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Humane Gestaltung des Arbeitslebens , Herausforderung für die Beschäftigungspolitik | APuZ 19/1974 | bpb.de

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APuZ 19/1974 Artikel 1 Humane Gestaltung des Arbeitslebens , Herausforderung für die Beschäftigungspolitik Betriebsdemokratie und Mitbestimmung in Schweden

Humane Gestaltung des Arbeitslebens , Herausforderung für die Beschäftigungspolitik

Ursula Engelen-Kefer

/ 46 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Gefährdung der Arbeitsplatzsicherheit infolge der Energiekrise, die kontinuierlichen Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur im Zuge des wirtschaftlichen und technischen Wandels sowie die Forderung nach Humanisierung der Arbeit stellen eine zunehmende Herausforderung für die Beschäftigungspolitik dar. . Dabei darf die Beschäftigungspolitik sich nicht — wie bisher — weitgehend in der Anpassung der Arbeitnehmer an die wirtschaftlich-technischen Bedingungen erschöpfen. Erforderlich ist vielmehr die Gestaltung des Arbeits-und Berufslebens unter Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer: Arbeitsplatzsicherheit verbunden mit Einkommenssicherung und befriedigenden Arbeitsbedingungen. Arbeitsplatzsicherheit ist in diesem Zusammenhang aufzufassen als ein Recht auf vollwertige, d. h.den persönlichen Eignungen und Neigungen der Arbeitnehmer entsprechende Beschäftigung mit angemessener Bezahlung, was im Einzelfall genau differenziert werden muß. Bei den Arbeitsbedingungen geht es nicht nur um eine befriedigende Gestaltung solcher ergonomischer Faktoren wie Lärm, Luft, Licht, Klima, Tempo, Arbeitszeit usw., sondern ebenfalls um eine Erhöhung der Selbstentfaltungsspielräume durch mehr Teilhabe an den Entscheidungen, welche die Arbeitssituation im engeren und weiteren Sinn beeinflussen. Wie empirische Untersuchungen für die Bundesrepublik zeigen, ist dieser gesellschaftspolitische Anspruch an die Arbeit noch keinesfalls erfüllt. Aus der Vielschichtigkeit der Beschäftigungsprobleme ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung eines gleichermaßen umfassenden Ansatzes für die Beschäftigungspolitik. Hierbei sind die öffentliche Beschäftigungspolitik sowie die innerbetriebliche Personal-und Sozialpolitik miteinander zu koordinieren.

I. Ausgangspunkt: Aktuelle Beschäftigungsprobleme in der Bundesrepublik

Rüdiger Bernd Wersich in Betriebsdemokratie und Mitbestimmung Schweden............................................. S. 25

Die These von der Massenarbeitslosigkeit infolge technischer Entwicklung — insbesondere der Automation — scheint durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt zu sein. Trotz fortschreitenden technischen Wandels lag die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik seit 1960 — mit Ausnahme der Rezessionsjahre 1966/67 — etwa um ein Prozent. Noch Anfang 1973 äußerte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Stingl, daß die Bundesrepublik im internationalen Vergleich der Arbeitslosigkeit die . Goldmedaille’ errungen habe. Zudem hat die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer seit Beginn der sechziger Jahre von etwa 300 000 auf derzeit über 2, 5 Millionen zugenommen. Somit ist zur Zeit etwa jeder zehnte Erwerbstätige in der Bundesrepublik ein Ausländer.

Eine erneute Gefahr für die Beschäftigung wird jedoch in der für viele Industrieländer seit Ende 1973 spürbaren Energiekrise gesehen. Zwar äußert sich die Energiekrise in der Bundesrepublik zunächst weniger in einer unzureichenden mengenmäßigen Versorgung als vielmehr in starken Preissteigerungen. Jedoch stellt sie ein Warnzeichen für die Beschäftigten insofern dar, als sie die generelle Knappheit an und Verteuerung von Rohstoffen deutlich werden läßt. Hieraus können sich beträchtliche Veränderungen in der Produktion und auch in der Beschäftigung ergeben. damit Das Risiko der Arbeitsplatzsicherheit ist damit erneut zu einem beschäftigungspolitischen Problem geworden. Gleichzeitig erscheinen die Probleme der Ausländerbeschäftigung in einem neuen Licht. Wurden sie bisher vorwiegend unter dem Aspekt des sozialen Schutzes sowie der Integration der ausländischen Arbeitnehmer gesehen, sind jetzt zusätzlich Ausmaß und Richtung internationaler Wanderungen in Frage gestellt.

Die Gefährdung der Arbeitsplatzsicherheit infolge der Energiekrise, die kontinuierlichen Verlagerungen in der Beschäftigungsstruktur im Zuge des wirtschaftlichen und technischen Wandels sowie die Forderung nach Humanisierung der Arbeit stellen eine zunehmende Herausforderung für die Beschäftigungspolitik dar. Dabei darf die Beschäftigungspolitik sich nicht — wie bisher — weitgehend in der Anpassung der Arbeitnehmer an die wirtschaftlich-technischen Bedingungen erschöpfen. Erforderlich ist vielmehr die Gestaltung des Arbeits-und Berufslebens unter Berücksichti-Da sich die bisherigen Arbeitsmarkttheorien primär an ökonomischen Zielen — Steigerung der privatwirtschaftlichen Kapitalrentabilität — ausrichten, bieten sie kaum Ansatzpunkte für eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik. Aufgabe dieses Beitrags ist es daher, alternative Ansätze für eine be-

schäftigungspolitische Konzeption zu entwikkeln. Neben derartigen theoretischen Überlegungen erfolgt eine differenzierte Analyse der Beschäftigungssituation für die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Auf der Grundlage des konzeptionellen Ansatzes sowie der sich aus der Situationsanalyse ergebenden Beschäftigungsprobleme werden Maßnahmen für eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik abgeleitet. gung der Interessen der Arbeitnehmer vor allem an der Arbeitsplatzsicherheit, verbunden mit einer Einkommenssicherung und befriedigenden Arbeitsbedingungen. Dieses Postulat nach einer menschlicheren Gestaltung der Arbeit ist ein wesentlicher Teilbereich der Diskussion um die Qualität des Lebens — als Gegenstück zu der bisherigen Wachstumsideologie, nach der das oberste Ziel eine Steigerung der Produktion privatwirtschaftlicher Güter sei. Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen hochindustrialisierten Ländern scheint sich allmählich die Erkenntnis durchzusetzen, daß ein vorrangig an privater Kapitalrentabilität orientiertes Wirtschaftswachstum zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Fehlentwicklungen führen kann, die u. a. auch negative Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer haben.

Zunächst sind in diesem Zusammenhang die kontinuierlichen Änderungen in den wirtschaftlich-technisch-organisatorischen Bedingungen der Arbeitsorganisation zu nennen, die zu Umschichtungen in der Beschäftigungsstruktur sowie der Leistungsanforderungen führen. Neben den bekannten Trends der Beschäftigungsverlagerung aus dem primären Sektor (Landwirtschaft, Bergbau) in den sekundären Sektor (Industrie) und schließlich in den tertiären Sektor (Dienstleistungen) sowie der damit verbundenen Abnahme des Anteils der Arbeiter und entsprechenden Zunahme des Anteils der Angestelltentätigkeiten finden ständig Veränderungen in den beruflichen Anforderungen innerhalb einzelner Wirtschaftszweige, Unternehmen, Betriebe, Berufe, Tätigkeitsmerkmale statt.

Allgemein gültige Aussagen über Ausmaß und Richtung derartiger Beschäftigungsänderungen sind kaum möglich. Allerdings lassen sich einige Auswirkungen dieser Beschäftigungsverlagerungen auf die Arbeitssituation erkennen, die für die Lebenslagen der betroffenen Arbeitnehmer besondere Bedeutung haben: Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang insbesondere die Tatsache, daß sowohl berufliche Herabstufungen als auch Heraufstufungen stattfinden, die insgesamt zu einer Polarisierung der Erwerbstätigen führen: auf der einen Seite Facharbeiter, deren erlernter Beruf infolge der wirtschaftlichen und technischen Wandlungen veraltet ist und die eine angelernte bzw. ungelernte Tätigkeit ergreifen müssen — auf der anderen Seite Arbeitnehmer, denen Aufstiegsmöglichkeiten geboten werden. Ebenso findet auch eine Polarisierung der Tätigkeiten selbst statt: Durch technischen Fortschritt können physisch belastende und monotone Tätigkeiten zwar beseitigt werden, insbesondere durch die Automatisierung gleichfalls können jedoch die psychischen Anforderungen zunehmen sowie durch Rationalisierung und weitere Arbeitszerlegung die Ar-beistbedingungen monotoner und restriktiver werden.

Während sich somit die Arbeitsbedingungen für einen Teil der Arbeitnehmer durchaus verbessern können — vorausgesetzt, daß diese sich an die geänderten Leistungsanforderungen rechtzeitig anzupassen vermögen —, wird sich die Arbeitssituation für andere Personengruppen verschlechtern. Hierbei dürfte es sich wiederum vor allem um Arbeitnehmer mit geringen beruflichen Anpassungschancen handeln, sei es, daß ihnen Bereitschaft und Fähigkeit hierzu fehlen, sei es, daß ihnen keine Qualifizierungs-und Anpassungsmöglichkeiten geboten werden. Wie die Erfahrung zeigt, handelt es sich hierbei wiederum vor allem um die sogenannten arbeitsmarktpolitischen Randgruppen: ältere Arbeitnehmer, Frauen oder mangelhaft Qualifizierte.

Insgesamt ist festzuhalten, daß wirtschaftlich-technisch-organisatorische Änderungen bisher fast ausschließlich unter ökonomischen Erwägungen — definiert als Orientierung an einzelwirtschaftlicher Kapitalrentabilität — vorgenommen wurden; die möglichen Auswirkungen auf die Arbeitssituation der Arbeitnehmer blieben weitgehend unberücksichtigt. Negative soziale Folgelasten — Arbeitslosigkeit, Herabqualifizierung, monotone Arbeitsbedingungen, gesundheitliche Schäden — sind vielmehr auf die Allgemeinheit verlagert worden. Dabei weisen die Göttinger Sozialwissenschaftler Kern/Schumann in ihrer Untersuchung „Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein" darauf hin, daß „fortgeschrittene Industriegesellschaften wie die unsrige . .. über ein ausreichendes ökonomisches Fundament und über genügend wissenschaftliche Kapazitäten verfügen, um die Aufhebung oder doch wenigstens Einschränkung belastender Arbeitssituationen zielstrebig in Angriff zu nehmen". Jedoch sei gerade in diesem Zusammenhang besonders deutlich der Widerspruch festzustellen, „daß die Gesellschaft, die den technischen Fortschritt ermöglicht, unfähig ist, die entstandene Potenz voll auszuschöpfen" Die negativen Auswirkungen dieser wirtschaftlichen und technischen Änderungen für die Beschäftigungssituation der betroffenen Arbeitnehmer machen sich um so stärker bemerkbar, als sie auf ein weitgehend starres Bil-dungs-und Ausbildungswesen treffen. Bisher wurde die Bildungs-und Ausbildungsphase als ein geschlossener Abschnitt vor Beginn des Berufslebens aufgefaßt. Verstärkt wird die unzureichende Anpassungsfähigkeit des Bildungssystems noch dadurch, daß bei weitem die Mehrzahl der Jugendlichen vorrangig durch die an betriebsindividuellen Erfordernissen und Möglichkeiten ausgerichtete Lehrausbildung auf das Berufsleben vorbereitet werden. Damit werden von vornherein erhebliche Ungleichgewichte in der Verteilung der Berufs-und Arbeitschancen je nach Qualität der vorhandenen betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen. Benachteiligt sind vor allem Jugendliche in Klein-und Mittelbetrieben mit qualitativ geringwertigen Ausbildungsmöglichkeiten. Erhebliche Beschäftigungsnachteile erwachsen hieraus insbesondere älteren Arbeitnehmern, deren Ausbildung lange Jahre zurückliegt und die daher für die kontinuierlichen Änderungen in den beruflichen Anforderungen keinesfalls vorbereitet sind.

Hingewiesen werden soll hier noch auf die besonders ungünstige Situation der Frauen. Zum einen absolvieren weniger weibliche als männliche Jugendliche eine berufliche Ausbildung; zum anderen sind sie auf relativ wenige sogenannte Frauenberufe in unteren Qualifikationsebenen beschränkt, was nicht zuletzt das Resultat einer einseitig ausgerichteten Berufslenkung ist und mit der gesamten vorurteilsbehafteten Einstellung verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen — und nicht zuletzt der Betroffenen selbst — gegenüber der Berufstätigkeit der Frauen Zusammenhängen dürfte.

