„m. E. sogar ausmerzen". Der 20. Juli 1944 in der nationalsozialistischen Propaganda
Thomas Travaglini
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Zusammenfassung
Die Propaganda, auch des totalitären Staates, ist vor allem im Zeitalter grenzüberschreitender Massenmedien kein allmächtiges Instrument mehr, das sich beliebig einsetzen läßt. Sie ist abhängig von der äußeren Entwicklung in der Politik, der Wirtschaft, hier: von der militärischen Lage und von den Maßstäben, die sie selber einmal gesetzt hat; sie legt sich ihre Fußangeln sozusagen selber. Die Arbeit zeigt aber auch, daß der Rundfunk entscheidend zur Erhaltung des nationalsozialistischen Systems beigetragen hat; sie zeigt, daß sich die Manipulatoren nicht einig waren in der Argumentation, daß gelogen wurde und diffamiert — wie nicht anders zu erwarten —, daß der Versuch, totzuschweigen, mißlang; sie zeigt, wie total der Versuch war, eine einheitliche Darstellung des Geschehens bis in die letzten und winzigsten Kapillaren öffentlichen Bewußtseins zu pressen, aber auch, daß es selbst an hervorragender publizistischer Stelle möglich war, Widerstand zu leisten, wenn er sich auch nur dem offenbarte, der in der Lage war, zwischen den Zeilen zu lesen. Der 20. Juli gerann über das Kriegsende hinaus für einen unbestimmbaren Teil der Bevölkerung zum Symbol des Verrats. Die Arbeit zeigt aber auch, daß die Nazis die Dolchstoßlegende nicht erfunden haben. Der 20. Juli wurde mißbraucht, um die Niederlagen vor dem Attentat zu erklären; danach war die Führung um den Nachweis bemüht, die Verratsgerüchte einzudämmen, weil der Krieg ja schließlich noch gewonnen werden sollte, aus den Verratsgerüchten aber der Führung Vorwürfe erwuchsen und der Durchhaltewillen der Bevölkerung erlahmte. Nie, so heißt es übereinstimmend in den zahlreichen SD-Berichten, war das Vertrauen in den Führer so groß wie kürz nach dem Attentat — weil alle Mißerfolge sich zu erklären schienen —, um dann um so mehr zu verfallen, weil die Niederlagen nicht aufhörten, aber vor allem auch, weil zuviel verschwiegen und zuviel gelogen wurde.
Die Nachricht entscheidet
Plötzlich und unerwartet kam für die Machthaber des Dritten Reiches die Explosion im Führerhauptquartier am 20. Juli 1944. Der Begriff . Attentat'gehörte, „was Goebbels schon immer gelehrt hat", bis zu diesem Zeitpunkt zu den Wörtern, die „absolut tabu" waren Alle für den Nationalsozialismus oder das nationalsozialistische Deutschland negativen Ereignisse — militärische Niederlagen, Aktionen des Widerstandes oder außenpolitische Konflikte — waren entweder voraussehbar oder konnten publizistisch so unterdrückt werden, daß man ihnen propagandistisch zuvorkommen oder sie verschweigen konnte. Der 20. Juli war anders. Er kam unerwartet. Da er für das Regime tödlich werden konnte, mußten sich die Machthaber sofort öffentlich äußern — gegen ihren Willen.
Die erste Rundfunknachricht über das Ereignis gegen 18. 45 Uhr hat, abgesehen von der tief bewegenden Wirkung, die sie auf alle am Attentat Unbeteiligten ausübte, die Entwicklung der Widerstandsbewegung selbst entscheidend beeinflußt.
Die Bedeutung der Mitteilung, daß auf Hitler zwar ein Attentat verübt worden war, er aber am Leben blieb, ergibt sich aus der nach Hindenburgs Tod am August 1934 neugeprägten Eidesformel. Die Reichswehreinheiten wurden damals nicht mehr, wie bis zu diesem Zeitpunkt, auf die Verfassung, sondern auf Hitler persönlich vereidigt: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen." 2)
Folgerichtig spielte der Eid auch in der Diskussion um den 20. Juli, die nach dem Krieg einsetzte, eine überragende Rolle. Es versteht sich, daß die ehemaligen Soldaten, die sich mit den Attentätern nicht identifizieren wollten, den Hebel ihrer Gegenargumentation stets am Eid ansetzen. Mag sich hinter dieser scheinbar formalen Argumentation auch Mangel an Zivilcourage, Eigensinn, die Unfähigkeit zum Denken, Egoismus, falsch verstandene Treue und Ehre, auch Bequemlichkeit verstecken, so ist andererseits vorstellbar, daß die Masse der damals uneingeweihten Offizie-re — ob sie den nazistischen Unrechtsstaat durchschaut hatten oder nicht, ob sie die nazistischen Verbrechen kannten oder nicht kennen wollten, und obwohl sie sahen, daß Deutschland dem sicheren Untergang zutrieb — den Eid, den sie geschworen hatten, als ..... tiefe sittliche Verpflichtung . . empfanden. Das ist sicher richtig: der „... Eid ist nicht eine dekorative Geste, geschaffen für ruhige und friedliche Zeiten; seine praktische Bedeutung setzt erst ein, wenn Konflikte kommen"
Der Konflikt für den Soldaten war am 20. Juli 1944 da. Die Entscheidung mußte zwangsläufig fallen, wenn bekannt wurde, daß der Eid-träger tot — oder am Leben geblieben war. Die allgemeine, d. h. öffentliche Mitteilung war für den einzelnen, vor der Entscheidung stehenden Offizier und Soldaten und damit für den Verlauf des Unternehmens entscheidend. Der Rundfunk avancierte am Abend des 20. Juli vom indirekten Instrument der Meinungsbeeinflussung, das der Machterhaltung
Weisungen werden erlassen
Alle späteren Anweisungen, wie der 20. Juli in der Öffentlichkeit darzustellen sei, sind zwar auf die in der Nacht zum 21. Juli 1944 gegen 1. 00 Uhr über den Rundfunk gesendete Rede Hitlers zurückzuführen — darauf wird noch zurückzukommen sein —, aber ein typisches Beispiel für die Totalität des Apparates, der die letzten Windungen öffentlichen Lebens und Denkens in den Griff zu bekommen versuchte, ist eine Anweisung Bormanns zum 20. Juli, die in den unterschiedlichsten Quellen immer wieder auftaucht: 1. als maschinenschriftliches Original mit handschriftlichen Zusätzen Bormanns. Es war die Vorlage für das nachstehend unter 3. erwähnte Fernschreiben 2. als Brief an Keitel, Himmler und Dietrich; 3. als Fernschreiben (24. 7. 1944) an alle Reichsleiter, Gauleiter und Verbändeführer; 4. als hektographiertes Rundschreiben an die Gauleitung zur Verteilung an die Kreisleiter, Gauamtsleiter und Gliederungsführer (ohne Datum); 5. als Anordnung Nr. A 170/44 vom 9. 8. 1944 in den Reichsverfügungsblättern der NSDAP; 6. als vertrauliches Rundschreiben des Chefs der Ordnungspolizei vom 8. 8. 1944 auf Anweisung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei (Lammers) vom 27. 7. 1944 an die Höchsten und Höheren SS-und Polizei-führer, die Befehlshaber der Ordnungspolizei, diente, zum unmittelbaren Instrument der Machterhaltung. Verwandte Beispiele, wie die Situation beim OAS-Aufstand in Algerien gegen de Gaulle, lassen sich durchaus anführen. den Polizeipräsidenten in Berlin, das Kommando der Schutzpolizei in Berlin, den Kommandeur der Ordnungspolizei in Innsbruck, die Schulen und Anstalten, und schließlich 7. begegnete es dem Verfasser noch als Rundschreiben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an alle Unterrichtsverwaltungen der Länder mit dem Hinweis, daß der Text nicht im Organ dieses Ministeriums veröffentlicht werde (Datum: 15. 8. 1944).
In all diesen verschiedenartigen Erscheinungsformen blieb die Weisung stets gleichlautend, will man der Tatsache nicht übertriebenen Wert beimessen, daß in einem Fall die gebräuchliche Floskel „Clique" durch den „Klüngel" ersetzt worden war. über den Ursprung der Gründe, die zu dieser Anweisung führten, ist dem Verfasser nichts Schriftliches bekanntgeworden. Aber aus dem Termin (24. Juli), an dem sie Bormann diktiert hat, läßt sich schließen, daß es sich um den Versuch handelte, der Wirkung der Reden, besser: Tiraden und Leitartikel des Reichsleiters Ley zu begegnen, der am Morgen des 22. Juli vor Berliner Arbeitern eine Rede gehalten hatte, die über den Rundfunk auch die Bevölkerung erreicht hatte. In dieser Rede hatte sich Ley dazu hinreißen lassen, den Adel „in corpore" für das Attentat verantwortlich zu machen. Natürlich fehlte „der Jude“ als Anstifter nicht, „der Adel" indes war sein „Handlanger": „... Schweinehunde, kann man hier wirklich nur sagen, blaublütige Schweinehunde, Narren und Idioten, Verbrecher und Mörder, Reaktionäre! Hier seht ihr, deutsche Menschen, Reaktion und Bolschewismus Arm in Arm. Stalin und deutsche Grafen Arm in Arm. Von Juden bezahlt. Diese Kreaturen muß man vernichten.. Während du, deutscher Arbeiter, anständig, fleißig, unermüdlich arbeitest, schaffst, noch und noch, 10 Stunden, 11, 12, 16 Stunden, ohne Sonntag, ohne Feiertag, ohne alles -dann darf es nicht sein, daß irgendwelche nichtstuende, idiotische, verbrecherische Ad lige Deutschland anfallen und ihm seinen Führer zu nehmen drohen, das darf nicht sein.“
Die klassenkämpferische Tendenz in der Rede des wenig oder gar nicht beratenen Ley, die überflüssigerweise auch noch als Leitartikel fast unverändert im Organ der Deutschen Arbeitsfront, im ANGRIFF, erschien, sprengte den Rahmen der Agitation gegen die Attentäter. Immerhin waren selbst in Hitlers nächster Umgebung Adlige zu finden — „blaublütige Schweinehunde, Narren und Idioten, Verbrecher und Mörder" — wie, so brauchte der Hörer nur zu vervollständigen: Ribbentrop, Rosenberg, Schirach .... und Leys Ausführungen konnten möglicherweise genau das bewirken, was man zu vermeiden versuchte, eine Spaltung der „Volksgemeinschaft". Es ist sehr wahrscheinlich, daß Bormanns Weisung eine Reaktion auf Leys Ausfälle war, zumal sie sich anfangs mit dieser Problematik intensiv auseinandersetzte: . Der Führer wünscht, daß bei der Behandlung der Ereignisse des 20. Juli 1944 sich niemand dazu hinreißen läßt, das Offizierscorps, die Generalität, den Adel oder Wehrmachtsteile in corpore anzugreifen oder zu beleidigen. Es muß vielmehr betont werden, daß es sich bei den Teilnehmern des Putsches um einen ganz bestimmten, verhältnismäßig kleinen Offiziersklüngel handelte (handschriftlicher Zusatz: Die vom RFSS durchgeführte Untersuchung geht ihren ordnungsgemäßen Gang, über ihre Ergebnisse wird zu gegebener Zeit berichtet werden). Für die einwandfreie Haltung des deutschen Heeres war es bezeichnend, daß in sämtlichen Gauen die Wehrmachtsbefehlshaber die auf Verhaftung der Gauleiter oder Kreisleiter lautenden Befehle des Verräter-haufens nicht ausführten. Sie nahmen im Gegenteil mit den Gauleitern etc. Fühlung auf und betonten die Notwendigkeit engsten Zusammenhaltens zwischen NSDAP und Wehrmacht.
