In den modernen Massendemokratien erfolgt die politische Willensbildung primär durch die Parteien. Diese Tatsache bedingt die Notwendigkeit der Analyse innerparteilicher Demokratie. Die vorliegende Studie, die sich mit der Christlich Demokratischen Union befaßt, zielt darauf ab, die durch die formale und informale Struktur gesetzten Bedingungen innerparteilicher Willensbildung und Entscheidungsfindung zu untersuchen. Der Autor läßt sich von den Kriterien einer empirisch orientierten, normativen Demokratie-theorie leiten, der es einerseits um die Erweiterung der innerparteilichen Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder und andererseits um die Reduzierung einer unkontrollierten Konzentration der Entscheidungkompetenzen der Parteioligarchie geht. Auf die Analyse des programmatisch fixierten Demokratieverständnisses der CDU folgt unter dem Aspekt innerparteilicher Willensbildung und Konfliktregelung eine Untersuchung der Organisationsstruktur und Parteimentalität. Da es sich bei der CDU, die sich selbst als Volkspartei versteht, um keine monolithische Einheit, sondern um eine Interessenvielfalt handelt, wird einmal der in der Satzung der CDU formulierte Anspruch eines pluralistischen Gleichgewichts der Interessen an der Parteirealität gemessen und ferner festgestellt, daß der organisierte Interessenpluralismus in der Partei zwar die Möglichkeit innerparteilichen Wettbewerbs und der Gruppenkonkurrenz aufweist, daß die Parteiführer auf den verschiedenen Ebenen im Konfliktfalle aber in der Regel ein Kartell bilden, das bemüht ist, sich gegen Einflüsse von unten abzuschirmen. Die Analyse gelangt abschließend zu dem Ergebnis, daß in der CDU eine Willensbildung und Konfliktregelung nach dem Konkordanzmodell und nicht nach dem Konkurrenzmodell politischer Willensbildung vorherrscht. Daraus resultieren in der noch ohnehin vom Honoratiorendenken nicht freien Partei Oligarchisierungstendenzen, deren Reduzierung erst dann möglich wird, wenn ein annäherndes Gleichgewicht der Interessen und Gruppenkonkurrenz hergestellt sind — Voraussetzung für eine potentielle Korrektur innerparteilicher Vorherrschaft.
I. Das Demokratieverständnis der CDU
[i der deutschen Demokratiediskussion hat das Problem der innerparteilichen Demokratie immer seinen festen Platz gehabt. Insbesondere in den letzten Jahren standen im Zentrum dieser Auseinandersetzung die Frage der Par-tizipationserweiterung und die strukturellen Bedingungen einer innerparteilichen Opposition. Die Praxis innerparteilicher Willensbil-düng, der Entscheidungsfindung und der Per-Malselektion ist mit der inneren Ordnung einer Partei verknüpft, die wiederum aus deren Demokratieverständnis resultiert, wie auch die innere Ordnung ständig das ihr angemessene Demokratieverständnis erzwingt. Eine Untersuchung innerparteilicher Demokratie sollte ihre normativen Annahmen darlegen, von denen sie sich leiten läßt.
Die vorliegende Analyse geht von einer „empirisch informierten, normativen Demokratie-theorie" aus, der es erstens darauf an-kommt, bei innerparteilichen Willensbildungsprozessen die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder zu erhöhen, und die zweitens darauf abzielt, daß die prinzipiell allen Mitgliedern oftenstehenden Partizipationschancen zu einem aktiven innerparteilichen Engagement führen und so die unkontrollierte Konzentration der Entscheidungskompetenzen in den Händen einer Parteioligarchie verrin-gern. Dieses Demokratieverständnis intendiert nm der individuellen Selbstentfaltung willen eine Erweiterung der „Freiheitsräume" der Parteimitglieder, deren „Rückwirkungen auf den Gesamtcharakter der politischen Kultur" von zentraler Bedeutung sind
Die Demokratiekonzeption Scharpfs, an die sich die vorliegende Untersuchung anlehnt, soll hier nicht näher dargestellt werden, aber als Urteilsgrundlage für die Analyse des Demokratieverständnisses der CDU dienen.
Die CDU hat auf dem Düsseldorfer Parteitag 1971 ihr Demokratieverständnis verbindlich niedergelegt. Die entscheidenden Sätze lautem DieCDU versteht die Demokratie als eine dy-namische, fortzuentwickelnde politische Ord--------- -nung, die die Mitwirkung der Bürger gewährleistet und ihre Freiheit durch Verteilung und Kontrolle der Macht sichert. Diese Ordnung muß für den einzelnen durchschaubar sein; sie kann nur verwirklicht werden, wenn sich die Bürger für ihre Gestaltung verantwortlich fühlen und sich aktiv und opferbereit daran beteiligen. Die CDU will den gesellschaftlichen Fortschritt fördern und die Bedingungen für eine freie Selbstentfaltung der Person schaffen." (Präambel) „Kritisches Engagement im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung ist ein wesent-licher Beitrag zur dynamischen Weiterentwicklung der Demokratie. In der Demokratie müssen die Rechte des einzelnen und die Rechte der Gemeinschaft aufeinander abgestimmt sein. Die Grundwerte der Demokratie gelten nicht nur für den staatlichen Bereich; die schematische Übertragung der Struktur-prinzipien parlamentarischer Demokratie auf den gesellschaftlichen oder privaten Bereich ist aber nicht möglich. Wir fordern mehr Öffentlichkeit, Durchsichtigkeit, Mitwirkung und Information in Staat und Gesellschaft." (Ziffer 107)
Interpreten innerhalb der CDU selbst deuten diesen Demokratiebegriff ausschließlich als politisches Verfahren, das politische Herrschaft zu kontrollieren, die Mitwirkung der Bürger zu gewährleisten und die „freie Selbstentfaltung der Person" zu fördern hat Wie schon bei Schumpeter wird Demokratie als „politische Methode" verstanden und nicht auch als ein gesellschaftliches Ziel, aus dem heraus sie eine „inhaltliche Festlegung“ erfährt
Zwar ist es richtig, daß eine bestimmte inhaltliche Festlegung nicht erfolgt; Demokratie aber nur als Verfahren zu verstehen, vermag in Anbetracht dessen, daß in Ziffer 107 des Düsseldorfer Parteiprogramms von „Grundwerte(n) der Demokratie“ gesprochen wird, nicht so recht zu überzeugen. Unter den führenden Vertretern der CDU herrscht über diesen Aspekt des Demokratiebegriffes auch keineswegs Einigkeit. Norbert Blüm, der Hauptgeschäftsführer der Sozialausschüsse, vertritt die Auffassung: „Inhaltsfragen können nicht ausgeklammert werden und damit auch nicht politische Wertfragen. Es geht in der Demokratie um mehr Freiheit. Freiheit ist jedoch nicht nur die Abwesenheit der Not und der Willkür, sondern in ihrer dritten Dimension ein positiver Wert: Selbstbestim-mung." Hierbei dürfte es sich nicht nur um das Demokratieverständnis eines „Reform-Solisten“ innerhalb der CDU, sondern um die zumindest in den Sozialausschüssen und in der Jungen Union vorherrschende Demokratievorstellung handeln, die jedoch nicht Allgemeingut der Union ist. Die programmatische Unschärfe des Demokratiebegriffes gestattet jeder Position in der CDU, das Demokratieverständnis der Partei in ihrem Sinne auszulegen.
