Vergegenwärtigt man sich die wissenschaftlichen und teilweise auch journalistischen Veröffentlichungen der letzten Jahre zum Geschichtsunterricht, so fällt einem zunächst die eklatante Disharmonie der Standpunkte in die Augen: Da werden Argumente für den isolierten Fortbestand des herkömmlichen Geschichtsunterrichts noch immer in die Diskussion eingebracht und damit einer Konzeption des Geschichtsunterrichts das Wort geredet, die eigentlich spätestens seit den Saarbrücker Rahmenvereinbarungen der Kultusminister zum Fach Gemeinschaftskunde — zumindest für die gymnasiale Oberstufe — überwunden zu sein schienen. Die vielfältigen Vorschläge für eine Revision des Stoffplanes, die berechtigterweise verstärkt auf bislang „versäumte Lektionen"
Die oft beschworene Kooperationsbereitschaft der Geschichte mit anderen Fächern (Geographie, Gemeinschaftskunde, Deutsch, Religion u. a.) hat noch keine konkreten Ergebnisse gebracht und ist — trotz jahrzehntelangen Bemühens — bisher folgenlos und nahezu ohne Niederschlag in der theoretischen Literatur geblieben
Im Zuge der allgemeinen Curriculumentwicklung und im Anschluß an die Erkenntnis, daß die Geschichte als Korrelat der Biographie „großer Persönlichkeiten" die Möglichkeit der Manipulation von Einstellungen und Verhalten eröffnet und zudem zu falschen Identifikationen führen kann und überhaupt wegen der Anfälligkeit der Geschichte, 'sich zur Magd herrschender Meinungen und Trends zu machen, verstärkte sich in weiten Kreisen der Geschichtsdidaktiker die Überzeugung, daß die Zukunft der Geschichte in der Integration in die Politische Bildung oder Gesellschaftslehre liege. Der Bruch mit der bildungstheoretischen Tradition war damit vollzogen; die Geschichte als Gegenstand des Lernens er-fährt nunmehr eine vollkommen neue Zuweisung. Wohl aufgrund der verstärkten Integrationsdiskussion der jüngsten Zeit häufen sich jetzt solche geschichtsdidaktischen Veröffentlichungen, die teilweise beunruhigt und verunsichert den Fortgang des Faches Geschichte kommentieren oder dessen Entwicklung direkt angreifen. Der Krise der Geschichtswissenschaft entspricht die Krise des Geschichtsunterrichts
Auch wenn man neuerdings glaubt feststellen zu können, daß der Tiefpunkt der so viel beschworenen Geschichtsmüdigkeit überschritten sein dürfte
Diese Krisenstimmung hat sich in den letzten Jahren in dem Maße auch der Geschichtsdidaktik bemächtigt, wie diese und die Geschichtswissenschaft den Charakter zweier separater Wissenschaften verloren haben. Zwar hat man im Laufe der Entwicklung des Unterrichtsfaches Geschichte nicht selten von einer Krise des Geschichtsunterrichts gesprochen, doch erfolgten diese Verlautbarungen eher in vorbeugender Absicht, um einer Schmälerung des Geschichtsunterrichts in Volksschulen und Gymnasien zu Zeiten seiner bereits abklingenden Reputation vorzubauen
kommen, den Geschichtsunterricht ganz abzuschaffen oder doch wesentlich zu reduzieren. Auch Ansätze zu einer Integration der Geschichte in ein Fach Politische Weltkunde hat es mehrfach gegeben
Nach wie vor bestimmt die nicht zu leugnende Krise des Geschichtsunterrichts und seine unsichere Zukunft die geschichtsdidaktische Diskussion. Und auch hier sprechen die Titel der betreffenden Abhandlungen eine deutliche Sprache. Wer sich auf der Höhe der geschichtsdidaktischen Diskussion bewegen möchte, der — so hat es den Anschein — muß seiner Veröffentlichung das entsprechende Etikett verpassen. „Mitten in einer pädagogischen Revolution" stehend, wird „mit überkommenen Traditionen leichten Herzens gebrochen“. „Allenthalben drängt Neues, oft Schockierendes, nach vorn" und scheint den „Geschichtsverlust", ja sogar die „Geschichtsfeindlichkeit" zu begünstigen. „Die Besonnenen sind aufgerufen, in der allgemeinen Gedankenflut den Weizen von der Spreu zu sondern, das Brauchbare in das bestehende Bildungssystem einzubringen und das ganze System ohne hemmungslose Neuerungssucht zum Besseren fortzubilden."
