Systemveränderung auf dem Boden des Grundgesetzes Gesellschaftsreform als Prozeß umfassender Demokratisierung
Fritz Vilmar
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Zusammenfassung
In der vorliegenden Untersuchung faßt der Autor einige der wichtigsten theoretischen Ergebnisse seiner Studie über „Strategien der Demokratisierung" (Band I: Theorie der Praxis, Band II: Modelle und Kämpfe der Praxis) zusammen. Ausgehend von einer allgemeinen Bestimmung des Begriffs der „Systemveränderung" sowie der „gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsstrategie" entwickelt er zunächst die These, daß basisorientierte Strategien der Demokratisierung nicht im Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie, sondern im Gegenteil zur Vitalisierung und Ergänzung der parlamentarischen Institutionen und Prozesse zu verstehen sind — in strikter Abgrenzung zür (offenen oder latent) antiparlamentarischen Dogmatik orthodox-marxistischer Gruppen. In den Kapiteln III und IV wird eine Zusammenfassung der analytischen und strategischen Befunde des Theoriebandes gegeben: der relevanten Subsystembereiche sowie der Entscheidungsbereiche und Organisationsebenen der Demokratisierung — der Methoden, Potentiale und geschichtlichen Triebkräfte der seit Mitte der sechziger Jahre so gewachsenen Demokratisierungsbewegung. In Kapitel V entwickelt der Verfasser den gesellschaftspolitischen Kerngedanken seiner Demokratisierungstheorie: daß eine integrale „multifrontale" Strategie der gesellschaftlichen Demokratisierung an die Stelle konventioneller Konzepte der sozialistischen Transformation treten muß, soll der notwendige Prozeß einer Umgestaltung der Gesellschaft zur Verwirklichung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erfolgreich verlaufen. Eine ideologiekritische Analyse der Hauptargumente gegen das Demokratisierungskonzept und ein zusammenfassender Hinweis auf Inhalt und Relevanz der im II. Band vorgelegten aktuellen Modelle und Konfliktberichte zur Demokratisierung der verschiedenen gesell-sdiaftlichen Subsysteme schließen die Darstellung ab.
Der Begriff „Systemveränderung“ im Titel dieses engagiert vorgetragenen Plädoyers für eine mehr als nur formale Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie wird manchen Leser wohl zunächst befremden. Doch meint der Begriff hier nichts anderes, als was er besagte, ehe sich Ideologen seiner bemächtigten: Daß nämlich jedes politische Gemeinwesen eines stetigen Wandels bedarf, wenn nicht gefährliche Brüche in der gesellschaftlich-staatlichen Entwicklung auftreten sollen. Diese Analyse von verstärkt wahrzunehmenden Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger im Rahmen unserer Verfassungsordnung steht im Zusammenhang sowohl mit den in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträgen zur politischen Partizipation als auch mit der hier geführten Diskussion über die Ausschöpfung der Substanz des Grundgesetzes.
Nicht nur im Hinblick auf den 25. Jahrestag unserer Verfassung, sondern auch auf die vielfach geforderte Weiterentwicklung des parlamentarischen Systems würde es die Redaktion begrüßen, wenn dieser Beitrag Anlaß zu weiteren, auch kontroversen Überlegungen zum Thema gäbe.
Worum es geht
Es geht im folgenden um die Wahrnehmung und konsequente Weiterentwicklung einer völlig neuen Strategie des gesellschaftlichen, demokratischen Fortschritts. Hochnotwendig gerade hier und jetzt, da düstere Mutmaßungen vorherrschen: über eine neo-konservative Welle, eine europäische Krise der parlamentarischen Demokratie, ein Scheitern aller relevanter Reformen an der Allmacht-des „Kapitals“. Gescheitert ist aber keineswegs der seit acht Jahren in Gang gekommene, zwar mühsame, aber trotz aller Rückschläge durchaus erfolgreiche, nicht mehr umkehrbare gesellschaftliche Reformprozeß — als gescheitert erweisen sich vielmehr die beiden konventionellen Transformationskonzepte: das Konzept eines nur-parlamentarischen Demokratie-und Fortschrittsverständnisses und das Konzept einer aus der erwarteten Systemkrise erwachsenden evolutionären Totalumgestaltung. Aus der beschränkten Sicht beider — gegensätzlicher — Konzepte sieht die Zukunft allerdings dunkel aus: Aus der Sicht jener sich sehr links vorkommenden Gruppen, die aufgrund ihres dogmatischen Marxismus a priori Reformen als unwesentlich abtun müssen, von Revolution aber, ihrem allein wahren Nothelfer, weit und breit kein Anzeichen sehen. Ebenso aber aus der Sicht jener, die demokratischen Fort-schritt nur vom Parlamentarismus erwarten. So habe Willy Brandt, wie der SPIEGEL (10/74, S. 23) wissen will, insgeheim düstere Visionen: „Der Kanzler sieht die klassischen parlamentarischen Demokratien westlichen Musters am Ende. Nach seinem Urteil werden sie mit ihren Problemen nicht mehr fertig ..." Allerdings schließt der so zitierte Gedanke Brandts mit einer Schlußfolgerung, der der schwarz malende SPIEGEL-Artikel bezeichnenderweise nicht weiter nachgeht, die aber entscheidend ist: „ ... nicht mehr fertig und können deshalb nicht die Endform des demokratisch verfaßten Staates sein“.
Genau hier setzt die im folgenden zusammengefaßte Theorie einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsstrategie ein, die aus dreijährigen Studien basisdemokratischer Modelle, Experimente, Initiativen und Kämpfe entwik-kelt worden ist. Ihr Ergebnis ist, daß die parlamentarische Demokratie nicht die Endform (aber auch keineswegs nur eine „bürgerlichkapitalistische“ Form), sondern eine Frühform von Demokratie ist — ein sehr unreifes, „rohes", freilich notwendiges Rahmenkonzept für die Entwicklung einer realen Demokratie, d. h. einer in allen ihren Teilbereichen demokratisch durchstrukturierten Gesellschaft. Dabei gilt, was das Regierungssystem selbst betrifft (dessen notwendige Weiterentwicklung der Kanzler natürlich primär im Auge hat), im Sinne dieser Theorie der umfassenden Demokratisierung folgende Dialektik: daß die Labilität des gegenwärtigen Parlamentarismus wesentlich auf der politischen Apathie und demagogischen Verführbarkeit von Wählermassen beruht, während diese, wenn sie in Familie, Schule, Betrieb, Wohnbereich oder Ortsverbän-denden von Parteien in konkrete Politisierungs- und Demokratisierungsprozesse involviert und dadurch aktiviert würden, auch wesentlich informierter, kritischer und reform-williger die makropolitischen Meinungsbildungs-, Wahl-und Entscheidungsprozesse im Sinne einer sich stabilisierenden sozialstaatlichen Fortschrittspolitik beeinflussen können. Kurz gesagt: Die Endform, oder, bescheidener formuliert: die entwickeltere Form des demokratisch verfaßten Staates im Sinne Brandts wäre nicht die Aufhebung der parlamentarischen Demokratie, sondern ihre Vitalisierung, Ergänzung, Umgestaltung durch zahlreiche Prozesse demokratischer Eingriffe, Bürgerinitiativen, Mitbestimmung, Selbstorganisation, Repräsentanten-Kontrolle und -ablösung von der Basis her in allen relevanten Subsystemen der Gesellschaft.
Mit dem Gelingen dieses Prozesses — und er scheint unsere einzige Chance — fiele freilich auch der Dogmatismus in sich zusammen, welcher „Basismobilisierung" nur in der Kontra-Stellung zum parlamentarischen Demokratie-konzept fixiert sehen will, deren Stunde kommt, wenn das „sozialliberale Experiment notwendigerweise gescheitert ist", wie etwa auch die doktrinär-marxistische Fraktion des „Sozialistischen Büros" in der Zeitschrift „links" suggeriert.
Im Gegensatz zu all jenen Illusionisten, die auf den Tag der neuen revolutionären (Basis-) Strategie warten, geht die im folgenden entwickelte Konzeption von der durch Tausende von Initiativen der letzten Jahre begründeten Hoffnung aus, daß die notwendige Veränderung des herrschenden Gesellschaftssystems in Richtung auf mehr Demokratie, mehr Sozialstaatlichkeit und zunehmende Kontrolle bzw. Einschränkung der Kapitalherrschaft der „ 7 %" durch umfassende Demokratisierungsstrategien durchaus evolutionär, auf dem Boden des Grundgesetzes und seiner Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, verwirktlicht werden kann.
In diesem Sinne ist auch der viel mißbrauchte Begriff der „Systemveränderung" im Titel zu verstehen. Daß ein gesellschaftliches System in einer Zeit ständiger wissenschaftlich-tednischer, edukativer und ökonomischer Weiterentwicklung eines ständigen und Veränderungs- und Reformprozesses bedarf, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Der Begriff ist zu einem emotionalisierten „Grenzbegriff'lediglich durch Ideologen von links und von rechts entartet. Ungewöhnlich, für den „gesunden Menschenverstand" suspekt geworden, ist der so normale Vorgang der Systemverände rung aufgrund des Ideologiecharakters einander entsprechender statisch-konservativer bzw statisch-revolutionärer Vorstellungen des gesellschaftlichen Systems. Konservative wie orthodoxe Linke setzen „System" gleich marktwirtschaftliche bzv/. kapitalistische Ordnung, und bezeichnenderweise identifizieren beide ideologische Richtungen dieses ökonomische Teilelement unseres gesellschaftlichen Gesamtsystems mit der parl: mentarisch-demokratischen Ordnung — freilid mit dem entscheidenden Unterschied, daß die Konservativen eben darum die Privatwin schäft als Element „der" Demokratie — verfassungsrechtlich unhaltbar! 1) — zu idealisieren, ihre Kritik und Umgestaltung als „verfassungs-
feindlich" zu diffamieren versuchen, während orthodoxe Linke umgekehrt den „Klassencharakter" (Legitimationsschleier) der bestehenden demokratischen Verfassung eben daraus abzuleiten versuchen, daß — entgegen der klaren verfassungsrechtlichen Sachlage — diese parlamentarische Ordnung Garant der privaten Verfügung über die Produktionsmittel sei.
Beide Ideologien sind, wie gesagt, verfassungsrechtlich und damit politisch unhaltbar. Es kann nicht oft und deutlich genug betont werden, daß einzig und allein die „Freiheitlichdemokratische Grundordnung“ den — sehr weiten — Gestaltungsrahmen des verfassungsmäßigen Systembegriffs definiert. Nach der vom Bundesverfassungsgericht erarbeiteten Definition dieser Grundordnung 1a) kann aber von einem „Verbot" sozioökonomischer Veränderungen innerhalb des so bestimmten Gesamtsystems überhaupt keine Rede sein. Das Sozialstaatsgebot erheischt ganz im Gegenteil einen ständigen Veränderungsprozeß im Interesse der noch lange nicht verwirklichten sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit (von der noch nicht realisierten Menschenwürde gemäß
Artikel 1 GG in vielen gesellschaftlichen Teilbereichen einmal ganz abgesehen). Die politische, verfassungsgemäße Frage kann also nicht lauten: Systemveränderung ja oder nein? — denn diese Frage kann sachlogisch nur bejaht werden. Die Frage kann, richtig gestellt, nur lauten: Systemveränderung auf dem Boden der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung — oder in Mißachtung, durch Zerstörung dieser unserer demokratischen Grundordnung?
Die in den beiden Bänden „Strategien der Demokratisierung" von mir erarbeitete Theorie und Dokumentation der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung, deren Zusammenfassung hier vorgelegt wird, stellt in diesem Sinn das konsequenteste Konzept einer Systemveränderung auf dem Boden der verfassungsmäßigen Ordnung dar — ausgehend von längst in Gang befindlichen realen Transformationsprozessen in allen Teilbereichen der Gesellschaft. Wobei nicht verkannt werden darf, daß diesen Prozessen und der aus ihnen zu entwickelnden Demokratisierungsstrategie gerade gegenwärtig mächtige konservative Gegenprozesse und -Strategien zuwiderlaufen, die die gesamtgesellschaftliche Demokratisierungsbewegung zu stoppen und rückgängig zu machen versuchen.
I. Was heißt „gesamtgesellschaftliche Demokratisierung"?
Demokratisierung zielt auf die Verwirklichung demokratischer Grundsätze in allen Bereichen der Gesellschaft — sie begreift Demokratie als gesamtgesellschaftlichen Prozeß. Demokratisierung ist demnach der Inbegriff aller Aktivitäten, deren Ziel es ist, autoritäre Herr-schaftsstrukturen zu ersetzen durch Formen der Herrschaftskoncrolle von „unten", der gesamtgesellschaftlichen Mitbestimmung, Kooperation und — wo immer möglich — durch freie Selbstbestimmung.
Noch sind die Demokratisierungsbewegungen weithin isoliert, disparat, vielfach zaghaft, schlecht organisiert und den Herrschaftsapparaten unterlegen. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn man bedenkt, daß, von der gewerkschaftlichen Mitbestimmung abgesehen, der allgemeine Aufbruch antiautoritärer Bewegungen in allen gesellschaftlichen Subsystemen erst seit der studentischen Protest-bewegung datiert. Entscheidend aber ist, daß in dieser Breite der Widerstand gegen autoritäre Machtausübung sich zu formieren begonnen hat.
Wir können in entwickelten Industriegesellschaften von gut zwanzig Subsystemen 1b) ausgehen, die ihrerseits aus Millionen (Familien), Zehntausenden (Betrieben), Tausenden (Kommunen, Schulen) oder Hunderten (Hochschulen) von Einheiten bestehen können. In all diesen gesellschaftlichen Subsystemen findet vielfach realdemokratisch nicht legitime, d. h. hinsichtlich der Bedürfnisse der betroffenen und/oder der Allgemeinheit nichtfunktionale Herrschaft von Menschen über Menschen statt. So erweist sich zwar die marxistische Sozial-kritik, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln die inhumanen Herrschaftsverhältnisse unserer Gesellschaft begründe, nicht als direkt falsch, da in der Tat die ökonomischen Untertänigkeiten immer noch die drükkendsten sind; aber die Feststellung ist in einem irreführenden Ausmaß unvollständig, als etwa unkontrollierte Bürokratie gerade auch in nicht auf Kapitalmacht begründeten Organisationen (in West und Ost) zu einem immer problematischeren antidemokratischen Faktor sich entwickelt hat.
An die Stelle der offenbar aussichtslosen und dogmatischen Ein-Front-Strategie Arbeit kontra Kapital tritt die Viel-Fronten-Strategie der Demokratisierung in allen gesellschaftlichen Subsystemen. Diese Wendung von der uni-frontalen zur multifrontalen Transformationspraxis wird sich als eine — in theoretischem wie praktischen Sinne — revolutionäre gesellschaftspolitische Wende im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts erweisen.
Eine geschichtlich-dialektische Entfaltung des Demokratiebegriffs führt auch zur theoretischen Bejahung sich verstärkender realgeschichtlicher Tendenzen einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung als der einzig adäquaten Umfangs-und Zielbestimmung der Idee der Demokratie. Dabei ist im Begriff solcher totalen Demokratisierung gesellschaftspolitisch zu verwirklichen, was C. J. Friedrich als die dialektisch einander zugeordneten Grundprinzipien der Demokratie definiert hat: Teilung, Kontrolle von Herrschaitsgewalt und Garantie der persönlichen Entfaltung als Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen wie auch als Freiheit zu gesellschaftlicher Mitbestimmung.
Exakt in diesem Sinne ist der Begriff einer universellen Demokratisierung sowohl zu rechtfertigen — insofern nämlich bloß staatliche Demokratie diese Grundprinzipien nicht zu realisieren vermag — als auch konkret zu bestimmen als Strategie: zur Unterwerfung der Herrschaftsgewalt in jedem relevanten gesellschaftlichen Subsystem unter die Kontrolle von »unten" und „außen", den Legitimierungszwang, die Gewaltenteilung, und zur Ermö, lichung von personaler Selbstbestimmung, 9 sellschaftlicher Mitwirkung („herrschaftsfreie Dialog") und Mitbestimmung für jedes Mi. glied dieses Subsystems. Aus dieser Doppel, bestimmung ergibt sich übrigens, daß der Be griff der Demokratisierung sachlogisch den Begriff der Humanisierung mit einschließt Eine Operationalisierung eines solchen Begriffs de Demokratisierung ist am besten per negationem möglich, indem von Fall zu Fall beschrieben wird, wo antidemokratische, also hen schaftliche und inhumane Merkmale in einen bestimmten Subsystem feststellbar sind. Diese Charakteristika nämlich sind komplexer und oft latenter, als es zunächst den Anschein hat Nicht nur die auffälligste Form: ausbeuterisches und autoritäres Verhalten derjenigen, die in Subsystemen anderen widerspruchslos hinzunehmende Anweisungen erteilen, sondern ebenso bestimmte Strukturen von Subsystemen wirken in derselben Richtung, auch wenn die autoritäre, undemokratische Attitüde nicht ebenso deutlich erkennbar ist.
