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Geschichtsbewußtsein und Menschenbild Ergebnisse eines Vergleichs von Schulbüchern Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion | APuZ 46/1974 | bpb.de

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APuZ 46/1974 Artikel 1 „Ostkunde" -Geschichte eines politisch umstrittenen Unterrichtsanliegens Einstellungen saarländischer Schüler gegenüber Osteuropa Geschichtsbewußtsein und Menschenbild Ergebnisse eines Vergleichs von Schulbüchern Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion

Geschichtsbewußtsein und Menschenbild Ergebnisse eines Vergleichs von Schulbüchern Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion

Peter Schulz-Hageleit

/ 51 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Schulbuch vermittelt dem Schüler nicht nur ein wertneutrales Faktenwissen. Es fördert darüber hinaus bestimmte Denkformen und politische Grundhaltungen; durch das implizit enthaltene Weltbild beeinflußt es nicht unwesentlich das Verhältnis des Schülers zu seiner gesellschaftlichen Umgebung. Diese globale These, die aufgrund zahlreicher Untersuchungen als gesichert gelten kann, wird durch die Methode des internationalen Vergleichs präzisiert und bestätigt. Die Studie behandelt Geschichtsbücher, Biologiebücher und Lesebücher, die zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und der Sowjetunion gebraucht werden. Die vom internationalen Vergleich unabhängige Diskussion über die Schulbuchfrage wurde einbezogen, so weit das möglich war. Das Problem des Geschichtsbuches fand dabei, dem Arbeitsschwerpunkt des Verfassers entsprechend, die stärkste Berücksichtigung. Die Konfrontation der sowjetischen Lehrbücher mit den Lehrbüchern der beiden westlichen Staaten zeigte mit größerer Eindringlichkeit, als es mit systemimmanenten Methoden möglich wäre, wie intensiv sowjetische Schüler zur positiven Beurteilung des bestehenden Systems, zur disziplinierten Eingliederung und zur aktiven Mitarbeit am Aufbau des Sowjetstaates angehalten werden, während westliche chüler in einer Art pädagogischem Schonraum bleiben, der sie vor gesellschaftspolitischen Konflikten abschirmt und damit gleichzeitig der Realität des Staates entfremdet. Der Vergleich zeigte, wie dieselben scheinbar unpolitischen Inhalte, zum Beispiel die der menschlichen Biologie, mit oder ohne Absicht in ganz verschiedene politische Zusammenhänge eingeordnet

I. Zum Thema und zur Methode

,'Während die allgemeinen wissenschaftlichen Zielsetzungen und Inhalte der Vergleichenden Erziehungswissenschaft umstritten sind und immer wieder diskutiert werden fällt es niemandem ein, den besonderen Zweck und den Sinn vergleichender Schulbuchanalysen 'zu bezweifeln. Die Beschäftigung mit ausländischen Schulbüchern und die Frage, wie sich diese in Form und Inhalt zu unseren, den inländischen Schulbüchern, verhalten, ist in so . vielen pädagogischen und didaktischen, politischen und bildungsökonomischen Erkenntnisinteressen verankert, daß grundsätzliche Vorbehalte und theoretische Generaldebatten keinen festen Grund hätten und im Sande /verlaufen würden.

Die Attraktivität des Themas steht jedoch in einem Mißverhältnis zur Möglichkeit, sich seiner mit wissenschaftlichen Mitteln zu bemächtigen. So einfach und greifbar nah, wie der Untersuchungsgegenstand nach der ersten Beschäftigung zu sein scheint, so kompliziert und vielschichtig zeigt er sich dann, wenn man über die bloße Feststellung auffälliger Einzelheiten zum schlüssigen Vergleich und zu erziehungswissenschaftlichen oder bildungspolitischen Konsequenzen vorstoßen will. Die Gefahr voreiliger, verallgemeinernder Rückschlüsse ist groß. Das Schulbuch ist nur eine von vielen Komponenten des Unter-richts und des schulischen Gesamtsystems, das seinerseits in die wissenschaftlichen und politischen Tendenzen der Zeit eingeflochten ist. Im Lehrbuch bündeln sich gleichsam ausgedehnte und verschiedenartige Zusammenhänge, so daß eine besondere methodologische Schwierigkeit darin besteht, exakte Ergebnisse zu erarbeiten, ohne diese das Lehrbuch tragenden Sach-und Sinnbezüge außer acht zu lassen oder — in umgekehrter Richtung — weiter zu extrapolieren, als die Detail-ergebnisse es erlauben. Angesichts dieser Situation erscheint es zweckmäßig, vor dem Vergleich als solchem die methodischen Möglichkeiten komparatistischer Studien über Schulbücher kurz zu überdenken.

Zweckmäßig erscheint eine erste Grobaufteilung des komplexen Gesamtgebietes in „horizontale" und „vertikale" Untersuchungen, wie sie von Sattler und anderen vorgeschlagen wird Die horizontale Analyse beschäftigt sich mit Schulbüchern in ein und derselben Zeit, die vertikale Analyse ist historisch orientiert und verfolgt die Entwicklung eines Schulbuchs im Ablauf eines bestimmten Zeitabschnitts. Kombinierte Formen sind möglich und zuweilen, bei entsprechenden Fragestellungen, auch notwendig. Die vorliegende Studie gehört eindeutig und ausschließlich zur ersten Gruppe von Analysen. Sie vergleicht Schulbücher, die gegenwärtig in verschiedenen Schulen Europas Verwendung finden. Die Auswahl der Schulbücher war abhängig von praktischen Gegebenheiten und damit mehr oder weniger zufällig Das kann insofern zu Ungenauigkeiten führen, als die Schulen bei uns unterschiedliche Schulbücher verwenden und darüber hinaus oft mit älteren Auflagen arbeiten, obwohl Neubearbeitungen oder Neuerscheinungen schon vorliegen. Die Differenz zwischen den Erscheinungsdaten der verglichenen Bücher ist jedoch gering und kann das Untersuchungsergebnis im ganzen nicht wesentlich beeinflussen. Die durch die willkürliche Auswahl entstehende Ungenauigkeit bleibt unter Kontrolle, da andere ergänzende Untersuchungen vorliegen, die sämtliche Schulbucharten einer bestimmten Gattung kritisch überprüft haben, z. B. die zahlreichen Studien über Lesefibeln (vgl. unten Teil IV).

Im Unterschied zu dem oft praktizierten Verfahren, Schulbücher der Deutschen Demokratischen Republik mit Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen oder den Vergleich auf einige westdeutsche Bundesländer zu begrenzen (vgl. Kühnl und Sie-bert in Anm. 8, Anweiler und Wehnes in Anm. 16), ist der geographische Rahmen des Vergleichs hier relativ weit gesteckt: Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion (im folgenden UdSSR) sind Gegenstand der Analysen. Damit ist jedoch nur die Tendenz angedeutet, in der sich vergleichende Schulbuchanalysen bewegen sollten, wenn sie ihre produktiven Möglichkeiten voll ausschöpfen wollen. Neben Detailstudien über Schulbuchtypen, die relativ eng miteinander verwandt sind, muß es Untersuchungen geben, die das weit Auseinanderliegende und ganz Verschiedene erfassen, weil nur so der eigene Standort bewußt und Innovation stimuliert werden kann. Die Verdienste Sattlers auf dem Gebiet der Schulbuchforschung sind unübersehbar doch seine Untersuchungen haben insofern begrenzte Aussagekraft, als sie, inspiriert vom Forschungsprogramm des Europarates, nur westeuropäische Länder und die Vereinigten Staaten berücksichtigen. Das eigentlich interessante Element liegt nach unseren Erfahrungen in der prinzipiellen Anders-artigkeit der Schulbücher sozialistischer Länder. Doch auch der Vergleich mit Schulbüchern aus der Dritten Welt könnte zu einem die gewohnten Denkbahnen in Frage stellenden Ergebnis führen. Hier bleibt viel Arbeit zu leisten.

Für die Methode im einzelnen ist mit der globalen Aufteilung des Gebiets in horizontale und vertikale Untersuchungen noch nicht viel gewonnen. Weitere Präzisierungen sind notwendig. Wenn man unter diesem Aspekt die bereits vorliegenden Schulbuchanalysen überprüft, wird man feststellen, daß sie überwiegend, ob „horizontal" öder „vertikal" konzipiert, auf Inhalte konzentriert sind. Das ist jedoch eine thematische Eingrenzung, die vom Erkenntnisinteresse her nicht zu rechtfertigen ist. Für den effektiven Einsatz eines Schulbuches ist, wie man weiß, das didaktische Gefüge (Illustrationen, Orientierungshilfen, Informationsstruktur, Stil und andere Komponenten) von entscheidender Bedeutung, was alle Schulbücher produzierenden Institutionen wissen und zu berücksichtigen versuchen. Mehrere in verschiedenen Ländern initiierte empirische Untersuchungen bezeugen das gemeinsame Interesse an diesem Problem Trotzdem gibt es keine Arbeiten, die das didaktische Gefüge verschiedener Lehrbücher vergleichen und damit wissenschaftlich qualifizierte Aussagen über deren pädagogische Wirksamkeit vorlegen. Der hierzu notwendige Forschungsaufwand wäre allerdings beträchtlich; er kann von einzelnen nicht geleistet werden. Auch die vorliegende Untersu-chung wird sich, zumal sie sehr bescheidene Ansprüche hat (vgl. die Angaben über ihre Entstehung zum Schluß dieses Abschnittes), mit der Bearbeitung von Inhalten begnügen müssen.

Ein anderer Mangel in der Schulbuchforschung ist bei der Auswahl der Bereiche festzustellen. Groß ist die Zahl der Analysen über Geschichtsbücher. Das liegt vor allem an dem Arbeitsschwerpunkt des Internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig dessen vornehmliche Aufgabe es ist, an der Revision eines durch den Nationalsozialismus pervertierten, in Schulbüchern sich darstellenden Geschichtsbewußtseins zu arbeiten und internationale Absprachen über die Konzeption von Geschichtsbüchern zu fördern. Aber auch das in den letzten Jahren ansteigende Interesse am vermeintlichen oder wirklichen Ideologiegehalt im Schulunterricht der Bundesrepublik vermehrte die Publikationen über Geschichtsbücher, da die Geschichte der Ideologie am stärksten unterworfen zu sein scheint (vgl. im einzelnen Teil II, insbesondere Anm. 8). Zahlreich sind ebenfalls die Publikationen über das Lesebuch, doch „horizontal" vergleichende Analysen, die über die Bundesrepublik Deutschland hinausgehen, sind hier schon eine Seltenheit (Teil IV). In kaüm erschlossenes Neuland stößt man schließlich vor, wenn man die naturwissenschaftlichen Fächer und ihre Lehrbücher vergleichen möchte. Die Aufnahme von Biologie-Schulbüchern in den Vergleich (Teil III) ist als Beitrag zur Überwindung dieser thematischen Enge zu verstehen.

Eine weitere wichtige thematisch-methodische Entscheidung beim Vergleich von Schulbüchern ist die über Offenheit und Geschlossenheit des Frageansatzes. Nichts spricht prinzipiell dagegen, zwei Lehrbücher, die etwa denselben Adressatenkreis und dieselbe Thematik ansprechen, nebeneinanderzulegen und ohne präzise Fragestellung vergleichend zu analysieren. Man kann sogar ganze Lehrbuchgruppen dem Vergleich zugrunde legen, zum Beispiel die Physik-Lehrbücher der 7.

und 8. Klassen oder die englischen Sprachbücher der Oberstufe. Je unspezifischer und offener diese Vergleiche sind, um so ungenauer sind jedoch auch ihre Ergebnisse. Daher ist auch der präzisierte, geschlossene Vergleich als methodische Möglichkeit zu erwägen. In diesem Fall richtet man ganz bestimmte Fragen an die Lehrbücher, etwa folgender Art:

Gibt es in den Erdkundebüchern der Mittelstufe Angaben über wissenschaftlich umstrittene Themen, zum Beispiel die Kontinental-verschiebung oder die Entstehung von Vulkanen? Welche Bedeutung wird dem Darwinismus zugemessen? Welche Daten und Namen der Wissenschaftsgeschichte werden er-* wähnt? Enthält das Buch vorformulierte Kontrollfragen? Welches Anschauungsmaterial ist ausgewählt? Welche Spezialbegriffe werden verwandt? Wie werden sie eingeführt und eingeprägt? Der Fragenkatalog macht deutlich, daß man auf diese Weise sowohl die inhaltliche als auch die didaktische und lernpsychologische Seite des Lehrbuches analysieren könnte. Auf der Skala zwischen unstrukturiertem Globalvergleich und vorstrukturiertem Detailvergleich stehen die folgenden Untersuchungen dem ersten der genannten Pole näher. Es gab keine vorgegebenen Fragestellungen, die den Gang der Untersuchungen von vornherein in eine bestimmte Richtung lenkten. Diese ergab sich vielmehr aus der Eigenart der verschiedenen Darstellungen.

