Mit schon bemerkenswerter Zähigkeit hat ein Unterrichtsanliegen Vertriebenenressentiments und „Kälte-Krieg" -Stimmung der fünfziger Jahre überdauert und bis heute Unterstützung aus allen politischen Lagern gefunden: die „Ostkunde" in unseren Schulen. Sie war und ist nicht als Unterrichtsfach etabliert, sondern begreift sich als „Unterrichtsprinzip", das in allen Unterrichtsfächern realisiert werden soll.
Die vorliegende Arbeit will versuchen, 1.den Begriff „Ostkunde“ aus seiner Genese zu beschreiben. Dazu ist es notwendig, exemplarisch die Tätigkeit einer „Landesarbeitsgemeinschaft für (deutsche) Ostkunde" — hier die LAG Bayern — darzustellen;
2. administrative Maßnahmen der Kultusverwaltungen abzuhandeln, die „Ostkunde" sanktionieren. Dazu ist es notwendig, die Umsetzung von KMK-Beschlüssen oder -Empfehlungen in Bundesländern — hier wegen der Quellenlage schwerpunktartig im Freistaat Bayern — aufzuzeigen;
3. die Frage nach der erstaunlichen Vitalität der „Ostkunde" zu stellen. Daher ist über die politische Unterstützung, die die „Ostkunde" fand, über ihre Kritik und deren Resonanz zu referieren;
4. die Relevanz der jeweiligen „Ostkunde" -Konzeption für den Schulalltag zu zeigen. Dazu ist es notwendig, eine Auswahl von Schulbüchern verschiedener Erscheinungsjahre danach zu befragen, wie sie das Thema „Osten" darstellen und 5. einen Maßnahmenkatalog vorschlagen, der darauf abzielt, die — nach Meinung des Autors — pädagogisch und politisch bedenkliche „Ostkunde" durch eine intensivere Behandlung Osteuropas im Schulunterricht abzulösen. „Ostkunde" der Vertriebenen Was will „Ostkunde"? Diese Frage kann nicht per definitionem beantwortet werden. „Ostkunde" hat ihre Geschichte, sie hat über 25 Jahre einer Bewegung Zusammenhalt gegeben: „Ostkunde" ist nur im Wandel und nur im Konnex mit den Akteuren zu deuten.
Es ist unmöglich, das erstmalige Auftauchen der Vokabel „Ostkunde" zu lokalisieren. Selbst Ernst Lehmann und Albert Schettler, die man zu den „Ostkundlern der ersten Stunde" rechnen kann, weisen in einem Rückblick zum zehnjährigen Bestehen der „Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde" nur sehr pauschal auf die Entstehung des Begriffs hin:
der nicht ganz glückliche Ausdruck „Deutsche Ostkunde" oder nur „Ostkunde" habe sich nach und nach durchgesetzt
Die erste Station des geschichtlichen Weges der „Ostkunde" war die „Heimweh-Ostkunde" der Vertriebenen und Flüchtlinge. Sie ging aus dem Verlangen der Vertriebenen hervor, das Heimat-und Kulturbewußsein zu erhalten. Darüber hinaus sollte den Kindern der Vertriebenen und Flüchtlinge das langsam verblassende Bild der Heimat immer neu lebendig gemacht, den „Binnendeutschen" die Kunde vom „Deutschen Osten" möglichst umfassend vermittelt und schließlich die Erinnerung an das im Osten erlittene Unrecht (Z. B. Vertreibung, Volkstumskampf) beständig wachgehalten werden. Der Wunsch nach Wiedergutmachung, nach Wiederherstellung des Rechts auf Heimat, nach Wiedervereinigung Deutschlands bestimmte die gesamte ostkundliche Aktivität.
Nach vielfältigen ostkundlichen Initiativen von Vertriebenenlehrer-Verbänden und Vertriebenenlehrer-Referaten der großen Lehrerverbände wurde 1956 die „Landesarbeitsgemeinschaft Bayern für Ostkunde im Unterricht" als Unterorganisation der „Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht" gegründet. Mitglieder wurden nahezu alle größeren Lehrerverbände Bayerns. Die einzige Begriffsbestimmung von „Ostkunde" aus dieser Zeit ist die von Theo Keil ausgearbeitete Anlage „Der deutsche Osten im Unterricht" zum bayerischen Bildungsplan, deutschtumskunde eine Osteuropakunde zu die Keil am 24. 6. 1956 dem damaligen Landes-vorsitzenden machen versuchte . . ." 3)
der LAG Bayern, Josef Haudeck, übersandt hatte: 1956 begründete Eugen Lemberg „Ostkunde"
der LAG Bayern, Josef Haudeck, übersandt hatte: 1956 begründete Eugen Lemberg „Ostkunde"
so: Der Osten habe sich die ihm lange verweigerte 2. Der deutsche Osten ist mit 1956 dem damaligen Landes-vorsitzenden machen versuchte . . ." 3)
der LAG Bayern, Josef Haudeck, übersandt hatte: 1956 begründete Eugen Lemberg „Ostkunde"
so: Der Osten habe sich die ihm lange verweigerte 2. Der deutsche Osten ist mit seinen Aufmerksamkeit nach 1945 erzwungen. Menschen, mit deren Kulturerbe und wirtschaftlichem Im Bewußtsein der Deutschen habe sich Schaffen heute mitten unter uns. diese Entwicklung so schnell vollzogen, daß Jede Klassengemeinschaft, in der Kinder Vertriebener sich die „Betrachtung des Ostens auf einer tabula leben, kann zu einem Bild der sinnvollen rasa aufbauen" mußte und dem Osten aus Eingliederung der Vertriebenen im Unkenntnis seiner wirklichen Problematik Mutterland werden, zum Abbild einer neuen das Prädikat „unheimlich" zugeordnet wurde. Volkswerdung aus Einheimischen und Vertriebenen! Lemberg bedauert, daß „Ostkunde" nicht in den „Gesamtbereich der Politischen Bildung" 3. Die Tatsache der Spaltung Deutschlanidnstegriert wurde. Weil das so war, blieb sie . . . ist als Gegenwartsaufgabe erziehlich und beständig im Interessenbereich ihrer ursprünglichen unterrichtlich ... zu behandeln. Promotoren und erschöpfte sich weitgehend in einer Kunde vom „Deutschen 4. Es genügt nicht, Mitteldeutschland so Ozusten", die oft genug aus Reminiszenzen und behandeln wie jedes andere deutsche Land.
verstaubten Bildern genährt wurde 4).