Noch deutlicher zeigt sich dies bei der Betrachtung eines anderen Gesichtspunktes. Wenn im Düsseldorfer Programm formuliert wird, daß die Grundwerte der Demokratie nicht nur für den staatlichen Bereich gelten, dann spricht die CDU „Möglichkeiten und Grenzen einer Demokratisierung der Gesellschaft" an. Es ist auch nicht einzusehen, warum die Werte wie Freiheit, Machtverteilung, Herrschaftskontrolle und Mitbestimmung der Bürger nur für den staatlichen und nicht auch für gesellschaftliche Bereiche relevant sein sollen. Die z. T. undifferenzierte Apologie der Grenzziehung zwischen Politi-schem und Unpolitischem und der Hinweis auf die „strukturelle Ungleichheit unter des Menschen“ und die „Eigengesetzlichkeit det Kultursachgebiete" orientieren sich vorwiegend am politisch-gesellschaftlichen Status quo und üben häufig eine scheintheoretische Alibifunktion aus, um Innovationsprozesse gesellschaftlichen Wandels zu ersticken. Dal eine „schematische Übertragung der Struktur-prinzipien parlamentarischer Demokratie auf den gesellschaftlichen oder privaten Bereich .. . nicht möglich" ist, leuchtet von det Grundannahmen „einer komplexen, auf eine Mehrzahl normativer Anforderungen reagierenden Demokratietheorie“ durchaus ein da gerade „das dem Partizipationspostulat zugrunde liegende Axiom des Eigenwertes menschlicher Selbstentfaltung und Selbstbestimmung" verletzt würde, „wenn man die Maximierung der politischen Beteiligung auf Kosten aller anderen Bedürfnisse, Interessen und Ziele des einzelnen verlangen wollte"
Vom Standpunkt einer empirisch informierten, normativen Demokratietheorie her müß-ten also die Anwendungsbereiche genauer bestimmt werden, in denen das Partizipationspostulat wirksam werden kann. Fehlt eine solche differenzierte Angabe, wie das im Düsseldorfer CDU-Programm der Fall ist, so dient der die Partizipationsmöglichkeiten scheinbat einschränkende Satz allzuleicht der Verteidigung traditioneller Demokratie-, Staats-und Gesellschaftsauffassung, die schließlich auch noch ihre Vorstellung eines Dualismus von Staat und Gesellschaft bestätigt findet; dem es heißt: „Der Staat .... muß dem Mißbrauch gesellschaftlicher und politischer Macht wirksamentgegentreten." (Ziffer 107)
Sieht man einmal von dem hier programme tisch fixierten Unsinn ab, der Staat, der ja politische Macht besitzt, solle seine eigene politische Macht kontrollieren so bricht mit dieser vielleicht nicht zufälligen Form orung der Hegelsche . Mythos des Staa2 in das CDU-Programm ein.
3 drängt sich die Frage auf, ob die mangeln-e logische Stringenz der Aussagen zur De-
nokratie aus dem theoretischen Unvermögen der Programm-Kommission resultiert und eitl. zufälliger Natur oder Integrationsprodukt und Spiegelbild des geistigen und politi-
sehen Interessenpluralismus in der CDU ist, der nur ein Amalgam unterschiedlicher De-
mokratiepositionen gestattet. Obwohl diese Frage nicht entschieden beantwortet werden rann, soll hier die begründete Vermutung ge-
aubert werden, daß der Demokratiebegriff der CDU «us der Berücksichtigung aller politischen Gruppierungen dieser Volkspartei und as dem öffentlichen Stellenwert und Bedeuangswandel des Begriffes entstanden ist. Wie Helmuth Pütz zu Recht feststellt, war der „de-
nokratische Anspruch der CDU ... in den programmatischen und sonstigen Äußerungen der Partei unterentwickelt“ Noch in der Präambel des Berliner Programms von 1968 wurde keine Aussage zur Demokratie gemacht. Erst in der bereits zitierten Präambel der 2. Fassung von 1971 wurde die hier behandelte Definition des demokratischen Selbstverständnisses beschlossen.
Dleser Sachverhalt zeigt an, daß die CDU in der Aufnahme der Demokratiediskussion aus der Defensive heraus reagiert hat. Die undifferenzierte Demokratisierungsformel Willy Brandts nach der Demokratie als Prinzip »verstehen ist, „das alles gesellschaftliche Sein der Menschen durchdringen und beeinflussen muß“, beantwortete Bruno Heck mit aner undifferenzierten Ablehnung Seither vußte eine vermeintlich'kritische Offentlichkeit, wogegen die CDU war. Die öffentliche Grundströmung brachte am meisten diejeni-gen Gruppierungen der CDU in Verlegenheit, die zunächst dem politischen Gegner gegen-iberstanden: die Sozialausschüsse und eine sich emanzipierende Junge Union. Auf der ahreshauptversammlung der JU im Novem-ber 1969 in Hamm wies der Bundesvorsitzende der JU, Jürgen Echternach, Hecks Auffassungen scharf zurück. Die Partei-und Fraktionsspitze aber hüllte sich in Schweigen. Den Wandel des traditionellen Demokratieverständnisses der CDU signalisierte der gescheiterte Versuch Bruno Hecks, im Düsseldorfer Programm eine eindeutige Distanzierung vom sozialdemokratischen „Demokrati-sierungs“ -Verständnis durchzusetzen. Wie Hennis wohl zutreffend bemerkt, einigte man sich auf „Kompromißformeln" So ist das in Düsseldorf beschlossene Demokratieverständnis weniger aus normativen Fragen der Gesamtpartei nach den Werten und Zielen der Demokratie zu erklären als vielmehr aus der ständigen Bereitschaft der Partei, alle innerparteilichen — auch unvereinbaren — Strömungen und politischen Vorstellungen zu integrieren, wenn auch auf einen kleinsten oder gar widersprüchlichen Nenner *
II. Innerparteiliche Willensbildung und Organisationsstruktur
Abbildung 2
Abbildung 2
Abbildung 2
In den modernen Massendemokratien erfolgt die politische Willensbildung primär durch die Parteien Diese Tatsache fordert dazu heraus, auf die innerparteiliche Willensbildung ein besonderes Augenmerk zu richten
Die CDU, die sich selbst als „moderne Volkspartei" versteht, könnte man auch mit Zeuner als „Mehrzweckpartei" bezeichnen, die eine bedingt kollektive Handlungseinheit mit mehr oder weniger straffer Organisation darstellt, welche nicht das Ziel hat, die Gesellschaftsordnung im Sinne einer bestimmten Klasse umzugestalten, sondern die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen dienen will, deren Forderungen sie zu einem relativ kohärenten Programm zusammenfügt, das sie als Parteiwillen in Staatswillen umzusetzen versucht, wenn sie die Teilhabe an der Staatsmacht erkämpft hat.
Wie die moderne Gesellschaft ein äußerst differenziertes Sozialgebilde ist, ist auch die CDU als Volkspartei keine monolithische Einheit, sondern eher als Koalition zu begreifen, in der die innerparteiliche Willensbildung kontrovers verläuft und mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft ist. Welchen Bedingungen diese Willensbildung unterliegt, ist vornehmlich auch eine Frage der Organ, sationsstruktur. 1. Selbstverständnis und Funktion der Vereinigungen Das Statut der CDU nennt sieben „Vereinigungen" der Partei: 1. Junge Union, 2. Frauen Vereinigung, 3. Sozialausschüsse der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, 4. Kom munalpolitische Vereinigung, 5. Mittelstandsvereinigung, 6. Wirtschaftsvereinigung, 7. Union der Vertriebenen und Flüchtlinge 1. Nach § 39 des Statuts sind die Vereinigungen „organisatorische Zusammenschlüsse mit dem Ziel, das Gedankengut der CDU in ihren Wirkungskreisen (junge Generation, Frauen, Arbeitnehmer, Kommunalpolitik, Mittelstand, Wirtschaft, Vertriebene und Flüchtlinge) zu vertreten und zu verbreiten sowie die besonderen Anliegen der von ihnen repräsentierten Gruppen in der Politik der CDU zu wahren Ihr organisatorischer Aufbau entspricht dem der Partei. Sie haben eine eigene Satzung, die der Genehmigung durch den Bundesausschuß bedarf. Der Hauptgeschäftsführer einer Vereinigung wird im Einvernehmen mit dem Generalsekretär ernannt. Sie haben das Recht zu eigenen Verlautbarungen, die den von der Partei festgelegten Grundsätzen nicht widersprechen dürfen."
