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Der amerikanische Einfluß auf die Weimarer Republik in der Dawesplanphase. Elemente eines „penetrierten Systems" | APuZ 45/1973 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 45/1973 Der amerikanische Einfluß auf die Weimarer Republik in der Dawesplanphase. Elemente eines „penetrierten Systems" Die Vermittlerrolle Großbritanniens während der Reparationskonferenz von Lausanne 1932

Der amerikanische Einfluß auf die Weimarer Republik in der Dawesplanphase. Elemente eines „penetrierten Systems"

Werner Link

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Forschungen über die Weimarer Republik mangelt es nicht an empirischen Daten. Vielmehr stehen erfreulicherweise umfangreiche Quellenmaterialien aus allen Bereichen des politischen und wirtschaftlichen Lebens zur Verfügung, die kaum noch zu überblicken sind und folglich zu Spezialstudien anregen, deren Ansatz jedoch oftmals theoretisch wenig reflektiert ist. Nicht die Erschließung neuer Quellen dürfte daher zur Zeit vordringlich sein, sondern die Suche nach analytischen Erklärungsansätzen, mit deren Hilfe die Datenmassen strukturiert werden können, um so eine weiterführende Interpretation und eine systematische Einsicht in die Entwicklung der Weimarer Republik zu gewinnen, was im vorliegenden Aufsatz für den Dawesplan unternommen worden ist. Die Beziehungen zwischen einem politischen und gesellschaftlichen System und seiner Umwelt bilden ein außerordentlich komplexes Geflecht, das analytisch nur schwer zu erfassen ist. Zum einen wirkt das nationale System selbst aktiv auf die internationale Umwelt ein, um sie den eigenen Interessen gemäß zu gestalten. Zum andern setzt die internationale Umwelt nicht nur die Rahmenbedingungen für die Außenaktivitäten des nationalen Systems, sondern sie wirkt durch unterschiedliche Akteure direkt oder indirekt auf das nationale politisch-gesellschaftliche System ein — unter Umständen bis hin zu einer mehr oder weniger starken Durchdringung. Mit der Annahme des Dawesplanes durch die deutsche Regierung wurde die Politik und die interne Struktur der Weimarer Republik im Jahre 1924 sowie in der folgenden Phase der relativen Stabilität von den direkten und indirekten Einwirkungen der USA geprägt — vermittelt durch ökonomische und personelle Präsenz sowie politische Teilhabe der Amerikaner, die deutscherseits mehrheitlich akzeptiert wurde. Die Vereinigten Staaten wurden so der wahrscheinlich gewichtigste externe Bestimmungsfaktor für die Entwicklung der Weimarer Republik in dieser Phase. Aus dem Zusammentreffen und der Kombination von 1.deutschem Kapitalmangel, 2. amerikanischen Kapitalinvestitionen, 3. direkter und autoritativer amerikanischer Beteiligung am internen politischen Prozeß der Weimarer Republik und 4.der deutschen Zustimmung entstand in der Dawesplanphase ein spezifisches Einflußmuster, das dem Idealtyp eines penetrierten Systems entspricht.

Vorbemerkung

Hans Günther Bickert Die Vermittlerrolle Großbritanniens während der Reparationskonferenz von Lausanne 1932 S. 13

Forschungen über die Weimarer Republik mangelt es nicht an empirischen Daten. Vielmehr stehen erfreulicherweise umfangreiche Quellenmaterialien aus allen Bereichen des politischen und wirtschaftlichen Lebens zur Verfügung, die kaum noch zu überblicken sind und folglich zu Spezialstudien anregen, deren Ansatz jedoch oftmals theoretisch wenig reflektiert ist. Nicht die Erschließung neuer Quellen dürfte daher zur Zeit vordringlich sein, sondern die Suche nach analytischen Erklärungsansätzen, mit deren Hilfe die Datenmassen strukturiert werden können, um so eine weiterführende Interpretation und eine systematische Einsicht in die Entwicklung der Weimarer Republik zu gewinnen.

Dementsprechend werden in diesem Beitrag zunächst analytische Erörterungen angestellt und Elemente eines Interpretationsmodells skizziert, deren heuristischer Wert sich alsdann in der empirischen Untersuchung zu erweisen hat. Dabei werden die historischen

Daten allerdings nur andeutungsweise ausgebreitet werden können. Genauere Belege können meiner Studie zu diesem Themenbereich entnommen werden

I. Analytische Darlegungen zum Interpretationsrahmen

Die Beziehungen zwischen einem politischen und gesellschaftlichen System und seiner Umwelt (bzw.deren Subeinheiten) bilden ein außerordentlich komplexes Geflecht, das analytisch nur schwer zu erfassen ist. Vereinfacht ausgedrückt, es handelt sich um zwei ineinandergreifende Interaktionsreihen. Zum einen wirkt das nationale System (bzw.seine politischen und gesellschaftlichen Akteure) selbst aktiv auf die internationale Umwelt ein, um sie den eigenen Interessen gemäß zu gestalten, die als positiv erachteten Bedingungen zu erhalten und die als ungünstig angesehenen Bedingungen zu verändern. Zum andern setzt die internationale Umwelt nicht nur die Rahmenbedingungen für die Außenaktivitäten des nationalen Systems, sondern wirkt durch unterschiedliche Akteure direkt oder indirekt auf das nationale politisch-gesellschaftliche System ein — unter Umständen bis hin zu einer mehr oder weniger starken Durchdringung. Das heißt, das nationale politische und sozioökonomische System unterliegt mannigfachen Außeneinflüssen, die seine interne Politik und Entwicklung mitgestalten und auf die es reaktiv (auch im Sinne einer antizipierenden Reaktion) antwortet

