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Konjunkturpolitik im Zeichen der EnergieVerteuerung | APuZ 21/1974 | bpb.de

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APuZ 21/1974 Gedanken zur sowjetischen Entspannungspolitik Konjunkturpolitik im Zeichen der EnergieVerteuerung

Konjunkturpolitik im Zeichen der EnergieVerteuerung

Klaus Hofmeier

/ 53 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Energiekrise im Winter 1973/74 gilt zwar als überwunden, hat aber die wirtschaftspolitische Landschaft entscheidend verändert. Zunächst ist davon auszugehen, daß Rohöl auch in Zukunft knapp und teuer bleiben wird. Die Folgen der Energieverknappung konnte man in den Monaten des Olembargos bereits deutlich registrieren. Die Strukturkrisen, die damals sichtbar wurden, besonders im Bereich der Bauwirtschaft und der Automobilindustrie, sind durch die jüngste Entwicklung zwar gemildert, aber nicht beseitigt worden. Das betrifft auch die Gefahr, daß sich strukturelle und konjunkturelle Probleme kumulieren. Währungs-und handelspolitische Probleme sind noch ungelöst. Niemand weiß genau, wo und wie die erdölproduzierenden Länder ihre Einnahmen aus dem Olgeschäft anlegen; der Hang zu dirigistischen Eingriffen in den internationalen Handel wächst. Darüber hinaus sind die Entwicklungsländer in einer schlechteren Position denn je. Es gab eine Reihe von Initiativen zur Überwindung der Energieprobleme, sowohl im Bereich der Diplomatie als auch im Bereich der Technologie, ohne daß man jetzt schon sagen könnte, daß diese Intiativen in absehbarer Zeit zu bemerkenswerten Erfolgen führen. Die Bundesregierung hat sich für den marktwirtschaftlichen Weg entschieden. Ergebnis: Die mengenmäßige Versorgung mit Rohöl und Rohölprodukten konnte gesichert werden, ungelöst blieb das Preisproblem, hinzu kommt, daß der bisher beschrittene marktwirtschaftliche Weg unvermeidliche Strukturveränderungen in die Zukunft verlagert und die Nachfrage nach Rohöl nicht entscheidend senkt. Da diese Politik im Prinzip von allen westlichen Industrieländern betrieben wird, gibt es keine Sicherheit für stabile Rohöl-preise und keine Sicherheit für eine reibungslose Versorgung. Weitere Energiekrisen mit sich verschärfenden Auswirkungen sind also nicht auszuschließen. Man sollte sich deshalb jetzt schon darauf einstellen, daß die Rohölversorgung, wie überhaupt die Rohstoffversorgung, immer schwieriger wird. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, die Olimporte zu begrenzen. In letzter Konsequenz würde dies Verzicht auf Wirtschaftswachstum bedeuten und Verzicht insbesondere auf eine Wirtschaftspolitik, die jene Wirtschaftsbereiche unterstützt, die sich auf die neue Energiesituation noch nicht eingestellt haben. Durch gezielte Maßnahmen in der Steuer-und Preispolitik wäre es darüber hinaus möglich, energiesparende Produktions-und Verbrauchsgewohnheiten herbeizuführen. Dies geht jedoch nicht ohne Dirigismus, z. B. in der Preisgestaltung im Energiebereich. Es können damit aber ökonomische Prozesse ausgelöst werden, die Meeignet sind, schneller als mit konventionellen marktwirtschaftlichen Methoden unverleidliche Strukturveränderungen auf der Grundlage des ökonomischen Prinzips einzu-

I. Ausgangsposition:

Inhalt

Rohöl ist knapp und teuer Bis zum 16. Oktober 1973 schien die wirtschaftliche Welt noch in Ordnung. Man hatte zwar gewisse Probleme mit den Preisen, es gab von Zeit zu Zeit einige Währungskrisen, aber der Glaube an die Formel, daß mehr Fortschritt gleich mehr Lebensstandard und mehr Wachstum bedeute, war ungebrochen. Man vertraute darauf, daß eine jährliche Steigerung des Sozialproduktes automatisch mehr und bessere soziale Sicherheit bedeute, daß mehr Produktionsquantitäten mehr Lebensqualität bringen. Einen Tag später, am 17. Oktober, als arabische erdölproduzierende Länder ihr Erdölembargo verhängten, erkannte mm, daß diese naive Fortschrittsgläubigkeit im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut war — auf den Sand der arabischen Wüsten, unter denen das für die Industriestaaten lebenswichtige Erdöl lagert: 42 Prozent der Rohöleinfuhren der Bundesrepublik Deutschland kommen aus arabischen Ländern

Die Energiekrise kam dennoch nicht unerwartet, sie war für jedermann voraussehbar, zumindest in Form von Versorgungsstörungen. So konnte man z. B. in den „Grundzügen einer Energiepolitik in der Europäischen Gemeinschaft“ aus dem Jahre 1969 die folgende besorgte Stellungnahme lesen „Die bedeutsame Funktion der Energie wäre für sich ge-nommen weder auffallend noch beunruhigend, wenn nicht besondere Umstände hinzuträten: Zunächst die hochgradige und noch steigende Abhängigkeit der Gemeinschaft von Energieeinfuhren. ... Erdöl wurde 1967 zu etwa 92 v. H. aus den politisch nicht immer stabilen Gebieten des Nahen Ostens und Afrikas eingeführt. Hier bestehen für die Mitgliedstaaten Risiken von Versorgungsunterbrechungen und der ungünstigen Entwicklung von Versorgungsbedingungen."

Auch in der Bundesrepublik selbst war man sich, zumindest unter Energiefachleuten, über die Gefährdung der Energieversorgung im klaren. So sagte zum Beispiel Dr. Heinz Reintges vom Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbaus auf dem 40. Baden-Badener Unternehmergespräch im März 1970 „Die Kosten und infolgedessen auch die Preise aller Energieträger steigen stark an. Energie wird also teurer. Die Zeit des Überangebots billiger Energie ist vorbei. Statt der Probleme des Überangebots tritt die Frage in den Vordergrund, ob die benötigten Energien auf längere Sicht ausreichend und verläßlich zur Verfügung stehen.“

Die Wirtschaftsvereinigung Bergbau hat die Öffentlichkeit ebenfalls auf drohende Energieverknappung aufmerksam gemacht. Ihr Präsident, Dr. Helmuth Burckhardt, schrieb 1972 „Nach den jüngsten vorliegenden Berechnungen betragen die nachgewiesenen. Welterdölvorräte rund 85 Milliarden Tonnen. Wird dieser Reserve der für das Jahr 2000 geschätzte Anteil des Mineralöls am Weltenergiebedarf in Höhe von 35 °/o zugrunde gelegt, könnte der Rohölbedarf der nächsten dreißig Jahre in Höhe von rund 130 Milliarden Tonnen nur zu etwas mehr als der Hälfte gedeckt werden. Diese Aussichten verdeutlichen die gewaltigen Anstrengungen, die die Erdölindustrie zur Deckung des Bedarfs auf sich nehmen muß.“

Und weiter heißt es: „Eine Energielücke hätte für die moderne Wirtschaft, für die in ihr Beschäftigten und nicht zuletzt für die betroffenen Staaten selbst unübersehbare Folgen. Daß vornehmlich Westeuropa auf Grund seiner großen Energieimportabhängigkeit in besonderer Gefahr ist und die Folgen einer weltweiten Energielücke am ehesten und härtesten spüren würde, liegt auf der Hand."

Wer dies nicht ernst nahm, hätte sich vielleicht die Mühe machen sollen, die Untersuchungen des „Club of Rome" und ihres inzwischen weltbekannten Interpreten, Dennis L. Meadows, zu studieren, der in dem Buch „Die Grenzen des Wachstums" die drohende E Schöpfung der Rohstoffvorräte mit mathematischer Präzision aufzeichnete.

Die Reaktionen auf diese Analyse waren heftig, zielten aber in erheblichem Umfange darauf ab, dem Club of Rome Fehler nachzuweisen. Die Diskussion geriet damit sogleich ins ideologische Fahrwasser; die Warnungen wurden in der Öffentlichkeit nicht mehr ernst genommen — um so tiefer war der Schock, als die Energiekrise aurbrach, die ja nichts anderes ist als eine partielle Rohstoffkrise. Auch die Bundesregierung wurde von der Entwicklung überrascht. In dem im September veröffentlichten Energiebericht hieß es noch „Die deutsche Energieversorgung ist insgesamt gut strukturiert. Der Verbraucher kann auf eine Vielzahl bedarfsgerechter Energiearten zurückgreifen, die bisher zu verläßlichen Bedingungen und zu einem insgesamt befriedigendem Preisniveau zur Verfügung stehen."

Dieser Energiebericht verweist zwar auf Unsicherheiten und Risiken, ging aber ungeachtet dessen davon aus, daß — der Verbrauch von Mineralöl von 196 Millionen Tonnen SKE (Steinkoh’eeinheiten im Jahre 1972 auf 330 Millionen Tonnet SKE gesteigert werden kann, — der Verbrauch von Steinkohle im gleichen Zeitraum von 84 auf 50 Millionen Tonnen SKE zurückgehen wird

Es wäre kein Wunder, wenn dieser Energie-bericht einmal als Dokument wirtschaftspolitischer Kurzlebigkeit zitiert wird, denn wenn die Bundesregierung schon glaubte, aus den Warnungen heimischer Energiefachleute nicht die notwendigen Rückschlüsse ziehen zu müssen, so hätte sie doch den Stimmen aus arabischen Ländern Gehör schenken sollen. Schon seit Jahren gibt es Stellungnahmen aus dem arabischen Lager, die zur Vorsict hätten mahnen sollen. So hieß es auf der are bischen Gipfelkonferenz in Khartoum im Jahre 1967: „Die arabischen Länder müssen und werden alle vorhandenen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Artikel, insbesondere das öl, einsetzen, um die besetzten Gebiete zu befreien." Stellungnahmen mit ähnlichem Inhalt wiederholten sich in den darauf folgenden Jahren.

Nun könnte man einwenden, ohne den Jom-Kippur-Krieg hätte es keine Energiekrise gegeben; der Olboykott und damit die Energiekrise wären also mit der Beilegung des Nah-Ost-Konflikts beendet — so wie sich die Ölversorgung kurze Zeit nach Ausbruch des 7-Tage-Krieges im Jahre 1967 auch wieder stabilisiert hat.

Wer so argumentiert, übersieht zunächst, daß sich der Preis für das Erdöl innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht hat. Ferner gibt es keinen Zweifel daran: Auch ohne Nah-Ost-Konflikt hätten die erdölproduzierenden Staaten eine Politik der Ölverknappung und -Verteuerung eingeleitet. So wies der Generalsekretär der OPEC (der Organisation erdölproduzierender Länder), Dr. Abderrahman Khene, in einem Vortrag in Wien, gehalten Ende September 1973 (also vor Ausbruch des Nah-Ost-Krieges), darauf hin, daß bei Fortschreibung des gegenwärtigen Verbraucher-trends die derzeit bekannten Erdölvorräte in dreißig Jahren verbraucht wären, um daran die Forderung zu knüpfen, „schon jetzt die erforderlichen und vielleicht entscheidenden Einsparungen an Erdöl vorzunehmen und die heute weitgehend erkannte Vergeudung einzudämmen. Tatsächlich wäre jede Erhöhung des Pro-Kopf-Verbrauchs zu unterbinden oder dieser sogar zu senken, um auf diese Weise eine Verringerung der Verbraucherzuwachsrate herbeizuführen . . . Die Verbraucherländer dürfen nicht mehr das Recht haben, so viel Brennstoff zu vergeuden, wenn alle im gleichen Boot sitzen. Außerdem müssen die Staaten, die dieses Erdöl liefern, ganz gleich °b es sich um Erdöl aus eigenem Aufkommen oder um fremdes O 1 handelt, es unterlassen, diesen Energieträger in so großen Mengen für nicht wesentliche Zwecke, die einem Vergeuden gleichkommen, bereitzustellen"

Diese Äußerung läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Inzwischen gibt es eine Reihe weiterer Stellungnahmen führender Repräsentanten aus erdölproduzierenden Ländern, angefangen vom Schah von Persien bis hin zum Erdölminister von Saudi-Arabien mit dem gleichen Tenor.

Hoffnungen darauf, daß die ölpreise wieder in nennenswertem Umfange sinken, sind seit Ausbruch der Ölkrise immer wieder geäußert worden. Aber man sollte sich nicht täuschen. Die alten ölpreise vor Ausbruch des Nahostkrieges wird es nie wieder geben, die Neigung der erdölproduzierenden Länder, die Preise auch nur etwas zu senken oder wenigstens für eine Zeitlang einzufrieren, scheint nicht sehr groß. Im Gegenteil: Wie die Süddeutsche Zeitung am 13. 2. 1974 meldete, erklärte der Generalsekretär der OPEC, Dr. Khene, in Wien, der bisher (seit Ende Dezember) gültige Listenpreis von 11, 65 Dollar je Barrel (von dem die Erzeugerländer 7 Dollar bekommen) sei kein marktgerechter Preis mehr, und es sei daher die Meinung der Mehrheit der OPEC-Mitglieder, daß dieser Preis erhöht werden müsse. Die Ölkrise ist also noch lange nicht beendet oder gar überwunden. Um Carroll L. Wilson, Professor am Massachussets Institute of Technology (MIT), Leiter des OECD-Ausschusses für Wissenschaft und Forschung und Vorstandsmitglied des Club of Rome, in einem Forum der Wochenzeitschrift Die Zeit zu zitieren: „Die erste Frage ist: Handelt es sich bei der Ölkrise nur um eine Episode oder erleben wir das Ende eines Zeitalters? Mir scheint, das letzte ist der Fall. Die Ölknappheit ist der erste Mangel, den wir spüren, und es wird wohl nicht der letzte sein."