Von ihrem Selbstverständnis und ihrer Funktion her haben die Vereinigungen sowohl im parteilichen Vorfeld als auch innerparteilich die Aufgabe, zur Interessenaggregation und -artikulation beizutragen. Das könnte bedeuten, daß ein „zusätzlicher Weg der Mitbestimmung von unten" neben den allgemeinen Parteiorganen besteht, der das Demokratie-potential der CDU verstärkt. Dies setzt aber eine breite Mitgliederbasis der relativ selbständigen Vereinigungen und einen funktionsfähigen innerparteilichen Wettbewerb voraus-. Uber eine solche Mitgliederbasis verfügen aber allenfalls die Junge Union und die Sozialausschüsse. Die übrigen Vereinigungen führen meistens eine selbstgenügsam beschauliche Existenz, die erst bei der Besetzung von Vorstandspositionen, Kandidaturen und Listenplätzen „politisch" belebt wird; dann allerdings wird von den Vereinigungs-
führern außerordentlicher Wert auf eine proportionale Repräsentation in den jeweiligen Vorständen gelegt. Kritische Stimmen in der CDU prangern dieses Selbstverständnis der Vereinigungen an, die sich zunehmend nur als . Personallobby" verstehen und nicht die . Union mit neuen attraktiven Persönlichkeiten ... bereichern" sondern „politische Karrieren von Politikern lediglich unter dem Blickwinkel des Vereinigungsegois-mus" fördern. In der Tat werden durch diese Mängel eine höhere Flexibilität der Führungsgruppen gefährdet, die Partizipationschancen verringert, „alternative Entscheidungsmöglichkeiten . . . und eine größere Transparenz sowie eine effektivere Kontrolle von Entscheidungsprozessen" beeinträch-tigt.
Von einer „innerparteilichen Gruppenkonkurrenz", die dafür sorgt, daß mit den Personal-
entscheidungen auch zugleich Richtungsentscheidungen getroffen werden, ist eigentlich nur bedingt zu sprechen In diesem Zusammenhang muß auch gefragt werden, ob die gegenwärtig in der CDU vorhandenen Vereinigungen den gesellschaftlichen Interessenpluralismus widerspiegeln. Die bereits genannten Kritiker in der CDU bezweifeln dies und schlagen deshalb vor, eine neue Vereinigung . zur politischen Mobilisierung der neuen Mittelschichten in der Dienstleistungsgesellschaft" zu gründen. Augenfällig weist hier der organisierte Interessenpluralismus in der CDU ein Defizit auf, was dazu führt, daß Angehörige dieser „neuen Mittelschichten" sich organisatorisch nicht repräsentiert fühlen. Den politisch Ambitionierten aus dem Dienstleistungssektor bleibt nur übrig, sich einer der übrigen Vereinigungen anzuschließen. Dort aber ist ihr politisches Engagement zurückhaltender Skepsis ausgesetzt, da die originären Vereinigungsmitglieder als Motiv des Beitritts häufig politischen Opportunismus unterstellen. Dies gilt vor allem dann, wenn sich beamtete „Akademiker“ in den Sozial-äusschüssen profilieren wollen. Die Skepsis W nicht immer unbegründet, weil die Zuge-Hörigkeit dieser „Akademiker“ manchmal eher aus dem Kalkül innerparteilicher Aufstiegschancen als aus einer theoretisch re-flektierten, vorbehaltlosen Zustimmung zur politischen Programmatik der Sozialausschüsse entspringt. Dieser Sachverhalt begründet auch den oft festgestellten Mangel an Konsens und Solidarität innerhalb einzelner Vereinigungen, insbesondere der Sozialausschüsse und der Jungen Union. Ein solcher Mangel an Solidarität stellt aber zusätzlich die Durchsetzungsfähigkeit eines bestimmten politischen Programms in Frage. Zwar geht die Satzung der CDU theoretisch von einem „pluralistischen Gleichgewicht der Interessen" aus, die innerparteiliche Realität hält diesem Anspruch jedoch nicht stand, weil wesentliche gesellschaftliche Interessen organisatorisch unter-oder überhaupt nicht repräsentiert sind.
Die „Bündnispolitik“ der Vereinigungen hat in der Vergangenheit allzu deutlich Koalitionsverhältnisse bestimmt, die gegen die Sozialausschüsse gerichtet waren Hinzu kommt, daß die Vereinigungen in den einzelnen Landesverbänden infolge unterschiedlicher Traditionselemente und Sozialstrukturen sich in einem Ungleichgewicht befinden. Unter dem normativen Aspekt innerparteilicher Demokratie läßt sich zusammenfassend sagen:
(1) Der theoretisch beanspruchte Interessen-pluralismus in der CDU leidet an erheblichen Gleichgewichtsstörungen.
(2) Da die meisten Vereinigungen keine breite Aktiv-Mitgliederschaft aufweisen, findet eine Programmkonkurrenz zwischen den Vereinigungen auf der unteren Ebene selten statt, sondern allenfalls auf der mittleren Funktionärsebene, wo sie meistens in eine Personalkonkurrenz umschlägt.
(3) Apathie und Mentalität der Vereinigungsmitglieder bewirken eine Reduzierung innerparteilicher Teilnahme und verstärken oligarchische Tendenzen in den Funktionärseliten auf allen Ebenen. 2. Organisation und Konflikt Die repräsentativdemokratische Konzeption innerparteilicher Demokratie sollte vom Konkurrenz-, nicht aber vom Konkordanzmodell politischer Willensbildung ausgehen d. h., die Besetzung von Führungspositionen und Entscheidungen müssen aus dem innerparteilichen Wettbewerb konkurrierender Gruppen resultieren. Das Konkordanzmodell hingegen versucht, Konflikte durch „Einvernehmen" und „in strittigen Fragen durch eine Koppelung und gleichzeitige Regelung kontroverser Entscheidungen (Junktim) zu lösen"
Die Organisationsstruktur der CDU sieht aber z. T. eine Konfliktregelung im Sinne des Konkordanzmodells vor. Wie die Bestellung der Hauptgeschäftsführer der Vereinigungen „im Einvernehmen“ mit dem Generalsekretär zu erfolgen hat, werden auch die Sozialsekretäre „im Einvernehmen" mit den beteiligten Vorständen auf Kreisebene vom Landesvorstand der Partei eingestellt. Die Landespartei ist juristischer Arbeitgeber der Sozialsekretäre; die Landes-CDA kann Anweisungen geben, während die konkrete Arbeitsanweisung am Ort die Kreis-CDA erteilt. Auf Grund dieser Organisationsstruktur kam es im rheinischen Landesverband im Jahre 1973 zu verschärften Personalkonflikten zwischen Kreis-verbänden und Sozialsekretären.