Unterscheidet man nach dem Wirkungsgrad des Außeneinflusses idealtypisch zwischen völliger Autonomie und vollständiger externer Abhängigkeit eines nationalen Systems, so läßt sich zwischen beiden Extremen dieser Skala der Typus eines penetrierten Systems ansiedeln, der von James N. Rosenau als ein System definiert ist, „in dem Nichtmitglieder einer nationalen Gesellschaft direkt und autoritativ, durch gemeinsam mit Mitgliedern dieser Gesellschaft vorgenommene Aktionen, entweder in der Allokation ihrer Werte oder in der Mobilisation von Unterstützung zugunsten ihrer Ziele partizipieren" Solche penetrierte Systeme sind nicht statisch, sondern dynamisch. Sie entstehen, ändern sich und zerfallen im Wandel äußerer und innerer Bedingungen. Ein wesentliches Kriterium ist „a shortage of capabilities" in der betreffenden Gesellschaft, der die Nicht-Mitglieder zur Teilnahme an der nationalen Politik veranlaßt, um diesen „Mangel" zu beheben (und/oder von ihm zu profitieren). Desgleichen vermag die Wahrnehmung der Bedarfs-und Fähigkeitslücke die Bürger dieses Landes dazu zu bewegen, die Partizipation von Ausländern bzw.den Außeneinfluß zu billigen. Ein penetriertes System wird daher in der Regel nur solange existieren, wie der betreffende „Mangel" besteht und zu seiner Behebung die externe Penetration in Form der Teilhabe von Ausländern am internen Entscheidungsprozeß als legitim akzeptiert wird. Der Konsens der politisch relevanten gesellschaftlichen Gruppen ist also ein weiteres wesentliches Kriterium.

Die Bedeutsamkeit der Außenbedingungen und des Außeneinflusses — mit der Tendenz zur Entstehung eines penetrierten Systems — dürfte besonders groß bei besiegten (aber nicht annektierten oder direkt beherrschten)

Staaten und/oder bei instabilen Gesellschaften sein, zumal wenn sie vital auf Außenhilfe angewiesen sind. Ist diese Annahme richtig, so kann die Weimarer Republik nur dann zutreffend analysiert werden, wenn die Außen-einwirkungen (insbesondere diejenigen, die von dem stärksten externen Akteur ausgingen) hinreichend berücksichtigt werden. Da die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Ersten Weltkrieg international zur „dominierenden Wirtschaft" geworden waren und Wirtschaft und Politik eine unzertrennbare Einheit bildeten, konzentrieren sich die folgenden Erörterungen auf die Vermittlung des amerikanischen Einflusses und auf die Frage, inwieweit die internen Bedingungen und amerikanischen Einwirkungen dem oben skizzierten Typ entsprechend vorübergehend ein penetriertes System entstehen ließen.

Dabei ist die Exemplifizierung anhand der Reparationsregelungen empfehlenswert, weil während der Gesamtperiode der Weimarer Republik (neben den rüstungspolitischen Bestimmungen des Versailler Vertrages) primär die Fragen der Reparationen das politische Feld (issue area) bildeten, auf dem einerseits externe Akteure versuchten, Außeneinfluß wirksam werden zu lassen, und andererseits die deutschen Akteure bestrebt waren, diesen Einfluß in ihrem Sinne zu kanalisieren, einzudämmen oder auszuschalten.

II. Unterschiedliche Einflußvorstellungen der Siegermächte

Daß die divergierenden Interessen der alliierten und assoziierten Staaten nach dem Sieg über die Mittelmächte in voller Schärfe zutage traten und die Etablierung einer stabilen Friedensordnung verhinderten, ist durch zahlreiche Untersuchungen — in jüngster Zeit von Amo J. Mayer, Carl Parrini, Gordon Levin und Klaus Schwabe — detailliert beschrieben worden.

Die Phase zwischen den Friedensverhandlungen und der Begründung des „economic peace" im Jahre 1924 ist dadurch charakterisiert, daß die unterschiedlichen Einflußkonzepte miteinander konkurrierten, bis sich die amerikanische Konzeption durchsetzte. Ein gewisser Konsens bestand bei den Siegerstaaten lediglich insofern, als sie eine Politik tunlichst vermeiden wollten, die in Deutschland intern die sozialistisch-kommunistische Revolution und extern das Bündnis mit Sowjetrußland fördern würde. Dissens herrschte nicht nur hinsichtlich der praktischen Konsequenzen dieser Vermeidungsstrategie, sondern erst recht hinsichtlich der umfassenderen Zielsetzungen. Die USA und Großbritannien wollten ein liberaldemokratisches, kapitalistisches Deutschland in die westliche Staatengemein-B schäft und das Weltwirtschaftssystem nach und nach reintegrieren und sahen einen zu harten Straffrieden als konterproduktiv an, weil er ein internationales Störelement schaffen und in Deutschland entweder eine sozialistische oder eine nationalistisch-revanchistische Entwicklung begünstigen würde. Konsequenterweise intervenierten die USA, offiziell und inoffiziell, während der Friedensverhandlungen und in den Jahren danach, wiederholt zugunsten einer sozial-liberalen Regierung in Deutschland und rieten Frankreich dringend von militärischen Sanktionen ab. Hingegen glaubte Frankreich, durch die Allianz mit den ost-und mitteleuropäischen Randstaaten die sozialistische Welle eindämmen und durch die Einsetzung politischer, ökonomischer und militärischer Mittel Deutschland dauerhaft kontrollieren und dominieren zu können; die Reparationen wurden — neben ihrem originären ökonomischen Zweck — als Instrument in diesem Macht-und Herrschaftskonzept begriffen.

Zusätzlich zu diesem französisch-angelsächsischen Zielkonflikt gab es indes auch einen britisch-amerikanischen Konflikt, der — soweit es um die Bezahlung der Kriegsschulden gegenüber den USA ging — Elemente enthielt, die eine Gemeinsamkeit zwischen den britischen und französischen Interessen begründete. Denn die Sicherung der deutschen Reparationen sollte nicht nur die internen wirtschaftlichen Probleme Frankreichs und Englands lösen helfen, sondern die Reparationen sollten auch zur Bezahlung der amerikanischen Schulden nutzbar gemacht werden. Letztlich lief das britische Konzept darauf hinaus, die USA zum reparationspolitischen Garanten und Kreditgeber zu machen und die amerikanischen Ressourcen unter britischer Führung für Europa einzusetzen. Abgesehen von der Morgan-Gruppe (die eine amerikanisch-britische Kooperation befürwortete, um das britische weltweite Kredit-und Banken-system zu „amerikanisieren"), herrschte indes in den USA das Konzept einer unabhängigen Politik vor — mit der Absicht, Großbritannien als führende Finanzmacht abzulösen und ein eigenständiges System aufzubauen.

