Gebieten ein erheblicher Uberschuß an landwirtschaftlicher Erwerbsbevölkerung einer schwach entwickelten Gesamtwirtschaft gegenübersteht. Hier rächt sich das Fehlen einer europäischen, regionalen Entwicklungspolitik, die man schon Anfang der sechziger Jahre von EG-Seite einführen wollte (Frankreich lehnte aus Sorge wegen Souveränitätsverlust ab) und die im Dezember 1973 am deutschen Veto gegen einen finanziell hinreichend ausgestatteten EG-Regionalfonds zunächst wiederum scheiterte.

Zur Produktion:

1. Getreide: Die Gemeinschaft hat nach wie vor einen Netto-Einfuhrbedarf an Getreide von rund 12 Millionen Tonnen im Jahr. Hier handelt es sich ausschließlich um Futtergetreide. Die falsche Preisrelation zwischen Futter-und Brotgetreide führt dazu, daß vom einen zu viel, vom anderen zu wenig produziert wird — letzteres bisher, wie gesagt, mit Rücksicht auf die USA. Washington aber hat die Europäer jetzt aufgefordert, wegen seiner unzureichenden Futtergetreideernte weniger zu importieren. Die Futtergetreidepreise steigen also. Eine vorausschauende Preispolitik hätte eine solche Entwicklung zumindest mildem können. 2. Zucker: Nachdem die gemeinschaftlichen Planer zunächst eine Herabsetzung der EG-Zuckerproduktion angestrebt hatten, um noch Raum für Importe aus Entwicklungsländern zu lassen, die vom Zuckerverkauf leben, ist angesichts der — durch fortschreitende Verknappung des Angebots — rapide steigenden Weltmarktzuckerpreise jetzt die Erhöhung der EG-Eigenproduktion beschlossen worden. Zwischen 1972 und 1974 wurde die Anbaufläche bereits um insgesamt 14 Prozent ausgedehnt. 3. Rindfleisch: Nachdem die EG jahrelang die Eigenversorgung nur zu 90 Prozent decken konnte und angesichts der schnell steigenden Rindfleischpreise die Produktion im Sommer 1973 künstlich durch zwei Prämien erhöhte, waren im September 1974 bei um 30 bis 40 Prozent gegenüber den Spitzenentwicklungen zurückgegangenen Rindfleischpreisen 185 000 t unverkäuflicher Ware vorhanden. Nunmehr werden Prämien dafür gewährt, daß Bauern die Schlachtung ihrer Rinder um Monate bis ins Frühjahr 1975 hinein aufschieben. Diese Politik wiederum droht von der Futtermittel-Teuerung illusorisch gemacht zu werden, die das spätere Schlachten von Rindern unrentabel machen kann. Die in die EG-Rindfleisch-Marktorganisation eingeführte „permanente Intervention", die erst zur dauernden Aufkaufpflicht der Staaten im Falle von Über-schüssen führte, erwies sich als nicht praktikabel, weil die Kühlhäuser überfüllt waren. 4. Schweinefleisch: Mit rund 40 Prozent nimmt die Schweinefleisch-Erzeugung mengenmäßig den ersten Platz innerhalb der gesamten Fleischproduktion der Gemeinschaft ein. Auch hier drückte im Herbst 1974 die Über-produktion auf die Preise. Teure Futtermittel führten teilweise zu überreichlicher Ab-schlachtung — mit der für Herbst 1975 erwarteten Folge einer neuerlichen Fleisch-Knappheit.

5. Milch: Die Milchwirtschaft der EG, die 19 Prozent des Wertes der bäuerlichen Enderzeugung ausmacht, produziert einen Uberschuß von ungefähr 8 Prozent (7— 8 Mio. t), der zum größten Teil nur mit Hilfe von Sondermaßnahmen abgesetzt werden kann. Die Produktionsrekorde erklären sich vor allem durch eine verbesserte Milchleistung: pro Kuh waren es 1968 im Durchschnitt 3, 283 Kilogramm und 1972 bereits 3, 442 Kilogramm — neuere Zahlen liegen in Brüssel noch nicht vor. Trotz radikaler Maßnahmen drücken die Butterberge in der EG: 1973 wurden 200 000 t Butter zu Schleuderpreisen — mit umgerechnet rund 1 Milliarde Mark aus dem EAGFL subventioniert — an die Sowjetunion „verkauft".

