Ernst Martin ist (in B 50/73) mit meiner Darstellung des „Radikalen-Problems" hart ins Gericht gegangen. Er wird es mir daher nicht verdenken, wenn ich zur Verdeutlichung unserer sich widersprechender Positionen mit scharfer Klinge pariere. Über Martins Ablehnung des Extremistenbeschlusses als unvereinbar mit dem Parteien-privileg ist kein Wort zu verlieren. Er befindet sich damit in durchaus honoriger Gesellschaft von exzellenten Juristen und demokratischen Politikern. Entschiedene Zurückweisung verdient aber sein Versuch, die materielle Verfassungswidrigkeit der alten und der neuen kommunistischen Partei zu leugnen. Martin hält mein verfassungsrechtliches Verdikt der Diktatur des Proletariats für eine beabsichtigte begriffliche Verkürzung und verweist auf die Genese dieses Begriffs bei Marx und Engels. Hiernach sei die Diktatur der bourgeoisen Minderheit durch die Diktatur der proletarischen Mehrheit zu ersetzen und dadurch „wahre Demokratie" herbeizuführen. Abgesehen davon, daß dem Grundgesetz auch eine Diktatur im Namen der — womöglich nur angemaßten — Mehrheit widerspricht, fällt auf, daß Martin nicht auch Lenins Beitrag zu dieser Frage erwähnt. Bei Lenin kann nun weiß Gott nicht mehr von bloß „rudimentären" Vorstellungen gesprochen werden. In seiner Schrift „Staat und Revolution“ finden sich folgende Sätze: „Die Lehre vom Klassenkampf ... führt notwendig zur Anerkennung der politischen Herrschaft des Proletariats, seiner Diktatur, d. h. einer ungeteilten und sich unmittelbar auf die bewaffnete Gewalt der Massen stützenden Macht." „Ein Marxist ist nur, wer die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der Diktatur des Proletariats erstreckt." „Die Diktatur des Proletariats bringt eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten ..." „Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner..."
Die Staatspraxis aller Länder des sozialistischen Blocks entspricht bis auf den heutigen Tag dieser Lehre. Was hat das mit der DKP zu tun? „Die Tätigkeit der DKP gründet sich auf die Lehre von Marx, Engels und Lenin", heißt es in ihrer Grundsatzerklärung vom 12. /13. April 1969. Auf dem Hamburger Parteitag vom 2. November 1973 hob der Parteivorsitzende Mies in seiner programmatischen Rede die „untrennbare Verbundenheit mit der Partei Lenins — der KPdSU —, mit der SED, mit allen Bruderparteien" besonders hervor. In These 18 ihrer auf dem Düsseldorfer Parteitag beschlossenen Thesen wird die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR ausdrücklich als beispielhaft für die Bundesrepublik hingestellt.
Demgegenüber verweisen skrupelhafte Gemüter zuweilen auf die Behauptung der DKP in These 9, sie erstrebe eine Umgestaltung „auf der Basis der im Grundgesetz verkündeten demokratischen Prinzipien und Rechte". Zugegeben, die DKP verhält sich geschickter als ihre eineiige Zwillingsschwester, die frühere KPD. Keinem DKP-Funktionär würde es etw einfallen, in der gleichen Offenheit die Zersetzung der Bundeswehr zu propagieren, wie es der KPD-Abgeordnete Schneller vor dem Reichstag in bezug auf die Reichswehr tat: „Wir aber werden mit dafür sorgen, daß der Geist der deutschen Armee noch mehr zerwühlt, noch mehr zerrissen wird, damit sie unfähig wird, die Aufgaben gegen das Proletariat, gegen die Sowjetunion zu erfüllen ... Wir betrachten es als unsere vornehmste Pflicht, in dieser Armee zersetzend zu wirken, in dieser Armee die Erscheinungen der Erschütterung zu verstärken ..
Ebenso würde die DKP heute Ausführungen wie die des Hamburger KPD-Bürgerschaftsab-geordneten Dettmann aus taktischen Gründen vermeiden: „Die dritte Voraussetzung, die wir zur Erringung der Macht erstreben, ist, daß wir suchen, in den Staat, in die Beamten bei der Polizei, bei der Reichswehr hineinzukommen. Diese unsere Zersetzungsarbeit liegt, das wissen wir, nicht im Interesse des gegenwärtigen Staates, sondern im Interesse der proletarischen Revolution.“
Läßt sich aus der Vermeidung solch klarer Zielansprache auf einen Sinneswandel, auf eine inhaltliche Distanzierung von den revolutionären Thesen ihrer früheren Mandatsträger schließen? Die DKP gibt in ihrer Grundsatzerklärung selbst die Antwort: „Für die Deutsche Kommunistische Partei ist das Bekenntnis zu den revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung Verpflichtung zum Handeln." Ist nicht aber das Eintreten der DKP für unzweideutige gesellschaftliche Reformen, wie z. B. Mitbestimmung in den Betrieben und Demokratisierung des Hochschulwesens, Beweis für ihr geläutertes Demokratie-und Verfassungsverständnis? These 18 des Düsseldorfer Parteitages belehrt uns eines schlechteren: Danach ist der Kampf um Reformen „notwendig zur Heranführung der Arbeiterklasse an revolutionäre Positionen".