Der Begriff der Demokratisierung ist ambivalent: Er bezeichnet sowohl das producerewie das productum von demokratischen Nonnen und Strukturen in gesellschaftlichen Subsystemen. Er ist sowohl eine Aktionsbestimmwj Wie eine Zielbestimmung sozialen Handelns die jedoch theoretisch nur bedingt voneinander zu trennen sind. Theorie der Demokratisierung läßt sich nicht, oder nur sehr abstrakt als modelltheoretische Darstellung ideal-demokratischer Subsysteme isolieren von der systematischen Darstellung der sozialen Aktionen und Organisationsformen etc., die dahin führen können. Theorie der Demokrati sierung ist also a priori strategische Theorie oder Praxeologie, d. h. systematische Handlungsanleitung antiautoritärer, demokratisierungswilliger aktiver Minderheiten.
II. Demokratisierung und parlamentarische Demokratie
1, Demokratiefeindliche Tendenzen von rechts und von links Ein wesentlicher Impuls zur progressiven Weiterentwicklung der Demokratie und einer Renaissance der sozialistischen Alternative ging seit Mitte der sechziger Jahre von der studentischen Protestbewegung aus. Zunächst pragmatisch-punktuell angelegte Aktionen gegen unerträgliche Verhältnisse in bestimmten universitären, dann aber auch betrieblichen und schulischen Bereichen führten zu einer Gesellschaftskritik insgesamt, zur Wiederaufnahme marxistischer analytischer Ansätze und nicht zuletzt zu einer breiten, theoreti-schen Rechtfertigung unmittelbarer Aktionen angesichts des tatsächlichen oder angeblichen Versagens des parlamentarischen Systems. Es wurden Strategien direkter Aktionen entwickelt, die zweifellos wesentlich zur Politisierung einiger Bevölkerungsgruppen und Aktivierung öffentlicher Reformdiskussionen wie parteipolitisch-parlamentarischer Reforminitiativen beigetragen haben, andererseits jedoch durch ihre Tendenz zu demonstrativer verbal-revolutionärer Überinterpretation ihrer Chancen als Vorstufen einer allgemeinen revolutionären Massenbewegung auch starke konservative Gegenkräfte mobilisierten. Hier zeigt sich die Sterilität, ja Gefährlichkeit einer dogma-tisch-marxistischen Parlamentarismuskritik Die notwendige Bloßstellung parlamentari-scher Entartungstendenzen, die statt zur Repräsentation zur quasi-legitimen Repression des Volkswillens führen, lähmt jedes institutioneile Engagement, wenn diese Tendenzen zu unabänderlichen Funktionsformen „bürgerlicher" Herrschaftssicherung dogmatisiert werden.
Unabhängig von solchen antiparlamentarisdien Wendungen der linken Parlamentarismuskritik ist diese von größter Bedeutung, wo sie zur Überwindung der formaldemokratischen Selbstgenügsamkeit und ihrer in der Tat oft herrschaftsverschleiernden Wirkung beiträgt und die kritische Politisierung und progressive Reaktivierung der Bürger und Institutionen innerhalb des Parlamentarismus vorantreibt, die ja — scheinbar paradoxerweise — auch von der studentischen Protestbewegung seit 1967 in Gang gesetzt worden sind
Bestehen bleibt ferner auch die fortdauernde Gültigkeit der neuen Demokratiepraxis der Außerparlamentarischen Opposition: die Erfahrung, daß politische Bewußtseins-und Aktionsbildung im demokratischen Sinne jederzeit auch außerhalb der repräsentativen Organisationen stattfinden kann und muß:
Die repräsentative parlamentarische Demokratie hat sich als eine notwendige, aber unzureichende, teilweise sogar — ideengeschichtlich nachweisbar — restriktive Form demokratischer Prinzipien erwiesen. Denn ohne Frage räumt das System der repräsentativen parlamentarischen Demokratie dem Staatsvolk verhältnismäßig geringe aktive Mitwirkungsmöglichkeiten ein, was sich beispielsweise in der Verfassungswidrigkeit von Volksbefragungen zeigt. In der Tatsache, daß sich das. Mitbestimmungsrecht des Bürgers in der Delegation von Entscheidungsmacht, in der Wahl seines „Repräsentanten" erschöpft (eine Delegation von Entscheidungsrechten ist in einer Massengesellschaft natürlich unerläßlich), liegt der restriktive Grundgedanke der Theorie der repräsentativen Demokratie, wie sie z. B. von Hennis vertreten wird. Danach ist die Trennung (und Entfremdung) zwischen Regierung und regiertem Volk unaufhebbar. So ist ein Abgeordneter bekanntlich noch nicht einmal zur Interessenvertretung seiner unmittelbaren Wähler verpflichtet und kann von ihnen nicht zur Rechenschaft gezogen werden; vielmehr wird die Fiktion der Gesamtrepräsentation („Vertreter des ganzen Volkes") und der ausschließlichen Gewissensentscheidung (Art. 38, 1 GG) aufrechterhalten. Unsere verfassungsmäßig sanktionierte Parteiendemokratie (Art. 21 GG) geht aber gerade von einer Interessen-und eben nicht Gesamtvertretung aus. Der Bürger wählt also viel weniger eine Person als eine bestimmte Partei. Es wird ihm also durchaus Sachverstand zugemutet (den ihm Hennis abspricht): nämlich die Fähigkeit, sich für die politischen Zielsetzungen der einen oder anderen Partei zu entscheiden. Das heißt, die Parteiorganisationen schieben sich als heute entscheidende vermittelnde Elemente zwischen den Bürger und die demokratische Regierungsinstitution. Die Demokratisierung der Herrschaftsstruktur und der Programmentwicklung der Parteien wird damit zu einem konstitutiven Problem der repräsentativen Massendemokratie (ebenso wie die Bindung des politischen Mandats eines Abgeordneten an seine Zugehörigkeit zu der Partei, als deren Mitglied er gewählt wurde). Heute droht die Gefahr, daß Parteien, als „Volksparteien“, ihre interessenpolitische Profilierung bewußt verschleiern. Es läßt sich eine politische und vor allem parteipolitische Entwicklung im Spätkapitalismus erkennen, die dazu führt, daß man die klaren Unterscheidungen von „politisch fortschrittlich" = „links" und „politisch konservativ" = „rechts" nicht mehr schätzt oder auch für objektiv unbrauchbar hält. Sowohl das Angewiesensein der Konservativen auf die Unterklassen als Wähler als auch die Rücksichtnahme linker Parteien auf das kleinbürgerliche Bewußtsein bestimmter Wählermassen (denen man erfolgreich die Gleichung Sowjetunion = Sozialismus eingepaukt hat) sind für jene Tendenz in den Programmen, aber auch der tatsächlichen Politik der Parteien verantwortlich, sich auf einer mittleren Linie einzupendeln, statt offenherzig konservativ oder sozialistisch zu sein. (Vgl.den neuen Streit unter den Parteien der Bundesrepublik, wer die „Mitte" repräsentiere!) Hinzu kommt, daß statt Programmen Persönlichkeiten als Leitbilder angeboten werden und politische Zielsetzungen zu Schlagworten verkümmern, was in gefährlicher Weise zur politischen Entmündigung des Bürgers beiträgt. 2. Statt Diffamierung: Vitalisierung des Parlamentarismus Allerdings hat die westeuropäische Renaissance antikapitalistischer Kritik und Aktionen von Partei-Jugendorganisationen, Studenten, Arbeitern, Schülern und Lehrlingen sowie der „Machtwechsel" in Bonn und die Linkstendenz in Westeuropa insgesamt auch die parteipolitischen und parlamentarischen Prozesse vitalisiert und neu politisiert. Nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland, wo vor den Wahlen im Herbst 1972 die massivsten Kor-ruptionsund Diffamierungskampagnen zum Sturz und zur Wahlniederlage der sozial-liberalen Regierung seitens der kapitalistischen und sonstigen restaurativen Machteliten in Gang gesetzt wurden, haben der Kampf um die parlamentarische Macht und die Konfrontationen in und zwischen den Parteien die Relevanz dieser politischen Institutionen erwiesen. Sie sind offene Systeme der Ermöglichung oder Vereitelung einer klassenlosen Gesellschaft und keineswegs lediglich Instrumente „bürgerlicher Herrschaft".
Dies gilt es festzuhalten gegen alle dogmatisch-marxistischen Versuche, den Parlamentarismus an und für sich zum politischen Legitimations-und Sicherungssystem des Kapitals zu degradieren Denn allgemeines Wahlrecht, Existenz von Gewerkschaften und von sozialprogressiven Parteien haben unzweite haft auch unter noch vorwiegend kapitalist.sehen Produktionsbedingungen die Position der Abhängigen erheblich verstärkt und deren Lebensbedingungen wesentlich verbessert Darüber hinaus aber sind sozialdemokratische parlamentarische Machtübernahmen, seien sie vorerst auch noch so sehr mit kapitalistischen Hypotheken belastet, realisierbar und unter der Voraussetzung einer weiteren Stabilisierung ihrer Wählerbasis in der Lage, die soziokulturellen und sozio-ökonomischen Hen Schaftsstrukturen langfristig grundlegend z demokratisieren. Die Abqualifikation der parlamentarischen Demokratie als einer »bürgerlichen", sprich bourgeoisen Demokratie-form ist historisch nachweislich falsch, theoretisch unhaltbar, vor allem aber praktisch-politisch verhängnisvoll, weil sie, bar jeder makro-politischen Alternative, eine politische Destruktivität und Apathie von links erzeugt, «! der außerparlamentarische Aktivitäten sich im isolierten, perspektivlosen Aktionismus erschöpfen. Sozialistische Transformation he® demnach nicht, den Parlamentarismus historisch-deterministisch zu diffamieren, sondern ihn voranzutreiben zu einem nicht nur scheinbaren, sondern realen System der Volksvertretung. Die sozialistische Wende der deutschen Politik kann aus einer Möglichkeit zur Wirklichkeit nur werden, wenn sich sozialistische Avantgarden formieren, deren Theorie-Praxis den Sozialismus als eine Perspektive in die politische Bewußtseinsbildung bringt, die von wachsenden Minderheiten der Heranwachsenden und politisch Aufgeschlossenen als logische, realistische und lustvolle Alternative zu den inhumanen Strukturen des Spätkapitalismus und Sowjetsozialismus bejaht wird. Zugleich er weist es sich als notwendig, daß ein wesentlid höheres Maß an kritischem politischen Wissen und Engagement, aber auch an objektivei Möglichkeiten der aktiven und kritischen demokratischen Partizipation der Bürger — sowohl im betrieblichen wie im kommunalen Alltag — erreicht wird, wenn Demokratie nicht im gegenwärtigen Stadium sehr reduzierter Kontrollmöglichkeiten gegenüber den herrschenden Machteliten erstarren soll.
Zur Vitalisierung des Parlamentarismus, un die sozialliberalen Reformansätze zu unterstützen und die Kehrtwendung vieler Wähl« ZU einem Law-and-Order-Denken zu verhindern, halte ich es für notwendig, im Sinne der ehemaligen „Kampagne für Demokratie und Abrüstung" eine „Kampagne für demokratische Reformpolitik" 8a) ins Leben zu rufen, die die Aufgabe hat, erstens die Reformschritte der nächsten acht bis zwölf Jahre zu formulieren und ins öffentliche Bewußtsein zu bringen, und zweitens, jede Art direkter gewaltfreier Aktion (Demonstrationen, Bürgerinitiativen, Streiks, Rote-Punkt-Aktionen etc.) für Reformen an Ort und Stelle organisieren zu helfen. Eine solche Kampagne kann getragen werden von Jungsozialisten, Jungdemokraten, Gewerkschaftsfunktionären, Bürgerinitiativen, kritischen Gruppen der Kirche, rational-linken Studentenverbänden und ehemaligen Wähler-initiativen der SPD und FDP. Sie muß ein Programm erarbeiten, das auf das kommende Jahrzehnt ausgerichtet ist.
Ein weiterer Schritt zur Demokratisierung des parlamentarischen Systems ist meiner Ansicht nach der Einbezug rätedemokratischer Elemente: Direkte Demokratie nicht als Alternative zur parlamentarischen, sondern eingebaut in das Fundament der repräsentativen Demokratie. Gerade in den vielen überschaubaren Subsystemen (Schulen, Redaktionen, Kinder-läden, Betrieben, Hodischul-Fadibereidien, Theatern ...) können rätedemokratische Formen unmittelbarer Selbstorganisation oder Herrschaftskontrolle der Betroffenen im politischen Alltag erprobt werden, von da aus aber zunehmend auch in den Großorganisationen der Politik (Parteien, Gewerkschaften, Parlament) durchgesetzt werden. Sicherlich ist jenes Idealbild einer Räte-Omnipotenz und -„Omni-kompetenz", die eine Einschmelzung von Gewalten-und Funktionsteilung zugunsten kollektiver Entscheidungsbildung für alle normativen, exekutiven und juridischen Probleme zur Grundlage hat nicht realisierbar, weil es einer entwickelten industriellen Massengesell-schäft nicht adäquat ist; doch enthält das räte-demokratische Konzept maßgebliche und realilisierbare instrumentelle Beiträge zur Lösung des Kardinalproblems aller demokratischen Institutionen: zur Auflösung der oligarchischen 'Verselbständigung nur tormal demokratischer Funktionsträger und Organisationen:
1. Optimale Dezentralisierung von Entscheidungen, d. h. optimale Autonomie der kleineren Subsysteme (oder Teil-Systeme)
gegenüber den größeren.
2. Permanente und optimale Eingriffsmöglichkeiten der Betroffenen in Entscheidungsprozesse ihrer Funktionsträger; plebiszitäre Entscheidungsbildung.
3. Verstärkte Kontrollierung und Rechenschaftspflicht der demokratischen Funktionsträger — bedingt imperatives Mandat — evtl. Abwahl.
4. Kollegiale Führung; Rotation der Ämter.
Es scheint mir eine realistische Hoffnung zu sein, daß Bürger, die in Subsystemen zunehmend die hergebrachten autoritären Führungsstrukturen in Frage stellen und abbauen, auch zunehmend gegen die Vertreter eines Parlamentarismus Stellung beziehen, der weder effizient noch transparent, geschweige denn partizipativ ist, und daß sie diejenigen Parteien bzw. Abgeordnete wählen, die sich aktiv für mehr Herrschaft(skontrolle) durch das Volk, statt bloß für das Volk einsetzen.
Mit diesen Hinweisen soll der weite, noch ungenutzte Spielraum direkt-demokratischer Rückbindung, Stimulierung und Kontrolle des parlamentarischen Parteien-und Regierungssystems veranschaulicht werden sowie die motorische Kraft, die gesamtgesellschaftliche Demokratisierung zu solcher Ausweitung liefern kann. Keineswegs soll der strukturelle Konflikt verharmlost werden, der zwischen bestimmten Zentralisierungs-bzw. Spezialisie-rungszwängen und dem Postulat einer maximalen Basisdemokratie besteht.