Konflikte bestehen offensichtlich weiterhin zwischen dem zunehmenden Bedarf der Unternehmen an regionaler Mobilität der Arbeitskräfte und dem Interesse der Arbeitnehmer an Stabilität des Wohn-und Arbeitsortes. Ausdruck dieser Konflikte im Hinblick auf die regionale Arbeitsmobilität sind die zunehmende Unternehmenskonzentration in Ballungsräumen einerseits sowie die Bereitschaft der Arbeitnehmer, einen beruflichen und einkommensmäßigen Abstieg in Kauf zu nehmen, wenn sie an ihrem angestammten Wohnort verbleiben können. Prägnante Beispiele hierfür bietet das Scheitern der Umsiedlungsversuche der während der Strukturkrise 1966/67 entlassenen Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet in andere Teile Nordrhein-Westfalens. Daß hier ein Konflikt zwischen Unternehmer-und Arbeitnehmerinteressen vorliegt, der nicht im Sinne der Anpassung der Arbeitnehmer durch regionale Mobilität zu lösen ist, dürfte inzwischen weitgehende Anerkennung finden. Ausdruck hierfür sind die Versuche, über die finanzielle Förderung von Industrieansiedlung und Infrastrukturausbau im Rahmen regional-politischer Aktionsräume eine regional ausgewogene Wirtschaftsstruktur zu schaffen. Dabei sind bisher allerdings die beschäftigungspolitischen Aspekte kaum ausreichend gelöst, wie später noch ausführlich darzulegen ist.

Die durch die Energiekrise sowie die Forderung nach Humanisierung der Arbeit deutlich gewordenen Beschäftigungsprobleme lassen sich nicht mehr allein im nationalen Rahmen lösen, sondern bedürfen der internationalen Zusammenarbeit. Diese Einsicht hat bisher vor allem darin ihren Ausdruck gefunden, daß die Sicherung der Vollbeschäftigung, eine gleichgewichtigere regionale Verteilung von Arbeitsplätzen sowie die humanere Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsverfahren, Arbeitsorganisation und Arbeitsumwelt in dem erst kürzlich von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften erarbeiteten Sozialpolitischen Aktionsprogramm ihren Niederschlag gefunden haben. Diese Beschäftigungsprobleme standen ebenfalls im Mittelpunkt der im Januar 1974 durchgeführten Zweiten Europäischen Regionalkonferenz des Internationalen Arbeitsamtes.

II. Begriffliche Klärungen

Ansätze für eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik Beschäftigungs-politische Ziele Optimale Gestaltung der Interessen der Arbeitnehmer Arbeitsplatzsicherheit unter Einschluß beruflicher und in Einzelfällen regionaler Mobilität Arbeit (Erhöhung der Qualität der Arbeit: Grad der Arbeitsteilung, Überschaubarkeit des Produktionsprozesses, Beteiligung an der Arbeitsgestaltung sowie allen Entscheidungen, welche die eigene Tätigkeit beeinflussen, Kontakte zu Kollegen und Vorgesetzten, bٖ

Wenn im folgenden von Beschäftigungspolitik gesprochen wird, so sind darunter zu verstehen: alle Maßnahmen von selten öffentlicher und privater Stellen, welche die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer beeinflussen.

Mithin gehören zur Beschäftigungspolitik in diesem Sinne nicht nur wirtschafts-und insbesondere strukturpolitische Maßnahmen der öffentlichen Hand — insoweit sie sich auf die Beschäftigung auswirken —, sondern ebenso die als Arbeitsmarktpolitik bezeichneten Maßnahmen vor allem von selten der Bundesanstalt für Arbeit, der beruflichen Bildung sowie der innerbetrieblichen Personalpolitik. Da es hierbei um die Gestaltung des gesamten Arbeits-und Berufslebens der abhängig Beschäftigten geht, erscheint der bisher gebräuchliche Begriff der Arbeitsmarktpolitik — vor allem in seiner derzeitigen Interpretation als Arbeitslosenversicherung, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, berufliche Weiterbildung — zu eng gefaßt. Darüber hinaus läßt dieser Begriff den Eindruck entstehen, als ob die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer mit der volkswirtschaftlichen Kategorie des Marktes hinreichend erfaßt werden könnte. In diesem Beitrag soll vielmehr gezeigt werden, daß eine derart vereinfachte Sicht der Beschäftigungsbeziehungen im Hinblick auf eine Konzipierung politischer Maßnahmen zu einseitigen Schlußfolgerungen führen muß. Die im folgenden zu entwickelnden Grundlagen für eine humane Gestaltung des Arbeitslebens gehen davon aus, daß die Arbeitsleistung nicht als eine isolierte Marktgröße betrachtet werden kann, sondern in Zusammenhang mit der gesamten Person des Arbeitnehmers und seinen Interessen zu sehen ist. Dabei wird nach folgender Gliederung vorgegangen: — Kritische Betrachtung theoretischer Ansätze; — Grundlagen für eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik;

— Analyse der Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik;

— Ansätze für eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte beschäftigungspolitische Konzeption.

III. Kritische Betrachtung theoretischer Ansätze

In Theorie und Praxis ist die Arbeit lange Zeit vorwiegend als Produktionsfaktor betrachtet worden, der als Ergänzung zum Kapital und den technischen Fortschritt das Wirtschaftswachstum bestimmt Von der Betrachtung der Arbeit vorrangig unter dem ökonomischen Postulat — der Steigerung der betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Produktion — zeugen die bis heute gebräuchlichen Begriffe „Arbeitsmarkt“, „Arbeitsmarktpolitik''und „Arbeitsmarktförderung". Die Arbeit wurde damit wie ein Konsum-oder Investitionsgut zu einer handelbaren Ware deklariert. Die jeweilige Lohnhöhe sollte zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage nach Arbeitsleistung führen. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes nach dieser Theorie sind: — Es muß vollkommene Transparenz über die gegenwärtige und zukünftige Arbeitsmarkt-entwicklung herrschen, d. h., Lohnunterschiede, freie Arbeitsplätze, arbeitssuchende Arbeitskräfte müssen zu jedem Zeitpunkt in jeder Region, für jeden Wirtschaftssektor und Beruf vollkommen bekannt sein.

— Der Lohn ist die hauptsächliche Orientierungsgröße für die Entscheidung der Arbeitnehmer, ihre Arbeitskraft anzubieten, sowie der Unternehmer, Arbeitskräfte nachzufragen. — Die Arbeitnehmer müssen vollkommen mobil sowie anpassungsfähig und anpassungsbereit sein sowie dort ihre Arbeitskraft anbieten, wo der jeweils höchste Lohn gezahlt wird.

— Der Arbeitnehmer ist als , homo oeconomi. -cus'aufzufassen, d. h., alle seine Entscheidungen, die das Arbeitsund Berufsleben betreffen, richten sich an der Maximierung des wirtschaftlichen Ertrages äus.

Empirische Analysen zeigen jedoch sehr deutlich, daß keine dieser Voraussetzungen in der Arbeitsund Berufswelt gegeben sind:

— Trotz erheblicher Anstrengungen zur Verbesserung des statistisch-methodischen Instrumentariums zur Analyse und Prognose von Arbeitsmarktbeziehungen wird es kaum jemals möglich sein, gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen von Löhnen und Angebot von sowie Nachfrage nach Arbeitsleistung in hinreichender Differenzierung nach Wirtschaftssektoren, Berufen und Regionen zu er-fassen Doch selbst wenn eine totale Transparenz von Löhnen und Arbeitsmarktentwicklungen erreicht werden könnte, würde dies die Aussagefähigkeit der oben kurz dargestellten Arbeitsmarkttheorie nicht nennenswert erhöhen, da die übrigen Voraussetzungen kaum erfüllbar sind: — Problematisch erscheint insbesondere die Wahl der Lohnhöhe als Bestimmungsgröße für die Arbeitsund Berufsentscheidungen der Arbeitnehmer. Wie jüngste Untersuchungen zur Arbeitsmobilität zeigen, treten im Urteil der Arbeitnehmer bei Arbeitsund Berufsentscheidungen neben der Lohnhöhe in zunehmendem Maße Arbeitsplatzsicherheit und Möglichkeiten zur Entfaltung bei der Arbeit in den Vordergrund — Gleichermaßen erscheint die Annahme einer vollkommenen Mobilität, Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft der Arbeitnehmer eher einem bestimmten Wunschdenken als der Wirklichkeit zu entsprechen. So gibt es mannigfache Beispiele aus jüngster Vergangenheit dafür, daß Arbeitnehmer sogar bereit sind, einen beruflichen und einkommensmäßigen Abstieg in Kauf zu nehmen, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz oder zumindest in ihrem Wohnort bleiben können Im Ausland mehren sich die Fälle, in denen Arbeitnehmer für bessere Arbeitsbedingungen Arbeitskämpfe führen für die Bundesrepublik läßt jedoch noch sich vermuten, daß insbesondere ältere Arbeitnehmer sowie Frauen den Austritt dem Erwerbsprozeß einer Beschäftigung unter restriktiven bzw. physisch oder psychisch belastenden Arbeitsbedingungen vorziehen

Selbst wenn Arbeitnehmer bereit sind, sich an Änderungen in der Beschäftigungsstruktur bzw.den Leistungsanforderungen anzupassen, gibt es hierbei mannigfache Barrieren: Genannt seien hier nur die . goldenen Ketten'der betrieblichen Sozialleistungen, die mangelnde Flexibilität im Bildungsund Ausbildungswesen sowie individuelle und gesellschaftliche Rollenerwartungen, die der Mobilität entgegenstehen

Schon diese kurze kritische Durchleuchtung der Aussagefähigkeit der herkömmlichen Arbeitsmarkttheorie macht deutlich, daß es den , homo oeconomicus’ — eine weitere Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes nach traditionellem wirtschaftstheoretischem Konzept — nicht geben kann.

Die zunehmende Diskussion um die . Lebensqualität'und hier wiederum speziell um die . Humanisierung der Arbeit bedeutet nämlich, daß neben den ausschließlich wirtschaftlichen Überlegungen andere soziale und kulturelle Kriterien wesentlich sind für die Einschätzung einer bestimmten Lebens-bzw. in diesem Fall Arbeitssituation. Ausschlaggebend ist mithin nicht lediglich die Maximierung des Arbeitseinkommens, sondern ebenfalls die Vergrößerung der Entfaltungsspielräume bei der Arbeit selbst.

In Anlehnung an Gerhard Weisser werden die Lebenslagen der abhängig Beschäftigten — h.der Spielraum Inter d. zur Erfüllung ihrer -essen — bestimmt durch materielle und immaterielle Grundanliegen. Zu den materiellen Interessen gehören: das Interesse an der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Diensten sowie an sozialer Sicherheit, wobei die Grenze nach unten hin durch das Interesse an der Erfüllung des sozialen Existenzminimums gegeben ist; eine obere Grenze stellen die negativen Interessen an der erforderlichen Arbeitsmühe sowie die mögliche Beeinträchtigung immaterieller Interessen dar. Derartige immaterielle oder kulturelle Interessen können sein: Interesse an der Arbeitsfreude, aktive Teilnahme am Wirtschaftsleben, an freier Berufswahl, an Selbstbestimmung des wirtschaftlichen Handelns, an gesellschaftlichem Ansehen, das sich aus der Wirtschaftstätigkeit ergibt, an sozialem Aufstieg, an Gemeinschaft, an Freizügigkeit

Nach E. W. Bakke, einem amerikanischen Sozialwissenschaftler, lassen sich auf der Basis theoretischer Überlegungen und empirischer Untersuchungen für die USA folgende Ziele der „structure of living" vergleichbar mit dem Lebenslagenbegriff von Weisser entwickeln:

Sicherung des sozialen Existenzminimums, weitgehende Selbstbestimmung des eigenen Lebens, Nutzung der eigenen tatsächlichen und potentiellen Kapazitäten, Erkenntnis der und Teilhabe an engeren und weiteren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen sowie Anerkennung als Person im beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich Ota Sik untergliedert in ökonomische und außer-ökonomische Interessen. Zu den ökonomischen Interessen zählt er: Konsuminteressen, Geld-interessen, Einkommensinteressen, Interessen an verschiedenen ökonomischen Tätigkeiten. Außerökonomische Interessen können sich richten auf: Erziehung, Bildung, Gesundheit, Kultur, Staatswesen

Anhaltspunkte bieten weiterhin die Systen von Sozialindikatoren, wie sie zurzeit von de Organisation für wirtschaftliche Zusammel arbeit und Entwicklung (OECD) und den Ve einten Nationen erarbeitet werden, soweit s:

sich auf die Qualität der Arbeit beziehen. Hie: bei geht es vor allem darum, quantitative Mel großen für qualitative Bedingungen der A: beitssituation zu finden: z. B. für den Gra der Vollbeschäftigung, differenziert nach ve schiedenen Arbeitnehmergruppen (insbesor dere Frauen, Ältere, Behinderte); ergonomisch Bedingungen der Arbeitssituation (Lärm, Luf Licht, Temperatur, Unfallgefahren); Grad de Arbeitsteilung; Möglichkeiten zur Mitgestal tung und Mitbestimmung bei der Arbeit ir engeren und weiterin Sinn; Chancen zur be ruflichen Weiterentwicklung; Kommunikatiol mit Kollegen und Vorgesetzten während unaußerhalb der Arbeit

IV. Grundlagen für eine an Ärbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik

1. Grundsätzliches In Anlehnung an derartige arbeitssoziologische Überlegungen sowie die Ergebnisse empirischer Arbeitskräfteforschung soll die gesellschaftspolitische, d. h. an Arbeitnehmerinteressen orientierte Dimension der Arbeit — mithin der Spielraum zur Selbstentfaltung im Arbeitsleben — folgendermaßen untergliedert werden: grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen 1.dem Arbeitsvollzug und 2.dem Arbeitsergebnis.