Wird über die Haltung der Verräterclique gesprochen, muß also gleichzeitig die einwandfreie Haltung des Heeres wie überhaupt die einwandfreie Haltung der Gesamtwehrmacht betont werden.
Der Führer hat inzwischen betont und klargestellt, daß gerade in besonderen Notzeiten innerhalb der Gaue die vollziehende Gewalt nicht an die Wehrmacht oder an irgendwel-ehe einzelnen Generale übergehen kann, sondern sie muß gerade in besonderen Krisen, in Notzeiten unseres Volkes, fester denn je in der Hand der Gauleiter gehalten werden. Heil Hitler, Bormann."
Wie aus den Unterlagen über die Stimmung in der Bevölkerung hervorgeht, wurde die Weisung nicht zu Unrecht erlassen. Indes war das nicht die einzige Panne. Nach der Explosion gegen 12. 50 Uhr im Führerhauptquartier war man sich eine Weile noch darüber im unklaren, wer eigentlich die Bombe gelegt hatte. Schließlich konzentrierte man sich auf von Stauffenberg, den man zunächst als Einzeltäter zu den Russen geflohen glaubte. Daß die Explosion in einem größeren Zusammenhang zu sehen war, hielt man am Nachmittag noch gar nicht für möglich. Erst, nachdem sich gegen Abend eine Reihe von Befehlshabern des Heeres meldeten, die wissen wollten, ob Hitler tatsächlich tot sei, wurde klar, daß eine Entwicklung in Gang gesetzt sein mußte, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Attentat stand und sich außerhalb der Kontrolle der Machthaber befand. Sie mußten reagieren. Die Nachricht wurde notwendig, daß auf Hitler zwar ein Attentat verübt worden war, er es aber unverletzt überstanden hatte, und zugleich der Beweis für diese Behauptung, damit der persönlich auf Hitler geleistete Eid wieder voll in Kraft treten konnte, kurz, Hitler mußte öffentlich auf das Attentat reagieren und reden. Mehrere Fernschreiben geben darüber Aufschluß, daß zunächst weder Hitler noch sein Gefolge eine Ahnung hatten, was eigentlich geschehen war. Es herrschte völlige Unkenntnis über Personen, Umfang und Ziele des Verschwörerkreises aber — Hitler mußte reden. In dieser dann gegen 1 Uhr nachts ausgestrahlten Rede, die am anderen Tag wiederholt wurde, sagte er nichts über eine Verbindung zur Feindseite, ein Argument, das später eine größere Rolle spielen sollte, aber die anderen von ihm geprägten Formulierungen über die Attentäter, ihre Ziele, Motive und den Vorgang selber wurden zu Klischees, die immer wieder Verwendung fanden. Sie konnten nicht mehr revidiert werden, denn schließlich war der Führer allwissend, und Zweifel an der Allwissenheit des Führers zu provozieren ist wohl das letzte, was in einem totalitären Staat geschehen darf, auch wenn es schadet. Die Klischees im wesentlichen: Es sei eine ganz kleine Clique von Offizieren gewesen — ihr Motiv: der Ehrgeiz — ihr Ziel: ihn, Hitler und den Wehrmachtsführungsstab zu beseitigen — der Klüngel habe mit der Wehrmacht nichts zu tun und werde ausgerottet. Schließlich: Aus der Tatsache, daß die Bombe zwei Meter neben ihm explodiert sei, eine Reihe von Mitarbeitern tot, er aber „wie durch ein Wunder unverletzt" sei, zog er den Schluß, daß ihm die „Vorsehung einen Wink gegeben habe", er müsse und werde daher „sein Werk“ weiterführen
Die Presse, wichtigstes Steuerungsmittel öffentlichen Bewußtseins neben dem Rundfunk, wurde ihrerseits vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gesteuert, genauer: von den Vertraulichen Informationen (VI) des Ministeriums. Es waren auf der täglichen Pressekonferenz des Ministeriums durch Reichspressechef Dietrich oder seinen Stellvertreter ausgegebene Anordnungen an die deutsche Tagespresse. Hier wurden die zu behandelnden Schwerpunkte in den Zeitungen fixiert, die Behandlung oder Erwähnung von Themen untersagt und sehr direkte Anweisungen zu Inhalt und Form gegeben. So geriet jede deutsche Zeitung gerade in diesem Fall zu einem lächerlichen Spiegelbild der anderen. Hatte also Hitler in seiner „wegweisenden" Rede nichts über die Beteiligung des Feindes gesagt, so war der zentrale Gedanke in den Anweisungen für die Presse durchaus „der Feind“, der das Attentat ausgeführt habe. „Ein Gedanke“, so die Anweisungen, „der das ganze Volk bewegt". Natürlich fehlt auch hier wieder nicht der Hinweis auf „den Juden". Der zweite Schwerpunkt der Vertraulichen Informationen: In den Kommentaren sei die „Vorsehung", das „Schicksal", also synonyme und umschreibende Begriffe für Gott, der sich hier offenbart haben sollte, hervorzuheben. Formal wurde die Presse angewiesen, als „Sprachrohr des deutschen Volkes“ Kommentare und Leitartikel mit Glückwünschen für den Führer ausklingen zu lassen.
Die Funktion der „Führerrede“ als bestimmender Faktor in der Behandlung der Ereignisse in der Öffentlichkeit zeigt sich sogleich in den Anweisungen Nr. 150 vom 21. Juli: Es sei „.. . über das Tatsächliche aus der Führer-rede zu den Ereignissen nicht hinaus(zu) gehen". Andererseits überließen die Vertraulichen Informationen die Redakteure ihrer eigenen Phantasie, indem sie die kühne Behauptung aufstellten, daß für ......den Ursprung und die enge Verbindung zu einer feindlichen Macht aufschlußreiche Beweise vorliegen . . ." obwohl, wie erwähnt, Hitler davon nichts gesagt hatte. Zusätzlich wurde am nächsten Tag die These des „inneren" Verrates aufgestellt: Die „. . . verbrecherische Clique (habe) — teilweise an wichtigen Posten stehend — in Verbindung mit den Feindmächten die Kriegsanstrengungen von Front und Heimat immer wieder geschwächt" , Ein weiterer Beleg für die Desorganisation der Presselenkung: Es wurde ein Gedanke propagiert, der wenige Tage später mit dem gleichen Aufwand verleugnet werden sollte: Der Gedanke, daß der 20. Juli als Initialzündung zum totalen Krieg zu betrachten sei, wie ihn Goebbels — fast anderthalb Jahre zuvor -in der Sportpalast-Rede nach Stalingrad erklärt hatte, der aber niemals in der beabsichtigten Weise durchgeführt worden war. So hieß es unter anderem: „. . . Es ist die Erwartung des ganzen deutschen Volkes und vor allem seiner hart kämpfenden Soldaten, daß die Ereignisse des 20. Juli den Anstoß zu einer umfassenden inneren Erhebung in der Heimat und an der Front geben, die alle Kräfte und Energien für Kampf und Sieg in Aktion bringt."
Es hat den Anschein, als sollte der 20. Juli zu einem neuerlichen Versuch zur Popularisierung des „Totalen Krieges" benutzt werden. Dazu gibt es einige Hinweise. So hatte Goebbels am Anfang des Monats Juli auf einer Massenkundgebung in Breslau darauf hingewiesen, daß die „totale Kräftemobilisierung" eine Notwendigkeit geworden sei. In seinem zeitlich folgenden REICH-Artikel fragte er gleichzeitig suggestiv: „Führen wir einen totalen Krieg?" Die Kräftemobilisierung dürfe, so hieß es darin, nicht befohlen werden, sie müsse freiwillig geschehen, „. . . außerdem leben wir nicht in einem bolschewistischen System, das hinter jedes Gebot oder Verbot die Drohung des Genickschusses stellt“ 13a). Dieser neue und alte Gedanke der totalen Kräftemobilisierung fand dann Verbreitung in den deutschen Tageszeitungen: „Totaler Krieg für alle“, hieß die Schlagzeile in der Deutschen Allgemeinen Zeitung beispielsweise am 9 Juli, und ähnlich ausführlich beschäftigten sich andere deutsche Tageszeitungen mit dieser Problematik.
Ws zum 30. Juli wiesen die VI-Anordnungen die Popularisierung des totalen Krieges an, es folgten Hinweise auf „Treuekundgebungen', das Verbot, die Nachricht zu verbreiten, daß der Militärbefehlshaber in Frankreich, von Stülpnagel, einen schweren „Autounfall" erlitten habe, es'folgte die Anweisung, daß die Namen der drei maßgeblichen Teilnehmer des Putsches „in der unteren Hälfte der ersten Seite zu verzeichnen" sei; dann sollte ab 31. Juli das Attentat aus der allgemeinen Diskussion verschwinden und schließlich eine Kehrtwendung um 180 Grad: „Bei der Behandlung der Maßnahmen zur Verwirklichung des totalen Krieges, die weiterhin im Vordergrund unserer Pressearbeit stehen werden, ist auf den 20. Juli nicht Bezug zu nehmen, da beide Themen nicht in sachlichem Zusammenhang miteinander stehen." • 13a)
Die Maßnahmen zum totalen Krieg unterwarfen das gesamte Leben in der Heimat eingegreifenden Veränderungen: Beseitigung der Scheinarbeitsverhältnisse, Heraufsetzung der Frauenarbeitspflicht auf das 50. Lebensjahr; Überführung der nichtdeutschen Haus-und Wirtschaftsgehilfinnen in die Rüstungsindustrie; Freistellung uk-Gestellter; die Heimarbeit für die Rüstungsindustrie wurde zur Pflicht über solche Frauen und Männer, die wegen ihres Alters oder ihrer Gesundheit für einen Kriegseinsatz nicht mehr in Frage kamen.
Der gesamte Theater-und Filmnachwuchs wurde in die Rüstungsindustrie überwiesen; alle Filme, die nicht rüstungs-und kriegs-wichtig waren, durften nicht mehr fertiggestellt werden; alle öffentlichen Veranstaltungen, die nicht kriegswichtig waren, wie: Musiktage, Ausstellungseröffnungen, Empfänge, Amtseinführungen, Fest-und Theaterwochen, Gedenkfeierlichkeiten, wurden verboten. Die Post mußte die Beförderung von Briefen und Paketen einschränken, „nicht kriegswichtige" Telefone wurden stillgelegt. Die Zivilrechtspflege wurde eingeschränkt. Sämtliche Theater, Varietes, Kabaretts, Jahrmärkte und Zirkusunternehmen (bis auf ganz wenige) mußten schließen; Kunstausstellungen, Wettbewerbe, Akademien, Kunsthochschulen sowie Musikhochschulen wurden geschlossen — das gesamte schöngeistige Unterhaltungs-und verwandte Schrifttum konnte nicht mehr publiziert werden.