III. Bereiche, Verfahren und Triebkräfte der Demokratisierung
1. System der Subsysteme und „multifrontale Strategie"
Um den Umfang der Strategie einer gesamtgese sChaftlichen Demokratisierung konkret zu ^stimmen, ist es sinnvoll, zunächst eine über-schaubare Systematik der Subsysteme unseres Gesellschaftssystems zu erarbeiten, die von ihren Mitgliedern mit-und selbstbestimmt werden sollten, statt von einer kaum oder nicht kontrollierten Obrigkeit (fremd-) bestimmt zu werden. Wir können die gut zwanzig Subsysteme in etwa entsprechend den vier funktionellen Hauptkategorien der Parsonschen Systemtheorie aufteilen: in wirtschaftliche, politische, sozialintegrative und kulturelle Organisationen. Notwendig ist aber eine präzisere Untergliederung in folgende sieben Bereiche:
6. Verbände und freie Vereinigungen (Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Kirchen etc.)
7. Volksvertretungen (Intranationale Parlamente, supranationale Parlamente und Organisationen)
Diese Einteilung, die alle wichtigen gesellschaftlichen Subsysteme umfaßt, hat für eine Theorie der Demokratisierung den wesentlichen Vorteil vor einer anderen möglichen Gliederung, daß Subsysteme zusammengefaßt werden, die weitgehend zusammenhängende gesellschaftliche Relevanz, Funktion, teilweise auch ähnliche Autoritätsbzw. Oligarchiestrukturen haben, so daß sich vielfach auch ähnliche bzw. zusammenhängende Demokratisierungsprobleme ergeben.
Für die strategische Theorie einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung schlechterdings fundamental ist nun die Erkenntnis, daß die gleichzeitige Ingangsetzung von Oligarchieabbau, Mitbestimmungsprozessen, Über-prüfung des . Output'in möglichst vielen der 20— 25 Subsysteme notwendig ist und demgemäß forciert werden muß, weil die wechselseitige Bestätigung und Stützung autoritärer, ausbeuterischer Verhaltensweisen durch autoritäre Normen und Strukturen in (fast) allen Subsystemen nur durch die wechselseitig sich verstärkende, kumulativ wirkende Infragestellung solcher Obrigkeitsverhältnisse, Einübung von Widerspruch, Mit-und Selbstorganisation die herrschaftlichen Strukturen der Gesellschaft als Ganzes nachhaltig erschüttern und schrittweise auflösen kann. Nun wäre diese strategische Grundthese — Notwendigkeit eines „Allfrontenkrieges" sozusagen — eine praktisch und damit auch theoretisch bedeutungslose Wunschvorstellung, würde sie nicht gestützt durch die ebenso fundamentale empirische Feststellung, daß im Gegensatz zu sporadischen Emanzipationsversuchen in früheren Zeiten nunmehr tatsächlich in allen westlichen Industrieländern Konzepte und Ansätze zur Demokratisierung in vielen Subsystemen gleichzeitig realisiert werden.
Der Realismus eines strategischen Konzepts, das von der schwerpunktartigen und gleichzeitigen Demokratisierung der wesentlichen Subsysteme der primären Sozialisation ausgeht: (Familie, Wohnbereich, Kommune), des Bildungssystems (Kindergarten, Schule, Hochschule), der Kommunalverwaltung, der Betriebe und Unternehmen sowie der Parteien und Gewerkschaften, wird sofort deutlich, wenn man sich das immer wiederkehrende Argumentationsmuster der Skepsis vergegenwärtigt, mit dem die Realisierbarkeit von Mitbestimmungsmodellen an einer dieser gesellschaftlichen Fronten in Frage gestellt wird. Solcher Zweifel bewegt sich fast immer nach folgendem linear-kausalen Schema: Die Demokratisierung des Subsystems A ist unmöglich, da die Mehrzahl der Menschen nicht für demokratisches Engagement zu informieren und zu aktivieren ist; dies liegt an der Rückständigkeit des Subsystems B und/oder C Zuerst muß dieses demokratisiert werden, damit dort die Menschen demokratisierungsfähig und -bereit werden.
Kerngedanke dieses skeptischen Argumentationsschemas ist immer die angeblich erforderliche Aufschiebung von Demokratisierungsprozessen in einem Subsystem bis zur Schaffung der dazu notwendigen Demokratisierungs-Voraussetzungen in einem anderen: Mitbestimmung im Betrieb kann nicht realisiert werden, solange die Heranwachsenden in den Schulen nicht zu demokratischem Engagement gebildet werden; die Schulen können Schüler nicht politisieren, solange in den Elternhäusern autoritär und unpolitisch erzogen wird; in Elternhäusern wachsen apathische Menschen auf, weil die Eltern selbst im Betrieb abgestumpft und zu Untertanen abgerichtet werden; von den Parteien wiederum werden keine besseren Mitbestimmungsgesetze verabschiedet, 50 lange die Arbeiter sich nicht stärker parteipolitisch engagieren; sie werden sich nicht engagieren, solange sie nicht am Arbeitsplatz zu mündigen, mitbestimmenden Menschen wer den; aber die Mitbestimmung im Betrieb kann nicht ... (s. o.). Natürlich wird bei den Verweisen auf Demokratisierungshindernisse meist nicht bemerkt, daß man sich auf die Bahn eines Zirkelschlusses begibt, der, zu Ende geführt, die Verhinderung jeder Demokratisierung durch die Verhinderung jeder anderen ver-ewigt. Nun ist zwar eine solche monokausale Zugrundelegung der Demokratisierung in einem Subsystem für die Möglichkeit der Demokratisierung in einem (oder allen) anderen sicher nicht haltbar, zumal sie sich in einem Circulus vitiosus ad absurdum führen läßt. Aber sie verweist auf einen sehr wesentlichen Zusammenhang: auf die reale und zweifellos schwere Behinderung isolierter Demokratisierungsversuche in einem einzelnen Subsystem: das demokratisierungsfeindliche autoritäre Klima und sein Einfluß auf die Menschen in den anderen Subsystemen.
Eine multifrontale Strategie der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung ist die einzig adäquate Lösung dieses Problems. Da Demokratisierung tatsächlich in einem zirkulären gesamtgesellschaftlichen Verursachungszusammenhang zwar nicht begründet oder vereitelt, wohl aber wesentlich behindert oder vorangetrieben wird, kann allerdings ein wirksam fortschreitender kumulativer Prozeß des Lernens und erfolgreichen Durchsetzens von Mit-und Selbstbestimmung nur durch gleichzeitige Eingriffe in die repressive Struktur vieler relevanter Subsysteme in Gang gesetzt werden.
Damit ist gleichzeitig allerdings auch gesagt, daß der Gesamtprozeß erhebliche Zeit beansprucht: denn wenn feststeht, daß neue, demokratisierte Prozesse der frühen und schulischen Sozialisation zum Erfolg zunehmender Mit-und Selbstbestimmung in den anderen gesellschaftlichen Subsystemen beitragen müssen, so ist damit auch ausgesprochen, daß es sich bei diesem Transformationsvorgang von einer herrschaftlichen zu einer klassenlosen Gesellschaft um Zeitspannen von Jahrzehnten hanieln wird, um auch nur die Anfangsphase zu erreichen: eine allgemeine Partizipationsbe-reitschaft und herrschaftskritische Einstellung zu erzeugen.Subsystemebenen: plurale Interessenstrukturen Es ist nun genauer auszumachen, wie und wo Abbau antidemokratischer Verhaltensweisen und Strukturen in einem Subsystem sich vollziehen kann und — falls nicht bloß demokraShe Spielwiesen geschaffen werden sollen — o ziehen muß. Dazu ist notwendig, die bei-
en Bereiche herauszuarbeiten, in denen sich Organisationen entfalten, und damit Aei hzeitig die möglichen (quasi organischen)
satzpunkte demokratischer Umstrukturierung darzubieten: die Dimension der Entscheidungsbereiche („Ressorts") einer Organisation und die Dimension der funktionalen wie hierarchischen Gliederung (der „Ebenen") einer Organisation. Beide Dimensionen können partiell identisch sein; sie sind es aber keineswegs prinzipiell.
In Übereinstimmung mit Frieder Naschold halte ich die autoritäre oder demokratische Strukturierung von Entscheidungsprozessen in gesellschaftlichen Subsystemen für den nervus rerum, den Ausgangspunkt herrschaftlicher oder aber demokratischer Gestaltung einer sozialen Organisation. Primär ist nur zu fragen, welches die wichtigsten Klassen von Entscheidungen (hier Entscheidungsbereiche genannt) sind, wie in diesen Entscheidungsbereichen die Entscheidungsprozesse sachlich bedingt sind und welche Demokratisierungsinstrumente demzufolge geeignet sind, autoritäre, inhumane Entscheidungen durch demokratische zu ersetzen, ohne zu einem Verlust an wünschenswerter Effizienz des Subsystems zu führen.
Die Frage nach den Systemebenen ist der nach den Entscheidungsbereichen dann insofern zu-, aber auch untergeordnet, als es bei ihr nur mehr um die Klärung des innerorganisatorischen „Ortes" — d. h.der arbeitsteilig einander zu-und übergeordneten Funktionsbereiche — geht, in denen diese oder jene Art von Entscheidungen getroffen werden oder, was wichtiger ist, aufgrund hochgradiger Hierarchi-sierung (Zentralisierung) eben nicht getroffen werden.
Im Band I meiner „Strategien der Demokratisierung" (S. 118 f.) habe ich eine Skala von fünf Entscheidungsbereichen entwickelt, die das Macht-und Organisationsproblem der Demokratisierung zu veranschaulichen versucht: aufsteigend von Entscheidungen über bloß nebensächliche Modalitäten der Subsystemverhältnisse von Menschen zu Menschen und Sachen („marginale“ Entscheidungen), über Verfahrensentscheidungen des Wie der Produktion (technologisch und organisatorisch), personelle Entscheidungen und Produktionsentscheidungen über das Was der Arbeit bis zu Entscheidungen über (neue) Zielbestimmungen, innere Gesamtorganisation und Existenz des Subsystems — also zu Fragen der Verfügung über das ganze Subsystem oder wesentlicher seiner Teile.
Jede konkrete Theorie der Demokratisierung hat zugleich zu beachten, daß alle wichtigeren gesellschaftlichen Subsysteme einen mehrschichtigen funktional-regional-hierarchischen Aufbau haben, daher Funktionsebenen des Subsystems zu unterscheiden sind, denen adäquate Formen der Mitbestimmung, „Kontrolle" und Selbstorganisation zuzuordnen sind. Der komplexe, mehrschichtige Aufbau aller großen Subsysteme erfordert ein entsprechend komplexes System von Gegenmachtbildung bzw. Mitbestimmungsinstanzen der Betroffenen, gegebenenfalls Instanzenzüge. So können beispielsweise den Funktionsebenen: Arbeitsgruppe — Betrieb — Unternehmen — Konzernleitung die Ebenen: Arbeitsgruppenbesprechung — Betriebsrat — Gesamtbetriebsrat — Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gegenübergestellt werden. Es entstehen also (wo bzw. solange keine integrierte Selbstverwaltung der Betroffenen existiert) unausweichlich Gegenbürokratien mit gefährlichen „neo-autoritären" Verselbständigungstendenzen, die ihrerseits wiederum nur durch neue Demokratisierungsverfahren, wie Rotation der Ämter und strikte Informationsund Kontrollregelungen, abzuwenden sind.
Nur erwähnt, aber nicht ausführlicher behandelt werden kann an dieser Stelle, daß nicht nur die internen Verhältnisse in gesellschaftlichen Subsystemen zu demokratisieren sind, Strukturen und Entscheidungen, durch die Menschen auf Menschen Einfluß nehmen, sondern daß Strategie der Demokratisierung ebenso auf die Außenwirkung, den Output gerichtet sein muß, durch den Machteliten und Mitglieder eines Subsystems auf Betroffene außerhalb wirken, z. B. die Kunden eines Unternehmens, die Wähler einer Partei, die Leser einer Zeitschrift, die Rechtsuchenden eines Justizsystems, die Zuschauer eines Theaters, die Benutzer der kommunalen Einrichtungen etc. Die Demokratisierung aller Produktionsverhältnisse (einschließlich der wissenschaftlichen, Verwaltungsund Dienstleistungungen) muß die Demokratisierung (Humanisierung) der Produkte — und das heißt konkret: die Beteiligung der vom Subsystem-output Betroffenen an der Entscheidungsbildung — tendenziell einschließen, denn ohne diese wäre sie so selbstgenügsam und defizient wie der Versuch der Mönche, innerhalb ihrer Kloster-mauern eine christliche Welt zu realisieren.
Die Mehrzahl der Subsystemebenen offenbart die Komplexität Von Herrschaftsund Abhängigkeitsverhältnissen in vielen Subsystemen. Demokratisierung kann also nicht vom einfachen Herr-Knecht-Verhältnis ausgehen, wie es auch als gesellschaftliches Grundverhältnis damit nicht aufgehoben ist. Aber es ist bei der Bestimmung, welcher Grad von Partizipation an Entscheidungen den Betroffenen a) minimal und b) optimal zuerkannt werden muß, die tat. sächliche gesellschaftliche Komplexität von Dominanz-und Abhängigkeitsoder Betroffen, heitsrelationen genauer ins Auge zu fassen — ein Tatbestand, der durch das Auftaudhen des paradoxen Begriffs von „Drittel“ -oder „Viertel" -Parität und die umstrittenen Regelungen (oft Manipulationen) dieser Paritäten besonders an den Hochschulen, als eines der kompliziertesten Demokratisierungsprobleme sich zu erweisen beginnt.
Aufgrund der komplexen Struktur sowohl der Entscheidungsbildung wie der Gruppen, die von Entscheidungen abhängig bzw. betroffen sind, ergeben sich drei Schlußfolgerungen für die Demokratisierung, die diese hinsichtli der zuteilbaren Partizipationsgrade erheblid komplizieren: a) Mehrstufige differenzierte Mitbestimmungsorgane In mehrstufigen Organisationen (mit oft fünf bis acht hierarchischen und/oder Funktionsebenen) besteht z. B. ein spezielles Partizipationsbedürfnis von unteren und mittleren Funktions-bzw. Expertengruppen, zumindest Verfahrens-, aber auch bestimmte Personal-und Produktionsentscheidungen mit-oder -kooperativ in ihren Gruppen — selbst zu bestimmen, statt lediglich Anweisungen von „oben" weiterzuleiten. Dieser Interessenplure lismus läßt sich nicht umstandslos auf den Antagonismus Herr-Knecht (Kapital/Arbeit) reduzieren. Es ergibt sich die Notwendigkeit, in einem Subsystem verschiedene gruppenspenfische Mitbestimmungsorgane bzw. Gegenmachtaktionen zu realisieren, z. B. in der Schule nicht nur den Schülerrat, sondern für die Lehrer die Demokratische Gesamtkonferenz und die Rotation der Direktorenfunktion bzw. ihre Ersetzung durch ein Leitungskollegium. b) Plurale Paritäten und antagonistische Organisationsstruktur Wenn von Entscheidungen verschiedene relevante Gruppen innerhalb und außerhalb des Subsystems existentiell betroffen sind, so ergibt sich das Problem, wie diese verschiedenen Gruppen derart an Entscheidungsprozessen partizipieren können, daß die Entscheidungen optimal „vergesellschaftet" werden. Das Problem läßt sich im Sinne einer abstrakten »Pll ralistischen" Logik der Demokratisierung überhaupt nicht lösen, da wir es de facto eben nicht, wie die pluralistische Ideologie mein mit etwa gleich starken, unabhängigen, sichi einem Gleichgewicht der Kräfte haltenden Großgruppen in unserer Gesellschaft zu tun haben. In solchem Zusammenhang besteht die Gefahr, daß aus pluralen Gremienbesetzungen, die eigentlich die Alleinbestimmung der traditionellen Macht-und damit Entscheidungseliten brechen sollen, eine pseudodemokratische Legitimationsbasis für die bestehende Führung wird. So unausweichlich die Schaffung solcher pluralen Mitbestimmungsgremien ist, so fatal eröffnen diese Konstruktionen Manipulationsmöglichkeiten, die geeignet sind, den etablierten Führungsfiguren ihre Macht zu sichern: Einmal schon bei der Konstitution solcher Gremien, indem Regelungen sanktioniert werden, die anstelle von „Paritäten“ der Hauptkontra-hentengruppen Sitzverteilungen vorsehen, die den Oligarchien a priori Mehrheit oder Veto-Minderheiten sichern; zum anderen, weil alle nicht-dualen Paritäten Koalitionsbildungen erfordern, die den Führenden infolge ihres Informationsvorsprungs sowie ihrer faktischen Macht, anderen Einkommens-und Aufstiegschancen zuzusichern, undemokratische Bündnis-, Attraktivität" verschafft. Daraus ergibt sich die Folgerung, daß in allen die „Basis" des Subsystems (also Schüler, Studenten, Arbeiter, Angestellte etc.) vital betreffenden Entscheidungen zu deren Gunsten Mehrheiten vorgeschrieben werden müssen, die Entscheidungen gegen den Willen ihrer Fraktion unmöglich machen. c) Demokratisierung „demokratischer"
Organisationen In Subsystemen mit demokratisch legitimierter Führungsspitze (Schule, Kommune, Gewerkschaft etc.) dürfen der Partizipationsgrad bzw. die Demokratisierungsbereiche nicht die verfassungsrechtlich festgelegte Kompetenz der durch demokratische Wahlen legitimierten Exekutive in Frage stellen —• andererseits aber müssen unterhalb dieses zentralen Richtlinien-und Kompetenzprivilegs in allen variablen Verfahrens-, Personal-und Produktionsfragen optimale Mitbestimmung und kooperative Führungsformen realisiert werden. Im Gegensatz zum Ziel der Demokratisierung in aßen nicht demokratisch konstituierten Subsystemen, nämlich der Abschaffung bzw.demokratischen Kontrolle von Herrschaftspositionen, ist das Ziel in allen bereits (formal) demokratisch strukturierten, durch Wahlakte legitimierten, prinzipiell gemeinnützigen Organisationen lediglich die konkretere Durchyestaltung demokratischer Kontrolle und der infrastruktureile Abbau autoritärer Entscheidungsstrukturen. 3. Zwei Hauptstrategien der Demokratisierung: Kollektive Gegenmachtbildung und/oder legalisierte Mitbestimmungsrechte
Bei der Frage nach den Strategien (Organisationsformen) der Demokratisierung müssen wir — im Gegensatz bzw. in Erweiterung zu den informationstheoretisch orientierten Systemtheorien, z. B. bei Naschold in denen Entscheidungen in der gesellschaftlichen Realität lediglich als „Informationsverarbeitungs" -Prozesse erscheinen — von bestehenden elitären (oligarchischen) bzw. Klassenherrschafts-Strukturen und Interessenkonflikten und von herrschaftlichen, überzentralisierten Organisations-und Entscheidungsstrukturen ausgehen. Nicht lediglich Informationsstrukturen, sondern Machtstrukturen sind zu verändern. Daraus ergeben sich zwei Hauptformen der Organisation einer Demokratisierung mit den folgenden denkbaren Varianten:
I. Organisationsformen der (nicht-institutiona-
lisierten) kollektiven Gegenmachtbildung a) Symbolische Gegenmachtbildung (Demonstrationsformen) ;
b) ziviler Widerstand: Gehorsams-bzw. Kooperationsverweigerung, Boykott, Arbeiten streng nach Vorschrift, go slow, betriebliche Arbeitsniederlegung; überbetrieblicher Streik (bis hin zum Generalstreik);
c) „gewaltfreier Aufstand": Störung inhumaner „Ordnung"; go in, sit in etc., Gewalt gegen Sachen, Besetzung von Systemeinrichtungen; d) gewaltsamer Widerstand: individueller (Gegen-) Terror, gewaltsamer Aufstand, Guerilla-, Bürgerkrieg.