II. Folgen der Energieverknappung

1. Strukturkrisen Erdöl wird also knapp bleiben und kaum billiger, sondern vielleicht sogar noch teurer werden als bisher.

Immerhin gab es nach Verkündung der Verdoppelung des Rohölpreises einen Tag vor Weihnachten 1973 die Stellungnahme eines arabischen Politikers, dieser Preis sei noch ein „Sonderpreis“. Welcher Wirtschaftszweig davon in erster Linie betroffen ist, weiß man inzwischen. Um den Generalsekretär der OPEC, Khene, erneut zu zitieren „Es ist ohne jeden Zweifel unsinnig, wenn zum Beispiel Kraftstoff ohne entsprechenden nutzbringenden Effekt in einem großen PKW mit hohem km-Verbrauch verbrannt wird. Der Bereich des Individualverkehrs müßte ganz offenbar als erster für diese Einsparungsmaßnahmen ins Auge gefaßt werden.“

Kein Zweifel: Kaum ein anderer Industrie-zweig profitierte so von der lange Jahre billigen — zu billigen, wie man heute weiß — Energiequelle Rohöl wie die Automobilindustrie. Ihre Produktion hat sich seit 1960 bis 1972 in der Bundesrepublik, gemessen in Stückzahlen, nahezu verdoppelt, nämlich von 1, 8 Millionen PKW und Kombifahrzeuge auf 3, 5 Millionen Einheiten. Die Umsätze im Straßenfahrzeugbau haben sich in der gleichen Zeit sogar nahezu verdreifacht, nämlich von 17, 3 Milliarden DM auf 48, 8 Milliarden DM.

Man schätzt, daß heute jeder siebente Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Automobilindustrie abhängt. Entsprechend stieg der Benzinverbrauch. Er hat sich mehr als verdreifacht: 1960 verkauften die Mineralöl-gesellschaften 5, 5 Millionen Tonnen Motoren-benzin, 1972 18, 1 Millionen Tonnen

Die Zuwachsraten der Automobilindustrie erfüllten die Nation mit Stolz — dies auch deshalb, weil die hohen Exportraten (die Export-quote stieg von 47, 8 Prozent im Jahre 1960 auf 57, 3 Prozent im Jahre 1972) der Welt wieder einmal deutsche Tüchtigkeit und deutschen Erfindungsreichtum zu künden schienen. In der Tat wurde viel Erfindungsreichtum in die Aufgabe gesteckt, die Wohlstandssymbole technisch zu perfektionieren, sie schneller und rasanter im Anzug zu machen. Benzinsparende Modelle waren offenkundig nur noch von Minderheiten gefragt, dies um so mehr, als die Benzinpreise in den sechziger Jahren eher fallenden Trend hatten. Dies und die Symbolfunktion des Automobils für Wohlstand und Freiheit begünstigte die Entwicklung der Automobilindustrie zu einer Wachstumsindustrie par exellence. Und noch ein weiterer Industriezweig wurde durch den Erdölboom zum Stolz der Nation: die Chemie. Ihre Umsätze haben sich von 1960 bis 1972 verzweieinhalbfadit, von 22, 3 Milliarden DM auf 55, 7 Milliarden DM Ihre Produktion ist etwa zur Hälfte vom Erdöl abhängig. Erdöl ist der Grundstoff für zahlreiche nützliche — aber auch unnütze — Kunststoffe, für Düngemittel, Arzneien und Verpackungen.

Beide Branchen müßten sich jetzt wohl auf bescheidenere Wachstumsziele als bisher, wenn nicht sogar auf eine Schrumpfung ihrer Produktionskapazitäten einstellen. Drittes Strukturmerkmal des Erdölbooms ist der Straßenbau. Um den Bundesbürgern die Freude am Automobil zu erhalten, wurden Milliarden in den Ausbau des Straßennetzes gesteckt Allein das Streckennetz der Bundesautobahnen-hat sich in der Zeit zwischen 1960 und 1973 mehr als verdoppelt (2. 539 km im Jahre 1960, 5. 259 im Jahre 1973) Das war einerseits zuwenig; denn selbst ein forcierter Straßenbau konnte die üblichen Stauungen auf den Straßen und Autobahnen am Wochenende und zur Ferienzeit nicht verhindern, bei denen Millionen Liter Benzin sinnlos vergeudet wurden; und es wird andererseits vielleicht eines Tages zuviel sein, wenn sich her ausstellen sollte, daß der Individualverkehr zu teuer wird.

Als viertes Strukturmerkmal wäre der Wohnungsbau zu nennen. Da Heizöl billig und in unbegrenzter Menge verfügbar war, brauchten die Architekten ihrerseits wenig Energie für die Aufgabe zu verschwenden, sich um die Wärmeisolierung zu kümmern. Seit 1960 wurden rund 7, 4 Millionen Wohnungen neugebaut. Man darf davon ausgehen, daß die Isolierung anders ausgefallen wäre, wenn die Energiekrise 10 oder 15 Jahre früher ausgebrochen wäre.

Ein fünftes Strukturmerkmal ist ein Ergebnis der geschilderten Entwicklungen insgesamt, nämlich die Ausbreitung der Städte und Zersiedelung der Landschaft. Immer breitere Bevölkerungskreise, denen Stadtwohnungen zu eng und zu teuer wurden, siedelten in Wohnungen im vorurbanen Bereich über, wo die Mieten und die Preise für Grundstücke erschwinglich waren, erschwinglicher jedenfalls als in zentralen Stadtregionen. Die Kosten dafür, d. h. für die verkehrsmäßige Erschließung trug der Steuerzahler, wobei diese verkehrsmäßige Erschließung zu einem erheblichen Teil auf den Individualverkehr abgestellt war. Mit anderen Worten: Das bisher gültige Bodenrecht, das geltende Planungsrecht (im Bundesbaugesetz von 1961) sowie die bisherige Raumordnungspolitik haben einer Infrastruktur Vorschub geleistet, die auf hohen Energieverbrauch, um nicht zu sagen Energieverschwendung programmiert war.

Die geschilderten Strukturverwerfungen blieben verdeckt, solange einer der wichtigsten Rohstoffe unserer Industriegesellschaft, das Rohöl, relativ billig und ausreichend zur Verfügung stand. Sie werden auch in dem Maße unterschätzt, in dem man bereit ist, jeden Preis für den Rohstoff Rohöl zu zahlen, um die gewünschten Mengen zu erhalten (s. auch dazu Abschnitt III, 6).

Die Frage stellt sich, warum es im Rahmen einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftsordnung nicht gelungen ist, die genannten volkswirtschaftlichen Strukturschä— den zu verhindern. Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach: Die jeweiligen Bundesregierungen leisteten sich den Luxus, eine Politik des Laissez-faire an der falschen Stelle zu dulden oder sogar zu fördern. Beeindruckt von den glänzenden Erfolgen dieses Wirtschaftssystems und im naiven Vertrauen darauf, daß sich die ökonomischen Probleme überwiegend von selbst lösen, wenn man die Wirtschaft dem Selbstlauf überläßt, duldete man es, daß die Mineralölgesellschaften die Energiemärkte Stück für Stück erobern konnten. Dazu der frühere Finanzminister Schmidt „Ein Gutteil Verantwortung (Anm. d. Verf.: für die Ölkrise) trägt auch die internationale Olwirtschaft, die sich seit rund zwanzig Jahren auf dem deutschen Markt weitgehend frei in Szene setzen und dort etwas praktizieren konnte, was man in der kritischen Rückschau durchaus auch als Verdrängungswettbewerb gegen die heimische Steinkohle bezeichnen konnte."

Daß es sich in der Tat um einen Verdrängungswettbewerb handelte, geht aus dem bereits erwähnten Vortrag des OPEC-Generalsekretärs Dr. Khene hervor, in dem er auf den Anlaß für die Gründung seiner Organisation erinnerte: die zweimalige Senkung der „posted prices", der Verrechnungspreise für Erdöl (sie sind Grundlage für die Berechnung der Olpreise, die an die Erdölförderländer zu zahlen sind), in den Jahren 1959 und 1960.

Die im September 1973 geforderten „posted prices" lagen nach Khene noch unter dem Preisniveau von 1958 Offenbar sollte also der Rohölpreis künstlich niedrig gehalten werden. Nun wird dem entgegengehalten, daß ohne billiges Rohöl die westlichen Volkswirtschaften kaum die Wachstums-Rekorde und die enorme Steigerung der Realeinkommen und des Lebensstandards erreicht hätten. Das ist ohne Zweifel richtig; aber jetzt zeigt sich, daß die wirtschaftliche Blüte der früheren Jahre zu einem erheblichen Teil eine Scheinblüte war, daß die Rechnung für zu billiges Rohöl jetzt teuer bezahlt werden muß. Es bleibt also dabei: Was als marktwirtschaftlicher Erfolg gefeiert wurde, nämlich der Vormarsch des Rohöls zum wichtigsten Energieträger der Bundesrepublik (und anderer Länder), war in Wirklichkeit ein marktwirtschaftlicher Sündenfall: Verdrängungswettbewerb gilt eigentlich auch unter den kompromißlosesten Anhängern der Marktwirtschaft als unschicklich. Den Hinweis darauf, daß es sich um einen Verdrängungswettbewerb handelte, liefern die Mineralölkonzeme selbst. In zahlreichen Anzeigen und Zeitungsbeilagen, in denen sich diese Gesellschaften als selbstlose Akteure im Dienste der Gesellschaft darstellten, wurde zunächst immer wieder auf die Verluste hingewiesen, die im Jahr 1972 erwirtschaftet wurden. Nun, wer die Preisentwicklung für Benzin und Heizöl im vergangenen Jahr und zu Beginn dieses Jahres verfolgte, konnte sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, daß der Einfluß der Mineralölgesellschaften auf die Preise für Mineralölprodukte bislang unterschätzt wurde — und die Verluste im Jahre 1972 vielleicht doch anders einzuschätzen sind als ein unabwendbares Naturereignis (genausowenig wie dies bei der von der Shell AG in den ersten neun Monaten des Jahres 1973 erzielten Verzinsung des Nettovermögens von 13, 8 Prozent der Fall war

Eine Politik des Laissez-faire leistete sich die Bundesrepublik auch auf dem Gebiet des Bodenrechts. Die Folgen für den Energieverbrauch wurden oben geschildert. Die Einsicht, daß hier eine Fehlentwicklung korrigiert werden muß, besteht schon seit Jahren. Alle Parteien haben Programme zur Abschöpfung von Spekulationsgewinnen und für eine Preisgestaltung entwickelt, die der im Grundgesetz vorgeschriebenen Sozialbindung des Eigentums näher kommt als bisher. Nur: Noch keines der Programme ist beschlossen; die Ursachen für ein ungünstig strukturiertes Wohnungswesen sind noch nicht beseitigt. 2. Konjunkturelle Probleme Die Beurteilung der konjunkturellen Perspektiven im Zeichen der Energieverteuerung und -Verknappung hat Konjunkturforscher und Sachverständige in Verlegenheit gebracht. Die Schwierigkeit besteht darin, daß man zwar die Auslastung der Produktionskapazitäten und mögliche Wachstumsspielräume aufgrund der erwarteten Erdöllieferungen, nicht aber das Konsumentenverhalten und die Investitionsneigung der Unternehmen vorausberechnen kann.

Wenn also der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Sondergutachten ein reales Wachstum der Volkswirtschaft im Jahre 1974 von 1 Prozent für möglich hält (und zwar sogar unter der inzwischen überholten Annahme, daß die Lieferungen der arabischen erdölfördernden Länder um 30 Prozent niedriger als im September 1973 liegen würden), dann besagt dies: Die Sachverständigen rechnen damit, daß — die gesamtwirtschaftliche Produktion real (d. h. von Preissteigerungen bereinigt) um 1 Prozent wachsen kann (trotz Energieverknappung), — die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auch entsprechend zunimmt.

Inzwischen sind die Wachstumsspielräume (theoretisch) sogar noch gestiegen, da die arabischen Länder ihren Lieferboykott rückgängig machten. Das Bundeswirtschaftsministerium hat denn auch den Wachstumsspielraum auf bis zu 2 Prozent veranschlagt. Der prognostische Wert solcher Zahlen ist freilich rein hypothetisch; denn sie besagen — um das Hamburger HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung zu zitieren —, „daß das Produktionspotential unserer Volkswirtschaft 1974 von dem . limitierenden Faktor Energieversor-* gung‘ bestimmt wird ... Ob es gelingt, Niveau und Struktur der Nachfrage so zu steuern, daß diese Produktionsmöglichkeiten voll ausgenutzt werden, ist eine andere Frage. Denn Nachfrageschwächen und Produktionsbehinderungen werden nicht unbedingt deckungsgleich sein. Es ist z. B. anzunehmen, daß mehr Kraftfahrzeuge produziert werden könnten, als im kommenden Jahr nachgefragt werden.'