Allerdings wurde die Tagespresse ebenso eingeschränkt und Zeitungen weitgehend zusammengelegt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, durften Zeitungen von nun ab nur noch sechsmal wöchentlich mit je vier Blättern erscheinen; die Illustrierten stellten bis auf zwei Ausnahmen ihr Erscheinen ein; der größte Teil der noch existierenden 1500 Zeitschriften erschien nicht mehr.
Berufs-und Fachschulen wurden geschlossen — bis auf „kriegswichtige"; die Universitäten nahmen nur noch Verwundete an, wer sein Studium bis zum 1. Mai 1945 nicht beenden konnte, hatte die Universität zu verlassen; die achte Klasse der höheren Lehranstalten wurden aufgelöst: Die Schüler dieser Klassen in Kinder-Landverschickungs-Lagern als Führer eingesetzt, die Mädchen gingen in die Rüstung.
Es wurden neue Lebensmittelkarten und auf vier Monate berechnete Raucherkarten ausgegeben, mindestens 60 Stunden Arbeit in der Woche waren Pflicht, die Ämter waren angewiesen, bis spät abends und auch sonntags geöffnet zu bleiben. Das preußische Finanzministerium wurde stillgelegt, Steuerwesen und Lohnabrechnung wurden vereinfacht. Unnötige Gaststätten sowie die Spielbanken geschlossen. Eine totale Urlaubssperre wurde erlassen.
All diese Maßnahmen beherrschten in den folgenden Wochen praktisch auch die Vertraulichen Informationen. Das Thema „ 20. Juli" wurde nur noch erzwungenen taktischen Erwägungen folgend behandelt. Zu; Beispiel sollte die in der Deutschen Zeitun in den Niederlanden vom August veröl fentlichte Nachricht, daß Dr. Goerdeler nur mehr verhaftet worden sei, „nicht übernom men" werden. Am 13. September 1944 mußt die Diskussion zwangsläufig wieder aufge nommen werden: umfangreiche Gerüchtebil düng, anhaltende Diskussion des Themas i der Öffentlichkeit, trotz des Versuchs de Totschweigens, vor allem aber: erheblichi Zweifel in die Berichterstattung über dei 20. Juli und bekanntgewordene Namen au dem zivilen Leben hatten zu dem Zwang ge führt, verschiedene Namen im Zusammen hang mit ihrer Aburteilung bekanntzugeben Die Zeitungen wurden aber „gebeten“, der Bericht „nur im Inneren der Blätter zweispal tig zu veröffentlichen“. Dies war das Ende des 20. Juli in den täglichen Anweisungen an die Presse.
Treuekundgebungen werden befohlen
Auch in der Behandlung der Treuekundgebungen, die überall im Reich stattfanden, zeigte sich zweierlei: sowohl eine gewisse Schwerfälligkeit des Propagandaapparates als aber auch ein, wahrscheinlich personalpolitisch bedingtes, glänzendes Funktionieren, worüber noch zu berichten sein wird. Der Grazer Gauleiter Uiberreither (Gau Steiermark) richtete bereits am Abend des 20. Juli um 20. 15 Uhr fernschriftlich die Frage an den Propagandaminister, ob „... Großkundgebungen anläßlich des glücklichen Verlaufes des Attentates im Reich durchgeführt werden" 14). Sie waren erwünscht, wie die Gauleiter am anderen Tag fernschriftlich erfuhren. Am 22. Juli, einen Tag, nachdem die eindrucksvollsten (wenn man der Berichterstattung glauben darf) Veranstaltungen schon stattgefunden hatten, entwarf Staatssekretär Naumann die „Propagandaparole Nr. 68". Der maschinenschriftliche Entwurf ging als Rund-
Spruch Nr. 195 am 23. Juli zwischen 14. 05Uhr und 14. 20 Uhr an alle Gauleiter, Leiter da Reichspropagandaämter und Gaupropagandaleiter: „Als spontane Willensäußerung unseres Volkes ist in den nächsten Tagen in allen Gauen und Kreisen des Reiches eine Welle von Treuekundgebungen durchzuführen. ‘ Am 24. Juli endlich verschickte der Chef des Pro-pagandastabes der Reichspropagandaleitung. Wächter, den Rundspruch Nr. 203 an alle Gaupropagandaleiter, in denen genaue Richtlinien für die Durchführung der Treuekundgebungen erteilt werden. Zu diesem Zeitpunkt lagen im Ministerium bereits zwei Tage alte Berichte, in denen die Organisatoren aus de» Reich nicht nur mitteilten, daß ihre Veranstaltung erfolgreich gewesen sei, sondern worin sie auch von der Verpflichtung zu weiteren Kundgebungen befreit werden wollten, da die Teilnehmer nun nicht mehr freiwillig kommen würden. Die erfolgreichsten Kundgebungen hatten ohne Einwirkung der Propagandaleitung mit ihrer Erlaubnis bereits stattgefunden.
Parteiinterne Anweisungen
Die „Parteiinternen Anweisungen“ über die Behandlung des Themas in der Öffentlichkeit verdeutlichen zweierlei: Einmal wiederum, daß der Versuch mißlang, die Diskussion um den 20. Juli durch Totschweigen in der Öffentlichkeit abzuwürgen. Er mißlang selbst innerhalb der Partei. Die Unterstellung der Nationalsozialisten, daß die Verschwörer die Ostfront durch Sabotage und Verrat zum Einsturz gebracht hätten, wirkte nachhaltig, da die Bevölkerung über den 20. Juli hinaus hinter den weiter anhaltenden Rückzügen nun auch Verrat und Sabotage vermutete. So muß die Parteikanzlei am 20. September eine ungewöhnlich lange Bekanntgabe — B 254/44 — als . Stellungnahme zu den Vorgängen im Mittel-abschnitt der Ostfront und zu den Ereignissen des 20. Juli 1944“ herausgeben. Darin heißt es, daß „aus Anlaß der Vorkommnisse im Mittelabschnitt der Ostfront und der Ereignisse des 20. Juli 1944 ... in verschiedenen Fällen in Versammlungen, Sprechabenden und anderen Veranstaltungen der NSDAP ganz allgemein gegen das Offizierskorps und gegen eine Reihe höherer Offiziere ungerechtfertigte Vorwürfe erhoben“ worden seien. Das verstoße gegen die bereits ergangenen Anordnungen und widerspreche vor allem auch „.. .der Hingabe und Treue Hunderttausender braver Offiziere". Der Parteiverfügung wurde zwar eine „Beurteilung" der „Vorkommnisse im Mittelabschnitt der Ostfront" beigegeben, in der von der „Masse der Offiziere und Soldaten“ die Rede ist, die „innerlich ungebeugt, führertreu und von den nationalsozialistischen Volksidealen besessen" sei, aber sie läßt im dunkeln, worauf denn der Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte nun wirklich zurückzuführen war. Als Erklärung war die Verratsthese denn doch zu verlockend, als daß man auf sie verzichten wollte
Oie „Parteiinternen Anweisungen" zeigen in den Rednerinformationen 15) zweitens, warum der totale Krieg später nicht mehr in einen Zusammenhang mit dem 20. Juli gebracht werden durfte, z. B. die Rednerinformation vom 4. August 1944: „Dabei ist zu beachten, daß die auf diese Mobilisierung abzielenden Maßnahmen nicht erst durch den Putschversuch vom 20. Juli ausgelöst wurden, sondern — vielmehr von der Führung seit längerer Zeit geprüft und zur Sicherung des Endsieges geplant waren. Es bedurfte also nicht erst einer moralischen Nötigung durch einige Hochverräter, um die verantwortliche Volksführung das Gebot der Stunde erkennen zu lassen, sondern sie handelte aus der ihr eigenen Voraussicht und dem ihr eigenen Verantwortungsbewußtsein." Aus den Anweisungen wird das erkennbare Bemühen der nationalsozialistischen Führung ersichtlich, die Motive, Ziele, Personen und Umfang der Verschwörung zu verschleiern. Als Mittel dienten der sparsame Gebrauch der Wahrheit, bewußt aufgestellte unwahre Behauptungen, im wesentlichen aber das Verschweigen der tatsächlichen Vorgänge und Umstände.
Der 20. Juli sollte in der Öffentlichkeit so aussehen: Aus der Behauptung der Vertraulichen Informationen, daß das Attentat von „Feinden" durchgeführt worden sei, und der Rede Hitlers, der die „Feinde" nicht erwähnte, aber von einem „reaktionären Offiziersklüngel" gesprochen hatte, wurde eine Synthese geformt: Deutsche Offiziere — im Auftrag der Feinde, die die Ostfront verraten hatten. Ansonsten wurden — wenn auch später durch die Notwendigkeit weiterer Berichterstattungen modifiziert — die von Hitler in seiner nächtlichen Rede geprägten Klischees beibehalten: Nur eine kleine Clique, vom Ehrgeiz motiviert, die ihn und die Wehrmachtsführung beseitigen wollte, aber mit der Wehrmacht nichts zu tun habe und jetzt ausgerottet werde. Aus der Tatsache, daß die Bombe neben ihm explodiert war, eine Reihe von Menschen getötet und verletzt hatte, er selber aber nahezu unverletzt blieb, wurde der Schluß abgeleitet, daß die „Vorsehung" ihre Hand im Spiel hatte, daß die Errettung göttliches Zeichen sei, daß Hitler „sein Werk" fortführen müsse — und werde.
Aus den Anweisungen wird ersichtlich: über seine taktische Bekämpfung hinaus diente der 20. Juli einem offensichtlich seit längerem angestrebten Ziel: der Verwirklichung des totalen Krieges — wenn das auch wenig später bestritten wurde. Er diente der letzten Steigerung Hitlerscher Vergötzung („die Vorsehung"), er erklärte die Niederlagen bis zu diesem Zeitpunkt, was sich, wie es sich zeigen sollte, später als Bumerang erwies. Aus den Anweisungen wird ferner ersichtlich: Sie waren total, gingen in kleinste Details, aber die Organisation der NS-Propaganda muß sich aus verschiedenen Gründen bereits in Auflösung befunden haben. Die Anweisungen waren daher teilweise auch widersprüchlich, kamen zu spät und wurden teilweise selbst in Partei-kreisen nicht befolgt.
Die Darstellung des 20. Juli in der Öffentlichkeit
Die Darstellung des 20. Juli in der Öffentlichkeit ist, was nicht weiter verwunderlich ist, ein getreues Spiegelbild der Anweisungen. Das zeigt sich in der Berichterstattung, die sich in den verschiedenen Zeitungen wie ein Ei dem anderen ähnelte, selbst in den Kommentaren. Interessant ist die Darstellung und Kommentierung daher vor allem in den Extremen.