II. Institutionalisierte Mitbestimmung oder Selbstbestimmung des Entscheidungsprozesses durch die Betroffenen a) Systemräte und/oder Vollversammlungen der Betroffenen mit garantierten Partizipationsrechten; b) paritätisch aus Vertretern der Interessengruppen des Subsystems zusammengesetzte Gremien;
c) Delegation von Entscheidungskompetenz durch generelle (statt spezielle), programmierte (statt individualisierte) Entscheidungsvorgabe seitens der Organisationsführung;
d) unmittelbare Mit-bzw. Selbstbestimmung (Selbstorganisation) begrenzter Arbeitsprozesse durch teilautonome Arbeitsgruppen; e) demokratische Selbstverwaltung (Selbst-organisation) der Betroffenen mit gewählten Exekutiv-und Kontrollgremien;
f) gewählte Führungskollegien der Betroffenen (evtl, mit Rotation der Ämter);
g) Fraktionsbildung innerhalb der Entscheidungsgremien formaldemokratischer politischer Organisationen.
Aus diesen denkbaren Formen der Einflußnahme der Betroffenen lassen sich folgende Erfahrungssätze über ihre Anwendbarkeit ableiten: 1. Kollektive Gegenmachtbildung und institutionalisierte Mitbestimmung sind zwei prinzipiell zu unterscheidende, aber durchaus nicht alternative, sondern tendenziell komplementäre Organisationsformen der Demokratisierung. Es gibt heftige ideologische Auseinandersetzungen über die Angemessenheit (Zieladäquanz) der einen oder der anderen Strategie. Die reale gesellschaftspolitische Entwicklung scheint mir über die von dogmatischen Linken und Konservativen zur Alternative stilisierten Fragestellung hinweggegangen zu sein und in allen formaldemokratisch entwickelten Ländern Westeuropas die Notwendigkeit erwiesen zu haben, eine Doppelstrategie zur Erreichung realdemokratischer Freiheiten zu akzeptieren: die immer weiter voranzutreibende legalisierte Teilnahme von bisher nur Gehorchenden am Entscheidungsprozeß und den kollektiven Widerstand, ja den gewaltfreien Angriff der von autoritärer Herrschaft Betroffenen gegen Willkürakte der Kapitalbesitzenden oder bürokratischen Eliten überall dort, wo wirksame Mitbestimmung oder Selbstbestimmung immer noch verweigert wird.
2. Zwischen der Demokratisierungsstrategie der Gegenmachtbildung und der der institutionalisierten Mitentscheidung besteht — bei fließenden Übergängen — prinzipiell ein gravierender struktureller Unterschied auch hinsichtlich des quasi immanenten Demokratisierungsgehalts des Verfahrens selbst: bei (erfolgreichen) Gegenmachtaktionen zwingt man zwar die Entscheidenden zur Annullierung oder Änderung von Entscheidungen im Interesse der abhängigen Masse, aber die Abhängigen bleiben — von wenigen Ausnahmen abgesehen — doch außerhalb der Informationsverarbeitung und der Regelungsmechanismen, die zur Entscheidungsbildung im Detail beherrscht werden müssen. Man zwingt den Steuermann, in eine andere Richtung zu steuern — aber man lernt nicht selbst steuern. Bei Erkämpfung effektiver Mitentscheidungsrechte dagegen erlangen die Untertanen Zugang zu den Entscheidungsunterlagen, -Bedingungen, -technj.
ken und -alternativen, -wegen und -zielen. So sehr Gegenmachtaktionen immer neu notwendig sind, um elitäre Herrschaft zu erschüttem bzw.deren repressiver Entscheidungstendenz Paroli zu bieten, so sehr vollzieht sich in institutionalisierten Mitentscheidungsprozessen — unter der Bedingung ihrer basisnahen Fundierung — substantiell, hier und jetzt mehr Demokratie: Befähigung zur und partielle Realisierung von Selbstbestimmung, Allerdings gilt diese intentionale Unterscheidung auch nur idealtypisch. Mehr und mehr nämlich entwickeln die die Gegenmachtbewegungen planenden Organisationen Informa-tionsund Schulungssysteme sowie interne Alternativkonzepte mit Hilfe von „Gegenexperten", so daß die Betroffenen allmählich lernen, statt bloßer Vetomacht den Konzepten des „Establishments" konstruktive emanzipa-
tive Gegenkonzepte entgegenzusetzen. Da in den Gegenmachtverfahren solche (freilich immer noch seltenen) konkret-konstruktiven Eingriffe in die etablierten Entscheidungsmechanismen jedoch auf Ausnahmefälle — akute Konfliktfälle — beschränkt bleiben, halte ich die intentionale Bestimmung von institutionalisierten Formen der Mit-und Selbstentscheidung als strukturell notwendige Organisationsform einer normal und alltäglich werdenden strukturellen Demokratisierung für prinzipiell richtig.
3. Sehr verschieden sind die anwendbaren Demokratisierungsmethoden hinsichtlich der Alltagsentscheidungen einerseits und der Struk-
turentscheidungen andererseits. Natürlich sind die Übergänge fließend. Tendentiell aber kann festgestellt werden: Die Alltagsentscheidungen, gerade wegen ihrer „repressiven Alltäglichkeit" sehr wichtig, erfordern primär institutionalisierte Mit-und Selbstbestim-
mungsformen wohlinformierter kleiner Gruppen, gegebenenfalls durch dosierten Drude der Kategorie I b untermauert.
Die Strukturentscheidungen dagegen erfordern meist immer noch massiven kollektiven Drude, aber sie erfordern im Interesse einer optimalen Lösung eben zugleich kompetente Mitbestimmung. Mit anderen Worten: Notwendig sind sowohl Demokratisierungsformen des gesellschaftlichen Alltags wie des gesellschaftlichen Konflikt-und Krisenmanagements; Demokratisierungsmodelle kranken oft daran, entweder nur von einem Dauerkonflikt mit den Oligarchien oder nur von quasi herrschafts-freien technischen, organisatorischen oder informationellen Regelungsproblemen auszugehen. 3. Notwendig: nüchterne Einschätzung der personellen und materiellen Demokratisie-
rungspotentiale
Theorie der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung wird ein idealistisches, letztlich frustrierendes Luftsdiloß bleiben, gelingt es nicht, die anzuwendenden Demokratisierungsmethoden mit den vorhandenen personellen, zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten in einer jeweiligen gesellschaftlichen Situation in Übereinstimmung zu bringen. Abzuwehren ist dabei zunächst die aus den Erfahrungen einer oligarchischen Untertanengesellschaft stammende und gern als allgemeine Weisheit über „den“ Menschen verbreitete These, daß die Masse der Bürger zu aktiver politischer Partizipation weder fähig noch bereit sei. Zwar ist der unbesetzte Zustand vieler politischer Partizipations, räume" in unserer Gesellschaft gegen-wärtig ein Faktor, der das Ausmaß politischer Apathie erschreckend deutlich macht und auf die unabdingbare Notwendigkeit verweist, das Demokratisierungskonzept zunächst auf die relativ kleinen Minderheiten abzustimmen, die gegenwärtig aktivierbar sind. Gleichzeitig aber ist dieses so zu gestalten, daß politische Partizipation künftig von wesentlich mehr Menschen als lohnender Zeitaufwand erlebt werden kann — sogar als befriedigende Form menschlicher Kommunikation und Selbstbestätigung.
Die vorhandenen demokratischen Handlungsspielräume können und werden nicht besser genutzt werden, wenn man sie selbst nicht qualitativ erweitert und die ihnen quasi vorgelagerten Bereiche (Familie, Schule, Arbeitsplatz etc.) nicht als demokratische Sozialisationsfelder aktiver und wirksamer Partizipation erschließt. Das gern zitierte „unausge-schöpfte" Betriebsverfassungsgesetz ist ein exemplarischer Fall: Nicht nur die Angst vor einem betriebsratsfeindlichen Chef, nicht nur Ignoranz bewirkt in vielen kleinen und mittleren Firmen, daß die Abhängigen kein besonderes Interesse an der Realisierung der betriebsverfassungsmäßigen Institutionen zeigen, sondern das Empfinden, daß die diesen Institutionen zugestandene Mitbestimmungsnacht eben — zumal in der alten Gesetzesfassung — so gering sei, daß es kaum lohne, sich ihrer zu bedienen. Dieses Beispiel läßt sich generalisieren: Aktivierung demokratischer artizipationsbereitschaft größerer Minderhei-ten ist unerreichbar, solange nicht in Parteien " le Kommunen, in Schulen, Betrieben wie in dmilien und Kindergärten, Gewerkschaften un Kirchen den Heranwachsenden und Erwachsenen die Eingriffsmöglichkeiten, die naheliegenden, ihrer sprachlichen und sachlichen Kompetenz gemäßen Mitwirkungsbereiche wesentlich vergrößert werden und sich für sie darin reale Chancen der Veränderung ihrer Lage abzeichnen.
Es besteht ein unauflöslicher Zusammenhang von struktureller Demokratisierung und Massenpolitisierung. In unserem gegenwärtigen sozio-kulturellen Milieu der traditionellen und immer neu erzeugten politischen Apathie, in der 95 Prozent sich nicht um das Gemeinwesen kümmern und die fünf Prozent Aktiven bereits jetzt permanent überfordert sind, könnte in der Tat eine gesellschaftliche Gesamtdemokra-tislerung nicht verwirklicht werden. Unrealistisch ist demgegenüber die Forderung, erst müßten die Menschen einen politischen Bildungsprozeß durchmachen, dann könnten sie mitbestimmen. Eine solche Argumentation verkennt das elementar-dialektische Verhältnis von politischer Bildung und politischem Handeln, das ich als erste grundlegende Hypothese über das personelle Demokratisierungspotential formulieren möchte:
In dem Maße, wie wir demokratisierte Strukturen, d. h. reale Partizipationsrechte und -möglichkeiten schaffen, vervielfachen wir die Chancen zum gesellschaftlichen Engagement, deren Wahrnehmung wiederum politisierend, bewußtseinsbildend, aktivierend wirkt — andererseits erzeugt die zunehmende politische Bewußtseinsbildung und Aktivierung politischen Druck zur Durchsetzung weiterer demokratisierter Strukturen.
Sind aber statt 5— 100/0 30— 50% der betroffenen und mitbestimmungsfähigen Menschen in einem Arbeits-, BildungsoderWohnbereich partizipationsbereit, so können die zu besetzenden Kontroll-und Selbstorganisationsfunktionen durchaus so verteilt werden, daß ein den einzelnen nicht überforderndes, arbeitsfähiges (weil arbeitsteiliges) System der Gesamtdemokratisierung objektiv real möglich wird.
Eine definitorisch gesicherte, empirisch belegte quantitative Bestimmung des politischen Partizipationspotentials existiert nicht. (Befragungsergebnisse basieren auf so qualitativ verschiedenen „Aktivitäts" -Merkmalen wie „Interesse an Politik" einerseits und „Teilnahme an politischen Aktionen" andererseits.) Der Begriff der politischen Partizipation wäre zumindest in folgender Differenzierung zu präzisieren: a) als passive Partizipationsbereitschaft durch politische Information, Kommunikation und Mitgliedschaft in Interessenverbänden; b) als aktive Partizipationsbereitschaft, d. h. als Bereitschaft zu bestimmten Zeitopfern für die Teilnahme an kollektiven Meinungsbil-dungs-und Entscheidungsprozessen in gesellschaftlichen Subsystemen.
In diesem Sinn gibt es, nach im Detail noch ungesicherten, in der Größenordnung aber empirisch fundierten Schätzungen in einem politisch relativ aufgeschlossenen Ballungsraum wie Frankfurt unter einer halben Million in Frage kommender Bürger 2— 3 °/o „aktiv" und 15 ’/o „passiv" politisch partizipierender Menschen überprüft man Untersuchungen, deren Kriterien unserer konkreten Bestimmung von aktiver politischer Partizipation(sbereitschaft) nahekommen, so trifft man immer wieder auf eine Minderheit, die wenig über oder unter 5 °/o liegt. Selbst bei voller Ausschöpfung der gegenwärtigen, vorwiegend repräsentativen Mitbestimmungsformen bleiben aber die institutionellen Anforderungen an personelle Partizipationspotentiale so gering, daß 5 % der betroffenen Gruppen — und insgesamt 5 °/o der potentiellen Aktivbürger — nicht überschritten werden, so daß von utopischen, die „menschliche Natur" überfordernden Ansprüchen einer umfassenden Demokratisierungsstrategie also keine Rede sein kann.
Ohne Frage bleibt der gegenwärtige Grad relativ aktiver Beteiligung mit eher unter 5 °/o weit unterhalb der Minimal-Zielvorstellung einer Basisdemokratisierung. Eine rein räte-demokratische Alternative dagegen — direkte Mitentscheidung aller Bewohner, Produzenten, Konsumenten, Schüler, Eltern — ergäbe etwa 1, 5 Millionen Funktionen für knapp eine halbe Million Bürger — also eine total irreale Beanspruchung, selbst wenn man entwickelbare Partizipationspotentiale sehr optimistisch einschätzt. Eine realistische Zielprojektion dürfte demnach sein: statt 3 (15) Prozent aktiv (passiv) Partizipierender 10 (30) Prozent zu motivieren.
Zusammenfassend läßt sich im Blick auf realistische quantifizierbare Schätzungen eine zweite Hypothese aufstellen, nämlich daß bereits jetzt die aktivierbare Minderheit ausreicht, um wesentlich weitere Subsystem-bereiche demokratisch zu führen oder zu kontrollieren — allerdings nicht zu einer Fundamentaldemokratisierung im Sinne maximaler Selbstverwaltung.