Notwendig ist auch die Kenntnis der sich dort vollziehenden Entwicklung ... Auch bei der Behandlung der Gebiete, aus denen die „Ostkunde" ohne Perspektive Deutschen vertrieben wurden, darf die Gegenwartswirklichkeit nicht außer acht gelassen Unbeschadet dieser kritischen Aussagen Eu-gen werden. Lembergs blieb die „Ostkunde" bis heute Angelegenheit von Vertriebenen und Flüchtihrlienrgen. 5. Die Kenntnis der Völker des Ostens, Engagierte Vertriebenenfunktionäre Kulturen und ihrer Probleme ist für die deutsche waren Vorsitzende, die Themen der vom Zukunft ebenso wichtig wie die Kenntnis Bayerischen Staatsministerium für Unterricht des Westens.“ 2)
und Kultus bezuschußten Lehrerfortbildungstagungen wurden weiterhin dem Bereich der Lemberg warnt vor der Sackgasse „Vertriebenenproblematik" entnommen.
Seit Mitte der 50er Jahre kennen wir von einem Ostkundler — von Eugen Lemberg — eine, von Vertriebenenressentiments freie, Definition der „Ostkunde". Auf Lemberg, den „unbestrittenen Theoretiker der Ostkunde" (Johannes Strosche), berufen sich alle Ostkundler. Es waren jedoch Lippenbekenntnisse; in die Praxis haben die Ostkundler die Vorstellungen Lembergs nicht umgesetzt. Resigniert schrieb daher Eugen Lemberg im November 1972: „Bei dem ganzen Unternehmen zeigt sich der Verlauf des Trends von der ursprünglichen Ostdeutschtumskunde der enttäuschten Vertriebenen zur Haltung jener Leute, die nur das wörtliche Nachbeten der offiziellen östlichen Sprachregelung für Ost-kunde halten und allergisch auf alle Versuche eines kritischen Verständnisses reagieren. Ich bin dabei etwas zwischen die Räder geraten, weil ich am Anfang gegen Widerstand aus Vertriebenenkreisen aus der Ost
Nach dem Beschluß des Bayerischen Landtags vom 16. Februar 1966, „Maßnahmen zur Intensivierung des Ostkundeunterrichts an allen Schulen" einzuleiten, versuchte die Landesarbeitsgemeinschaft für Ostkunde im Unterricht noch einmal, das Schiff „Ostkunde" flottzumachen, doch es „saß schon zu fest im Packeis" 5). Im Protokoll der LAG-Arbeitssitzung vom 17. Dezember 1966 findet sich zwar der Satz: „Die Tendenz geht weg von einer Ost-kunde, die ihre Hauptaufgabe in der Beschäftigung mit den deutschen Ostgebieten sieht" 6), doch wurden aus dieser Einsicht keine Konsequenzen gezogen. Erfolgreich konnte gerade noch im selben Jahr der plumpe Anbiederungsversuch der NPD abgewehrt werden. Seither stand „Ostkunde" in ängstlicher und konzeptloser Abwehrhaltung im Schatten der politisch umstrittenen „Früherfolge" der Ostpolitik. Eine Äußerung des Landesvorsilzenden der LAG ist dafür bezeichnend; sie zeigt die mangelnde Bereitschaft, „Ostkunde" nach einer kritischen Bilanz auf eine neue Grundlage zu stellen: Auf die mehrfach geäußerte Bitte nach Einsicht in die Sitzungsprotokolle der Arbeitstagungen der LAG Bayern für Ostkunde im Unterricht antwortete der Landesvorsitzende, Josef Schmidt, am 27. 5. 1972: „Es ist der Meinung vieler beizupflichten, daß eine retrospektive Behandlung der Ostkunde in Bayern, ... gerade in der seit Paraphierung der Ostverträge bestehenden Umbruchsituation nicht unbedingt förderlich ist, ja noch mehr schlafende Hunde zu wecken vermag; . .. Der Vorsitzende hält die volle Offenlegung aus verschiedenen Gründen jetzt für unzweckmäßig ..
Es wurde eher sektiererisch weitergearbeitet mit dem Ergebnis, daß die Zahl der bei der LAG mitwirkenden bayerischen Lehrerverbände zurückging. Nach Ausscheiden von BLLV und GEW sind in der bayerischen Ostkundebewegung die Heimatvertriebenen unter sich. Die Neuorientierung der deutschen Ostpolitik seit der Mitte der 60er Jahre hat die Ostkundler in eine Krise gestürzt. Realisten unter ihnen bezweifeln, ob es sich nach dem alten Konzept in der alten Organisation „LAG für Ostkunde im Unterricht" weiterzumachen lohnt
Der perspektivlose Weg, dessen Ende mit resignierender Enttäuschung und der Warnung vor „roten Unterwanderern" seitens mancher Ostkundler abzusehen ist, scheint nur aus den Biographien vieler Ostkundler erklärbar, nämlich dann, wenn man als Motive ihrer Arbeit die kämpferische Heimatliebe und die oft bitteren Erfahrungen im Volkstumskampf bedenkt, die diese Generation der Ostkundler bestimmen. „Ostkunde" im Grobraster der Entwicklung Politischer Bildung Die Entschließungen und offiziellen Äußerungen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus lassen die Entwicklung des gesamten Bereiches der ostkundlichen Bemühungen erkennen. Die chronologische Abfolge der ostkundlichen Lernziele ist an vielen Stellen deckungsgleich mit einem Raster der Entwicklung Politischer Bildung in der Bundesrepublik Deutschland:
Die „Heimweh-Ostkunde" der ersten Zeit wurde nach 1952 mit Funktionen der harmonistischen und partnerschaftlichen Sozialer-ziehung angereichert (= Verständigung zwischen Flüchtlingen und Einheimischen). „Ostkunde" leistete dann ab 1956 Beiträge zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, wobei sich der Schmerz über den Heimatverlust im Osten mit dem Antibolschewismus vermengte. Der Höhepunkt der Phase der Schwarzweißmalerei in der Politischen Bildung war um 1962 (= Totalitarismus-Empfehlung) erreicht, ab 1964 zeigte sich ein immer stärker werdender Trend von der ideologisch und emotional aufgeladenen „Ostkunde" zu einer nüchternen, Bildungsdefizite ausgleichenden Osteuropakunde. Leider scheint sich dieser Trend in neuen Bekanntmachungen wieder umzukehren. Die Entwicklung sei in folgender kurzer Chronologie skizziert: 1951:
Ostkunde wird verstanden als Kulturpflege unter den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen. 1952:
Ostkunde ist Kulturpflege unter den Heimat-vertriebenen sowie ein Beitrag der Schulen zur Verständigung zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. 1954:
Ostkunde umfaßt Kunde vom deutschen Osten und von Ostmitteleuropa. 1955:
Ostkunde strebt die Kenntnis der z. Zt. von Deutschland getrennten Gebiete an (Kenntnis von Gesamtdeutschland). 1956:
Deutscher Ausschuß: Ostkunde meint a) geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, b) Berücksichtigung der Mittellage Deutschlands, c) Suchen nach einem Verhältnis zu den slawischen Völkern durch Vermittlung der Heimatvertriebenen. Kultusminister-Konferenz: Ostkunde umfaßt a) Kenntnis der Vorgänge in der SBZ, b) Ostdeutsche Heimatkunde, c) Kenntnis der osteuropäischen Völker und des Systems, unter dem sie z. Zt. leben müssen. 1962:
Totalitarismus-Empfehlung:
Der Bolschewismus wird behandelt als das verwerfliche Gegenmodell zum demokratischen Staat. 1964:
Ostkundeerklärung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus: Ostkunde meint a) Einbeziehung der Erfahrungen des Ostens in den Unterricht, b) Behandlung der Vertriebenenproblematik,
c) das Wissen um die geopolitischen Räume Osteuropas und des dort herrschenden Systems,
d) Kenntnis der dort wirkenden politischen Kräfte im 19. und 20. Jahrhundert. 1972:
KMK-Schulausschuß: (unverbindliches Beratungsergebnis): Der Begriff „Ostkunde" taucht nicht mehr auf. Ziel ist die intensive Behandlung Osteuropas im Unterricht. 1973:
Kultusminister-Konferenz: Die Fortschreibung der 1956 vereinbarten „Empfehlungen zur Ostkunde" wird den Kultusverwaltungen der Länder überlassen.