Im Hinblick auf den Arbeitsvollzug ist wiederum zu differenzieren nach: a) der Arbeitsplatzsicherheit — interpretiert als Recht auf vollwertige, d. h.den persönlichen Neigungen und Fähigkeiten angemessene berufliche Tätigkeit — und b) der optimalen Gestaltung der Arbeit, d. h. Erhöhung der Qualität der Arbeit (gemessen an dem Grad der Arbeitsteilung, der Überschaubarkeit über den gesamten Produktionsprozeß, der Beteiligung an der Arbeitsgestaltung, der Teilhabe an Entscheidungen, welche die eigene Tätigkeit beeinflussen, den Kontakten zu Kollegen und Vorgesetzten, hierarchischen Strukturen, beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten, Informations-und Kommunikationswege) sowie der Erhöhung dei Lernfähigkeit (berufliche Anpassung bis hir zu allgemeiner kultureller, sozialer und politischer Bildung) und befriedigenden Arbeits platzbedingungen (z. B. klimatische und räumliche Bedingungen, Umwelteinflüsse, Arbeitstempo, Arbeitszeit, Schichtregelung, physische und psychische Leistungsanforderungen, Ar beitsschutz, betriebliche Sicherheit).

Beim Arbeitsergebnis sind zu unterscheiden a) Einkommenshöhe und Verteilung sowie b die bedarfsgerechte Versorgung mit materiel len und immateriellen privaten und öffent liehen Gütern und Diensten (Konsumgüter ausreichende Wohnungsqualität, Vermögens werte, Freizeit, Infrastruktureinrichtungen, pri vate und öffentliche Dienstleistungen, men schengerechte Umweltbedingungen, ausrei chende Informations-und Kommunikations möglichkeiten. Mit-und Selbstbestimmungs chancen). 2. Selbstentfaltung beim Arbeitsvollzug Im folgenden soll versucht werden, diese grob umrissenen gesellschaftspolitischen Aspekte der Arbeit näher auszuführen, wobei besonderes Schwergewicht auf den Problembereich . Arbeitsvollzug’ — mithin . Arbeitsplatzsicherheit’ und . Gestaltung der Arbeit'— gelegt wird.

a) Arbeitsplatzsicherheit Begriff und Bedeutung der Arbeitsplatzsicherheit als wesentlicher Aspekt der gesellschaftspolitischen Dimension der Arbeit lassen sich am ehesten mit Hilfe der unterschiedlichen Arten und Grade der Arbeitsmobilität erfassen. Danach sind grundsätzlich folgende Interpretationsmöglichkeiten der Arbeitsplatzsicherheit möglich:

Absolute Arbeitsplatzsicherheit, mithin Beschränkung der Arbeitsmobilität auf die Intergenerationenmobilität: Dies würde eine stagnierende Wirtschaft voraussetzen, geht man davon aus, daß Wirtschaftswachstum gleichzeitig Veränderungen in der Wirtschaftsund damit Beschäftigungsstruktur bedeutet, wie es sowohl theoretisch als auch empirisch nachweisbar ist Gesamtwirtschaftliche Einkommenssteigerungen als wesentliche Grundlage für eine Erhöhung des Niveaus der materiellen Lebenslagen wären somit nicht möglich. Ebenso würden dann die Chancen zur beruflichen Entfaltung und Entwicklung — als wesentliche Bestandteile des Interesses an einer optimalen Arbeitsgestaltung — erheblich beeinträchtigt. Da wirtschaftliche Entwicklung auch unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen immer eine Veränderung in den Arbeitsanforderungen bedingen wird, kann eine derartige . absolute Arbeitsplatzsicherheit nicht Ziel einer gesellschaftspolitischen Gestaltung der Arbeitssituation sein.

Relative Arbeitsplatzsicherheit unter Einschluß beruflicher Mobilität und eventuell eines Wechsels des Arbeitgebers, jedoch ohne Wohnsitzwechsel: Hierbei wird davon ausgegangen, daß Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur und den beruflichen Anforderungen nicht ausgeschaltet werden können, jedoch im Interesse der Arbeitnehmer gestaltet werden müssen. Grundsätzlich ist hierbei zu berücksichtigen, daß Arbeitnehmer in der Regel kaum bereit sein werden, ihren Wohnort zu wechseln, da sie offensichtlich die sozialen Bindungen höher schätzen als mögliche Einkommens-vorteile an anderen Orten.

Eine Arbeitskräftepolitik, die dem gesellschaftspolitischen Anspruch der Arbeit genüge tun will, sollte daher bestrebt sein, die Notwendigkeit zu regionaler Mobilität der Arbeitnehmer zu minimieren. Sie muß versuchen, innerhalb einzelner Regionen, die ihre Begrenzung in der täglichen zumutbaren Pendelentfernung finden, ausreichende Arbeitsmöglichkeiten zur Beschäftigung der vorhandenen Arbeitskräfte zu bieten und diesen Arbeitskräften gleichzeitig entsprechende berufliche Anpassungsmöglichkeiten bereitstellen Eine derartige Relativierung der Arbeitsplatzsicherheit soll keinesfalls bedeuten, daß es nicht Personengruppen gibt, die ein Interesse an regionaler Mobilität haben, entweder um ihrer selbst willen oder weil sie dann Einkommenssteigerungen bzw. berufliche Entfaltungsmöglichkeiten und sozialen Aufstieg durchsetzen können. Die Arbeitsplatzsicherheit unter Einschluß eines gewissen, an Arbeitnehmerinteressen orientierten Ausmaßes an Arbeitsmobilität muß uuca diese Personengruppen berücksichtigen. Allerdings dürften sie weitaus in der Minderheit sein, wobei Ausbildung, Alter, Geschlecht, Familienstand, soziale Herkunft eine entscheidende Rolle spielen , b) Gestaltung der Arbeit Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen unter Arbeitnehmerinteressen bedeutet eine Modifizierung des bisher vorrangig an privatwirtschaftlicher Produktionssteigerung orientierten Leistungsbegriffs. Da Arbeitnehmer ein elementares Interesse an Produktions-und Einkommenssteigerungen haben, soll hier keinesfalls die Notwendigkeit wirtschaftlicher Leistung und Produktivität in Abrede gestellt werden. Es kommt jedoch entscheidend darauf an, wie der Leistungsbegriff interpretiert wird. Eine einseitige Orientierung der Leistungsanforderungen an der Maximierung privatwirt-schaftlicher Rentabilität unter entsprechender Kosten-und Ertragsverteilung ist jedoch sowohl bei gesamtwirtschaftlicher als auch sozialer Betrachtung abzulehnen.

Zur Erweiterung des Spielraums zur Selbstentfaltung bei der bedarf es Arbeit sowohl der Verbesserung der . Qualität der Arbeit'als auch der . Erhaltung bzw. Förderung der beruflichen Qualifikationen und Beweglichkeit':

Im Hinblick auf die Erhöhung der Qualität der Arbeit dürften insbesondere folgende Verbesserungen eine entscheidende Rolle spielen: der Einsatz für Tätigkeiten, die den individuellen Eignungen und Neigungen entsprechen und berufliche Entwicklungschancen eröffnen; Verhinderung einer leistungsmäßigen Überforderung, die früher oder später zu gesundheitlichen Schäden führt sowie entsprechend einer beruflichen Unterauslastung, die steigende Unzufriedenheit, Frustration, Resignation und letztlich ebenfalls gesundheitliche Störungen nach sich ziehen kann 17a); Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen, die direkt oder indirekt ihre Arbeitssituation beeinflussen; Beseitigung bzw. Veränderung monotoner Tätigkeiten; Schaffung ausreichender Kontaktmöglichkeiten zwischen den Belegschaftsmitgliedern; Abbau funktionsloser Hierarchien.

Zur Förderung von beruflicher Qualifikation und Beweglichkeit ist vor allem die Bereitstellung entsprechender Bildungsund Qualifizierungsmöglichkeiten erforderlich. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, daß nicht nur spezifische berufliche Kenntnisse vermittelt werden, sondern die Lernbereitschaft und Lernfähigkeit insgesamt gefördert sowie das wirtschaftliche, soziale und politische Problembewußtsein gestärkt wird.

Neben diesen Arbeitsbedingungen im weiteren Sinn ist für die Gestaltung der Arbeit unter Arbeitnehmerinteressen die Schaffung befriedigender Arbeitsplatzbedingungen und sozialer Sicherheit von ausschlaggebender Bedeutung. Hiermit sind die Elemente der Arbeitsplatzgestaltung angesprochen, die in die Bereiche Ergonomie und Sozialpolitik fallen und erheblich weiter entwickelt sind als die oben aufgeführten Bedingungen . Qualität der Arbeit'und . Erhaltung bzw. Förderung der Lernfähigkeit'. Gleichwohl wird immer wieder deutlich, daß sowohl im Hinblick auf die ergonomischen Arbeitsplatzbedingungen (Lärm, Luft, Licht, Räumlichkeiten, Tempo, Ruhepausen usw.) sowie die Sicherheit bei der Arbeit erhebliche Mängel bestehen, worauf später näher einzugehen ist.

Folgt man der weite Anerkennung findenden Theorie von Herzberg so weisen die oben genannten Determinanten für die Verbesserung der Qualität der Arbeit sowie Erhöhung der Lernfähigkeit einerseits und die ergonomischen Arbeitsbedingungen sowie die Sicherheit andererseits unterschiedliche Dimensionen auf. Im ersten Fall handelt es sich um solche Kriterien, welche die Zufriedenheit mit der Beschäftigungssituation erhöhen können (satisfiers), während im zweiten Fall lediglich die . Arbeitslast'vermindert, nicht jedoch die . Arbeitslust'erhöht werden kann (dissatisfiers).

Die hier aufgezeigten Elemente einer gesellschaftspolitisch definierten Arbeit — Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, optimale Gestaltung der Arbeitsbedingungen im engeren und weiteren Sinn — stehen keinesfalls harmonisch nebeneinander. Vielmehr gibt es mannigfache Konflikte: Z. B. würde eine maximale Einkommenssteigerung sowohl das Interesse an Arbeitsplatzsicherheit als auch an optimaler Gestaltung der Arbeit beeinträchtigen; umgekehrt kann die Verringerung der Arbeitsmobilität (vor allem der regionalen Mobilität) sowie die Durchsetzung von Arbeitsbedingungen, die den physischen und psychischen Bedürfnissen der Arbeitnehmer angepaßt sind sowie die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bei der Arbeit erhöhen, das Produktions-und damit Einkommenswachstum beeinträchtigen. Hierbei müssen wiederum Unterschiede zwischen kurz-und langfristiger Betrachtung gemacht werden: Z. B. kann die Einführung neuer Arbeitsverfahren,, welche stärker auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer Rücksicht nehmen, auf kurze Sicht infolge Anpassungsschwierigkeiten und Reibungsverlusten zu einem geringeren Produktionswachstum führen — Hemmnisse, die jedoch langfristig durchaus beseitigt werden können. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß unzureichende Arbeitsbedingungen früher oder später zu einem Nachlassen der Arbeitsmotivation der Arbeitnehmer und damit zu Produktionsverringerungen bzw. -Verschlechterungen führen, was durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen verhindert werden kann

Bei der hier gegebenen zusammenfassenden Darstellung der gesellschaftspolitischen Aspekte der Arbeit wurde von der üblichen Definition der Arbeit als bezahlter beruflicher Tätigkeit ausgegangen. Unter langfristigen gesellschaftspolitischen Perspektiven ist allerdings zu fragen, ob eine derartige Interpretation der Arbeit nicht zu restriktiv ist: z. B. werden Hausfrauentätigkeiten, die anerkannter-maßen einen nützlichen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung beitragen, hierdurch nicht erfaßt. Es könnte sich daher als sinnvoll und notwendig erweisen, die Konzeption der Arbeit neu zu durchdenken. Dann würden sich entsprechend auch Modifizierungen in den abzuleitenden Interessen-bzw. Ziel-schemata ergeben, die hier noch nicht berücksichtigt werden konnten.