Die Zielsetzung, Deutschland in die neue, von den USA geführte internationale Ordnung einzufügen, implizierte die Ablehnung auch der ökonomischen Kontrolle Deutschlands durch die Alliierten und die Durchsetzung einer Stabilisierungspolitik, die Deutschland für amerikanische Kapitalinvestitionen offen hielt und sicher machte. Dazu war eine an ökonomischen Prinzipien orientierte Reparationsregelung notwendig. Wilson warnte in Versailles die Alliierten davor, Deutschland erst kreditunwürdig zu machen und dann auf amerikanische Kredite zu hoffen; und in gleichem Sinne äußerten sich später wiederholt die Mitglieder der Harding-Coolidge-Administration, ganz zu schweigen von den realistisch kalkulierenden amerikanischen Geschäftsleuten. Indem die Amerikaner die dringend benötigten Kredite verweigerten, solange keine ökonomisch vertretbare, die deutsche Wirtschaft stabilisierende Lösung der Reparationsfrage gefunden und die einseitige militärische oder ökonomische Beherrschung Deutschlands durch die Alliierten nicht ausgeschlossen war, konnten die USA erreichen, daß die konkurrierenden französischen und britischen Einflußkonzepte in der schmerzlichen „Experimentierphase" der Jahre 1919— 23 scheiterten und schließlich mittels der Reparationsregelung von 1924 das realisiert wurde, was amerikanischerseits bereits 1919 und in den folgenden Jahren angestrebt worden war:

Ein am Gold-Dollar-Standard orientiertes Weltwährungssystem (das gegen die britischen Ambitionen im Sommer 1924 erzwungen wurde) und ein bürgerlich-demokratisches Deutschland, das in das (nunmehr unter amerikanischer Führung stehende) Welthandels-und Wirtschaftssystem reintegriert wurde und gleichzeitig als Hebel für die Durchsetzung der amerikanischen Interessen erfolgreich benutzt werden konnte (vgl.den deutsch-amerikanischen Handelsvertrag und die deutsch-amerikanische Abstimmung in der Abrüstungsdiskussion).

III. Modalitäten der amerikanischen Einflußnahme in der Dawesplanphase

1. Der Kapitalmangel Deutschlands als materielle Voraussetzung der amerikanischen ökonomischen Penetration

Grundvoraussetzung für die Ausübung des amerikanischen Einflusses auf die Entwicklung der Weimarer Republik (und — wie wir noch sehen werden — für die interne Zustimmung) war der große Kapitalmangel in Deutschland, der im erforderlichen Umfange nur durch amerikanische Anleihen oder durch internationale Anleihen unter maßgeblicher amerikanischer Beteiligung behoben werden konnte. Diese Abhängigkeit war von den politischen und ökonomischen Eliten Deutschlands von Anfang an und durchgängig in den Jahren 1919— 24 vorausgesetzt worden. Im Frühjahr 1924 stand und fiel die eingeleitete Währungsstabilisierung mit den Chancen einer mit dem Dawesplan verbundenen Anleihe von 800 Millionen Mark, die die akute Kredit-not beheben sollte, indem sie die Reichsbank in die Lage versetzte, zwischen 1, 6 und 2, 4 Milliarden Mark zu emittieren. Weitere private Kredite, die nach der internationalen Anleihe in Aussicht standen, waren für die deutsche Industrie und Landwirtschaft geradezu lebenswichtig. Wie groß der Bedarf war, zeigte sich u. a. daran, daß allein in den Monaten Juni und Juli 1924 insgesamt 853 Deutsche in den USA eintrafen, um — nach eigenen Angaben — Kredite zu beschaffen; gleichzeitig häuften sich Anfragen über amerikanische Kreditmöglichkeiten beim Generalkonsulat in New York.

a) Tatsächlich nahm der amerikanische Anleihestrom nach Deutschland in der Dawesplanphase ein immenses Ausmaß an. Nach der Ouvertüre der Dawesanleihe (mit einer amerikanischen Tranche von 110 Millionen Dollar)

erhielten die großen deutschen Industrieunternehmen und Städte in den Jahren 1924— 30 insgesamt 135 langfristige, öffentlich aufgelegte Anleihen in einer Gesamthöhe von 1 430 525 000 Dollar von den USA, die damit zu zwei Drittel an dem langfristigen Anleihe-volumen Deutschlands beteiligt waren. Hinzu kamen die kurzfristigen amerikanischen Anleihen, die — soweit statistisch erfaßbar — im gleichen Zeitraum jährlich durchschnittlich 22 950 000 Dollar ausmachten.

b) Die amerikanischen Direktinvestitionen waren nicht minder bedeutend. Bis 1930 hatten 79 amerikanische Unternehmen in Deutschland Zweigwerke errichtet, deren Kapitalwert sich auf 138 927 000 Dollar belief. An der Spitze stand die Autoindustrie: Alle großen amerikanischen Automobilfirmen bauten in Deutschland nach und nach eigene Produktionsstätten; General Motors kaufte 1929 für 155 000 000 Mark die Adam Opel A. G. auf; insgesamt investierten die neun größten US-Firmen der Branche 211 500 000 Mark in Deutschland. Hinzu kamen mannigfache Kapitalbeteiligungen und -Verflechtungen: im Banksektor bei der Deutschen Bank, im Schiffahrtssektor zwischen Hapag und dem Hariman-Konzern sowie zwischen dem Norddeutschen Lloyd und den United States Lines, im Industriesektor zwischen IG Farben und DuPont, IG Farben und Standard Oil Co., Schering A. G. und DuPont, AEG und General Electric, Siemens und Westinghouse sowie General Electric — um hier nur die wichtigsten Fälle zu nennen.