Goebbels hielt am 26. Juli über den Rundfunk eine Rede, die er eingangs als „Rechenschaftsbericht" bezeichnete Sie sollte den Eindruck erwecken, daß hier von prominenter Stelle die letzten Wahrheiten und Erklärungen abgegeben wurden. Diese Rede zeichnete sich ab Juli in der Öffentlichkeit
Die Darstellung des 20. Juli in der Öffentlichkeit ist, was nicht weiter verwunderlich ist, ein getreues Spiegelbild der Anweisungen. Das zeigt sich in der Berichterstattung, die sich in den verschiedenen Zeitungen wie ein Ei dem anderen ähnelte, selbst in den Kommentaren. Interessant ist die Darstellung und Kommentierung daher vor allem in den Extremen.
Goebbels hielt am 26. Juli über den Rundfunk eine Rede, die er eingangs als „Rechenschaftsbericht" bezeichnete 17). Sie sollte den Eindruck erwecken, daß hier von prominenter Stelle die letzten Wahrheiten und Erklärungen abgegeben wurden. Diese Rede zeichnete sich aber durch eine besonders eigenwillige Art aus, wie der Minister mit der Wahrheit umging. Nachdem „auch die letzten Hintergründe dieser beschämenden Vorgänge" aufgedeckt seien 18), wolle er in einem „nüchternen und ungeschminkten Tatsachenbericht" darüber berichten.
Sofort nach Bekanntwerden der Nachricht habe er sich Gedanken über den Täter gemacht; er sei zu der Ansicht gekommen, daß das kein im Hauptquartier tätiger Bauarbeiter 19) sein könne, vielmehr ...... konnte dieser Anschlag nur von einem abgrundtief bösen und verworfenen Menschen begangen worden sein", und er wußte auch, „. . . in welchem Kreis er zu suchen war".
Die „kleine Verräterclique" habe dann, „wie erwartet", begonnen, „ihre Fäden zu spinnen". „Sie hatten", und das ist mit Sicherheit eine der ganz wenigen richtigen Aussagen in seiner Rede, „den Anschlag unternommen, um die deutsche Wehrmacht eidfrei zu machen.“ Jedoch hätten die „fanatischen Nationalsozialisten" — aus dem das Berliner Wachbataillon „wie alle Verbände der deutschen Wehrmacht" bestehe — „nichts Eiligeres“ zu tun gehabt, als sich von ihm unterrichten zu lassen. „Damit war praktisch der ganze Schurkenstreich schon nach Ablauf einer knappen Stunde erledigt" 20).
Es habe sich um vier Personen gehandelt, zu denen „. . . noch ein paar unbedeutende Chargen und Komparsen ..." gekommen seien 0. Aus den „Tatsachen", „. . . daß bei dem Attentat gegen den Führer englischer Sprengstoff verwendet wurde, daß der Attentäter mit der englischen Hocharistokratie versippt war und die Londoner Presse nach Bekanntwerden des Attentats ihrer lebhaften Hoffnung Ausdruck gab, daß die Vorgänge vom 20. Juli nun baldigst zum Zusammenbruch des Reiches führen würden . . .", folgert er: „Es war doch ein Anschlag aus dem Lager des Feindes, wenn sich auch Kreaturen mit deutschen Namen bereit fanden, ihn durchzuführen." Tatsächlich aber hatte Goebbels noch nicht einmal Hindergrundinformationen der Gestapo (die er aus staatspolitischen Gründen etwa hätte verheimlichen müssen), die diese Behauptung auch nur anhaltsweise rechtfertigten. Am 29. Juli erhielt Goebbels von Kaltenbrunners Sonderkommission „ 20. Juli“ innerhalb der laufenden Berichterstattung über neue Erkenntnisse einen Bericht, in dem sich ein Absatz speziell mit „Auslandsbeziehungen" befaßte. Es hieß darin, das Ausland habe von einem weitgehenden „Defaitismus" gewußt; es hieß darin auch, daß die „Feindseite" . . . von Einzelheiten des bevorstehenden Anschlags gewußt..
habe Aber ein Nachweis konnte nicht geführt werden. Vielmehr wurden die Beweise der Gestapo über die „Feindbeziehungen" wie die Formulierungen immer dünner. So etwa am 8. August: „Eine Anzahl von Berichten und Agentenmeldungen sowie die rückblickende Betrachtung gewisser Tendenzen und Nachrichten der neutralen und feindstaatlichen Agitation (!) legt den Schluß nahe, daß von der Verschwörerclique nach dem Ausland hin gewisse Verbindungen bestanden." Alles in allem aber könne „... erst nach Abschluß der Untersuchungen festgestellt möglicherweise werden, ob und wieweit Stauffenberg und der Verschwörerclique von der Feindseite Weisungen übermittelt und Zusagen gemacht worden sind" Schließlich kapitulierte die Gestapo am 29. November 1944, indem sie feststellte, „... daß irgendwelche festen Vereinbarungen mit einer ausländischen Macht im Zeitpunkt des Attentats nicht vorgelegen haben. Der Putschplan war außenpolitisch in keiner Weise sorgfältig vorbereitet oder mit bestimmten Mächten abgestimmt." Also: Auch nach allem, was er damals wissen konnte, log der Minister
Schließlich beschäftigte er sich auf ähnliche Weise mit „dem Wunder" der Errettung. Diesem Geschehen unterschob er die, „. . . wenn auch erst spät erkennbar werdende Logik, daß wir trotz allen Belastungen doch am Ende in diesem Krieg den Sieg davontragen werden“. „Der totale Krieg sei das Gebot der Stunde", der 20. Juli eine „Gesundungs-und nicht Krankheitserscheinung des Nationalsozialismus", „deshalb gehe es jetzt wieder aufwärts". Zum Schluß bemühte er, nicht unerwartet, „den Allmächtigen", der sich „deutlicher, als durch die wunderbare Errettung des Führers nicht mehr offenbaren werde": „er will, daß wir uns weiterhin den Sieg verdienen, damit er uns eines Tages den Lorbeer reichen kann. Also wollen wir an die Arbeit gehen, das Auge auf die Zukunft gerichtet, die unser sein wird".
In dieser etwa eine Stunde dauernden Rede Goebbels also Unwahrheiten bis in die kleinsten Nebensächlichkeiten. Sein Bericht über Attentäter und Motive ist, auch gemessen daran, was er wissen konnte, unwahr, in verschiedenen Punkten bewußt verlogen, der Bericht über die Vorgänge während des Putsches unwahr, unwahr die Behauptung, die Attentäter hätten auf Veranlassung des Feindes gehandelt, unwahr seine Behauptungen über neue Waffen, auf die hier nicht näher eingegangen wurde. An Stelle der Wahrheit: Irrationalismen, der Glaube, daß Deutschland siegen wird, weil es der Allmächtige will oder weil es geschichtliche Logik sei oder weil Goebbels es fühlte oder auch, weil er es in den Augen der Menschen gelesen habe. Es waren seine Argumente der letzten Monate. Die Zeitungen machten sich natürlich die Goebbelsche Argumentation bis in die Diktion zu eigen eine Diktion, die sich anläßlich der Berichterstattung über den Prozeß vor dem Volksgerichtshof am 9. August noch steigerte und das Bild der Attentäter mit prägte: So wurde im Völkischen Beobachter — wie in allen anderen Zeitungen gleichlautend — zu Beginn des Berichtes das „ganze erbärmliche Verbrechertum der Angeklagten" charakterisiert: Sie haben „zusammengekniffene Lippen, sehen ins Leere, sind das personifizierte böse Gewissen, werfen scheue Blicke in den Raum, greifen sich mit nervösen und fahrigen Gesten immer wieder zum Hals und brüten dumpf vor sich hin". Ein erhellendes Licht auf die Prozeßführung und Berichterstattung wirft die Aussage der Wirtschafterin Becks. Der Vorsitzende Freisler und der Berichterstatter fanden es „bemerkenswert", daß „. . .der . Kraftmensch'Beck schön vierzehn Tage vor dem Attentat jede Nacht in Angstschweiß (ausgebrochen sei), so daß sein klatschnasses Bett jeden Morgen neu überzogen werden mußte" Eine beachtliche forensische Leistung: Eine einzige Zeugin in dem Massenprozeß — mit einer einzigen Aussage.
Die Ausnahme in der Berichterstattung und Kommentierung
Eine vom Völkischen Beobachter abweichende Berichterstattung und Kommentierung war möglich. Das zeigt das Beispiel der Deutschen Allgemeinen Zeitung und ihres Chefredakteurs Otmar Best. Sicher war das allein noch keine oppositionelle Haltung oder der Ansatz dazu, der klar und deutlich formuliert anzutreffen wäre; man mußte schon zwischen den Zeilen lesen, aber das war Geübten nicht unmöglich. Anders als alle anderen untersuchten Zeitungen machte die DAZ die Nachricht wesentlich kleiner auf. Anders als andere stellte der Kommentator fest, daß das „Ereignis noch zu frisch sei, als daß es die Ausmalung aller Möglichkeiten" zuließe. Deutschland nehme aber aus dem Ereignis die Gewißheit, daß „...der von Adolf Hitler (also nicht vom Volk, der Verf.) geführte Kampf. .. mit dem Sieg enden“ werde Am 22. Juli kommt Otmar Best den Tatsachen ziemlich nahe mit der im Grau des Gleichmaßes überraschenden Bemerkung, daß das „. . . verbrecherische Attentat und das mit ihm verbundene Komplott mit einer Machtstärkung des Regimes geendet“ habe. Die Urheberschaft des Feindes zweifelt er vorsichtig an: „wenn auch der britische Geheimdienst dieses Attentat vorbereitet zu haben scheint“ Am 23. Juli hält er die propagandistische Aus-schlachtung der Vorgänge fest, indem er feststellt, „... daß die nationalsozialistische Staatsführung richtig handelt, wenn sie das Ereignis in den Dienst der Kriegsführung stellt ...", und im Gegensatz zu anderen Kommentatoren heißt es bei ihm, daß „. ..dem deutschen Volk wie dem befreundeten Ausland die Hintergründe und Zusammenhänge des Komplotts ... nicht bekannt ..." seien. In diesem Kommentar behauptet Best zwar auch, daß die „Offiziere die Front sabotiert und Verrat geübt" hätten, er stützt sich bei diesen Behauptungen aber ausdrücklich auf die Rede Leys und stellt die darin enthaltenen Unterstellungen des Reichsleiters in Frage: „Wenn die Mitteilung des Reichsleiters Dr. Ley richtig ist ...“
Anläßlich der Berichterstattung über den Prozeß vor dem Volksgerichtshof zieht Best in einem Leitartikel „Die Konsequenzen". Camouflierend deutet er-seine Meinung zur Prozeßführung und zur Propagandapolitik an, indem er den „sehr ausführlichen und dramatischen Prozeßbericht" lobt, der „.. . im Sinne der Volksaufklärung verbreitet wurde... (und) ...derart detaillierte Mitteilungen gemacht habe, daß jeder Deutsche sich seine begründete Meinung bilden konnte“ (I). Die Anordnungen der Vertraulichen Informationen ignoriert er souverän, sich bei seinem Führer absichernd: „Es kommt nun alles darauf an, dieses Ereignis in den Dienst der Kriegführung zu stellen. Der Führer selbst hat vor den Reichsleitern und Gauleitern gesagt, jetzt gelte es, die Konsequenzen aus diesen Vorgängen zu ziehen."