Neben der Kalkulation der personellen Res-sourcen bleibt die der finanziellen und zeitlichen. Zwar gilt, sofern politische Teilnahme anderweitig „lohnt" und daher auch Freizeit für sie geopfert wird, nicht unbedingt, daß Zeit Geld ist. Vielmehr bezeugen unzählige praktische Beispiele, daß einmal Motivierte zu beträchtlichen Zeitopfern bereit sind. Aber da sehr viele demokratisierte Entscheidungsprozesse während der „kostbaren" Arbeitszeit sich vollziehen und auch erhebliche Zusatz-kosten (z. B. für Versammlungen, Informa, tionsund Bildungsmaßnahmen etc.) verursachen, stehen der zeitliche und finanzielle Faktor doch in engem Zusammenhang. Dabei sollte nicht verkannt werden, daß die Zunahme der arbeitsfreien Zeit allmählich auch ein zusätzliches Reservoir für politische Tätigkeit darstellen kann, insbesondere dann, wenn die gesamte soziokulturelle Bewußtseinsbildung nicht länger, wie jetzt, auf die möglichst totale Privatisierung und Desinformation in der freien Zeit hinwirkt.
Eine Fallstudie — Kostenberechnung an der TU (Technischen Universität) in Berlin — gelangt zu dem immerhin beträchtlichen Mehraufwand von 170 000 gegen früher 46 000 Sitzungsstunden pro Jahr und einer — wenn auch nur teilweise effektiv zu Buche schlagenden — Verdoppelung bis Vervierfachung der Kosten. Es erweist sich, daß dem Konzept einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung eine gefährliche Krise droht, wenn Zeit-Kosten-Anforderungen kumulativ aus verschiedenen Subsystemen auf die aktiven Minderheiten einer Gesellschaft eindringen.
Das Fazit abschätzbarer steigender Zeit-Kosten-Aufwendungen für Partizipation kann rational in folgender dritter Hypothese erfaßt werden:
Ein Kollaps der Demokratisierung, d. h. sowohl des gesellschaftlich total überbeanspruchten Aktivbürgers wie auch der handlungsunfähig werdenden Subsysteme läßt sich nur dann verhindern, wenn die Idee eines räte-demokratischen Maximalismus aufgegeben wird. Demokratisierung schließt Anerkennung rationaler, legitimierter Führung (Herrschaft) nicht aus, sondern notwendigerweise ein. „ökonomischer“ Einsatz der Demokratisierungsmethoden und -potentiale impliziert — mit anderen Worten — auch eine Entlastung der Betroffenen durch Anerkennung akzeptabler Handlungsräume stellvertretenden, kontrollierbaren Entscheidungshandelns, d 2 demokratisch legitimierter Führung. Schle lieh sollte nicht vergessen werden, daß niditB politische Formen der Selbstentfaltung natürjidherweise die meiste arbeitsfreie Zeit der meisten Menschen beansprucht!
Das sozialtheoretische Konzept einer gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung sollte also nicht dazu verführen, einem Fetischismus der Herrschaftslosigkeit, einem dogmatischen Anarchismus zu huldigen. Zwar bleiben die Grundprinzipien des Anarcho-Syndikalismus bzw. klassischen Liberalismus: Dezentralisierung und optimale Selbstverwaltung, unverzichtbar für jede radikaldemokratische Theorie. Aber deren Verabsolutierung führt sie ad absurdum. Demokratisierung schließt die Anerkennung von durch Wahlakte legitimierter Sachautorität ein — vorausgesetzt, daß eben diese Sachautorität sich nicht oligarchisch verfestigen kann. Demokratische Führung kann nur dort als funktionale gerechtfertigt sein, wo die Funktionsfähigkeit eines gesellschaftlichen Subsystems infolge notwendiger sachkundiger Integration komplexer arbeitsteiliger Gesamtleistungen ständig bestimmte Entscheidungen erfordert, die nur in Form von (normalerweise) akzeptierten Anweisungen in einem hierarchischen Liniensystem realisiert werden können.
Unter dieser Voraussetzung ist die Anerkennung von Sachautorität in einer demokratischen Gesellschaft sogar unabdingbar. Wollte man sie leugnen, so würde man virtuell jeden Bürger für alles mitverantwortlich machen und völlig überlasten. Die Möglichkeit eines zumindest bedingten Sich-verlassen-Könnens auf und Gewährenlassens von Experten scheint mir die Vorbedingung eines nicht total, und zwar negativ vergesellschafteten Menschseins zu sein. Zugleich erhellt an dieser Stelle freilich das Dilemma der gesellschaftlich-geschichtlichen Dialektik, daß einerseits nur umfassende Demokratisierung zur klassenlosen Gesellschaft führen kann, andererseits aber erst in einer klassenlosen Gesellschaft Führung — als a priori nicht mehr der eigenen Selbstbehauptung oder der einer herrschenden Klasse dienend — ohne große Gefahr als demokratische, stellvertretende in ihrer entlastenden Funktion akzeptiert werden kann.
IV. Weitere Voraussetzungen der Demokratisierung
Die folgenden Hinweise dienen lediglich dazu, der naiven Auffassung vorzubeugen, Demokratisierungsverfahren könnten sich in der Durchsetzung von Einflußnahme, optimal als Mitentscheidungsmacht oder Selbstverwaltung, erschöpfen: habe man erst einmal bestimmte Positionen besetzt, sich Gehör, öffentliche Aufmerksamkeit, Sitz und Stimme in den Entscheidungsgremien erkämpft, so sei damit die wesentliche Grundlage demokratischer Subsystem-Strukturen geschaffen. Zweifellos sind erfolgreiche Aktionen von der Basis und errungene Mitbestimmungsrechte wesentliche Grundlagen, aber eben oft keine ausreichenden Grundlagen für einen Abbau der strukturell, habituell, kognitiv antidemokratischen Zustände in Subsystemen:
1 die autoritär-zentralistische und oft für die meisten monotone Arbeitsorganisation in Subsystemen; 2 die in den bestehenden rechtlichen Gestaltungen der Subsysteme »legalisierten“ hierarchischen, obrigkeitlichen und besitzbürger-
chen Herrschaftsprivilegien;
3 die architektonisch Klassen-verfestigte ierarchiestruktur von Subsystem-Gebäuden und -Anlagen, 4 .der Mangel an kognitiver, aktivierender und kooperativer (gruppendynamischer) Bildung der Partizipanten;
5 .der Mangel an Muße und finanziellen Mitteln zur Realisierung von demokratischen Informations-, Arbeits-und Lernprozessen.
Wenn Demokratisierungsverfahren nicht gegen Wände oder ins Leere stoßen sollen, sind in den nächsten Jahren und Jahrzehnten folgende flankierende strukturelle und Bildungsmaßnahmen unabdingbar notwendig:
Veränderung des Organisationsaufbaus, der gesetzlichen Rahmenbedingungen, der „Subsystem-Architektur", der finanziellen Zuweisungen, der Bildungsprozesse.
Ist der strukturelle, demokratisierende Umbau der Subsysteme überhaupt im Rahmen vorhandener Budgetmittel bzw. kapitalistischer Betriebswirtschaft finanzierbar, oder können demokratisierende Investitionen wegen der höheren Effektivität demokratisierter Subsysteme sogar wirtschaftlich sein, oder sind die Demokratisierungskosten zumindest gleich dem Nutzen, d. h. Demokratisierung kosten-neutral? Das Mindeste, was man aufgrund vielfältiger Erfahrungen sagen kann — immerhin bereits eine Feststellung von größter demokratie-theoretischer Tragweite — ist: daß zwar bei Aufhebung der irrationalen kapitalistischen Profiterzeugung, Arbeitslosigkeit und Verschwendungsproduktion die für humane Zwecke freiwerdenden Kräfte und Mittel unvergleichlich viel größer sind als die heute zur Verfügung stehenden, daß aber außerordentlich weitreichende und radikale Demokratisierungsmaßnahmen bereits hier und jetzt realisierbar sind, da sie nachweisbar entweder sogar die Organisationseffektivität steigern oder zumindest kostenneutral sind. Karl-Otto Hondrich hat dazu eine ausgezeichnete Studie vorgelegt.
Ein Beispiel wäre die Demokratisierung der repressiven Kleinfamilien-Wohnstruktur: Nach vorliegenden Berichten aus Wohngemeinschaften, in denen durchaus eine Befreiung und nicht etwa Zerstörung der Individualität (insbesondere der Frau!), ehelicher Lebensformen und der Erziehung realisierbar erscheinen, sind die Wohn-und Lebenshaltungskosten bei vernünftiger Organisation offensichtlich geringer als in den mit unrationeller, nicht auslastbarer Haushalts-und Freizeittechnik vollgestopften Kleinfamilienhaushalten.
Ein weiteres Beispiel wäre die Abschaffung monotoner Arbeiten (insbesondere der Fließbänder) als wesentliches Element humanisierter Arbeitsorganisation*): Von Volvo, Saab, Philips, IBM, Olivetti und vielen anderen liegen Berichte vor, wonach die Quantität des Output nach einer gewissen Übergangszeit die der monotonen Produktionsabläufe leicht überschritt und die Qualität der vorherigen weit überlegen war, ferner 5— 15°/0 der Kontrolleure und Vorgesetzten überflüssig werden.
In (Sub-) Systemen mit demokratischem Legitimationszwang kann Klassenherrschaft sich immer weniger mit bloßer Brachialgewalt halten — sie hält sich wesentlich nur noch mit Hilfe der Uninformiertheit und Autoritätssucht der Betroffenen. Und dies gilt nicht zuletzt, weil die Demokratisierung der formaldemokratischen, de facto oligarchischen Organisationen künftig fast ebenso wichtig und ebenso schwierig wird wie die Demokratisierung der undemokratischen Wirtschaft. Daraus wird deutlich, daß quantitativ, vor allem aber qualitativ wesentlich verstärkte (politische) Bildungspro. zesse für das Konzept der gesamtgesellschati. liehen Demokratisierung entscheidende Bedeutung haben. Dabei ist politische Bildung als Aktionsbildung neu zu entwickeln.
Politische Aktionsbildung als unabdingbarer Bestandteil jeder Theorie und Praxis gesamtgesellschaftlicher Demokratie ist die Planung und Verwirklichung von politischen Lernprozessen, die 1. an den unmittelbaren gesellschaftlichen Erfahrungen, Konflikten und Interessen (Bedürfnissen) der Lernenden anknüpfend diese als gesellschaftliche — nicht individuelle — Konflikte und Interessen bewußt und konkret machen;
2. eine sozioökonomische Analyse dieser existenziellen Konflikte und Interessen ermöglichen, die ihren Zusammenhang mit den objektiven gesellschaftlichen Antagonismen und subjektiven Herrschaftsinteressen einsichtig macht;
3. Informationen vermittelt, die den Lernenden nicht nur die Herrschafts-und Interessen-strukturen in den für sie unmittelbar lebenswichtigen und lebensnahen Subsystemen transparent macht, sondern zugleich auch alternative Modelle und Strategien wirksamer Beeinflussung, Veränderung der Entscheidungen und Strukturen in diesen Subsystemen zur Verfügung stellt, und schließlich 4. überleiten in die Planung und Durchführung exemplarischer Aktionen, durch die politisch Lernende selbst in politische Praxis sich einzuschalten, als potentielle „Macht von unten" sich erfahren können, gesellschaftliche Widerstände kennen und bekämpfen lernen, politische Artikulation (Informationsund Überzeugungsarbeit) einüben ec. Aktionsbildung erschöpft sich allerdings nicht im Organisatorischen und nicht in einer nur „Freiheit von" (autoritären Hörigkeiten) schaffenden Orientierung an radikaldemokratischen Normen. Demokratische Bildung, Befähigung zur Demokratisierung gesellschaftlicher Organisationen. und Produktionsstätten, erfordert auch „Freiheit zu": Solidarität, besonders mit Schwächeren; Selbstkontrolle (Leistung ohne Druck von oben); Unterordnung (betriebs-) ego istischer Interessen unter übergeordnete gesellschaftliche Interessen; Toleranz, besonders gegenüber andersdenkenden Demokraten und Minderheiten — um nur einige wenige Erfordernisse zu nennen.
Offensichtlich geht es hier um etwas so Altmodisches wie Ethik, man wagt es kaum laut zu sagen. Aber es muß ganz im Gegenteil offen und gründlich und selbstkritisch darüber gesprochen werden: über das Verkünden progressiver Parolen durch Leute, deren aggressiv kleinbürgerliche Selbstbezogenheit und Unverläßlichkeit schon das kleinste (demokratische) Teamsystem — etwa an der Universität oder im Betrieb — zum Scheitern bringt; über die am 1. Mai nach mehr Mitbestimmung rufenden Betriebsräte, die täglich ihren faulen Kompromiß mit dem „Chef" machen und allen Konflikten aus dem Wege gehen; über Lehrer, die für Demokratisierung ihrer Situation fechten, aber ihre Schüler so autoritär wie eh und je behandeln ... Um es konkret zu sagen: Die Tabuierung der ethischen Dimensionen von Gesellschaftspolitik und politischer Bildung muß aufgehoben werden, wenn immer es gelingen soll, eine Gesellschaft optimaler Selbst-und Mitbestimmung theoretisch-praktisch zu konstituieren.
Eine Gesellschaft mit dem Anspruch umfassender Demokratisierung und klassenloser, kooperativer statt autoritärer Ordnung bedarf eines anderen Lustprinzips und Wertsystems als das des Habens und Herrschens (bzw. Folgens) — die Befriedigung des Ego muß umfassender, vermittelter, aber auch wesentlich entspannter: frei von den Waren-und Herr-
schaftskategorien und ihren negativen privatistischen Reflexen ermöglicht werden. Genau dies aber: die Konstitution eines größeren, liebevolleren, freieren Ego, nicht die asketisch-repressive Aufopferung des Ego zugunsten eines kollektiven Altruismus — ist die vor uns liegende Aufgabe einer neuen Sozialethik, einer radikaldemokratischen, d. h. sozialistischen Verhaltenslehre.
Ohne Konsensbildung und Einübung einer neuen demokratischen Ethik: einer Lust und Verpflichtung zum Öffentlichen, zur Teamleistung, zum Produzieren, was keinen Tauschwert hat —, ohne solche entschiedene Wert-und Libidobesetzung gesellschaftlich-verantwortlichen Engagements bleiben alle Modelle der freien Erziehung, der Mit-und Selbstbestimmung in Schulen, Betrieben, Redaktionen und Universitäten leere Hülsen, besetzt schlimmstenfalls von radikalen Neurotikern, die politische Ersatzbefriedigung und Aggressionsabfuhr suchen, und die eine apathisch bleibende Mehrheit gewähren läßt, bis die Oligarchien dem ganzen demokratischen „Spuk“ ein repressives Ende bereiten. Antidemokratische Verhaltensweisen wie Autoritarismus, politische Apathie, Unfähigkeit zur kollegialen (Team-) Entscheidung, Intoleranz und Gewaltglauben sind auch, aber keineswegs nur Probleme der Aufklärung (kognitiver Bildung) oder Frühsozialisation; sie sind — gerade auch in progressiven Gruppen — wesentlich auch Folgen eines ethischen Defaitismus: einer spätbürgerlichen Verzagtheit, die nicht wagt, in der politischen Aktionsbildung einen entschiedenen „normativen" Prozeß revolutionärer (Zweiter) Sozialisation in Gang zu setzen, der durch Verhaltensnormen der alltäglichen Solidarität und kollektiven Ich-Erweiterung geprägt ist.
V. Demokratisierung und Sozialismus
Die Theorie gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung kann aus ihrer immanenten Konsequenz nur als Theorie der sozialistischen Transformation zu Ende gedacht werden, weil die Bestimmung des Sozialismus: Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, mit der Bestimmung realer Demokratie identisch ist. Die neueren reduzierten Demokratie-Theorien, als Theorien demokratischer Elitenherrschaft, die teilweise sehr bemüht Demokratie sogar ausdrücklich vom Sozialismus zu unterscheiden versuchen, indem sie Abschaffung von Herrschaftseliten für unmöglich erklären und Demokratie lediglich als „legaen Machtwechsel", „Führungswechsel" defi-nieren, beweisen damit nichts anderes als ihr eigenes klassengesellschaftlich verfälschtes, defizientes Demokratieverständnis.