Offensichtlich versprechen sich neuerdings auch manche Verlage eine besondere Publikumswirksamkeit von bedrohlich klingenden, verunsichernden Ankündigungen von Neuerscheinungen. Annette Kuhns vor kurzem erschienene „Einführung in die Didaktik der Geschichte" (München 1974) wurde vom Kösel-Verlag folgendermaßen eingeführt: „Das Unterrichtsfach Geschichte befindet sich seit Jahren in der Krise. Muß es abgeschafft werden oder gelingt es, ihm neue Chancen zu eröffnen?... *; und hatte man schon bei der Klett-Reihe „Anmerkungen und Argumente zur historischen und politischen Bildung” den Eindruck, als würden nunmehr auch im wissenschaftlichen Bereich wirtschaftliche Interessen die Titelfrage bestimmen, so ist diese Vermutung im obigen Falle zur Gewißheit geworden: Die Krise des Geschichtsunterrichts steht im Begriff, vermarktet zu werden; die Marktlücke ist (noch) da, der Gebrauch des Begriffs „Krise" ist „in", wenn man an seinen inflationären Gebrauch in den letzten Jahren denkt. „Das Historikergerede von der Gefährdung des Geschichtsbewußtseins nach Integration historischer in die gesellschaftlich-politische Bildung erscheint einem als dem Fachegoismus dienende Farce."
Die Arznei, die dem Geschichtsunterricht nachhaltige Remedur verschaffen könnte, ist bislang noch nicht gefunden. Gleichwohl sind Ansätze vorhanden, die aus dem Dilemma herausführen könnten
Zum Aspekt Geschichte in der Gesellschaftslehre
Zur Überwindung der gegenwärtigen Krise ist zunächst das Eingeständnis notwendig, daß die große Zeit des Geschichtsunterrichts endgültig vorbei ist und noch so wehmütige Reminiszenzen an seine einst unbestrittene Stellung nichts an der Tatsache ändern können, daß der Geschichtsunterricht im Rahmen der Unterrichtsfächer nur noch sekundäre Bedeutung hat. Dies schließt ein, daß wir die funktionale oder subsidiäre Rolle der Geschichte akzeptieren. Den Geschichtsunterricht als antiquarischen Selbstzweck hatte ohnehin bereits die „bildungstheoretische Didaktik" Erich Wenigers überwunden.
Es wird schwerfallen, auf dem Hintergrund des derzeitigen Diskussionsstandes um das Unterrichtsfach Geschichte weiterhin für dessen Erhaltung zu plädieren. Wichtiger wird es sein, dem Fach Gesellschaftslehre (oder wie immer das Fach heißen wird, als dessen integrierender Bestandteil der Geschichtsunterricht in Zukunft fortbestehen soll) jene historische Dimension zu verleihen, die nötig sein wird, um — in der Absicht, einen nutzbaren Lerneffekt zu erzielen — gegenwärtige Strukturen in ihren traditions-und Erklärungszusammenhang stellen zu können. Dabei wird, bei aller Kritik
In diesem Zusammenhang ließe sich also etwa bei der Behandlung eines Themas wie „Organisation von Arbeit und Arbeitern", ausgehend von unserer heutigen Situation, eine Vielzahl von Traditionssträngen aufzeigen, die — gerade bei dieser Thematik — häufig ineinander verflochten wären und nicht nur historische Paradigma für gegenwärtig ebenso oder ähnlich feststellbare Herrschaftsstrukturen und Organisationsformen liefern könnten, sondern darüber hinaus in vielfältiger Form zur Analyse unserer Gesellschaft unter Berücksichtigung der sie bedingenden, historisch gewachsenen Strukturen beitragen würden.