Im folgenden soll versucht werden aufzuzeigen, ob und inwieweit die oben dargestellten Elemente des gesellschaftspolitischen Anspruchs der Arbeit — soweit sie den Arbeitsvollzug betreffen — in der Bundesrepublik erfüllt sind bzw. wodurch und inwieweit sie gefährdet werden. Hierbei ist jedoch zugleich einschränkend auf die mangelhafte Informationsbasis hinzuweisen, die es zum großen Teil lediglich erlaubt, mehr oder weniger gesicherte Vermutungen auszusprechen.

IV. Analyse der Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik

1. Arbeitsplatzsicherheit Als Indikator für die Arbeitsplatzsicherheit wird im allgemeinen die Arbeitslosenquote herangezogen. Danach wäre in der Bundesrepublik seit Beginn der sechziger Jahre in weitaus stärkerem Maße als in anderen westlichen Industrienationen Arbeitsplatzsicherheit gegeben. Die Beurteilung der Arbeitsplatzsicherheit auf der Grundlage der globalen Arbeitslosenquote zu bestimmten Zeitpunkten ist jedoch äußerst problematisch. So bestehen erhebliche Unterschiede in der Arbeitslosigkeit nach Regionen, Wirtschaftszweigen, Berufen sowie Merkmalen der Arbeitnehmer (vor allem: Geschlecht, Alter, Ausbildung); zum anderen werden mit der Arbeitslosenquote nur solche Arbeitnehmer erfaßt, die sich beim Arbeitsamt als arbeitslos registrieren lassen: Nicht berücksichtigt sind mithin diejenigen, die aus Resignation infolge mangelnder Arbeitsmöglichkeiten erst gar nicht in den Arbeitsmarkt eintreten bzw. ausgetreten sind. Hierbei dürfte es sich vor allem um Frauen und ältere bzw. leistungsgeminderte Personen handeln.

Nicht erfaßt wird weiterhin die sogenannte . exportierte Arbeitslosigkeit', d. h. die Verringerung der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in Zeiten rückläufiger Beschäftigungsentwicklung, die insbesondere 1966/67 beträchtliche Ausmaße angenommen haben dürfte. Bei annähernd 2, 5 Millionen ausländischen Arbeitnehmern und jährlichen Zuwachsraten der Ausländerbeschäftigung von z. T. über 30 Prozent ist ein erhebliches Potential verdeckter exportierter Arbeitslosigkeit in konjunkturellen Abschwungsphasen gegeben. Bestehende rechtliche Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses mit ausländischen Arbeitnehmern dürften bisher lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung der Verringerung der Ausländerbeschäftigung bei ungünstiger Konjunkturentwicklung geführt haben.

Zur Beurteilung der Arbeitsplatzsicherheit wird man daher neben der globalen Arbeitslosenquote strukturelle Unterschiede in der Arbeitslosigkeit, Beteiligung am Erwerbsleben sowie der Unterbeschäftigung berücksichtigen müssen. An diesen Beurteilungskriterien sollen im folgenden die wichtigsten erkennbaren Verletzungen des Interesses an der Arbeitsplatzsicherheit aufgezeigt werden. a) Strukturmerkmale der Arbeitslosigkeit Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es kaum möglich ist, die strukturelle Komponente der globalen Arbeitslosenquote genau zu bestimmen. Denn die offen ausgewiesene registrierte Arbeitslosigkeit ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen So wird es immer Arbeitnehmergruppen geben, die nur scheinbar nach Arbeit suchen, sei es, daß sie die Bedingungen für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes erfüllen wollen (falls sie mindestens 59 Jahre alt sind, können sie nach einjähriger Arbeitslosigkeit vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen), sei es, daß sie nach Beendigung der Zeitdauer, für die sie Arbeitslosengeld beziehen können, aus dem Arbeitsmarkt austreten werden. Ein derartiger, durch rechtliche Regelungen (z. B. Rentengesetzgebung) erzwungener freiwilliger oder vorgetäuschter Arbeitsmangel wird üblicherweise als , Bodensatzarbeitslosigkeit'bezeichnet. Die restliche Arbeitslosigkeit ist danach zu untergliedern, ob sie auf kurzfristiger Personalfluktuation beruht (Friktionsarbeitslosigkeit), auf saisonalen Beschäftigungsschwankungen (saisonale Arbeitslosigkeit) oder langfristigen strukturellen Ungleichgewichten sowohl beim Angebot von als auch der Nachfrage nach Arbeitskräften (strukturelle Arbeitslosigkeit)

In bezug auf diese strukturelle Komponente der Arbeitslosigkeit lassen sich folgende Tendenzen in der Bundesrepublik erkennen, die zum Teil symptomatisch auch für andere westliche Industrieländer sein dürften:

So ist festzustellen, daß in Regionen mit einseitiger Wirtschaftsstruktur der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Zeiten des Beschäftigungsrückganges früher und in stärkerem Ausmaße stattfindet und entsprechend bei konjunktureller Erholung langsamer erfolgt als in Regionen mit ausgewogener Wirtschaftsstruktur. Prägnante Beispiele hierfür sind insbesondere Arbeitsamtsbezirke in Bayern mit vorwiegend ländlicher Struktur, Zonenrandgebiete und Regionen in Nordrhein-Westfalen mit Monostrukturen, z. B. Montanindustrie und Textilindustrie.

Im Hinblick auf die persönlichen Merkmale der Arbeitnehmer ist eine Konzentration der strukturellen Arbeitslosigkeit vor allem bei älteren Arbeitnehmern, Frauen und gering qualifizierten Arbeitskräften zu beobachten. Daß die Arbeitslosigkeit bei diesen Personengruppen nicht durch konjunkturelle und mithin kurzfristige Beschäftigungsschwankungen bedingt ist, zeigt sich deutlich, wenn man die Arbeitslosenquote nach Alter, Geschlecht und Ausbildungsstand über einen längeren Zeitraum untersucht. So ist z. B.der relative Anteil der über 45jährigen an der Zahl der Arbeitslosen sowie vor allem derjenigen mit lang andauernder Arbeitslosigkeit zwar insgesamt überproportional hoch (1972: über 40 Prozent), jedoch in konjunkturellen Aufschwungphasen höher als in Zeiten rückläufiger Beschäftigung.

Entsprechend geht der Abbau der Arbeitslosigkeit bei Frauen in konjunkturellen Aufschwungphasen erheblich langsamer vonstat-

ten als für Männer. So weisen Hilfsarbeitertätigkeiten unabhängig von der jeweiligen konjunkturellen Situation mit etwa einem Viertel den höchsten Anteil an allen Arbeitslosen auf.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die hier zunächst gesondert aufgeführten strukturellen Merkmale der Arbeitslosigkeit oft kumulative Effekte aufweisen und dementsprechend besonders negative Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsicherheit der betroffenen Personengruppen ausüben. So ist der Anteil der gering qualifizierten Arbeitskräfte besonders hoch unter älteren Arbeitnehmern sowie Frauen, die zudem in vergleichsweise stärkerem Ausmaß auf Berufe, Wirtschaftszweige und Regionen mit unterdurchschnittlicher Beschäftigungsentwicklung konzentriert sind. Prägnante Beispiele hierfür sind einige Steinkohlenbezirke sowie landwirtschaftliche Gebiete in Nordrhein-Westfalen. b) Strukturmerkmale der Erwerbsbeteiligung Noch deutlicher wird das oben aufgezeigte Problem der mangelnden Arbeitsplatzsicherheit für einzelne Personengruppen, Wirtschaftszweige und Regionen, wenn man die Erwerbsbeteiligung untersucht. Auch hier läßt sich feststellen, daß die Teilnahme am Erwerbsleben (Anteil der Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung nach unterschiedlichen Personenmerkmalen) vergleichweise niedrig ist für ältere Arbeitnehmer und Frauen insgesamt sowie besonders in Regionen mit einseitiger Wirtschaftsstruktur. Prägnante Beispiele hierfür lassen sich wiederum in Nordrhein-Westfalen finden. So liegt die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer (über 55 Jahre) und Frauen für Nordrhein-Westfalen insgesamt unter dem Bundesdurchschnitt und im Ruhrgebiet wiederum unter dem Landesdurchschnitt Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß geringere Erwerbsbeteiligung verschiedene Gründe haben kann und nicht unbedingt auf mangelnde Arbeitsmöglichkeiten deuten muß Dennoch bestärkt die Tatsache, daß die Erwerbsbeteiligung dieser benachteiligten Arbeitnehmergruppen in Regionen mit ungünstiger Wirtschafts-und Beschäftigungsstruktur und somit geringen bzw. krisenanfälligen Arbeitsmöglichkeiten relativ niedrig ist, die Vermutung, daß hier eine Beeinträchtigung des Interesses an Arbeitsplatzsicherheit vorliegt.

Erhärtet wird diese Vermutung, wenn man die Aufgliederung der Erwerbstätigkeit dieser benachteiligten Arbeitnehmergruppen nach Wirtschaftszweigen und Berufen betrachtet. So macht eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung deutlich, daß solche Wirtschaftszweige mit besonders ungünstigen Beschäftigungsaussichten wie Landwirtschaft, Bergbau, Bundesbahn einen überdurchschnittlichen Anteil älterer Arbeitnehmer aufweisen Der Anteil der Frauen ist vergleichsweise höher in Landwirtschaft, Handel sowie in unteren Dienstleistungsbereichen Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Schlußfolgerung, welche in einem Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Erwerbstätigkeit der Frauen in den Mitgliedsländern gezogen wird: „Man begegnet im tertiären Bereich wieder der Tradition von der dienenden Frau, die dazu berufen ist, das Haus zu unterhalten und nicht schöpferisch tätig zu sein, den anderen zu helfen und nicht zu gebieten: Sorge für Haus, Büro und Menschen." c) Unterbeschäftigung Eine Gefährdung des Interesses an Arbeitsplatzsicherheit — definiert als Teilbestandteil des Rechts auf vollwertige, d. h.den Eignungen und Neigungen des Arbeitnehmer entsprechende Beschäftigung mit angemessener Ent-lohnung —, die ebenfalls nicht in der globalen Arbeitslosenquote zum Ausdruck kommt, ist die Unterbeschäftigung. Darunter ist hier zu verstehen: 1. die Beschäftigung in Teilzeittätigkeiten, obwohl eine Vollzeittätigkeit erwünscht ist (dieser Fall dürfte in der Bundesrepublik jedoch relativ selten sein, da hier eher umgekehrt ein Mangel an quantitativ und qualitativ ausreichenden Teilzeitarbeitsplätzen für Frauen und Männer besteht 2. Beschäftigung unter dem ausbildungsmäßigen und beruflichen Qualifikationsniveau, oft als Folge von Berufs-und Tätigkeitswechsel; 3. einkommensmäßige Unterbeschäftigung, sei es, daß Personengruppen für gleichwertige Leistungen ein geringeres Einkommen beziehen als andere, sei es, daß die berufliche Unter-beschäftigung mit einer einkommensmäßigen Herabstufung verbunden ist. Für den letzteren Fall gibt es Beispiele vor allem bei älteren Arbeitnehmern. Wie Einkommensvergleiche mit zunehmendem Lebensalter deutlich zeigen, verschlechtert sich die relative Einkommenssituation der älteren Arbeitnehmer (über 45 Jahre), d. h. ihre Einkommenszuwächse sind erheblich geringer als die der Jüngeren, was z. T. auf die berufliche Herabstufung im Gefolge der Berufswechselfälle sowie Umsetzungen zurückzuführen sein dürfte.