Dementsprechend erfolgte eine Bekanntmachung über die Förderung der Kenntnisse von Ost-und Südost(mittel) europa („Ostkunde") des bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus:
a) Ost(mittel) europakunde, die keine kritiklose Übernahme der Selbstdarstellung der betreffenden Staaten und Völker sein darf.
b) Ostdeutschtumskunde unter Einbeziehung des Erfahrungswissens der Vertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler. c) Gesamtdeutschlandskünde als Erfüllung des Verfassungauftrages des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Die Empfehlungen zur Ostkunde der Kultusministerkonferenz Die „Empfehlungen zur Ostkunde" der KMK von 1956 wurden durch Erlasse der jeweiligen Kultusminister für die einzelnen Länder der Bundesrepublik verbindlich gemacht. Den Anlaß, Ostkunde in den Unterricht einzuführen, sieht die Empfehlung so gegeben: „Das gesamte Erziehungs-und Bildungswesen der Deutschen muß den Aufgaben gerecht werden, vor die unser Volk durch den Einbruch des Sowjetsystems in Mitteleuropa, durch die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa und durch die Spaltung Deutschlands in einen westlichen und einen östlichen, unter den Einfluß des Sowjetsystems geratenen Teil, gestellt worden ist. Das Schicksal Deutschlands und Europas wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, diese Aufgabe zu meistern." Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz stellen drei Anliegen der Ostkunde heraus: „ 1. Das Bevzußtsein von der deutschen Einheit und der Wille zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit ist wachzuhalten und zu entwickeln. Dazu ist die Kenntnis Mittel-deutschlands — der heutigen SBZ —, der Menschen dieses Raumes und der sich dort vollziehenden Entwicklung eine notwendige Voraussetzung. 2. Der deutsche Osten muß den Deutschen, besonders der Jugend, bekannt und vertraut sein. Seine Leistung ist im deutschen Geschichtsbewußtsein zu verankern. Die Deutschen sollen ein inneres Verhältnis zu den Vertreibungsgebieten als der Heimat eines Teiles ihres Volkes haben. 3. Die Kenntnis der Völker, Kulturen und Probleme Osteuropas und Ostmitteleuropas ist als Grundlage eines klaren und sachlichen Verhältnisses zu ihnen und einer fruchtbaren Auseinandersetzung auch mit dem System, das sie gegenwärtig beherrscht, notwendig."
Mit Nachdruck betont die Empfehlung, daß das deutsche Schulwesen, was die Kenntnis der östlichen Sprachen und Kulturen anlangt, in erheblichem Maße Versäumtes nachzuholen habe.
Ein Jahrzehnt politischer Streit über die Fortschreibung der „Ostkunde" -Empiehlungen Schon im Jahre 1963 hatte sich die KMK auf Antrag West-Berlins mit einer Neufassung der Ostkundeempfehlungen beschäftigt Da es über die vorgeschlagene neue Präambel zu keiner einvernehmlichen Meinung kam, wurden die KMK-Empfehlungen von 1956 unverändert belassen. 1969 wurde das Problem erneut aufgegriffen. Das UN-Mitglied Ukraine soll über die Europäische Sektion der UNESCO beim Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik bezüglich einer Aufhebung der Ostkundeempfehlungen vorstellig geworden sein. Nach einer weiteren diesbezüglichen Intervention durch die Evangelische Akademie Berlin habe Bundesaußenminister Walter Scheel die KMK gebeten, sich der Sache anzunehmen. Der so — konjunktivisch — geschilderte Vorgang würde in die politische Landschaft des Jahres 1969 passen, die Informanten erscheinen glaubhaft, jedoch hat das Büro des Ministers auf Anfrage dazu keinen Kommentar gegeben
Sicher ist, daß die KMK auf ihrer 136. Plenarsitzung am 21. /22. Mai 1970 den Beschluß faßte, den Schulausschuß mit der Vorbereitung einer Neufassung des Beschlusses der KMK zur Ostkunde zu beauftragen Nachdem Eugen Lemberg bereits 1969 „Thesen zur Ostkunde 1969" veröffentlicht hatte, unterbreitete er dem Schulausschuß am 11. Januar 1971 ein Diskussionspapier, das Grundlage für das erste Beratungsergebnis des Schulausschusses Dieses Beratungs- wurde erste ergebnis des Schulausschusses der KMK fußt über ganze Passagen auf dem Diskussionspapier von Eugen Lemberg: Der Begriff „Ostkunde" taucht nicht mehr auf. Ziel ist die intensivere Behandlung Osteuropas im Unterricht: „Um eine sachkundige und kritische Orientierung in der sich rasch wandelnden Welt zu ermöglichen, bedarf es einer geographisch, historisch, soziologisch und ökonomisch orientierten Weltkunde. Darin ist die Kenntnis der im bisherigen deutschen Bildungskanon vernachlässigten Kulturkreise von besonderer Bedeutung.
Ein solcher Kulturkreis ist mit dem Begriff „Osteuropa“ umschrieben. Angesichts der erstrebten Normalisierung der Beziehungen zu seinen Staaten und Völkern sollte der Behandlung seiner Kulturen und Sprachen sowie Gesellschaften und politischen Systeme in den Schulen ein hervorragender Platz eingeräumt werden. Dabei wird die Beachtung folgender Grundsätze empfohlen:
1. Die kritische Erörterung von Problemen im Zusammenhang mit der Beschäftigung osteuropäischer Völker und Kulturen beruht auf der Kenntnis der geographischen und geschichtlichen Hintergründe, der Selbstdarstellung und des ideologischen Systems der betreffenden Völker und auf entsprechenden Vergleichen.