Mit Recht haben daher auch Marxisten, selbst wenn sie für die Übergangsperiode der Niederringung der alten Machteliten den leicht mißzuverstehenden Begriff der Diktatur des Proletariats prägten, sozialistische Demokratie als die wirkliche, die reale Demokratie verstanden. Gerade einer der radikalsten sozialistischen Theoretiker, Rosa Luxemburg, hat dies immer wieder, mit besonders kritischem Blick auf die leninistische Politik, betont: „Sozialistische Politik beginnt ... nicht erst im gelobten Land, wo der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus.“ Mit Recht wird dabei von sozialistischer als realer Demokratie gesprochen, weil im Sozialismus nicht unter der formalen Gleichheit von politischen Wahlchancen die materiale massive Ungleichheit und unkontrollierte Herrschaft derer fortbestehen kann, die im Besitz der materiellen, politischen, geistigen, militärischen Mittel sind, mit deren Hilfe sie die große Mehrheit der Gesellschaft in ihre Abhängigkeit und Dienstbarkeit zwingen können. Wobei wohl bei einigermaßen informierten Menschen jetzt nicht mehr strittig ist, daß in der Tat konzentrierter Besitz von Produktionsmitteln (man denke etwa an die Multinationalen Konzerne) nicht nur die repressivste Herrschaftsgewalt über die Nicht-Besitzenden begründet, sondern meist auch den Besitz oder die Unterstützung von geistig-geistlicher, militärischer und politischer Macht verschafft.
Und genau an dieser Stelle ist der identische Ansatz-und Einsatzpunkt des Sozialismus wie auch einer konsequenten Strategie der Demokratisierung: daß eben zur Realisierung von Demokratie die Kontrolle politischer Macht durch Wahlakte bisher nicht ausgereicht hat. Es zeigt sich, daß auf diesem Weg eine ganze Reihe anderer Herrschaftsverhältnisse, vor allem aber die ökonomischen, weithin unkontrolliert, unangefochten weiterbestehen, solange nicht organisierte Gegenmachtbildung in allen diesen gesellschaftlichen Bereichen unmittelbar Mitbestimmung durchsetzen oder schließlich das politische System zwingen, Machtkontrolle und Abbau oligarchischer Herrschaft auch im Bildungsund Produktionssystem, im Wohnbereich und in den Verwaltungen, in den Massenmedien und Verbänden einzuführen.
Lassen sich also eindeutig identische Zielbestimmungen von konsequenter Demokratisierung und sozialistischer Politik feststellen, so ist dann die zweite entscheidende Erkenntnis, die sich aus der Analyse und Projektion der Demokratisierungsbewegungen ergibt: daß sie über die unzureichenden, teilweise gescheiterten konventionellen sozialistischen Transformationsstrategien und damit aus der Stagnation der sozialistischen Theorie und Praxis selbst hinausführen. Praxis-Theorie gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung ist, mit anderen Worten, als eine multifrontale und basisdemokratische Strategie zur Herstellung klassenloser Gesellschaft neben oder an Stelle der traditionellen, sozialistischen Strategie zu entwickeln. Denn es hat sich gezeigt, daß ein sozialdemokratischer Evolutionismus, der glaubt, über die Koalitionen und schließlich Mehrheiten im parlamentari.sehen System den Sozialismus in den Kapitalismus „hineinwachsen" lassen zu können ebensowenig zur Überwindung undemokra. tischer Herrschaftsordnungen ausreichend erscheint wie eine auf sozio-ökonomische Krisen-und Veredelungserwartungen basierende Revolutionstheorie, die monomanisch (unifrontal auf die Beseitigung der unmittelbar ökonomischen Kapitalherrschaft fixiert ist und damit de facto alle nicht auf Mobilisierung eines revolutionären Proletariats gerichtete politische Aktivität geringschätzt. Eine umfassende Strategie der Demokratisierung muß also aus dem Dogmatismus herausführen, in dem Theorie und Praxis der sozialistischen Gesellschaftstransformation — auch in Osteuropa — weithin sich befinden. Wenn festzuhalten ist an dem identischen Ziel von Demokratie und Sozialismus: einer Gesellschaft der Gleichen und Freien, so erfordert dies eine grundlegende Befreiung aller Gesellschaftsbereiche von den gegenwärtigen Ausbeutungs-und Herrschaftsverhältnissen, zu der weder die parlamentarische Strategie noch die ökonomisch-revolutionäre ausreicht. 1. Zur Kritik konventioneller Transfonnationsstrategien Um die spezifische Leistung einer Strategie gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung als Strategie sowohl sozialistischer Transformation wie auch des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft richtig bewerten zu können, muß eine kritische Bestandsaufnahme der — teilweise katastrophalen — Defizite der bisherigen sozialistischen Theorie und Politik versucht werden. Dies vor allem angesichts einer durch nichts gerechtfertigten Selbstgerechtigkeit fast aller Fraktionen der Linken, angesichts einer lernpathologischen Unwilligkeit, die politische Logik des eigenen theoretischen bzw. „pragmatischen" Standorts in Frage zu stellen. (Vgl. dazu die wesentlich ausführlichere Darstellung sowohl der Leistungen wie der Fehlleistungen der konventionellen Theorien: „Strategien . . ." Bd. I, S. 209— 255)
Fehlleistungen des Marxismus
1. Der Marxismus war und blieb dem positivistisch-naturwissenschaftlichen Denken verhaftet in dem Bestreben — zugleich in Kritik der liberalen ökonomischen Gleichgewichts-mechanik —, die objektiven sozioökonomischen Bewegungsgesetze mit quasi naturwissenschaftlicher Gewißheit zu entwickeln. Dieser Anspruch, die Kenntnis der objektiven gesellschaftlich-geschichtlichen Abläufe zu besitzen, hat a) den Marxismus in Programmsätzen von Parteien (besonders von totalitären Staatsparteien) zu einem geistigen Herrschaftsinstrument entarten lassen, mit dem politisch-strategisch Andersdenkende als Leugner der objektiven Wahrheit abgeurteilt und verstoßen werden können;
b) die Kritik der marxistischen Voraussagen der kapitalistischen Entwicklung tabuiert, da auf-der angenommenen objektiven Gewißheit dieser Entwicklung die objektive Gewißheit der kommenden Krise und Revolution beruht, deren Infragestellung infolgedessen die gesamte politische Hoffnung und Strategie zunichte macht.
2 . Damit verführt der Marxismus zum starren Festhalten und Verteidigen einer bestimmten Interpretation der kapitalistischen Entwicklung (nämlich einer zunehmend krisenhaften, revolutionäre Situationen produzierenden) und macht viele Marxisten und marxistische Organisationen unfähig, neue, andersverlaufende kapitalistische Entwicklungen ernsthaft wahrzunehmen und ihr politisches Handeln darauf einzustellen; zugleich wird denjenigen Sozialisten und linken Organisationen, die eine sozialistische Politik durch Reformen zu verwirklichen suchen, „Reformismus", „Systemstabilisierung" vorgeworfen: Die Spaltung der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung hat hier eine wesentliche Ursache (die andere liegt im sozialdemokratischen Verzicht auf konsequent systemverändernde Politik überhaupt).
3 Der Marxismus bewirkt durch seine Über-betonung der Eigengesetzlichkeit gesellschaft-licher Prozesse eine verhängnisvolle Unterschätzung und Unterbewertung des „subjektiven Faktors". Der Satz, daß die ökonomische Basis den politisch-geistigen überbau bestimme, degradiert politisches Bewußtsein und Politik zur abhängigen Variablen der Produktionsverhältnisse, d. h.der Marxismus leugnet die Möglichkeit, daß Menschen durch bewußtes, nicht durch ökonomische Zwänge präformiertes politisches Handeln aktiv umgestaltend in die gesellschaftlichen und besonders die ökonomischen Verhältnisse eingreifen können.
Diese Unterbewertung autonomer Politik folgt zwangsläufig aus der Herleitung der gesellschaftlichen Entwicklung aus „objektiven" sozioökonomischen Widerpsrüchen („Bewegungsgesetzen"), einer „Realdialektik" von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, die zwar von den Menschen selbst „gemacht“ wird, wie Engels erläutert, aber so, daß sie, unter primär ökonomischen Bedingungen, nur blindlings agieren. In diese — wesentlich ökonomisch bestimmte — „Realdialektik" sind die Menschen im Grunde nur verstrickt, sie sind nicht selbst im Sinne einer Subjekt-Ob-jekt-Dialektik bewußt handelnde aktive Gestalten. Zwischen dem gesellschaftlichen Prozeß und dem politischen Handeln der Menschen besteht keine Dialektik, sondern einseitige Mechanik: „Nicht das Bewußtsein bestimmt das Sein, sondern das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein", wie Marx sagt. Diese im Wesen des Marxismus begründete nur objektive, nicht subjektiv-objektive Dialektik des gesellschaftlichen Prozesses schlägt sich lähmend in sämtlichen politischen Analysen, Programmen und Diskussionen nieder. Sie alle laufen darauf hinaus, daß unsere Gesellschaft („das System") eben vom Unterbau: den Kapitalgesetzen und -interessen bestimmt, beherrscht wird, folglich der überbau: Staat, politische Bildung, Bildungssystem, politische Organisationen etc., „nichts anderes" sein kann als „systemerhaltend". Sozialistische Organisation kann folglich nichts anderes tun als „Mobilisierung" des Proletariats, Bewußtmachung der Krise, der Verelendung, des Klassenkampfes, Durchführung von antikapitalistischen Aktionen, Streiks, Lohnkämpfen — und zwar nicht, weil man das „System" ändern könnte, sondern lediglich im Blick auf das Heranreifen einer „revolutionären Situation" — bestenfalls, schon etwas außerhalb marxistisch-theoretischer Legalität: indem man aktiv-agitatorisch, durch „kämpferische" Massenbewegung aus begrenzten Krisen eine revolutionäre Situation macht.
Zusammenfassend: Der Marxismus blockiert aufgrund der nur reagierenden Rolle, die er politischem Handeln zuweist, die Einsicht in die tatsächliche Dialektik von Ökonomie, aktiver demokratischer Bewußtseinsbildung und Politik: Die Tatsache, daß das „System" nicht aus dem herrschenden Unterbau „Kapital" und dem dienenden überbau „Staat“ besteht, sondern aus einer (zu Marx'Zeiten freilich noch nicht sichtbaren). Dialektik miteinander ringender kapitalistischer und demokratischer Kräfte im Staat, im Bildungssystem — ja ansatzweise sogar in der Ökonomie. Das heißt nicht weniger, als daß die konstitutive marxistische Blindheit für autonome, bewußte politische Handlungen den gesamten dogmatisch-marxistisch indoktrinierten Teil der sozialistischen Bewegung blind macht für den faktisch erreichten und weiterhin erreichbaren Stand der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit: nämlich für die erfolgreiche Zurückdrängung der — wenn auch immer noch vorherrschenden — Kapitalmacht im privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen System selbst. Erhebliche Teile der sozialistischen Bewegung werden damit desorientiert und bündnisunfähig. Durch seinen Anspruch, die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft zu immer schwereren Krisen und revolutionärer Transformation als objektives gesellschaftliches Bewegungsgesetz voraussagen zu können, hat der Marxismus viele Sozialisten und radikale Demokraten auf eine als falsch erwiesene Vorstellung des Geschichtsablaufs und einer unabänderlichen Alleinbestimmung des Gesellschaftssystems durch die ökonomischen Gesetze fixiert. Damit wurde ihr mögliches reformstrategisches Engagement im gesellschaftlichen System hier und jetzt, verhindert oder gelähmt. Viele, besonders junge Marxisten sind, nach enttäuschter revolutionärer Erwartung, in Resignation, Fatalismus oder Anarchismus abgeglitten, große Teile der westeuropäischen KPs verharren in ideologischer Schizophrenie: revolutionär redend und reformistisch handelnd; andere marxistische (besonders trotzkistische) Gruppen nehmen eine Haltung ein, die man als Aufforderung zum vorrevolutionären Dauertraining bezeichnen könnte. Als offizielle sowjetische Weltanschauung ist der Marxismus zum repressiven ideologischen Disziplinierungsmittel der herrschenden Parteibürokratie entartet, die den im Marxismus angelegten objektiven gesellschaftlichen Wahrheitsanspruch für sich selbst monopolisiert und in ihren Ländern die nahezu totale geistige Unfreiheit etabliert hat 17a).
Exkurs: „System" als Marionettentheater Da es Ziel dieses gesamten Gedankenganges ist, Ansätze einer adäquaten Neuorientierung sozialistischer Strategie zu finden, können wir nicht bei der allgemeinen Kritik des Marxismus stehen bleiben, sondern müssen das Gesagte in einigen aktuellen Auswirkungen konkretisieren. Eine der für jede politische Entscheidungsbildung grundlegenden, für Strategien der Demokratisierung der Gesellschaft aber geradezu lebenswichtigen Fragen ist die nach der immanenten Veränderbarkeit des bestehenden gesellschaftlichen Systems. Alle nicht ausschließlich mit dem totalen Hebel der „Revolution" operierenden Transformationsstrategien beruhen auf der Annahme der spätkapitalistischen Industriegesellschaft als eines offenen, d. h. durch immanente, verfassungskonforme politische Einwirkung strukturell — und zwar radikal-demokratisch — veränderbaren gesellschaftlichen Systems. Die orthodox-marxistische Gesellschaftslehre leugnet eine solche Offenheit des Systems mit dem Hinweis auf die den politischen „überbau“ behen-sehende, daher jede demokratisch-sozialistische Reformpolitik a priori blockierende Macht des Profitprinzips. Die Gesellschaft gleicht nach dieser Auffassung einem Marionettentheater, dessen Spieler, das „Kapital", sämtliche auf der gesellschaftlichen Bühne agierenden Figuren an seinen Fäden tanzen läßt: die Arbeiter, die Lehrer, die Politiker, selbst die Gewerkschafter. In einem Thesenpapier zum „Staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (Stamokap) liest sich das wie folgt: „Im staatsmonopolistischen Kapitalismus greift der Staat direkt und aktiv in die ökonomische Planung und Profitverteilung ein. Der Staat ist nicht mehr, wie zur Zeit des nicht-staatsmonopolistischen Kapitalismus, nur Garant und Nährboden der Wirtschaftsweise, indem er für einen adäquaten, juristischen und kulturellen überbau sorgte, sondern er steuert direkt die Produktion im Interesse der Herrschenden (...). Reformen werden nur durchgeführt, wenn sie den Monopolen nützen (Studienreform) oder zumindest den Monopolen nicht schaden. Das wird ganz deutlich in Streik-situationen. Der Staat übernimmt eine Schlichter-Funktion, indem er zum Beispiel die geforderte Lohnerhöhung ablehnt und einer weitaus geringeren zustimmt. Die Monopole werden dadurch nicht geschädigt, die Streikenden sind befriedigt und.demobilisiert. (...) Die SPD-Führung (••) sieht ihre heutige Aufgabe darin, gemeinsam mit den Gewerkschaften die Lohnabhängigen in den kapitalistischen Staaten zu integrieren. (..) Ihr Ziel ist es, den Kapitalismus zu . humanisieren'. Das bedeutet objektiv, seine Widersprüche, die aus gesell-schaftlicher Produktion und privater Aneignung herrühren, noch besser zu verschleiern. Auf die Lohnabhängigen wirkt diese Politik demobilisierend und spalterisch ..."
Nicht irgendwelche theoretischen „Spitzfindigkeiten“ zwingen uns, uns mit solchen Vorstellungen vom kapitalgesteuerten „System" mit seinem „Agenten" Staat auseinanderzusetzen sondern politisch ungeheuer schwerwiegende Konsequenzen; Es gilt, im Interesse einer realistischen, erfolgreichen sozialistischen Transformations-und Demokratisierungstheorie die theoretische Überwindung des ökonomisch-deterministischen Systembegriffs des dogmatischen Marxismus ingangzusetzen. Deren Fazit lautet: Obwohl es selbstverständlich eine starke Macht des Kapitals und seiner konservativen Verbündeten in den „westlichen" Industriegesellschaften gibt, denen mehr als einmal auch in der Tat die Zerschlagung von demokratischen Ordnungen gelungen ist — wir fassen diese sozialgeschichtlichen Vorgänge unter dem Begriff Faschismus zusammen —, gibt es doch keinerlei Beweis einer Unausweichlichkeit solchen Scheiterns einer immanenten real-bzw. sozialdemo-kratischen, sozialistischen Systemveränderung.