Insbesondere die Auseinandersetzungen um den Essener Sozialsekretär Vorbrücken, die den Essener CDU-Kreisverband beinahe ein Jahr, die rheinischen Sozialausschüsse und den CDU-Landesvorstand über ein halbes Jahr beschäftigten, beleuchten exemplarisch die Organisationsmängel, die Struktur innerparteilicher Willensbildungsprozesse und Konfliktregelung und das ambivalente Demokratieverständnis der CDU. Die lang andauernde Kontroverse zwischen dem Sozialsekretär und den Essener CDAund CDU-Vorstän-den resultiert aus der ungewöhnlichen Aktivität und der durch die Vorstände nicht legitimierten eigenmächtigen Handlungsweise des Sozialsekretärs dessen politischer Ehrgeiz und wachsende Bedeutung in den Sozialausschüssen von der lokalen Parteielite argwöhnisch beobachtet wurden. Die Eskalation des zunächst begrenzten Konflikts setzte ein, als die Essener CDU-und CDA-Vorstände die Landespartei darum baten, „Herrn Vor-brücken formell von seiner Arbeit für die CDA und die CDU Essen zu entpflichten und über seine weitere Verwendung zu befin33) den" Das besondere Gewicht der Sozial, ausschüsse in der CDU Rheinland, die hinte dem Essener Vorgehen eine versteckte, groß angelegte Aktion konservativer CDU-Politi-ker gegen die christdemokratische Arbeitneh. merschaft vermuteten, und die personelle Verflechtung mit dem Geschäftsführenden Landesvorstand führten zu einem Druck auf die Essener Vorstände, „ein weiteres Einvernehmen" zu dem Sozialsekretär herzustellen
Da die Essener dazu nicht bereit waren, bekamen sie die volle Abneigung der Führungsspitzen auf Landesebene zu spüren
Die Funktionäre der Landespartei entschiedet auf Grund ihrer formaljuristischen Kompetenz autoritativ, daß der Personalkonflikt in Essen nicht stattzufinden habe, und erwarteten offensichtlich, daß die Funktionäre der unteren Parteiebene aus einem traditionellen Gewohnheitsgehorsam heraus und aus der Angst um den Verlust innerparteilicher Aufstiegschancen die Entscheidung des Geschäftsführenden Landesvorstandes akzeptieren würden. Der Vorgang läßt besondere Merkmale eines Demokratie-und Konfliktverständnisses erkennen:
(1) Konfliktregelung durch „Einvernehmen'bedeutet in der Regel Oktroyierung eines Entscheides oberer Funktionärseliten auf untere Funktionärseliten unter Ausschluß der lokalen Parteibasis.
(2) Entscheidungen, die im konkordanzdemokratischen Verfahren gefällt werden, berücksichtigen vor allem die Interessen oberer Funktionärseliten und kaum die Argumentation eine breitere Legitimationsbasis für unterer Führungsgruppen. ihr Vorgehen.
(3) Die Begründung von Entscheidungen erfolgt 5) Die offene Willensbildung und die Solidarisierung auf der oberen Ebene formal, auf der unteren mit der Parteisitze an der Basis löst meist inhaltlich. Rückwirkungen auf den oberen Parteiebenen (4) Eine Weigerung der unteren Funktionärs-aus. Die obere Funktionärselite wird durch gruppe, die Entscheidung von oben anzunehmen, offenen Willensbildungsprozeß auf der hat einen massiven Druck von oben zur unteren Ebene zur Revision der eigenen Entscheidungsart und kann Sanktionen nach sich ziehen und des Entscheidungsinhalts veranlaßt.
(5) Derartige „demokratische“ Methoden unterdrücken kann gesagt werden, daß in der Willensbildungsprozesse an der CDU die beiden organisations-und mentalitätsbedingten und reduzieren die Beteiligungs- Konfliktregelungsmuster relevant der Mitglieder fast vollständig. sind: das Konkordanzmodell und das Konkurrenzmodell innerparteilicher Willensbildung und Entscheidungsfindung. Die innerparteiliche 6) Das institutionalisierte Konkordanzmodell Praxis weist jedoch ein Ungleich-gewicht Willensbildung hat negative dieser beiden Verfahren auf. Vorrangig auf andere gesellschaftliche wird das durch die Organisationsstruktur Subsysteme, weil sich innerparteiliche Erfahrung Konkordanzmodell praktiziert. und Haltung in anderen Teilsystemen Das Konkurrenzmodell findet in der Regel niederschlagen
erst dann seine Anwendung, wenn durch den Es wäre jedoch falsch zu behaupten, in der Prozeß des Aushandelns eine alle Beteiligten CDU würden generell die Konflikte auf dem einigermaßen befriedigende Konfliktlösung Wege des Aushandelns oder der Oktroyie-nicht mehr möglich ist. So ist ein breiter innerparteilicher gelöst. Wie die Parteitage der CDU des Wettbewerb in der CDU weniger 1973 gezeigt haben, sind durchaus Ansätze normatives Postulat und innerparteiliche innerparteilichen Wettbewerbs konkurrierender als vielmehr ein demokratisches Gruppen vorhanden. Dasselbe gilt Legitimationsvehikel.
auch für Konflikte zwischen den verschiedenen Parteiebenen. Im Streit um den Essener 3. Oligarchisierungstendenzen gegen Sozialsekretär wurde auch die lokale Partei-basis Willensbildung — wenn auch erst sehr spät — am Willensbildungsprozeß beteiligt Eine solche Frieder Naschold hat als eines der wichtigsten der Willensbildungsund Entscheidungsbeteiligung Folgeprobleme der entstehenden Organisationsgesellschaft wirkt sich in mehrfacher die „Erstarrung und Abkapselung Hinsicht aus: der Führungsschichten in den einzelnen Organisationen . . . bei . . . weitreichender 1) Die innerparteiliche Opposition erhält die Ausschließung der Organisationsmitglieder der Artikulation und der Werbung. vom organisationsinternen Entscheidungsprozeß" bezeichnet Für die kontinentalen 2) Die öffentliche Diskussion konturiert die Arbeiterparteien hat Robert Michels bereits Argumentationsweisen und 1911 sein „ehernes Gesetz der Oligarchie“ eine rationale Entscheidungsfindung formuliert, das besagt: „sollen die eher möglich. Massen bestimmen, dann bedürfen sie der Organisation und der Führung; aber wer Organisation 3) Die Stärkeverhältnisse zwischen gegensätzlichen sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie'; Gruppierungen werden sichtbar.
aus Organisation wird ein Apparat; dieser (4) Die untere Parteielite gewinnt durch den aber bedarf derjenigen, die ihn bedienen und Vertrauensbeweis der Delegierten und Mit-lenken.Diese wiederum streben danach, sich zu verfestigen und die Massen zu bestimmen, anstatt deren demokratischen Willen zu vollstrecken." ") Vgl. Scharpf, a. a. O„ S. 70. Sicher kann Michels'zentrale These von der zwangsläufigen Oligarchisierung auf Grund der neueren Parteienforschung heute nicht mehr aufrechterhalten werden; unumstößlich ist aber die Hypothese von den „mehr oder weniger starke(n) Tendenzen zur Oligarchisierung" in den modernen Parteien. Naschold sieht im wesentlichen drei Faktoren, von denen Tendenzen zur Oligarchisierung ausgehen: „die Auswirkungen komplexer Organisationen auf die Machtposition der führenden Organisationsvertreter, die Statusdiskrepanz zwischen Führungs-und Mitgliederposition sowie die Apathie der Mitglieder" Diese drei Faktoren sollen u. a. für die folgende Analyse als Untersuchungskriterien gelten. a) Elitenseleklion Dietrich Herzog hat in seiner empirischen Untersuchung über „Karrieren und politische Professionalisierung bei CDU/CSU, SPD und FDP“ festgestellt, daß der Prozeß der politischen Elitenselektion sich in „karrierisierten" Bahnen vollzieht, d. h. als „schrittweiser Aufstieg", in der eine sukzessive „Anpassung an die Verhaltensnormen einer Gilde politischer Professionals" erfolgt. Gleichzeitig hat er darauf hingewiesen, daß die Konsequenzen dieser „carrierisation" für einen offenen, demokratisch kontrollierten Selektionsprozeß „wahrscheinlich" negativ zu werten seien Will man die Bedingungen des Selektionsprozesses und innerparteilicher Willensbildung herausfinden, so ist es notwendig, sowohl die Formalstruktur zu analysieren als auch in die informelle Struktur einzudringen wobei die Verflechtung der beiden Strukturen beachtet werden muß.