IV. „Vollendung" und Neuansätze

In der gemeinsamen Agrarpolitik sind die Marktorganisationen keineswegs alles. Seit März 1971 wurde das Grüne Europa systematisch weiterentwickelt: Beihilfen bis zu 25 Prozent werden für landwirtschaftliche Betriebe gewährt, die einen genehmigten Modernisierungsplan haben. Pensionierungszahlungen aus der EG-Agrarkasse — wenn auch zunächst nur bescheidenen Ausmaßes — gibt es, wenn ein Bauer seinen Boden zur Zusammenlegung oder zur Herausnahme aus der bäuerlichen Bewirtschaftung hergibt. Die landwirtschaftliche Ausbildung wird von der Gemeinschaft finanziell gefördert.

Diese Modernisierungs-Richtlinie für Westeuropas Bauernschaft geht darauf aus, auf mittlere Frist die Zahl moderner, genügend großer Höfe fortschreitend zu steigern und damit Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß eines Tages eine neue Politik mit weniger armen, dafür mehr gesunden Bauernbetrieben rechnen kann und also mit weniger Subventionen auskommt.

Wegweisend ist gleichermaßen eine vom EG-Ministerrat verabschiedete „Richtlinie“ über die Förderung der Landwirtschaft in Berggebieten und in anderen benachteiligten Regionen. Hier wird erstmals im kleinen ein Modell dafür geliefert, wie die Gemeinschaft künftig in ihrer Preispolitik zwischen modernen und bedürftigen bäuerlichen Betrieben unterscheidet und den ersten einen für sie rentablen Preis, den zweiten zusätzlich eine Einkommenshiffe zur Sicherung einer angemessenen Existenz zubilligen könnte.

Im Text der Richtlinie ist eine allgemeine Aktion unter finanzieller Beteiligung des EAGFL vorgesehen, mit deren Hilfe eine Reihe spezifischer Maßnahmen zugunsten von Landwirten in benachteiligten Agrargebieten durchgeführt werden soll, die nach den derzeitigen ungefähr 20 Prozent der landwirt-Schätzungen schaftlichen Nutzfläche der EG ausmachen.

Vorgesehen sind:

a) Gewährung einer jährlichen Ausgleichszulage an Betriebsinhaber, die sich verpflichten, die landwirtschaftliche Tätigkeit noch mindestens fünf Jahre auszuüben; die Höhe der Zulage wird in Abhängigkeit von dem Ausmaß der die landwirtschaftliche Tätigkeit beeinträchtigenden, ständigen, natürlichen Nachteile und nach dem Umfang dieser Tätigkeit bestimmt. Sie darf nicht weniger als 15 RE und nicht mehr als 50 RE je Großvieheinheit oder Hektar betragen. b) Anpassung des in der EG-Richtlinie zur Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe vorgesehenen Investitionsbeihilfesystems. Es ist wegen der Verbindung landwirtschaftlicher Tätigkeiten mit solchen im Fremdenverkehr oder Handwerk und wegen der Schwierigkeit, nach Abschluß der Modernisierung ein angemessenes Einkommen zu erreichen, nur ungenügend auf die Betriebe in benachteiligten Regionen zugeschnitten. Zinsverbilligungen oder Kapitalzuschüsse bis zu 7 Prozent, wobei die vom Landwirt übernommene Mindestbelastung bis auf 2 Prozent reduziert werden kann, sowie günstige Beihilferegelungen für die Modernisierung der Viehzucht sollen die erforderliche Aufnahme von Investitionskrediten erleichtern. Investitionen im Fremdenverkehr und im Handwerk, sofern sie im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes stattfinden, kommen mit dem Ziel als förderungswürdig hinzu, ein effektiv vergleichbares Einkommen zu sichern.

Die EG-Richtlinie fördert gleichermaßen mit besonderen Beihilfen kollektive Investitionen in Berggebieten für die Verbesserung der Weiden oder der Futtermittelproduktion.