2. Die personelle Vermittlung und autoritative Mitwirkung

Die ökonomische Präsenz in Deutschland implizierte, daß die nichtstaatlichen Akteure, d. h. die Vertreter der ökonomischen Elite der USA, Träger und Vermittler des amerikanischen Einflusses in Deutschland werden konnten. Ihre Kontakte sowohl zu ihren deutschen Geschäftspartnern als auch zu den deutschen Regierungsvertretern konstituierten Kanäle für die Ausübung informellen Einflusses, die — wie weiter unten exemplifiziert wird — an den Knotenpunkten der Entwicklung entschieden und entscheidend -genutzt wurden. Diese Möglichkeiten wurden dadurch gefördert, daß prominente Mitglieder der amerikanischen Administration selbst aus der Geschäftswelt kamen (und später wieder dorthin zurückkehrten) und mithin ein enges personelles Austauschverhältnis bestand. Geschäftsleute wie O. D. Young (General Electric), Thomas Lamont (J. P. Morgan & Co.), J. P. Morgan, Charles G. Dawes (Central Trust Co.), S. Parker Gilbert (Cravath, Henderson & de Gersdorff), Benjamin Strong, Gates W. Mc Garrah, Pierre Jay (Federal Reserve Bank of New York), Ferdinand Eberstadt (Dillon, Read & Co.) u. a. wirkten in und am Rand von reparationspolitischen Gremien formaliter unabhängig, realiter aber in enger Rückkopplung mit ihrer Regierung. Als Vertrau-B ensleute sowohl der Industrie-und Bankenwelt als auch der Administration nahmen sie eine Zwischenstellung ein, die es ihnen erlaubte, flexibel zu agieren und im Zusammenspiel mit den Diplomaten, die ebenfalls oftmals aus der Geschäftswelt kamen, den amerikanischen Einfluß maximal zur Wirkung zu bringen.

Die Wirtschafts-, und Finanzmacht, die sie repräsentierten, begründete die Institutionalisierung ihrer autoritativen Mitwirkung im internen Entscheidungssystem der Weimarer Republik, wie sie mit Hilfe der durch den Dawesplan geschaffenen Gremien vorgenommen wurde. Personell waren die USA im General-rat der Reichsbank (Mc Garrah) und im Büro für Reparationszahlungen gemeinsam mit allen wichtigen Siegerstaaten vertreten. Von höchster Bedeutung war jedoch, daß der Generalagent für die Reparationszahlungen und dessen Stellvertreter Amerikaner waren und daß Amerika im Transferkomitee zwei Stimmen hatte und mit dem Generalagenten den Vorsitzenden stellte. Denn die Befugnisse des Generalagenten, des „Königs" des Dawesplans (Benjamin Strong), und seines Komitees waren erheblich. Ein reichhaltiges Instrumentarium, eine Kombination von generalklauselhaften Bestimmungen und Ermessensrechten stand zur Verfügung, um gegebenenfalls nachhaltig in den deutschen Wirtschaftsprozeß eingreifen zu können; das Komitee hatte „power of life and death over Germany" (J. P. Morgan & Co.). Darüber hinaus wurde die Reparationskommission (Repko) kompetenzmäßig eingeschränkt und durch einen amerikanischen Staatsbürger ergänzt, dem bei der Entscheidung über eventuelle Nichterfüllung der deutschen Verpflichtungen ein Vetorecht eingeräumt wurde; auch dem dreiköpfigen Schiedsgericht präsidierte ein Amerikaner. Die USA waren damit zum Schiedsrichter in der Reparationsfrage geworden, hatten die Reparationen ihres Charakters als Herschaftsinstrument Frankreichs entkleidet und sich gleichzeitig institutionell-personell (ohne jedoch als Staat völkerrechtliche Bindungen einzugehen) interne Mitentscheidungs-und Einwirkungsmöglichkeiten in Deutschland gesichert. Formal waren die Amerikaner gemeinsam mit den alliierten Vertretern am Entscheidungsprozeß beteiligt. Material (d. h. aufgrund der immensen Kapitalinvestitionen) hatten sie gegenüber ihren alliierten Kollegen ein Übergewicht bei der „direkten und autoritativen" Teilhabe an der deutschen Politik. Das „penetrierte System" der Weimarer Republik der Dawesplanphase war also wesentlich durch den amerikanischen Einfluß geprägt.

3. Beispiele der Einflußnahmen und praktischen Wirkungen

Wie wurden die Einflußmöglichkeiten in der praktischen Politik realisiert und welche tatsächlichen Wirkungen lassen sich feststellen? Bevor das historische Material daraufhin befragt wird, sind noch kurze theoretische Vorüberlegungen notwendig:

Einfluß und Macht sind Begriffe, die sich auf ein relationales Verhältnis beziehen (A — B). In einem strengen Sinne läßt sich Einfluß nur nachweisen, wenn sich zeigen läßt, daß B durch wie auch immer geartete Einwirkung von A veranlaßt wird, etwas zu tun (bzw. nicht zu tun), was er sonst, d. h. ohne eine solche Einwirkung, nicht getan (bzw. getan) hätte. (Analoges gilt für die umgekehrte Beziehung!) Darüber hinaus ist jedoch zu beachten, daß in einem Interaktionsverhältnis aufgrund der bestehenden Einfluß-und Machtstruktur auch ohne eine ausdrückliche Einwirkung ein bestimmender Einfluß ausgeübt werden kann, indem nämlich nach dem Gesetz der antizipierenden Reaktion (C. J. Friedrich) die vermutliche Einwirkung in Rechnung gestellt wird. In diesem Zusammenhang ist der Sachverhalt zu sehen, daß bestimmte Fragestellungen und Entscheidungspunkte aufgrund der Machtstruktur überhaupt nicht ins Auge gefaßt werden. Neben dem Bereich tatsächlich getroffener Entscheidungen besteht also ein komplexer Bereich des „non-decision-making", in dem die Wirkungen eines Einflusses empirisch schwer nachweisbar sind.