Mit dem Tode Rommels setzt die DAZ die Reihe ihrer gefährlich zweideutigen Bemerkungen fort. „Er war ein freier Mann und das ist ein großes Wort", stellt die Zeitung als einzige in einer Zwischenzeile fest. Auf der folgenden Seite beschäftigt sich die DAZ wie alle anderen Zeitungen mit einem Flugblatt des Nationalkomitees Freies Deutschland, das der Beweis für die Zusammenarbeit mit den Attentätern sein sollte In dem Kommentar der DAZ dazu heißt es wieder doppeldeutig, daß „die Meldung . . . die Verbindung des von Moskau gedungenen Klüngels mit bestimmten Cliquen“ beweise. Die Meldung also „beweist" etwas, nicht ihr Inhalt, und weiter überläßt es der Kommentator dem Leser, sich Gedanken zu machen, ob es nun in-• nerhalb einer „ganz kleinen Clique" mehrere „Cliquen" gab oder ob es neben dieser „ganz kleinen Clique" nicht noch andere gab, über deren Existenz nicht berichtet worden war.
Gemessen an den Möglichkeiten im Dritten Reich, eine von der offiziellen Sprachregelung abweichende eigene Meinung zu Wort kommen zu lassen, sind Bests Formulierungen erstaunlich. Aus dieser in seiner Zeitung jedoch nur in wenigen Fällen vertretenen Haltung für Otmar Best einen Status als Widerstandskämpfer ableiten zu wollen, wäre allerdings verfehlt. Best ist sicher nicht auf Grund solcher und ähnlicher Formulierungen 1943 zum Hauptschriftleiter" der nach dem Völkischen Beobachter bedeutendsten Zeitung bestellt worden. Laut eigener Bekundung wußte Best vorher weder etwas von der Verschwörung noch vom Attentat. Da er aber mit Fritz Dietloff Graf von der Schulenburg sehr nahe bekannt gewesen war, sei ihm in dem Augenblick, als der Name „von Stauffenberg" fiel, klar gewesen, „welche Kräfte die Hauptträger der Aktion" waren. Schulenburg habe ihm bereits 1942 auf dem Höhepunkt der deutschen Erfolge gesagt: „Die Nationalsozialisten haben den deutschen Namen geschändet; dafür gibt es nur eine Sühne: Den Tod!" Die Darstellung des Propaganda-ministeriums sei ihm unglaubwürdig erschienen. Für seine Vorbehalte aber eine Form zu finden, die einerseits dem NS-Regime keine Handhabe gab, dem Leser aber einen Hinweis bieten konnte, sei eine „halsbrecherische Aufgabe" gewesen. Diese Tage hätten daher „zu den schwersten seiner journalistischen Laufbahn" gehört. Er bestätigte die Vermutung des Verfassers, daß er die amtliche Darstellung angezweifelt habe und dies in dem verhaltenen Stil zum Ausdruck bringen wollte. Best gab ausdrücklich zu, nicht ein Mann des Widerstandes zu sein: „Jedoch habe ich niemals in Anspruch genommen, zu den Männern des 20. Juli zu gehören . . .". Frau von Kardorff, heute Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, bestätigt im übrigen in ihrem Berliner Tagebuch die liberale Haltung ihres damaligen Chefredakteurs. Bests Kommentare sind wohl als Äußerstes dessen zu begreifen, was der Redakteur einer Tageszeitung 1944 nach dem 20. Juli an Widerstand seiner Art leisten konnte, ohne sich selber in Gefahr zu bringen, über die Wirkung seiner abweichenden Formulierungen ist nichts bekannt.
Eine Erörterung, inwieweit Best — wie andere, die es wie er besser wußten — darüber hinaus der Wahrheit hätte dienen müssen, scheint dem Verfasser nicht angebracht, da sie den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Er sieht in der Feststellung, daß es 1944 einer Zeitung möglich war, sich von der Sprachregelung zu distanzieren, bereits ein Ergebnis. Schließlich sind die Anweisungen der Vertraulichen Informationen des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda in der deutschen Tagespresse jener Zeit, abgesehen vom geringfügigen Abweichen der DAZ, sonst ohne Schwierigkeiten wieder zu erkennen. Nicht ganz funktioniert hat die Darstellung des Zusammenhangs zwischen 20. Juli und totalem Krieg. Es fiel weiter auf, daß die Berichte über das Attentat und die Verhandlungen vor dem Volksgerichtshof von den Illustrierten zu verschiedenen Zeitpunkten veröffentlicht wurden.
Die Untersuchung der Darstellung und der Kommentierung zeigt weiter: Die Informationen, die der Bevölkerung über den 20. Juli gegeben wurden, waren, gemessen am allgemeinen Interesse an diesem sensationellen Vorgang, nach dem Stand heutigen Wissens, aber auch nach dem Wissen, das die nationalsozialistischen Führer zum Beispiel durch die Arbeit der Gestapokommission haben mußten, völlig unzureichend; sie waren in den wenigsten Fällen unbewußt unwahr; in dem überwiegenden Teil der Fälle, auch in kleinen Details, bewußt erlogen. Die Untersuchung zeigt weiter: War die Berichterstattung im ganzen Reich wortwörtlich einheitlich, so gab es in den Kommentaren der Zeitungen bisweilen geringfügige Unterschiede; nicht in der Haltung gegenüber dem Attentat, sondern in der Diktion und der unterschiedlichen Hervorhebung verschiedener Argumente. Direkte Widersprüche waren aber nicht festzustellen. Es wurde nie das, was die Bevölkerung brennend interessiert hätte — etwa der Vorgang des Attentats —, näher erläutert. Er blieb in mystisches Dunkel gehüllt und war so, den Blikken entzogen, dem freien Lauf der Phantasie überlassen. Nicht ohne Grund: Die „Errettung" des Führers mußte nach dem offiziell Dargestellten tatsächlich ein Wunder sein, denn nie wurde zum Beispiel berichtet, daß auch andere als Hitler unverletzt die Explosion überlebt hatten. So wurde der 20. Juli im Reigen der Niederlagen des Jahres 1944 ein positives Ereignis für Volk, Reich und Nationalsozialismus, ein Zeichen des Himmels, der sich geoffenbart habe.
Die Wirkung
Um die Wirkung des Attentats, seiner Darstellung und Kommentierung auf die Bevölkerung richtig einzuschätzen, bedarf es einer zeitgeschichtlichen Einordnung: Den Bemühungen der nationalsozialistischen Meinungslenkung war es schon nicht gelungen, im Sommer 1944 das Ausmaß der Katastrophe am Mittelabschnitt der Ostfront zu verheimlichen, obwohl sie über die Vorgänge der Ostfront nur verschleiernd berichtete. Am 22. Juni 1944 war die Rote Armee — am Jahrestag der nazistischen Invasion — zur Offensive angetreten. Nach wenigen Wochen war sie erst wenige Kilometer vor der ostpreußischen Grenze zum Stehen gekommen. Das Führerhauptquartier in Rastenburg war nur noch 100 Kilometer von den russischen Spitzen entfernt und die Heeresgruppe Nord drohte abgeschnitten zu werden. Die Südfront der deutschen Rußlandarmeen war durch den Zusammenbruch ihrer nördlichen Flanke ebenfalls in Bewegung geraten. Es war nicht mehr — wie im Vorjahr — gelungen, einen geordneten Rückzug durchzuführen. Der Rückzug der Heeresgruppe Mitte artete vielmehr in eine wilde, ungeordnete Flucht mit allen dazugehörenden militärischen und disziplinarischen Unzulänglichkeiten aus. Uber 20 Divisionen mit 250 000 Menschen gingen verloren, über die Katastrophe im Osten war die Tatsache, daß es dem Westheer auch nach sechs Wochen noch nicht gelungen war, die Amerikaner und Engländer wieder ins Meer zurück-zuwerfen, fast in Vergessenheit geraten — ähnlich wie die Besetzung Roms.
über die V-Waffen gab man sich in der deutschen Bevölkerung — nach den SD-und Kreisleiterberichten — keiner Täuschung hin — sie wurden bespöttelt In immerwährender Monotonie heißt es in den Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes und der Partei „. . . ergreifender Ernst ..., starke Sorgen .... weitgehende Bedenken (bilden) den Grundton der Überlegungen der Volksgenossen", „die Stimmung der Bevölkerung ist gegenwärtig besonders ernst", „die Meinungsbildung (ist) weitgehend durch die Ereignisse am Mittelabschnitt der Ostfront beeinflußt", eine „schleichende Panikstimmung" habe das Volk ergrif-fen: „Die Stimmung ist gedrückter denn je" Ein Kreisleiter: „Die Menschen sind ernst, voller Sorge, bedrückt", der Kreisleiter von Schlüchtern: Die ...... Stimmung . .. einer ganz großen Anzahl deutscher Menschen (ist) besonders durch die Ereignisse im Osten so ziemlich auf den Nullpunkt gesunken“ Das heißt: Die Bevölkerung, verbittert und erschöpft durch die unaufhörlichen Luftangriffe, zwar ungebrochen in ihrem Arbeitswillen, aber hoffnungslos und ahnungsvoll, starrte am Vorabend des 20. Juli nach dem Osten — ohne eine Möglichkeit zu sehen, wie die drohende Niederlage abgewendet werden sollte. Diese Hoffnungslosigkeit ist das Grundelement in der Berichterstattung über die Stimmung in der Bevölkerung.
Und noch etwas: Die Meinungslenkung der Nationalsozialisten war in eine ernsthafte Krise geraten. Da die militärische Führung nicht mehr in der Lage war, das Geschehen zu diktieren, blieb auch der Propaganda nur noch die Möglichkeit zu reagieren. Mit dem Verlust der militärischen und politischen Initiative schlichen sich in die Interpretation der Kriegslage Widersprüche ein. Die Rechnung präsentierte sich — nach den SD-Berichten — in Form eines weitgehenden Mißtrauens in die eigene Propaganda. „Der Fall Catanias und Orels war zum Beispiel in vielen Bevölkerungskreisen schon einige Tage vorher bekannt ... auch in diesem Fall sei die Propaganda in keiner Weise ihrer Pflicht einer sachlichen Informationen nachgekommen" Zum Teil — lebensgefährlich für den einzelnen — begann die Bevölkerung daher, sich „objektive" Informationen woanders zu besorgen: bei den Sendern der Alliierten, der Schweiz, aus mündlichen und schriftlichen Berichten der Frontsoldaten. Die Schuld, so der Sicherheitsdienst, liege bei der staatlichen Meinungslenkung: „Nachdem weder Presse noch Rundfunk der Bevölkerung ein klares und ausreichendes Bild über die Entwicklung und Lage zu geben vermochten, sinkt daher das Vertrauen zur Nachrichtengebung auf einen bisher nicht gekannten Tiefpunkt. Während man früher oft mit bedenkenlosem Vertrauen die Nachrichten aufnahm, werden heute Presse und Rundfunk als die willigen Werkzeuge der . Propaganda'angesehen. Das Wort . Propaganda’ aber wird dem Begriffen . Täuschung’, zumindest aber . einseitige Darstellung zu einem bestimmten Zweck'gleichgestellt" Die Information der Bevölkerung war — nach den SD-Berichten — zumindest seit 1943 nicht mehr ein Monopol der NS-Meinungslenkung. Einen nicht meßbaren, aber nicht unwesentlichen Teil von Goebbels Domäne hatte das feindliche und neutrale Ausland sowie der Frontsoldat eingenommen.