Diese EG-Gesetzgebung liefert bereits Modelle für die Agrarreform der Gemeinschaft. Einerseits gibt es direkte Einkommensbeihilfen und zusätzliche Investitionshilfen für Landwirte, die mit den Gemeinschafts-Preisen nicht auskommen. Zum anderen werden solche eigentlich nicht rentablen Höfe gestützt, die keineswegs nur aus agrarpolitischen — und damit betont mittelstandspolitischen — Erwägungen erhaltenswert sind. Gleichzeitig geht es zusehends mehr darum, mit der Europäischen Agrarpolitik die Verödung ganzer Landstriche durch deren Entvölkerung zu verhindern, den Bauern also gleichermaßen als Pfleger der Landschaft existenzfähig zu machen. Für die weitere Entwicklung ist es von zentraler Bedeutung, daß hier ein Beispiel dafür gegeben wird, Preise nicht bis ins Unendliche zu erhöhen, nur um wenig rentablen Höfen ein Auskommen zu sichern, wohl aber Preis-und Einkommens-Zuschußpolitik sinnvoll zu kombinieren.

V. Reform-Perspektiven: Euro-Weltmacht oder nicht?

Für die EG-Agrarreform — Bestandsaufnahme und Erneuerung — legte die Europäische Kommission bereits im November 1973 ein Memorandum vor. An sich war es die Absicht des deutschen Bundesernährungsministers Josef Ertl, in der Zeit seiner Präsidentschaft im EG-Agrarministerrat vom 1. 1. 1974 bis 30. 6. 1974 eine Grundsatzdebatte über die mittel-und langfristigen Perspektiven der gemeinsamen Politik herbeizuführen. Tatsächlich bemängelte er wiederholt im kleinen Kreise, daß keinerlei Konsensus der neun Staaten darüber besteht, wohin diese Politik letztlich führen soll:

Das setzt natürlich zunächst den Konsensus darüber voraus, welche „Europäische Union“ — wie sie die Regierungschefs der neun Länder mit Präsident Pompidou im Oktober 1972 proklamierten — errichtet werden soll. Es geht da nicht zuletzt um die politische Rolle der Europäischen Union in der Welt: Soll sie, wie es jedenfalls Außenminister Kissinger und der ehemalige Präsident Nixon schon kommen sahen, neben den USA, der Sowjetunion, China und Japan eine fünfte Welt-macht werden? Falls Westeuropa will, daß internationale Politik nicht ohne oder gegen die Europäische Union geführt werden soll, ist das notwendig. Agrarpolitik wird dann darauf ausgerichtet sein müssen, den zahlreichen Abhängigkeiten der Westeuropäer nicht noch eine weitere im Bereich der Nahrungsmittelversorgung hinzuzufügen: die beteiligten Länder sind schon gefährdet ohne die Verteidigungsbereitschaft Amerikas, die Rohstoffzuführung aus weiten Teilen der Welt, die Erdölversorgung aus dem nahöstlichen Raum — wenigstens die Existenzbedürfnisse im Ernährungsbereich muß Westeuropa aus eigener Kraft sichern können.

Das EG-Memorandum soll eine Diskussionsgrundlage bilden, also den Organen der Gemeinschaft, den Berufskreisen — namentlich den Vertretern der Bauern — die Möglichkeit bieten, die Probleme gründlich zu prüfen und sich auszusprechen. Geschehen ist in dieser Hinsicht bisher sehr wenig. Auf der Grundlage solcher Diskussionen und der dabei vorgetragenen Auffassungen will die EG-Kommission schließlich Verbesserungsvorschläge für die Gemeinsame Landwirtschaftspolitik vorlegen. Der Ministerrat hätte danach den Auftrag, darüber zu entscheiden.

Die Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik — früher sagte man „Verbesserung" — soll schrittweise bis 1978 erfolgen. Grundlage aller Aktion bleiben die Zielvorstellungen des EWG-Vertrags, die nach wie vor einen angemessenen Lebensstandard für die Landwirte, die Marktlenkung sowie angemessene Verbraucherpreise zum Grundinhalt haben. Die Notwendigkeit der Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik ergibt sich aus einer seit einigen Jahren schon feststellbaren Situation. Zunächst basierte die gemeinsame Aktion für Europas Bauern hauptsächlich auf der Preis-und Marktpolitik mit Gemeinschaftsvorrang — in erster Linie: europäische Nahrung soll konsumiert werden — und auf finanzieller Solidarität aller EG-Bürger mit allen ihren Landwirten. Dieses System ist — wie gezeigt — allein nicht in der Lage, mit dem Einkommensgefälle zwischen dem Agrarsektor einerseits und den anderen Wirtschaftszweigen fertig zu werden. Schon gar nicht gelang es, die Einkommensunterschiede innerhalb der Bauernschaft selbst zu verringern.