Die F o r m a 1 s t r u k t u r Die vertikale Binnenstruktur der CDU weist drei organisatorisch relativ autonome Ebenen auf: die Kreis-, die Landes-und die Bundesebene. Zwar unterscheiden die einzelnen Ebenen in sich weitere Stufen (im Kreisverband z. B. Orts-oder Stadtteile; im Landesverband Bezirke), in der Regel fehlt diesen jedoch die organisatorische Selbständigkeit.
Neben die vertikale Differenzierung tritt die horizontale. Auf allen Ebenen der Partei gibt es „sozialstrukturelle und partielle konkurrierende Einheiten" die Vereinigungen. Unter dem Aspekt konkurrierender Interessen und der Partizipationserweiterung können folgende Punkte gewertet werden:
(1) Die Auslese des Führungspersonals in der CDU ist hauptsächlich auf Grund institutionalisierter und gewohnheitsmäßiger Mechanismen durch zwei Repräsentationsprinzipien bestimmt: durch lokal-bzw. regionalspezifische Interessen und durch den Vereinigungspluralismus in der CDU.
Da die Parteitage aller drei Ebenen Delegiertenversammlungen sind und dadurch die Partizipation der breiten Mitgliederschaft an der Führungsauslese und den relevanten Handlungs-und Richtungsentscheidungen ungewöhnlich reduziert wird, stellt das z. T. praktizierte, z. T. satzungsmäßig verankerte Vorschlags-und Anspruchsrecht lokal-bzw. regionalspezifischer Interessen eine innerparteiliche Beteiligungserweiterung dar.
(2) Die Vertreter lokaler (bzw. regionaler) Interessen sorgen für die Interessenvertretung der mittleren und unteren Parteigliederungeu im Parteivorstand und artikulieren lokale (bzw. regionale) Probleme in höheren Führungsgremien. Vernachlässigen sie diese Aufgaben, so können Wiederwahl und parteiinterne Positionen gefährdet sein.
(3) Ebenso können die Repräsentanten der Vereinigungen die spezifischen Vereinigungsinteressen in dem jeweils höheren Leitungsgremium vortragen und zur Entscheidung stellen.
Unter dem Gesichtspunkt der Oligarchisie-rungstendenzen ist folgendes zu werten:
(1) Bis auf die Ortsverbandsversammlung sind alle Beschlußorgane der Partei in der Regel Delegiertenversammlungen. Das trifft weitgehend auch für die Kreisparteitage zu, deren traditionell wichtigste Funktion wohl in der Rekrutierung von Mandats-und Funktionsträgern für alle Ebenen der Partei besteht. Kaack sagt mit Recht, daß die Kreisebene „der Ausgangspunkt aller politischen Karrieren in Partei, Parlament und Regierung (letz teres mit Einschränkungen)“ ist Auf den Kreisparteitagen werden die Delegierten auf Zeit gewählt, die Parteiführung kennt sie, man arrangiert sich". Das gestufte Delegationsprinzip, nach dem sich die Kreisparteitage zusammensetzen, dient eher der Verfestigung innerparteilicher Führungspositionen als Innovationsprozessen der Personalselektion und der Herstellung politischer Richtungsund Entscheidungsalternativen
(2) Plötzliche Aufstiege in der Partei finden selten statt. Politische Karrieren stellen sich eher als „schrittweiser Aufstieg" vom Orts-verband über den Stadtteilverband (z. B. in Großstädten) in den Kreisvorstand und darüber hinaus auf Landes-und Bundesebene dar. Ein Aufstieg aber ist meistens nur durch Anpassung an die Verhaltensnormen der Fühlungszirkel möglich
(3) Innerparteiliche Positionssicherung bedingt ständige Anwesenheit auf den verschiedenen Parteiebenen ein ständiges Arrangement mit potentiellen Verbündeten zur Abwehr möglicher oder tatsächlicher Konkurrenten. Für eine innerparteiliche Auseinandersetzung um grundsätzliche gesellschaftspolitische Problemlösungen bleibt wenig Zeit. Die Karriere wird leicht zum Selbstzweck.
(4) Das Fehlen der Diskussion um fundamentale gesellschaftspolitische Probleme insbesondere auf der unteren Ebene degradiert Wahlen und Anträge zu einem ablauftechnischen Verfahren. So nehmen die Kreisparteitage als oberste Organe der unteren Ebene vorwiegend Aufgaben formaler und organisatorischer Art wahr
Zwar formulieren die Satzungen der Kreisverbände die Aufgabe, Stellung „zu grundsätzlichen politischen Fragen" zu nehmen, in der Praxis ist diese Aufgabe aber beliebig dehnbar und kann somit auch nach Gutdünken der Funktionäre reduziert werden; denn die Tagesordnung eines Kreisparteitages wird vom Kreisverbandsvorstand aufgestellt. Ein Kreisparteivorstand kann weitgehend auch festsetzen, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Inhalten ein Kreisparteitag stattfinden soll. In her Regel kann eine bestimmte Anzahl von Kreisparteitagsdelegierten oder Ortsverbänden unter Angabe des Beratungsgegenstandes einen außerordentlichen Kreisparteitag bean-tragen; dies geschieht aber selten, weil es eine Willensbildung von unten oder eine star-ke innerparteiliche Opposition voraussetzt, die sich wegen der bereits mehrfach erwähnten Bedingungen aber nur schwer organisieren läßt. In der bereits erwähnten „Angelegenheit Vorbrücken" z. B. wurde auch erst nach Beschlüssen von Vorstand und Kreisverbandsausschuß ein Parteitag einberufen; die Willensbildung erfolgte in diesem Fall wie auch in vielen anderen Fällen in der CDU von oben nach unten und diente mehr der Bestätigung des Vorstandes als einer offenen Willensbildung. Auf diesem Wege der Willensbildung kann die Führungsgruppe die Delegierten besser in ihrem Sinne informieren, lenken und kontrollieren. Das wiederum fördert die Apathie der Basis und festigt hierarchische Strukturen (5) Die bisher genannten Faktoren erschweren eine innerparteiliche Opposition, weil es nur scheinautonome und nicht wirklich autonome Kommunikationskanäle und Machtbasen außer der zentralen Geschäftsstelle gibt. Zur Monopolisierung der Macht-und Kommunikationsstruktur trägt insbesondere der Geschäftsführer auf der Kreisebene bei. Ein reger und tüchtiger Geschäftsführer entfaltet Betriebsamkeit, er wirbt und registriert Mitglieder, er lenkt die innerparteiliche Meinung in personalpolitischen Kontroversen, er organisiert Parteiversammlungen und -feste, er befaßt sich mit Finanzfragen und pflegt den Kontakt zu sozialen Gruppen und Verbänden, er ist eine zentrale und unentbehrliche Person bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlkämpfen, er hält die Organisation — soweit dies möglich ist — frei von Störungen und unterstützt „die starke Tendenz zur Oligarchisierung der Parteiführung(en) auf allen Organisationsstufen tatkräftig mit allen Vorteilen des „Dienstwissens" Wie Lohmar richtig bemerkt, entwickeln die Geschäftsführer einen Hang „zur Berechenbarkeit und zum Gleichmaß des Geschehens in der Parteiorganisation", vor allem dann, wenn sie schon lange im Amte sind und sich eine gewisse Autorität erworben haben. Schumpeter, den auch Lohmar zitiert, hat die Wirkungen der Geschäftsführer folgendermaßen charakterisiert: „Die bürokratische Methode der Geschäftsführung und die moralische Atmosphäre, die sie verbreitet, üben zweifellos oft einen deprimierenden Einfluß gerade auf die aktivsten Menschen aus. Dies rührt hauptsächlich von der Schwierigkeit her — sie ist der bürokratischen Maschine inhärent —, die individuelle Initiative mit dem Mechanismus ihrer Betätigung in Einklang zu bringen. Oft gewährt die Maschine wenig Spielraum für Initiative und viel Spielraum für böswillige Versuche, sie zu ersticken. Daraus mag ein Gefühl von Behinderung und Nutzlosigkeit entstehen, das seinerseits eine Geisteshaltung erzeugt, die in vernichtender Kritik der Anstrengungen anderer schwelgt."