Bisher gibt es keine ausreichenden statistischen Angaben über Ausmaß und Erscheinungformen der Unterbeschäftigung. Allerdings lassen sich aus Untersuchungen zur Arbeitsmobilität Anhaltspunkte für die berufliche Entqualifizierung erkennen, die ihrerseits wiederum auf eine entsprechende einkommensmäßige Herabstufung deuten: In ihrer Zusammenfassung der Ergebnisse derartiger Mobilitätsuntersuchungen stellen Böhle und Altmann fest: „Bei einer Untersuchung der Arbeitskräfte-struktur in einem Kraftfahrzeugbetrieb ergab sich beispielweise, daß 53 vH der dort beschäftigten Maschinenbediener (einfache repe-titive Anlerntätigkeit) eine Facharbeiterlehre hatten und früher auch in diesem Beruf tätig waren . . . Eine Untersuchung in einem Betrieb der Elektro-und Autozubehörindustrie zeigte, daß hier rund 50 von 100 Angelernten aus traditionell handwerklichen Berufen (Friseure, Bäcker, Schuster, Fleischer etc.) kamen ... In einer Automobilfabrik waren über 70 vH aller Arbeiter nicht im erlernten Beruf beschäftigt, wobei die Zunahme der Berufs-wechsel von 1960 bis 1968 über 45 vH erreichte . . . Bei einer Untersuchung mehrerer Großbetriebe in den Jahren 1958/60 konnte festgestellt werden, daß jeder 6. Betriebs-wechsel mit einer Aufgabe des früheren Berufs verbunden war. . . Eine Untersuchung des zwischenbetrieblichen Arbeitsplatzwechsels am Beispiel eines geschlossenen Arbeitsmarkts Ende der sechziger Jahre kommt zu dem Ergebnis, daß bei 11, 7 vH männlicher Arbeitsplatzwechsler der Betriebswechsel mit einem Qualifikationsverlust verbunden war."

Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der Berufsverlaufsanalysen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung bei männlichen Arbeitnehmern Danach hat jeder dritte männliche Arbeitnehmer zwischen 1955 und 1970 mindestens einmal den Beruf gewechselt. Die Hälfte der Berufswechsler konnte die in ihrem Beruf erworbenen Kenntnisse kaum oder überhaupt nicht mehr verwenden. Bedenklich sollte vor allem stimmen, daß nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Berufswechsler sich durch Ausbildungs-oder Einarbeitungsmaßnahmen auf die neue Tätigkeit vorbereiten konnte. Besonders benachteiligt waren ältere Arbeitnehmer sowie diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen den Berufswechsel vornahmen, zu denen wiederum viele ältere Arbeitnehmer gehörten.

Aufschlußreich ist weiterhin, daß diese — wie auch viele andere — Mobilitätsuntersuchungen lediglich Berufswechsel der Männer, nicht aber der Frauen erfassen. So gibt es kaum Anhaltspunkte für die berufliche Herabstufung bei Frauen. Zudem ist zu vermuten, daß Frauen bei gravierenden beruflichen Herabqualifizierungen aus dem Erwerbsprozeß ganz ausscheiden. Anhaltspunkte, jedoch wenig konkrete Beweise, gibt es allerdings für die einkommensmäßige Unterbeschäftigung der Frauen — in dem Sinne, daß sie geringeres Einkommen als Männer für gleichwertige Leistung beziehen Dies wird oft dadurch verdeckt, daß Frauen niedrigeren Qualifikationsstufen zugewiesen werden. 2. Arbeitsbedingungen Ist es schon schwierig, aussagefähige Meßgrößen und Anhaltspunkte für die Beurteilung der Arbeitsplatzsicherheit in der Bundesrepublik zu finden, so ist es fast unmöglich, allgemein gültige Aussagen über Arbeitsbedingungen im engeren und weiteren Sinne nach den oben dargestellten Problembereichen zu treffen.

Hier muß daher noch stärker als bei der Arbeitsplatzsicherheit auf Ergebnisse einzelner Untersuchungen sowie Vermutungen zurückgegriffen werden. Aber schon dieser Tatbestand ist bezeichnend dafür, wie wenig Bedeutung diesen Merkmalen der Arbeitssituation bisher in der Bundesrepublik offensichtlich zugemessen wurde. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer ausgedehnten Literatur der Arbeitswissenschaft, welche sich mit der Arbeitsgestaltung unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Leistungssteigerung sowie der Motivierung der Mitarbeiter auseinander-setzt

Im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen im engeren Sinn, d. h. die ergonomische Komponente, ist hier zunächst darauf zu verweisen, daß die ökonomische Leistungssteigerung sowie die Verbesserung der Arbeitsmotivation durch materielle Anreizsysteme über Leistungsund Prämienlöhne sowie betriebliche Sozialleistungen und neue Formen der Mitarbeiterführung im Vordergrund standen. Hierdurch konnten zwar Produktion und gesamtwirtschaftliches Einkommen erhöht werden. Jedoch entstehen gleichzeitig zunehmende soziale Kosten — insbesondere durch: vorzeitige Invalidisierung und , Verrentung'infolge physischer und/oder psychischer Überbelastung (1970 betrug die Anzahl der Frühinvaliden 275 600); zunehmende Unzufriedenheit mit der Arbeit, die zu erhöhten Fehlzeiten führen können; Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer, da Inländer immer weniger bereit sind, untergeordnete, monotone bzw. physisch belastende Tätigkeiten auszuführen, ferner kontinuierliche De-qualifizierungsprozesse insoweit, als gelernte Tätigkeiten wegfallen und durch un-bzw. angelernte Tätigkeiten ersetzt werden; Abwälzung der Kosten für die betrieblichen Sozialleistungen auf den Lohnempfänger, Steuerzahler und/oder Konsumenten, was im Einzelfall jedoch in unterschiedlichem Ausmaß gelingen dürfte. Eine weitere Beeinträchtigung der Arbeitssituation unter Arbeitnehmerinteressen erfolgt durch die Schichtarbeit, die soziale und familiäre Kontakte erheblich beeinträchtigt. Weitgehend vernachlässigt wurde weiterhin die Anpassung der Arbeitsbedingungen (Klima, Licht, Lärm, Tempo, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit) an die besonderen Erfordernisse von Frauen, älteren Arbeitnehmern, Leistungsgeminderten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die permanenten Verletzungen der Jugendarbeitsschutzgesetze sowie die Mängel des Arbeitsschutzes. Pro Jahr geschehen etwa 2, 6 Millionen Arbeitsunfälle; davon sind 100 000 so schwerwiegend, daß den Unfallgeschädigten Renten oder andere Ausgleichsleistungen zu gewährleisten sind .

Bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen im weiteren Sinn wurde unterschieden zwischen der . Qualität der Arbeit'— zu messen an der Übereinstimmung von Leistungsanforderungen und persönlichen Eignungen sowie Neigungen, Verhinderung gesundheitlicher Schäden infolge Überbeanspruchung bzw. Unterauslastung, Selbstentfaltungsmöglichkeiten im Arbeitsprozeß, Kontaktmöglichkeiten, Stärkung der Mitentscheidung und Eigenverantwortung — und der Erhaltung bzw. Verbesserung der Lernfähigkeit nicht lediglich durch berufsbezogene, sondern auch durch wirtschaftliche, soziale und politische Lernprozesse Die Erfüllung dieses gesellschaftspolitischen Anspruchs an die Arbeit befindet sich erst im Anfangsstadium der Diskussion — abgesehen von einigen wenigen Beispielen —, wobei Unternehmen mit neuen, weniger restriktiven Formen der Arbeitsorganisation experimentieren: z. B. Ersatz der Fließbandarbeit durch einzelne Arbeitergruppen, die ihre Arbeit weitgehend selbst organisieren können Leistungsänderungen in zunehmendem Lebensalter begegnet man bisher offensichtlich weitgehend mit un-systematischen Umsetzungen über mehrere Stufen die meist mit beruflicher und ein-kommensmäßiger Herabstufung bzw. Invalidisierung oder vorzeitiger Verrentung enden dürften.

Hinsichtlich der Bildungsund Qualifizierungsmöglichkeiten in den Unternehmen ist auf der Basis der unzureichenden Information zu vermuten, daß — wenn derartige Maßnahmen schon nicht nur für Führungskräfte sondern auch für untere Qualifikationsebenen angeboten werden — diese lediglich betriebsspezifische berufliche Anpassungsprogramme beinhalten. Zudem sind diese Qualifizierungsmaßnahmen bisher offensichtlich kaum auf die besonderen Bedürfnisse und Fähigkeiten von Erwachsenen zugeschnitten, sondern an der Lehrlingsausbildung ausgerichtet Unüberwindbar ist unter den Bedingungen der derzeitigen Arbeitsorganisation vor allem das Problem der mangelnden Lernfähigkeit und -bereitschaft bei Arbeitskräften, die monotone restriktive Tätigkeiten ausführen.

Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang weiterhin auf die Diskriminierung von Seiten des Unternehmensmanagements gegenüber den benachteiligten Arbeitnehmergruppen — vor allem ältere Arbeitnehmer und Frauen. Ausdruck dieser Vorurteile sind einmal die zum großen Teil sachlich kaum zu rechtfertigenden Altersbegrenzungen bei den Stellen-anzeigen. In ihrer Untersuchung der offenen Stellen mit Höchstalterbegrenzung kommt die Bundesanstalt für Arbeit zu dem Ergebnis, daß jede zweite Stelle mit einer Altersbegrenzung versehen ist, die vielfach nicht durch den Arbeitsplatz bedingt ist, wie z. B. bei Organisations-, Verwaltungsund Büroberufen sowie Warenkaufleuten Aufschlußreich ist weiterhin, daß ältere Arbeitnehmer und Frauen in beruflichen Weiterbildungsprogrammen der Unternehmen erheblich unterrepräsentiert sind

Eine Anpassung der Arbeitsplätze an die besonderen Erfordernisse von leistungsgewandelten älteren Arbeitnehmern, Leistungsgeminderten sowie weiblichen Arbeitnehmern wird nur in den seltensten Fällen vorgenommen Nur in wenigen Großbetrieben gibt es einen ausreichenden werksärztlichen Dienst — eine notwendige Voraussetzung für die Beschäftigung der Arbeitnehmer in eignungsgerechten Arbeitsplätzen sowie zur Verhinde-rung gesundheitsschädigender Überbelastungen — geschweige denn das ebenfalls erforderliche psychologisch geschulte Personal, das die Erfordernisse der Arbeitnehmer berücksichtigt und nicht lediglich zur Erhöhung der Arbeitsmotivation eingesetzt wird.

V. Ansätze einer an den Arbeitnehmerinteressen orientierten Beschäftigungspolitik

1. Sicherung der Vollbeschäftigung Grundlage jeglicher Beschäftigungspolitik ist die Sicherung der Vollbeschäftigung. Hierbei sollte nicht nur die offen ausgewiesene globale Arbeitslosenquote berücksichtigt werden. Erforderlich ist vielmehr, daß zusätzlich die verdeckte Arbeitslosigkeit in Betracht gezogen wird — mithin die sogenannte . Stille Reserve'derjenigen, die aus Resignation aus dem Arbeitsmarkt ausgetreten sind bzw. erst gar nicht eintreten sowie die exportierte Arbeitslosigkeit durch Abbau der Ausländerbeschäftigung. Bisher hat sich die Wirtschaftspolitik bei der Sicherung der Vollbeschäftigung lediglich an der gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosenquote ausgerichtet. So ist eines der wirtschaftspolitischen Ziele nach dem Stabilitätsgesetz — die Vollbeschäftigung — dann erreicht, wenn die Arbeitslosenqüote ein Prozent nicht übersteigt. Quantifizierte Vorstellungen über eine bessere Ausschöpfung der , Stillen Reserve'sowie eine Lenkung der Zuwächse bei der , Ausländerbeschäftigung bestanden bisher nicht. 2. Verringerung struktureller Beschäftigungsungleichgewichte Die global wirkende Wirtschaftspolitik ist durch gezielte Maßnahmen der sektoralen und regionalen Strukturpolitik zu ergänzen. Nur dann ist es möglich, die im Zuge des wirtschaftlich-technisch-organisatorischen Wandels auftretenden strukturellen Beschäftigungsungleichgewichte zu beseitigen. Wie die Erfahrung zeigt, treten diese strukturell bedingten Beschäftigungsprobleme in Zeiten rückläufiger Konjunkturentwicklung besonders stark zu Tage. Beschränkt sich die Wirtschaftspolitik auf kurzfristige globale Maßnahmen, verschärfen sich die strukturellen Beschäftigungsungleichgewichte: Auf der einen Seite entstehen Ballungsprobleme durch Konzentration industrieller Erweiterungen und Neuansiedlungen in einigen wenigen Regionen, die Standortvorteile bieten. Auf der anderen Seite erfahren Regionen mit einer unterentwickelten oder einseitigen Wirtschaftsstruktur bzw. Beherrschung durch schrumpfende Industriezweige eine quantitative und qualitative Bevölkerungserosion. Derartige Ballungs-wie auch Entleerungsprozesse verursachen erhebliche soziale Kosten für die betroffenen Arbeitnehmer und die Gesamtwirtschaft.