Diese unterschiedlichen Einflußweisen sind zu beachten bei der Analyse des tatsächlichen Einflusses der USA auf die Weimarer Republik in der Dawesplanphase. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei betont, daß es selbstverständlich in der vorausgehenden Phase ebenfalls direkte und indirekte Einwirkungen gab, die nachweisbar die deutsche Politik bestimmten. So war z. B. — um hier nur die beiden bedeutendsten Fälle zu nennen — die deutsche Taktik bei der Diskussion über die Festsetzung der Reparationssumme im Frühjahr 1921 maßgeblich im Blick auf die vermutliche amerikanische Reaktion konzipiert und Simons'Hilferuf an Harding nicht zuletzt auf Anraten einer Delegation amerika-7 nischer Geschäftsleute formuliert worden; in ähnlicher Weise hatten prominente amerikanische „business men" im Frühjahr 1923 maßgeblich Cunos Politik bestimmt, Mr. Kent (Bankers Trust) war sogar an der Abfassung der deutschen Note vom 2. Mai direkt beteiligt. Im Unterschied zu diesen unkoordinierten und nichtautoritativen Einflußnahmen amerikanischer Privatleute wurde indes mit der Einsetzung des Daweskomitees das oben skizzierte Zusammenspiel zwischen amerikanischen Geschäftsleuten und US-Regierung eingeleitet und partiell institutionalisiert, wodurch — insbesondere in Verbindung mit den hohen Investitionen in Deutschland — eine neue Einflußqualität entstand.

Im Entscheidungsjahr 1924 begannen die koordinierten privat-offiziellen Einwirkungen auf die deutsche Politik bereits unmittelbar nach der Aufnahme der Arbeit des Daweskomitees. Amerikanische Regierungsund Wirtschaftskreise waren nämlich erheblich beunruhigt von der Perspektive, daß durch eine von Frankreich erzwungene Wirtschaftsverflechtung zwischen deutscher und französischer Industrie eine unerwünschte, die amerikanischen Chancen beeinträchtigende Machtkonzentration in Westeuropa entstehen könnte. Owen D. Young, der — wie seine amerikanischen Kollegen — als unabhängiger Experte, aber zugleich mit „besonderen Anweisungen Coolidges" versehen, nach Paris gekommen war, ließ daher sorfort die deutsche Regierung und Wirtschaftsführung durch einen Mittelsmann (den Osram-Leiter Meinhardt) vertraulich wissen, daß die USA entschlossen seien, notfalls gegen Frankreich und gemeinsam mit England eine Lösung durchzusetzen, die Deutschlands Interessen wahrte. Aufgrund dieser Botschaft und der von Schacht vermittelten britischen Hilfszusage war Stresemann am 16. 1. 1924 in der Lage, die Pläne Adenauers und Stinnes’, die im Rahmen eines deutsch-französischen Arrangements die Errichtung einer Rheinischen Republik impliziert hätten, zu konterkarrieren. Allerdings lag auch die eingeleitete enge Anlehnung Deutschlands an die Bank von England nicht im amerikanischen Interesse und wurde durch direkte amerikanische Einwirkung auf die deutsche Regierung vereitelt: Die amerikanischen Mitglieder des Daweskomitees machten — unterstützt von den Bankiers Paul Warburg, Benjamin Strong und dem Federal Reserve Board sowie von dem „unofficial observer" Logan — die von Schacht betriebene Bindung der deutschen Währung an das Sterling-System rückgängig und verankerten durch die Einführung des Gold-Devisen-Standards von Deutschland aus die Stellung der USA als führende Finanzmacht.

Parallel dazu verlief auf verschiedenen Ebenen die konzertierte Aktion von amerikanischen Geschäftsleuten und Regierungsvertretern, durch die Deutschland veranlaßt wurde, den Dawesplan anzunehmen: — das Erste Komitee konferierte in Berlin direkt mit Marx, Schacht, Luther, Siemens, v. Mendelssohn, Baron v. Wangenheim und Grassmann; O. D. Young selbst konferierte inoffiziell mit Deutsch, Stinnes, Stresemann und Siemens; « — am 11. März fand in Amsterdam ein Geheimgespräch zwischen amerikanischen Komiteemitarbeitern und dem Führer der nationalen Opposition, Helfferich, statt, um die DNVP für eine positive Haltung zu gewinnen; — da Helfferich offenbar nicht überzeugt werden konnte, lud Young Ende März das Geschäftsführende Präsidialmitglied des BDI, Bücher, nach Paris zu einem vertraulichen Gespräch ein und erreichte, daß Bücher anschließend in Berlin auf einer von 1200 Industriellen besuchten Mitgliederversammlung zugunsten des zu erwartenden Ergebnisses der Komiteearbeit sprach und eine positive einstimmige Resolution verabschiedet wurde; — die April-Note der deutschen Regierung, mit der Deutschland die von der Repko erbetene Mitwirkung bei der Durchführung des Dawesgutachtens in Aussicht stellte, war in ihren entscheidenden Passagen von US-Botschafter Houghton am 12. April inspiriert worden; — im Laufe der Monate Mai und Juni übten Secretary of State Hughes über die Deutsche Botschaft in Washington und Houghton in Berlin bei zahlreichen Gesprächen mit Stresemann, v. Maltzan und Parteiführern (einschließlich des DNVP-Außenpolitikers Hoetzsch) kontinuierlich Druck aus mit dem Argument, die Gewährung amerikanischer Kredite hänge absolut von der Annahme des Dawesplans ab; — am 3. /4. August verstärkte Hughes bei seinem Berlin-Besuch persönlich dieses Argument (insbesondere auch gegenüber Hoetzsch und v. Seeckt) und gewann den Eindruck, daß die deutsche Seite kooperationswillig sei; — bei der Londoner Konferenz zwang Botschafter Kellogg die deutsche Delegation, den amerikanischen Kompromißvorschlag anzunehmen; — nach Konferenzabschluß wirkte Houghton am 20. August in einem Gespräch mit Hergt, Graf Westarp und Hoetzsch nochmals auf die Führer der DNVP ein und nahm ihnen die Illusion, mit amerikanischer Unterstützung oder Billigung eine Verbesserung des Londoner Verhandlungsergebnisses erreichen zu können; er ebnete damit den Weg für die partielle Zustimmung der DNVP-Fraktion (neben innenpolitischen Faktoren war offensichtlich der amerikanische Einfluß mitentscheidend für diese Politik); — schließlich trugen nachdrückliche amerikanische Interventionen dazu bei, daß die Notifizierung der Erklärung, die der Reichskanzler am 29. August gegen die „Kriegsschuldlüge" abgegeben hatte, nicht erfolgte und daß im Oktober vor der Zeichnung der Dawesanleihe die Diskussion über die Regierungsbeteiligung der DNVP im entscheidenden Moment (d. h. kurz vor einer positiven Einigung) gestoppt wurde.