Die unterrichtspraktische Verwertbarkeit des Geschichtsinteresses
Entgegen den eher defaitistischen Äußerungen nicht weniger Historiker hat sich in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, daß das tatsächliche Geschichtsinteresse der Bevölkerung weitaus größer ist, als man dies aufgrund des angeblich konstatierbaren antihistorischen Affekts im gegenwärtigen Zeitbewußtsein (Theodor Schieder) annehmen möchte. Die kritische Fernsehsendereihe „Aspekte" hat wiederholt die Erhaltung historisch und kunstgeschichtlich bedeutsamer Stadtbilder gefordert und breiten Zuspruch aus allen Teilen der Bevölkerung erhalten. Die Besucherzahlen verschiedener Ausstellungen und sonstiger Veranstaltungen mit historischer Thematik zeugen von nicht zu erwartendem historischen Interesse. Die unter den Auspizien des Europarates durchgeführte Ausstellung „Karl der Große — Werk und Wirkung" (Aachen 1965; ca. 225 000 Besucher) sowie die aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr der Reichsgründung initiierte Ausstellung „Fragen an die Geschichte“ (Berlin 1971; 251 000 Besucher)
Eine weitverbreitete naiv-historische Neugierde hat möglicherweise auch zu der hohen Einschaltquote des mehrteiligen Fernsehfilms „Trenck" geführt; die gleiche Ursache dürfte den Erfolg solcher Bücher wie „Götter, Gräber und Gelehrte", „Der erste Amerikaner", „Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit“, „Die Phönizier" usw. begünstigt haben. Diese bislang kaum analysierten historischen Interessen und die daraus resultierenden Kenntnisse bei Erwachsenen sollten möglichst bald Gegenstand intensiver empirischer Forschung werden
Wenn sich nun herausstellt, daß es nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Grund-und Hauptschülern, die noch keinen Geschichtsunterricht erlebt haben (also etwa 4. — 6. Klasse), sowohl ein erstaunlich breit gestreutes geschichtliches Vorwissen als auch ein ebenso wenig erwartetes ausgeprägtes Interesse an allem Geschichtlichen gibt (eine von mir soeben begonnene Fragebogen-aktion in diesen Klassen läßt nach Rücklauf von nahezu 500 Fragebögen diesen Trend deutlich erkennen
Offensichtlich gelingt es nicht, das zunächst sicherlich als Primärmotivation wirkende historische Vorwissen auf längere Dauer zu verwerten und immer wieder zum Anlaß oder Ausgangspunkt von Lernen zu machen. Dem Bedürfnis der Schüler, vorhandene historische Kenntnisse zu erweitern oder mit neu erworbenen Kenntnissen zu konfrontieren und zu vergleichen, woraus sodann zusätzlich Motivation erwachsen kann, widerspricht die Schulwirklichkeit mit ihren vorgegebenen Stoffen, die den Interessen der Schüler nicht oder nur selten entsprechen.
Es wird daher vorgeschlagen, in der 5. und'oder 6. Klasse, in denen in einigen Bundesländern bisher die sogenannten „Geschichtsbilder" gepflegt wurden — Stoffe also, die den Schüler in der Regel wenig interessierten und auch nur vermeintlich „kindertümlich" waren —, jene historischen Stoffe „vor" zubehandeln, die den Schüler aus aktuellem Anlaß oder aus anderen Gründen gerade bewegen. Der damit zu erzielende Erfolg dürfte jenen mit den „Geschichtsbildern" anvisierten bei weitem übersteigen, denn indem die Schüler den stofflichen Rahmen des Geschichtsunterrichts selbst abstecken und damit Motivationsprobleme kaum auftreten dürften, vollzieht sich I der Übergang von vorunterrichtlich-naivem zu unterrichtlich wirksamem Geschichtsinteresse nahezu bruchlos. Einem obersten Lernziel . Emanzipation" wird auch schon in dieser I Phase durch weitgehende Selbstbestimmung der Schüler Rechnung getragen.
Da ohnehin an nahezu jedem historischen Stoff die wesentlichen instrumentalen Lernziele verwirklicht werden können, ist damit I eine gute Ausgangsbasis dafür gegeben, den I in der 7. Klasse nunmehr obligatorischen Ge-schichtsunterricht effektiv vorzubereiten, indem die wichtigsten Unterrichtstechniken (Interpretation von Quellen, Statistiken, Graphiken, Filmen etc) bereits in der 6. Klasse ein-geübt wurden.
Gelingt es, das durchaus vorhandene Interesse der Schüler etwa mit obigem Verfahren unterrichtspraktisch wirksam werden zu lassen, dann sollte auch dem Lernen in Geschichte nachhaltigerer Erfolg beschieden sein.