Ein besonderes Problem sind die oft unausgesprochenen Fragen und Wertungen, die an die Lehrbücher herangetragen werden und die die Interpretationen einengen oder vorprägen. Es gibt nicht wenige Schulbuchuntersuchungen, die alles an der Elle einer vorgegebenen Theorie oder eines bestimmten politischen Anspruches messen. Es gibt andere Arbeiten, die den politischen Anspruch gleichsam unterlaufen und statistisch Einzelfeststellungen aneinanderreihen. Das eine wie das andere ist wenig befriedigend. Der Verfasser war zunächst bemüht, die Schulbücher, indem ihre gesellschaftspolitisch bedingte Verschieden-artigkeit ins Blickfeld gerückt wird, für sich sprechen zu lassen. Es wäre gleichwohl borniert zu behaupten, daß die politische Perspektive des Verfassers somit überhaupt keinen Einfluß auf den Arbeitsgang und die verallgemeinernden Schlußfolgerungen gehabt hätte. Wenn weiter unten einige didaktische und gesellschaftspolitische Vorzüge der so-wjetischen Lehrbücher benannt werden, ohne gleichzeitig — das wäre absurd — die emanzipatorischen Tendenzen im eigenen Bereich zu übergehen, ist das Fundament angedeutet, auf dem die Aussagen aufbauten: Verzicht auf affirmative Bestätigung der bestehenden Verhältnisse bei uns, Verzicht auf pauschale Ablehnung des gesellschaftspolitischen Systems in sozialistischen Ländern, Suche nach einer „dritten" Lösung, die man — die Andeutung muß genügen — als einen an das Grundgesetz gebundenen, dessen faktisch-konkrete Einlösung jedoch weit übersteigenden demokratischen Sozialismus bezeichnen könnte.

Die Wurzeln des ganzen Aufsatzes liegen in einer universitären Lehrveranstaltung, die im Wintersemester 1973/74 an der Freien Universität Berlin stattfand Das Thema beschränkte sich auf den „Vergleich ausgewählter Schulbücher in der BRD und der UdSSR". Der Einbezug französischer Schulbücher ist also eine nachträgliche Erweiterung des ursprünglichen Arbeitsvorhabens. Dasselbe ist von der theoretischen Fundierung und Auswertung zu sagen. Im ganzen geht der Aufsatz jedoch nur unwesentlich über die vom Seminar tatsächlich erarbeiteten Ergebnisse hinaus. Den Studenten ist für ihre anregende Mitarbeit zu danken.

II. Die Französische Revolution in Schulgeschichtsbüchern der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und der UdSSR

Die Arbeit mit dem Lehrbuch hinterläßt beim Schüler, abgesehen vom Faktenwissen, einen Gesamteindruck, den man auch als Geschichtsbild oder Geschichtsbewußtsein bezeichnen mag, obwohl der Ausdruck eigentlich unzutreffend ist, da jenes bei den Schülern allmählich sich ausbildende, vom Glauben und Meinen durchzogene Denken zu großen Teilen unbewußt ist. Dieses Geschichts-* bewußtsein ist das Ergebnis eines Zusammenwirkens zahlreicher und verschiedenartiger Einzelinformationen und informativer Gesamt-strukturen, zu denen unter anderem die relativ einfach feststellbaren inhaltlichen Akzentuierungen gehören. Man kann sie durch den Vergleich von Auswahl und Gewichtung der Ereignisse ermitteln, aber auch durch den Vergleich der in den Schulbüchern genannten und kommentierten Personen. hon nach flüchtiger Durchsicht des Matelis fällt auf, daß beispielsweise Graf Miraau, der bekannte Vertreter des dritten andes, in den sowjetischen Lehrbüchern cht erwähnt wird (I), während ihm die deuthen Lehrbücher teils kurze, teilweise auch agere Abschnitte widmen, In zwei Ereignissammenhängen halten die deutschen Lehricher Mirabeau für wichtig: Erstens bei den iseinandersetzungen zwischen König und ittem Stand in den Monaten Mai und Juni 89, deren Kulminationspunkt der überall, ich im sowjetischen Lehrbuch erwähnte chwur im Ballhaus" ist; zweitens bei der klärung der Menschenrechte und der Abhaffung der Standesprivilegien im August sselben Jahres.

irabeau wird zuerst als Wortführer des litten Standes vorgestellt, der den Absolutisus entschieden ablehnt und den Drohungen s Königs persönlich entgegentritt. Den sojetischen Lehrbüchern scheint hier die Ein-

Iperson nicht wichtig zu sein; sie begnügen ch damit, die Bewegung des dritten Standes s einer in sich einigen und geschlossenen ruppe darzustellen. Einen besonderen Wort-

ihrer zu nennen, wird nicht für nötig eracht.

Mirabeau wird sodann als Verteidiger ei-r konstitutionellen Monarchie präsentiert, is Vermittler zwischen Krone und Nationalrsammlung, der dank seiner Geisteskraft irchaus in der Lage gewesen wäre, die Vorige der alten und die der neuen Gesellhaftsordnung miteinander zu vereinen, der »er an der Kurzsichtigkeit beider Institutiom schließlich scheiterte. Doch auch hier ist s sowjetische Lehrbuch nicht an der Person iräbeaus interessiert. Seine politischen Ideen nd für die UdSSR, die einer Staatsform vischen Absolutismus und Republikanismus ine Existenzberechtigung zubilligen kann, ine Bedeutung.

ie deutschen Lehrbücher erwähnen ferner, i Unterschied zu den sowjetischen, die merikaner Washington und Franklin und en Franzosen La Fayette, offenkundig mit imer derselben Intention. Die Genannten nd Repräsentanten oder Vermittler amerikascher Freiheitsideale, Vertreter der durch e Französische Revolution proklamierten lenschenrechte. Die Menschenrechte werden doch in den sozialistischen Ländern, die ch dabei auf Marx berufen können, ganz aners beurteilt als bei uns. Sie sind nach marstischer Interpretation bestenfalls eine Zwi-thenstufe zur sozialistischen Gerechtigkeit nd in der damaligen geschichtlichen Situa) tion ein Mittel zur Unterdrückung der Lohnabhängigen durch die Kapitaleigner Die Geringschätzung der Menschenrechtserklärung wird im sowjetischen Lehrbuch gar nicht verschwiegen. Sie wird betont und begründet (S. 748). La Fayette gehörte, ähnlich wie Mirabeau, ins Lager der Konstitutionellen. Für die sowjetischen Autoren war er damit suspekt. Zumindest sahen sie keinen Anlaß, ihn gesondert zu erwähnen. Die sowjetischen Akzente liegen woanders.

Unter den Personen, die im sowjetischen Schulbuch vergleichsweise umfangreichen Platz beanspruchen, in den deutschen Lehrbüchern dagegen unerwähnt bleiben, ist an erster Stelle der französische Landpfarrer Meslier (1664— 1729) zu nennen. Er habe, so heißt es, den Armen geholfen, er sei gegen die Unterdrückung durch Kirche und König und für die Abschaffung des Privateigentums eingetreten, vor allem in seinem Testament, das somit als Markstein in der Entwicklung der progressiven Kräfte zu werten sei. Die Schilderung umfaßt knapp zwanzig Zeilen. Das ist für ein Lehrbuch relativ viel. Um über Meslier aus westlicher Quelle mit ähnlicher Ausführlichkeit unterrichtet zu werden, muß man schon zu den großen französischen Nachschlagewerken greifen.

Besonders auffällig sind ferner bei der Durchsicht der im sowjetischen Lehrbuch erwähnten Personen die Namen Bara und Viala (in der sowjetischen Transkription ungenau als „Villa" vermerkt), die in allen deutschen Lehrbüchern fehlen. Auch in dem beträchtlich ausführlicheren französischen Lehrbuch, das weiter unten kommentiert wird, fehlen Meslier, Bara und Viala. Die beiden Jungen -— der eine war 13, der andere 14 Jahre alt — hatten sich bei den Kämpfen zwischen republikanischen Truppen und königstreuen Verbänden in der Vende durch große Tapferkeit ausgezeichnet und ihr Leben 1793 für die Sache der Republik geopfert. Eine fast ganzseitige Zeichnung, die den kleinen Bara in den Händen der mordgierigen, mit Säbeln bewaffneten königstreuen Soldaten zeigt, verstärkt die zur Identifikation auffordernden schriftlichen Angaben durch ihre suggestive Bildhaf-* tigkeit. Geht man der Relevanz dieser vom sowjetischen Lehrbuch berücksichtigten Vorgänge nach (z. B. anhand von „La Grande Encyclopedie, Paris 1953), wird man feststellen müssen, daß der Kampfes-und Opfermut der beiden Knaben bei den Franzosen jener Zeit tatsächlich ungeheures Aufsehen erregt hatte, so daß die anfänglich naheliegende Vermutung, die Sowjets hätten zur Illustration des von ihnen gewünschten heroischen Patriotismus ein ganz entlegenes Ereignis ausgewählt, keineswegs zutrifft.

Die Auswahl der Lehrbuchstoffe ist also nicht nur ein historiographisches und didaktisches Problem (als solches ist es hinreichend erörtert worden), sondern auch eine politische Entscheidung. Das zeigt der Vergleich durch die bloße, politisch unbeeinflußte Konfrontation des Materials. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob der Schüler mehr über den Grafen Mirabeau, seine konstitutionellen Ideen und rhetorischen Künste oder mehr über den kindlichen Patriotismus der republikanisch engagierten Bara und Viala erfährt. Nicht erst die Interpretation der Ereignisse, schon ihre Auswahl beruht auf unterschiedlichen Parteinahmen. Hier liegt ein entscheidendes Problem der Geschichtsdidaktik, das bisher nur mangelhaft geklärt ist

Die Art der unterschiedlichen Parteinahme wird auch bei den Angaben über jene Ereignisse und Personen deutlich, die sowohl in den deutschen als auch in den sowjetischen Lehrbüchern behandelt werden, unter anderem also bei der „Diktatur" der Jakobiner —• so übereinstimmend überall genannt — u:

bei Robespierre. Die Jakobiner sind im sowj tischen Lehrbuch die Retter der Revolutic die Girondisten dagegen Feinde und Verrät« Was das Großbürgertum während der vi Jahre ihrer Regierung nicht geschafft hat nämlich den Bauern Landerwerb zu ermög chen, das hätten die Jakobiner in kürzest Zeit erreicht. Das „Dekret gegen die Verdäc tigen" wird folgerichtig verteidigt und g rechtfertigt. Die „Volksmassen" hätten b der Durchführung des durch die Umstände e zwungenen Dekrets geholfen. Robespier wird das große Verdienst zugeschrieben, d Interessen der Revolution mit denen des V terlandes vereint zu haben (womit man rec gut die seit Stalin gültige Konzeption vc „Sowjetpatriotismus" historisch begründ« kann). Das sowjetische Lehrbuch verteidi im übrigen die Linie der „linken" Jakobin (Hebert, Chaumette u. a.), die zusammen n radikalen Gruppierungen wie den „Enrage unter Jacques Roux den Volksmassen a nächsten gestanden und deren Interessen a heftigsten verfochten hätten. Der 9. Thermid sei somit als Schlag der Konterrevolution : verstehen, die durch die inkonsequente He tung der „rechten" Jakobiner (an ihrer Spit: Danton) vorbereitet worden sei.