Genau das ist der Punkt. Wenn Produktionskapazitäten und Nachfrage nicht deckungsgleich sind, dann ist dies ein Symptom für die genannten Strukturprobleme. Die im Herbst 1973 einsetzende konjunkturelle Talfahrt hätte leicht noch zusätzlich beschleunigt werden können. Der vielzitierte Nachfrageschock in der Automobilindustrie hatte sich deutlich in den Auftragseingängen niedergeschlagen. Die Auftragseingänge erreichten gegen Jahresende noch etwa die Hälfte des Vorjahresstandes.

Auch die Bauindustrie spürte die verhängnisvolle Koppelung von konjunkturellen und strukturellen Problemen. Im Dezember-Bericht des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie hieß es „Im dritten Quartal 1973 wurden im Bauhauptgewerbe bereits 7, 3 Prozent weniger Arbeitsstunden geleistet als im dritten Quartal 1972. Der Rückgang hat sich von Monat zu Monat verschärft. Wenn der Energiemangel spürbar werden sollte, muß mit noch größeren Rückgängen gerechnet werden, besonders dann, wenn ein strenger Winter bei knapper Auftragsdecke zu Produktionsbehinderung führt."

Zur Lage der Chemieindustrie stellte der Präsident des Verbandes der chemischen Industrie, Hans Joachim Langmann, fest „Infolge der schwierigen Rohstoffsituation sehen sich manche Bereiche gegenwärtig nicht in der Lage, ihre Abnehmer ausreichend zu beiefern ... Unabhängig von der gegenwärtigen Ölkrise zeichnet sich eine weltweite Konjunkturabflachung ab, die für eine so export-intensive Branche wie die Chemie (40 Prozent Ausfuhr) nicht ohne Auswirkungen bleiben kann, so daß mit einer deutlichen Abflachung des Exportwachstums gerechnet werden muß. 1974 wird auch wegen der sehr uneinheitlichen Binnenkonjunktur mit starken Differenzierungen in den einzelnen Chemie-sparten gerechnet werden müssen."

Insgesamt waren also bereits zu Jahresbeginn die Auswirkungen der Olkrise auf Produktion und Nachfrage spürbar. Die Lockerung des Ölembargos durch die arabischen erdölproduzierenden Länder hat inzwischen jedoch einen Stimmungsumschwung bewirkt, der z. T. geradezu euphorische Ausmaße annahm. Anstelle der zu Jahresende beliebten Blut-, Schweiß-und Tränen-Appelle schien sich nunmehr die Erwartung auszubreiten, daß im Grunde alle Aufregung unnötig war und eine Rückkehr zu „normalem" Wachstum wie gehabt möglich sei, möglich mit Hilfe der bekannten Instrumente der Konjunktursteuerung. 3. Währungsund handelspolitische Probleme Wie wenig solche Euphorie in die wirtschaftspolitische Landschaft paßt, zeigt ein Blick auf die währungspolitische Situation. Zum erstenmal seit dem Frühjahr 1973, als sich die Industrieländer unter dem Druck der Währungskrisen auf ein System im Prinzip flexibler, d. h.frei schwankender Wechselkurse geeinigt hatten, spitzte sich die Situation an den Devisenbörsen erneut dramatisch zu. Diesmal erlebte der vielgeschmähte Dollar einen Höhenrausch, während die DM und andere Währungen in die Knie gingen: Der Dollarkurs kletterte im Januar bis auf 2, 88 DM, womit die westdeutsche Währung gegenüber dem Sommer um 23 Prozent abgewertet war.

Am 19. Januar schied Frankreich aus dem europäischen Währungsverbund aus (beteiligt hatten sich neben Frankreich die Beneluxländer, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Bundesrepublik) und gab den Franc-Kurs frei. Für den Kursanstieg des Dollar gab es gleich eine ganze Reihe von Gründen: Zunächst einmal hat sich die Handelsbi21 lanz der USA 1973 erheblich verbessert; nach ersten Meldungen schnellten die US-Exporte um rund 44 Prozent in die Höhe; der Handelsbilanzüberschuß summierte sich 1973 auf 1, 7 Milliarden Dollar gegenüber einem Defizit von 6, 4 Milliarden Dollar im Vorjahr Im Sog dieses Exportbooms festigte sich auch der Dollarkurs.

Zweitens sind die USA von allen großen Industrieländern am wenigsten von Erdöleinfuhren aus arabischen Ländern abhängig. Im Jahre 1971 wurden rund 90 Millionen Tonnen Erdöl eingeführt, das waren knapp 1, 7 Prozent der Eigenförderung.

Drittens — und, das dürfte der Hauptgrund für den raschen Kursanstieg des Dollars sein — muß sich mit der Erhöhung der Rohölpreise automatisch auch die Nachfrage nach Dollars erhöhen, da die Bezahlung in der US-Währung erfolgt. Mit anderen Worten: Bei einer Verdoppelung des Rohölpreises verdoppelt sich auch die Nachfrage nach Dollars. Um welche Größenordnung es sich dabei handelt, geht aus Zahlen hervor, die der ehemalige Bundesfinanzminister Alex Möller nach Gesprächen mit dem US-Finanzminister Shultz vor der Presse in Bonn bekannt gab.

Nach seinen Angaben rechnet man damit, daß man für die erdölexportierenden Länder für 1974 einen Devisenüberschuß von 65, 8 Milliarden Dollar erwartet gegenüber einem geschätzten Überschuß von 12, 5 Milliarden Dollar vor den letzten Preiserhöhungen. Bei den erdölimportierenden Ländern reißen die Erhöhungen ein Loch in die Zahlungsbilanzen von insgesamt 69 Milliarden Dollar gegenüber geschätzten Belastungen von rund 20 Milliarden Dollar vor der letzten Preisanhebung

Allein die Zahlungsbilanz der Bundesrepublik wird durch die Preiserhöhungen mit rund 13 Milliarden DM belastet. Damit ist ein weiterer Grund für die Verbesserung des Dollarkurses und die Verschlechterung der Kurse der übrigen Währungen und auch der DM angesprochen: Die Verschlechterung der Handels-und Zahlungsbilanzen der von Erdöleinfuhren stark abhängigen Industrieländer, die sich bei flexiblen Wechselkursen zwangsläufig inKursverschlechterungen der betroffenen Währungen niederschlagen.

Die verteuerten Rohöleinfuhren werfen ferner die Frage auf, wie die von Erdöleinfuhren abhängigen Länder diese Einfuhren bezahlen (können). Theoretisch bestehen hier folgende Möglichkeiten: Entweder wird die Einfuhr von Rohöl gedrosselt (zu diesem Punkt s. IV. 1.) und/oder andere Importe werden eingeschränkt beziehungsweise die Exporte gesteigert. Dies könnte geschehen, indem ein Land den Wechselkurs der eigenen Währung absinken läßt, also eine Abwertung hinnimmt oder sogar forciert; dies ist möglich, weil die Wechselkurse an den Devisenbörsen floaten, also frei schwanken können — ausgenommen die sechs (inzwischen nur noch fünf) blockfloatenden EG-Länder, die untereinander die Wechselkurse innerhalb einer „Brandbreite'von 2, 25 Prozent über und unter den Mittelkurs festzurrten.

Die Preise für Exportgüter würden damit sinken, der Export würde also angeheizt. Da aber gleichzeitig die Einfuhrpreise durch eine Abwertung steigen und damit auch die Preise für Rohöl, sind einer Politik des Währungsdumpings Grenzen gesetzt, zumal der Wettbewerbsvorsprung durch niedrigere Exportpreise auch in dem Maße dahinschwindet, in dem das Beispiel des Währungsdumpings Schule macht. Dennoch gibt es zumindest ein Land, das auf diese Karte setzt: Frankreich. Die Entscheidung, aus dem europäischen Währungsverbünd auszuscheiden und den Franc-Kurs freizugeben, also zu „floaten", besagt nicht anderes, als daß Frankreich über einen niedrigeren Franc-Kurs die Exportsituation verbessern will: Die oben geschilderten negativen Folgen machen es schwer, eine Verbesserung der Handelsbilanzsituation für Frankreich vorauszusagen, dies auch deshalb, weil erhöhte Importpreise den Preisanstieg im Inland beschleunigen und von dieser Seite her den Wettbewerbsvorsprung über eine Abwertung wieder gefährden. Führen Abwertungen und erst recht das Währungsdumping also noch tiefer in die Sackgasse, so erscheinen doch gewisse Kurseinbußen der Währungen wichtiger Industrieländer — darunter (mit Einschränkungen) auch der DM wie erwähnt — unvermeidlich, eben weil sich die Handels-und die Zahlungsbilanzsituationen wegen der Rohölverteuerung verschlechtern.

Es sei daran erinnert, daß bereits im Februar die Einfuhrpreise um über 33 Prozent höher lagen als im Vorjahresmonat.

Nicht zu unterschätzen, wenn auch schwer abzuschätzen, sind ferner die Auswirkungen der veränderten Handels-und Zahlungsbilanzen auf die internationalen Handelsströme. Befürchtungen, daß die Wachstumschancen für den Welthandel nur noch begrenzt oder sogar negativ zu beurteilen sind, kann man nicht ohne weiteres in den Wind schlagen. Denn ohne Zweifel müssen die von Erdöleinfuhren abhängigen Industrieländer die Frage prüfen, ob sie es sich noch leisten können, vom Erdöl abhängige Produkte zu exportieren. Auf der anderen Seite werden diese negativen Erwartungen gedämpft durch die Aussicht auf eine wachsende Nachfrage aus den erdölexportierenden Ländern nach Industrieerzeugnissen und insbesondere nach Investitionsgütern. Auch wird ein Teil der erhöhten Erdölpreise durch höhere Exportpreise wieder verdient.

Dennoch: Diese Unsicherheiten in der Beurteilung der Entwicklung der Kursrealitionen und des Welthandels sind der Boden, auf dem Spekulationen gedeihen. Und weil hier Spekulationen üppig ins Kraut schießen, kann es auch an den Devisenbörsen immer wieder zu empfindlichen Kursausschlägen und -Schwankungen kommen, die wiederum störend auf die Abwicklung des internationalen Warenaustausches einwirken. Nicht zuletzt muß man die Nervosität, die an den Devisenbörsen besonders zu Jahresbeginn zu beobachten war und von der sich auch sonst gestandene Notenbankgouverneure nicht ganz frei machen konnten, vor dem Hintergrund der Tatsache sehen, daß die Dollarmilliarden der erdölexportierenden Länder währungspolitisches Dynamit sind.

Dieses Thema beschäftigte den Zwanzigerclub bei seinen Währungsberatungen in Rom denn auch mehr als die eigentliche Aufgabe, nämlich die Reform des Weltwährungssystems.

Die Befürchtung, daß die ölexportierenden Länder aus ihren Milliardeneinnahmen bisher noch unbekannte währungspolitische Erdbeben auslösen könnten, hat nicht gerade zur Normalisierung der Kursentwicklung an den Devisenbörsen beigetragen. 4.

Verschärfung der Not der Dritten

Welt

Nun, einen diskussionswürdigen Vorschlag, was mit diesen Dollarmilliarden geschehen könnte, machte Schah Reza Pahlevi von Persien in der Mailänder Zeitung „Corriere della Sera". Der Schah setzte sich in einem Interview mit dieser Zeitung für die Gründung einer Entwicklungsbank ein, die unter anderem die Überschüsse aus den 'Olverkäufen der erdölproduzierenden Staaten an Länder der Dritten Welt weiterleiten soll, um dort zur wirtschaftlichen Entwicklung beizutragen. Dieser Vorschlag wurde inzwischen auch vom saudi-arabischen Erdölminister Jamani gemacht, und man kann nur hoffen, daß er bald verwirklicht wird.

Denn Hilfe haben die Länder der Dritten Welt jetzt noch mehr als bisher nötig: Sie sind die Hauptleidtragenden der Olverknappung und -Verteuerung. Der Generalsekretär der OECD, van Lennep, schätzt, daß die Entwicklungsländer 1974 durch die Olpreiserhöhungen mit 10 Milliarden Dollar belastet werden. Ihre ohnehin angespannte Zahlungsbilanzsituation wird sich durch die Verdoppelung des Ölpreises, die für alle Länder ohne Ausnahme gilt, weiter zuspitzen. Wer in diesem Zusammenhang auf die LDC's (Least Developed Countries, die am wenigsten entwickelten Länder) verweist, die von der angespannten Energiesituation kaum betroffen sind, weil sie keine oder nur geringe Mengen O 1 einführen, macht es sich etwas leicht. Denn diese Länder wollen und sollen sich ja wirtschaftlich weiterentwickeln, und dazu brauchen sie Energie. Die Rohölverteuerung wirkt also auch hier als Entwicklungsbremse. Unglücklicherweise müssen die Entwicklungsländer über die Olverteuerung hinaus auch die Folgeerscheinungen mittragen.

Folge eins: Die Preise für Industrieprodukte steigen als Folge der Energieverteuerung, sie steigen damit auch für die Importe aus den Industrieländern.

Mögliche Folge zwei: Da sich auch in den Industrieländern die Zahlungsbilanzsituation verschlechtert, könnten sie gezwungen sein, ihre Entwicklungshilfeleistungen zu kürzen und/oder die Kreditkonditionen zu verschlechtern.