2. Die oft einseitig nationalgeschichtliche und nationalstaatliche Betrachtungsweise eines vergangenen Zeitalters sollte durch das Studium von nationalübergreifenden Prozessen und Fragen — wie der Industrialisierung, ihrer Bedingungen und Folgen, der Verwirklichung verschiedener Gesellschafts-und Wirtschaftsmodelle, der Reformbewegungen und Revolutionen und der ihnen zugrunde liegenden Ideologien — ergänzt und überwunden werden.
3. Da sich, vor allem in Ostmitteleuropa, ein bedeutsamer Teil der deutschen Geschichte in vielfacher, konfliktreicher, aber auch aufbauender Verflechtung mit den dort lebenden Völkern vollzogen hat, gehört es zu einem ausgewogenen Geschichtsbewußtsein, auch die Rolle der Deutschen in diesem Raum in die Betrachtung einzubeziehen. (Zusatz-Passus der Länder Bayern und Baden-Württemberg) : Die insbesondere hinsichtlich der „Deutschen Frage" vorhandenen Interessengegensätze sind ebenso zu würdigen wie die Notwendigkeit, daß die daran beteiligten Staaten zur Schaffung einer auf Abwägung von Interessen beruhenden zwischenstaatlichen Ordnung beizutragen haben.
4. Der Bedeutung Osteuropas und seiner Nationen für die Bundesrepublik und für deren osteuropäische Beziehungen entspricht es, das Angebot an Russischunterricht — gegebenenfalls unter Heranziehung nebenamtlicher Lehrkräfte — zu erweitern. Dabei sollten auch Möglichkeiten ins Auge gefaßt werden, Polnisch-und Tschechischunterricht anzubieten.
5. In der Lehreraus-und -fortbildung sollte das Angebot an osteuropakundlichen Veranstaltungen weiter verstärkt werden. Dafür stehen sowohl staatliche als auch staatlich geförderte Institutionen zur Verfügung. Es wird empfohlen, von der Zusammenarbeit mit solchen Einrichtungen Gebrauch zu machen und die Teilnahme an ihren Veranstaltungen zu fördern."
Da die Sitzungsprotokolle und Sitzungsergebnisse des Schulausschusses nur für den internen Dienstzweck bestimmt sind und der „Fachöffentlichkeit als Informationsunterlagen leider nicht zur Verfügung stehen" können aus offiziösen Quellen nur vorbehaltlich Darstellungen über die Diskussionen im Schulausschuß der KMK gegeben werden. Die verschiedenen Informationen stimmen darin überein, daß der Schulausschuß der KMK vor der Bundestagswahl vom November 1972 keine Übereinstimmung finden konnte. Die Meinungen der Vertreter von CDU/CSU-und SPD-regierten Bundesländern standen sich kontrovers gegenüber. Einigkeit wurde nicht einmal darüber erzielt, ob man die KMK-Empfehlungen aus dem Jahre 1956 neu fassen oder ersatzlos streichen sollte. Beide Seiten erwarteten sich von der Bundestagswahl eine Stärkung ihrer jeweiligen Position. Gegen eine ersatzlose Streichung haben sich besonders die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg ausgesprochen.
Zwischenzeitlich hat jedoch die KMK de facto ihre Empfehlungen aus dem Jahre 1956 aufgehoben: „.. . die Kultusministerkonferenz (hat) in ihrer Sitzung am 22. 6. 1973 in Bonn eine Erklärung zu den Ostkundeempfehlungen vom 13. 12. 1956 abgegeben .. ., aufgrund deren es den einzelnen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland überlassen bleibt, eigene . .. neue Ostkunde-Empfehlungen zu erarbeiten und zu verkünden." 19) Sie gab die folgende Begründung dafür:
„Die Kultusminister und -Senatoren der Länder in der Bundesrepublik Deutschland stellen übereinstimmend fest, daß die mit Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 13. Dezember 1956 vereinbarten . Empfehlungen zur Ostkunde'unbeschadet der in ihnen enthaltenen unverändert gültigen Grundsätze und sachlichen Aussagen heute nicht mehr in ihrer Gesamtheit Grundlage von aktuellen Maßnahmen der Kultusverwaltungen der Länder sind. Sie bestätigen jedoch gleichzeitig nachdrücklich die in den Empfehlungen von 1956 festgestellte Notwendigkeit einer vertieften Beschäftigung in den Schulen und Hochschulen mit den Sprachen, den Kulturen und der Geschichte der osteuropäischen Völker und den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Osteuropa. Sie sehen darin eine wesentliche Voraussetzung für ein besseres Verständnis der Völker und ihrer Probleme und für • eine erweiterte politische Urteilsbildung. Die Kultusminister und -Senatoren der Länder werden dieser ihrer Auffassung über die Bedeutung Osteuropas und osteuropäischer Fragen nach wie vor in den Richtlinien für den Unterricht und in den sonstigen Maßnahmen der Kultusverwaltung Rechnung tragen. Dabei wird die einstimmig vom Deutschen Bundestag am 17. Mai 1972 verabschiedete Resolution zu den Ostverträgen mit zugrunde gelegt."
In Bayern: die erste Neufassung In Bayern hat der Ostkundereferent am Staatsministerium für Unterricht und Kultus nach Rücksprache „. . . mit vielen an Ostkunde in Bildung und Unterricht in Bayern interessierten Institutionen, Arbeitskreisen und Einzelpersönlichkeiten ..." eine „Bekannt-machung über die Förderung der Kenntnisse von Ost-und Südost(mittel) -europa („Ostkunde“)" erarbeitet, die am 23. November 1973 von Staatsminister Prof. Dr. Hans Maier unterzeichnet und ohne die zunächst vom Staatsminister beabsichtigte „politische Ab-segnung" durch den „Kulturpolitischen Arbeitskreis der CSU-Landtagsfraktion" im Februar 1974 veröffentlicht wurde. In der viele Gemeinplätze referierenden Präambel fällt die Identifizierung des belasteten und belastenden Begriffs „Ostkunde" mit dem inhaltlich umschreibbaren Begriff „Osteuropakunde“ auf. Die Grundsätze für die ostkundliche Arbeit zeigen sogar, wie die Bürde der alten „Ostkunde", deren sich der Bayerische Staatsminister offensichtlich nicht entledigen wollte, den begrüßenswerten Vorsatz blokkiert, durch die Institution Schule das Wissen über Osteuropa zu verstärken. Die Bekanntmachung kann kaum als ein — wie es der Staatsminister in einem Brief an einen Abgeordneten formuliert —" ... ausgewogenes und politisch vertretbares Konzept ..." angesehen werden, wenn an deren Erarbeitung zwar die kleine Gruppe der ängstlich bewahrenden „Ostkundler" beteiligt war, nicht aber die Vertreter der Osteuropa-Wissenschaften. So beruft man sich in der Bekanntmachung über Gebühr auf eine „Heimwehostkunde", eine „Ostdeutschtumskunde", ein Argumentieren mit „deutschen Stämmen und Volksgruppen", auf „Erfahrungswissen von Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern", was jedoch für die heute mit „Ostkunde" zu konfrontierenden Jugendlichen kaum von Relevanz ist. Diese stehen den vielfältigen negativen Erfahrungen, die die alten Ostkundler geprägt haben, verständnislos gegenüber. Die Bekanntmachung vom 23. November 1973 hat folgenden Wortlaut:
„ 1. Die Bekanntmachung mit den genannten Völkern und Kulturen setzt die Kenntnis der geographischen, wirtschaftlichen, geschichtlichen, soziologischen und kulturellen Gegebenheiten voraus. Dabei kann es sich gerade im Interesse gegenseitiger Verständigung nicht um kritiklose Übernahme der Selbstdarstellung der betreffenden Staaten und Völker handeln, sondern um ein kritisches Verständnis, das auf der Kenntnis der Hintergründe dieser Selbstinterpretationen und der ideologischen Systeme dieser Staaten beruht.