Der sowjetischen Darstellung am nächste liegt, wenn von „Nähe" oder Verwandtsche überhaupt noch die Rede sein kann, das v allem in Berliner Schulen benutzte Lei buch von Klett (Menschen in ihrer Ze Bd. 5). Der „Terror" wird hier zwar nicht g billigt, aber er wird als Notwehrmaßnahn einer in Bedrängnis geratenen, von Schwai händlern bedrohten Regierung einsichtig g macht. Robespierres Sturz wird jedoch au bei Klett in der für die deutschen Lehrbüch typischen psychologisierenden Art darg stellt. Er habe sich in der Rolle des Heilsbri gers gefallen, heißt es. Wäre er nur etw maßvoller und demokratischer gewesen — d sen Gesamteindruck hinterläßt die Lektüre -dann hätte die Revolution ihren Fortga nehmen können. Das ist im ganzen also c glatte Umkehrung der sowjetischen Interpi tation, die den Mangel an Entschiedenh und Radikalität beklagt. U Die anderen deutschen Lehrbücher, die c vergleichenden Analyse zugrunde lagen (v den Anhang), sind in diesem Punkte noch i differenzierter und damit auch suggestiv Sie bieten den Schülern das Bild eines fane sierten, nur ioch die eigene Meinung an kennenden, mordsüchtigen Diktators, geg len sich schließlich die allgemeine Abscheu rhoben habe. Die deutschen Lehrbücher erEiehen demnach, alles in allem, zur Mäßijung, zur Zurückhaltung, zur verinnerlichten Abscheu vor Gewalt. Unkontrolliert agierenle Volksmassen werden recht geringschätzig jeurteilt; vor ihnen hält sich der besonnene Bürger zurück. Man könnte das als Erziehung ur Anerkennung der bestehenden Zustände jezeichnen, denn grobe Mißstände lassen sich lurch maßvolles Einwirken und durch blindes Vertrauen in eine umsichtige Führung schwer-ich ändern.

m sowjetischen Lehrbuch ist die Lage komplizierter. Es erzieht zunächst — das muß beont werden — mit einsichtigen Argumenten, ) hne historische Verfälschungen, zur Partei-lahme für die vom Unrecht Betroffenen und tur Parteinahme für jene, die das Unrecht am adikalsten bekämpft hatten. Das wäre im yroßen und ganzen zu akzeptieren, zumindest ils historiographische Möglichkeit zu diskuieren, auch von einem „bürgerlich" liberalen Standpunkt aus, wenn nicht der Gesamtzuammenhang, in dem das sowjetische Lehrjuch zu sehen ist, diesen Erziehungseffekt auf jesondere Weise deformieren würde. Auch ilie sowjetischen Schulbücher zwingen am [Ende den Schüler zur Anerkennung des beste-lenden Systems, zu einer bedingungslosen und absoluten sogar, denn sie betonen immer wieder der Einleitung, (in im laufenden Text ind in gesonderten Abbildungen), daß die ralikale Vertretung der Volksinteressen durch lie KPdSU übernommen worden sei, daß also lie entschiedene Parteinahme, die im Lehrauch den linken Jakobinern gilt, nun der sovjetischen Staats-und Parteiführung zu gelen habe. Jeder Widerstand ist demnach ausyeschlossen, er wäre Engagieren unsinnig.

rann sich der Schüler fortan nicht mehr geyen Unrecht, wie er es selbst wahrnimmt, sondern nur für die Partei, da sie das Unrecht am wirksamsten bekämpft.

Das den Zeitraum von 1789 bis 1848 behanlelnde französische Lehrbuch von Monnier ind Jardin könnte als dritter Vergleichsgegenstand abgelehnt werden, mit der Begründung, laß dem Thema hier ein ungleich größerer Platz zur Verfügung stehe (rund hundert Seien im Vergleich zu knapp vierzig im sowjetischen und rund zwanzig Seiten im deutschen, lie Unterschiede im Seitenformat nicht mitgeechnet), daß ferner dieses Lehrbuch für die Dberstufe vorgesehen sei und daher also ein Vergleich wegen gravierender struktureller Unterschiede nicht sinnvoll wäre. Die Unterschiede zwingen zweifelsohne zur Vorsicht. Da hier aber keine quantifizierenden Vergleichsanalysen, sondern inhaltliche Grundstrukturen erarbeitet werden sollen, ist der Vergleich nicht von vornherein ausgeschlossen. Das auffälligste und durch die Länge der Darstellung noch zusätzlich profilierte Merkmal des französischen Lehrbuches ist das ausgewogene Bemühen, allen betroffenen geschichtlichen Gruppen und Einzelpersonen gerecht zu werden. Dieses Bemühen konnte schon in den deutschen Lehrbüchern registriert werden. Aber die. Realität blieb hier, bedingt zum Teil durch die Enge des zur Verfügung stehenden Raumes, hinter dem Anspruch mehr oder weniger weit zurück, während das französische Lehrbuch dem hohen Anspruch gerecht wird, in raschem Wechsel verschiedene Interessen mit gleicher Intensität vorzustellen und einsichtig zu machen.

Die im Nationalkonvent von 1793 agierenden Parteien werden beispielsweise ohne jegliche Wertung, in distanzierter Neutralität charakterisiert, so daß der Schüler zu wählen hat (S. 96). Wenn ein ergänzendes Unterrichtsgespräch hier keine bewußte Stellungnahme provoziert, wird er nach den bereits verinnerlichten Normen entscheiden — für die „Heberfisten", wenn er selbst antichristlichen und plebiszitären Vorstellungen anhängt, für die „Nachsichtigen" hingegen, wenn er das Einlenken und die bürgerliche Toleranz vorzieht. Eine ähnlich parallel angelegte und gleichgewichtige Beurteilung erfahren zwei weitere Interessengruppen, deren Zielsetzungen und Handlungsräume nur selten identisch sind: die revolutionäre Regierung und die soge-nannten, spontan reagierenden oder organisiert auftretenden „Volksmassen". Welcher Schüler wollte den letztgenannten seine Sympathie verweigern, wenn es heißt, daß sie unter ihrem Anführer, dem vom sowjetischen Lehrbuch so positiv beurteilten, vom deutschen Lehrbuch verschwiegenen Jacques Roux, eine Besteuerung der Reichen, die Beschlagnahme der Lebensmittel und wirksame Hilfe für die Armen gefunden hätten (S. 83)? Wer würde nicht bedauern, daß das Volk, wie es ausdrücklich heißt (S. 105), nach den Germinal-und Prairialaufständen von 1795 von jeglicher Einflußnahme bis 1830 ausgeschaltet wurde I Doch für die Regierung wird ebenfalls mit großem Geschick geworben, vor allem dann, wenn sie energisch wurde und die revolutionären Errungenschaften gegen die Anfeindungen von links und rechts zu verteidigen wußte (vgl. S. 90 und 95). Bei besonders heiklen Fragen, zum Beispiel der vom Konvent beschlossenen Hinrichtung Ludwigs XVI., tritt der Lehrbuchautor ganz zurück. Er überläßt die Begründung Robespierre, der des Königs Kopf nicht wegen einer formaljuristischen Gerechtigkeit, sondern wegen des berühmt-berüchtigten „salut public" forderte (S. 80). Das Lehrbuch soll für alle und alles Verständnis vermitteln, sowohl für die königs-treuen aufständischen Bauern der Vende als auch für ihre republikanischen regierungstreuen Gegner, um auf den wichtigsten Punkt der vorigen Analyse zurückzukommen. Grausamkeiten wurden auf beiden Seiten verübt, heißt es ausdrücklich (S. 83). Der Zurückhaltung bei politischer Stellungnahme entspricht eine historiographisch theoretische Zurückhaltung, denn es heißt bezeichnenderweise nirgends, trotz ausführlicher Schilderungen über das vorrevolutionäre Frankreich, daß die Revolution unter den gegebenen Umständen kommen »mußte''(wie in den sozialistischen Lehrbüchern), sondern daß die verschiedenen Maßnahmen und Zustände ein der Revolution „günstiges Klima" geschaffen hätten.

Wie und zu welcher Gestalt bildet sich der historische Sinn beim Schüler, wenn er in der

Fülle gleichwertiger Fakten keinen durchgehenden Entwicklungszug und keine Brücke zur Gegenwart, keine Orientierungshilfen zur eigenen Positionsbestimmung und keine Identifikationsangebote erkennen kann, wenn ihm die Geschichte als Schauspiel von beängstigender Vielfalt dargeboten wird, das man betrachten, aber nicht verändern kann? Der Vergleich mit dem sowjetischen Lehrbuch ist es, der diese Fragen provoziert. Die Geschichtswissenschaft bedarf der Theorie: das stellen inzwischen auch jene Historiker des Westens fest, die keiner geschlossenen Geschichtsauffassung wie der marxistischen fol-1 gen und daher von manchem als bürgerlich oder konservativ bezeichnet werden Es gibt kaum einen besseren Beleg für dieser Bedarf als das eben besprochene französische Schulgeschichtsbuch. Technisch und didak tisch hervorragend ausgestattet, sorgsam konzipiert und methodisch durchdacht, ist es doch eine Illustration jenes von Valery ver tretenen historischen Nihilismus, der behaup-, tet: „Die Geschichte rechtfertigt, was mar, will. Sie lehrt, streng genommen, gar nichts denn sie enthält alles und gibt Beispiele fü: alles."

III. Die „Biologie des Menschen" in Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und der UdSSR

So wie es letztlich nicht möglich ist, einzelne geschichtliche Fakten in einem Sinnzusammenhang zu ordnen, ohne dabei gleichzeitig ein bestimmtes, politisch durchwirktes Geschichtsbewußtsein zu vermitteln, so ist es offenbar auch nicht möglich, Fakten über Entwicklung und Funktionsweise des menschlichen Organismus zu präsentieren, ohne damit ein „Menschenbild" zu induzieren. Das kann als allgemeines Ergebnis des Vergleichs der verschiedenen Biologiebücher vorangestellt werden. Explikationen im einzelnen sind anhand verschiedener Angaben möglich. Beginnen wir bei zwei auffälligen inhaltlichen Akzentuierungen, bei der Vererbungslehre, die im deutschen Lehrbuch einen unverhältnismäßig großen Platz beansprucht, und beim evolutionären Aspekt der menschlichen Entwicklung, der im sowjetischen Lehrbuch vorherrscht. Schon der erste Einleitungssatz im sowjetischen Lehrbuch spricht aus, was dann im letzten Kapitel ausführlich und in verschiedenen Formen behandelt wird: Der Mensch ist ein neues Glied in der Millionen von Jahren umi fassenden Kette der Entwicklung alles Lebeni digen. Er teilt viele Züge mit anderen Lebe; wesen, aber unterscheidet sich auch von die; sen kraft seines Verstandes und seiner gesell schaftlich bedingten Verhaltensformen. Von der Urzelle bis zur Gegenwart gibt es ein durchgehende Linie, eine allmähliche, abe unaufhaltsame Aufwärtsentwicklung. Religic se Erklärungen sind zum Verständnis diese Linie nicht nur unnötig, sondern geradezu falsch, wird ausdrücklich vermerkt (S. 240 Die Gegenwart — und das ist eine bedeuter de Feststellung, die keine Entsprechung ii — leutschen Lehrbuch hat — ist eine Etappe in iem kontinuierlichen Aufstieg, der auch die etzigen Mängel überwinden und nach Ablauf biniger weiterer Generationen die kommunitische vollkommene Gesellschaft erreichen vird. Durch eine Art Zeitrafferverfahren, das Lie Menschheitsgeschichte verkürzt und antiipierend in die Zukunft verlängert, wird der Schüler in eine Fortschrittsbewegung gestellt, lie ihn gleichsam mitreißt, ob er will oder licht.

Das deutsche Lehrbuch von Linder und Hübler „Biologie des Menschen", Metzler, Stuttgart 9699) leugnet die Abstammung des Menschen /on pflanzlichen Organismen und Tieren keileswegs. Es bedient sich auch nicht der von len Sowjets prophylaktisch kritisierten Reli[ion, um das Auftreten des homo sapiens zu rklären. Aber die Verbindung des Menschen nit der übrigen Welt des Lebendigen erscheint im ganzen sehr lose. Von einer evoluionären Aufwärtsentwicklung, wie sie das sowjetische Lehrbuch betont, ist kaum etwas u entdecken. Der Mensch tritt als das vom Tier ganz Verschiedene auf, und zwar — was politisch wiederum von größter Bedeutung ist — in seiner heute feststellbaren, biologischen Form, die als das Endstadium der Entwickung vorgestellt wird. Daß er weiteren gesellschaftlichen Transformationen unterliegen cönnte, wird nirgends erwähnt oder überlegt.

Der deutsche Schüler wird demnach von der Gegenwart auf die Vergangenheit verwiesen ind dabei beiläufig mit den verschiedenen Entwicklungsstufen vertraut gemacht. Der sowjetische Schüler hingegen schreitet anhand les Lehrbuchs die Stadien der Entwicklung ab und fühlt sich aufgefordert, weiter voranzugehen. Wissenschaftlich gesehen sind, soweit der Laie das beurteilen kann, beide Lehrrpücher einwandfrei. Sie halten sich an die durch die Forschung erbrachten Befunde. Didaktisch und politisch gesehen haben die Lehrbücher jedoch nicht mehr viel miteinander geneinsam. Auswahl und Anordnung der Faken ergeben verschiedene Gesamtbilder.

Ein Blick auf die Darstellung der individuellen menschlichen Genese von der Geburt bis zum Tod bestätigt dieses Ergebnis. Auch hierbei betont das sowjetische Lehrbuch die allmähliche, stufenförmige Entwicklung, die von den einfachen Reflexhandlungen des Kindes zu den komplizierten Tätigkeiten des schöpferischen Verhaltens im Erwachsenenalter führt. Betont wird ferner der gesellschaftliche Bezugsrahmen dieser individuellen biologischen Entwicklung. Jedes physisch-psychi43 sehe Stadium wird einer gesellschaftlichen Institution zugeordnet: das Babyalter der Familie und der Krippe, das Kleinkindalter dem Kindergarten, das folgende Alter der Schule. Die bedeutende Rolle des geschulten Personals kommt hierbei zur Sprache. Wenn die Kindergärtnerinnen, so heißt es zum Beispiel, die Phantasie der Kinder richtig zu lenken wissen, entwickelten diese späterhin eine schöpferische Beziehung zur Arbeit (S. 242). Der Sportunterricht in der Schule diene der physisch-psychischen Ertüchtigung, die sowohl für den einzelnen als auch für die Gesamtgesellschaft unabdingbar sei, denn die zukünftigen Erbauer des Kommunismus müßten in jeder Hinsicht gesunde Menschen sein. Die Verbindung zwischen der Evolution der Menschheit und der individuellen Biogenese ist damit ausdrücklich wieder hergestellt.