Für die Diskussion um die Aufnahme von Kommunisten in den öffentlichen Dienst kann es daraus nur eine Schlußfolgerung geben. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister von München, Kronawitter, hat sie bei der Ablehnung der Einstellung eines kommunistischen Sozialarbeiters wie folgt gezogen: Er messe die DKP nicht nur an ihren Worten, sondern auch an der Handlungsweise, die sie dort zeige, wo sie ihre Lehre seit Jahrzehnten praktizieren könne. Er gehöre nicht zu jenen Biedermännern, die aus bequemem Opportunismus Brandstifter ins eigene Haus ließen und Revolutionären auch noch Pensionsansprüche verschafften. Das freiheitlich-demokratische System verpflichte weder zur Naivität noch zur Zipfelmützendemokratie
Martin beruft sich demgegenüber auf die notwendige Offenheit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch für prinzipiell andere, dem „jetzigen System" zuwiderlaufende Ordnungsvorstellungen
Die Offenheit des Grundgesetzes ist keineswegs total. Es bietet nicht uneingeschränkt „einander widersprechenden Ideologien das gemeinsame Dach"
Natürlich setzt der Entzug politischer Wirkungsmöglichkeit in einer freiheitlichen Demokratie ein Verfahren mit allen rechtsstaatlichen Garantien voraus. Der liberale Rechtsstaat kann seine Verächter auch gewähren lassen; aber es hieße seine Toleranz zu überfordern, wenn man von ihm verlangte, jene auch noch in seinen Verwaltungsapparat zu inkorporieren. Er kann auch — und muß es in gewissen Grenzen — die Verbreitung marxistischen oder sonstigen totalitären Gedanken-gutes zulassen. Die Frage ist aber, ob er dazu auch seine eigenen Medien zur Verfügung stellen muß. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung muß sich die Frage gefallen lassen, ob der Beitrag von Martin wirklich geeignet ist, „das demokratische Bewußtsein zu festigen"
Auf S. 24 referiert er zunächst die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, die freiheitliche Demokratie lehne die Auffassung ab, die geschichtliche Entwicklung sei durch ein wissenschaftlich erkanntes Endziel determiniert. Um dieser Aussage vorwerfen zu können, sie entbehre „jeder logischen Begründung", wandelt er sie zwei Sätze später in die angebliche Behauptung des Bundesverfassungsgerichts ab, es widerspreche dem Wertgehalt des Grundgesetzes, nach einer wissenschaftlichen Theorie zu handeln. Noch grotesker ist der von ihm suggerierte Eindruck, das BVerfG habe die KPD deshalb verboten, weil es ihr „erklärtes Ziel“ gewesen sei, „dem Interesse einer Klasse, nämlich der Arbeiterklasse, zu dienen"
Weite Passagen der Arbeit von Martin beruhen auf der mehrfach wiederholten Unterstellung, ich ginge von einer zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungsmäßigkeit liegenden Mischzone der Verfassungsfeindlichkeit aus
Ein weiterer Vorwurf von Martin geht dahin, ich hätte das Parteienprivileg zu einem bloßen Organisationsprivileg abgewertet
Idi habe ferner nie behauptet — wie Martin mir unterstellt
Auf Martins Neigung, s
Auf Martins Neigung, seine Gegner als faschistoid herabzuwürdigen, ist schon hingewiesen worden. Er verdächtigt schließlich die Befürworter des Ministerpräsidentenbeschlusses pauschal der Billigung von Folterungen und Massenerschießungen durch die chilenische Junta 18). Wer hätte dies von Bundesminister Genscher, von Altbürgermeister Prof. Weichmann, vom früheren DGB-Vorsitzenden Ludwig Rosenberg, vom langjährigen ASJ-Vorsitzenden Prof. Otto Kunze, von den früheren Bundesverfassungsrichtern Friesen-hahn und Leibholz, von Theodor Eschenburg und Richard Löwenthal gedacht!