Der erste Schock: Totaler Krieg und Vorsehung
Übereinstimmend gebrauchen die Stimmungsberichte die Termini „Bestürzung", „Erschütterung", „tiefe Empörung", „Wut", „Freude", „Erschrecken", „Abscheu", um die Gefühle zu charakterisieren, die die vom Rundfunk am Abend verbreitete Sensation auslöste. „Aus mehreren Städten wird gemeldet, daß die Frauen in Läden und auf offener Straße in Tränen ausbrachen und zum Teil völlig fassungslos waren“ Niemand sei, so heißt es, mit dem Anschlag einverstanden gewesen. Noch unabhängig von der nach dem Attentat einsetzenden Agitation der Medien kristallisierten sich in der öffentlichen Meinung bestimmte Elemente selbständig heraus, die in der Folgezeit auch in der Propaganda Verwendung fanden. So glaubte man das Walten der Vorsehung erkennen zu können, man war „nun erst recht" bereit, alles für den totalen Krieg zu tun, man stellte sich vor, was passiert wäre, wenn das Attentat geglückt wäre.
Die Urheber glaubte man am 2O. /21. Juli in „den Italienern" zu sehen.
Hinter der so bereitwillig und freiwillig geäußerten Entschlossenheit, sich von jetzt ab noch mehr für die Totalisierung des Krieges einzusetzen — den eigenen Lebensstandard zu senken, noch mehr zu arbeiten —, steckte allerdings ein nur mühsam verfehlter Klassenkampf. Jeder war bereit, zu verzichten und mehr zu arbeiten, wenn nur erst „die Bauern", „die Evakuierten", „die Beamten", „das Ersatzheer", „die Angestellten", „die Frauen der höheren Beamten", „die Berliner" genauso herangenommen würden Es gab zu jener Zeit in Deutschland kaum jemanden, der als Individuum, als Mitglied einer Gruppe oder Gemeinschaft eines Berufs-standes nicht dem Verdacht ausgesetzt gewesen war, sich nicht genügend an den allgemeinen Anstrengungen zu beteiligen. Die tief-greifende gegenseitige Verdächtigung ging bis in die Familie; der Verfasser fand Briefe, in denen sich Eheleute gegenseitig denunzierten. Oft hieß es: „Wir wollen jetzt gern arbeiten und auch noch mehr arbeiten, wenn Dr. Goebbels wirklich eine gerechte Verteilung der Kriegslasten vornimmt. Es gibt heute noch genug Menschen und vor allem Frauen, die sich vor allem drücken und das auch noch weiter tun wollen." Daß die Presse in gewissem Sinne tatsächlich „Sprachrohr des deutschen Volkes“ war, wie es die Vertrauliche Information vom 21. Juli gefordert hatte, zeigen die Stimmungsberichte gerade im Falle der „Vorsehung": Das Volk „. . . erkennt..., daß das Lebenswerk Adolf Hitlers ... unter einem höheren Segen steht" Dazu der SD-Bericht vom 21. Juli: „Ein großer Teil des Volkes betrachtet es als sichtbaren Beweis für das Walten der Vorsehung . . . Kennzeichnend die Äußerung einer Frau: , Gott wollte es nicht haben'."
Folgen der verfehlten Nachfichtenpolitik
Daß sich das „Sprachrohr des Volkes" allerdings im wesentlichen auf die mythische Verklärung des Führers und auf politische Forderungen zurückzog, anstatt konkrete Informationen zu bieten — eine gefährliche Reduktion der Funktion der Presse, die sich noch rächen sollte —, davor warnte der Sicherheitsdienst schon am zweiten Tag: „Mit Spannung warte die Bevölkerung auf weitere Nachrichten, aus denen sie Einzelheiten ... ersehen kann." Da aber kaum etwas geschah, setzte sich eine Gerüchtelawine • in Bewegung, die die Glaubwürdigkeit der publizistischen Organe weiter erschütterte. Eine ganze Reihe höchster Offiziere, Parteimitglieder, Regierungsmitglieder, sogar Göring, gerieten in Verdacht. Der SD warnte weiter: „Das Bedürfnis der Volksgenossen nach Nachrichten über Einzelheiten des Anschlags auf den Führer ist sehr groß .. . Man bezweifle vor allem, daß an dem Anschlag nur zwei Generale und wenige Mitarbeiter beteiligt gewesen seien. Gegen diese Darstellungen sprächen die späteren Mitteilungen, und besonders die Meldung, daß Angehörige der . Verräterclique durch Bataillone füsiliert'worden seien. Die Bevölkerung wünscht in erster Linie die Bekanntgabe der Namen der beteiligten Verräter. Dies sei insofern angebracht, als darüber die verschiedensten Gerüchte im Umlauf sind und dabei sicherlich auch unschuldige Offiziere verdächtigt werden." Goebbels versuchte in seiner Rede mit Einzelheiten den Nachrichtenhunger der Bevölkerung zu befriedigen, doch konnte auch er sich nicht entschließen, mehr als den Namen von Stauffenberg preiszugeben. So wurden anderntags die Namen von Beck, Olbricht und Hoeppner nachgeschoben, aber es war zu spät, „das Rätselraten um die beteiligten Offiziere" ging weiter
Der SD forderte weiter „Einzelheiten", denn „man habe aufmerksam verfolgt, daß einige der Verräter an wichtigen Stellen saßen, daß voreilige Auslandsstimmen zu dem Attentat nach dessen Mißlingen schnell abgestoppt wurden . . . und daß nur in Berlin erste Ansätze zur Verwirklichung der Verräterpläne bestanden hätten. . Mit der Bekanntgabe der 23 Namen der aus der Wehrmacht ausgestoßenen Soldaten kam dann das „Rätselraten" vorläufig zum Stillstand.
Stärkung des Regimes und Umschwung
Übereinstimmend berichten die V-Männer des Sicherheitsdienstes und die Kreisleiter, daß dem Regime in den ersten Tagen nach dem Attentat ein starker Zuwachs an Vertrauen zufloß. In zahlenreichen Berichten der ersten Tage heißt es fast identisch: „Fast durchweg ist die Bindung an den Führer vertieft und das Vertrauen zur Führung verstärkt worden, die sich als Herr der Lage gezeigt hat." Eine einzelne Aussage: „Was wir trotz aller Bemühungen und Arbeit mitunter nicht erreichen konnten, hat die feige und unverantwortliche Handlungsweise verbrecherischer Elemente erreicht: In unverbrüchlicher Treue und in selbstloser Einsatzbereitschaft steht das oberschlesische Volk stets zum Führer. Natürlich kristallisierte sich der „Stimmungsumschwung" in der naheliegenden Erwartung „weiter Kreise", daß „.. . nach dem reinigenden Gewitter sich auch im Osten das Blatt bald wieder wenden werde . . . fast allgemein verbindet sich mit der zu erwartenden Säuberungsaktion (Himmlers, d. V.) der Wunsch, daß sich die Maßnahmen auch auf die Stabilisierung der Ostfront auswirkten" Die zusammenbrechende Ostfront, das Grundthema jener Tage vor dem Attentat, tauchte in der Euphorie wieder auf. Jetzt schien doch ein bisher unbestimmter Verdacht durch das Attentat zur Gewißheit geworden zu sein: „Es ist Verrat im Spiele, das Attentat hat ähnliche Ursachen wie der Durchbruch bei Minsk." In dieser Ansicht wurde die Bevölkerung nicht nur durch Offizielle (z. B. Fritzsche in einem Rundfunkkommentar), sondern durch die bereits erwähnten Berichte und Erzählungen der Frontsoldaten bestärkt: dm allgemeinen vollzieht sich die Meinungsbildung über die Lage im Osten weniger auf Grund der Darstellungen der Führungsmittel als vielmehr aus privaten Nachrichtenquellen wie Erzählungen von Soldaten und Feldpostbriefen."
Es paßte alles zusammen: Die Führung behauptete anhaltend, daß Verrat im Spiele gewesen sei — ohne konkret zu werden. Sie brauchte es auch gar nicht zu beweisen, denn die Frontsoldaten schmückten das Gerücht mit Einzelheiten, die Bevölkerung sah nach den Blitzsiegen der ersten Jahre im Zusammenbruch Verrat, wollte ihm glauben, glaubte ihm. Doch die Niederlagen vollzogen sich weiter, Begeisterung und die plötzlich aufgeflammte Hoffnung, daß der Krieg doch noch einen positiven Ausgang finden werde, brach bald wieder zusammen, das Vertrauen in die Führung schwand dahin — die Realitäten waren stärker: „Unsicherheit, Zweifel und Angst" stellt der Tätigkeitsbericht wieder nach noch nicht einmal drei Wochen, am 7. August, fest. Und der Sicherheitsdienst pflichtet bei: „Ungünstige Nachrichten drükken weiterhin auf die Stimmung, Wille zum Widerstand noch vorhanden, doch Zweifel, ob das nützt, Kriegsmüdigkeit, aber Bereitschaft, alles dranzusetzen, um zu siegen; aber werden die Maßnahmen sich noch entscheidend auswirken? Nur ein kleiner Teil der Volksgenossen ist von der rechtzeitigen Auswirkung überzeugt. Allgemeine Stimmung weiter abgesunken . . . Nervosität, Stimmung gedrückt . . . wer weiß, was uns allen noch bevorsteht?" Trotz aller Maßnahmen zum totalen Krieg, dem „Eingreifen der Vorsehung", der „Beseitigung der Eiterbeule" des Verrats glaubte man nicht mehr an eine Stabilisierung der Ostfront, „weil man schon zu oft getäuscht worden sei"
Das Gerücht kriecht weiter
Nach dem Prozeß vor dem Volksgerichtshof sollte der „ 20. Juli" wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwinden. Aber mit die-ser Zäsur begann nur der nächste Abschnitt in der Entwicklung öffentlicher Meinungen. Die „umfangreiche Veröffentlichung um die Vorgänge am 20. Juli" sei „mit Befriedigung aufgenommen" worden, heißt es übereinstimmend, ebenso wie die Verhandlungsführung durch Freisler, die besonders in „Arbeiterkreisen" wegen ihrer „scharfen, ironischen“ und „schlagfertigen Art Freude und Genugtuung" hervorgerufen habe Jedoch tauchen jetzt, vorsichtig formuliert, aber verstärkt Berichte über eine distanzierte, wenn nicht positive Haltung zu den Attentätern auf. Der SD sieht sich gezwungen, von „gewissen Kreisen" zu reden, die vor allem mit der Prozeßführung unzufrieden gewesen seien Ähnliches hatte sich schon in den ersten Tagen angedeutet: Es gebe „.. . nur ganz kleine Kreise .... die sich völlig zurückhalten und sich ausschweigen" Am 22. Juli hatte der SD feststellen müssen, daß sich ein geringer Teil von Volksgenossen, der dem Zeitgeschehen auch sonst abwartend gegenübersteht ..., klarer Äußerungen enthält“ Weitere „ausgesprochene Einzelfälle" konkretisierte der SD am 24. Juli: „So sei z. B. in Halle eine Frau festgenommen worden, die ihr Bedauern über das mißlungene Attentat ausgesprochen hat." In Wien habe sich eine Frau geäußert: „Der Krieg dauert halt schon zu lange, darum mußte so etwas kommen" Trotzdem oder möglicherweise deswegen, betont der Berichterstatter, daß gerade auch die politisch indifferenten Kreise das Attentat abgelehnt hätten und daß sich die Ablehnung auch auf die ehemals „gegnerischen" Kreise erstreckt habe.