Berücksichtigt man diese sozialen Kosten sowie den oben dargestellten Anspruch der Arbeitnehmer, die Notwendigkeit zu regionaler Mobilität verbunden mit Wohnsitzwechsel auf ein Minimum zu reduzieren, ergibt sich folgende Forderung an die Strukturpolitik: Die sektorale und regionale Wirtschaftsstruktur ist dergestalt zu steuern, daß allen offen und verdeckt nach Arbeit Suchenden geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten an ihrem Wohnort geboten werden. Dabei wird es in einigen Fällen erforderlich sein, spezielle Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen für die sogenannten arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen zur Verfügung zu stellen: z. B. Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer, die weder körperliche Höchstleistungen noch Schichtarbeit erfordern; Teilzeitarbeitsplätze auch für höhere Qualifikationsebenen; Arbeitsplätze für die besonderen Erfordernisse Leistungsgeminderter.

Bisherige Maßnahmen zur Lenkung der sektoralen und regionalen Beschäftigungsstrukturen sind insbesondere: Subventionen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Industriezweige, Wirtschaftsförderung über die Erleichterung von Kreditbedingungen zur Umstellung bzw. Erweiterung vorhandener Betriebe, Ansiedlung neuer Betriebe, Schaffung außer-B landwirtschaftlicher Arbeitsplätze in vorwiegend landwirtschaftlichen Gebieten, Stillegungsprämien im Rahmen von Stillegungsplänen für schrumpfende Industriezweige (vor allem Bergbau und Landwirtschaft).

Obwohl die Informationen über die Erfolge derartiger Strukturmaßnahmen weitgehend unzureichend sind, lassen sie folgende Ergebnisse erkennen: Zwar konnten offensichtlich in vielen Fällen die quantitativen Beschäftigungsungleichgewichte durch eine Verringerung der globalen Arbeitslosenquote gemildert werden Jedoch gibt es mannigfache Beispiele dafür, daß gleichzeitig zusätzlich qualitative Beschäftigungsprobleme entstanden Zu nennen wären in diesem Zusammenhang insbesondere: — Zwischen den neu geschaffenen Arbeitsplätzen und dem Wohnort der Arbeitssuchenden bestand oft eine unzumutbare Entfernung. — Die Leistungsanforderungen in den neu angesiedelten Betrieben entsprechen in keiner Weise den Leistungsmerkmalen der einheimischen Bevölkerung. — Da die Industrieansiedlung z. T. über die Errichtung von Zweigbetrieben großer Konzerne erfolgt, kann der Multiplikatoreffekt für das regionale Wirtschaftswachstum gefährdet werden. — Teilweise werden die mit öffentlichen Mitteln geförderten Betriebe nach wenigen Jahren — wenn die gesetzlichen Auflagen erfüllt sind — wieder geschlossen.

— Es ist keinesfalls gewährleistet, daß die mit öffentlichen Mitteln geförderten privaten Investitionen in krisensichere Wachstumsindustrien fließen; z. T. werden offensichtlich lediglich veraltete Industriestrukturen konserviert. — Da der Ansatzpunkt für die Förderung die privaten Investitionen sind, können Wettbewerbsverzerrungen insofern entstehen, als an anderer Stelle oder in anderen Unternehmen Arbeitsplätze gefährdet bzw. durch die Fördermittel ertragsschwache Unternehmen gestützt werden. — Schließlich ist hier darauf zu verweisen, daß es bisher an einer geeigneten Auswahl der zu fördernden Regionen unter Berücksichtigung des quantitativen und qualitativen Beschäftigungsaspekts fehlt. — Ebenso mangelt es an der Koordination dieser strukturpolitischen Maßnahmen mit anderen beschäftigungspolitischen Strategien, wie es der eingangs formulierte Anspruch einer umfassenden Beschäftigungspolitik erfordern würde.

Insgesamt ist daher in Frage zu stellen, ob das derzeitige Instrumentarium der sektoralen und regionalen Struktursteuerung — vor allem über eine finanzielle Förderung privater Investitionen mit öffentlichen Mitteln — überhaupt so eingesetzt werden kann, daß eine ausgewogene Verteilung der Beschäftigungsmöglichkeiten nach den Erfordernissen der Arbeitnehmer erreicht wird. In jedem Fall wären dann neben der Gewährung von finanziellen Anreizen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in rückständigen Gebieten gleichermaßen Industrie-ansiedlungenbzw. -erweiterungen in Ballungsgebieten zu begrenzen. Zudem sind finanzielle Anreizmittel zur Schaffung neuer Industrien in rückständigen Regionen mit stärkeren Auflagen über die Dauer und Qualität der neu zu schaffenden Arbeitsplätze zu verbinden. Größeres Schwergewicht müßte neben der Förderung privater Investitionen auch auf die bessere Ausstattung unterentwickelter Regionen mit Infrastruktureinrichtungen gelegt werden. Zudem wären neben Industrieunternehmen verstärkt Investitionen in Dienstleistungsbereichen zu fördern. Notwendig ist weiterhin die Erarbeitung neuer Abgrenzungskriterien für Förderregionen unter Berücksichtigung der Qualität der Beschäftigung. Schließlich ist auf die Notwendigkeit zur Koordinierung derartiger Maßnahmen der sektoralen und regionalen Struktursteuerung mit anderen Maßnahmen der Beschäftigungspolitik hinzuweisen. 3. Steuerung der Ausländerbeschäftigung Zunehmende Bedeutung für die Arbeitsplatz-sicherheit der in-und ausländischen Arbeitskräfte in der Bundesrepublik gewinnt die Steuerung der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer. Das oben abgeleitete Postulat der Minimierung der Notwendigkeit zu regionaler Mobilität — verbunden mit einem Wohnsitz-wechsel — gilt grundsätzlich ebenso für ausländische wie für inländische Arbeitnehmer. Ziel der Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik sollte daher sein, im Rahmen internationaler Institutionen — vor allem der Europäischen Gemeinschaften und des Internationalen Arbeitsamtes — dafür zu sorgen, daß der wirtschaftliche Zwang zur Auswanderung durch entsprechende wirtschaftliche Entwicklung in den Heimatländern der Wanderarbeitnehmer verringert wird. Von daher gesehen ist das Prinzip der Freizügigkeit der Arbeitskräfte innerhalb der EG mit Vorsicht zu betrachten. So lange es Gebiete mit unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, aus denen Arbeitnehmer auswandern müssen, um ihre Existenzgrundlage zu sichern, kann man von einer echten Freizügigkeit kaum sprechen. Die Gestaltung internationaler Wanderungen sowie regionaler Entwicklungspolitik gehören daher eng zusammen.

Bei der Lenkung der Anwerbungen ausländischer Arbeitnehmer sollte nicht nur die jeweilige gesamtwirtschaftliche Beschäftigungssituation in der Bundesrepulik berücksichtigt werden. Vielmehr kommt es darauf an, daß die regionale Beschäftigungslage bei der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer in Betracht gezogen wird, damit nicht — wie bisher — ein besonders starker Zuzug ausländischer Arbeitnehmer in den Ballungsräumen stattfindet. Zudem ist die Anwerbung weiterer Ausländer ebenfalls von der Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen abhängig zu machen.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß ausländische Arbeitnehmer z. T. nach einiger Zeit wieder in ihr Heimatland zurückkehren wollen und daher nach Möglichkeit in solchen beruflichen Tätigkeiten zu qualifizieren sind, die sie später in ihrem Heimatland verwenden können. Schließlich ist zu verhindern, daß die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte zur Unterbeschäftigung inländischer Arbeitnehmer — vor allem der sogenannten arbeitsmarkt-politischen Problemgruppen — führt. Wenn es auch auf den ersten Blick oft so scheint, daß Inländer gar nicht bereit sind, die Tätigkeiten auszuführen, in denen Ausländer beschäftigt sind, so ist dies jedoch eine etwas vereinfachte Betrachtungsweise. Man wird vielmehr annehmen müssen, daß die Verfügbarkeit ausländischer Arbeitskräfte den Zwang für die Arbeitgeber verringert, die Arbeitsbedingungen den Erfordernissen der inländischen Arbeitsreserve anzupassen.

Die derzeitige Situation der Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik ist weitgehend das Ergebnis einer ungezügelten Anwerbepolitik nach den Bedürfnissen der Unternehmen. Erste Schritte in Richtung auf eine Steuerung der Ausländerbeschäftigung wurden mit der Erhöhung der Anwerbepauschale, die der Arbeitgeber für jeden neu angeworbenen ausländischen Arbeitnehmer an die Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten hat, getan. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang der Anwerbestopp für Ausländer aus Drittländern (außerhalb der EG) zu nennen, der infolge der Energiekrise und des konjunkturellen Rückgangs Ende 1973 verfügt wurde. Die Entwicklung und Anwendung einer an den Interessen der in-und ausländischen Arbeitnehmer orientierten Steuerung der Ausländerbeschäftigung steht jedoch noch aus. 4. Weiterbildung Einen weiteren wesentlichen Bereich einer an Arbeitnehmerinteressen orientierten Beschäftigungspolitik bilden die Maßnahmen der Weiterbildung. Hierbei reicht es keinesfalls aus, die ausschließlich berufsbezogene Anpassung zu fördern. Es ist vielmehr erforderlich, gleichzeitig soziale Lernprozesse zu ermöglichen, welche den einzelnen Arbeitnehmer überhaupt erst in den Stand versetzen, die eigenen Interessen im Hinblick auf das Arbeitsund Berufsleben zu erkennen, zu formulieren und durchzusetzen. Eine derartige Förderung der sozialen Lernfähigkeit ist gleichzeitig die Voraussetzung für die Bereitschaft und Fähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers, sich den kontinuierlichen Wandlungen in den beruflichen Anforderungen anzupassen. Realisierbar ist der Anspruch nach Weiterbildung nur, wenn der Bildungsurlaub auf breiter Basis eingeführt wird sowie geeignete Bildungsprogramme angeboten werden.

Kernstück der im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verankerten Maßnahmen einer vorbeugenden Arbeitsmarktpolitik ist die Begründung eines gesetzlichen Anspruchs auf individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung. Bei der beruflichen Fortbildung handelt es sich um Maßnahmen, „die das Ziel haben, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzen" (§ 41 AFG). Eine berufliche Umschulung im Sinne des AFG liegt vor bei Maßnahmen, „die das Ziel haben, den Übergang in eine andere geeignete berufliche Tätigkeit zu ermöglichen, insbesondere um die berufliche Beweglichkeit zu sichern oder zu verbessern" (§ 47 AFG). Darüber hinaus kann die Bundesanstalt für Arbeit an Arbeitgeber Einarbeitungszuschüsse für Arbeitnehmer geben, „die eine volle Leistung am Arbeitsplatz erst nach einer Einarbeitungszeit erreichen können" (§ 49 AFG) sowie finanzielle Hilfe für Weiter-bildungseinrichtungen institutioneile Förderung gewähren.

Folgende Förderleistungen der Bundesanstalt für Arbeit sind vorgesehen: a) die Gewährung eines Unterhaltsgeldes bei Teilnahme an ganztägigem oder berufsbegleitendem Unterricht, der mindestens ein Drittel der Arbeitszeit ausmacht; b) die Übernahme der Kosten, die mit dem Besuch der Lehrgänge verbunden sind. Anspruchsberechtigt sind alle Beschäftigten, soweit folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Die Bewerber müssen eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben oder eine solche ausüben wollen sowie entsprechende Eignun-gen und Neigungen für den mit der Weiterbildung angestrebten Zielberuf aufweisen; die berufliche Förderung muß unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig sein; die Qualifizierungsmaßnahmen müssen sich von der beruflichen Erst-ausbildung und Allgemeinbildung genau abgrenzen und den Kriterien für die berufliche Erwachsenenbildung entsprechen; sie dürfen nicht auf die besonderen Erfordernisse eines Betriebes oder Verbandes ausgerichtet sein. Die Qualifizierungsmaßnahmen sollen in der Regel nicht länger als zwei Jahre dauern.