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die durch die Formalstruktur bedingten Oli-garchisierungstendenzen überwiegen und das vorhandene Demokratisierungspotential zumindest relativieren.
Informelle Struktur Die Formalstruktur der Parteiführungen schafft u. a. die Bedingungen ihrer informellen Struktur.
(1) Wenn innerparteilicher Aufstieg nur durch die Anpassung an die Verhaltensnormen der Führungsgruppe möglich ist, so wird der potentielle „Aufsteiger" gezwungen, Meinungsstand und Meinungswandel der dominanten Parteiführer zu personal-und sachpolitischen Fragen ständig zu registrieren. Das aber erfordert einen intensiven direkten und telefonischen Austausch von Informationen und Bewertungen, die zu einer allmählichen Angleichung der Auffassungen und schließlich zu einem einheitlichen Gruppenwillen führen Wer diese Spielregeln nicht ein-hält, muß mit dem Widerstand einer geschlossenen Elite rechnen. Wie viele andere Konflikte in der CDU ist auch der „Fall Vorbrük-ken" ein Beleg für diese These. Die in der CDU Rheinland dominierenden Sozialausschüsse, die sich hinter den Essener Sozialsekretär gestellt hatten, verbreiteten parteiintern die Meinung, daß kein Essener Funktionär, der für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses des Sozialsekretärs gestimmt habe, mit der Unterstützung der Sozialausschüsse bei evtl. Wahlen auf Landes-und Bundesebene rechnen könne. Die Diskreditierung der Führungsgruppe auf einer niederen Ebene durch eine dominierende Vereinigung auf der mittleren Ebene steigert die Angst der unteren Funktionärselite vor dem Verlust innerparteilicher Aufstiegschancen und hat die Solidarisierung der statusbewußten und sonst möglicherweise rivalisierenden Führungs-gruppen zur Folge. Wer sich dieser Solidarisierung auf einer Ebene nicht anschließt, mus den Mißtrauensbeweis einer sich mit der Führungsgruppe solidarisierenden Basis einkalkulieren
Solche Vorgänge bestätigen das von Wiesendahl formulierte „Prinzip der gegenseitigen Loyalität", das machtpolitisch darin besteht, „zu unterstützen, um unterstützt zu wer.den"
(2) Ein Strukturmerkmal zahlreicher Konflikte in der CDU besteht darin, daß eigentliche Personalauseinandersetzungen als „Richtungsstreit" ausgegeben werden Der unentwegte Hinweis auf den „Richtungsstreit'dient vor allem der innerparteilichen Opposition als moralische Legitimation. Solche Personalkonflikte beschäftigen und ermüden insbesondere die unteren Ebenen der Partei derart, daß weder eine Willensbildung zu sachpolitischen Fragen stattfindet, noch Anträge für Landes-und Bundesparteitage gestellt werden. Diese Tatsache resultiert allerdings nicht allein aus den ständigen Personalquerelen, sondern auch aus dem knappen Zeitbudget der Spitzenfunktionäre und deren Konfliktscheu; denn die Erörterung und Entscheidung sachpolitischer Probleme ist in der CDU stets dem Interessenpluralismus ausgesetzt. Das bedeutet für die Parteiführer: sich in politische Sachfragen einarbeiten, Kontroversen austragen, Kompromisse finden und integrieren. Ein überörtlich vielbeschäftigter Parteivorsitzender findet dazu aber keine Zeit. b) Das Problem der Amterhäufung Eine Betrachtung über Amterhäufung wird von dem Erkenntnisinteresse geleitet, die durch die Häufung der Ämter bewirkte Machtfülle von führenden Parteimitgliedern zu analysieren
Im Verlaufe der bisherigen Untersuchung ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Rekrutierung des Führungspersonals eine der wesentlichen Funktionen der Kreisebene darstellt. Die Machtstruktur der Kreisebene bestimmt damit entscheidend die Elitenauslese auch für die mittlere und obere Ebene. Aus diesem Grunde erscheint es sinnvoll, die Herrschaftsstrukturen auf dieser Ebene kurz zu skizzieren. Hinreichende empirische Untersuchungen liegen bisher nicht vor. Darauf weist auch Kaack bei seinem Versuch einer quantitativen Analyse der Machtstruktur der CDU auf Kreisebene hin. Generell unterscheidet er zwischen Ein-Mann-Führung, Oligopol und pluralistischer Struktur. Sein vorsichtig formuliertes Ergebnis lautet: „etwa 45 Prozent Ein-Mann-Führung, knapp 20 Prozent Oligopol und knapp 40 Prozent pluralistische Strukturen" Daraus leitet er die Auffassung ab, daß die „These von der zwangsläufigen Oligarchisierung ... wohl kaum noch länger pauschal aufrechterhalten" werden könne.
Ob jedoch Kaacks Kategorienschema und bloß formale Analyse eine solche Behauptung gestattet, muß sehr angezweifelt werden; denn der Aufstieg sich engagierender Parteimitglieder auf der unteren Ebene ist — wie mehrfach gezeigt worden ist — so vielfältigen, insbesondere informellen Bedingungen unterworfen, daß eine derartige Reduzierung nur begrenzten Erkenntniswert hat. Die quantitative Analyse läßt aber zumindest eine gewisse Tendenz erkennen, die besagt, daß die Mitglieder der engeren Führungsgruppe auf der Kreisebene zahlreiche Ämter innehaben, die ihnen insgesamt große Machtfülle verleihen, welche sie häufig dazu verwenden, potentielle Konkurrenten auszuschalten. Eine solche oligopolistische Machtstruktur reduziert das Potential einer regenerativen Personalselektion und macht es ambitionierten . Aufsteigern" fast unmöglich, durch die Machtverfilzung an der Spitze eines Kreisverbandes in die mittleren und höheren Funktionsränge der Partei zu gelangen; es sei denn, ihr Ehrgeiz und ihre Geduld sind so groß, daß sie eine über Jahre dauernde Anpassung an die engere Führungsgruppe praktizieren oder imstande sind, eine langfristig angelegte kooperative Oppositionspolitik zu betreiben. Beide Verhaltensweisen aber fördern stärker die Konkordanzals die Konkurrenzdemokratie. Die Chance alternativer Richtungs-und Handlungsentscheidungen verringert sich, während die Apathie der Basis wächst. 5 c) Parteiführung und öffentliche Meinung Es gehört wohl zu den hervorstechendsten Merkmalen der politischen Kultur in Deutschland, daß Geschlossenheit und Einigkeit einer Partei höher bewertet werden als Meinungspluralismus und öffentliche Auseinandersetzung. Einer solchen Disposition liegen ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis zugrunde und die Vorstellung, daß die Geschlossenheit einer Partei den politischen Output steigere, während ein offenkundiger Pluralismus die Leistungsfähigkeit mindere. Dieses Einstellungsschema läßt deutlich erkennen, daß die in den politischen Prozeß eingehenden Willensäußerungen und artikulierten Interessen niedriger veranschlagt werden als die Qualität der Leistungen Nun soll hier nicht die Notwendigkeit der generellen Geschlossenheit einer Partei geleugnet werden; die Überbetonung dieses Aspekts bewirkt aber allzu häufig eine grundsätzliche Diskriminierung abweichender Auffassungen und fördert die ohnehin traditionell starke Konflikt-scheu. Da die CDU aber pluralistisch organisiert und Kontroversität somit ein Strukturprinzip dieser Partei ist, befindet sie sich ständig in der Spannung zwischen zwei Notwendigkeiten: den pluralistischen Kräften Raum zu geben und trotzdem Geschlossenheit zu demonstrieren. Dieses Spannungsverhältnis ist von der Partei in ihrer bisherigen Geschichte unterschiedlich gemeistert worden. Feststellbar ist jedenfalls bei allen Führungsgruppen wie auch bei der überwiegenden Zahl der Mitglieder eine gewisse Konfliktscheu, zumal dann, wenn die sachoder personalpolitischen Auseinandersetzungen in die Öffentlichkeit dringen. In der Regel ist die Funktionärselite deshalb bemüht, Konflikte durch internes Aushandeln zu regeln. Wenn aber die Interessen-gegensätze sich so verfestigt haben, daß ein beide Seiten einigermaßen befriedigender Kompromiß nicht mehr gefunden werden kann, tritt der schwächere Kontrahent meistens die Flucht in die Öffentlichkeit an. Die öffentliche Meinung übernimmt bei solchen Konfliktverläufen eine ganz bestimmte Funktion. Der „Fall Vorbrücken", bei dem es sich um einen Konflikt zwischen zwei Parteiebenen handelte, zeigt dies:
(1) In der ersten Phase des Konflikts bemüht man sich, ihn in den Grenzen der herrschenden Elite zu halten und zu entscheiden.