Die amerikanischen Einwirkungen haben, wie diese Aktivitäten zeigen, auch im internen deutschen Entscheidungsprozeß des Jahres 1924 (und nicht nur bei den internationalen Verhandlungen, auf die hier nicht eingegangen werden kann) maßgeblich an der Weichenstellung mitgewirkt. Nach dem gleichen Muster verlief die amerikanische Einflußnahme im Bereich der „high politics" der folgenden Jahre: — z. B. wurde der deutschen Führung durch genau aufeinander abgestimmte Aktivitäten des Botschafters Houghton (der sich auf direkte Anweisungen Präsident Coolidges beziehen konnte) und des Governors Strong (der sich Mitte Juli 1925 in Berlin aufhielt) dringend nahegelegt, die Sicherheitspaktpolitik konsequent weiter zu verfolgen; als Schacht im November 1925 mit der Federal Reserve Bank of New York wegen des Ankaufs von Schatzanweisungen verhandelte, machte Strong seine Kooperation geradezu von der Ratifizierung des Locarno-Abkommens abhängig. Diese Hinweise fanden dann in der internen deutschen Debatte über die Vertragsratifikation und den Völkerbundbeitritt gebührende Beachtung; — die Durchführung der Thoiry-Vereinbarungen scheiterte letztlich daran, daß keine hinreichende Abstimmung mit den USA erfolgt bzw. wichtige amerikanische Interessen nicht berücksichtigt waren;

— aus dieser negativen Erfahrung lernte die deutsche Regierung, indem sie in antizipierender Reaktion auf die amerikanische Politik bei den Vorverhandlungen über den Kriegsächtungspakt nachdrücklich die Versuche einer europäischen Gruppierung ablehnte; denn Deutschland werde (wie Stresemann am 27. 4. 1928 im Kabinett erklärte) „in Zukunft außenpolitisch auf die amerikanische Unterstützung angewiesen sein" und habe „schon aus reparationspolitischen Gründen ein Interesse daran", sich nicht in einen „Bündnisblock gegen Amerika" einspannen zu lassen. In der Reparationspolitik war im übrigen die Einflußnahme der Amerikaner auch in dieser Phase aus deutscher Sicht keineswegs unproblematisch. Bekanntlich war das Dawesplansystem so konstruiert, daß ein Zusammenwirken zwischen deutschen Stellen (Regierung, Reichsbank) und dem Transferkomitee bzw.dem Generalrat der Reichsbank notwendig war, wenn es reibungslos funktionieren sollte. Indes, da die finanz-und wirtschaftspolitischen Kontrollen zunehmend als lästig empfunden wurden, traten die Meinungs-und Interessendivergenzen immer deutlicher hervor — beispielsweise im Frühjahr 1927 in der Kredit-und Diskontpolitik (erst im Juni konnte sich der Reparationsagent mit einigen seiner Vorstellungen durchsetzen) und in den langwierigen Debatten um eine wirksame Kontrolle der deutschen Auslandskredite. Bei beiden Streitfällen veranschaulichten die Aktionen des Reparationsagenten, die zumeist mit dem State Department abgestimmt waren, daß der amerikanische Einfluß auf die deutsche Wirtschafts-und Finanzpolitik erheblich, aber nicht unbedingt durchschlagend war. Obwohl der Generalagent bei seinen Forderungen gegenüber der Reichsregierung, eine restriktivere Haushaltspolitik zu führen und exzessives Borgen der Gemeinden und Länder zu unterbinden, die Unterstützung des Reichs-verbandes der Deutschen Industrie genoß, konnten keine prinzipiellen Kursänderungen, sondern nur zeitweise Modifikationen erreicht werden. Dieser die amerikanischen Ak-teure irritierende Sachverhalt resultierte letztlich aus der Komplexität der im Dawesplan gefundenen Regelung; amerikanischerseits versuchte Eingriffe in Teilbereichen (wie die Regulierung der Kreditaufnahme der öffentlichen Hände) gefährdeten sogleich das Funktionieren des Gesamtsystems und erwiesen sich daher als zu riskant.

Angesichts der sich abzeichnenden kreditpolitischen Schwierigkeiten sahen sich die Repräsentanten der amerikanischen finanzpolitischen Elite Ende 1927/Anfang 1928 genötigt, durch Parker Gilbert und durch den persönlichen Einsatz von Governor Strong (EuropaReise im Mai 1928) die Revision des Dawesplans zu initiieren. Wie die prinzipielle Entscheidung für die vorzeitige Revisionseinleitung, so war auch die konkrete Terminierung des Revisionsprozesses durch die USA (und nicht — wie oft behauptet wird — durch Deutschland) bestimmt. Daß die Amerikaner die deutsche Führung — die zwar in sich revisionsfreudig war, aber im Frühjahr 1928 mit „vorsichtiger Zurückhaltung" skeptisch auf die Initiative Gilberts reagierte — für die Revisionseinleitung gewonnen werden konnte, ist einer der deutlichsten Beweise für das tatsächliche Gewicht des amerikanischen Einflusses auf die deutsche Politik. Diese Zusammenhänge sowie die entscheidende amerikanische Einflußnahme bei der Ausarbeitung und Annahme des Youngplans sind an anderer Stelle ausführlich behandelt worden, auf die hier nur verwiesen werden kann.