Im Gegenteil gibt es, wenn wir die nur hundertjährige Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung insgesamt betrachten, wesentliche nationale und internationale Machteinbußen der alten feudalen und kapitalistischen Herrschaftsgruppen, eine wesentliche Stärkung der materiellen, politischen und geistigen Lebenssituation der abhängigen Massen, und es gibt inWesteuropa seit dem Zweiten Weltkrieg eine Gesamttendenz des Übergangs von konservativen zu sozialliberalen politischen Regimes, ökonomischer Planung, zunehmender betrieblicher Gegenmachtbildung und eben jener herrschaftskritischen gesamtgesellschaftlichen emokratisierungsbewegung, die wir hier als Massenbasis zu realer sozialistischer Trans-
ormation definieren. Karl Korsch, dem gewiß ein " Sozialdemokratismus" nachgesagt wer-den kann, hat bereits 1922 einige wesentliche erkämpfte Formen und Etappen der Einschränkung kapitalistischer Macht aus marxistischer Sicht hervorgehoben.
Das alles verbürgt durchaus nicht, im Sinne eines naiven evolutionären Optimismus, einen Sieg des Sozialismus. Aber es ist wahrscheinlich, daß Gegenstrategien des Kapitals und seiner verbündeten konservativen Machtgruppen mißlingen, wenn 1. weiterhin eine sich intensivierende sozialdemokratische Reformpolitik die demokratischen Einrichtungen und Einstellungen festigt (Bereitschaft zu statt Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen); 2. diese immanente Reformpolitik durch Mieter-und Arbeitsschutz-, Steuer-, Bodenrechts-, Planungs-, Mitbestimmungs-, Kartell-und Kapitalkontrollpolitik die Handlungsfreiheit des Kapitals schrittweise weiter eindämmt; 3. das Fortschreiten der Demokratisierungsaktionen an der Basis und in den Verbänden die Abhängigen zunehmend politisiert; 4. international ein politisch-ökonomisches Klima der Entspannung und einer friedlichen, produktiven Systemkonkurrenz anhält
Fehlleistungen des „demokratischen Sozialismus“ 1. Der demokratische Sozialismus hat es in vielen Fällen nicht vermocht, sein Engagement in aktuellen politischen Konflikten und Zielen intern wie öffentlich in eine gesellschaftspolitische Zukunftsperspektive einzubeziehen. Vernünftiger politischer Pragmatismus ist oftmals umgeschlagen in theoretische Orientierungslosigkeit und damit Anfälligkeit für nahezu beliebige bürgerliche Partnerschaftsideologien. Wo dies geschah, trug es nicht nur dazu bei, daß Abhängige unfähig blieben, Notwendigkeit und Richtung der gesellschaftlichen Gesamtreform zu erkennen und zu unterstützen, sondern sozialdemokratische Akteure selbst wurden unfähig, die gesellschaftspolitisch langfristige Opportunität einer im Moment opportun erscheinenden Politik noch in Frage zu stellen. (Herausragende Beispiele: städtezerstörende, gewerbesteuer-orientierte Kommunalpolitik; kleinkapitalistische, die Konzernmacht und den gesellschaftlichen Charakter der Produktionsvermögen verschleiernde Vermögensbildungspolitik.) 2. Das Vertrauen in die parlamentarisch-demokratische Ordnung hat den demokratischen Sozialismus vielfach blind gemacht für die adäquate Wahrnehmung und politische Antizipation ökonomisch-politischer Krisen und antidemokratischer Aktionen der Machteliten und ihrer Hilfstruppen. Weder kapitalistischer Militarismus, Imperialismus und Krieg, noch Wirtschaftskrisen, noch faschistische Bewegungen wurden von den meisten sozialdemokratischen Organisationen politisch zutreffend in Rechnung gestellt, nicht als Gefahr und nicht als Chance eines revolutionären Übergangs zu sozialistischer Demokratie 3. Die richtige, notwendige Bindung an die politischen Normen der parlamentarischen Demokratie, verbunden mit falschem Pragmatismus, d. h. kurzfristigem Erfolgskalkül, führten zu programmatischen Verfälschungen infolge von Überanpassung: Die richtige Einsicht, daß man Wahlen nur gewinnen kann, wenn man nicht Fernziele jenseits der Bedürfnisse und Begriffe der Massen, sondern Verständnis, Sympathie und Vertrauen erweckende politische Forderungen aufstellt, führt oft zu der falschen Konsequenz, mit einem Volkspartei-Wunschkatalog für jedermann, unter Aufgabe jeder progressiven Perspektive, die nächsten Wahlen gewinnen zu wollen, statt eine mittelfristige Strategie zu entwickeln, die, konzentriert auf die große Mehrheit der Abhängigen, neben Nahzielen notwendige Fernziele durch aktive mehrjährige Aufklärungsprozesse unbeirrt vertritt, unter Verzicht auf zu weitgreifende (zu riskant erscheinende) Umgestaltungsforderungen, aber so, daß mittelfristig die Zielbewußtheit begriffen, anerkannt und am Wahltag auch honoriert wird. Die SPD hat in Karlsruhe 1966 den Tiefpunkt ihrer zur Selbstaufgabe tendierenden Politik der Über-anpassung durchschritten und m. E. die Wahlen 1972 — unter anderem— wegen der wieder zunehmenden Profilierung ihrer politischen Zielsetzung und Aktionen gewonnen. Aber zu einer konsequenten sozialistischen Reformpolitik ist noch ein weiter Weg — wenn auch die sozialgeschichtliche Analyse Westeuropas im 20. Jahrhundert das Prinzip des evolutionären, reiormpolitischen Weges als das allein realistische und verantwortbare erwiesen haben dürfte. 2. Gesamtgesellschaftliche Demokratisierung als Strategie verfassungskonformer, evolu.
tionärer Gesellschaftstransformation
Da der—unabhängig von theoretischen Grund-haltungen — aus allgemeinen soziologischen Gründen in allen gesellschaftlichen Organisationen feststellbare Zentralisierungsund Oli garchisierungsprozeß, den Robert Michels bereits 1911 analysiert, allerdings auch onto-logisiert hat, in sozialdemokratischen Organisationen auf Grund ihrer tagespolitischen, parlamentarisch-kompromißbereiten Orientierung überwiegend Funktionäre in Spitzenpositionen gebracht hat, denen gesellschaftspolitische Perspektivenlosigkeit und sozialpartnerschaftliche Einordnung in die kapitalistische Gesellschaft teilweise zur zweiten Natur geworden sind, kann nur eine konflikt-und krisenbewußte Strategie gesamtgesellschaftlicher Demokratisierung innerhalb und außerhalb der etablierten Verbände einen derartigen Drude, derartige personelle Veränderungen und einen solchen Zwang zum kritischeren programmatischen Denken erzeugen und außerhalb der genannten Großorganisationen derartige direkte Aktionen in Gang setzen, daß sich allmählich die Fehlleistungen des demokratischen Sozialismus korrigieren lassen. Nur so kann, mit einem Wort, an Stelle des Rückfalls der evolutionären sozialistischen Bewegung in bloßen Sozialliberalismus die Wiedergeburt eines -durchaus liberalen — demokratischen Sozialismus realisiert werden. Die Jungsozialisten in der SPD wie auch die linken Flügel in den Parteien und Gewerkschaften Frankreichs, Italiens, Schwedens und Englands haben begonnen, diese Regeneration zu verwirklichen. Sozialistische Theorie muß von der dogmatisch-marxistischen Fixierung ebenso wie von der nur-parlamentarischen sich freimachen und nach dem gesellschaftlichen Gesamtpotential einer realisierbaren System-Transformation fragen: Was liegt zwischen den 0, 5— 2 Prozent, die als revolutionäre Avantgarde sich finden lassen in den gesellschaftlichen „Randzonen'— und den 62 Prozent die für Reformpolitik sind?
Meine These ist, daß nicht in den — bereits von Marx abgeschriebenen — lumpenproletan-schen „Marcusischen" Randschichten, nicht (allein) in den Restbeständen tatsächlicher oder nur reflektierter Verelendung, sondern ganz im Gegenteil im großen Zentrum der abhängigen Massen, im „normalen", aber gleichwohl von zunehmenden Konflikten und bewußten Konfrontationen aktivierten „Milieu" das Transformationspotential zu suchen und zu finden ist. Genauer gesagt: exakt im Gegenpol zu den „ausgeflippten" oder extrem verelendeten Minderheiten: in den besonders selbstbewußten, aktiven Minderheiten in allen gesellschaftlichen Subsystemen. Gerade die wachsende Zahl der besser gebildeten oder geschulten Abhängigen, mit relativ guten Berulschancen, die aber gleichwohl und gerade deshalb von den unerträglichen Zuständen im Wohnbereich, im Betrieb, an der (Hoch-) Schule, in den Redaktionen, Gewerkschafts-, Partei-und Kirchenoligarchien sich besonders gedemütigt fühlen: das werden die Avantgarden der gesellschaftlichen Demokratisierung und damit Transformation sein — nicht zuletzt, weil sie keine isolierten „Randgruppen" sind, sondern Aktive inmitten von potentiell aktivierbaren Schüler-, Studenten-, Arbeiter-, Mieter-, Parteijugendgruppen etc.
Alle diese Gruppen sind, bis auf mikroskopische Minderheiten, nicht revolutionär programmiert, sie sind nicht durch revolutionäre Manifeste und Parolen mobilisierbar, sondern durch konkrete, realisierbare Aktionsprogramme. Aber — und das ist meine zweite These — es ist durchaus möglich, daß die Radikalisierung ihrer „begrenzten Aktionen" einerseits und die Verschärfung struktureller (durchaus nichtrevolutionärer) Krisen oder besonders empörender Repressionsversuche von Machteliten andererseits — etwa an überfüllten Hochschulen, etwa in einem von Massenentlassungen bedrohten Konzern, etwa in von Abbruch bedrohten Wohngebieten — in revolutionäre Teilprozesse übergehen: Besetzungen, die in Selbstorganisationen übergehen, Hochschulstreiks, die Regierungen zwingen, reale statt bloß professorenfreundliche Schein-Demokratisierungen zuzugestehen, etc.
Aus dieser Perspektive möchte ich versuchen, auf dem Hintergrund der Kritik dogmatisch-revolutionärer wie -evolutionärer sozialistischer Konzepte und -politiken folgende Elemente einer multifrontalen Transformations-Strategie, eines „evolutionären Reformismus" zusammenzufassen, in den die Theorie der Demokratisierung, der sozialistischen Transformation und bereits sozialistische Gestaltung der Gesellschaft konvergieren:
(1) die Mobilisierung immer breiterer Bevölkerungsschichten — weit über die Arbeiterschaft hinaus — und die Entwicklung ihrer „politischen Kampfinitiative" durch eine systematische Entfaltung von demokratischen Strategien, Erkämpfung von Mitbestimmungsrechten in allen relevanten gesellschaftlichen Subsystemen — damit zugleich die praktische „Produktion" der politischen Basis, die zur Unterstützung einer radikalen parlamentarischen Reformpolitik bereit ist;
(2) die Unterstützung und Forcierung parlamentarischer Reformpolitik mit allen nur möglichen inner-wie außerparlamentarisch realisierbaren verfassungsmäßigen Methoden; (3) die theoretische Entwicklung (Antizipation) und praktische Eskalation von Konfrontationen und demokratischer Machtübernahme in Krisen gesellschaftlicher Subsysteme, mit dem Ziel effektiver Selbstverwaltung der Arbeiter, Studenten, Redakteure etc. in immer größeren, substantielleren Entscheidungsbereichen der Unternehmen und Organisationen;
(4) der Ausbau dezentralisierter Selbstverwaltung und effektiver (möglichst: direkt-demokratischer) Kontrolle in allen gesellschaftlichen Subsystemen, im Rahmen eines parlamentarisch kontrollierten demokratischen Staates, getragen durch pluralistische sozialistische und liberale Parteienkonkurrenz, als Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaft.
VI. Zur Kritik der Demokratisierung
Eine kritische Auseinandersetzung mit Demoxratisierungsmodellen und -Strategien muß vor allem jene Skepsis berücksichtigen, die avor bewahrt, die Strategie der Demokra-tsierung zu einer naiven Gläubigkeit an ie Berge versetzende Kraft schöner Konzepte nsr ommen zu lassen. Skepsis nämlich ist 1 t nur berechtigt, sondern lebensnotwendig, e iCh nicht jene, die Schelsky schon vor 20 Jahren mit Apathie (Privatismus) verwechselte, sondern präzise Skepsis, konkreter Zweifel als Motor von Erkenntnis. Im Gegensatz zu solchen Sachdiskussionen steht jene immer lauter anschwellende ideologische Kritik, hinter deren rational klingenden Argumenten lediglich verborgen wird, daß ihren Vertretern oder deren Auftraggebern die ganze Richtung nicht paßt Der qualitative Sprung zwischen jener Sach-und dieser ideologischen Diskussion läßt sich bestimmen: jener geht es in ihrer Kritik um das Gelingen des Richtigen — diesen dagegen um das Scheitern des Ganzen.
Ich möchte im folgenden kurz auf die ideologischen Formen der Kritik der Demokratisierung eingehen. Nicht, weil es gilt, deren Vertreter — wie Hennis, Buchheim, Schelsky oder Lühmann — eines Besseren zu belehren, sondern weil sie mit Scheinargumenten zahllose gutgläubige Mitbürger und unsichere politische Funktionsträger abschrecken. Außerdem verweisen freilich auch Gegner einer Sache, nützlich auf deren Schwächen; so enthalten auch die Ideologie-Produktionen Momente von Sachkritik, die es zu verarbeiten gilt.
Die immer wiederkehrenden Einwendungen sind folgende:
1. Das Politisierungsargument:
Demokratisierung zerrt unzulässigerweise alle Lebensbereiche in die Sphäre des Politischen, sie macht private Angelegenheiten zu öffentlichen. 2. Das Effizienzgefährdungs-Argument:
Indem Demokratisierung an die Stelle kompetenter Sachautorität Mehrheitsentscheidungen Inkompetenter setzt, lähmt und/oder desorientiert sie die betroffenen Institutionen; diese werden zunehmend ineffizient.
3. Das Subversionsargument:
Demokratisierung bietet angesichts der Apathie der Mehrheit radikalen Minderheiten Gelegenheit, in allen Gremien der gesellschaftlichen Subsysteme Machtpositionen für einen künftigen Umsturz zu etablieren.
Die meisten gegen Demokratisierung vorgetragenen ideologischen Angriffe lassen sich in diese (meist untereinander verbundenen) stereotypen Argumentationsschemata einordnen.
Zum Politisierungsargument:
Hans Buchheim war wohl einer der ersten, die vor zuviel Demokratie, vor deren Anwendung als gesellschaftliches Lebensprinzip statt als bloßer Staatsform „gewarnt" und solche ausschweifende Inanspruchnahme der demokratischen Idee als „Demokratismus” diffamiert haben. Die damit vollzogene Trennung von (Unpolitischer) Privatheit und (politischer) Öffentlichkeit — die Hennis sogar soweit überzieht, daß er auch die Wirtschaft dem Privatbereich zuordnet (er leitet das aus semantischen Spielereien ab: Ökonomie, von oikos, griechisch: das Haus, im Gegensatz zu polis, der Bürgerschaft, Staat) — erweist sich als ideologische Absurdität. Allein der Hinweis auf die Entwicklung des Staatsanteils am Sozialprodukt (1900 = 11 % — 1973 = 409 kann ausreichen, um jedem vorurteilslos Denkenden deutlich zu machen, in welchem Ausmaß ehemals privater Haushaltsführung (oiko-nomia) überantwortet gebliebene Bereiche zu öffentlichen politischen Angelegenheiten geworden sind. Erziehung der Kinder,. Wohnen, Reproduktion des Lebens, Gesundheitssiche. rung, Altersvorsorge, Bildung der öffentlichen Meinung: all das ist der individuellen Selbst-organisation souveräner „Hausväter“ und Bürger weitgehend entwachsen: es ist zum Politikum eines freilich noch höchst defizienten „Wohlfahrtsstaates" geworden. Dessen Defi-zienz aber besteht gerade in dem Fortbestand quasi „privater", autoritär-wpatriarchalischer" Strukturen in vielen von ihm jetzt zu versor-genden und zu verantwortenden Bereichen.