Mögliche Folge drei: Falls sich die Konjunktur als Folge der Energieverteuerung in den Industrieländern verschlechtert, was — siehe oben — zumindest nicht ausgeschlossen ist, sinkt auch die Nachfrage nach Rohstoffen aus den Entwicklungsländern, sinken entsprechend die Preise dafür.

Mögliche Folge vier: Wenn sich die Konjunktur in den Industrieländern verschlechtert, wird dies nicht ohne Nebenwirkungen auf den Tourismus bleiben, der für viele Entwicklungsländer zu einer wertvollen Devisenquelle geworden ist.

Im ungünstigsten Falle haben die Entwicklungsländer also in mehrfacher Hinsicht Schlimmes zu vergegenwärtigen: Verteuerung der Rohöl-und Fertigwarenimporte, Verschlechterung der Exportsituation, dadurch sowie durch rückläufige Entwicklungshilfe und Kreditgewährung und rückläufige Einnahmen aus dem Touristikgeschäft Verschlechterung der Zahlungsbilanz. Die Wachstums-und Entwicklungsmöglichkeiten sind insgesamt gesehen ernsthaft bedroht wobei sich freilich von Land zu Land unterschiedliche Auswirkungen ergeben.

Es sind aber auch positive Entwicklungstendenzen, welche die negativen kompensieren können, denkbar. So könnte man sich beispielsweise vorstellen, daß die Entwicklungsländer aus dem überaus erfolgreichen OPEC. Beispiel ihre Schlußfolgerungen ziehen und für bestimmte Rohstoffe einen Pool bilden, der Mengen und Preise fixiert. Hoffnungen oder Befürchtungen — je nachdem, mit welchen Augen man derlei Aktivitäten betrachtet — sollten sich allerdings in Grenzen halten. Es gibt zur Zeit keinen Rohstoff in den Entwicklungsländern, dessen „Gewicht" auch nur annähernd der Bedeutung des Rohöls gleichkäme. über Kohle verfügen die Industrieländer zu erheblichen Teilen selbst, Zinn, Kupfer, Phosphate, Sisal, Hanf oder Jute sind zwar alles andere als unbedeutende Rohstoffe, doch wäre ein Jute-oder Erdnußboykott kaum Anlaß zu dramatischen Aktionen und Reaktionen — dies nicht zuletzt deshalb, weil die meisten Rohstoffe eher und leichter substituierbar sind als etwa das Rohöl.

Auf der anderen Seite eröffnete gerade die Suche nach Substitutionsmöglichkeiten für Rohöl und Rohölprodukte den Entwicklungsländern neue Perspektiven. Denkbar wäre zum Beispiel, daß anstelle synthetischer Fasern wieder Fasern aus Baumwolle, Jute oder Hanf gefragt sind, daß etwa Holz wieder stärker an die Stelle von Kunststoflen tritt, Kautschuk als Rohstoff wieder größere Bedeutung gewinnt.

III. Lösungsversuche in der Diskussion

1. Nationale und/oder internationale Initiativen Es wäre ein unverzeihliches Versäumnis, würde man die Belange der Entwicklungsländer bei den Bemühungen um eine Bewältigung wirtschaftspolitischer Probleme vernachlässigen. An Initiativen zur Überwindung der Probleme fehlt es nicht. Die politische Szenerie ist seit Ausbruch der Ölkrise durch Aktivitäten gekennzeichnet, denen man mitunter gewisse Hektik nicht absprechen konnte. Da gab es wichtige Konferenzen (z. B. die EG-Gipfelkonferenz in Kopenhagen im De zember 1973), da berieten die Notenbankgou verneure in Basel über die Währungssituation, das gleiche Thema beschäftigte, die Finanzminister der Europäischen Gemeinschaft und den 20er Club Mitte Januar in Rom, da fand am 11. und 12. Februar eine große Energiekonferenz statt, zu der US-Präsident Nixon die Regierungschefs einer ausgewählten Reihe von Industrieländern gebeten hatte, da erlebte der Bundestag zwei Bundestagsdebatten über das Thema Energie. Nach der ersten Debatte im November verabschiedete das Parlament ein in aller Eile eingebrachtes Energiesicherungsgesetz. Es gab zahllose diplomatische Erkundungsreisen, es gab Initiativen, Programme, Aktivitäten, Erklärungen, die entweder „Blut, Schweiß und Tränen" verhießen oder die Öffentlichkeit mit der Botschaft beglückten, die Regierungen seien „Herr der Lage".

Wesentliche Fortschritte, wesentliche neue Erkenntnisse brachte das alles nicht. Es zeigte sich, daß die Regierungen der Industrieländer innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft nationalen Aktivitäten die Priorität vor internationalen Vereinbarungen gaben und damit den Wert internationaler Abmachungen abschwächten. So verhandelten die Regierungs-und Staatschefs der Neun, wie es schien, relativ einträchtig in Kopenhagen, gleichzeitig führten Frankreich und Großbritannien aber auch bilaterale Gespräche mit arabischen Ministern. Da einigen sich die Außenminister der EG über ein gemeinsames Vorgehen auf der Energiekonferenz in Washington, kurz zuvor aber hatte Frankreich im Alleingang ein Abkommen mit Saudi-Arabien über langfristige Öllieferungen abgeschlossen. Frankreich scherte auch aus dem Block der EG-Länder aus (die ihre Währungen untereinander „festgezurrt" hatten und gemeinsam gegenüber dem Dollar „floaten"), als sich herausstellte, daß die französische Währung und die französische Handelsbilanz von der veränderten Lage auf dem Erdölmarkt besonders nachteilig betroffen waren. Die französische Regierung entschloß sich zu diesem Schritt, obwohl die Bundesregierung Stützungskredite in Höhe von über 8 Milliarden DM angeboten hatte. Der „Preis" für diese Beistandskredite zur Stützung des Franc-Kurses wäre sicher ein von größerer Gemeinsamkeit getragenes Vorgehen in der Energiepolitik gewesen — für Frankreich, das offenbar auf den nationalen Weg zur Sicherung der Energieversorgung fixiert ist, eine unannehmbare Perspektive. Inzwischen haben auch Italien und Dänemark Maßnahmen ergriffen, die man beim besten Willen nicht als gemeinschaftskonform bezeichnen kann.

Bedenkliche Folge also: Die Rohölverknappung und die Preisexplosion für diesen Rohstoff brachten das ohnehin nicht sehr stabil gebaute europäische Gebäude so sehr ins Wanken, daß Einsturzgefahr droht. Die einzige Hoffnung, daß es nicht soweit kommt, besteht in der Erkenntnis der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit der EG-Länder untereinander. Die Verflechtung der Handels-ströme dürfte eigentlich ausreichen, um den Weg zurück zur nationalen Kleinstaaterei zu versperren. Auch die Bundesrepublik ist nicht ohne Fehl und Tadel. Während andere Länder durch gezielte Rationierungsmaßnahmen Energie einsparten, schöpfte die Bundesrepublik die so frei gewordenen Rohölmengen durch eine Politik hoher Preise ab.

Denn angesichts der Tatsache, daß • — sich die derzeit bekannten wichtigsten Ölvorkommen in den Ländern des Nahen Ostens befinden, — die Ölvorräte begrenzt sind und ihre Ausbeutung gestreckt werden sollte, wären gemeinsame Überlegungen der wichtigsten erdölimportierenden und -exportierenden Länder der bestmöglichste aller interna-, tionalen Bemühungen um eine Bewältigung der Energieprobleme. Diesem Ziel kommt man aber nur dann näher, wenn sich zunächst die EG-Länder auf ihre gemeinsamen Interessen besinnen würden. Nationale Alleingänge verleiten nur zum Mißbrauch einer nun einmal nicht zu leugnenden Monopolsituation der Erdöllieferanten. Nachdem die Ölquellen der arabischen und anderer Staaten lange Zeit im wahrsten Sinne des Wortes ausgebeutet worden sind, ist es bis zu einem gewissen Grade sogar verständlich, wenn die betroffenen Länder jetzt den Spieß umdrehen. Volkswirtschaftlich gesehen, wären aber die Schäden, hervorgerufen durch eine „Ausbeutung" der Industrieländer durch überhöhte Olpreise, nämlich Konjunktur-und Beschäftigungseinbrüche mit allen nachteiligen Auswirkungen auf die Entwicklung der Dritten Welt und der Erdöllieferanten selbst, unübersehbar — ein Aspekt, der auf der Tagung des Zwanzigerclubs in Rom deutlich angesprochen wurde. Insofern besteht ein gewisser Zwang zur Integration, zur Harmonierung der Interessen, was freilich nationale Initiativen, etwa auf dem Gebiet der Forschung, nicht ausschließt, sondern im Gegenteil sogar voraussetzt. 2. Die „know-how" -Lösung Die Forschung, die Wissenschaft, das „knowhow" scheint nun für die nicht nur in ihrem wirtschaftlichen, sondern auch politischen Selbstbewußtsein erschütterten Industrieländer der einzige verheißungsvolle Weg aus der Energiemisere. In der Tat darf man sich nach übereinstimmender Aussage von Energieexperten einiges vom technischen Fortschritt versprechen. Auch die Bundesregierung setzt auf diese Karte. Wie der frühere Forschungsminister Ehmke bei der Energiedebatte am 17. Januar mitteilte, will die Bundesregierung zur Erforschung der Anwendungsmöglichkeiten neuer Energien (Kernenergie, Kohlehydrierung und -Vergasung) 1, 5 Milliarden DM für die kommenden Jahre bereitstellen. Große Hoffnungen setzt man allgemein auch auf die Anwendung geothermischer Energien, der Sonnenenergie und zu späterer Zeit auch der Kernfusion.

Uber diese Möglichkeiten und Perspektiven ist inzwischen soviel berichtet worden, daß sich eine ausführliche Darstellung hier erübrigt. Festzuhalten wären aber einige einschränkende Überlegungen. Mit der Ausbreitung der Ölkrise konnte man auch ein Anwachsen der Wissenschaftsgläubigkeit registrieren. Da wurde der „Erfindungsreichtum" der Europäer oder der „weißen Rasse" ebenso beschworen wie der nun unausweichliche technische Fortschritt nach dem Motto „Not macht erfinderisch". Manchmal schien es, als wären die Industrieländer aus dem Olzeitalter unversehens; in die Science-Fiction-Ära übergewechselt.

Bei soviel Wissenschaftseuphorie mußte leider in Vergessenheit geraten, daß in Wirklichkeit die Zeit der großen Erfindungen schon der Vergangenheit angehört. Auch die Mondrakete wurde bekanntlich nicht „erfunden", sondern konnte konstruiert werden, weil man bereits bekannte „Erfindungen" und Technologien anwandte und weiterentwickelte. Erfindungen gab es also nicht „en gros“, sondern allenfalls — siehe die vielzitierte Teflon-Bratpfanne — „en detail".

Fortschritte auf der Suche nach neuen Energieträgern oder der rationelleren Nutzung herkömmlicher Energieträger kommen also nicht über Nacht; wer auf Wunder hofft, wird rasch enttäuscht. Der frühere Forschungsminister Ehmke rechnete denn auch damit, daß die Bundesrepublik erst in etwa 30 Jahren vom Erdöl unabhängig sein wird.

Dieser „qualitative" Aspekt der Wissenschaftsgläubigkeit fand sein Gegenstück auch in einer euphorischen Denkweise im quantitativen Bereich: In vielen Berichten und Kommentaren wurde der Eindruck erweckt, daß der technische Fortschritt nur eine Frage der Geldmittel sei, die man bereitstellt nach dem Motto: Je mehr Milliarden in die Forschung gesteckt werden, um so rascher stehen neue Energieträger zur Verfügung. Diese Form der Wissenschaftsgläubigkeit geht an der Tatsache vorbei, daß der technische Fortschritt nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Zeit ist. Die Entwicklung neuer Kernspaltungsanlagen oder neuer Techniken zur Kohlehydrierung oder -Vergasung mit einer verbesserten Rentabilität kann man zwar durch Bereitstellung zusätzlicher Mittel beschleunigen, aber letztlich sind doch zeitliche Grenzen gesetzt.