Auf der Grundlage des 1968 vorgelegten „Mansholt-Plans" wurde deshalb die erste Reihe von Strukturreformen eingeleitet: 1. die Reform der Produktionsstrukturen — Modernisierungsrichtlinie, 2. die Verbesserung der Vermarktungsstrukturen bei Agrarerzeugnissen, 3. die Politik der Beihilfegewährung an Landwirte benachteiligter Regionen.

Die Brüsseler Kommission ist zwar der Über-zeugung, daß schon diese Maßnahmen es letztlich erlauben, die Landwirtschaft besser in die Gesamtentwicklung der modernen Gesellschaft einzubringen. Doch macht man sich bei der EG-Kommission keine Illusionen. Eindeutig wird formuliert: „Mit der Agrarpolitik allein können Agrarprobleme nicht gelöst werden. Die Landwirtschaft hängt schließlich eng mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik zusammen, die auch noch andere, besondere Politiken umfaßt, insbesondere auf regionalem und sozialem Gebiet. Deshalb ist der Aufbau einer Wirtschafts-und Währungsunion für die volle Verwirklichung der gemeinsamen Agrarpolitik unerläßlich.“

Was die Bundesrepublik jahrelang gefordert hat, wird jetzt also europapolitisches Allgemeingut. Die EG-Kommission begründet ihren Standpunkt: „Die Wiederherstellung eines einheitlichen Agrarmarktes ist nur in einem gemeinsamen Währungssystem ohne nationale Währungsmaßnahmen möglich. Dieses System ist wiederum nur bei einer Konzertierung und Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten anwendbar, überdies ist die sozio-strukturelle Reform der Landwirtschaft nur dann möglich, wenn durch eine Regionalpolitik bessere Infrastrukturen in den benachteiligten Agrargebieten, neue Arbeitsplätze in diesen Gebieten oder eine wirksame Sozialpolitik und Umschulungsmaßnahmen geboten werden — Umschulungsmaßnahmen für Menschen, die aus der Landwirtschaft ausscheiden wollen."

So kann sich in der Tat mit einer modernen, leistungsfähigen Landwirtschaft, die bei einer Steuerung der Produktionsmengen auch gewisse Verpflichtungen übernähme, eine Bauernschaft entwickeln, zu deren Aufgaben es ebenso gehören würde, einen Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht der Gemeinschaft — zur Sicherung und zum Schutz ihrer Umwelt — zu leisten. Dies sind grundlegende Brüsseler Reformerwägungen.

Das Memorandum der Kommission wendet sich an alle, die sich bewußt sind, daß sich auf mittlere Sicht Bemühungen zur Schaffung einer gesunden, ausgeglichenen Lage in der Landwirtschaft mehr auszahlen als viele kostspielige Behelfslösungen. Hier einige Einzelheiten: Überschüsse bzw. unzureichende Produktion gilt es gleichermaßen zu beseitigen, de Verwaltungsmechanismen der gemeinsajen Marktorganisationen zu vereinfachen, de finanziellen Aufwendungen der zur Bevältigung der Agrarüberschüsse eingesetzten Abteilung „Garantie" des EAGFL herabzuset»n.

Die Kommission hat die Berechtigung bestimmter Kritiken an der Markt-und Preispolitik anerkannt. Sie fordert die Senkung der Ausgaben des die Überschüsse finanzierenden . Garantie" -Teils des Agrarfonds. Weil es Milchüberschüsse gibt, soll z. B. eine befristete Produktionsabgabe auf die an die Molkereien gelieferte Milch eingeführt werden. Sie wäre von den Landwirten zu zahlen und nicht auf die Verbraucher abwälzbar. Die ersten abgelieferten 10 000 Liter Milch sollen für jeden Betrieb abgabefrei sein. Je nach Ausmaß der Überschüsse darf die Abgabe auf zuviel gelieferte Milch höchstens zwei Prozent der Milch-richtpreise betragen, um den Absatz von Milchüberschüssen innerhalb der EG zu fördern.