Von 1969 bis 1971 hat sich die Zahl der Personen, die Förderungsleistungen der Bundesanstalt für Arbeit in Anspruch nahmen, von 82 936 auf 288 390 um weit mehr als das Dreifache erhöht. 1972 ist die Zahl der geförderten Personen allerdings wieder etwas zurückgegangen: auf 260 285. Beachtenswert ist die Tatsache, daß der überwiegende Teil der Teilnehmer an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesanstalt 1972 mit mehr als 80 vom Hundert berufliche Fortbildungsprogramme besuchten, während die Umschüler mit rund 12 vH und diejenigen, die an Einarbeitungsmaßnahmen teilnahmen, mit 6, 0 vH einen vergleichsweise geringen Anteil ausmachten. Dabei hat die relative Bedeutung der Fortbildung seit 1970 (69 vH) zugenommen, während der Anteil der Einarbeitungsprogramme von 17 vH 1970 auf 6 vH 1972 fast auf ein Drittel gesunken ist. Das Gewicht der Umschulung hat sich seit 1970 (14 vH) geringfügig verringert. Diese quantitativen Ergebnisse werden von der Bundesregierung folgendermaßen interpretiert

Der starke Anstieg der Zahl der Teilnehmer allein dürfte als Erfolgsmaßstab für die berufliche Weiterbildung im Rahmen des AFG kaum ausreichen. Als weitere Beurteilungskriterien sind einmal die im AFG festgelegten Ziele heranzuziehen, insbesondere die Sicherung oder Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit; die Ermöglichung eines beruflichen Aufstiegs; die Vermeidung oder Behebung eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften; die Verhütung oder Beendung von Arbeitslosigkeit sowie qualitativer und quantitativer Unterbeschäftigung. Bei der beruflichen Fortbildung wird zudem ausdrücklich die Förderung des Eintritts oder Wiedereintritts weiblicher Arbeitssuchender sowie die Wiedereingliederung älterer Arbeitssuchender in das Berufsleben postuliert (§ 43 AFG). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Sicherung oder Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit kaum ein eigenständiges Ziel darstellt, sondern erst dann zweckmäßig ist, wenn sie zur Erfüllung der übrigen Ziele beiträgt.

Zum anderen sind neben den arbeitsmarktpolitischen Zielen des AFG gleichfalls gesell-Schafts-und bildungspolitische Aspekte zu einer Beurteilung der beruflichen Weiterbildung maßgeblich. Dies ergibt sich insbesondere daraus, daß die berufliche Weiterbildung als vierter Bildungsbereich in das Gesamtbildungssystem integriert werden soll — wie es in den Vorstellungen zur Bildungsreform zum Ausdruck kommt Danach gelten auch für die berufliche Weiterbildung folgende bildungspolitische Zielsetzungen: das Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit; Chancengleichheit bei der Berufswahl; Wekkung unerkannter Begabungen; Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus.

Aus den bisherigen Ergebnissen der von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten beruflichen Weiterbildung lassen sich für eine Beurteilung dieser Maßnahme anhand der eben genannten Kriterien folgende Schlüsse ziehen: 1. Das arbeitsmarktpolitische Ziel einer Förderung der beruflichen Beweglichkeit ist zumindest teilweise erreicht, wie sich aus der beträchtlichen Zunahme der Zahl der Weiterbildungsteilnehmer entnehmen läßt.

2. Da der bei weitem überwiegende Teil der beruflichen Förderung der Bundesanstalt für Arbeit auf die berufliche Fortbildung entfällt, kann angenommen werden, daß auch der arbeitsmarktpolitischen Forderung nach einer Verbesserung der beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten nachgekommen wurde.

3. Inwieweit durch die berufliche Förderung der Bundesanstalt für Arbeit ein Mangel an qualifizierten Fachkräften behoben werden konnte, läßt sich anhand der Ergebnisse schwer feststellen. Da jedoch das AFG ausdrücklich vorschreibt, daß sich die berufliche Weiterbil-düng neben den individuellen Voraussetzungen der Bewerber an den Arbeitsmarkterfordernissen auszurichten habe, ist zu vermuten, daß diesem Postulat soweit wie möglich Rechnung getragen wird. Dabei bildet natürlich die unzureichende, wenn auch zunehmend verbesserte Übersicht über die gegenwärtige und zukünftige regionale, sektorale und berufliche Arbeitsmarktentwicklung ein entscheidendes Hindernis. Zudem ist die Weiterbildung für höher qualifizierte Dienstleistungsberufe mit einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften — z. B. in der Verwaltung sowie im sozialpflegerischen Bereich — die zumindest einen Fach-schulbesuch erforderlich macht, von der Förderung nach dem AFG weitgehend ausgeschlossen, da sie zum großen Teil die Voraussetzung des Angebots erwachsenenspezifischer Lehrgänge nicht erfüllt. 4. Skepsis erscheint ebenfalls angebracht bei der Beurteilung, inwieweit durch die berufliche Fortbildung der Bundesanstalt Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung beseitigt bzw. verhindert werden konnten. Da in der Bundesrepublik seit Jahren. ein tendenzieller Mangel an Arbeitskräften herrscht, ist die globale Arbeitslosenrate minimal, was kaum auf die berufliche Förderung nach dem AFG zurückgeführt werden kann. Ein Vergleich der Struktur der Arbeitslosen mit den Weiterbildungsteilnehmern legt allerdings die Vermutung nahe, daß die Personengruppen, die am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen sind, am wenigsten in den Genuß der beruflichen Förderung der Bundesanstalt für Arbeit kommen: Frauen, Ältere über 35 Jahre, gering Qualifizierte, Beschäftigte in schrumpfenden Wirtschaftszweigen — insbesondere Landwirtschaft und Stein-kohlenbergbau sowie in Regionen mit relativ ungünstiger Wirtschaftsstruktur. 5. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, daß das ausdrücklich postulierte arbeitsmarktpolitische Ziel der beruflichen Fortbildung — Erleichterung der Wiedereingliederung von Frauen und Älteren in den Arbeitsprozeß — nicht erfüllt wurde. Es muß sogar festgestellt werden, daß sich die Benachteiligung dieser Personengruppen im Arbeitsleben durch die Vernachlässigung bei der beruflichen Weiterbildung noch verstärkt.

6. Entsprechendes gilt für die bildungspolitischen Konsequenzen der beruflichen Weiterbildung im Rahmen des AFG: Infolge der eindeutigen Bevorzugung derjenigen, welche die besseren bildungsmäßigen Voraussetzungen mitbringen, findet eine „zunehmende Polarisierung der Erwerbstätigen hinsichtlich ihres Bildungsniveaus" statt. Das bildungspolitische Postulat einer gleichmäßigeren Verteilung der Bildungschancen ist daher eher in sein Gegenteil verkehrt.

Diejenigen, die schon im Rahmen der betrieblichen Erstausbildung vernachlässigt werden, erfahren bei der beruflichen Weiterbildung eine weitere Benachteiligung. Hierbei wären vor allem folgende Chancenungleichheiten bei der beruflichen Erstausbildung zu nennen, die sich bei der beruflichen Weiterbildung-fortsetzen: — Benachteiligung von Auszubildenden in Betrieben, deren Ausbildungsprogramme qualitativ unzureichend sind, bzw. für die keine oder nur geringe Möglichkeiten zum Besuch qualifizierter überbetrieblicher Lehrwerkstätten besteht, gegenüber solchen in qualifizierten Bildungseinrichtungen (i. a. Ausbildungsstellen in größeren Betrieben oder in über-betrieblichen Lehrwerkstätten); dabei dürfte es sich bei den Benachteiligten um den bei weitem größeren Teil der Auszubildenden handeln. — Benachteiligung von Auszubildenden in Regionen mit einem geringer differenzierten Angebot an qualifizierten Berufsbildungsstellen gegenüber Jugendlichen in hinsichtlich Ausbildungsstellen quantitativ und qualitativ besser ausgestatteten Regionen. — Benachteiligung von Angelernten und Ungelernten; — Benachteiligung von Auszubildenden aus sozial schwachen Elternhäusern (unterhalb des kulturellen Existenzminimums, gemessen am Spielraum zur Erfüllung materieller und nicht-materieller Interessen) gegenüber Auszubildenden aus Elternhäusern oberhalb des kulturellen Existenzminimums.

Die bisherigen, Ergebnisse der beruflichen Weiterbildung der Bundesanstalt für Arbeit können folgendermaßen zusammengefaßt werden Offensichtlich erfolgreich ist die Förderung der beruflichen Beweglichkeit in Form einer Verbesserung der beruflichen Aufstiegschancen für die bildungsmäßig schon Privilegierten. Als Folge ergibt sich eine Polarisierung der Bildungs-, Arbeits-und Lebenschan-cen der Arbeitnehmer. Hierin werden sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen der beruflichen Förderung nach dem AFG deutlich. Ohne Zweifel ist die Verlagerung des Schwerpunktes der Arbeitsmarktpolitik von der Einkommenssicherung im Falle des Arbeitsplatzverlustes auf die Verhütung der Arbeitslosigkeit durch die Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine aktive Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zur Verbesserung der Arbeits-und Lebenssituation der Arbeitnehmer. Jedoch ist eine derartige berufliche Förderung, welche gleichrangig individuelle Eignungen und Neigungen sowie den derzeitigen arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen Rechnung tragen soll, offenbar nicht geeignet, dem gesellschaftspolitischen Anspruch der an — derartige Fördermaßnahmen zu richten ist einer gleichmäßigeren Verteilung der Bildungs-und damit Arbeits-und Lebenschancen — gerecht zu werden.

Ob die mangelnde Einbeziehung älterer Arbeitnehmer tatsächlich darauf zurückzuführen ist, daß älteren Menschen überhaupt nicht oder nur noch bedingt bildungsbereit sind — wie oft unterstellt wird — erscheint zweifelhaft. Untersuchungen der letzten Zeit machen deutlich, ältere lernund Menschen ebenso bildungsfähig sein können wie jüngere, wenn ihren Erfordernissen und Fähigkeiten entsprechende Lernmethoden angewendet werden. Die Benachteiligung älterer Arbeitnehmer bei der beruflichen Weiterbildung dürfte daher vor allem in der unzulässigen Verallgemeinerung der These von der abnehmenden Leistungsfähigkeit in höherem Lebensalter liegen und daher auch nur im Rahmen einer allgemeinen Veränderung der Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber beruflicher Leistungs-und Bildungsfähigkeit älterer Menschen zu verringern sein

Bei un-und angelernten Arbeitern dürfte nicht zuletzt die vielfach geistig wenig anregende Arbeitssituation ausschlaggebend für die mangelnde Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen sein. Dies läßt sich aus der IAB-Untersuchung der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen 1965 bis 1970 entnehmen Hier wird der enge Zusammenhang zwischen der Arbeitsgestaltung und der Weiterbildungsbereitschaft deutlich. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die für viele von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Weiterbildungslehrgänge erforderlichen bildungsmäßigen Voraussetzungen — im allgemeinen eine abgeschlossene Berufsausbildung — von den an-und ungerlernten Arbeitern nicht erfüllt sind.

Die beträchtliche Unterrepräsentation schließlich derjenigen Arbeitnehmer, die aus schrumpfenden Wirtschaftszweigen ausscheiden — insbesondere Bergbau und Landwirtschaft — lassen vermuten, daß in der Bundesrepublik ein beträchtlicher Berufswechsel ohne berufliche Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit stattfindet.

Die hier aufgezeigten Grenzen der beruflichen Weiterbildung bedeuten jedoch keinesfalls, daß diese nicht auch eigenständige Aufgaben zu erfüllen hat. Neben der Bereitstellung quantitativ und qualitativ ausreichender Arbeitsplätze zur Beschäftigung der vorhandenen Arbeitnehmer in ihrer regionalen und beruflichen Verteilung ist ge die zentrale Funktion einer -

staltenden Beschäftigungspolitik die berufliche Anpassung und Förderung, ergänzt durch geeignete Maßnahmen der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung. Es müssen daher vermehrte Anstrengungen unternommen werden, die bisher vernachlässigten arbeitsmarkpolitischen Problemgruppen stärker in die berufliche Weiterbildung einzugliedern. Wenn hierbei der beruflichen Weiterbildung allein auch enge Grenzen gesetzt sein dürften, so sind diese bisher doch kaum ausgeschöpft worden. Eine bessere Abstimmung der zu fördernden Weiterbildungsmaßnahmen auf die besonderen Erfordernisse dieser Personengruppen erscheint notwendig und zweckmäßig Dazu bedarf es weiterer Untersuchungen über Lernbereitschaft und Lernfähigkeit dieser Personengruppen sowie der Qualität der von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Weiterbildungsprogramme. Neben diesen beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit müssen in verstärktem Maße außerberufliche Erwachsenenbildungsprogramme angeboten werden, die z. T. erst die Voraussetzung für die Nutzung der Qualifizierungsmöglichkeiten der Bundesanstalt durch die Förderung der Weiterbildungsbereitschaft bieten dürften. 5. Beschäftungspolitische Maßnahmen auf betrieblicher Ebene Die bisher genannten Maßnahmen sind weitgehend auf die Beschäftigungspolitik öffentlicher Institutionen — vor allem die öffentliche Hand sowie die Bundesanstalt für Arbeit — ausgerichtet. Eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte Beschäftigungspolitik ist jedoch nur möglich, wenn diese öffentlichen beschäftigungspolitischen Maßnahmen mit der innerbetrieblichen Personal-und Sozialpolitik koordiniert werden. Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß eine an Arbeitnehmerinteressen orientierte betriebliche Personalplanung und -politik noch kaum existiert. Bisher bestehen lediglich einzelne gesetzliche oder tarifliche Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer-interessen. Zu nennen wäre hierbei insbesondere: Kündigungsschutz, Arbeitsschutz, Jugend-schutz, Rationalisierungsschutzabkommen, betriebliche Sozialpläne.