Ein derartig enger Bezug zwischen dem biologischen Wachstum und jenen gesellschaftlichen Faktoren, die es beeinflussen könnten, ist im deutschen Lehrbuch nicht erkennbar. Das deutsche Lehrbuch trennt die der öffentlichen Gesundheitspflege gewidmeten Angaben in einem gesonderten Kapitel ab (S. 159 ff.), und auch die übrigen Kapitel stiften keine Verbindung zwischen Krippen, Kindergärten, Schulen einerseits und physisch-psychischer Entwicklung des Menschen andererseits. Sogar ein so weit gespanntes gesellschaftspolitisches Problem wie die Umweltverschmutzung wird individualistisch behandelt, mit Appellen an die Vernunft des einzelnen.

Das im Einleitungssatz erwähnte Menschenbild ist, pointiert zusammengefaßt, folgendermaßen strukturiert: Der Mensch im sowjetischen Lehrbuch entfaltet sich dank und im Rahmen einer als fruchtbar charakterisierten gesellschaftlichen Umgebung; er wächst so in die Fähigkeit kollektiven Denkens und Handelns hinein; die Gesellschaft nimmt ihn auf. Sie hilft ihm, er setzt sich für sie ein. Der Mensch im deutschen Lehrbuch wächst und gedeiht als einzelner Organismus nach bestimmten biologischen Gesetzmäßigkeiten, weitgehend unabhängig von der gesellschaftlichen Umgebung. Diese bleibt ein vom Persönlichen getrennter Bereich. Diese Unterschiede würden noch deutlicher in Erscheinung treten, wenn wir die Lehre von den Reflexen in die vergleichende Analyse einbezogen hätten. Sie spielt im sowjetischen Lehrbuch eine hervorragende Rolle, (S. 25 ff., 207 ff., 212 ff., 241), während sie im deutschen Lehrbuch nur beiläufig behandelt wird. Der Mensch im sowjetischen Lehrbuch wird somit als Wesen gekennzeichB net, das von den äußeren Reizbedingungen abhängt. Der Mensch im deutschen Lehrbuch ist ein Wesen, das sich willentlich selbst steuert (vgl. die oben genannten Appelle)

oder grundsätzlich festgelegt ist.

In den Abschnitten über die Vererbung ist die Gewichtung in den Lehrbüchern, wenn man sie mit den Abschnitten über Evolution und Reflexe vergleicht, genau umgekehrt. Das sowjetische Lehrbuch unterschlägt zwar keineswegs, daß es einige, jeder gesellschaftlichen Einwirkung trotzende Vererbungsmechanismen gibt, zum Beispiel jene, die Farbenblindheit und Hämophilie verursachen. Aber die Vererbung hat im ganzen der menschlichen Konstitution, dem sowjetischen Lehrbuch nach zu urteilen, keine große Bedeutung. Sie wird nur nebenher behandelt. Das deutsche Lehrbuch weitet die Vererbungslehre hingegen über viele Seiten aus. Die Ausführungen über die Mendelschen Gesetze zum Beispiel könnten universitäre Pro-seminare mehrere Sitzungen lang beschäftigen. Die Angaben sind jedoch nicht nur informativ, sondern geradezu suggestiv. Schon die Einleitung legt besonderen Wert auf die Feststellung, daß die Kinder „in ihrem Wesen in einzelnen guten oder schlechten Veranlagungen den Eltern nachschlagen. Wir wissen nämlich, daß nicht nur für die körperlichen Merkmale, sondern auch für viele geistige und seelische Eigenschaften die Anlagen von den Eltern auf die Kinder übertragen werden, so daß schon bei der Geburt der Grund gelegt ist, auf dem sie sich später entwickeln" (S. 4).

Diese Feststellung wird in späteren Abschnitten des Lehrbuchs (vor allem auf S. 159 ff.) mit großer Eindringlichkeit wiederholt und bekräftigt. Die Lehrbuchautoren verweisen auf spezifische Begabungen, die sich vererben (berühmtestes Beispiel: die Familie Bach), und bemerken analog dazu, daß Kinder aus Ehen zwischen Schwachsinnigen zumeist ebenfalls schwachsinnig werden. Sie bringen ferner die Ahnentafel des Dichters Ludwig Uhland, die ihnen „ein eindrucksvolles Beispiel für die Anhäufung und Vererbung hoher geistiger Begabung bietet" (S. 169), und sie erwähnen, bekräftigt durch beeindruckende Beispiele, daß sich Erbgut und Verhaltensmerkmale über Jahrhunderte halten können, selbst wenn sie in einigen Generationen nicht zum Ausdruck kommen. Es wäre übertrieben, zu behaupten, daß über die Rolle der sogenannten äußeren Einflüsse überhaupt nichts ausgesagt werde, doch diese Aussagen können in keiner Weise das Gesamtbild von einer, durch Vererbung iestgelegten, entweder be gabten oder unbegabten Menschen veränderr das sich dem Schüler bei der Lektüre diese Buches einprägen muß. „Entscheidend fü Körper, Geist und Charakter sind Erbanlagen sie bestimmen im wesentlichen, was aus ei nem Menschen wird", heißt es zusammenfas send. Oder noch prägnanter: „Sein Erbgut is sein Schicksal" (S. 175). Die anfangs erwähn ten ausführlichen Angaben über die Mendel sehen Gesetze untermauern den Gesamtein druck, denn sie bestätigen durch die Fülle de experimentell erbrachten Befunde, daß Erbar lagen in verschiedenen K* ombinationsforme übertragen werden. Wie bei Mäusen, Hüh nern oder Erbsen die Erbinformationen vo einer Generation an die andere weitergege ben werden, so pflanzen sich auch di menschlichen Anlagen fort. „Die Mende sehen Regeln gelten auch für den Menschen (S. 168), und zwar nicht nur in bezug auf Ar genfarbe und andere körperliche Merkmal« sondern auch im Hinblick auf seine geistig Konstitution.

Was den Sowjets die Lehre von den Reflexe und den äußeren Umständen ist, ist für di Deutschen die Lehre von der Vererbung. S kann man vereinfachend das Ergebnis de Vergleichs zusammenfassen. Es fällt nicht a unseren Gunsten aus, denn im Grunde wir hier, im deutschen Lehrbuch, eine Art Rasser lehre des Sozialen geboten, deren Kurzfas sung heißt: Es gibt kluge und es gibt dumm Menschen. Viel ändern kann man daran nie!

(vgl. die Originalzusammenfassung im Leh buch S. 176).

Die Einzelsätze im deutschen Lehrbuc mögen vorsichtig formuliert und wisset schaftlich unangreifbar sein. Niemand wir heute beispielsweise anzweifeln, daß bf stimmtes Erbgut sich genotypisch erhält un unvermutet in Erscheinung treten kann, nack dem es phänotypisch mehrere Generationei verschwunden war. Doch warum werden di« se Forschungsergebnisse so betont und nich jene anderen, die den entscheidenden Einflu der sozialen Umgebung auf die individuell Entwicklung nachweisen und ebenso richti sind? Auswahl und Zusammenstellung de Fakten können ein Menschenbild ergebe: das von dem der Nationalsozialisten nicht al zu weit entfernt ist!

Darüber hinaus sind viele Belege und Bewe se des Lehrbuches höchst kontrovers. Wr die Familie Bach als Beweis für die erbgenet sehe Übertragung bestimmter Fähigkeiten ai. hrt, unterschlägt eine Fülle von Forhungsergebnissen, denen zufolge nicht der zumindest nicht nur) die musikalische bmasse, sondern ebenso die spezifische So-tlalisation die Entwicklung bestimmt it Was wäre aus Mozart geworden, wenn bei den Eskimos gelebt hätte! Und was die Itäglichen „schlechten" Eigenschaften an? ht, die sich angeblich durch Vererbung von en Eltern auf die Kinder übertragen, so wisn wir inzwischen durch die Psychoanalyse, iß die Kinder viele Verhaltenszüge der Elirn kraft der suggestiven Wirkung des „Vorllds" verinnerlichen, daß es sich also um ein omplexes System von Identifikationen, In_pjektionen und Projektionen handelt, nicht oer um biologische Vererbung

Das französische Lehrbuch von Oria und Raffin, das genau denselben Titel hat wie das sowjetische Lehrbuch, nämlich „Anatomie, Physiologie, Hygiene", gibt auf die durch den bisherigen Arbeitsgang provozierten Fragen nach dem Menschenbild und der Bewertung von Erbe und Umwelt bei erster Durchsicht keine schlüssige Antwort, denn es ist ganz anders aufgebaut als das sowjetische und das deutsche Lehrbuch und bedient sich anderer Denkformen, so daß sich der Vergleich nicht mit der Feststellung der Denkinhalte begnügen kann. Was bei Oria und Raffin zuerst auffällt, ist der ausgeprägte Hang zur experimentierenden Wissenschaftlichkeit, die im deutschen und im sowjetischen Lehrbuch zwar auch vertreten, aber bei weitem nicht so stark akzentuiert ist Das Buch beginnt mit der Anweisung zur anatomischen Sektion eines Kaninchens und gründet einen Teil aller folgenden Ausführungen auf Beobachtungen und experimentellen Laborarbeiten mehr oder weniger komplizierten Inhalts. Dazu zwei Beispiele: „Nehmt Euch nach Desinfektion mit Alkohol einen Tropfen Blut vom Finger ab und stellt fest, was Ihr an dem Bluts-tropfen unter dem Mikroskop beobachten könnt", heißt es einleitend im Kapitel über das Blut (S. 98 ff.). „Schließt die Augen. Drückt die Hände kräftig auf die Ohren. Was geschieht mit Euren Verbindungen zur Außenwelt? Im ersten Fall? Im zweiten Fall?", heißt die erste Arbeitsanweisung im Kapitel über das Funktionieren des Nervensystems (S. 48 ff.). Das französische Lehrbuch will, dem Geschichtsbuch durchaus ähnlich, exakte und komprimierte, alle Gebiete gleichermaßen berücksichtigende wissenschaftliche Informationen vermitteln, wobei die selbständig forschende Denkbeteiligung des Schülers bewußt und mit didaktischem Geschick einbezogen wird (vgl. Einleitung des Lehrbuchs, S. 2). Hervorragendes Bildmaterial, das vielseitiger ist als das technisch vergleichbare Bildmaterial im deutschen Lehrbuch, da es auch Abbildungen von technischen Apparaturen und den vorab erklärten Experimenten enthält, schafft weitere Möglichkeiten und Anregungen zur gründlichen Arbeit.

Ein Schüler, der diesen in der Schule begonnenen Weg aus eigener Kraft fortzusetzen versuchte, würde sich auf ein beharrliches Zusammentragen einzelner Fakten einrichten, ein Verfahren, das man „positivistisch" zu nennen pflegt. Er würde in der Annahme arbeiten — und damit stoßen wir auf das nicht sofort erkenntliche „Menschenbild“ —, daß er eines Tages in den Verästelungen der Nervenstränge und Zellsysteme die Seele ebenso dingfest machen kann wie den Verdauungsvorgang. Der Mensch ist ein kalkulierbares Funktionssystem, lernt der Schüler alles in allem nach der Lektüre dieses Lehrbuches, Dieser Aspekt verbindet es mit dem sowjetischen Lehrbuch. Im Unterschied zu diesem beschäftigt es sich im übrigen jedoch weniger mit den Reizbedingungen, die das Funktionssystem für eine gedeihliche Entwicklung braucht, als mit den Störfaktoren, vorab mit Mikroben und Bazillen und den Mitteln zu ihrer Bekämpfung. Das französische Schulbuch ist auffallend stark an der medizinischen Wissenschaft orientiert; als Mediziner weist sich auch einer der beiden Lehrbuchverfasser im Titelblatt aus. Die sozialpolitische Dimension der menschlichen Biologie wird kaum berücksichtigt; hierin ist das französische Lehrbuch mit dem deutschen verwandt. In den Angaben über den Alkoholismus, den das französische Lehrbuch im Unterschied zu den beiden anderen Büchern in einem gesonderten Kapitel behandelt (S. 170 ff.), werden die wirtschaftsund sozialpolitischen Gründe des Alkoholismus zwar nicht ausgeklammert, aber die beiden Seiten (175-176) haben im Gesamtzusammenhang des Lehrbuchs kein Gewicht. Sein Charakter ist ein wissenschaftspropädeutisch medizinischer. Was Kritik oder Deutung sein und weitere Verbindungen stiften könnte, bleibt fast vollständig ausgespart.