Bei genauerer Prüfung erscheint die Wissenschaftsgläubigkeit als Ausdruck einer sublimierten Wachstumsgläubigkeit, war doch Ausgangspunkt die Tatsache, daß der Energienotstand den Traum vom permanenten Wachstum jäh zerstörte. Daraus folgte die Überlegung: Die Wirtschaft kann erst wieder wachsen, wenn der Energienotstand behoben ist der Energienotstand wiederum kann aber letztlich nur überwunden werden, wenn neue Technologien entwickelt werden. Also gilt die Formel: mehr technischer Fortschritt = mehr Wachstum. Diese Formel muß nicht falsch sein, aber man sollte auch keinen Kausalzusammenhang herstellen. Es gibt nämlich auch wachstumshemmende technische Fortschritte. Man denke nur an die Automobilindustrie, wo die Orientierung des technischen Fortschritts auf schnelle Motoren hin offensichtlich in die Sackgasse führte. Bleibt also festzuhalten: Selbst mit massivem Einsatz von hohen finanziellen Mitteln wird man die Energieprobleme in kurzer Zeit kaum lösen können, sondern allenfalls mittelfristig. Auf der anderen Seite sind aber ohne den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel Fortschritte nicht denkbar. Das wiederum bedeutet: Was in die Forschung geht, kann nicht konsumiert werden, deshalb werden von dieser Seite her die Möglichkeiten für eine Steigerung des Lebensstandards zunächst sogar eingeengt. 1 Die Substitutionslösung Die oben getroffenen Feststellungen gelten grundsätzlich auch für den Komplex der Substitutionslösungen, womit hier nicht die Substitution des Erdöls als Energieträger etwa durch Kernenergie gemeint ist, sondern Substitution der arabischen Ölquellen durch andere Ölquellen oder Kohle-und Erdgasvorkommen. Bei der Erörterung dieser Frage vermißte man ebenfalls die gebotene Nüchternheit. Schöne Bilder und Filme über den Olsand in Kanada, Spekulationen über riesige, noch ucht erschlossene Ölvorkommen in Indonesi-en, Sibirien, Alaska, in der Nordsee oder wo dueh immer waren geeignet, die Illusion zu ldhren, als schwimme die Erdkruste auf einer " oge von 01, als sei es nur noch eine Frage " on wenigen Monaten oder im schlimmsten dlle einigen Jahren, bis die lästigen Scheichs und Emire auf ihren Olvorräten hokken würden wie Modeboutiquen auf unverkäuflicher Extraware.

Tatsache ist, daß die Erschließung neuer Vorkommen von Erdöl, Kohle oder Erdgas ungeheuren Kapitaleinsatz erfordert, der wiederum zwangsläufig zu Lasten des Konsums gehen muß. Die drastischen Erhöhungen der Benzin-und Heizölpreise durch die Mineralölkonzerne im Januar dieses Jahres wurden dann auch mit der Notwendigkeit begründet, die Mittel für diese Investitionen zu beschaffen 4. Die „transzendentale" Lösung Eine Zeitlang, im ersten Schock der Ölkrise, schien es, als ging eine Welle der Erleichterung darüber durch die Lande, daß die kräftezehrende Jagd nach höherem Lebensstandard, nach immer aufwendigeren Prestigesymbolen ein Ende habe. Schlagartig, so schien es, wurde einer breiten Bevölkerungsschicht bewußt, daß der Traum vom Eigenheim, vom chrom-blitzenden Straßenkreuzer, vom Urlaub in Acapulco „ein leerer Wahn" ist. In dieser Stimmung stieß die Einführung des Sonntags-fahrverbots auf allgemeine Zustimmung.

Mehr noch: Diese Maßnahme vermittelte ein bislang unbekanntes Gefühl der Solidarität in der Bevölkerung und eröffnete neue Freiheitsspielräume: der Spaziergang auf den Hauptverkehrsstraßen, wo sonst der Verkehr tobte, geriet zum Erlebnis, und die ungewohnte Stille auf den Straßen am Sonntagmorgen schuf ein völlig neues Nostalgiegefühl: die beschauliche Stille zu „Großvaters Zeiten", sie war nun plötzlich gegenwärtig.

Diese psychologische Grundströmung schien der rechte Nährboden für die Devise: Zurück zur Kultur, laßt den schnöden Mammon fahren! Nun, inzwischen weiß man, daß der Nährboden nicht sehr tief war. Wer darauf wartete, daß der Olschock eine Flucht in die immateriellen Werte auslösen würde, sollte bald enttäuscht werden. Die Metamorphose des kon-sumfreudigen Bundesbürgers zum kulturbeflissenen Bildungsbürger fand nicht statt. Konsumverzicht, die einzige wirksame Waffe der Industrieländer gegen den Mißbrauch der Monopolstellung der Araber, ist nicht gefragt. Der Wechsel von Chrom und Blech zu Bach und Brahms stellt eben höhere Anforderungen als ein Modellwechsel von VW auf Opel. Die Katerstimmung nach dem Erwachen aus dem Konsumrausch verflog rasch, ebenso die Bereitschaft zur Konsumaskese — insbesondere als sich zeigte, daß die Mengenprobleme bei der Ölversorgung geringer waren als angenommen, geringer jedenfalls als die Preisprobleme (s dazu III. 6.). Kurzum: Die Umorientierung der Werte, zu der Bundespräsident Heinemann in seiner Neujahrsansprache aufgerufen hatte, fand nicht statt. 5. Die „systemüberwindende“ Lösung Sie fand nicht statt, weil immer häufiger die Frage gestellt wird, ob eine Umorientierung der Werte überhaupt notwendig ist, ob sich die Welt mit Ausbruch der Ölkrise tatsächlich so verändert hat, wie zunächst angenommen. Da das öl aus dem Nahen Osten weiterhin fließt, reichlicher jedenfalls fließt als ursprünglich erwartet und befürchtet, wird ferner immer häufiger auch die Frage gestellt, ob die Ölkrise nicht vielmehr eine Systemkrise des Westens ist, eine Systemkrise insofern, als — wie vielfach vermutet — die Mineralölkonzeme offenbar die Macht und deshalb die Möglichkeit haben, die Versorgung der Volkswirtschaften mit Mineralöl zu Preisen, deren Höhe von den Konzernen fixiert wird, nach eigenem Gutdünken zu steuern.

In der Tat gibt es Fakten, die zu denken geben. So sind die Gewinne der US-Olgesellschäften 1973 rapide in die Höhe geschnellt. Der Welt größter Ölkonzern, die Exxon-Corporation, verzeichnete, wie man der Presse entnehmen konnte, eine Zunahme des Reingewinns von 59 Prozent oder knapp einer Milliarde Dollar. Bei der US-Gesellschaft Mobiloil, dem zweitgrößten Mineralölkonzern der USA, stiege« die Gewinne um 47 Prozent, in den letzten vier Monaten 1973 sogar um 68

Prozent. Beim drittgrößten US-Ölkonzern, c Texaco, gab es ein Plus von 45 Prozent im vergangenen Jahr und von 70 Prozent in den letzten vier Monaten 1973. Alle drei Konzerne haben-Tochtergesellschaften in der Bundesrepublik . Kein Wunder, daß sich der US-Kongreß genötigt sah, Präsident Nixon eine Kürzung der Steuersubventionen für die Mineralölgesellschaften (Streichung der auslä dischen Sonderabschreibungen) vorzuschla gen. Kein Wunder, daß die öffentliche Meinung in den USA sich nicht eben durch Wohlwollen gegenüber den Konzernen auszeichnet, wie die Hearings mit den Mineralölkonzernen zeigten. Ähnliches gilt für die Stimmungslage in der Bundesrepublik. Die drastische Erhöhung der Benzin-und Heizölpreise um 10 Pfennige ur mehr Ende Januar hat sogar das industriel freundliche handelsblatt zu der besorgten Feststellung hingerissen: „Es ist jetzt wirklich an der Zeit, die Dinge nicht weiter zu verscherbeln, beln, sondern die Öffentlichkeit darüber z informieren, wie sich die Preiskalkulation ft Mineralölprodukte zusammensetzt." Auch Bundeswirtschaftsminister Friderich bislang um ein gutes Verhältnis zu den Mineneralölgesellschaften bemüht, ist skeptischer ge worden. In der Regierungserklärung zur Lag der Energieversorgung am 17. 1. 1974 sagte der Minister: " Der Verdacht daß die Mineralölversorgung - zumindest was die Preise , anbelangt — durch eine gezielte Angebots, Strategie von Mineralölgesellschaften verschärft worden ist, wurde nicht bestätigt. Dieser Verdacht wurde aber bisher auch nicht ausgeräumt. Das ist unbefriedigend.“ Und etwas später faßte er zusammen: „Mit na tionalen Mitteln allein läßt sich der Ver dacht, daß Mineralölunternehmen mit markt-strategischen Mitteln die Situation zu ihren Gunsten ausgenutzt haben leider weder belegen noch entkräften."

Warum dies nicht möglich ist, kann man einer Veröffentlichung des Engländers Anthony ampson mit dem Titel „Weltmacht ITT" entehmen, in der er zu den Möglichkeiten der onzeme, Bilanzen zu manipulieren, feststell3: . Große Summen können hinein-und hinusverschoben, Gewinne in Verluste verwaneit und Vermögensbestände verkauft weren, ohne daß jemand dies überschauen kann, linter allen anderen Merkmalen der Konernsouveränität steht als Wesentlichstes och die Geheimhaltung der Bücher und Bianzmanipulationen — die mindestens ebenso »richtig ist wie die Verschwiegenheit des Vatisans oder der Königin von England. “

Wie die von Minister Fridrichs erwähnte An-yebotsstrategie der Konzerne möglicherweise aussah oder noch aussieht, ist seit den Pharaonen kein Geheimnis mehr: es ist die preisbewußte Vorratshaltung. Indem man die Lagervorräte kräftig aufstockt oder zumindest die vorhandenen Vorräte nicht abbaut, kann man leicht eine Knappheitssituation erzeugen, die entsprechende Preisbewegungen auslöst. So schrieb der international bekannte Börsianer Andre Kostolany in der Zeitschrift „Capital' „Meine Überlegungen sind einfach die eines Warenspekulanten, der seit 50 Jahren in allen Rohstoffen herumgepanscht hat. Idi habe gelernt, daß jede Preisentwicklung einer Ware immer einer marginalen Situation unterworfen ist. Steigt nämlich die Produktion nur fünf Prozent höher als der Verbrauch, stürzen die Preise senkrecht in die Me. Liegt aber der Verbrauch um fünf Prozent über der Produktion, gehen die Preise raketenhaft in die Höhe. Und diese hohen oder niedrigen Preise gelten, trotz der winzigen Menge, der sie ihre Entstehung verdanken, mit einem Schlag für den gesamten Welthandel mit der betreffenden Ware.“

Uber die Vorräte an Mineralölprodukten gab Bundeswirtschaftsminister Friderichs am 'Januar folgende Erklärung ab „Die für ®uar und Februar zur Verfügung stehenden Benzinmengen entsprechen etwa denen des Vorjahres. Der bisher üblichen Verbrauchs-Steigerung steht aber kein zusätzliches Angebot gegenüber.“

Und weiter: „Die gesetzlichen Pflichtvorräte wurden nicht angetastet. Dies war von Anfang an unser Ziel. Die Vorräte reichen bei Benzin für 63 Tage, bei leichtem Heizöl für 75 Tage und bei schwerem Heizöl für 71 Tage; Datum: 1. Januar 1974. Sie entsprechen damit nahezu exakt den Vorräten am Beginn des Jahres 1973.“

Bei steigendem Bedarf und unveränderter Vorratshaltung ist also eine Marktsituation für steigende Preise gegeben. Bleibt die Frage, ob und wieweit hier die Mineralölkonzerne die Marktmenge manipuliert haben, eine Frage, die auch das Bundeskartellamt zu umfangreichen Recherchen veranlaßte. Zur Er-härtung dieses Verdachts werden eine Reihe von Theorien entwickelt. Eine Version besagt, daß die Konzerne die Öltanker etwas länger als nötig auf den Meeren hin-und her-dirigieren, eine andere, daß die Kapazitäten der Raffinerien nicht voll genutzt werden, eine dritte — und dies ist eine nicht unwahrscheinliche Theorie —, daß die Ölgesellschaften die Vorzüge der gespaltenen Preise auf den Ölmärkten voll zu nutzen verstehen. Mit anderen Worten: Sie verkaufen ihren Vertragshändlern einen Teil ihrer Mineralölprodukte zu Preisen, die zwar erhöht sind und mit Kostensteigerungen begründet werden (wieweit dies auch auf die drastischen Preis-erhöhungen im Januar zutrifft, ist noch ungeklärt) und bieten einen weiteren Teil zu Spitzenpreisen den freien Ölhändlern an — genauso, wie sie in Zeiten des Überflusses ihre freien Spitzen zu Schleuderpreisen verkauften.

Bleibt festzuhalten: Der Verdachtsmomente gibt es viele; der letzte schlüssige Nachweis für Mißbrauch der Marktmacht fehlt, muß fehlen, weil dies nur durch eine internationale Kontrolle der Olgesellschaften möglich wäre. Eine internationale Kontrolle aber steht derzeit nicht zur Diskussion.

Zur Diskussion steht aber immer noch eine nationale Kontrolle, mehr noch: eine Verstaatlichung der Mineralölgesellschaften. Zuletzt fiel diese Forderung auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten Ende Januar in München, und man sollte sich nicht täuschen: Diese Forderung ist nicht unpopulär. Die Verstaatlichung der Raffinerien würde die Möglichkeit schaffen, Versorgung und Preisentwicklung von Mineralölprodukten nicht mehr dem Ermessen der Olgesellschaften zu überlassen, sondern beides den wirtschaftlichen Erfordernissen der Bundesrepublik anzupassen. So groß die Faszination dieser „systemsprengenden" Lösung für viele auch sein mag, sie ist aus einer Reihe von Gründen nicht opportun und nicht praktikabel.

Da gibt es zunächst einen gewichtigen politischen Gegeneinwand: Die Muttergesellschaften der Mineralölkonzerne haben ihren Sitz in befreundeten Staaten. Die Beziehungen mit ihnen würden durch eine Nationalisierung erheblich belastet, auch wenn man davon ausgeht, daß die Enteignung nicht entschädigungslos erfolgen würde. Sie käme in jeder Beziehung teuer zu stehen.