Im folgenden soll auf das Instrument der betrieblichen Sozialpläne eingegangen werden, da ihnen für den Schutz der Arbeitnehmer besondere Bedeutung im Zuge rationalisierungsbedingter Entlassungen zukommt. Zudem wurde dieses beschäftigungspolitische Instrument durch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes erheblich verstärkt, da danach der Betriebsrat berechtigt ist, bei Betriebsänderungen, „die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können", die Aufstellung eines Sozial-planes zu verlangen (Betr. Vg § 111). Betriebliche Sozialpläne, die zunächst in den der qualifizierten Mitbestimmung unterliegenden Wirtschaftszweigen der Montanindustrie eingeführt wurden, stellen somit nun einen beschäftigungspolitischen Schutz der Arbeitnehmer bei Entlassungen in allen Wirtschaftszweigen dar. Im allgemeinen beinhalten betriebliche Sozial-pläne folgende Leistungen — Zahlung einer Abfindung für entlassene Arbeitnehmer, die meist nach Alter und Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt ist und nach dem bisherigen Monatseinkommen bemessen wird. — Erhaltung der Ansprüche aus der betrieblichen Zusatzaltersversorgung; z. T. Gewährleistung einer Ausgleichszahlung für die Verminderung der Pensionsansprüche infolge der Stillegung; — Erhaltung des Mietrechts in Werkswohnungen oder Abgeltung dieses Anspruchs durch Mietbeihilfen; — Sicherung der Ansprüche auf Urlaub, Weihnachtsgeld, Jubiläumszuweisungen, sonstigen Gratifikationen und Vergünstigungen; — Umschulung und Anlernung; betriebliche Umsetzungen unter Umständen mit einem Lohnausgleich für jüngere Arbeitnehmer.

Wie bisherige Erfahrungen zeigen, konnten über derartige betriebliche Sozialpläne finanzielle Härten bei Betriebsänderungen für die betroffenen Arbeitnehmer gemildert werden. Die Beschäftigungssituation haben sie jedoch kaum entscheidend verbessern können. Denn Umschulungen und Umsetzungen — z. T. Bestandteile betrieblicher Sozialpläne — sind bisher offensichtlich kaum in Anspruch genommen worden.

Aus der Vielschichtigkeit der Beschäftigungsprobleme ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung eines gleichermaßen umfassenden Ansatzes für die Beschäftigungspolitik. Hierbei sind die öffentliche Beschäftigungspolitik sowie die innerbetriebliche Personal-und Sozialpolitik miteinander zu koordinieren. In eine derartige an Arbeitnehmerinteressen orientierte integrierte Beschäftigungspolitik sind zumindest folgende Maßnahmebereiche einzubeziehen: Vollbeschäftigungspolitik unter Berücksichtigung nicht nur der offenen, sondern auch der verdeckten Arbeitslosigkeit; sektorale und regionale Strukturpolitik unter Beachtung des quantitativen und qualitativen Beschäftigungsaspektes; Steuerung der Ausländerbeschäftigung; Angebot geeigneter beruflicher und außerberuflicher Weiterbildungsmöglichkeiten; Entwicklung einer an Arbeitnehmerinteressen orientierten betrieblichen Personal-und Sozialpolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Kern, M. Schumann, Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein, Teil I, Frankfurt 1970, S. 279. Vgl. ferner zum Thema allgemein die empirische Untersuchung von M. Osterland, W. Deppe, F. Gerlach, U. Mergner, K. Pelte und M. Schlösser, Materialien zur Lebens-und Arbeitssituation der Industriearbeiter in der BRD, Frankfurt 1973.

  2. Vgl. A. Christmann, Allgemeine Probleme der Strukturpolitik, in: Beihefte der Konjunkturpolitik, Heft 16, S. 11 ff.

  3. Vgl. E. Willeke, Arbeitsmarkt, in: HdSW, Bd. 1, 1956, S. 326.

  4. Vgl. D. Mertens, Berufsprognosen: Relativierung und Modifikationen, in: Mitteilungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, Nr. 6, Februar 1969, S. 405 ff.

  5. F. Weitz, Bestimmungsgrößen des Arbeitsmarkt-verhaltens von Arbeitnehmern, hrsg. vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, München 1970.

  6. Vgl. hierzu die Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener empirischer Mobilitätsuntersuchungen, in: F. Böhle, N. Altmann Industrielle Arbeit und Soziale Sicherheit, Frankfurt 1972, S. 46 ff.

  7. Vgl. Die Unlust des Arbeiters am Fließband, Die Welt, vom 24. 1. 1973.

  8. Vgl. F. Böhle, N. Altmann, a. a. O., S. 48 ff.

  9. Vgl. F. Böhle, N. Altmann, a. a. O., S. 70 ff.

  10. Vgl. H. O. Vetter, Humanisierung der Arbeitswelt als gewerkschaftliche Aufgabe, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/73, S. 1 ff.

  11. G. Weisser, Bemerkungen zur anthropologischen Grundlegung der für die Sozialpolitiklehre erforderlichen Lebenslagenanalysen, unveröffentlichtes Manuskript, Köln 1956.

  12. E. W. Bakke, Principles of Adaptive Human Behaviour, New Haven 1946, S. 6 ff.

  13. O. Sik, Der Dritte Weg, Hamburg, 1972, S. 56 ff.

  14. Vgl. OECD (Hrsg.), Working Paper on Socia Indicators, Paris 1971; vgl. ebenso N. O. Herrid and Robert P. Quinn, The working condition survey as a source of social indicators, in: Monthl Labor Review, April 1971, S. 15 ff.

  15. Vgl. U. Engelen-Kefer, Umschulung in einer wachsenden Wirtschaft, dargestellt am Beispiel der USA — Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Beratung der Politik, Essen 1971, S. 8 ff.

  16. Arbeitsmarktpolitische Aktionsräume in Nordrhein-Westfalen. Vorstudie der Deutschen Gesellschaft für Landentwicklung GmbH, Bad Homburg, Düsseldorf 1970.

  17. Vgl. L. Schuster, Die Mobilität der Arbeitnehmer. Eine vergleichende Analyse von vier Erhebungen, in: Mitteilungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 2. Jg. 1969, Nr 7, S. 529 ff.

  18. F. Herzberg, Work and the Nature of Man, Cleveland and New York 1966, S. 72.

  19. Zu dieser Feststellung kommt die im Auftrag des US-Ministeriums für Gesundheit, Bildung und Soziales erstellte Studie „Work in America", unveröffentlichtes Manuskript, Washington 1972.

  20. Vgl. E. Willeke, . Arbeitslosigkeit’, HdSW, Bd. 1, Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1956, S. 306 ff.

  21. Vgl. U. Engelen-Kefer, Umschulung in einer wachsenden Wirtschaft, a. a. O., S: 4 ff.

  22. Vgl. Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmer in die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens, Köln 1970, S. 111 ff.

  23. Spezielle Probleme der . Frauenerwerbstätigkeit in Nordrhein-Westfalen, Institut für angewandte Sozialwissenschaft, Bonn-Bad Godesberg, Juli 1971, S. 45.

  24. Vgl. H. J. Borries, Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit der Frauen und ihre Einflußfaktoren, in: Wirtschaft und Statistik, 1973, S. 149 ff.

  25. Zu den Beschäftigungstendenzen älterer Arbeitnehmer.

  26. Vgl. H. J. Borries, a. a. O., S. 149; vgl. ebenso Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Erwerbstätigkeit der Frauen und ihre Probleme in ien Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Zusammeniassender Bericht.

  27. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, i. a. O., S. 23.

  28. Vgl. L. Alex u. a., Teilzeitbeschäftigung bei männlichen Arbeitskräften, Expertise im Auftrag des BMA, Köln 1971.

  29. F. Böhle, N. Altmann, a. a. O., S. 46 ff.

  30. Vgl. U. Engelen-Kefer, Meistens geht es gar nicht ums Geld, in: Handelsblatt vom 19. 5. 1973.

  31. Vgl. M. Weber, Programmatische Forderungen des DGB im Jahr der Arbeitnehmer, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 11/72, S. 680; vgl. ebenso R. Skiba, Volkswirtschaftliche Dimension der Frauenarbeit, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 11/72, S. 696 ff.

  32. Vgl. hierzu A. Hassencamp, Die Qualität der Arbeitsbedingungen — Probleme und Lösungssätze, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/73, S. 60 ff.

  33. Vgl. H. O. Vetter, a. a. O„ S. 3.

  34. Vgl. z. B. U. Engelen-Kefer, Betriebliche Personalplanung — Instrument zur Lösung sozialer Konflikte im Betrieb, in: Das Mitbestimmungsgespräch 6/7 1973, S. 106 ff.

  35. Vgl. G. Leminsky, Arbeitsgestaltung als Lernprozeß. Erfahrungen mit Experimenten in Norwegen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 1/73, S. 28 ff.

  36. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Personalführung, Einsatz älterer Arbeitnehmer, Neuwied und Berlin 1972.

  37. Vgl. Berufsausbildung in Großunternehmen, Bericht an die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Deutsche Gesellschaft für Personalführung, Düsseldorf, 1971.

  38. „Qualifizierung älterer Arbeitnehmer", RKW-Projekt A 87, Arbeitsgemeinschaft für System-und Konzeptforschung, Juli 1971, S. 34 ff.

  39. Vgl. Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, März 1972.

  40. Vgl. Qualifizierung älterer Arbeitnehmer, a. a. O.

  41. Vgl. Einsatz älterer Arbeitnehmer, a. a. O.

  42. Vgl. Raumordnungsbericht der Bundesregierung, Bundestagsdrucksadie VI/3793.

  43. Vgl. z. B. F. Wiethold, Probleme bei der verspäteten Industrialisierung einer ländlichen Region. Zum Wandel in den Erwerbsbedingungen Ostfrieslands seit dem 2. Weltkrieg, Diss., Marburg/Lahn 1972; Aspekte zur Beschäftigungsund Wachstumspolitik für das Ruhrgebiet, Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung im Auftrag des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1970.

  44. Vgl. Bericht der Bundesregierung nach § 239 des Arbeitsförderungsgesetzes (Arbeitsförderungsbericht), Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/403, 23. 3. 1973.

  45. Vgl. Deutscher Bildungsrat: Empfehlungen der Bildungskommission, Strukturplan für das Bildungswesen, Bonn 1970, S. 25 ff.

  46. Vgl. Arbeitsförderungsbericht, a. a. O.; vgl. ebenso: Die berufliche Fortbildung männlicher Erwerbspersonen, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 5. Jg. 72, Heft 1 u. 2.

  47. Vgl. U. Engelen-Kefer, Betriebliche Berufsbildung unter arbeitsmarktpolitischen Aspekten, in: WWI-Mitteilungen, 10/1971.

  48. Vgl. U. Engelen-Kefer, Berufliche Weiterbildung •— Ziele, Aufgaben, Instrumente, in: Soziale Sicherheit, Heft II, 1973, S. 330 ff.

  49. Vgl. Thomae/U. Lehr, Berufliche Leistungsfähigkeit im mittleren und höheren Erwachsenenalter, Göttingen 1973; vgl. ebenso U. Engelen-Kefer, Arbeitsmarktpolitische Strategien zur Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer, in: WSI-Mitteilungen, Heft 10, 1972, S. 305 ff.

  50. Die berufliche Fortbildung männlicher Erwerbs-personen, a. a. O., S. 102 ff.

  51. Vgl. U. Engelen-Kefer, Umschulung in einer wachsenden Wirtschaft, dargestellt am Beispiel der USA. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Beratung der Politik, Essen 1971, Kapitel III.

  52. Vgl. K. Rumpff, Sozialplanung, insbesondere Aufstellung von Sozialplänen — Wichtige Aufgaben für die Mitbestimmungsträger, in: Das Mitbestimmungsgespräch 2/3, 1968.

  53. Vgl. H. Markmann, Personal-u. Sozialplanung im Betrieb, in: Produktivität und Rationalisierung — Chancen, Wege, Forderungen, Frankfurt a. M., 1971, S. III ff.

Weitere Inhalte

Ursula Engelen-Kefer, Dr. rer. pol., geb. 1943 in Prag. Nach dem Studium der Volkswirtschaft wissenschaftliche Referentin im Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes für Fragen der Arbeitsmarktanalyse und Arbeitsmarktpolitik. Seit 1. 1. 1974 Leiterin des Referats für Internationale Sozialpolitik beim DGB. Veröffentlichungen u. a.: Umschulung in einer wachsenden Wirtschaft — dargestellt am Beispiel der USA.