Uber das große Gebiet der Vererbung, die durch die vergleichende Analyse des deutschen und des sowjetischen Lehrbuches in den Mittelpunkt des Interesses gerückt war, findet man im französischen Lehrbuch so gut wie keine Angaben. Das liegt zum Teil an der skizzierten Grundkonzeption, die dem Gebot der wissenschaftlichen Spezialisierung gefolgt ist und den menschlichen Organismus nicht unter dem Aspekt seiner Entstehung, sondern nur unter dem seines gesunden oder kranken Funktionierens im Erwachsenenstadium behandelt. Zum Teil ist auch der Lehrplan Ursache für die Auslassung, denn Vererbungslehre und Evolution gehören zum Stoff der Oberstufe, so daß wir uns an die entsprechenden Lehrbücher wenden müssen, wenn wir erfahren wollen, wie französische Lehrbuchautor das Problem behandeln.

Die Lehrbücher von Benard, Galletti und ane ren Mitarbeitern enthalten in der Tat länge Kapitel über die Vererbung. Die Mendelsch Gesetze sind mit ähnlicher Ausführlichkeit v im deutschen Lehrbuch behandelt, sogar c modernen Forschungsergebnisse über die I deutung der Chromosomen im Vererbungspi zeß finden ausführlichere Berücksichtigung. E Vergleich zwischen den thematisch sich e sprechenden Abschnitten im deutschen und französischen Lehrbuch zeigt jedoch mit gi ßer Eindringlichkeit, daß die Darbietung di selben Fakten in ungefähr derselben Ausfül lichkejt keine Parallelität der Aussagen (währleistet. Während das deutsche Lehrbu von den Mendelschen Gesetzen zur Familie forschung und Ahnentafel, zu erblichen M bildungen und zur Vererbung hoher geistic Begabungen überleitet und so im ganz (trotz wiederholter Beteuerungen, daß m das Auftreten erblicher Eigenschaften für (Nachkommenschaft des Menschen nicht I Sicherheit voraussagen könne) eine gerade schicksalhafte Bedeutung des Erbgutes h ausarbeitet, betont das französische Lehrbu daß die Vererbung beim Menschen eine A Lotteriespiel sei, wo Wahrscheinlichkei rechnungen, aber keine sicheren Voraussag möglich seien (vgl. S. 318 und 324). Erbkrai heiten werden im Vergleich zur Gesamtme ge des Stoffes nur sehr kurz behänd (S. 335), und die diesem Abschnitt voraus hende Seite erinnert an die Erkenntnisgre zen des wissenschaftlichen Ansatzes gene scher Forschung, die alle Mechanismen (Lebendigen „auf molekularem Niveau" unt suche, Bakterie und Elephant also unter e und derselben Fragestellung begreife und mit über spezifische menschliche Daseinsf men nur begrenzte Aussagen machen kör (S. 334). Das alles wird beim französisch Schüler zu einem anderen Lernergebnis ft ren als beim deutschen. Absolute Aussag dazu sind freilich unmöglich, weil der Schü — wie in der Einleitung bereits angedeutet durch mehr als durch dieses eine Lehrbu unterrichtet wird. Schon die Auswertung • deutschen Oberstufenlehrbuches zur all meinen Biologie von Linder, das dem fran sischen Lehrbuch von Benard-Galletti in A spruch, Aussage und Anwendungsbere entspricht, würde zu neuen Ergebnissen f ren, denn die Vererbung ist hier im gan? viel umsichtiger dargestellt als im humant logischen Lehrbuch desselben Verlages.

IV. Lesebücher für den Elementarunterricht in Schulen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und der UdSSR

Eine ganzheitliche, alle inhaltlichen und, soweit möglich, auch didaktischen Einzelelemente umfassende Betrachtung des Schullehrbuches scheint geboten, wenn man sich den Unterrichtsmaterialien der Elementarstufe zuwendet. Da es in den ersten Klassen eine an der Wissenschaftssystematik orientierte Fächeraufteilung und Unterrichtsplanung noch nicht gibt, da der Unterricht ganzheitlich erteilt wird, zumeist von nur einem Lehrer, und .der Lernstoff innerhalb einer Zeiteinheit von etwa zwei Jahren verschieden gruppiert wird, würde es zu irrigen Ergebnissen führen, wenn man nur ein bestimmtes „Thema" in zwei oder mehreren Lehrbüchern vergliche, zum Beispiel die in allen Fibeln vertretenen Tier-geschichten. Angesichts der Tatsache, daß die Schüler in der UdSSR bei der Einschulung ein Jahr älter sind als die Schüler in der Bundesrepublik und der Anfangsunterricht dort zumeist intensiver und planvoller betrieben wird als hier muß man darüber hinaus Vorsicht üben beim Vergleich von zwei Lese-büchern in einer gegebenen Jahrgangsstufe, oda die. dritte Klasse in der Bundesrepublik das bringen könnte, was in der UdSSR schon ’ für die zweite Klasse vorgesehen ist

Auffällig an dem deutschen Lesebuch von M Klett für die zweite Klasse, von dem wir ausgehen wollen, ist die groiie Anzahl von spielerisch, spaßig unterhaltsamen Geschichten und Gedichten. Von Murks, dem Schwein, ist zu lesen, das auf einem „Radelrutsch" nach Schweinfurt will, von der Mutter aber gewarnt wird, da in Schweinfurt alle Schweine furt kämen (S. 10); von Tante Trude Trippelstein, die nicht viel vom Sonnenschein hält, weil sie — wie der Schüler in der letzten Strophe erfährt — Regenschirmverkäuferin ist und bei Sonnenschein keine Geschäfte macht (S. 45); selbstverständlich auch von Kasper und Seppel. Lustige Abzählverse kann der Schüler lernen: „Eins zwei drei vier fünf sechs sieben, eine alte Frau kocht Rüben ..." (S. 13). Auch Wortspiele sind häufig.

Die Komponente des Sprachspiels und der Unterhaltung ist oft verbunden mit einer zweiten Komponente, die man bezeichnen könnte als Belehrung und als kindgemäße Anregung zur Reflexion über den eigenen Alltag. Ein Beispiel: Heiner, der beim Abtrocknen einen Teller fallen läßt und dafür von seiner Schwester Hanni ausgelacht wird, will wütend weglaufen mit der Begründung, daß dies sowieso keine Jungenarbeit sei, doch die Mutter hält ihn zurück und vertraut ihm erneut drei Untertassen an mit der Begründung, daß auch Abtrocknen zu den Jungenarbeiten gehöre (S. 37). Hier wird also die von Soziologie und Psychologie extensiv diskutierte Rolle der Frau problematisiert, die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung und die elterliche Erziehungspraxis. Derartige in den Sozialraum der Kinder führende Denkanstöße sind keine Ausnahme; man findet sie auch in Form von Bildern, wie zum Beispiel auf S. 34, wo den Kindern gut verständlich der Satz illustriert wird „Ein freundliches Wort ist wie eine Brücke".

Die dritte inhaltliche Komponente besteht, wenn man einen zusammenfassenden Titel finden will, in Berichten und Erzählungen, die dem weiteren Weltverständnis der Kinder dienen sollen. Die Schüler lesen vom neuen Traktor, den der Bauer gekauft hat und der die Existenz des Pferdes in Frage stellt (S. 72), vom Fischfang bei den Indianern (S. 50) und den Lebensgewohnheiten japanischer Kinder (S. 76). Spannende Begebenheiten und bekannte Erzählungen wie die von Peter und dem Wolf (S. 56 ff.) oder vom Wolf und den Zicklein (S. 87 ff.) rechnen wir ebenfalls zu dieser Gruppe, die aus didaktisch naheliegenden Gründen im Laufe des Jahres, sofern der Lehrer das Buch in der vorgegebenen Inhaltsabfolge benutzt, immer umfangreicher wird und im ganzen das quantitativ überwiegende Element ist. Es bedarf nach dieser Grobskizze der inhaltlichen Schwerpunkte keiner besonderen Betonung, daß die genannten Kategorien auch in verschiedenen Mischungsverhältnissen erscheinen. Die Geschichte „Wie das Kamel seinen Buckel bekam" (S. 84 f.) ist beispielsweise gleichzeitig spaßige, phantasieanregende Erzählung, Sprachlehre und Sachunterrichtung.

Die sowjetischen Lesebücher (zum Teil aber auch die französischen) enthalten ein Kontrastprogramm überraschender Prägung. Es zeichnet sich durch eine geradezu suggestive formale und inhaltliche Klarheit aus. Die sowjetischen Lesebücher folgen in der Regel dem Ablauf der Jahreszeiten. Sie beginnen mit dem Schuljahrsbeginn im Herbst und schreiten von dort über den Winter und Frühling kapitelweise bis zum Sommer voran. Ungemein zahlreich sind dabei reine Naturbeschreibungen Eingefügt in den Gang der Jahreszeiten werden gesellschaftspolitisch bedeutsame Daten, also der Oktober wegen der bolschewistischen Revolution, der Frauentag am 8. März und der Arbeitertag am l. Mai. Gesonderte Kapitel gibt es schließlich für die gesellschaftlichen Bezugsgruppen, in die das Kind ausgenommen wird, zuerst für die Gemeinschaft der „Oktoberkinder" oder Jungen Pioniere, dann für die der Pioniere und Komsomolzen, schließlich für das Vaterland im ganzen und ihre Beschützer, die Rote Armee. Eine derartige klare Strukturierung der Inhalte nach Themen-und Sachbereichen ist in keinem der deutschen Lehrbücher, die geprüft wurden, zu finden. Wenn diese den Gesamtstoff gliedern, was jedoch nicht immer geschieht, dann bevorzugen sie formal-literarische Gliederungsprinzipien, teilen beispielsweise Schwänke, Märchen, Sagen, Gedichte, Sprüche und Rätsel voneinander ab.

Der inhaltlich und gedanklich klaren Anordnung der Themenbereiche in den sowjetischen Lesebüchern entspricht eine große Klarheit der inneren Aussage. Während das zuerst besprochene deutsche Lesebuch hin und wieder Denkanstöße gibt und offene Fra-gen aufwirft, die zu beantworten Aufgabe eines Unterrichtsgespräches wäre, enthalten die sowjetischen Texte von vornherein unmißverständliche Antworten auf alle Fragen, die eventuell entstehen könnten. Schüler müssen die Heimat lieben und das Vaterland verteidigen, die Natur schützen, den Kleinen und Schwachen beistehen, gut lernen und die eigenen Interessen hinter die des Kollektivs zurückstellen: Das sind einige der wichtigsten Handlungsrichtlinien, die der Schüler verinnerlichen soll, entweder durch direkte Anweisung (vgl. die Verhaltensregeln für Pioniere auf S. 282 im Lesebuch für das 2. Schuljahr und das Gedicht von Majakowskij im Lesebuch für das 1. Schuljahr, S. 85 ff.) oder durch Vorbildgeschichten, die quantitativ überwiegen. Ein Beispiel: Der Kapitän eines Schleppdampfers ist auf dem Rückweg zu seiner Familie. Der Fluß steigt und droht, alle Felder zu überschwemmen, einschließlich derjenigen, die ihm selbst gehören. Er durchquert auf seinem Schiff eine Niederung, wo die Menschen schon verzweifelt an einem Damm bauen, vergißt das vom Hochwasser bedrohte eigene Haus, die Felder und die Familie und hilft mit seiner Schiffsladung — es sind Steine — beim Bau des Damms, erfährt schließlich nach erfolgreich beendetem Dammbau, daß seine Familie ohne ihn gerettet wurde, und zwar durch das dort tätige Kollektiv. Hilf du dem Kollektiv, wo es nötig ist, so wird das Kollektiv auch dir helfen — das ist die unausgesprochene, aber unmißverständliche Moral, auf die Lehrer und Schüler mit der vorgegebenen Kontrollfrage „Welcher große Gedanke steckt in dieser Erzählung?" zusätzlich und nachdrücklich verwiesen werden.

In den deutschen Lesebüchern fehlen derartige Erzählungen, die zur gegenseitigen Hilfe oder zu anderen sozialen Verhaltensweisen auffordern, keineswegs. Doch es handelt sich hier eher um Gebote allgemeiner Menschlichkeit, nicht um bestimmte gesellschaftliche Pflichten. Die Verhaltenskonflikte werden dargestellt als singuläre Gewissensursache, als Problem zwischen zumeist nur zwei Menschen, die gleichsam ohne Bezug zur sozialen Außenwelt agieren, sich belehren und einen persönlichen Streit still beilegen. Es fehlen die konkreten, gesellschaftlich verankerten NormVorstellungen. Es fehlen ferner die eindeutigen Identifikationsangebote und Vorbildtypen, mit denen der sowjetische Schüler in großer Anzahl konfrontiert wird.