Weiter sind geplant: die Senkung der staatlichen Aufkaufpreise — Interventionspreise — für Butter und die Erhöhung der Interven-tionspreise für Magermilchpulver, die ausschließliche Verwendung von Butterfett im Sektor der Milcherzeugnisse und für Speiseeis, schließlich die Verminderung der Stützungsmaßnahmen für Landbutter.

Die Durchführung solcher Maßnahmen hätte zwei Folgen: Einmal würde der Rückgang des Butterverbrauchs — wegen zu hoher Preise -aufgefangen und eine hohe Milchproduktion wäre vorübergehend für die Bauern weniger rentabel wegen der geplanten Produktionsabgabe. Nadi und nach müßte ein besseres Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage entstehen. Zum anderen würden die Milchausgaben der EAGFL nach Berechnung der EG-Kommission am Ende eines fünfjährigen Anpassungszeitraums um rund 1, 7 Milliarden Mark sinken.

Freilich ist das letzte Wort über Maßnahmen im Milchbereich noch längst nicht gesprochen, weil die französische Regierung mit Sicherheit starke Einwände gegen derartige Maßnahmen erhebt. Die landwirtschaftlichen Berufsverbände haben bereits ihre Bedenken geäußert.

Brüssel fordert für den Sektor Getreide eine Anpassung der gemeinsamen Marktorganisation durch die schrittweise Herstellung einer Besseren Preisstaffelung für die einzelnen Ge27 treidearten. Dies soll durch eine vorübergehende Nicht-Anhebung des Weichweizenpreises und durch eine Erhöhung der Preise für Gerste und Mais (Futtergetreide) erreicht werden. Das Ziel besteht, wie Brüssel im Memorandum erklärt, darin, grundsätzlich ein gemeinsames Preisniveau in der EG zu erreichen, das dem Nährwert der einzelnen Getreidearten besser gerecht wird.

Des weiteren soll schrittweise das „Denaturierungssystem" abgeschafft werden, mit dessen Hilfe für die menschliche Ernährung bestimmtes Getreide ungenießbar gemacht und in Viehfutter umgewandelt wird. An Ausnahme-maßnahmen ist aber gedacht, die eine Verfütterung von Getreide , immerhin erleichtern. Schließlich soll die regionale Staffelung der staatlichen Aufkaufpreise für Getreide durch ein System einheitlicher Interventionspreise für Weichweizen und Gerste ersetzt werden, das in der gesamten Gemeinschaft gelten würde.

Die Kommission denkt an die Einführung einer vollständigen, in sich geschlossenen Vorratspolitik für Weichweizen. Die Vorratsmenge würde entsprechend den Bedürfnissen für eine regelmäßige Versorgung der neun EG-Staaten und nach den Verpflichtungen festgesetzt, die die Gemeinschaft auf internationaler Ebene hinsichtlich der Vorratshaltung eingeht. Der Vorrat würde insbesondere zur Garantie der Versorgungssicherheit für die menschliche Ernährung und gegebenenfalls für die Viehfütterung sowie zur Ausführung der Verpflichtungen auf dem Gebiet der Nahrungsmittelhilfe für die Dritte Welt verwendet. Hier übernimmt die Europäische Kommission Anregungen, die Bundesernährungsminister Josef Ertl bereits vor längerer Zeit vortrug. Doch weiß man unter Fachleuten sehr genau, daß die Weichweizenträume mancher Bauern trotz aller Vorratspläne voraussichtlich ihre Grenzen haben werden. Die Vorstellung, die Deutschen könnten nun ohne Unterlaß weiter Weichweizen unbesehen produzieren, wird sich kaum oder nur während kurzer Zeiträume weltweiter Knappheit verwirklichen.