Einzeldarstellungen über abweichende Meinungen gaben auch die Kreisleiter. So hieß es in einem Bericht des Uberlinger Kreisleiters: „Lediglich die intellektuellen Kreise, die ja schon immer unangenehm aufgefallen sind, hätten es offensichtlich mit Befriedigung aufgenommen, wenn ein Umsturz gelungen wäre. Diese Menschen können ja nicht genau genug im Auge behalten werden und muß ihnen ihr Einfluß und Machtpositionen beschnitten werden. Es ist m. E. sogar notwendig, diese intellektuellen Vertreter zu einem großen Teil auszumerzen." Der Kreisleiter von Büdingen stellte ebenfalls fest, daß nicht alle Volksgenossen einheitlich über das Attentat dachten, „... wie ein scharfer Beobachter leicht feststellen konnte"
Jetzt also, nach dem Schauprozeß, werden die kritischen Anmerkungen in der Bevölkerung deutlicher und zahlreicher: In „Kreisen der Intelligenz und Rechtswahrer" werde darauf hingewiesen, daß der Prozeß in seiner „äußeren Aufmachung“ und in der „billigen Art" des Vorsitzenden Freisler an „Moskauer Schau-Prozesse erinnert" habe und „nicht ganz der Würde des höchsten deutschen Gerichtshofes“ entspreche Zwar qualifiziert der Berichterstatter die kritischen Äußerungen eingangs als einzelne Bedenken ab — aber diese einzelnen Stimmen nehmen ein Drittel des achtseitigen Gesamtberichtes ein. Andere „Volksgenossen" fanden es „seltsam, daß diese Männer, die noch vor nicht allzu langer Zeit vom Führer selber befördert worden seien, nun als töricht, vertrottelt und unentschlossen“ dargestellt wurden. Das „Vertrauen in die Wehrmacht und in die Personalpolitik in den höchsten Führungsstellen erhalte dadurch einen schweren Stoß". „Gewisse Bedenken" bestünden auch, weil die Prozeßführung eine freie Entfaltung der Geständnisse der Angeklagten über ihre „wahren Motive nicht zugelassen“ habe. „Es handele sich doch zweifellos um eine Reihe von Männern, die in der Lage gewesen wären, Deutschlands militärische und politische Möglichkeiten zu überblicken, und von denen man kaum annehmen könne, daß sie grundlos und ohne jede Überlegung ein solch verabscheuenswürdiges Verbrechen vorbereitet und durchgeführt hätten.“
Auch der weitere Versuch, den Diskussionen um den 20. Juli durch Totschweigen die Nahrung zu entziehen, mißlang gründlich. Den Boden für eine umfangreiche Gerüchtebildung der sich dann zu ihrem Nachteil auswirkte, hatte die Nachrichtenpolitik der nationalsozialistischen Führung zum großen Teil selber vorbereitet. Der 20. Juli beherrsche noch immer die politischen Gespräche so hieß es, und unter dem Eindruck der militärischen und außenpolitischen Entwicklung sank die Stimmung immer tiefer. In die allgemeine Kriegs-müdigkeit, die sich in zahlreichen Gerüchten niederschlug, wurde auch der 20. Juli, jetzt durchaus nicht mehr negativ, miteinbezogen Stalin habe dem Führer einen günstigen Waffenstillstand angeboten, den Hitler abgelehnt habe, während die Leute vom 20. Juli ihn annehmen wollten“ Mitte September 1944 gar, als der Krieg schon auf deutschem Boden stattfand, machte die „gehässige Kritik nicht einmal vor dem Führer halt": „Es werde z. B. das Feldherrngenie des Führers des öfteren erheblich angezweifelt" Am 17. Oktober stellt der Tätigkeitsbericht generalisierend fest: „Es werde in letzter Zeit immer noch versucht, als Ursache unserer militärischen und politischen Mißerfolge den Verrat vom 20. Juli ins Feld zu führen. Es sei notwendig, diese Propaganda sofort zu unterbinden, da hieraus der Staats-und Parteiführung die größten Vorwürfe gemacht würden." Schließlich stellte der Sicherheitsdienst am 12. Oktober einen ganzen Katalog von Gerüchten zusammen, aus dem vor allem auch das Mißtrauen gegenüber der Berichterstattung über den 20. Juli sprach und die Vermutung, daß der Kreis „wesentlich größer" gewesen sei. Der „wahre Anlaß sei gewesen, daß die Männer den Krieg beenden wollten“, der „Führer sei überhaupt nicht im Raum gewesen, als die Bombe explodierte", man habe den Vorgang nur inszeniert, „.. . um Kapital aus der Unantastbarkeit des Führers zu schlagen". Es werde ..... davon gesprochen, daß die Sippen der Verräter restlos ausgerottet würden. Selbst vor kleinen Kindern werde nicht haltgemacht”. „Im Reich bestünden zwei Parteien, eine Friedenspartei unter Führung des Reichs-marschalls und eine Vernichtungspartei, an deren Spitze der Führer selber stehe" *
Göring wird, obwohl er in der Nacht zum 21. Juli über den Rundfunk eindeutig Stellung genommen hatte, in den Verschwörerkreis mit einbezogen, und auch Keitel, von Rundstedt, von Manstein, von Brauchitsch, Halder, Fromm, von Stülpnagel, die SS-Obergruppenführer Daluege, Kaltenbrunner und (zu Recht) Nebe, der Chef der deutschen Kriminalpolizei. Minister Speer gerät in Verdacht wie der frühere Außenminister von Neurath, Hugenberg, Meissner, der Kronprinz, Noske, Direktor Löser von den Kruppwerken, Hjalmar Schacht, der Direktor der Deutschen Bank, von Falkenhausen, Sauerbruch und Furtwängler. Dazu kommen zahlreiche örtliche Gerüchte; sie machen sich selbständig und entwickeln eine Eigendynamik. Kaum eine führende Persönlichkeit ist vor dem Verdacht sicher. Zum letzten Mal geht der Tätigkeitsbericht — routiniert-selbstberuhigend — nach der Proklamation Hitlers anläßlich des Jahrestages des Marsches auf die Feldherrnhalle wie eine Gebetsmühle leiernd auf die Gerüchte und die Stimmung ein: „Die Feststellung, daß mit allen Saboteuren gründlich aufgeräumt werde, habe eine große Beruhigung ausgelöst." Obwohl laut Goebbels nach einer Stunde alles vorbei gewesen war, obwohl die „Eiterbeule" nach dem ersten Prozeß „ausgebrannt“ war, der Sand schon „nach dem zweiten Prozeß ausgespült", muß im November weiter beruhigt werden. In der Kakophonie des Untergangs mag es den „Volksgenossen“ immer klarer geworden sein, daß für den Zusammenbruch andere Faktoren maßgeblicher waren als der sogenannte Verrat, den es zwar erst geben durfte, dann aber doch nicht geben sollte. In den vorhandenen Berichten über die Stimmung in der Bevölkerung spielt der 20. Juli keine Rolle mehr.
Kundgebungen
Auf einzelne Briefe aus der Bevölkerung ist im Rahmen kritischer Anmerkungen bereits hingewiesen worden. Mit sehr kräftigen Strichen bestätigen die Berichte der Gauleiter und ihrer untergeordneten Organe über die Treuekundgebungen die Feststellungen der Stimmungsberichte über die Euphorie nach dem Attentat. Auf die schwerfällige Reaktion des Propagandaministeriums bezüglich der Organisation dieser „spontanen Treuekundgebungen" ist ebenfalls bereits hingewiesen worden.
In diesen allerersten Berichten der Gauleiter, die von fast allen (37 von 42) Gauen erhalten geblieben sind, wird berichtet, daß die Versammlungen zum Teil auf Wunsch der Bevölkerung zustande kamen und daß keinerlei Zwang angewendet worden sei. Die Kundgebungen wurden offensichtlich nach folgendem Schema durchgeführt: Bekanntgabe durch Lautsprecher, Aufrufe in Zeitungen und durch Flugblätter, Aufmarsch der Gliederungen der Partei, gemeinsames Sprechen des „Niederländischen Dankgebets", Ansprachen der Hoheitsträger der Partei und eines Wehrmachtsangehörigen, Absingen der „Lieder der Nation", Abmarsch. Der erste Bericht aus Weimar vom 21. Juni spricht von einem „großen Erfolg". Emphatischer schon die Gauleitung Steiermark (Graz), die sich in einer für sie schwierigen Lage befand, da sich ihr Territorium auf heute jugoslawisches Gebiet erstreckte und die Bevölkerung im Süden durch, wie es hieß, „Bandentätigkeit" (Partisanen) beunruhigt wurde. Trotzdem, und obwohl es in Strömen geregnet habe, seien Kundgebungen meist unter freiem Himmel durchgeführt worden, .. die eine kaum jemals dagewesene Massenbeteiligung aufwiesen"
Obwohl nur wenige Stunden für die Organisation zur Verfügung gestanden hätten und obwohl die Bevölkerung durch Landarbeit in Anspruch genommen gewesen sei, „... war die Teilnahme an den Kundgebungen geradezu überwältigend. Einige Kreisleiter glauben, die Veranstaltung des gestrigen Abends nur mit jenen in Vergleich setzen zu können, die im Jahre 1938 aus Anlaß der Wiedervereini-gung der Ostmark mit dem Reich stattfanden" Begeisterte Berichte auch vom Reichspropagandaamt Breslau (Niederschlesien), wo der Schloßplatz „seit dem Sänger-und Turnfest keine derartig großartige Kundgebung mehr erlebt hatte" sowie aus Oberschlesien (Kattowitz), wo weit über eine Million Menschen „erfaßt" worden seien. Die Fenster seien am Morgen des 21. Juli mit Führerbildern geschmückt worden, die „große Liebe" der oberschlesischen Bevölkerung sei in „stürmischer Begeisterung" zum Ausdruck gekommen.
Den weitaus größten Erfolg indes scheint die Treuekundgebung in Wien gehabt zu haben. Nach einem Bericht des damaligen Gaupropagandaleiters Frauenfeld sind 350 000 Menschen am Abend des 21. Juli in Wien auf dem Schwarzenbergplatz zusammengeströmt. Nach seiner „Entlassung" (Frauenfeld war von den Verschwörern mit anderen NS-Führern festgesetzt worden) habe er am Morgen um 5 Uhr die Kreisobmänner der DAF gebeten, die Betriebsobmänner zur Mitarbeit heranzuziehen, „. . . wobei ausdrücklich betont wurde, daß keinerlei Zwang ausgeübt werden dürfe. Tatsächlich erfolgten keine geschlossenen Aufmärsche. Die Menschen erschienen durchaus freiwillig."