Nicht eine sozialstaatliche Politisierung an Sich ist negativ zu beurteilen (sie ist vielmehr als Bedingung einer 'minimalen Existenzsicherung der großen Mehrheit irreversibel) — negativ sind vielmehr gerade die in den sozialstaatlichen Verantwortlichkeiten und Institutionen fortbestehenden autoritären, privatistischen HerrschaftsVerhältnisse 25a). Konsequenterwei se kann also nur eine Demokratisierung, d. h eine wirksame Mitbestimmung und Herr Schaftskontrolle der Betroffenen in all diesen (schlecht) vergesellschafteten, ehemals privaten Sozialbereichen, nicht aber eine illusionäre Entpolitisierung das Ziel sein.
Gleichwohl steckt in der konservativen Warnung der „Politisierung" — in ideologisierter Form — ein Moment von Wahrheit im Sinne der Wahrung des individuellen Freiheitsspielraums. Allerdings geht es gerade bei der Forderung nach umfassender Demokratisierung nicht zuletzt um die Wiederherstellung dieses persönlichen Freiheitsspielraums. Der ist in der Massengesellschaft nämlich nicht zu retten, indem man ohnmächtig versucht, hinter die vollzogene Politisierung aller Systeme zurüd zugehen. Im Gegenteil: Nur durch eine demo kratische Politisierung (d, h. Mit-und Selbstbestimmung) wird für die meisten Betroffenen ein individueller Freiheitsspielraum wiederhergestellt werden können. Nur für die Herrschenden ist „mehr Demokratie" und „mehr Freiheit" ein Nullsummenspiel: das eine geht auf Kosten des anderen — für die in der bisherigen Geschichte Beherrschten, Nicht-Besitzenden, die Jüngeren, die Frauen, Machtlosen ist «mehr Freiheit“ — im Gegensatz zur neuesten Ideologie Schelskys (siehe unten) — mit „mehr Demokratie" identisch.
Zum Efiizienzgefährdungs-Argument:
Die zweite Ideologie besagt, daß die Komplexität der zur Entscheidung anstehenden Probleme, die schwerwiegenden Folgen von Fehlentscheidungen, die notwendige klare Verantwortlichkeit und rasche Reagibilität in Subsystemen, insbesondere unter Konkurrenz, demokratisierte Entscheidungsprozesse unmöglich machten. Diese scheiterten an der In-kompetenz gewählter Nicht-Fachleute, der Schwerfälligkeit demokratischer Beratungsverfahren, der sachfremden „Politisierung" demokratischer Entscheidungsgremien und -kri-terien und der mangelnden Verantwortlichkeit von Kollektiven.
Am bekanntesten ist dieses Argumentationsschema aus den unternehmerischen Kampagnen gegen die qualifizierte Mitbestimmung in den Leitungsgremien der Großindustrie. Gerade in diesem Bereich, wo Effizienz in einem oft sehr kurzschlüssigen Sinn verabsolutiert wird, können sich Demokratisierungsforderungen allerdings auf die Erfahrungstatsache be-rufen, daß die zwanzigjährige Praktizierung paritätischer Mitbestimmung in der Montanindustrie gewiß keinen Effizenzverlust der westdeutschen Stahlindustrie bewirkt hat. Eine weitgehende innerbetriebliche Demokratisierung — Verminderung von Hierarchien, Mitbestimmung von Belegschaftsvertretern sowie . untergeordneter" Gruppen und Abteilungen anstelle autoritärer Anweisungsund Kontrollstrukturen, Umgestaltung der Arbeitsorganisation zugunsten teilautonomer Arbeitsgruppen — hat, wie zahllose Experimente u. a. in den USA, Norwegen, Schweden, Holland, Italien gezeigt haben eine Steigerung statt Minderung der Effizienz hervorgebracht.
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Wichtig erscheint mir, auf einen Angriff von H. Schelsky einzugehen, der in typischer Weise das Effizienzargument mit dem Politisierungsargument verbindet. Dieser Angriff ist deshalb sozialwissenschaftlich so unhaltbar und politisch so verantwortungslos, weil er an die Stelle der freiheitlich-demokratischen Grundordnung suggestiv zwei alternative Grundordnungen setzt: die der Demokratie gegen die der Freiheit. Gewaltenteilung zur Freiheitssicherung statt Demokratisierung ist Schelskys Rezept, wobei vollkommen naiv die Autonomie der Privatwirtschaft gegenüber der Politik als eines der besonders wirksamen, die Freiheit garantierenden Gewaltenteilungsprinzipien hervorgehoben wird. Selbst ein gesundes Maß an politischer Apathie sei zu begrüßen, da es ein Zeichen für politische Stabilität sei.
Es seien hier zwei seiner gravierendsten Irrtümer hervorgehoben: 1. Es ist normativ wie faktisch-politisch unhaltbar, Idee und Realität der Freiheitssicherung, speziell durch Gewaltenteilung, aus dem Kontext des Demokratisierungskonzepts auszugliedern und ihm gegenüberzustellen. Im Gegensatz zur Auffassungs Schelskys bedeutet gerade „Mehr Demokratie", also basisdemokratische Verstärkung politischer Beteiligung, eine entscheidende Verstärkung des liberalen, anti-zentralistischen, oligarchische Macht vermindernden. oder gar ablösenden, also gewaltenteilenden Prinzips. Nicht ohne Grund stemmen sich alle Zentralmacht-Inhaber gegen Demokratisierung. 2. Im konträren Gegensatz zur Annahme Schelskys haben gerade die von ihm gelobten apathischen, nicht-politischen Wähler die Primitivierung der politischen Agitation erzeugt, während Demokratisierungsbewegungen und -praxis in Betrieben und Universitäten, in Parteien, Kindergärten, Stadtteilen, Krankenhäusern und Gewerkschaften die Sachdiskussionen und rationellen, demokratischen, d. h. für die Betroffenen adäquateren Sachentscheidungen überall stimuliert haben.
Die tatsächlich oder angeblich mangelnde Einsicht der Massen — das Generalargument der Effizienzideologen, der Verteidiger einer „Freiheit" für die „kompetenten" Oligarchien und der relativen Apathie des Volkes —: Karl Mannheim, auf den ausgerechnet Schelsky sich beruft, zog daraus die entgegengesetzte, demokratietheoretisch wie sozialethisch wohl einzig legitime Konsequenz: Die Notwendigkeit, das Volk endlich aus jener Verdummung („geistigen Niederhaltung") zu befreien, damit es effizient an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen partizipieren könne.
Zum Subversionsargument:
Bei fast allen ideologischen Kämpfern gegen Demokratisierung eskaliert die Polemik bis zu der Unheilsprophetie: Demokratisierung sei ein Trojanisches Pferd, in dessen Bauch sich rote Kader zur Machtübernahme in allen relevanten Subsystemen bereitmachten. Insbesondere der „Bund Freiheit der Wissenschaft" lebt von dieser Unterwanderungsthese: die Universität als rote Kaderschmiede, die „als schwächste Institution der Gesellschaft" durch das „Brecheisen“ der „unbegrenzten Mitbestimmung der Studenten (.. .) aus den Angeln gehoben werden kann" Nicht nur, daß „unbegrenzte Mitbestimmung" ein Widerspruch in sich ist (da sie immer durch Mit-Bestimmung anderer begrenzt ist), die Formulierung beinhaltet bereits die ideologische Rechtfertigung für das, was im Grunde die Anhänger dieses Bundes wollen: die Aufrechterhaltung der eigenen Alleinbestimmung. Denn die Alleinherrschaft des Lehrkörpers wird im Gründungsaufruf ganz naiv als jene hochschulpoli-tische Ordnung präsentiert, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung identisch ist.
Diese auf die Hochschule bezogene Ideologie wird dann bei anderen (so z. B. vom Freiherr von Schrenck-Notzing, Autor des rechtsradikalen „Deutschland-Magazins") auf die gesamte Gesellschaft projiziert: überall sich von roten Kadern umringt sehend, wird Demokratisierung aller gesellschaftlicher Bereiche interpretiert als der praktisch-politische Handlungsspielraum, in dem marxistisch-leninistische Kader ihre Machtergreifung vorbereiten. Nun weiß der wohlinformierte Schrenck-Notzing ebenso wie die Demokratisierungsgegner im BFW und BDI, die mit der roten Gefahr agitieren, sehr genau, daß ihre fälschende Generalisierung widerlegt wird durch empirisch feststellbare politische Kräfteverhältnisse: in den Demokratisierungsbewegungen in Betrieben, Unternehmen, Kindergärten, Schulen, Gewerkschaften, Parteien, Redaktionen, Kirchen, Theatern spielen marxistisch-leninistische „Kader" keine oder eine verschwindend geringe Rolle; in kommunalen Bürgerinitiativen haben konservative, kirchliche, jungdemokratische und jungsozialistische Gruppen eine weit größere Bedeutung (nicht zuletzt, weil sie beharrlicher und auf breiterer Basis arbeiten) als die Ml-Gruppen; in den Hochschulen bilden marxistisch orientierte Gruppen zwar teilweise die Mehrheit, aber diese Gruppen sind zutiefst in Richtungskämpfe verstricht, weit von einem ML-Ein-heitsblock entfernt, teilweise destruktiv gegen jede Mitarbeit in der studentischen Mitbestimmung eingestellt, teilweise aber trotz revolutionärer Zielklischees durchaus pragmatisch (gewerkschaftlich") und reformpolitisch
Die Unterwanderungsideologie erweist sich also letztlich als Fälschung durch grundlose Verallgemeinerung von Extremphänomenen. Die Angst der Demokratisierungsgegner um ihre bislang niemals demokratisch kontrollierten Machtpositionen ist angesichts ihrer — vollkommen zutreffenden — Feststellung, daß Demokratisierung über die formale Demokratie des Parlamentarismus hinausgeht, verständlich. Um die eigene Herrschaft zu sichern, wird der Demokratisierung und ihren Vertretern unterstellt, sie 'erstrebten die Herr-Schaftsverhältnisse des „Ostens" Vergessen wird dabei nur zu gern, daß auch die Machteliten in Osteuropa seit 1953 in Berlin und Warschau, in Prag und Budapest und wieder in Warschau und Danzig, aber selbst in Belgrad und Zagreb mit elementaren Demokratisierungsbewegungen zu kämpfen haben, deren Gewalt vielfach die der westlichen bei weitem übertrifft. Und auch in Zukunft wird die bedeutsamste gesellschaftspolitische Front in Europa nicht mehr so sehr definiert durch die Alternative: Sozialkapitalismus oder Sowjetsozialismus, sondern durch die Alternative: Herrschaft formaldemokratisch legitimierter, zentralistischer Machteliten in Ost und West — oder reale (sozialistische) Demokratie, von der Basis her, verwirklicht in allen gesellschaftlichen Bereichen.
VII: Die Bedeutung praktischer Modelle
Die in den vorangegangenen Abschnitten versuchte Zusammenfassung meiner theoretischen Ergebnisse und Hypothesen kann nichts anderes leisten als eine Ermutigung und Erleichterung des Einstiegs in diese neue Dimension von PolitikVerständnis: die umfassende theoretische Integration zahlloser (bisher isolierter) Partizipationsansätze von der Basis her.
Wer dazu bereit ist, den Übergang von diesem Einstieg in die . Anstrengung des Begriffs'zu leisten, sollte tunlichst vorab mit dem unmittelbaren politischen Material: den Modellen und Kämpfen der Praxis, eingehend sich beschäftigen. Denn letztlich ist das theoretische Problem der Demokratisierung von dem Praxis-Interesse nicht zu lösen: Ob und wie gesamtgesellschaftliche Demokratisierung gerechtfertigt und machbar sei, wird ja nicht am grünen Tisch von Hennis oder Vilmar — als Deduktion aus Demokratieprinzipien — entschieden, sondern von jenen Tausenden von Lehrlingen, Arbeitern, Hausfrauen, Ärzten, Redakteuren, Mietern, Gewerkschaftsund Parteimitgliedern etc., die in ihrem Alltag das Demokratiedefizit: die inhumanen autoritären Herrschaftsstrukturen, als unerträglich erleben und im Namen von Demokratisierung dagegen systematisch und gemeinschaftlich sich zur Wehr setzen. Theoretische Arbeit kann dabei dann wichtige Hilfe leisten, um die Methoden und Potentiale, wie etwa die richtige Einordnung von Einzelaktivitäten in einem soziopolitischen Gesamtzusammenhang, zu klären.
Was aber die letztlich entscheidende eigene Praxis betrifft, so leistet die intensive Prüfung vorhandener praktizierter oder praktikabler Modelle und der Konfliktabläufe unersetzliche Dienste. Aus diesem Grund sind im II. Band der »Strategien" Dokumente von exemplarischer Bedeutung für die eigene Praxis aus einer schier unübersehbaren Fülle vorhandener Texte und Berichte ausgewählt worden: Von emanzipativen Elterngruppen und nichtautoritären Vorschulversuchen mit Arbeiter-kindern; Anleitungen zum Aufbau eines Kinderladens; eine demokratische Schulverfassung; kontroverse Stellungnahmen zum Buxtehuder Schulmodell; das Modell der Schüler-vertretung (SV) in Hessen; das Modell eines demokratischen Hochschulgesetzes; dessen verwirklichte Ansätze in Bremen; die Rückkehr zur Ordinarienuniversität in Baden-Württemberg; Redaktionsverfassung von „konkret"; der Kampf um die Mitbestimmung der Redakteure im „Spiegel"; Mitbestimmung im Frankfurter Schauspiel und der Kampf dagegen; Computerdemokratie: Elektronische Möglichkeiten direkter repräsentativer Partizipation von Bürgern an Entscheidungsprozessen; Berichte von Hausbesetzungen; Report von Bürgerinitiativen; das Gemeinschaftskrankenhaus von Herdecke; DGB-Programm zur Wirtschaftsdemokratie; das pro und contra zur Mitbestimmung am Arbeitsplatz; Erfahrungen mit teilautonomen Arbeitsgruppen; Streik gegen EWG-Konzern; genossenschaftliche Untemeh-mensmodelle; Basisinitiativen zur innerparteilichen und innergewerkschaftlichen Demokratisierung; Forderungen zur Demokratisierung der kirchlichen Hierarchien . . .
Was zunächst als abstrakt-allgemeines Theorem einer „Strategie der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung" noch akademisch und mehr spekulativ erscheinen mag, wird dem, der sich nicht nur in die Fülle der Erfahrungen von demokratischen Vorstößen, Aktionen, Modellen und Konflikten vertieft, sondern selbst praktisch an der einen oder anderen Initiative mitwirkt, in der Tat zum erlebbaren Beginn einer neuen politischen Kultur. Auch hier hätten gerade konventionelle, insonderheit „wissenschaftliche" Sozialisten, etwas zu lernen: im Gegensatz zu dem ebenso bequemen wie sterilen Dogma, daß wissenschaftlich nur sei, Bestehendes theoretisch-praktisch zu negieren, nicht aber, das Zukünftig-Bessere zu entwerfen, zeigt sich in unseren Übergangsgesellschaften mehr und mehr, daß ein einziges praktiziertes Modell humanerer Familien-, Lern-oder Produktionsprozesse mehr „sozialisierende" überzeugungsund Wirkungskraft hat als zahllose Kritiken und Parteiprogramme.
Fritz Vilmar, geb. 1929, Soziologiestudium, praktische Arbeit seit 1954 in der Erwachsenenbildung, seit 1960 besonders in der Bildungsabteilung der IG Metall. Seit 1970 Forschungsaufträge zu Problemen der Industriellen Demokratie; seit 1971 Lehrauftrag an der Gesamthochschule Kassel. Veröffentlichungen u. a.: Die Welt des Arbeiters, Frankfurt 1963 (mit H. Syma-nowski); Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, Frankfurt 1965, 6. neu bearbeitete Auflage Reinbek 1973; Mitbestimmung am Arbeitsplatz, Neuwied 1971; Sozialistische Friedenspolitik für Europa, Reinbek 1972 (mit W. Möller); als Herausgeber und Mitautor: Menschenwürde im Betrieb, Reinbek 1973; Strategien der Demokratisierung (2 Bde.), Darmstadt 1973; Industrielle Arbeitswelt — Grundriß einer kritischen Betriebssoziologie, Nürnberg 1974.
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