2. Die oft einseitig nationalgeschichtliche und nationalstaatliche Betrachtungsweise eines vergangenen Zeitalters ist durch das Studium von nationenübergreifenden Prozessen und Fragen des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Völker und Volksgruppen zu überwinden. Die gegenseitige kulturelle Durchdringung und Befruchtung, die Industrialisierung und deren Bedingungen und Folgen, die verschiedenen Gesellschafts-und Wirtschaftsformen, Reformbewegungen und Revolutionen und die ihnen zugrunde liegenden politischen Theorien müssen beachtet werden.
3. Da sich, vor allem in Ost(mittel) europa, ein bedeutsamer Teil der deutschen Geschichte in vielfacher, konfliktreicher, aber auch friedlich-aufbauender Verflechtung mit den im Osten lebenden Völkern und Volksgruppen vollzogen hat, gehört es zu einem ausgewogenen Geschichtsbewußtsein, auch die Rolle der Deutschen in diesen Räumen in die Betrachtung einzubeziehen. Die Deutschen insgesamt sollen ein lebendiges inneres Verhältnis zur Heimat des Teiles ihres Volkes haben, der seine angestammten Gebiete verlassen mußte. Hierbei ist der Eigenart der ost-und südost(mittel) europäischen deutschen Stämme und Volksgruppen in ihren kulturellen Äußerungen angemessene Aufmerksamkeit zu schenken.
4. Gemäß dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland sind umfassende Kenntnisse über das ganze Deutschland, seine Menschen und die sich in ihm vollziehenden Entwicklungen im Unterricht zu vermitteln. Im Sinne des gemeinsamen Beschlusses aller Fraktionen des Deutschen Bundestags vom 17. Mai 1972 zu den „Ostverträgen" ist das Bewußtsein von der deutschen Einheit und vom gesamten östlichen (Mittel-) Europa wachzuhalten bzw. zu stärken.
5. Der Bedeutung des europäischen Ostens und seiner Völker für die Bundesrepublik Deutschland entspricht es, das Angebot an Unterricht in slawischen und anderen Sprachen östlicher Nachbarvölker zu mehren.
6. Für die hier geforderte Bildungsarbeit bleiben die Ergebnisse objektiver wissenschaftlicher Forschung an den Universitäten und besonderen Instituten die unentbehrliche Grundlage. Einem auf gesicherten Kenntnissen aufbauenden Bemühen um eine partnerschaftliche Verständigung mit den osteuropäischen Völkern und Staaten dient die Arbeit der wissenschaftlichen Ostforschung und -lehre in unserem Lande. 7. Die Behandlung ostkundlicher Stoffgebiete erfolgt als Unterrichtsprinzip durch Eingliederung in den Erdkunde-, Geschichts-und Sozialkundeunterricht, den Deutsch-und Fremdsprachenunterricht, die Kunsterziehung, den Musikunterricht sowie in gelegentlich fächerübergreifenden Zusammenfassungen. Im Geschichts-und Sozialkundeunterricht ist überdies das weltweite Problem der Vertreibung und der sinnvollen Eingliederung von Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern zu behandeln. Ihr kulturelles Erbe ist besonders zu würdigen. Für eine weitere friedvolle Entwicklung, nicht nur im europäischen Raume, ist die Kenntnis der Rechtsformen, die ein gedeihliches Zusammenleben von Völkern und Volksgruppen ermöglichen, ein wesentlicher Bestandteil dieser Bildungsaufgabe.
8. Die Schulaufsichtsbehörden überzeugen sich von der Pflege ostkundlicher Bildungsund Unterrichtsinhalte. Bei der Erarbeitung der Curricula und bei der Zulassung von Lehr-und Lernmitteln wird darauf zu achten sein, daß der europäische Osten entsprechend berücksichtigt wird. Das Erfahrungswissen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler ist hierbei zu nutzen.
9. In der Lehreraus-und -Weiterbildung wird den Lehrern aller Schularten das erforderliche Rüstzeug für diese Bildungsaufgabe gegeben. Dafür stehen sowohl staatliche als auch staatlich geförderte Institutionen zur Verfügung.
10. Das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit des deutschen Volkes und die Kenntnis der Nachbarvölker im Osten und Südosten sollen auch durch einschlägige schulische Veranstaltungen gestärkt werden ..."
Die Behandlung der Ostkunde in den anderen Bundesländern In den übrigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland scheinen die Konsequenzen aus der Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 22. 6. 1973 zu den Ostkundeempfehlungen unterschiedlich erörtert worden zu sein Dazu einige Belege: Das Kultusministerium von Rheinland-Pfalz veröffentlichte die Erklärung in seinem Amtsblatt für das Jahr 1974: „Sie (die Erklärung) wird bei der Erarbeitung bzw. Revision der Curricula mit herangezo-gen" Im Land Schleswig-Holstein existiert eine Arbeitsgruppe „Deutsche Frage und Osteuropa", die sich intensiv mit der Behandlung dieser Thematik im Schulunterricht befaßt. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe ist auch, die Situation nach der KMK-Erklärung zu erörtern und konkrete Vorschläge vorzulegen.