Mit Hilfe seiner Mitarbeiter habe er übereinstimmend eine Teilnehmerzahl von 350 000 festgestellt. „Die Kundgebung ist somit die größte gewesen, die in den letzten 20 Jahren in Wien stattgefunden hat. Es herrschte eine außerordentliche Begeisterung, die sich in spontanen Sprechchören und Rufen äußerte. . Die Begeisterung der Menschen war ungeheuer."
Der enthusiastische Bericht Frauenfelds entspricht zwar durchaus anderen Berichten, doch müssen „die Wiener" offensichtlich über ein recht ambivalentes Verhältnis zur Führung verfügt haben, denn die SD-Leitstelle Linz notierte noch im Juli 1943, daß die Stimmung in Wien und München ungewöhnlich schlecht sei. Ein Angestellter habe erklärt: „Die Stimmung in Wien ist verheerend. Ich hatte dort den Eindruck, daß, wenn heute Otto von Habsburg mit einer Schiffsladung Kaffee nach Wien kommt, ihm der Großteil der Wiener zujubeln würde.“
Immerhin, auch in Sachsen schmückten laut Bericht ihrer Gaupropagandaleitung in Dresden die Schaufenster „zum Teil freiwillig" mit Führerbildern. So ist auch in Bozen eine Beteiligung „in einem noch niemals dagewesenen Ausmaß" festgestellt worden, wie auch die Badener Parteiführer mit ihrem „großen propagandistischen Erfolg" zufrieden waren. Dr. Meyer-Hertmann in Münster, der Berichterstatter des Gaues Westfalen-Nord, notierte 20 ®/o der katholischen Bevölkerung Paderborns, eine Zahl, „... wie sie in Paderborn nach Aussage des Kreisleiters bis jetzt noch in keiner Kundgebung erreicht wurde". Allerdings sei es „. . . für die Haltung des Klerus ... wieder bezeichnend .. ., (daß) nirgendwo ein Geistlicher, einschließlich der Bischöfe, ein Wort der Entrüstung über den verräterischen Anschlag gefunden hat und mit keiner Wendung der Dank für die Erhaltung des Führers gestreift wurde“ Ansonsten klang die Münsteraner Berichterstattung allerdings eher zurückhaltend, was übrigens auch für Stuttgart, Düsseldorf, Oldenburg und Innsbruck („etwas schwer bewegliche Bevölkerung") gilt. Einen heftigen Tadel der Partei mußten vor allem die Berliner einstecken, weil ihre , Erfolgsmeldung'„. . . in keiner Weise dem entspricht, was man sich von Treue-kundgebungen der Reichshauptstadt erwarten dürfte und daß es beispielsweise gegen das Wiener Material in einer nicht vertretbaren Weise abfällt"
Die Gründe, die zu der teilweise zahlreichen und begeisterten Teilnahme der „Volksgenossen" an den Treuekundgebungen der ersten Tage führten, wurden von zwei Organisatoren analysiert. Gaupropagandaleiter Höller aus dem Sudetengau (Gauhauptstadt Reichenberg) meinte, daß „. . . es sich außerordentlich gut ausgewirkt habe, daß mit der Durchführung nicht einige Tage gewartet wurde, sondern daß die Volksgenossen ihrem heißen Dankgefühl sofort der Vorsehung gegenüber Ausdruck verleihen konnten" Nicht nachprüfbar ist, für welchen Anteil seiner Kundgebungsteilnehmer Höller sprechen konnte, ebensowenig wie der Kreisleiter von Eschersheim, dem klar wurde.......... daß die propagandistische Wirkung, die darin besteht, daß ein Vertreter der Partei unbekannte Einzelheiten zu einem besonderen Ereignis der Bevölkerung bekanntgibt, außerordentlich stark ist" Die Frage nach den Gründen für die teilweise sehr hohe Beteiligung an den ausdrücklich als Treuekundgebungen angekündigten Versammlungen finden in den beiden Zitaten sicher teilweise Beantwortung.
Zusammenfassend läßt sich sagen: Von tiefer Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und fatalistischer Ergebenheit in das Schicksal einer Niederlage schlug die Stimmung nach dem Attentat plötzlich um. Das Vertrauen in den Führer, seine „Sendung“ und auf den „Endsieg" war — nach den vorliegenden Berichten — allgemein. Noch unabhängig von der offiziellen Meinungsbildung — aber parallel zu deren Argumentation — bildeten sich in den ersten Stunden folgende Schwerpunkte in den Meinungen: Der Führer war durch ein „Wunder“ errettet worden, allgemein war die Bereitschaft, alles für den „totalen Krieg" zu tun, die Attentäter wurden für die vorhergehenden Niederlagen verantwortlich gemacht. Dieser „Verrat", der Zeitpunkt des Attentats (, gerade jetzt, wo wir überall in der Abwehr stehen') und die Form des Attentats (, der Attentäter rettete sich, alle anderen sollten sterben') bewirkten zunächst die — nach den Berichten — allgemeine Ablehnung der Attentäter. Die tatsächlichen Motive waren den wenigsten bekannt und konnten ja auf Grund der Berichterstattung auch nur vermutet werden.
Nach wenigen Wochen erodierte das Hochgefühl durch die Realität der militärischen und außenpolitischen Entwicklung. Bis zur Ardennenoffensive konnte nichts mehr den Prozeß der wachsenden Hoffnungslosigkeit, des Verzweifelns, ja des wachsenden Mißtrauens in die Führung und den Führer selbst aufhalten. Was von dem Hochgefühl blieb, war der verschiedentlich geäußerte Verdacht, daß weiter „Verrat geübt" wurde. In bezug auf das „Wirken der Vorsehung" und den „Verrat" befand sich — wie die amtlichen Berichte glaubten feststellen zu können — der größte Teil der Bevölkerung im Einklang mit den „Meinungsmachern". Folgerichtig wurde auch das Prozeßurteil begrüßt, trotz differierender Meinungen, die der Sicherheitsdienst festhielt.
Der „ 20. Juli" entglitt dann der Hand der Führung. Sie hatte zu viele Fragen nicht beantwortet. Die Diskussion machte sich wegen der mangelnden Information allmählich, aber unaufhaltsam in den unsinnigsten, aus verschiedenen Quellen gespeisten Gerüchten selbständig. Die Meinungsbildung war zu diesem Zeitpunkt kein Monopol der NSDAP mehr.
Eine gewisse Wandlung in der Beurteilung des 20. Juli in der Bevölkerung wurde jedoch in den folgenden Monaten durchaus deutlich: Mitleid mit den in „Sippenhaft“ genommenen Kindern der Verschwörer, zum andern glaubte man die Motive nicht mehr nur in ihrem „Ehrgeiz" zu erkennen, sondern auch darin, daß sie den Krieg beenden wollten. Diese „negativen Tendenzen", so betont der Sicherheitsdienst, seien aber „außerordentlich selten" aufgetreten. Quantitative Feststellungen sind nicht möglich. Es muß davon ausgegangen werden, daß sie auch deswegen so „außerordentlich selten" auftraten, weil die Betreffenden sich auf Grund des noch verstärkten Terrors wohl hüteten, ihre oppositionelle Meinung zu vertreten.
Die Stimmungsberichte geben Anlaß zu der Vermutung, daß die Attentäter, auch wenn sie sich hätten durchsetzen können, im Sommer 1944 bei einem großen, aber nicht meßbaren Teil der Bevölkerung auf Unverständnis gestoßen wären. Um einen Neubeginn möglich zu machen, der frei war von der Dolchstoß-Legende des Ersten Weltkrieges — nämlich, daß er doch noch hätte gewonnen werden können —, mußte sich das nazistische System erst durch den totalen Zusammenbruch selber ad absurdum führen. Quellenangaben Als wichtigste Quellen neben den Aktenbeständen des Berliner Document Centers (DCB), des Bundesarchivs Koblenz (BAK) und des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZG) seien genannt: a) Briefliche und fernschriftliche Schriftwechsel zwischen dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), der Reichspropagandaleitung (RPL) und den nachgeordneten Reichspropagandaämtern (RPA) bzw.den Gaupropagandaleitungen; DCB).
b) Sehr wichtig für die Einordnung und Beurteilung der SD-Berichte: Die Aufzeichnungen des ehemaligen Adjutanten Kaltenbrunners, Dr. Malz, über die Arbeit des SD-Inland; (IfZG).
c) Die Sammlung Schumann, eine Reihe von Fernschreiben aus dem Führerhauptquartier von der Nacht zum 21. Juli, sowie Anweisungen Bormanns, Goebbels und Staatssekretär Naumanns zum Thema 20. Juli; (DCB).
d) Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und Hitler über die Ergebnisse der Untersuchung des RSHA zum 20. Juli (Spiegelbild einer Verschwörung, Stuttgart 1961).
e) Sammlung Oberheitmann — die Vertraulichen Informationen des Propagandaministeriums — zu deutsch: Die Anweisungen an die deutsche Tagespresse (BAK).
f) Eine Reihe einzelner Dokumente wie Reichsverfügungen der Parteikanzlei, Rüstzeug für die Propaganda der Ortsgruppen, Rundschreiben des Gaustabsamtes Münster an die Kreisleiter etc., vertrauliche Bekanntmachung des Chefs der Ordnungspolizei an die höheren Polizeioffiziere (BAK, DCB).
g) Die Berichte der Parteiorganisationen über die Stimmung im Reich. Erhalten aus dem Gau Baden und Gau Hessen-Nassau; (BAK)
h) Die Berichte des Sicherheitsdienstes (Amt VI: SD-Inland des Reichssicherheitshauptamtes der SS) ebenfalls über die Stimmung im Reich. Die Berichte sind für den in Frage kommenden Zeitraum nahezu vollständig erhalten (BAK). i) Tätigkeitsbericht des Propagandaministeriums. Dies war ein Bericht, ebenfalls über die Stimmung im Reich, für den „Herrn Minister" aus den Stimmungsberichten des Sicherheitsdienstes und der Parteiorganisation zusammengestellt (DCB). j) Rund tausend Briefe an Persönlichkeiten und Dienststellen des Dritten Reiches (DCB).
k) Unterlagen über Geldspenden anläßlich des Attentates, die leider nur noch teilweise erhalten sind (DCB).
Thomas Travaglini, Dr. phil., geb. 1936 in Berlin; Studium der Zeitungswissenschaft, der Mittelalterlichen, Neueren und der Zeitgeschichte sowie der Politologie in München und an der Freien Universität Berlin. Seit 1964 politischer Redakteur und Reporter beim Südwestfunk Baden-Baden. Im Rahmen des Magazins REPORT vor allem mit innen-und militärpolitischen Fragen beschäftigt. Veröffentlichungen: Der 20. Juli 1944. Technik und Wirkung seiner propagandistischen Behandlung nach den amtlichen SD-Berichten, Diss. Berlin 1963; Autor zahlreicher Fernsehdokumentationen.