(2) Wenn sich die Fronten verfestigen und ein Kontrahent die ausgehandelte oder mehrheitlich beschlossene Entscheidung nicht akzep-tiert, aber auch keine ins Gewicht fallende Opposition bilden kann, wählt er den Weg in die Öffentlichkeit, weil er weiß, daß Massenmedien — zumindest wenn sie im Gesamtsystem dem politischen Gegner näherstehen — mit Schwächeren stärker sympathisieren als mit den Herrschenden.
(3) Die Transformation des Konflikts in die parteiexterne Öffentlichkeit ruft die Funktionäre der mittleren und höheren Ebene auf den Plan und führt schließlich zu deren Solidarisierung mit einem der Kontrahenten (im „Fall Vorbrücken" mit dem örtlich Unterlegenen). (4) Dies hat eine Konfrontation zwischen der höheren und niederen Parteiebene zur Folge. Die Funktionäre der niederen Ebene werden eingeschüchtert. Man oktroyiert ihnen einen Scheinkompromiß, der für sie den Konflikt aber nicht löst.
(5) Entweder nimmt die niedere Ebene den Scheinkompromiß an und beugt sich der höheren Ebene oder sie bleibt hart und verschafft sich durch die Basis eine zusätzliche Legitimationsgrundlage. Das letztere war z. B. in Essen der Fall. Aus weiteren Kreisen derselben Ebene stellen sich schließlich Verbündete ein.
(6) Die zusätzliche Legitimationsgrundlage wendet die Haltung in der öffentlichen Meinung und veranlaßt die höheren Parteifunktionäre zum vorsichtigen Rückzug.
(7) Für die Massenmedien, die den Konflikt auf all seinen bisherigen Stationen begleitet haben, wird dieser zu langatmig; man vergißt ihn. Die Funktionäre und Parteiführer der oberen Ebene verhandeln miteinander, lassen den Scheinkompromiß um der Wahrung des Gesichts willen weiter gelten, versprechen den Funktionären der unteren Ebene eine Lösung in deren Sinne und behaupten, sie hätten schon immer diesen Standpunkt eingenommen. (8) Der Konflikt wird geräuschlos durch Verhandlungen auf der mittleren/oberen Funktionärs-und Führungsebene gelöst.
Die Medien machen eine kurze Mitteilung. 4. Die Verschränkung von Kreis-und Landesebene Obwohl schon mehrfach die Beziehungen verschiedener Gebietsverbände zueinander angesprochen worden sind, sollen sie nochmals stärker systematisierend betrachtet werden. Dabei stellen sich im wesentlichen drei Fragen: (1) Wie autonom sind die unteren Organis, tionsstufen?
(2) In welchem Maß kann die höhere Ebene der unteren Vorschriften machen und siekon trollieren?
(3) Wie sieht die Verschränkung von Füh. rungsgruppen zwischen den Organisationssti fen aus?
Zu (1): Die Kreisverbände in der CDU besitzet eine eingeschränkte Autonomie. Autonon sind sie in der Aufstellung von Kandidaten für die Kreistage (bzw. Stadtverordnetenvei Sammlungen) und in der Bestimmung von Direktkandidaten für die Landtage und den Bundestag; allerdings haben bei der Kandidaten aufstellung zum Bundestag Landes-und Bui desvorstand ein einmaliges Einspruchsrech gegen die Entscheidungen der Wahlkreisver Sammlung Ferner sind die Kreisverbände „zuständig für alle organisatorischen und politischen Fragen” (Statut) ihres Bereichs und können Ortsverbände gründen und abgren zen. Sie sind berechtigt, sich eine eigene Salzung zu geben, die aber keine Widersprüche gegenüber der Satzung des Landesverband« aufweisen darf. Die im Vergleich zur SPD relativ große Selbständigkeit der Kreisor ganisationen erfährt eine gewisse Einschränkung in einigen Punkten. So werden die Kreis-geschäftsführer und Sozialsekretäre zwarvoi ihren Vorständen vorgeschlagen, abervondet Landesvorständen eingestellt und bezahlt.
Die Vorstandsmitglieder des Landesverband« können die Akten des Kreisverbandes einsehen und auf seinen Versammlungen und Sil zungen sprechen.
Eine solche „Aufsichtsfunktion" ist sicherlich sinnvoll und notwendig, sie birgt aber auch die Gefahr einer überflüssigen Disziplinierung in sich.
Zu (2): Der Kreisverband ist angehalten, in bestimmten Abständen einen Bericht an der Landesverband zu liefern. Dadurch und durch die bereits dargestellte Einschränkung de: Selbständigkeit der Kreisverbände findet eine lockere Kontrolle der unteren durch die mittlere Ebene statt. Wenn auch der Landesvo stand nicht die Politik der Kreistagsfraktiot bestimmen und die Kreisvorstandsmitgliede absetzen kann so kann er doch allgemeine Richtlinien z. B. über die Geschäftsort nung, die Wahlkampfführung usw. erlasset und nach dem Parteiengesetz (§ 16) im Falle eines schweren Konflikts drastisch eingrei-Zu (3): Die vorangehende Skizzierung der formalen Interdependenz der verschiedenen Organisationsstufen verdeutlicht aber nur unzureichend die Verflechtung von Führungsgruppen zwischen den einzelnen Ebenen. Indem die Karrierewege fast ausschließlich von der Kreis-zur Landes-und Bundesebene hinführen, muß der Aufsteiger sich zunächst eine breite Machtbasis und eine relativ unanfechtbare Stellung auf der unteren Ebene sichern. Ein solcher »Besitzstand" ist die erste Voraussetzung für einen Rang auf der Landesebene, wo die Positionssicherung nochmals den gleichen Vorgang bedingt. Der Funktionär der mittleren oder oberen Ebene befindet sich also in einer mehrdimensionalen Abhängigkeit. Primärpräferenzen gefährden das zur Machterhaltung notwendige Ausgleichs-und Berücksichtigungssystem. Erst wenn der Funktionär auf der mittleren und oberen Ebene sich zur relativ unangefochtenen und unumstrittenen Autorität entwickelt hat, kann er ohne Gefahr die untere Basis vernachlässigen, weil sein überregionales Ansehen seine mangelnde Aktivität an der Basis kompensiert. Wo aber die Abhängigkeit — wie z. B. bei den Sozialsekretären — von verschiedenen Ebenen und zudem noch von einer Interessengruppe institutionalisiert ist, wird der Konflikt geradezu unnötig organisatorisch verankert. Die Auseinandersetzungen mit den Sozialse-, kretären im Landesverband Rheinland — insbesondere der spektakuläre „Fall Vorbrük-ken“ — spiegeln exemplarisch die aus der spezifischen Verschränkung von Kreis-und Landesebene in der CDU resultierenden strukturbedingten Folgeprobleme:
(1) Wenn in einem Konflikt auf der unteren Ebene tatsächliche oder angenommene Vereinigungsinteressen auf dem Spiele stehen, wird die höhere Ebene in die Auseinandersetzung einbezogen. Der an der Basis Gescheiterte bemüht sich um Unterstützung und Legitimation von oben.