Vorgesehen war, einen ersten Zwischenbericht Ende 1974 zu erarbeiten Wie in Nordrhein-Westfalen verfahren wird, hat der dortige Kultusminister noch nicht entschieden In Niedersachsen ist noch ein „Erlaß über Ostkunde in den Schulen" vom 18. 12. 1970 gültig, der die Durchführung von „Ostkunde-und Mitteldeutschen Wochen"
fordert. Der Erlaß begründet dies, daß durch das Bemühen der Bundesregierung um Verständigung mit den östlichen Nachbarn der Ostkunde im Unterricht besondere Bedeutung zukommt. Eine dauerhafte Verständigung kann nur erwachsen auf dem Boden der historischen Wahrheit. Deshalb ist es notwendig, die Entwicklung sowohl Deutschlands als auch seiner Nachbarn im Osten in den wichtigsten Phasen der Vergangenheit und Gegenwart zu behandeln Der Landesschulrat der Freien und Hansestadt Hamburg dagegen betont, daß in Hamburg keine Empfehlungen zur Ostkunde mehr herausgegeben werden, da die in der Ostkundeerklärung der letzten Fassung enthaltenen Vorstellungen in den bestehenden Lehrplänen hinreichend berücksichtigt sind
Von allen Parteien unterstützt Womit ist die erstaunliche Vitalität des Anachronismus „Ostkunde" zu erklären? Drei Beobachtungen könnten zu einer Antwort führen: a) Förderung durch die Kultusverwaltungen Die Kultusverwaltungen aller Länder und aller politischen Provenienzen haben — zumindest bis zur Bildung der ersten „sozialliberalen" Koalition im Bund — ostkundliche Anliegen unterstützt. Obwohl diese Aussage ei-gentlich mit den Darstellungen der beiden vorausgegangenen Abschnitte belegt sind, dazu noch einige Anmerkungen:
Bei einer Durchsicht der stenographischen Berichte der Verhandlungen der Landtage fällt natürlich auf, daß es zunächst die Fraktionen des BHE/BG-BHE/GDP waren, die das Thema „Ostkunde" zur Erörterung stellten. Was die Landesparlamente an Beschlüssen ostkundlichen Inhalts verabschiedeten, war somit jeweils auf Antrag der parlamentarischen Vertreter der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge bewirkt worden. Es ist verständlich, daß diese Politiker mit ihren Anträgen zunächst die Anliegen ihrer Wähler zu vertreten suchten. Dabei darf nicht verkannt werden, daß diese Fraktionen durch ihre Initiativen und Anträge in den 50er Jahren die Bedingungen (Ostkunde-Referate, Etatansätze für Ostkunde, Lehrstühle für osteuropäische Geschichte) für eine Intensivierung des Ostkundeunterrichts an den Schulen geschaffen haben, wenn auch ihre jeweilige Auffassung von dem, was Inhalt dieses Unterrichts sein sollte, über eine „Heimwehostkunde" nicht hinauskam. in Bayern wurde z. B. im Jahre 1957 beim Staatsministerium für Unterricht und Kultus ein Referat „Ostkunde" eingerichtet. Die Bayerische Staatsregierung wurde damals von der „Vierer-Koalition" (SPD, FDP, BP, GB/BHE) gebildet. Der GB/BHE war Regierungspartei; so hatte wiederholtes Drängen dieser Fraktion angesichts der nicht sehr homogenen Koalition besonderen Erfolg.
Die Einrichtung des Referats „Ostkunde" beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus stellte im Bundesgebiet ein Novum dar. Wie in den anderen Bundesländern, so gab es auch in Bayern im Arbeitsministerium ein Flüchtlingsreferat, das zur Milderung der Eingliederungsschwierigkeiten der Heimatvertriebenen eingerichtet worden war. Von dieser Abteilung wurden (und werden) auch Mittel verwaltet, die zur Kultur-pflege der Heimatvertriebenen bestimmt waren. Da unter Beibehaltung dieser Stelle im Arbeitsministerium im Kultusministerium ein völlig neues Referat aufgebaut wurde, sollte dokumentiert werden, daß das Referat „Ostkunde" seine Aufgabe nicht in der Heimat-und Kulturpflege der Heimatvertriebenen sehen werde. Die Leitung des Referats im Kultusministerium übernahm , ein bayerischer Flüchtlingspolitiker, der für den GB/BHE bis zum Ende der Legislaturperiode 1953 bis 1957 Abgeordneter im Deutschen Bundestag gewesen war, der schon genannte Dr. Johannes Strosche. Im Haushalt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus wurden in den folgenden Jahren die Ansätze für „Ostkunde" laufend erhöht. In den Rechnungsjahren 1965 und 1966 standen für die Zwecke der Ostkunde und der politischen Bildung insgesamt pro Jahr 90 000 DM zur Verfügung Ab 1969 wurden die Mittel für Ostkunde und politische Bildung auf zusammen 75 000 DM gekürzt. Trotzdem konnten aus diesen Mitteln in den Jahren 1966 bis 1974 u. a. 60 ostkundliehe Lehrerfortbildungstagungen und Lehrveranstaltungen bezuschußt werden.
Nach Ausscheiden der „Vertriebenenpartei" aus den Landtagen wurde die Unterstützung ostkundlicher Anliegen von CSU/CDU, SPD und FDP gleichermaßen fortgeführt. Nach 1969 findet „Ostkunde" nur noch in Ländern mit CSU/CDU-geführter Landesregierung Unterstützung. Zwar wird deutlich, daß für die SPD und FDP „Ostkunde" nicht mehr in die politische Landschaft paßt, doch sind von diesen Parteien aus keinem Bundesland eindeutige Initiativen gegen die überkommene „Ostkunde" bekannt. b) Betätigungsfeld von Vertriebenenfunktio-
nären „Ostkunde" war und ist ein von der publizistischen Öffentlichkeit kaum beachtetes Betätigungsfeld von Vertriebenenfunktionären.
Das lag daran, daß die Ostkundler als eingearbeiteter Zirkel mit vielfältigen politischen Querverbindungen Recherchen geschickt zu unterbinden wußten Neben zwei Arbeiten des Verfassers „. Kommunismus'als Gegenstand bayerischer Schul-und Bildungsbemühungen seit 1945" (1968) und „Umstrittene . Ostkunde'" (1973) ist allein ein Artikel der „Zeit" bekannt, der vor einem „Ostlandritt im Klassenzimmer" (1963) warnt. Eine Aufstellung von zwölf weiteren Arbeiten zu Teilbereichen findet sich in Band 13 der „Studien zur Sozialwissenschaft": „Das Deutschland-problem in Schulbüchern der Bundesrepublik" Eine 1973 allen bayerischen Zeitungsredaktionen übergebene Dokumentation zur „Ostkunde“, die an der Gesamthochschule Bamberg erstellt wurde, fand bescheidene Resonanz. c) Versäumte Integration Ein weiterer Grund, weshalb die alten Ostkundler mehr sektiererisch in ihrem Metier weiterarbeiten konnten, ist auch in der mangelnden Bereitschaft der etablierten universitären Ostforschungseinrichtungen zu suchen, „Ostkunde“ frühzeitig sachlich zu korrigieren. Eine solche vertane Möglichkeit soll hier behandelt werden: Seit 1956 beschäftigte den Bayerischen Landtag der Versuch, Münchei. zum „Schwerpunkt der deutschen Ostfc -schung“ zu machen. Das Projekt geriet aus Gründen, die bayerische Politiker nicht zu vertreten haben, bescheiden; universitäre Ostforschungs-Institute hatten kein Interesse gezeigt. Eine zentrale, gut ausgestattete Osteuropaforschungs-Institution hätte sicherlich die „Ostkunde" frühzeitig in andere Bahnen gelenkt.