Neben diesen direkten Einwirkungen auf den Gang der deutschen Politik sind selbstverständlich die indirekten und wirtschaftlich vermittelten politischen Wirkungen, die sich aus dem amerikanischen Anleihestrom ergaben, nicht zu übersehen. Daß die für die Übertragung der Reparationsannuitäten notwendigen Devisen zur Verfügung standen und somit in der Dawesplanphase eine außen-und innenpolitische Beruhigung und Stabilisierung gewährleistet wurde, war eine Folge des mehr oder weniger kontinuierlichen Einflusses amerikanischer Kapitalien. Die auswärtigen Anleihen enthoben die deutsche Regierung der Notwendigkeit, von der defizitären Haushaltspolitik abzugehen und mit einer Kontraktions-oder Deflationspolitik die Transferierbarkeit zu erzwingen, was lohn-und beschäftigungspolitisch verheerend gewesen wäre. Ohne die amerikanischen Kredite hätten schon in den zwanziger Jahren insbesondere die Arbeiter die Last der Umstellung zu tragen gehabt und die sozialpolitischen Erfolge (wie z. B. das Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1927) nicht erzielt werden können. Bereis die relativ geringen Schwankungen im Anleihestrom der Jahre 1925— 28 (beispielsweise das vorübergehende Abebben der Kredite im Winter 1925/26) beeinflußten eindeutig die deutsche Konjunktur; das Verhalten des Auslandskapitals wurde in Deutschland „zum eigentlichen konjunkturellen Bestimmungsfaktor" (Lüke). Als infolge der Weltwirtschaftskrise die US-Kredite nicht nur ausblieben sondern abgezogen wurden, und Brüning mit seiner Deflationspolitik die Untragbarkeit der Reparationen nachzuweisen suchte, manifestierte sich die ausschlaggebende Wirkung dieses Faktors in vollem Umfang.

Schließlich ist die Wirkung der amerikanischen Anleihen auf die deutsche Industrie-struktur zu bedenken. Da insbesondere die großen Unternehmen für private amerikanische Kreditgeber attraktiv waren, konnten sie in relativ kurzer Zeit mit amerikanischem Kapital umfangreiche Neuinvestitionen vornehmen, rationalisieren, modernisieren und amerikanische Produktionsmethoden einführen. Parallel dazu verlief eine wachsende Konzentration, die — wie im Fall der Bildung der Vereinigten Stahlwerke A. G. im Jahre 1926 — oft erst durch die Gewährung einer Dollar-Anleihe ermöglicht wurde. Die amerikanischen Anleihen haben mithin den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands rasant beschleunigt — zu schnell, wie die Krise offenbarte, denn die Disproportionalitäten und Uberkapazitäten wirkten zweifellos verschärfend. Noch gravierender war die langfristige Auswirkung: das nationalsozialistische Regime konnte nach der Krise einen modernen, potenten Produktionsapparat in den Dienst seiner expansiven und aggressiven Politik stellen. Gewiß, auch schon Ende der zwanziger Jahre war zu erkennen, daß Vertreter der deutschen Industrie, die durch amerikanische Anleihen erstarkt war, ein wachsendes expansives Selbstbewußtsein entwickelten. Die ökonomischen und politischen Eliten der Weimarer Republik hüteten sich jedoch, ihre neu gewonnene Macht gegenüber den USA einzusetzen (wie u. a. die zollpolitischen Auseinandersetzungen und das Nachgeben gegenüber amerikanischen Einwänden belegen).

4. Die interne Zustimmung zur amerikanischen Penetration

In der Tat ist der Prozeß der amerikanischen Einwirkungen auf die Politik und Entwicklung der Weimarer Republik in der Dawesphase dadurch gekennzeichnet, daß der amerikanische Einfluß deutscherseits breite Zustimmung fand und daß amerikanischerseits die freiwillige deutsche Zustimmung ausdrücklich zur Vorbedingung für die Anleihegewährung gemacht wurde (vgl. z. B.den Briefwechsel zwischen J. P. Morgan & Co. und Secretary of State Hughes im September 1924). Wenngleich nationalistische Warnungen und antiamerikanische Stimmen nie ganz verstummten, billigten die politischen und ökonomischen Eliten und die Mehrheit der Bevölkerung während dieser Zeit doch die amerikanische Penetration als notwendige Durchgangsphase zur „Befreiung" von Sanktionen und Reparationen. Durchgängig wurde das Ziel verfolgt, mit dem „wirklichen Sieger" zu gehen. Auch in den Fällen, in denen (wie z. B. 1924 bei der Kontroverse zwischen Dollar und Sterling oder bei der Berufung eines amerikanischen Reparationsagenten) eine Wahl zwischen England und den USA unvermeidlich war, entschied sich die deutsche Politik für Amerika als „dem stärksten Partner" (Simon). 1928 mußte sich das Foreign Office eingestehen, daß Deutschland sich an den USA (und nicht an Großbritannien) orientierte.

Anknüpfend an entsprechende Überlegungen seiner Amtsvorgänger und basierend auf einem breiten Konsens, der auch die Unternehmer und die reformistische Mehrheit der Arbeiterschaft umfaßte, verfolgte insbesondere Stresemann konsequent die Politik der Öffnung gegenüber dem amerikanischen Einfluß und Engagement. Das Kalkül dieser Politik wurde durch die bald bestätigte Erwartung bestimmt, daß die amerikanischen Kredite und die personelle Mitwirkung amerikanischer Persönlichkeiten an der deutschen Entwicklung ein zunehmendes Interesse an der Zukunft Deutschlands begründen würden, das sich politisch und wirtschaftlich zugunsten Deutschlands und seiner revisionistischen Ziele auswirken werde. Die amerikanische Penetrierung wurde vorübergehend bejaht, um durch die Lokalisierung der ökonomischen Macht der USA in Deutschland die eigene Macht zu stärken.