Die Europäische Kommission erwartet folgende Ergebnisse: Die Ungleichgewichte — Überproduktion —, die auf dem Getreidemarkt bisher meist zu verzeichnen waren, würden nach und nach verschwinden, und es käme entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen zu einem besseren Gleichgewicht zwischen den einzelnen Getreidearten, also Brot-getreide auf der einen, Futtergetreide auf der anderen Seite. Die Ausgaben des die Getreideüberschüsse finanzierenden „Garantie" -Teils des EG-Agrarfonds würden 1978 um rund 2 Milliarden Mark sinken. Die Auswirkung der geplanten Maßnahmen wird schon im ersten Jahr der Anpassung mit rund 550 Millionen Mark veranschlagt.

Auch im Hinblick auf die Eiweiß-Stoffe fordert die Brüsseler Behörde eine Aktion der Gemeinschaft. Die Entwicklung der Schweine-und Geflügelerzeugung und das Vordringen von Mischfuttermitteln in der Tierernährung haben zu einer zunehmenden Verwendung stark eiweißhaltiger Grundstoffe — abgesehen von Grünfuttermitteln — geführt. 1971/72 wurden mehr als 17 Millionen Tonnen Eiweißfuttermittel in der EG verbraucht.

Dabei geht es sowohl um Luzernemehl mit nur 18 Prozent Eiweißgehalt wie auch um Fischmehl mit 70 Prozent Protein. Die Versorgung mit Eiweiß-Futtermitteln wird zu drei Viertel aus Olsaaten — Ölkuchen und Futterkuchenmehl — gedeckt. Der Rest kommt aus Fleisch-und Fischmehl, Luzernemehl, Hülsenfrüchten und Milchpulver. Getreide, das zwar einen gewissen Prozentsatz Eiweiß enthält, wird in der Tierernährung hauptsächlich als „Kraftfutter" eingesetzt.

Der Selbstversorgungsgrad der EG an Eiweiß-Stoffen ist ständig zurückgegangen. Gegenwärtig erreicht er nur 4 Prozent für Ölkuchen und 30 Prozent für Fischmehl. Die Erzeugung von Hülsenfrüchten für Futterzwecke nimmt ab. Nach Meinung der Brüsseler Behörde steigt langfristig aber die Fleischnachfrage, mithin der Bedarf an eiweißhaltigen Futtermitteln. Sie rechnet mit einer jährlichen Zunahme des Verbrauchs an eiweißhaltigen Stoffen um 3 Prozent.

Man kommt damit zum Thema „Sojabohnen". 1973 entstand durch die plötzliche Ausfuhrsperre der USA größte Sorge um Westeuropas Nutztier-Ernährung. Unter dem Druck der EWG gelang es, den Ausfuhrstopp Amerikas zu mildern und schließlich zu beseitigen. Und schon wieder meldet New York für 1974 eine um 23 Prozent gegenüber 1973 verringerte Sojaernte. Es erscheint der EG angebracht, eine europäische Produktion an eiweißhaltigen Futtermitteln zu beschleunigen — dies um so mehr, als weltweit die Nachfrage nach Eiweiß-Stoffen zunimmt. Brüssel schlägt vor:

Herstellung eines günstigeren Preisverhältnisses zwischen Raps und Sonnenblumen durch eine verhältnismäßige Anhebung der Preise für Sonnenblumen. Dadurch würde die Ausweitung der Sonnenblumenproduktion gefördert, die 200 000 t — gegenüber nur 70 0001 im Jahre 1971 — erreichen könnte. Eine Unterstützungsregelung, wie sie in der EG augenblicklich für Rapssaaten und Sonnenblumenkerne gilt, soll auch auf Sojabohnen ausgedehnt werden. Diese Regelung müßte jedoch so angepaßt sein, daß das Einfuhrsystem für Sojabohnen — USA-Interessel — unverändert bliebe.