Am 27. Juni 1961 brachte die GPD-Fraktion im Landtag den Antrag ein, in München ein Osteuropahaus zu errichten. Dieses Haus sollte Forschungs-, Kultur-und Lehreinrichtungen aufnehmen, die sich in Bayern mit Osteuropafragen befassen. Am 14. März 1962 verabschiedete der Bayerische Landtag diesen Antrag. Staatsminister Prof. Dr. Maunz berichtete vor dem Landtag am 29. 4. 1963, das Staatsministerium für Unterricht und Kultus sei bei der Behandlung des Landtagsbeschlusses davon ausgegangen, daß der Plan eines Osteuropa-Hauses dahingehend verfolgt werden müsse, in einem solchen Gebäude die in München befindlichen Forschungseinrichtungen zusammenzufassen, die sich mit dem Problem des Ostens befassen.
Das Ministerium habe die Universität München sowie die aus dem Haushalt des Kultusministeriums bezuschußten Ostforschungseinrichtungen um eine Stellungnahme ersucht. Unter Hinweis auf seine befriedigende räumliche Unterbringung habe das Südost-Institut mitgeteilt, daß an der Errichtung eines Osteuropa-Hauses kein Interesse bestehe. Das Osteuropa-Institut, das Institut für Ostrecht und das Collegium Carolinum hätten dagegen den Landtagsbeschluß positiv ausgenommen; die Universität München wiederum habe Bedingungen gestellt, daß an eine räumliche Vereinigung der einschlägigen Seminare der Universität mit den anderen Ostforschungseinrichtungen nicht gedacht werden könne
Angesichts des Desinteresses einiger Ostforschungseinrichtungen mußte der Plan des zunächst konzipierten Osteuropa-Hauses aufgegeben werden. In Gestalt eines Ostdeutschen Hauses in München fand der Plan jedoch Befürworter in der Fraktion der FDP. Nach Umformulierung eines FDP-Antrages stimmte der Bayerische Landtag am 17. Dezember 1964 dem Antrag zu, die Staatsregierung möge ihre bisherigen Verhandlungen über die Errichtung eines Ostdeutschen-Hauses und die Bildung eines Trägers fortsetzen und abschließen.
Aufgrund des § 1 der Verordnung über die Errichtung der staatlichen Behörden vom 31. März 1954 erließ das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge im Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 2. April 1970 die Verordnung über die Errichtung eines „Hauses des Deutschen Ostens". Die Verordnung trat am 15. April 1970 in Kraft Das „Haus des Deutschen Ostens" dient als Begegnungsstätte zur Pflege und Fortentwicklung des Kulturguts der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie der Stärkung und Koordinierung ihrer Kulturarbeit. Es hat vor allem Aufgaben wahrzunehmen, die dem Freistaat Bayern aus dem Auftrag des § 96 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge für die kulturelle Förderung der Vertriebenen und Flüchtlinge erwachsen. Es hat auch der Förderung der „Ostkunde" im Bereich der Erwachsenen-und Jugendbildung, insbesondere dem „Ostkunde" -Unterricht an den bayerischen Schulen zu dienen.
Neue Schulbücher: Versachlichung der Behandlung Osteuropas Aus verschiedenen Veröffentlichungen, so aus Arbeiten von Wolfgang Mickel (1965) oder dem Bd. 3 der Forschungsberichte der Max-Traeger-Stiftung (1966), wissen wir, daß das Phänomen „Kommunismus" dem politischen und historischen Unterricht an den Schulen der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren durch eine unverhältnismäßig negative Beurteilung osteuropäischer Völker und dem Aufbau ängstlicher Ablehnungsmus r als Gegenideo -gie diente Schulbücher als „unterrichtliche Leitmedien" die didaktische Konzeptionen von Unterricht weitgehend präjudizieren, zeigen dies deutlich.
So lesen wir in einem 1964 verlegten Geschichtsbuch als Zusammenfassung des Kapitels über die „Soziale Frage im 19. Jahrhundert": „Marx leugnete Gott und die göttliche Ordnung in der Welt. Er bestritt, daß die Zustände aus dem Geist der christlichen Nächstenliebe gebessert werden können. Er stellt sich damit bewußt in einen Gegensatz zu allen christlichen Kirchen. Daher kam es, daß lange Zeit Marxismus und Gottlosigkeit gleichgesetzt wurden. Viele erkannten nun auch die berechtigten Forderungen der Arbeiter nicht an, weil sie von , Gottlosen'erhoben wurden. Der Kampf um die Lösung der sozialen Frage'wurde dadurch verschärft, die Lösung selbst jahrzehntelang hinausgezögert." Und an anderer Stelle: „Das Ziel (der Bolschewisten) war überall der Umsturz, die blutige Vernichtung der bestehenden Ordnung, um an ihre Stelle die Diktatur des Proletariats zu setzen . . . überall dort, wo in der Folgezeit soziale Mißstände, Hunger, Elend in einem Land herrschten, war auch die Komintern zur Hand, um durch eine Revolution der Massen die Macht an sich zu reißen. Das bedeutsamste Beispiel ist der Sieg der Kommunisten in China." Oder: „Nach dem Krieg zeigte das eigenmächtige und rücksichtslose Vorgehen Stalins in den deutschen Ostgebieten, daß die Herren des Kremls die Zeit für gekommen hielten, die Herrschaft des Proletariats aufzurichten. Der Hunger und das große Elend in Europa waren Stalin und seinen Mitarbeitern willkommen. Jetzt konnte man die Völker gegen ihre bisherigen Regierungen aufhetzen und zum Kommunismus . bekehren'.
Eine breite Palette ähnlicher Textstellen in einer repräsentativen Auswahl von Schulbüchern nötigte 1968 zu dem Urteil, daß viele der damals durchgesehenen Schulbücher junge Menschen nicht zu einer nüchternen Einschätzung des „Kommunismus" befähigen können: oft genug ersetzen negative Wertungen und falsche Darstellungen die sachliche Information
Helmut Freiwald, Gebhard Moldenhauer, Dieter Hoof und Hans-Joachim Fischer können bei einer Schulbuchanalyse 1973 schon differenziertere Aussagen machen. Zwar registrieren auch diese Autoren viele Fehldarstellungen und ideologisch vorbelastete, monokausale Urteile, doch kann Gebhard Moldenhauer resümieren: „In der sogenannten . neuen Schulbuchgeneration'tritt der emotional gefärbte Antikommunismus zugunsten einer Versachlichung zurück."