In dieses Bild fügt sich widerspruchslos die Tatsache ein, daß in den deutschen Lesebü48 wird als das für die Gegenwart notendige Realitäts-und Gesellschaftsverständ-

s. Das Verhältnis ist nicht bei allen Sehnlichern dasselbe; sie differieren nach Verlam. Aber im Vergleich zur inhaltlichen und daktischen Struktur der sowjetischen Büier ist die Tendenz doch einheitlich. Sie doimentiert sich unter anderem in einer grom Zahl von Erzählungen über die Schildbürr, über Eulenspiegel, Münchhausen und erschiedene Märchen-und Sagengestalten jgl. vor allem Schroedel, 3. und 4. Schulhr). In den sowjetischen Lesebüchern ist is Verhältnis von Phantasieanregung und irderung eines auf die gesellschaftliche Akralität zielenden Realitätsverständnisses geiu umgekehrt. Auch das spielerische Eleent fehlt hier fast ganz. Angesichts der klan ideologischen Richtlinien fällt es in der dSSR nicht schwer, dem Schüler schon in n Lesebüchern der Elementarstufe konkrete löglichkeiten des persönlichen Einsatzes und er aktiven Identifikation mit Staat und Gelllschaft zu präsentieren. Da es in der Bunesrepublik eine vergleichbare einhellige eologische Grundlage nicht gibt, da die ealität verschieden erlebt und interpretiert ird (während es in der UdSSR offiziell nur ne Interpretation der gesellschaftlichen Reaät gibt), sieht sich das deutsche Lese-ich genötigt, das Denken und die Sprachfe ihand gesellschaftspolitisch unanstößiger orgänge zu aktivieren. Das schon für das Schuljahr intendierte, oben registrierte Weltverständnis“ erhebt sich demnach eichsam über die harten Realitäten unserer rbeits-und Lebenswelt und enthält dem chüler Einsicht in Möglichkeiten des Engaments, des gemeinsamen solidarischen Hanelns und der Integration in überpersönliche teressengruppen Texte von Autoren* früherer Jahrhunderte sind dementsprechend relativ häufig. Das alles spricht eindeutig gegen die deutschen Schulbücher. Der Nachteil der sowjetischen Schulbücher besteht hingegen darin, daß es den Schüler total vereinnahmt, denn außerhalb der gesellschaftlichen Realität, so wie sie schon vorhanden ist und beurteilt wird, gibt es keine Möglichkeiten der persönlichen Verwirklichung. Was dem Schüler bleibt außerhalb der durch Organisationen und Ideologien geprägten Lebensform in der sozialistischen Gesellschaft, ist eine innige, ja überschwengliche Tier-und Naturliebe, die wir jedoch nicht als Möglichkeit des Rückzuges in eine Art Innerlichkeit verstehen sollten, sondern als wirksame Ergänzung der Heimat-und Vaterlandsliebe, die ihrerseits eng verbunden, zum Teil sogar identisch ist mit der Liebe zur Partei.

In ihren jeweiligen voneinander stark abweichenden Gesamtstrukturen verlieren auch die Einzelheiten der Lehrbücher, die auf den ersten Blick Ähnlichkeiten aufweisen, ihr eigentlich Gemeinsames. Ein kleiner Lebensmitteldiebstahl, zu dem sich ein Kind in unbesonnener Begehrlichkeit verleiten ließ, ist Gegenstand sowohl im deutschen Lehrbuch (Schroedel, 3. Schuljahr, S. 62 f.) wie im sowjetischen (2. Schuljahr, S. 87 ff.). Doch wie verschieden sind die Aussagen in beiden Geschichten! Im sowjetischen Buch ist der Diebstahl verwerflich, weil er das Kollektiv schädigt, und die Mutter, die den kleinen Fehlgriff des Jungen errät, droht ihrem Sohn mit totalem Liebesentzug (!), wenn dieser nicht auf der Stelle zurückkehrt und für seine Tat einsteht. Im deutschen Lehrbuch ist der Diebstahl eine persönliche Angelegenheit zwischen dem Kind und dem Lebensmittelhändler, der ihm großherzig — so soll die Geste wohl wirken — die heimlich entwendete Apfelsine abschält und schenkt. Ähnlich ist es mit dem Vorgang des kindlichen Lügens, der in beiden Lehrbuchgruppen behandelt wird, in der deutschen bemerkenswerter Weise viel häufiger als in der sowjetischen. In den deutschen Lesebüchern ist die Lüge etwas Böses schlechthin und die Ehrlichkeit ein absoluter Wert (vgl. vor allem Schroedel, 3. Schuljahr, S. 53 ff. und 93 ff.). In den sowjetischen Lese-büchern ist die Lüge eingeflochten in bestimmte gesellschaftlich situative Zusammenhänge, die eine Verabsolutierung der deutschen Norm von vornherein ausschließen. Sogar in thematisch eng verwandten Tiergeschichten, die kein Moralverhalten, sondern unkontroverse Vorfälle beschreiben, sind die Differenzen offenkundig. So wird beispielsweise im sowjetischen Lesebuch (2. Schuljahr, S. 275 ff.) wie auch im deutschen (Schroedel, 3. Schuljahr, S. 36 f.) erzählt, wie ein Hund, der in einer tiefen Grube gefangen sitzt, von Kindern (bzw. von nur einem Kind in der sowjetischen Version) befreit wird. Die sowjetische Geschichte ist ernsthaft. Sie behandelt den Fall als existentielle Grenzsituation für das Kind. Der Junge ist in wirklicher Gefahr, und seine mutvolle Energie antizipiert den heldenhaften Opfermut, der in den folgenden Lesebüchern exemplifiziert wird. Dagegen wirkt die deutsche Geschichte spielerisch und unverbindlich. Sie ist „kindgemäß" zubereitet. Auch die Erwachsenen treten ganz anders in Erscheinung. Die deutschen Erwachsenen haben keine Zeit oder keine Lust, den Kindern bei ihrem Vorhaben zu helfen. Im sowjetischen Buch bleibt der Junge von vornherein auf sich allein gestellt, aber das heroische Vorbild seines Vaters wirkt anspornend. Ob der Lerneffekt und die Verhaltensbeeinflussung trotz aller inhaltlicher Differenzen in der Bundesrepublik und der UdSSR nicht ähnlich sein könnten, ist eine weiterführende Frage, die im letzten Abschnitt noch einmal aufgegriffen wird.

Ähnlich wie in der Bundesrepublik sind in Frankreich mehrere verschiedene Lehrbücher eingeführt, die bei einer erschöpfenden Vergleichsanalyse berücksichtigt werden müßten, hier aber wegen der begrenzten Fragestellungen und Arbeitsmöglichkeiten außer acht bleiben. Wir konzentrieren uns auf die Larousse-Ausgabe von Guillot, Biancheri und Cousin, da sie auf einer von den deutschen und sowjetischen Ausgaben grundverschiedenen didaktischen Konzeption beruht und somit die beim ersten Vergleich entwickelten Fragen neu und anders beantworten könnte

Die didaktische Originalität besteht 1. in einer starken Betonung der sprachlich-lingui stischen Unterweisung und 2. in einem enger inhaltlichen Zusammenhang der Lesestücke die nicht nach Themenbereichen oder forma len Gesichtspunkten gruppiert werden unc dabei recht Verschiedenartiges nebeneinan dersteilen, sondern von einer überschaubares Situation ausgehen und in aneinander an knüpfenden Fortsetzungen, mit immer densel ben Protagonisten, die Erscheinungen del weiteren Umgebung nacheinander geordne ins Blickfeld rücken. Das französische Schul'buch hat praktisch nur einen Autor, das deut sehe mehrere Dutzend.

Die erste didaktische Eigenheit bedarf wege ihres klaren Funktionswertes keiner längere Interpretation. Mit Aufgabentypen, die in jei der Lektion wiederkehren (Worterklärungei Denkaufgaben, Stilübungen u. ä.), sollen di Schüler schon in den Anfangsklassen an sorg. same und systematische Sprachanalyse ge wohnt und zur Erweiterung ihrer Sprachmög lichkeiten konsequent angehalten werdet Das Verfahren ist aus der literarisch-sprachl chen Gesamtintention des Französischunte: richts in Frankreich zu verstehen; es bereite die spätere „explications des textes" und ar dere tradierte Ubungsformen vor. Die inhal lich-didaktische Eigenheit ist in unserem Z sammenhang bedeutsamer. Der französisch Schüler liest sozusagen einen Fortsetzungsre man und nicht, wie der sowjetische und de deutsche Schüler, verschiedene, voneinande unabhängige Geschichten. Er wird vom Leh buchautor, um das Wesentliche kurz zu kenn zeichnen, in den Laden eines Vogelhändle geführt (1. Lektion), wo er die verschiedene Vögel kennenlernt, ihre Gedanken ui Schicksale, und zwar — aufgrund einer en schlossen anthropomorphischen Darstellung; weise — durch deren eigene Aussage (2. Lektion und folgende). Zwei Rotkehlche die sich ihre Erlebnisse mitteilen — eins i erfahren und klug, das andere ist jünger un lernt —, stehen dann im Mittelpunkt des I teresses. Sie erhalten durch einen alte Mann, der die Vögel aufkauft, um sie as Tierliebe fliegen zu lassen, ihre Freiheit z rück, leben mit anderen Tieren bei einer F ilie, die mehrere Kinder hat, und erleben it diesen die verschiedensten Abenteuer, as Ganze ist lebendig geschrieben, kindgeäß, aber nicht verniedlichend oder anruchslos, und mit bunten Illustrationen verhen. Der innere, weit gespannte Zusammen-alt von der ersten bis zur letzten Lektion jgt sich mit der Ereignisfülle im einzelnen i einer gelungenen Komposition zusamlen. in erster Rückblick von dieser Konzeption af die deutsche und sowjetische bringt die wjetische Anordnung in Erinnerung. Was er, so könnte man formulieren, die Abfolge r Gedenktage und Jahreszeiten war, ist im tanzösischen Lehrbuch die von den Autoren tfundene Ereigniskette. Der inhaltliche Zu-Immenhang des sowjetischen Lehrbuches ist er politischen Realität entlehnt. Das französche Lehrbuch wird literarisch zusammenhalten, durch die Erzählkunst der Autoren ad die einheitliche Perspektive. Die deuthen Lehrbücher haben keinen vergleichbain Zusammenhalt. Verwandt mit den deutihen Lehrbüchern sind die französischen in ner anderen Hinsicht. Konsequent wird hier les politisch Problematische und Anstößige isgeklammert. Die Tiere haben zwar ihre hwierigkeiten, aber diese gehen die Schüler estenfalls indirekt etwas an. Die literarische Kunst überdeckt gleichsam die soziale Realität. Die Welt ist heil und friedlich. Es ist die Welt einer gutsituierten bürgerlichen Familie, die offenbar keinerlei Existenzsorgen oder sonstige Nöte kennt.

Diese Charakterisierung gilt im Prinzip auch von der Fortsetzung dieses Lesebuchs, die in die realistisch und spannend geschilderte Welt des Zirkus führt und abermals durch die Erlebnisse von zwei Tieren — von Rex, dem Hund, und Mistrigi, der Katze — einen Zusammenhang herstellt, der zwar Verschiedenartiges aneinanderfügt, trotzdem aber konsequent aufgebaut und in sich geschlossen bleibt. Der rote Faden der Ereignisse entsteht dadurch, daß die beiden Tiere sich verirren und nach zahllosen Zwischenfällen wieder nach Hause zurückfinden. Die Stationen der Irrfahrt sind Bauernhof und Dorf, Eisenbahn, Flugzeug und Schiff. Die Phantasie der Kinder wird kräftig angeregt, doch das Phantastische bleibt, im Unterschied zu den deutschen Lese-büchern, an die Aktualität gebunden. Märchenhaftes und geschichtlich Abgelegenes hat in dieser Art von Story keinen Platz.

Beide Bücher haben ein „Happy-End". Beide Bücher verkünden, was Freundschaft und Treue vermag. Sie fordern durch das Verhalten der Tiere zur Zähigkeit im Unglück auf, versprechen Hoffnung und schließliches Glück.

V. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

selchen erziehungswissenschaftlichen und ldungspolitischen Gewinn haben die eben iizzierten drei Vergleiche von Schulbüchern cbracht? Dem Rahmen dieser Untersuchung Ltsprechend können und sollen hier keine qundsätzlich neuen und quantifizierbaren Bende vorgelegt werden. Vielmehr sind bei r Beschäftigung mit den klar abgegrenzten tbeitsvorhaben, wie es etwa Sinn und veck eines forschenden Lernens ist, Proemdimensionen entdeckt und Fragestellunn entwickelt worden, die zuvor nur undeutth bewußt waren und die, indem sie den ktischen Arbeitsertrag übersteigen, weiterhrende Reflexionen in Gang setzen. Diese ssen sich thesenartig folgendermaßen zummenfassen: gibt keine politisch neutrale Wissensverttlung durch Lehrbücher. Schulbücher sind iegel gesellschaftspolitischer Konstellation und Entwicklungen; das ist im Prinzip it langem bekannt, in allen Konsequenzen jedoch nicht hinreichend reflektiert. Der Vergleich zeigt, inwiefern schon die Auswahl und Zusammenstellung von politisch scheinbar indifferenten Inhalten wie denen der Biologie mehr ist als ein rein pädagogisch-didaktischer Entscheidungsprozeß. Auch der radikale Verzicht auf eine Politisierung mancher Lehrbücher, wie sie anhand westlicher Fibeln für den Elementarunterricht festgestellt wurde, ist letztlich eine politische Entscheidung, schon weil die Möglichkeiten einer andersartigen politischen Beeinflussung vorhanden sind und von den Autoren in anderen Staaten auch genutzt werden. Die heftigen Attacken gegen eine indoktrinierende Ideologisierung (vgl. Assel, Anm. 10) dürfen also nicht den Blick dafür verstellen, daß eine der Reflexion zugängliche Ideologie oder Weitsicht nicht nur möglich, sondern sogar unumgänglich nötig ist, denn der Verzicht auf diese Dimension der politischen Bildung öffnet blinden Wertungen und irrationalen Einflüssen Tür und Tor. Der Verzicht auf Anleitung zu einem die jetzigen Zustände kritisierenden Engagement hat außerdem einen ähnlichen stabilisierenden Effekt wie die massive Aufforderung zur Anpassung, die den Schülern der UdSSR von früh an abverlangt wird.

Der Vergleich führt darüber hinaus zur Einsicht, daß die Identifikation mit Partei und Staat, zu der die sowjetischen Schüler aufgefordert werden, eine ungeheure Herausforderung für den Westen ist. Die auf Solschenizyns Äußerungen fixierte, an Liberalität und Pluralität glaubende Öffentlichkeit übersieht, in welchem Maß sich die jungen Sowjetbürger mit gutem Wissen und Gewissen in das System integrieren können und welche Sicherheit des Denkens und Handelns ihnen das marxistisch-leninistische Geschichts-und Menschenbild vermittelt. Der westliche Schüler ist, den genannten Schulbüchern nach zu urteilen, im Vergleich zum sowjetischen Schüler, seinem Staat entfremdet. Um ein Urteil zu wagen, das keinen Anspruch auf wissenschaftliche Akribie erhebt: Zwischen unseren Schulbüchern und der Tatsache, daß nur rund 35 Prozent der Studenten zu den Wahlen der für sie entscheidenden Gremien geht, während eine relativ kleine Anzahl von Aktivisten die politische Szenerie immer wieder bestimmt, besteht ein Zusammenhang.

Es gilt, summa summarum, zu überlegen, ob es neben der gebieterischen Aufforderung zur totalen Integration in die bestehende Gesellschaft (sowjetisches Modell), der gebieterischen Aufforderung zur totalen Negation der bestehenden Gesellschaft (Modell radikaler Randgruppen) und der weitgehenden Absonderung des Kindes von den Nöten und Konflikten der Welt (Modell vieler Schulbücher) nicht einen weiteren Weg gibt, den man — mit allen Vorbehalten gegen einen Begriff, der ein weites Bedeutungsfeld umgreift und der Interpretation bedarf — „emanzipatorisch" nennen könnte. Emanzipatorische Impulse hat der Vergleich insofern vermittelt, als er die systembedingten Manipulationen der Lehrbücher in Ost und West aufzeigt und damit die Möglichkeit einer Neukonzeption, die sich weder der einen noch der anderen Fremdbestimmung unterwirft, ins Bewußtsein gehoben hat. Am Beispiel: Das sowjetische Biologiebuch hat eindringlich auf die enge Verbindung von menschlicher Biologie und sozialer Umwelt verwiesen und damit Strukturmängel der westlichen Biologiebücher deutlich gemacht. Befangen in den Zwängen des eigenen Systems, blieb es jedoch beim Lob der bestehenden Einrichtungen stehe; anstatt konsequent zur Kritik dieser soziale Umwelt mit allen ihren Inhumanitäten vo zustoßen. Haben wir eben den Wert einer ir Unverbindliche und Unengagierte abgleiter den westlichen Liberalität und Pluralität bi zweifelt, müssen wir nun ihre unbezweifelte produktiven Chancen feststellen; denn de angedeutete emanzipatorische Weg scheii eher hier als dort möglich. Daß manche Schn bücher am Widerspruch der Bürokratie ode einer hypersensiblen Öffentlichkeit scheiten ist unter diesem Aspekt zu bedauern. Gehö zur Lehrmittelfreiheit nicht die Auswahl ul ter wirklichen Alternativen? Daß diese all samt nicht zur Staatsfeindlichkeit erziehe wird dabei vorausgesetzt. Engagierte Autore sollten neue Lesefibeln für Grundschül schreiben, auch wenn keine Aussicht auf S fortige hochoffizielle Zulassung besteht. De; Staat und den Verlagen stünden entspreche de Aufträge wohl an.

Die Frage nach der Autorschaft führt not einmal in den Problembereich der Lernps chologie und der Didaktik des Lehrbuches zi rück. Es ist gang und gäbe, daß zum Beispi Biologiebücher von wenigen Autoren konz piert und geschrieben werden. Hingege scheint es selbstverständlich, daß Lesefibe ganz verschiedenartige Texte vereinigen. 1 das unumstößlich richtig so? Der Vergleid läßt zumindest einige Zweifel daran aufkon men. Der Vergleich führt ferner zu der Frag Sollte das Schulbuch genau den Unterricht stoss eines Schuljahres enthalten (vc Anm. 22), so daß es Kapitel für Kapitel uii Seite für Seite durchgearbeitet werden m oder sollte es mehr anbieten und eine Au wähl ermöglichen? Derartige Fragen wärt letztlich nur von einer Theorie des Lehrbuc: her zu beantworten, doch diese gibt es b lang nicht. Horst Rumpf stellt in seinem 1 senswerten Aufsatz über das in den Schulbll ehern konzentrierte Wissen fest, daß deutsc; Lehrbücher den Stoff fast ohne Ausnahme großer Starrheit darbieten Die Schüli werden nach Rumpfs Angaben in keiner Weise zum kritischen Mitdenken, zum Zweifeln oder Fragen angeregt. Sie hätten den als absolute Wahrheit vorgetragenen Wissensstoff 1 einfach zur Kenntnis zu nehmen und zu lernen. Diese Befunde sind wichtig und aufschlußreich, aber sie bewegen sich unseres Erachtens noch im Vorfeld der angedeuteten Theorie, weil sie mit Normen operieren, die fraglos akzeptabel sind, die aber nicht in ihrer Verflechtung mit anderen Dimensionen des Unterrichts diskutiert wurden. Es wäre am Ende nicht viel gewonnen, wenn die von Rumpf kritisierten Schulbücher stilistisch überarbeitet und die apodiktisch wirkenden Sätze vorsichtiger formuliert werden. Die Beschäftigung mit dem französischen Geschichtsbuch zeigte, welche Gefahr in der Übervorsicht steckt. Es ist ferner nicht selbstverständlich, daß das Schulbuch die geeignete Instanz zur Stimulierung fragenden, kreativen /Mitdenken ist. Was macht eigentlich der Lehrer, wenn dem Lehrbuch diese schwerste Bürde schon zugemutet wird? aIn der UdSSR wird die Funktion des Lehrbuchs kurz so beschrieben: „Das Lehrbuch ist ticein Büch, in dem die Grundlagen der wissenschaftlichen Kenntnisse zu einem bestimmten idUnterrichtsstoff gemäß den vom Lehrprogramm festgesetzten Unterrichtszielen und alden didaktischen Erfordernissen niedergelegt isind.“ Der sowjetische Schüler ist dem-vor allem Rezeptor und Verarbeiter eines vorgegebenen Lernpensums in eben dem von ‘ Rumpf und anderen kritisierten Sinn. Das bedeutet aber nicht, daß es in der UdSSR keinen problemorientierten Unterricht gäbe, in dem sich die Schüler aktiv schöpferisch einsetzen können. Im Gegenteil: Die sowjetische Didaktik ist an dieser Seite des Unterrichts stärkstens interessiert Bei uns soll der Schüler schon bei der Lehrbucharbeit Forscher und schöpferischer Denker sein. Damit sind vielleicht beide, der Schüler und das Lehrbuch, überfordert, und wir schließen mit der Frage, ob es nicht zweckmäßig wäre, konsequenter, als es bisher geschieht, zwei Arten von Schulbüchern zu entwickeln: eins, das den vorgesehenen Wissensstoff enthält und als Nachschlagewerk dient — das dabei wissenschaftlich kontroverse Fakten als solche kennzeichnen, sichere Erkenntnisse aber nicht unnötig verunsichern würde —, und ein anderes, das in Form eines offenen Programms den Lernprozeß organisiert, Arbeitsanregungen und Untersuchungsmöglichkeiten vermittelt, Fragen aufwirft und zum eigenen produktiven Denken auffordert.

Verzeichnis der besprochenen Bücher

Zur Geschichte Kaier: Grundzüge der Geschichte, Mittelstufe, Bd. 3, Diesterweg, 4. Auflage 1968. Lucas u. a., Menschen in ihrer Zeit, Bd. 5, Klett, 1969.

Efimov: Novaja istorija, ast’ I. Ucebnik dlja srednej skoly, Moskva 1966. Monnier, Jardin: Histoire 1789— 1848, 2e, Fernand Nathan, Paris 1960.

Zur Biologie Linder, Hübler: Biologie des Menschen, Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 9. Au: läge 1969.

Linder: Biologie. Lehrbuch für die Oberstufe, Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 17. Auflage 1969.

Cusmer, Petrisina, elovek. Anatomija, Fiziologija, Gigiena. Ucebnik dlja 8 klassa srednej skoly, Moskva 1973.

Benard, Galletti, Cohon, Gorenflot, Gribenski, Oria, Raffin: Biologie, le A et B, Hatier, Paris 1969.

Oria, Raffin: Sciences naturelles, 3e. Anatomie, Physiologie, Hygiene, Hatier, Paris 1966.

Zum muttersprachlichen Unterricht Lesebuch für das 2. Schuljahr der Grundschule, Klett, Stuttgart 1967 (vgl. Anm. 19). Lesebuch 65. Ein Lesewerk für die Schule von heute. 3. Schuljahr, Schroedel, Hannover 1965 (5. Auflage 1968).

Lesebuch 65. Ein Lesewerk für die Schule von heute. 4. Schuljahr, Schroedel, Hannover 1965 Zvezdocka, Kniga dlja ctenija v 1 klassje, Moskva 1971.

Flazok. Kniga dlja tenija vo ftorom klassje, Moskva 1970.

Rodnoe slovo. Kniga dlja tenija v tret'em klasse, Moskva 1971.

Guillot, Biancheri, Cousin: Tipiti le rouge-gorge. Lectures suivies. Cours elementaire, Classe de 10° et 9e, Larousse, Paris 1963.

Guillot, Biancheri, Cousin: Rex et Mistrigi. Lectures suivies. Cours elementaire, Classe de 9’ et 8e, Larousse, Paris 1964.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heft 6/1971 der Zeitschrift „Bildung und Erziehung" ist der Vergleichenden Erziehungswissen-schäft gewidmet und enthält zahlreiche Beiträge zur Problematik dieser Disziplin. Eine gedrängte 'Materialsammlung, die überdies zu einem neuenAnsatz vorzustoßen sucht, bietet P. Kern, Einführung in die Vergleichende Pädagogik, Darmstadt ! 1973. Die ältere Literatur ist hier referiert, soweit der Raum (knapp 100 Seiten Text) es zuließ. Zur i Kurzinformation reicht der Lexikonartikel von IL. Froese und H. -H. Groothoff, Vergleichende Pädagogik (= Abschnitt VI im Artikel über „Pädagogik, Erziehungswissenschaft"), in: Neues Pädagogisches Lexikon, hrsg. von H. -H. Groothoff und M.

  2. R. J. Sattler, Schulbuchvergleich und Schulbuch-analyse in internationaler Zusammenarbeit, in: E. H. Schallenberger, Zur Sache Schulbuch, 3. Band (Das Schulbuch — Aspekte und Verfahren zur Analyse), Ratingen-Kastellaun 1973, S. 25 f. Mit der Publikation von Schallenberger ist zugleich die wichtigste Aufsatz-und Materialsammlung auf dem Gebiet der Schulbuchforschung genannt. Der 1. Band hat den Titel: Das Schulbuch — Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse. Der 2. Band: Das Schulbuch — Aspekte und Verfahren zur Analyse (wie 3). Der 4. Band mit dem Titel „Das Schulbuch — Politicum, Informatorium, Paedagogicum" lag bei der Niederschrift dieser Studie noch nicht vor. Zur Unterscheidung von horizontalen und vertikalen Analysen siehe auch H. J. Schoeps, in: Das Schulbuch ... a. a. O., Bd. 2, S. 10 f., und I. Koza, ebd. S. 19 f.