(2) Einer mächtigen Vereinigung auf Landes-ebene ist es möglich, auf Grund der personellen Verflechtung und durch informellen Druck, den engeren Landesparteivorstand, der von seiner objektiven Funktion her autonom zu entscheiden hätte, zum Wohlverhalten oder gar zur Sympathiebekundung zu bewegen.
(3) Eine horizontale Solidarisierung auf der unteren Ebene (z. B. Sympathieerklärungen zahlreicher anderer Kreisverbände für Essen) erzeugt Gegendruck und läßt die Gefahr eines totalen Vertrauensschwundes gegenüber der Parteielite der höheren Organisationsstufe entstehen.
(4) Argwöhnisches Mißtrauen anderer Vereinigungen gegenüber der dominierenden Vereinigung und die Furcht des engeren Landesvorstandes vor Status-und Vertrauensverlust veranlassen die Führungselite der betroffenen Vereinigung zum internen Einlenken und den Landesvorstand zum geheimen Kurswechsel. (5) Der Konflikt wird von der höheren Ebene für beinahe beendet erklärt, aber erst nach geraumer Zeit lautlos im Sinne der unteren Ebene entschieden. (6) Man tauscht Freundlichkeiten aus, „läßt die Leichen im Keller liegen" (Parteijargon) und wartet auf den nächsten Konflikt.
III. Perspektiven und Alternativen
Der bisherigen Analyse lag als Urteilskrite-tium das normative Postulat innerparteilicher Partizipationserweiterung und der Reduzierung oligarchischer Tendenzen zugrunde. Die Auseinandersetzungen mit den Sozialsekretären im Landesverband Rheinland ließen besonders deutlich erkennen, daß auf allen Parteiebenen eine Konfliktregelung nach dem Konkordanzmodell vorherrscht. Das aber bedeutet, Konflikte durch „Einvernehmen“ und durch Verhandlung zwischen den Führungs-gruppen zu lösen.
Eine Willensbildung findet fast ausschließlich von oben nach unten statt; wo sie an der Basis herbeigeführt wird, dient sie der Parteiführung als Legitimationsbeschaffung.
Die Untersuchung hat ferner ergeben, daß der organisierte Interessenpluralismus in der CDU zwar eine Möglichkeit der Gruppenkonkurrenz bietet und Ansätze innerparteilichen Wettbewerbs aufweist, daß in der Regel aber die Gruppen nicht gegeneinander konkurrieren. Ihre Führer bilden ein. Kartell, das sich gegen Einflüsse von unten abzuschirmen versucht.
Diese starke Oligarchisierungstendenz könnte reduziert werden, wenn die Vereinigungen in der CDU sich zu programmatischen Richtungen entwickeln, die Aktiv-Mitgliedschaft einführen und sich zu Koalitionen eines innerparteilichen Zwei-Parteiensystems zusam-menschließen würden. Entscheidend für eine Erhöhung der Partizipationschancen und eine Sachauseinandersetzung ist die Existenz einer innerparteilichen Opposition, die sich allerdings nicht völlig organisatorisch verselbständigen und aus der bisherigen Handlungseinheit heraustreten darf. Das Entstehen einer innerparteilichen Opposition ist aber an bestimmte Bedingungen geknüpft. Einmal bedarf die Opposition nichtkontrollierter, eigener Kommunikationskanäle und Machtbasen, zum anderen muß das externe und interne Werte-und Normensystem so beschaffen sein, daß innerparteiliche Opposition nicht negativ sanktioniert wird.
Eine annähernde oder gleiche Haltung zu bestimmten gesellschaftspolitischen Problemen hat in den letzten Jahren die Sozialauschüsse und die Junge Union zeitweise zusammengeführt. Allerdings gelang es diesen Bündnispartnern nie, innerhalb der CDU eine Mehrheit für sich zu gewinnen. Das liegt einmal an ihrer numerischen Unterlegenheit auf Parteitagen, die aber auch z. T. daraus resultiert, daß Delegierte und Funktionäre von anderen Gruppierungen in der „Union" „eingekauft" weiden. Eine Veränderung innerparteilicher Vorherrschaft könnte die mit dem Begriff des „neuen Mittelstandes" antizipierte soziale Gruppe von Intellektuellen und Beamten in mittleren und hohen Positionen bewirken, die sich gegenüber alten Schichtenstrukturen durch geringere „Abhängigkeit von einseitig sozialstrukturell bedingten Lebenserfahrungen" auszeichnet und deren Interessenlage „sich auf den Ausbau und die Erhaltung ihrer* Autonomie in der bürokratischen Arbeitsorganisation" richtet, wie Lepsius formuliert Innerhalb der CDU ist auch bereits von Pütz Radunski, Schönbohm und Simon vorgeschlagen worden, eine solche „Vereinigung der neuen Mittelschicht“ zu gründen. Eine derartige Vereinigung könnte in bestimmten gesellschaftspolitischen Fragen das Bündnis von Sozialausschüssen und Junger Union komplettieren und so einer programmatisch orientierten innerparteilichen Opposition zu de: Chance verhelfen, ihre Vorstellungen in der Gesamtpartei durchzusetzen. Die den Sozialausschüssen in der Öffentlichkeit unterstellte „Feigenblatt" funktion würde aufgehober, weil eine formierte, starke innerparteiliche Opposition Realisierungsschancen ihrer programmatischen Zielvorstellungen erhaltet würde. Es wäre allerdings notwendig, das auf Zeit feste, grundsätzlich aber flexible innerparteiliche Zwei-Parteiensystem auf allen Organisationsstufen zu etablieren. Ferner mußte überprüft werden, auf welchen Ebenen an die Stelle des Delegiertensystems unter Berücksichtigung der politischen Entscheidungs-und Leistungseffizienz die mitgliedschaftliche Willensbildung und Entscheidungsfindung tretet könnte. Die mittleren und unteren Parteiebenen müßten satzungsmäßig verpflichtet werden, in bestimmten Zeitabständen Sachparteitage zu veranstalten. Der Parteitag erhält die „Richtungskontrolle“ der parlamentarischen Fraktionen der jeweiligen Ebene, wobei er als Institution anzusehen ist, der „Handlungsal ternativen erarbeitet, über deren Wünschbar keit die aktiven Parteibürger bei der Nominie rung der Parlamentskandidaten zu entscheiden haben". Personelle Kriterien bei der Aus wähl von Kandidaten müßten durch „polit-sehe Richtungskriterien ergänzt“ wer den
Die vorangehenden Ausführungen wollet sich nicht als wissenschaftlich abgesicherte Modellskizze verstanden wissen, sondern als Anregung für eine parteiinterne Diskussion über Organisationsstruktur, Organisationsziele, Funktionen im politischen System und innerparteiliche Aktionsund Interaktionsformen; denn nur eine kritische Reflexion und eine schließliche Revision dieser Indikatorei bewirken innerparteiliche Demokratie uns programmatische Leistungssteigerung.
Herbert Kühr, Dr. phil., geb. 1937, Akad. Oberrat für Politikwissenschaft an der Gesamthochschule Essen; Studium der Philosophie, Pädagogik, Geschichte und Germanistik in Paderborn und Köln. Veröffentlichung: Parteien und Wahlen im Stadt-und Landkreis Essen in der Zeit der Weimarer Republik. Unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Sozialstruktur und politischen Wahlen (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 49), Düsseldorf 1973.
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