Dieser Befund — bei immer noch vielen Ungereimtheiten in der Darstellung dennoch ein Versuch der Schulbuchautoren, mehr und objektivere Informationen zu vermitteln — wird durch eine Untersuchung erhärtet, die die Befunde des Autors aus dem Jahr 1968 fort-schrieb: „In den durchgesehenen Büchern werden für die Behandlung von Marx und Engels durchschnittlich 3, 25 Seiten, für die kirchlichen Versuche zur Lösung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts durchschnittlich 1, 75 Seiten aufgewendet. Es steht also nahezu die doppelte Anzahl von Seiten für das Thema „Marx und Engels" zur Verfügung. 1968 dagegen kamen auf eine Seite über Marx fast doppelt so viele Seiten über die christlichen Bemühungen." „Im Gegensatz zu 1968 wird jetzt in allen Soziallehrebüchern die kommunistische Ideologie thematisiert. Die Aussagen über die DDR dienen nicht mehr dazu, unser Wirtschafts-und Gesellschaftssystem idealistisch zu verklären, sondern informieren über die Entwicklung, die sich im zweiten deutschen Staat nach 1945 vollzogen hat. Aufstand, Flucht und Mauerbau sind nicht mehr zentrale Punkte der Darstellung, sondern werden als Erscheinungen, die ihre Ursachen in ganz bestimmten wirtschaftlichen und politischen Konstellationen hatten, gesehen." Statt „Ostkunde": Intensivere Behandlung Osteuropas im Unterricht Der umstrittene Begriff „Ostkunde" sollte ersatzlos gestrichen werden. Ihn mit neuen Inhalten zu versehen, ist über Jahre hinaus versucht worden. Gemessen an den konkreten Ergebnissen ostkundlicher Arbeit haben sich neue theoretische Ansätze, die unter dem alten Titel „Ostkunde" firmierten, sich niemals in ähnlicher Weise in die Praxis umsetzen können. Was diesen Begriff zu ersetzen hat, bedarf jedoch intensiver didaktischer Überlegungen.
Folgende Prämissen wären dabei zu berücksichtigen, nämlich daß a) das Geschichtsverständnis, wie es in unseren Schulen vermittelt wird, wegen seiner traditionellen Ausrichtung auf den germanisch-romanischen Raum und der daraus resultierenden starken Vernachlässigung des osteuropäischen Raumes revidiert werden muß und b) die politische Diskussion in unserem Land über den Komplex Ostpolitik gerade in dieser Zeit (und wohl auch noch in den nächsten Jahren) wegen der dringenden notwendigen Versachlichung einer soliden Information über Osteuropa bedarf.
Bei den didaktischen Überlegungen müßten folgende Zielprojektionen bedacht werden: 1. „Ostkunde" wird ersetzt durch eine „Kommunismuskunde ". 2. Die Curricula für Zeitgeschichte werden unter dem Aspekt umgeschrieben, „zwei Wege der Industriegesellschaft im 20. Jahrhundert" (Karl-Heinz Ruffmann) darzustellen. 3. „Ostkunde" wird Osteuropakunde. Die Osteuropakunde als der Versuch, mehr Wissen und Einsichten über geschichtliche, sozialgeographische, politische und gesellschaftliche Probleme unserer osteuropäischen Nachbarn in den dafür relevanten Unterrichtsfächern zu vermitteln, erscheint als der problemloseste Ansatz. Zudem ist er als Ersatz für „Ostkunde" nicht neu: Die Empfehlungen des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs-und Bildungswesen (1956) und die beständigen Mahnungen Eugen Lembergs haben ein entsprechendes Arbeitsergebnis des Schulausschusses der KMK (1972) lange vorweggenommen. Wahrscheinlich wird sich kurzfristig die Konzeption Nr. 2 in der Kollegstufe, die Konzeption Nr. 3 in der Sekundarstufe realisieren lassen.
Unbeschadet einer längeren didaktischen Diskussion werden sechs politische Maßnahmen und Entscheidungen vorgeschlagen, deren pädagogische und gesellschaftspolitische Begründung keiner nochmaligen Erläuterung bedarf: 1. In die Lehrpläne für die Fächer Geschichte, Soziallehre und Erdkunde sind verstärkt kognitive Wissensinhalte über Osteuropa einzubeziehen; vorhandene Topoi und Vorurteile sollen durch valide affektive Lernziele ersetzt werden. Kognitive und affektive Lernziele sind sinnvoll auf die drei Fächer in aufeinander zugeordneten Jahrgangskursen zu verteilen, damit durch die Ökonomisierung der Unterrichtsplanung der erweiterte Lehrinhalt bewältigt werden kann. 2. Parallel zu 1. muß die Erstellung entsprechender Unterrichtsmedien erfolgen. Es genügt nicht, in das etablierte Unterrichtsmedium „Schulbuch" da und dort zwei Seiten mehr zu einem osteuropäischen Thema aufzunehmen. Die Verwendungsmöglichkeit neuer Medien wäre gerade in diesem Bereich zu überprüfen. 3. Wichtig ist die Durchführung von Lehrer-Fortbildungs-Maßnahmen. Tagungen sind grundsätzlich über Hochschulen oder staatliche Lehrerfortbildungsstätten zu veranstalten. 4. An allen Universitäten und Gesamthochschulen wären in den nächsten Jahren Lehrund Forschungsmöglichkeiten für osteuropäische Geschichte einzurichten bzw. weiter auszubauen. Fachdidaktische Lehrveranstaltungen sollten in engem Bezug zu fachwissenschaftlichen durchgeführt werden. Die laufende Diskussion um die Prüfungsinhalte der neuen Lehrerbildung bietet die Möglichkeit, den verpflichtenden Besuch von Lehrveranstaltungen zur osteuropäischen Geschichte für die künftigen Geschichtslehrer zu überprüfen. 5. Da sich das Plenum der KMK nicht dazu verstehen konnte, die vom Schulausschuß erarbeiteten „Empfehlungen zur Behandlung Osteuropas im Unterricht" zu verabschieden, sollten baldigst Osteuropahistoriker und Fachdidaktiker — möglicherweise über das „Ostkolleg" bei der Bundeszentrale für Politische Bildung — beauftragt werden, eigene Empfehlungen zu erarbeiten.
6. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für deutsche Ostkunde im Unterricht und deren Lan-desverbände sollten sich auflösen. Sie arbeiten, ohne repräsentativ zu sein und ohne eine beachtenswerte Resonanz zu erreichen; andererseits können sie notwendige Neuansätze verzögern.