Mit diesen Maßnahmen ließe sich binnen fünf Jahren eine Sojabohnen-Produktion in Westeuropa in Höhe von 100 000 t erreichen. Das Trocknen von Futterpflanzen wie z. B. Luzerne soll attraktiv gemacht werden — dies mit dem Ziel, das Angebot auf dem Markt spürbar zu erhöhen. Hierzu wäre eine gemeinsame Aktion zur Förderung des Errichtens und zur Rationalisierung von Trocknungsanlagen vorzusehen, des weiteren sind Maßnahmen zur Senkung der Gestehungskosten für diese Erzeugnisse erforderlich. Schließlich fordert Brüssel eine Preissenkung für in der EG erzeugtes oder aus anderen Ländern eingeführtes Qualitätssaatgut für Hülsenfrüchte zu Futterzwecken — beispielsweise „Felderbsen'und „Pferdebohnen" —, außerdem die Aufstellung eines Forschungsprogramms zur Entwicklung und Verbreitung neuer Sorten in der Gemeinschaft, die geeignet sind, die Eiweißerzeugung zu steigern, insbesondere im Hinblick auf Saatgut für „Hybrid-Pferdebohnen“ und Getreide mit hohem Eiweißgehalt. „Harnstoff" für die Tierernährung soll in der ganzen EG zugelassen werden.

Die Durchführung solcher Maßnahmen wird nach Brüsseler Schätzung von 1973 zur Erhöhung der Ausgaben des Europäischen Agrarfonds von rund 200 Mio Mark führen. Dieser Einsatz scheint der Kommission mit Blick auf die erwartete Nachfrage nach Fleisch aller Art, in der Annahme also steigenden Lebensstandards in Europa, berechtigt. In der mit England, Irland und Dänemark erweiterten EG wird der Fleischverbrauch pro Kopf der Bevölkerung gegenwärtig auf über 72 kg geschätzt. 1960 waren es erst 56 kg. 30 Prozent der gesamten Nahrungsmittelausgaben der EG-Bewohner sind zum Einkauf von Fleisch bestimmt. Dieser Anteil ist von Jahr zu Jahr höher geworden.

Nach dem Bonner Paukenschlag vom September steht die europäische Agrarreform nun an. Die Brüsseler Diskussionsgrundlage wird noch einmal aufgearbeitet werden müssen. Die Entwicklung der Welternährungslage, über die es widersprüchliche Auffassungen — vom jahrelangen Mangel bis zum baldigen Entstehen neuer Überschüsse — gibt, gilt es zuvor möglichst verläßlich zu analysieren.

Ob sich im Zuge der Erdöl-und Inflationskrise die westeuropäischen Wohlstandserwartungen mit Folgen für den Nahrungsverbrauch — man denke an die Brüsseler Überlegungen zum Fleischkonsum — verändern, wird zu prüfen sein.

Die von der Brüsseler Kommission als elementare Voraussetzung für einen funktionierenden Gemeinsamen Agrarmarkt angesehene Wirtschafts-und Währungsunion wird es — mit festen Wechselkursen zwischen den Mitgliedswährungen — kurz-und mittelfristig nicht geben können, weil der unterschiedliche Entwicklungsstand der beteiligten neun Volkswirtschaften das weitgehend unmöglich macht.

Doch die grundlegenden Orientierungen für den strukturpolitischen Wandel und die politische Wende im Grünen Europa hat die Europäische Kommission mit ihrem Memorandum 1973 vorgelegt. Es wird höchste Zeit, endlich darüber zu diskutieren.

Fussnoten

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Hermann Bohle, geb. 1928; errichtete zwei unabhängige Pressebüros für Fragen der europäischen Integration und atlantischen Zusammenarbeit in Brüssel und Paris; begann 1951 als außenpolitischer Redakteur und arbeitete später als Wirtschaftspublizist; Europa-Korrespondent des „Südwestfunks“, des „Bayerischen Rundfunks“ und des „Süddeutschen Rundfunks"; regelmäßiger europa-und militärpolitischer Mitarbeiter des „Deutschlandfunks" und des „Westdeutschen Rundfunks“; Ständiger Korrespondent einer Gruppe deutscher, österreichischer und schweizer Tageszeitungen. Buchveröffentlichungen: Europa, Weltmacht auf der Startrampe — Mit England zur Einheit. Ein Handbuch für deutsche europäische Außen-, Innen-und Gesellschaftspolitik, Stuttgart 1972; Das Ende der Illusionen — Der Mansholt-Plan im politischen Rahmen europäischer Einigung (Ko-Autor), Europäische Schriften des Bildungswerkes „Europäische Politik", Köln 1969; „ 20mal Europa“, München o. J.; Wirtschafts-und Währungsunion — Basis einer europäischen Gesellschaft (KoAutor), Schriftenreihe des Studienkreises Europa, Urbar bei Koblenz 1974.