Der zweite Einwand ist ein ökonomischer. Der frühere Finanzminister Schmidt erläuterte im Dezember 1973 im „Vorwärts": „So wichtig es in der gegenwärtigen Situation ist, den öffentlichen Einfluß beim Ol zur Geltung zu bringen — mit einer Nationalisierung der Raffinerien auf deutschem Boden sind die kurzfristigen Versorgungsprobleme allerdings nicht zu lösen. Wir dürfen uns keinesfalls täuschen über die realen Machtverhältnisse. Eine Nationalisierung der deutschen Töchter wird deren internationale Muttergesellschaften keineswegs veranlassen, uns mehr oder billigeres öl zu liefern. Im Gegenteil."

Abgesehen von den politischen Bedenken wäre eine Nationalisierung ökonomisch also nur dann gerechtfertigt und sinnvoll, wenn eine reibungslose Zulieferung von den Förderländern in die Bundesrepublik gewährleistet wäre.

Das aber ist nicht der Fall: Es fehlt die dazu notwendige Tankerflotte, es fehlen auch noch die notwendigen direkten Liefer-und Abnahmeverträge mit den Förderländern, es fehlt ein staatlich kontrolliertes Händlernetz.

Der dritte Einwand ist ordnungspolitisch: Eine Verstaatlichung wäre zwar durch die Verfassung gedeckt. Artikel 15 des Grundgesetzes lautet: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."

Eine solche den Prinzipien der Marktwirtschaft zuwiderlaufende Maßnahme wäre ein ordnungspolitisch schwerwiegender Schritt, der nur dann gerechtfertigt wäre, wenn er für die Gesellschaft tatsächlich eindeutige Vorteile bringen würde. Das ist aber — siehe oben — nicht der Fall. Zu bedenken wäre in diesem Zusammenhang auch, daß eine Nationalisierung die preispolitischen Begleiterscheinungen der Olprobleme nicht automatisch löst, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Dort wurden die Benzinpreise mit am stärksten erhöht, und das, obwohl Frankreich über einen staatlich kontrollierten Olkonzern verfügt. Dennoch kann es in der gegenwärtigen Situation nur nützen, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen würden, daß die Mineralöl-versorgung im besonderen und die Energiepolitik im allgemeinen staatlich kontrolliert wird. Der französische Autofahrer muß zwar mit den höchsten Benzinpreis in Westeuropa zahlen, weiß aber, daß die Einnahmen für Zwecke verwendet werden, die den Interessen seines Landes dienen.

Diese Gewißheit besteht für den deutschen Autofahrer nicht in diesem Ausmaß. Wenn er an einer Tankstelle Benzin ersteht, dann weiß er nur, daß er damit — und darauf verweisen die Mineralölgesellschaften immer wieder — auch Investitionen der Muttergesellschaft mitfinanziert. Bisher ging man davon aus, daß Investitionen der Wirtschaft auch der Allgemeinheit nützen. Seitdem aber Unternehmen in eine Größenordnung hineingewachsen sind, die alle nationalen Fesseln sprengen, seitdem also multinationale Unter nehmen entstanden sind, ist man nicht mehr so sicher, ob die Geschäftspolitik der «Mu tis" sich mit den Interessen der davon betrof jenen Nationalstaaten deckt. Um noch einmal Anthony Sampson zu zitieren’ „Zweifellos haben die Häupter der großen multinationalen Konzerne einige der früheren Privilegien nationaler Führer übernommen. Die alten Theorien von einem freien Handel, der zwischen Nationen abgewickelt wird, sind beiseite gefegt worden, denn die multinationalen Großunternehmen schaffen innerhalb von Staaten neue, andersgeartete Grenzen, über die hinweg sie Güter von einem Teil ihres Imperiums in einen anderen transferieren, wobei sie von nationalen Restriktionen, Zöllen und Kontingentierungen weitgehend unabhängig sind. Darüber hinaus besteht ein wachsender Anteil der Exporte der entsprechenden Länder aus Güterströmen von einer Tochtergesellschaft eines Großkonzerns zu einer anderen, so daß die Staaten hinsichtlich ihrer Zahlungsbilanz von den multinationalen Großunternehmen abhängig sind."

Mit anderen Worten: Die Einnahmen der internationalen Mineralölkonzerne belasten die Zahlungsbilanz der Bundesrepublik, soweit sie an die Muttergesellschaften abgeführt werden — bei einem nationalen Energiekonzem wäre dies zunächst nicht der Fall. Nun könnte man — siehe oben — sagen, die Muttergesellschaften finanzieren damit ihre Investitionen zur Erschließung neuer Erdölvorkommen. Das ist sicher richtig; aber ob die Früchte dieser Investitionen ausgerechnet den Autofahrern der Bundesrepublik zugute kommen werden, ist, wie bereits angedeutet, angesichts der Struktur dieser Konzerne höchst ungewiß: O 1 aus den neuerschlossenen und den bekannten Quellen wird nur dann in die Bundesrepublik fließen, wenn die Preissituation dafür günstig ist. Das heißt: bei gegebener Abhängigkeit von internationalen Mineralölkonzemen ist eine reibungslose Ölversorgung nur zu Höchstpreisen gesichert, wie dies übrigens auch die ersten Erfahrungen, die man nach Ausbruch der Ölkrise sammeln konnte, bestätigen.

Diese Unsicherheiten bestünden bei einem nationalen Energiekonzern weniger. Die Früchte der Investitionen eines nationalen

Energiekonzerns zur Erschließung neuer Ölquellen würden in jedem Falle der eigenen Volkswirtschaft zugute kommen. Zu berücksichtigen wäre auch der Gesichtspunkt, daß ein nationaler Energiekonzern die Erträge aus dem Benzin-und Heizölgeschäft nicht unbedingt in Investitionen zur Erschließung neuer Ölquellen stecken muß, sondern auch zur Entwicklung neuer Energieträger, über deren Notwendigkeit kein Zweifel besteht, verwenden kann.

Insgesamt bietet also ein staatlich kontrollierter nationaler Ölkonzern bessere energiepolitische Perspektiven als die Abhängigkeit von multinationalen Mineralölgesellschaften. Da — wie oben gezeigt — eine Verstaatlichung der Mineralölgesellschaften zur Zeit nicht opportun und praktikabel ist, hat die Bundesregierung die richtige Richtung eingeschlagen, um mittel-oder langfristig eine neue Lage zu schaffen, indem sie sich zum schrittweisen Aufbau eines nationalen Energiekonzerns entschloß, die Fusion VEBA-Gelsenberg, gegen die vom Bundeskartellamt noch Einwände erhoben worden waren, soll — nach übereinstimmender Auffassung aller Parteien im Bundestag — stattfinden und ist inzwischen auch vom Bundeswirtschaftsministerium „aus übergeordneten Gründen“ genehmigt worden. 6. Die marktwirtschaftliche Lösung Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, daß ordnungspolitische Bedenken nicht geltend gemacht werden (außer vom Bundeskartellamt), obwohl mit dem Verbund VEBA-Gelsenberg Wettbewerbsbeschränkungen unbestreitbar gegeben sind. Als Begründung für die Korrektur der Entscheidung des Bundeskartellamtes durch das Bundeswirtschaftsministerium wurde das „überragende Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren Energieversorgung" genannt

Marktwirtschaftliche Prinzipien sind also kein Selbstzweck, sondern sie finden dort ihre Grenzen, wo sie in Konflikt mit den „über-ragenden Interessen der Allgemeinheit“ geraten. Bleibt also festzuhalten: Auf dem Gebiet der Energieversorgung ist die Bundesrepublik, auf dem Wege, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und den staatlichen Einfluß zu verstärken. Ordnungspolitisch bedeutet dies einen weiteren Schritt weg von marktwirtschaftlichen Prinzipien; ein wesentlicher Schritt wurde bereits mit der Gründung der Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG getan.

Zu berücksichtigen wäre auch, daß die Elektrizitätsversorgung bereits überwiegend Aufgabe der öffentlichen Hand, sprich: der Kommunen, ist. (Auch das Rheinisch-Westfälische-Elektrizitätswerk befindet sich, obwohl privatwirtschaftlich als AG konzipiert, überwiegend im Besitz der öffentlichen Hand.)

Ferner bleibt festzuhalten: Ungeachtet der immer stärkeren staatlichen Beeinflussung und Durchdringung der Energieversorgung der Bundesrepublik sollen die durch die veränderte Energieversorgung bereits eingetretenen oder sich abzeichnenden strukturellen und konjunkturellen Probleme „marktwirtschaftlich" gemeistert werden. Was das bedeutet, läßt sich sehr eindringlich am Preisindex für die Lebenshaltung ablesen (im Februar 1974 plus 7, 6 Prozent über dem Vorjahresstand) .

Die Konsequenz ist logisch: Wenn man die mengenmäßige Versorgung mit Rohöl durch Höchstpreise sichert, muß dies zwangsläufig das gesamte Preisniveau in die Höhe treiben. Untersuchungen des Münchner Ifo-Instituts haben ergeben, „daß bei einer Erhöhung der Rohölpreise auf annähernd das Dreifache das Preisniveau des privaten Verbrauchs um etwa 4 Prozent steigt" Zu berücksichtigen ist ferner, daß auch die Importpreise insgesamt rapide steigen — allein im Februar dieses Jahres um fast 33 Prozent. Da im gleichen Monat die industriellen Erzeugerpreise schon um über 10 Prozent über dem Vorjahresstand lagen, konnten die Preisprognosen der Bundeswirt-Schaftsministeriums oder des Ifo-Instituts der Realität nicht entsprechen.

Die Jahresprojektion im Jahreswirtschaftsbericht wies für dieses Jahr ursprünglich Preissteigerungen zwischen 8 und 9 Prozent aus -Zahlen, die inzwischen korrigiert worden sind; korrigiert auch wegen der Einkommens-entwicklung, die ebenfalls über der vom Wirtschaftsministerium für 1974 prognostizierten Steigerungsrate von 8, 5 bis 9, 5 Prozent für Lohne und Gehälter liegen wird. Damit ist nicht gesagt, daß ein direkter zwingender Zusammenhang zwischen Lohnerhöhungen und Preiserhöhungen besteht. Aber auch der Umkehrschluß, wonach Lohnerhöhungen preispolitisch neutral sind, wäre nicht korrekt; Lohnerhöhungen wirken als Kostenfaktor und über die Nachfrage auf die Preisentwicklung ein. Entscheidend für die Preisentwicklung desJahres 1974 aber dürfte vor allem sein: Zweistellige Lohnerhöhungen schaffen in einer Situation, in der das Preisbarometer ohnehin nach oben gerichtet ist, psychologisch ein Preisklima, das es der Unternehmerseite leicht machen könnte, Preiserhöhungsspielräume extensiv zu nutzen. Die Folge wären Preiserhöhungen, die in keiner Weise mit gestiegenen Löhnen zu rechtfertigen sind, die aber die Gewerkschaften zu noch höheren Lohnforderungen veranlassen würden.

Mit einem Wort: Die Gefahr, daß sich Preise und Löhne und Löhne und Preise immer rascher hinaufschaukeln, war zu Beginn 1974 akuter denn je. Gründe für die Gewerkschaften, ihre Lohnforderungen so hoch wie möglich zu schrauben, gab und gibt es genug. Lohnverzicht — das zeigte sich im Jahre 1973 nun recht eindrucksvoll — ist keine Garantie für Stabilitätsgewinn. Audi die Preise stiegen stärker als prognostiziert. Darüber hinaus hat der rapide Anstieg der Benzin-und Heizöl-preise die Lohnforderungen ebenso beeinflußt wie generell die Befürchtung, daß eine Preis-welle bevorsteht, die zwar niedriger sein wird als der Preisanstieg im Ausland, aber höher als alle Steigerungsraten seit dem KoreaKrieg. Die Frage ist, ob das insgesamt verteuerte Angebot auf eine entsprechende Nachfrage trifft Wie oben dargelegt wurde, war zu Jahresbeginn 1974 diese Konstellation nicht gegeben; strukturelle Probleme wurden durch die konjunkturelle Talfahrt verschärft. Inzwischen sind aber Maßnahmen ergriffen worden, die geeignet sind, sowohl die konjunkturelle Talfahrt zu stoppen als auch die mit dem Ausbruch der Ölkrise sichtbar gewordenen strukturellen Verwerfungen zu verdekken. Oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik in allen Industrieländern ist eben die Vollbeschäftigung, und für dieses Ziel nimmt man Entwicklungen in Kauf, die zu korrigieren später mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein dürften. Ganz konkret: Eine Vollbeschäftigungspolitik verhindert zwar eine konjunkturelle Talfahrt, führt aber zu einer Verkrustung überholter wirtschaftlicher Strukturen, verschiebt also die grundsätzlich unvermeidliche Strukturbereinigung in eine fernere Zukunft.

Zu den Maßnahmen zur Sicherung der Vollbeschäftigung, die als Nebenwirkung eben zu einer Konservierung der überkommenen Strukturen beitragen, gehören die Wiedereinsetzung des § 7 b zur Wohnungsbauförderung, die Aufhebung der Investitionssteuer, die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung sowie Strukturförderungsprogramme in Höhe von 600 Millionen DM.

Diese Maßnahmen helfen vor allem der BauWirtschaft. Die oben geschilderten Fehlentwicklungen in dieser Branche werden zunächst nicht korrigiert.