Zur Frage der Stoffauswahl
I Natürlich besteht kein Zweifel, daß zu diesem erhofften Erfolg auch die Stoffe und ihre Darbietung beizutragen hätten. Mithin bleibt die Frage der Stoffauswahl zentrales Problem einer Geschichtsdidaktik — und an ihrer Lösung werden sich die Geister noch lange scheiden. I Da das an sich Wißbare aus der Vergangen-I heit unendlich ist, wird bereits der notwendige Auswahlprozeß der geschichtlichen Unterrichtsgegenstände je nach seinen Prämissen konstitutiv für entweder einen kritisch-rationalen oder den jeweiligen Zustand apologetisdi-Iegitimierenden Unterricht sein.
Durchforstet man die älteren, teilweise noch immer gültigen Lehrpläne für Geschichte nach den Zielen des Geschichtsunterrichts, dann ergibt sich eine Liste von Begriffen, die den stark irrationalen Gehalt der dem Historismus verpflichteten Geschichtswissenschaft widerspiegeln: Der Geschichtsunterricht soll vor allem „Tugenden pflegen, die für das Zusammenleben unserer Gesellschaft von großem Wert sind: . Verantwortungsbewußtsein und Tatbereitschaft für Gesellschaft, Staat, Volk und Menschheit': >die Liebe zum eigenen Volk wecken'; Erziehung , zur Wahrhaftigheit, Rechtlichkeit, Duldsamkeit und zur Ehrfurcht'; ... . bereitet die Jugend auf die allen gemeinsamen Verpflichtungen eines tätigen hebens im Dienste von Staat, Volk und Menschheit vor'“
Dem stehen heute die allgemeinen Lernziele der neuen Rahmenrichtlinien und Curricula für Geschichte und Gesellschaftslehre etwa in Hessen gegenüber: „Bezugsrahmen für die Bestimmung der Lernziele bilden (das) Grundgesetz und (die) Hessische Verfassung. In ihnen wird die Würde des Menschen als höchster Rechtswert festgelegt . . . Dies verpflichtet (den) Unterricht, (die) Schüler zu befähigen, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten und an gesellschaftlichen Entscheidungen mitzuwirken. Dementsprechend bildet die Befähigung zur Selbst-und Mitbestimmung das oberste Lernziel der Gesellschaftslehre. Es muß für alle Schüler gleichermaßen gelten. Seine Verwirklichung ist daher an die Aufhebung ungleicher Lebenschanchen geknüpft."
Die alten Ziele des Geschichtsunterrichts waren auf die Integration des Staatsbürgers in die Gesellschaft gerichtet und hatten nicht selten seine kritiklose Identifikation mit dem Staat zur Folge. Der „Staat" kodifizierte seine Erwartungen in den entsprechenden Lehrplänen und verlangte von den Schulen deren Einlösung. In den Hessischen Rahmenrichtlinien stehen statt dessen die Schüler im Vordergrund und nicht mehr länger die — wie auch immer motivierten — Interessen des Staates. Die Gesellschaft wird insofern von dieser neuen Entwicklung profitieren, als die Schule nicht länger fremdbestimmte Wesen entläßt, sondern junge Menschen, die ihre echten Bedürfnisse und die Möglichkeit ihrer Befriedigung im solidarischen Zusammenleben mit der übrigen Bevölkerung erkannt haben. Das allgemeine Lernziel „Solidarität" kann diesen Prozeß selbst zum Gegenstand von Lernen zur Voraussetzung haben und anhand historischer Beispiele die Funktion von Solidarität sowie die Auswirkungen ihres Fehlens aufzeigen.
Dieser Wandel in den Zielen des Geschichtsunterrichts
Hat man dem Geschichtsunterricht ehedem allenfalls die Ausbildung gewisser erwünschter staatsbürgerlicher Tugenden zugesprochen, womit immerhin auch damals schon die Hoffnung auf ein bestimmtes politisches Verhalten — also eine Art Nutzanwendung — verbunden war, so betont heute selbst die traditionelle Geschichtswissenschaft die unmittelbare praktische Anwendbarkeit der Geschichte
Wenngleich man sich den „Verwertungszusammenhang der Historie"
Anneliese Mannzmann hat jüngst einen originellen Theorie-Praxis-Bezug von Historie vorgestellt, der zukunftsweisend für die geschichtsdidaktische Diskussion sein könnte: „So wie Vergangenheit macht-und herrschaftsabhängigen Strukturierungsprinzipien unterliegt, wird auch Zukunft offiziell und inoffiziell in Total-oder Partialentwürfen vorweggenommen und ein imaginäres Feld für* Aktivitäten abgesteckt, die in politischer, ökonomischer, kultureller Hinsicht vorherbestimmbar und steuerbar sind."