IV. Das Ende des amerikanischen Einflusses

Mit der Annahme des Dawesplans hatte sich in der Reparations-und Deutschlandpolitik das amerikanische Einflußkonzept international durchgesetzt. Die Politik und die interne Struktur der Weimarer Republik wurden im Entscheidungsjahr 1924 sowie in der folgenden Phase der relativen Stabilität von den direkten und indirekten Einwirkungen der USA geprägt — vermittelt durch ökonomische und personelle Präsenz und politische Teilhabe, die aus den angedeuteten Gründen mehrheitlich akzeptiert wurde oder sogar erwünscht war. So wurde Amerika der wahrscheinlich gewichtigste externe Bestimmungsfaktor für die Entwicklung der Weimarer Republik in dieser Phase. Aus dem Zusammentreffen und der Kombination von (1) deutschem Kapitalmangel, (2) amerikanischen Kapitalinvestitionen, (3) direkter und autoritativer amerikanischer Beteiligung am internen politischen Prozeß der Weimarer Republik und (4) der deutschen Zustimmung entstand in der Dawesplanphase ein spezifisches Einflußmuster, das dem Idealtyp eines penetrierten Systems entspricht. Dieses Einflußsystem wurde in der Folgezeit abgebaut, indem alle vier typischen Bestimmungselemente nach und nach in ihrem Gewicht reduziert und schließlich eliminiert wurden.

Der Abbau des penetrierten Systems begann, als mit dem Dawesplan auch die direkte und autoritative Beteiligung von Ausländern, insbesondere die Mitwirkung des amerikanischen Reparationsagenten, beseitigt wurde und Deutschland seine Finanzhoheit (und die Territorialhoheit) zurückerhielt. Bestehen blieb zunächst noch das amerikanische Kapitalengagement (einschließlich der damit verbundenen personellen Vermittlungen und materialen Abhängigkeiten) sowie das deutsche Anleihebedürfnis (Young-Anleihe). Merklich zurück ging indes fast gleichzeitig die interne Zustimmung zum amerikanischen Einfluß — jenes andere Grundelement eines penetrierten Systems. Auf der politischen Rechten und Linken wuchs die Kritik am „Dollarimperialismus". Bei den Verhandlungen über den neuen Reparationsplan trat dann der Widerstand gegen eine weitere „Veräußerung deut-11 scher Substanz" an die USA plötzlich hervor und es artikulierte sich in großindustriellen Kreisen der Wille, eine Kraftprobe zu wagen. Die nationalistische Agitation gegen die Annahme des Youngplans schloß sich nahtlos diesem Trend an. Die offizielle deutsche Politik stemmte sich zunächst gegen diese Entwicklung. In der ersten Phase seiner Regierungszeit verband Brüning die drastischen Maßnahmen zur Sanierung der Reichsfinanzen mit dem Versuch, nicht nur das durch den nationalsozialistischen Wahlerfolg verängstigte Auslandskapital im Land zu halten, sondern auch neue amerikanische Kredite zur Überbrückung des Haushaltsdefizits zu erhalten — und akzeptierte dabei Bedingungen, die tief in die interne Politik eingriffen.

Nach der Abdeckung des Haushaltsdefizits betrieb Brüning indes im Interesse der Revisionsvorbereitung eine Deflationspolitik und verzichtete bewußt darauf, die Möglichkeiten neuer amerikanischer Kredite auszuloten. Governor Harrison wurde Ende 1930 erklärt, das Reich habe keinen Bedarf an langfristigen Auslandskrediten, da es seine Probleme durch die Finanzreform lösen werde; auch die deutsche Industrie sei nur daran interessiert, kurzfristige Kredite langfristig zu konsolidieren. Die Devise lautete: Keine neuen Ausländsanleihen — sondern eine , Endlösung'der Reparationsfrage! Damit wurde jenes andere Bestimmungselement des penetrierten Systems, der Kapitalmangel, deutscherseits eskamotiert, noch bevor die amerikanischen Anleihemöglichkeiten tatsächlich versiegten. In dem Prozeß, der zum Hoover-Moratorium, den Stillhalteverhandlungen, der Reparationsbeseitigung und der formalen rüstungspolitischen Gleichberechtigung führte, war das von der Krise geschwächte Amerika meist nur noch zum Reagieren fähig; die USA „were tied up with Germany's Situation" (Hoover). In der Endphase der Weimarer Republik gebrauchte Deutschland seine Schuldnerposition gegenüber den Vereinigten Staaten als „Waffe des Schwachen" (Brüning), bis nach der mit amerikanischer Hilfe erlangten „Befreiung" schließlich das nationalsozialistische Deutschland, auf Autarkie und unilaterale Expansion bedacht, den amerikanischen Einfluß systematisch abblockte und die deutsch-amerikanische Kooperation zerbrach.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921— 32, Düsseldorf 1970.

  2. Dabei wäre der von Harold und Margaret Sprout verdeutlichte Unterschied zwischen „operationaler“ und „psychologischer“ Umwelt zu beachten.

  3. James N. Rosenau, International Aspects of civil strife, Princeton 1964.

  4. Francois Perroux, L'Economie des XXe siede, Paris 19642. * 4 5

  5. Vgl. u. a. A. J. Mayer, Politics and diplomacy of peacemaking. Containment and conterrevolution at Versailles, 1918— 1919, London 1968; Klaus Schwabe, Deutsche Revolution und Wilson-Frieden, Düsseldorf 1972.

  6. Vor dem Eintritt des Deutschen Reiches in den Völkerbund konferierten am 17. 9. 1926 Briand und Stresemann in Thoiry über die Neuordnung der deutsch-französischen Beziehungen.

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Werner Link, Dr. phil., geb. 1934, Professor für Politische Wissenschaft an der Gesamthochschule Kassel; z. Z. Gastprofessur an der Georgetown University, Washington D. C. Veröffentlichungen u. a.: Die Geschichte des Internationalen Jugendbundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), Meisenheim 1964; Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, Düsseldorf 1968 (Bearbeiter); Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921— 32, Düsseldorf 1970; Die außenpolitische Rolle des Parlaments und das Konzept der kombinierten auswärtigen Gewalt, in: PVS-Sonderheft 2, 1971; Das Konzept der friedlichen Kooperation und der Beginn des Kalten Krieges, Düsseldorf 1971.