Inzwischen fiel auch das Sonntagsfahrverbot, und unter dem Eindruck der im Winter aufgetürmten Autohalden kam auch eine lebhafte Diskussion über die Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung in Gang — mit Erfolg, wie sich zeigte. Die Absatzchancen für die Automobilindustrie sind wieder günstiger geworden; die Preise steigen hier jetzt wieder auf breiter Front. Angesichts dieser Konstellation (Zementierung der bestehenden wirt-— schaftlichen Strukturen bei wieder steigender Nachfrage und verschärftem Preisauftrieb) ist auf absehbare Zeit der Weg für eine weitere Energieverschwendung mit beängstigender . Konsequenz vorgezeichnet. Dies um so mehr, als immer häufiger zu hören ist, eine Ölkrise habe es in Wirklichkeit gar nicht gegeben, womit auch die Rechtfertigung für eine Fortsetzung der überkommenen Produktions-und Konsumtionsgewohnheiten gegeben wäre. In merkwürdigem Gegensatz dazu steht die weitverbreitete Hoffnung, die erdölproduzierenden Länder würden die Preise wieder senken. So wünschenswert dies wäre, die Aussichten dafür erscheinen mehr als gering. Denn bei anhaltend hoher und in der Tendenz sogar steigender Nachfrage nach Rohöl (die übrigen Industrieländer betreiben ja eine ähnliche Politik wie die Bundesrepublik) besteht für die erdölproduzierenden Länder nicht die geringste Notwendigkeit, die Preise zu senken. Im Gegenteil: Da die Nachfrage weiter steigt und da die Importe aus den Industrieländern immer teurer werden, müßte sogar die Neigung wachsen, die Rohöl-preise weiter und solange zu erhöhen, bis sie die Preise von Konkurrenzprodukten (z. B. Benzin und Heizöl aus Olsand oder Kohle) erreicht haben.

Für die nächste Zukunft jedenfalls besteht die Gefahr, daß sich die Rohölpreise und die Preise für Industrieerzeugnisse immer höher schaukeln — mit unabsehbaren Folgen —, während die Olvorräte mehr und mehr schrumpfen. Sicherheit für stabile Rohölpreise gibt es nach den Beschlüssen der OPEC-Länder nur bis zum 1. Juli 1974. Mit anderen Worten: Die marktwirtschaftliche Lösung, wie sie jetzt praktiziert wird, hat kurzfristig den Zustand vor Ausbruch der Ölkrise wieder herbeiführen können. Jedoch mit einem Unterschied: der Preisanstieg hat sich weiter erheblich verschärft. Die Energieprobleme aber und die damit verbundenen Strukturprobleme werden in die Zukunft verlagert, verlagert und vergrößert — vergrößert durch das Brennglas der Inflation.

IV. Lösungsversuch mit neuem Denkansatz

1. Begrenzung der ölimporte Es stellt sich die Frage, ob die Wirtschaftspolitik sich nicht schon jetzt auf den Tatbestand einstellen sollte, daß die Ölversorgung im besonderen und die Rohstoffversorgung im allgemeinen in Zukunft immer schwieriger wird. Bei Ausbruch der Ölkrise war, bedingt durch den Ölboykott der arabischen Erdölproduzenten, die Ölversorgung eher ein Mengenproblem (wieweit die Mineralölkonzerne dazu beigetragen haben, sei hier dahingestellt). Inzwischen, nach Lockerung des Embargos und Erhöhung der ölpreise, ist die Ölversorgung, wie erwähnt, ein Preisproblem. In Zukunft könnte die Ölversorgung leicht sowohl ein Preis-als auch ein Mengenproblem werden. Zu prüfen wäre deshalb die Überlegung, ob man nicht die gegenwärtigen Preisprobleme und zukünftigen Preis-und Mengenprobleme durch Beschränkung des Rohölverbrauchs begrenzen sollte.

Das heißt: Nach den Gesetzmäßigkeiten des Marktes verringert sich die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die erdölproduzierenden Länder die Preise weiter heraufsetzen, wenn der Rohölbedarf stagniert oder gar rückläufig wäre. Im zweiten Falle wäre sogar die Voraussetzung für Preissenkungen gegeben. Da man inzwischen erkannt hat, in welchem Maße die Rohölpreise bei der derzeitigen abhängigkeit der Volkswirtschaft vom Rohstoff Erdöl das allgemeine Preisniveau beeinflussen, kann eine Tendenzwende in der Preisentwicklung am ehesten von der Entwicklung der Rohölpreise her eingeleitet werden. Eine Tendenzwende in der Preisentwicklung wäre wiederum geeignet, das soziale Klima zu entschärfen und das Bewußtsein für die wichtigste Zukunftsaufgabe, die Entwicklung neuer Energieträger, zu schärfen. 2. Verzicht auf Wachstum Begrenzung oder gar Reduzierung des Rohöl-bedarfs bedeutet aber bei der gegenwärtigen Abhängigkeit vom Rohöl Verzicht auf Wirt-B schaftswachstum und damit zunächst Ali schied vom überkommenen Wohlstandsder ken oder besser: Wohlstandssteigerungsder ken. Verzicht auf Wirtschaftswachstum er scheint auch heute noch vielen ungewöhn lieh, obwohl man damit eine Reihe von Problemen bewältigen könnte. Der Verteilungskampf zwischen den sozialen Gruppen wird entschärft, weil bei Nullwachstum die Einsicht dafür wachsen würde, daß man nicht mehr verteilen kann, als produziert wird. Die sich von der Einkommensentwicklung ableitenden inflationären Impulse würden entfallen. Für die Wirtschaftspolitik würde es leichter, den Preisauftrieb unter Kontrolle zubekommen.

Vermindern würde sich auch die Gefahr eine baldigen weltweiten Rohstoffverknappung Der besorgniserregende Preisanstieg auf der Rohstoffmärkten (nicht nur beim Rohöl!) is eine erstes und ernstes Signal für eine weit weite Rohstoffkrise. Geringer würden auch die ökologischen Probleme. Jedes Prozent mehr Wachstum macht in den Iindustrieländern zusätzliche, überproportional steigende Investitionen zur Beseitigung von Umweltschäden notwendig. Verzicht auf Wachstum würde solche zusätzlichen Investitionen überflüssig machen, würde dazu führen, daß man diese Mittel für die Entwicklung neuer Energieträger und Produktionsstrukturen bereitstellen könnte.

Je mehr Industrieländer freiwillig auf eine Wachstumspolitik verzichten, um so günstiger auch die Möglichkeiten für die Entwicklungsländer, die Rohstoffressoucen für sich zu nutzen und damit die eigene wirtschaftliche Position zu verbessern. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen Industrie-und Entwicklungsländern würde nicht mehr, wie in den vergangenen Jahren, weiter zu-, sondern eher abnehmen.

Der Verzicht auf Wirtschaftswachstum würde also preispolitische, ökologische und entwich lungspolitische Probleme entschärfen und 61 ner weltweiten Rohstoffkrise vorbeugen. Ein weiterer, für die wirtschaftliche Zukunft der Industrieländer entscheidender Vorteil käme hinzu. Verzicht auf Wachstum, Nullwachstum, bedeutet ja keineswegs Stillstand, Stagnation, Verzicht auf technischen Fortschritt, Armut. Im Gegenteil: Verzicht auf Wachstum würde die notwendigen Antriebe freisetzen für neue Entwicklungen im kulturellen, technologischen und auch ökonomischen Bereich.

Der Club of Rome hat sich in dem Buch »Grenzen des Wachstums" eingehend dazu geäußert. Was nun den wirtschaftlichen und technologischen Bereich anbelangt: Während eine Wachstumspolitik, wie oben gezeigt, dazu beiträgt, überholte wirtschaftliche Strukturen zu zementieren, schafft Wachstumsverzicht die Möglichkeit für die genau entgegengesetzte Entwicklung: Umstrukturierung der Produktionskapazitäten und der Industrieprodukte. Einige Wirtschaftszweige, wie die Elektrotechnik, würden wachsen, andere, wie etwa die Bauwirtschaft, schrumpfen. Energie-verzehrende Produktionsmethoden könnten ersetzt werden durch energiesparende Produktionsmethoden; Energieverschwendung im Konsumbereich würde reduziert — z. B. Automobile mit hohem Benzinverbrauch würden vom Markt verschwinden —; aufwendige Verpackungen aus Kunststoffprodukten würden überflüssig.

Mit anderen Worten: Verzicht auf Wachstum könnte wieder dazu führen, daß man das in Vergessenheit geratene ökonomische Prinzip wieder stärker beachtet, das da lautet: mit gegebenen Mitteln einen maximalen Erfolg oder einen vorgegebenen „Erfolg", sprich ein bestimmtes Sozialprodukt, mit einem Minimum an Aufwand zu erzielen, oder ganz konkret: ein bestimmtes Sozialprodukt mit einer sinkenden Menge von Rohöleinfuhren zu erwirtschaften.

Verzicht auf Wachstum — dieser Vorschlag klingt, wie erwähnt, ungewöhnlich. Aber wenn man die Wirtschaftsgeschichte betrachtet, wird man feststellen, daß Wachstumsperioden nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme sind. Man wird feststellen, daß nicht so sehr das Wachstum der Motor des Fortschritts, insbesondere des technologischen Fortschritts ist, sondern eine Mangellage. Und wo Wachstum und technologischer Fortschritt gekoppelt waren wie in den sechziger Jahren, führten beide weg vom ökonomischen Prinzip, produzierte die Verschwendung eine Mangellage, die es notwendig erscheinen läßt, auf Technologien, die auf Verschwendung konzipiert sind, zu verzichten und neue, bessere zu entwickeln.

Diese Aussagen erinnern an den vielzitierten und wenig glücklichen Spruch vom Krieg als „Vater aller Dinge". Bei genauerer Betrachtung zeigt sich indes, daß nicht der Krieg, sondern die durch Kriege erzeugten Mangellagen zu technologischen Fortschritten führten. Um es noch einmal zu wiederholen: Je mehr Staaten dazu übergehen, die Rohstoffe, und unter ihnen insbesondere das Rohöl, als Mangelware zu begreifen und nicht als Ware, die man in beliebiger Menge bekommt, sofern man nur bereit ist, jeden Preis dafür zu zahlen, um so günstiger die Voraussetzungen dafür, daß die vom Club of Rome prophezeite Rohstoffkrise und der ökonomisch und ökologische weltweite Zusammenbruch nicht eintritt; um so günstiger auch die Chancen dafür, daß anstelle des auf Energieverschwendung programmierten technischen und wirtschaftlichen Fortschritts energiesparender Fortschritt tritt. 3. Umschichtung der Produktionsmethoden und Warenströme durch pretiale Lenkung Nun werden die oben geschilderten Prozesse nicht über Nacht und schon gar nicht im „Selbstlauf" eintreten, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Es stellt sich deshalb die Frage, mit welchen Mitteln diese Prozesse eingeleitet und beschleunigt werden können. Soll der Staat etwa durch Investitionslenkung, durch Preis-und Lohnkontrollen, durch eine staatlich finanzierte Forschung, kurzum mit planwirtschaftlichen Mitteln operieren oder die vielzitierten Kräfte des Marktes mobilisieren?

Nun, weder eine Planwirtschaft noch eine Planification nach französischem Muster noch die westdeutsche marktwirtschaftliche Tradi35 tion (siehe oben) scheinen geeignet, neue Wege zu markieren.

Es erscheint deshalb notwendig, in der Diskussion über die Marktwirtschaft ideologischen Ballast, der sich seit 1948 angesammelt hat, abzuwerfen, und die Marktwirtschaft nicht mehr als Wirtschaftssystem zu begreifen, in dem bestimmte soziale Gruppen sich auf Kosten anderer zu bereichern versuchen, in dem steigende Umsätze und größere Marktanteile Hauptziele unternehmerischer Tätigkeit sind, kurz: in dem Macht und nicht mehr Leistung belohnt wird, sondern als System mit genau umgekehrtem Vorzeichen, in dem nicht Macht (z. B. von Pressure groups oder in Form von Marktmacht), sondern die bessere Leistung zu höherem Erfolg verhilft.

Eine solche Umorientierung ist nicht von heute auf morgen möglich, aber die Weichen dafür könnten jetzt gestellt werden, und zwar auf dem Wege der Konjunktur-, der Steuer-und vor allem der Preispolitik.

Zur Konjunkturpolitik: Es erscheint wenig sinnvoll, die Nachfrage in solchen Wirtschaftsbereichen zu erhalten oder gar zu beleben, die sich auf die neue Energiesituation noch nicht eingestellt haben: z. B. die Automobilindustrie, die Bauwirtschaft, teilweise auch die Chemieindustrie (s. dazu Kapital II. 2.). Die Folge wäre strukturelle Arbeitslosigkeit, wie man sie jetzt schon zum Teil verzeichnet, freilich in vermehrtem Umfang. Um hier soziale Härten zu vermeiden, müßte überprüft werden, ob das jetzige System der sozialen Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit ausreicht. Neu zu überdenken wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnpn und Landstraßen.

Zur Steuerpolitik: Insbesondere die Erfahrungen, die man in den fünfziger Jahren sammeln konnte, zeigen, welche ökonomischen Prozesse mit Hilfe der Steuerpolitik ausgelöst werden. Damals hat die steuerliche Begünstigung der Selbstfinanzierung unbestritten zum vielzitierten „Wirtschaftswunder“ beigetragen (allerdings auch zu einer ungerechten Vermögensverteilung — eine Entwicklung, die man heute verhindern könnte).