Schwieriger wird es sein, den Schüler in die Lage zu versetzen, durch die Entwicklung einer konstruktiven Phantasie alternatives Denken zu ermöglichen. Die Einübung analytischer, kritischer, kombinatorischer, komparativer und expressiver Fähigkeiten soll den Schüler befähigen, „Ist-Tatbestände nach Sollens-Tatbestände hin zu hinterfragen"
Gemessen an den derzeit geläufigen Unterrichtsstoffen zeigt sich deutlich die Neuartigkeit dieser Vorschläge, gleichzeitig aber auch die Schwierigkeit, diese Vorschläge im Augenblick mit Erfolg in den Unterricht einzubringen.
Zur Frage der Lehrerfortbildung
Die Diskrepanz zwischen selbsterfahrener traditioneller Ausbildung und neuen Lehrplananforderungen in Verbindung mit der frei Haus gelieferten Verunsicherung durch didaktische und methodische Publikationen lassen den Geschichtslehrer nicht selten an seinem Fach zweifeln und haben seine zunächst emotionale, später auch faktische Abkehr vom Fach zur Folge. Seinem verständlichen Verlangen nach mehr Sicherheit im Fach ist dadurch Rechnung zu tragen, daß ihm die Möglichkeit zur intensiven Einarbeitung in den derzeitigen fachdidaktischen Diskussionsstand geboten wird. Ferner muß dafür gesorgt werden, daß der Geschichtsunterricht und die Geschichtslehrbücher sich nicht noch weiter vom jeweiligen Stand der geschichtswissenschaftlichen Forschung entfernen, was leider aufgrund des immer stärker betriebenen Spezialistentums in der Geschichtsforschung
Da die Geschichtswissenschaft offensichtlich nicht in der Lage ist, unterrichtspraktisch verwertbare, auf der Höhe des derzeitigen Forschungsstandes stehende Synthesen zu schreiben — in den meisten westeuropäischen Ländern hat es an dergleichen Versuchen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht gefehlt—, wäre es Sache der Unterrichtspraktiker selber, hier Abhilfe zu schaffen. Um die häufig aus Unkenntnis der neuesten Forschungen sich einstellenden groben Vereinfachungen und entstellenden Glättungen im Unterricht zu vermeiden, bedarf es umgehend unterrichtspraktischer Handbücher, um diesem Dilemma abzuhelfen. (Bekanntlich gibt es bereits einige unterrichts-praktische Handbücher auf dem Markt [Schlegels Handbuch für den Geschichtsunterricht in der Mittelstufe, das Handbuch von Kleinknecht-Lohan, das Handbuch von Hermann Meyer, zuletzt das 3bändige Werk von Castritius, Lotter, Meyer und Neuhaus, „Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft" ], doch ist ihnen allen gemeinsam, daß sie in der Regel noch zu wenig Impulse für den Unterricht bringen und sowohl im didaktischen und methodischen als auch im stofflich-faktischen Bereich zu schnell veralten. Es wäre zu überlegen, ob hier nicht eine Loseblattsammlung mit der Möglichkeit von Nachlieferungen je nach Bedarf geeigneter wäre.) Wünschenswert wäre für Lehrer aller Stufen ein fortgesetztes Fortbildungs-und Intensivierungsstudium, das in einer Phase der Erprobung zunächst auf freiwilliger Basis oder fakultativ, später aber obligatorisch alle fünf bis acht Jahre jeweils für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten die Möglichkeit einer kritischen Rezeption neuer fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Erkenntnisse garantieren würde. Dieses die Lehrer ohne Zweifel neu motivierende Studium könnte gleichzeitig eine stetige Revision der Lehrinhalte seitens erfahrener Praktiker zur Folge haben und damit auch in dieser Hinsicht unmittelbare Auswirkungen auf die Unterrichtswirklichkeit haben. Die Diskussion um die Lehrerfortbildung im Fach Geschichte/Gesellschaftslehre sollte in diese Richtung weitergeführt werden, auch wenn die Realisierungschancen wegen der zu erwartenden Kosten (größerer Lehrerbedarf) zunächst nur gering sein dürften.