  3. Die deutschen. Lehrbücher wurden von jenen Schulen in Berlin zur Verfügung gestellt, zu denen der Verfasser aus beruflich-persönlichen Gründen den leichtesten Zugang hatte; die französischen Bücher vom Französischen Gymnasium und der Ecole Victor Hugo in Berlin; die sowjetischen Bücher von der Bibliothek der Abteilung Bildungswesen im Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin.

  4. Der in Anmerkung 2 zitierte Aufsatz von Sattler enthält eine Liste seiner Veröffentlichungen, u. a.den Hinweis auf Sattler, Die Stellung der Zeitgeschichte in ausländischen Schulbüchern. Ein Ver

  5. N. Groeben, Die Verständlichkeit von Unterrichtstexten, Münster 1974; M. Baumann, Lernpsychologische Aspekte der Schulbuchforschung, in: G. Clauß und A. Kossakowski, Pädagogisch-psychologische Beiträge zur Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten, Ost-Berlin 1974, S. 154— 157; D. D. Zuev, Einige Probleme der Struktur des Schulbuchs (russ.), in Sovetskaja Pedagogika 11/1973, S. 62— 72; L. T. Doblaev, Einige Probleme der Arbeit mit dem Lehrbuch (russ.), ebd. 12/1970, S. 41— 49; B. V. Volkov, über einige Anforderungen an den Lehrbuchtext (russ.), ebd. 8/1971, S. 61— 68.

  6. über die Arbeit des Schulbuchinstituts informiert knapp R. Multhoff, Das Internationale Schulbuch-institut, in: Gesellschaft-Staat-Erziehung 16 (1971), S. 277— 283; R. Multhoff, Das Internationale Schulbuchinstitut des Europarats in Braunschweig, in: Sonnenberg-Briefe zur Völkerverständigung, Heft 66 (September 1973), S. 17— 31 (einschließlich der englischen und französischen Übersetzung). Ausführlicher ist die Monographie von O. -E. Schüddekopf, Zwanzig Jahre westeuropäischer Schulgeschichtsbuchrevision, Braunschweig 1966.

  7. Studenten an der Forschung partizipieren zu lassen, war eins der hochschuldidaktischen Ziele des Seminars. Besondere Orginalität wird damit nicht beansprucht, denn ähnliche Unternehmen gibt es seit langem und in großer Zahl; vgl., z. B. R. Dietrich, Geschichte und Geschichtsunterricht. Erfahrungen aus einem Seminar über vergleichende Schulbucharbeiten, in: Jahrbuch, a. a. O., Bd. VI (1957/58), S. 3 ff. Auch die Publikation von R. Kühnl (s. Anm. 8) beruht auf einer universitären Lehrveranstaltung.

  8. Vgl. R. -J. Sattler, Die Französische Revolution in europäischen Schulbüchern, Braunschweig 1959. Die Anzahl der von Sattler besprochenen Schulbücher ist groß, beschränkt sich jedoch auf westeuropäsche Länder. Auch ist Sattlers Denkansatz ein anderer als der hier entwickelte. Sattler interpretiert die Schulbücher als historiographische Dokumente. Er interessiert sich vorwiegend für fachwissenschaftliche Probleme, zum Beispiel für Fragen der Periodisierung einer Zeit und für das Verhältnis von „europäischem" und „nationalem" Denken, während die vorliegende Studie die eigentlich pädagogische Frage nach der Wirkung des Schulbuchs auf den Schüler mehr berücksichtigt. Vgl. ferner R. Kühnl (Hrsg.), Geschichte und Ideologie. Kritische Analyse bundesdeutscher Geschichtsbücher. Rororo aktuell, Bd. 580 (1973). Ein großer Teil dieser Publikation ist ebenfalls der Französischen Revolution gewidmet. Kühnls Buch ist ein Beispiel für das oben angedeutete Verfahren, die gute und richtige Theorie mit der schlechten und falschen Wirklichkeit zu konfrontieren. Wie Kühnl argu-

  9. Marx äußert sich des öfteren kritisch und ablehnend zü den Menschenrechten, besonders prägnant in den Abhandlungen „Zur Judenfrage" und „Die heilige Familie"; S. 235 ff. und 250 in der Ausgabe des Dietz-Verlages, Bücherei des Marxismus-Leninismus, Bd. 14; S. 191 ff. in der Ausgabe des Kröner-Verlages, K. Marx, Die Frühschriften, Stuttgart 1971.

  10. Zur „Parteilichkeitsthese" gibt es u. a. die mit vehementem Engagement vorgetragene Stellungnahme von H. -G. Assel, Ideologisierung oder politische Bildung?, in: Gesellschaft-Staat-Erziehung 17 (1972), S. 359— 380. Der Aufsatz kritisiert das von marxistischer Seite entwickelte Schwarz-Weiß-Denken, dem zufolge es nur eine Parteilichkeit für die Interessen der Massen oder eine Parteilichkeit zugunsten kapitalistischer Herrschaftsinteressen gebe, bleibt aber seinerseits in einer unbefriedigenden Dichotomie befangen, weil er Parteilichkeit ganz einseitig interpretiert, nämlich „im Sinn tendenziöser Beurteilung, die sich fixierter ideologischer Vorstellungen bedient und selbstkritischer Prüfung entzieht“ (S. 364). Die Abwehr einer selbstgefälligen, bornierten Parteilichkeit ist selbstverständlich ein notwendiger Bestandteil unserer politischen Bildung. Sie erstarrt u. E. jedoch zur Affirmation des Bestehenden, wenn nicht gleichzeitig eine bessere, eine mit Reflexion gepaarte Parteilichkeit entwickelt wird. Ausführlicher dazu P. Schulz-Hageleit, Denken lernen im Geschichtsunterricht, in:

  11. R. Kosellek, Zur Theoriebedürftigkeit der G Schichtswissenschaft, in: Neue Sammlung 6. Sonde heft (1972), S. 29 ff.; abgedruckt auch bei W. Conz (Hrsg.), Theorie der Geschichtswissenschaft ur Praxis des Geschichtsunterrichts, Stuttgart 197'S. 10 ff.

  12. Ausführlicher dazu sein deutscher Interpret 1 Löwith, Paul Valery, Göttingen 1971, besonde Kapitel IV (Kritik der Geschichte und der G Schichtswissenschaft), wo auf S. 95 das angeführt Zitat steht.

  13. Zur Ergänzung: W. Sauer, der Stand der Willingsforschung in pädagogischer Sicht, in: Zeithrift für Pädagogik 16 (1970), S. 173— 202. Dieser 1ufsatz behandelt vor allem die methodische 'chwierigkeit, exakte Ergebnisse über den Anteil Ter Erbanlagen und der Umwelteinflüsse bei der ldung eines Menschen zu erarbeiten. Alles in lem sei die „Einschätzung der Erbkraft abgebaut rugunsten einer differenzierteren Beachtung der izio-kulturellen Einflüsse" (S. 184). Damit sollen one Forschungsansätze, die das ontogenetische ler phylogenetische Erbgut stärker berücksichtiin, nicht bagatellisiert werden, man denke an 1 bürgen Eysenck (DIE ZEIT Nr. 27/1974, S. 42)

  14. Es ist nicht möglich, zu diesem Problemkomplex isgewogene Literaturhinweise zu geben, da prak: sch alle psychoanalytischen Untersuchungen das dechselseitige Beeinflussungsverhältnis zwischen itern und Kindern behandeln. Zur Illustration des «meinten sei nur verwiesen aut die bekannte ad leicht zugängliche Publikation von H. -E. Richir, Eltern, Kind und Neurose (rororo aktuell Nr.

  15. Das sowjetische Lehrbuch hat dem eigentlichen Informationsteil (rund 250 Seiten) einen kleinen Anhang (rund 10 Seiten) zur Durchführung eines „Laboratoriumspraktikum" angefügt. Das deutsche Lehrbuch stellt dem eigenen Lernpensum einen kleingedruckten Abschnitt über „Beobachtungen und Versuche" voran.

  16. Die elementare Lesefähigkeit wird in der UdSSR 2 schon in den ersten drei bis vier Monaten erarbeiltet.

  17. Das bringt das im I. Abschnitt angedeutete, im gesamten Aufsatz aber unausgesprochen präsente Problem der Vergleichbarkeit noch einmal deutlich in Erinnerung. Grundsätzlich wird es erörtert von r. Seidenfaden, Der Vergleich in der Pädagogik, Braunschweig 1966, insbesondere S. 89— 95. Wie in der Einführung und in der 1. Anmerkung schon erwähnt wurde, ist die Methodologie des erziehungswissenschaftlichen Vergleichs jedoch noch auf einem unbefriedigenden Entwicklungsstand.

  18. Sie sind ein Charakteristikum der meisten Lesebücher im Ostblock. Eine Ausnahme machen interessanterweise die DDR-Lesebücher. Darüber informiert Strietzel, Anm. 16, ferner Lothar von Balluseck. Die guten und die bösen Deutschen. Das Freund-Feind-Bild im Schrifttum der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/71, mit zahlreichen Bild-und Textbeispielen.

  19. Es ist zu bedauern, daß die im Klett-Lesebuch r das 2. Schuljahr festgestellte, als „kindgemäße aregung zur Reflexion über den eigenen Alltag"

  20. Lesebücher Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland hat schon 1953 verglichen: R. Minder, Soziologie der deutschen und französischen Lesebücher, abgedruckt u. a. bei H. Helmers, Die Diskussion um das deutsche Lesebuch, Darmstadt 1969, S. 1— 13. Ungeachtet vieler Modifikationen auf dem Lesebuchmarkt trifft Minders Kritik an der zeitungemäßen Idylle der deutschen Lesebuchwelt immer noch zu. Ob das Lob der französischen Lesebücher gerechtfertigt ist, bedürfte erneuter Prüfung. Diese müßte mit mehr Präzision vorgenommen werden als bei Minder, der phänomenologisch pauschal über alle Lesebücher von der Elementar-bis zur Oberstufe handelt. Die vorliegende

  21. H. Rumpf, Schulwissen, Beobachtungen an Lel büchern, in: Neue Sammlungen 8 (1968), S. 56—* Abgedruckt auch bei R. Messner und H. Runa (Hrsg.), Didaktische Impulse, Wien 1971, S. 119— 1 und bei H. Rumpf, Scheinklarheiten, Braunschwe 1971, S. 106— 125. Rumpfs Thesen werden ergäi durch die Ergebnisse von H. Hirsch, Das Geschieh buchwunder, bei Schallenberger, a. a. O., Bd. S. 34— 63, wo die apodiktische Sicherheit der de schen Lehrbücher mit den mehr abwägenden, historiographische Problematik einbeziehenc amerikanischen Lehrbücher verglichen werden.

  22. Auszug aus der Definition, die zum Stichwort a, Schulbuch" von der sowjetischen Pedagogiceskaja Enziklopedia, Moskau 1968, 4. Bd., S. 410 ff., angegeben wird. Hochschuldidaktisch und publizistisch (wäre es möglich gewesen, den Vergleich mit theoretischen Aussagen, wie sie u. a. in Nachschlagewerken zu finden sind, zu beginnen. Vgl. die von der sowjetischen Darstellung abweichende Konzeption von I. Lichtenstein-Rother, Schulbuch, in: Lexikon der Pädagogik, Neue Ausgabe, Freiburg 1971, 3. Bd., S. 495-— 496, und die amerikanische Auffasmnach, wenn er mit dem Schulbuch arbeitet,

  23. Eine Einführung in diesen Problembereich bietet B. Schiff, Die Reform der Grundschule in der Sowjetunion (Osteuropa-Institut an der FU-Berlin, Erziehungswissenschaftliche Veröffentlichungen, hrsg. von O. Anweiler und S. Baske, Bd. 6), Berlin-Heidelberg 1972. Schiff hat auch die in diesem Zusammenhang grundlegende Schrift von L. V. Zankov, Didaktik und Leben (Beiträge zu einer neuen Didaktik, hrsg. von H. Roth u. a.), Hannover 1973, ins Deutsche übersetzt. Eine nützliche Sammlung sowjetischer, ins Deutsche übersetzter Aufsätze zur Didaktik wurde vorgelegt von W. Mitter (Hrsg.), Didaktische Probleme und Themen in der UdSSR (in: Beiträge zu einer neuen Didaktik), Hannover 1974.

Weitere Inhalte

Peter Schulz-Hageleit, Dr. phil., geb. 1939 in Berlin; Studium der Romanistik und Geschichte in Berlin und Frankfurt; 1965— 1967 Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universitas Indonesia in Djakarta; danach als Referendar und Assessor im höheren Schuldienst Berlins; 1972 Promotion in Erziehungswissenschaften; 1973 Assistenzprofessor in der Abteilung Bildungswesen des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen: Wie lehrt man Geschichte heute? (Ein Beitrag zur Didaktik der Denkerziehung), Heidelberg 1973. Aufsatzpublikationen in verschiedenen erziehungswissenschaftlichen Fachzeitschriften über schulpädagogische und didaktische Probleme.