Es wäre zu überlegen, ob man jetzt mit Hilfe von Steuervergünstigungen energiesparende Investitionen und/oder Investitionen zur Entwicklung neuer Energieträger fördert etwa nach dem Muster der 7er Paragraphen des Einkommensteuergesetzes in den fünfziger Jahren, mit denen Wohnungsbau, Schiffbau u. ä. gefördert wurde. Steuervergünstigungen bieten sich insbesondere wiederum im Wohnungsbau an, und zwar für solche Bauten, in denen die Wärmeisolierung verbessert und neue, sparsamere Heizsysteme verwendet wurden. Das würde darüber hinaus dazu beitragen, die in diesem Bereich auftretenden Strukturschwierigkeiten zu überwinden. Ähnliches wäre auch für d: Automobilindustire denkbar, etwa in Form von Steuervergünstigungen für die Entwicklung von Elektromotoren. Man könnte auf dem Gebiet der Steuerpolitik sogar noch einen Schritt weiter gehen und Produktionsmethoden und die Produktion von Konsumgütern, die auf Energieverschwendung konzipiert sind, steuerlich zu bestrafen. Insgesamt bietet also die Steuerpolitik ein erhebliches Arsenal von Möglichkeiten, auf marktwirtschaftlichem Wege Prozesse einzuleiten und Initiativen auszulösen, die dazu beitragen, die gegenwärtigen und zukünftigen Schwiergkeiten zu überwinden.

Beides, die Konjunkturpolitik und die Steuerpolitik, sollte letztlich aber nur die Ergänzung für Maßnahmen sein, die man mit dem in der Betriebslehre bekannten Begriff „pretiale Lenkung“ umschreiben kann. Der Begriff wurde von Eugen Schmalenbach, einem der „Väter" der Betriebswirtschaftslehre, geprägt und besagt, daß man mit dem (innerbetrieblichen! Preis, der von den betriebsexternen Preisen, also von den Einkaufspreisen abweichen kann, betriebsinterne Vorgänge lenken kann. Güter und Dienstleistungen werden auf einem innerbetrieblichen „Markt" zu Preisen angeboten, die sich auf Grund des Wettbewerbs der Betriebsteile, Kostenstellen und Abteilungen um die Güter und Dienstleistungen bilden Wie sähe nun die „pretiale Lenkung" auf volkswirtschaftlicher Ebene aus? Wenn oben festgestellt wurde, daß mit Hilfe der Steuerpolitik wirtschaftliche Aktivitäten ausgelöst -oder behindert — werden können, so gilt dies in weit größerem Umfange für die Preispolitik. Das heißt nicht, daß der Staat, oder genauer: die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger des Staates alle Preise oder die Preise einer Reihe von Schlüsselprodukten festsetzen oder kontrollieren, sondern nur einen ganz bestimmten Preis, nämlich den für den Energieverbrauch. Die Preise für den Energieverbrauch würden also unabhängig von den Weltmarktpreisen auf die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten hin „ausgerichtet'. Dies wäre freilich in großem Rahmen nur unter einer Voraussetzung möglich, die oben bereits beschrieben wurde: Notwendig ist die Errichtung eines nationalen Energiekonzerns (die ersten Schritte dafür wurden, wie schon dargelegt, eingeleitet), der den „Energiemarkt“ des Landes kontrolliert. In Teilbereichen könnte man jetzt schon damit einen Anfang machen: beim Verbrauch von Elektrizität, deren Erzeugung ja bereits jetzt im wesentlichen Sache der Kommunen, also der öffentlichen Hand, ist. Denkbar wäre hier eine genau umgekehrte Preispolitik, wie sie bisher betrieben wurde: Nicht Rabatte für Mengen-verbrauch, sondernn gestaffelte, steigende Preise für den Mehrverbrauch.

Beim Verbrauch von Elektrizität ließe sich ein solches Preissystem noch relativ einfach einführen, weil hier die öffentliche Hand die Preise bestimmt. Schwieriger ist es bei den Preisen für Mineralöl und Mineralölprodukten, weil hier noch die Preisführerschaft bei den privaten Mineralölkonzernen liegt. Deren Interesse besteht darin, möglichst viele Mengen zu möglichst hohen Preisen zu verkaufen. Das öffentliche Interesse aber gebietet im Idealfall den Verbrauch möglichst niedriger Mengen zu möglichst niedrigen Preisen. Das wurde bei Mineralölprodukten auf ein nach yerbrauch gestaffeltes Preissystem hinauslaufen, eine geradezu ideale Möglichkeit, sotiale und ökonomische Erfordernisse auf einen Nenner zu bringen: relativ niedrige Benzin-und Heizölpreise für „lebensnotwendigen" Grundbedarf, progressiv ansteigende Preise für Mehr-und Luxusbedarf. Ein solches vom Verbrauch her bestimmtes Preissystem würde also den Bedürfnissen einkommensschwacher Schichten Rechnung tragen und jene sozialen Gruppen zur Ader lassen, die auf Mehrverbrauch nicht glauben verzichten zu können. Letztlich wäre ein solches Preissystem geeignet, den privaten Verbrauch von Mineralölerzeugnissen zu drosseln. Ähnliches gilt für den industriellen Sektor. Gestaffelte Preise würden auch den Nachteil von staatlich fixierten Höchstpreisen verhindern, nämlich die Entstehung von grauen und schwarzen Märkten. Voraussetzung dafür ist, dieses sei noch einmal betont, daß ein staatlich kontrollierter Energiekonzern die Preis-führerschaft übernimmt. Es hängt jetzt von den Aktivitäten der Bundesregierung — auch auf außenpolitischem Gebiet — ab, wie schnell oder wie langsam dies zu erreichen ist.

Ein System gestaffelter Preise auf dem Energie-und Rohölsektor unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der bisherigen „marktwirtschaftlichen" Preisbildung, ohne daß man es als „antimarktwirtschaftlich" einstufen könnte. Während bei der konventionellen Preisbildung der letzte, der Spitzenverbrauch, das Preisgefüge beeinflußt also zu hoher Verbrauch einzelner die Preise für alle in die Höhe treibt, für Energieverschwender ebenso wie den sparsamen Konsumenten, trifft ein gestaffeltes Preissystem nur diejenigen, die ihren Bedarf steigern.

Ein solches Preissystem entspricht also nicht den überkommenen Vorstellungen von Marktwirtschaft, erweist sich aber bei genauer Prüfung als Marktwirtschaft „in Potenz": 1. Es entspricht dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, daß knapper werdende Güter teurer werden, um die Nachfrage zu senken. Es unterscheidet sich vom herkömmlichen Preissystem aber dadurch, daß nur diejenigen einen höheren Preis zahlen, die mehr verbrau-chen, und nicht diejenigen, die sparsam wirtschaften. 2. Es entspricht dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, daß die Preisentwicklung die Richtung der Güterströme bestimmt. Dieses neue Preissystem wäre noch besser geeignet, die Güterströme in einer volkswirtschaftlich optimalen Weise zu kanalisieren, indem es nur dort die Güterströme umdirigiert, wo Verschwendung beginnt.

3. Es entspricht dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, daß Wettbewerb eine optimale Kombination der Produktionsfaktoren bewirkt. Anders aber und besser als mit dem jetzigen Preissystem entstünde bei dem hier vorgeschlagenen Verfahren nicht ein Wettbewerb um höhere Produktion, Umsätze und Marktanteile, sondern um sparsamen Verbrauch; dies einfach deshalb, weil Minderverbrauch geringere Kosten und damit höheren Gewinn verspricht. Und die Aussicht auf höheren Gewinn ist immer noch wirksamer Antrieb zu höherer und besonderer Leistung. Im

Konkurrenzkampf wird die Wettbewerbspo tion derjenigen Unternehmen gestärkt, d durch sparsamen Verbrauch Preisvorteile e wirtschaften.

Die Vorteile eines solchen Systems nach Verbrauchsmengen gestaffelter Preise liegen auf der Hand. Nicht unproblematisch scheint jedoch die praktische Verwirklichung.

Aber wenn es bisher möglich war, daß es f Mehrverbrauch Preisrabatte gab, müßte au der umgekehrte Weg möglich sein, nämli Preisaufschläge für Mehrverbrauch einzufü ren. Vielleicht ist diese Form der Preisgesta tung gemessen an den bisherigen Maßstäbe zu „dirigistisch". Aber niemand kann behaupten, daß damit die private initiative erdrosselt wird. Im Gegenteil: Hier besteht die Möglichkeit, die Kongruenz von privatem Gewinnstrben und Gemeinwohl, die in der Theorie der MArktwirtschaft immer vorausgesetzt , der Praxis jedoch oft nicht erreicht wurde wieder herzustellen.

Zum Artikel „Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes — Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung" von Fritz Vilmar weisen Verlag und Redaktion des „Deutschland-Magazins" darauf hin, daß dessen Bezeichnung als „rechtsradikal“ bereits mehrmals gerichtlich untersagt worden ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. S. Energiebericht der Bundesregierung. Deutscher Bundestag, 7, Wahlperiode, Drucksache 7/1057, 3. 10. 1973.

  2. Wilhelm Haferkamp, Grundzüge einer Energie-Politik in der Europäischen Gemeinschaft, in: Europa-Archiv, Zeitschrift der Deutschen Gesell-Sdtaft für Auswärtige Politik, 24. Jahr, 25. Februar 69, 4. Folge, Sonderdruck.

  3. Heinz Reintges, Energiewirtschaft und Energie-politik, in: Glückauf, Zeitschrift für Technik und Wirtschaft des Bergbaus, Nr. 10, 1972.

  4. H. Burckhardt, Die Versorgung der modernen Wirtschaft mit mineralischen Rohstoffen, in: Berg-und Hüttenmännische Monatszeitschrift, 117. Jahrgang, Juni 1972, Heft 6.

  5. Energiebericht der Bundesregierung, a. a. 0. S

  6. Ebenda, S. 4.

  7. Nadi Mitteilung der Arabischen Liga in Bonn.

  8. Aktuelle Olprobleme aus der Sicht der OPEC, Vortrag des Generalsekretärs der OPEC, Dr. Abderrahman Khene, gehalten am 28. 9. 1973 in Wien, in: Gesprächskreis Wirtschaft und Politik der Friedrich-Ebert-Stiftung.

  9. Die Zeit, Nr. 7, 8. 2. 1974, S. 9 ff.

  10. Aktuelle Olprobleme, a. a. O.

  11. Bundesministerium für Wirtschaft, Leistung in Zahlen, 22. Auflage, August 1973.

  12. Leistung in Zahlen, a. a. O.

  13. Leistung in Zahlen, a. a. O.

  14. Leistung in Zahlen, a. a. O.

  15. S. Vorwärts, Nr. 52, 27. 12. 1973.

  16. Aktuelle Olprobleme ..., a. a. O.

  17. S. PS, Shell-Zeitung für Autofahrer, Dezember 1973, Zeitungsbeilage.

  18. Sondergutachten des Sachverständigenrates Zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Ölkrise", Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/1456, 19. 12. 1973.

  19. HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg, Konjunktur von morgen, Nr. 401, 20. 12. 1973, 16. Jahrgang.

  20. Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Bau-Konjunkturspiegel, hrsg. am 19. 12. 1973.

  21. Unternehmerbrief des Instituts der Deutschen " irtschaft, Jg. 24 — Nr. 1, 3. 1. 1974.

  22. Süddeutsche Zeitung, 30. 1. 1974, S. 19.

  23. VWD (Vereinigte Wirtschaftsdienste) Wirtschaftsspiegel, Nr. 11/74, Frankfurt am Main, Montag, den 14. 1. 1974.

  24. S. dazu auch HI. 5. und 6.

  25. Handelsblatt, 25. 1. 1974 und laut ddp.

  26. Handelsblatt, 25. 1. 1974.

  27. Deutscher Bundestag, 73. Sitzung, Bonn, Don nerstag, den 17. 1. 1974, S. 4540.

  28. Anthony Sampson, Weltmacht ITT, Rowohlt-wetlag, Reinbek 1973, S. 129.

  29. Capital, Nr. 2/74, 3. Jahrgang.

  30. Deutscher Bundestag, a. a. O., S. 4539/4540.

  31. Weltmacht ITT, a. a. O., S. 104.

  32. S. „Die Welt", 5. 2. 1974, S. 11.

  33. Wirtschaftskonjunktur, Monatsberichte des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, München, Nr. 1, Januar 1974, 26. Jahrgang, S. 27.

  34. S. dazu Teil II. 2. dieser Arbeit.

  35. S. Dr. Gablers Wirtschafts-Lexikon, Fischer Bücherei.

  36. Siehe dazu S. 33.

Weitere Inhalte

Klaus Hofmeier, Dr. rer. pol., geb. 1937, Studium der Wirtschaftswissenschaften und politischen Wissenschaften in Göttingen, Kiel und Köln, seit 1969 Mitglied der Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunks, seit 1974 Wirtschaftskorrespondent des Deutschlandfunks in Bonn. Veröffentlichungen u. a.: „Ein Hearing ist kein Hering", Kompendium wirtschaftspolitischer Schlagworte, Köln 1972; Grundsatzfragen der Inflationsbekämpfung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/73.