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Kapitalismus, Sozialismus und die Idee der Grenze | APuZ 44/1973 | bpb.de

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APuZ 44/1973 Kapitalismus, Sozialismus und die Idee der Grenze Der Bürgerbeauftragte als Kontrollorgan

Kapitalismus, Sozialismus und die Idee der Grenze

Klaus Scholder

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Zusammenhang mit der Studie von Dennis Meadows über die „Grenzen des Wachstums" wird gegenwärtig lebhaft die Frage behandelt, ob, vorausgesetzt die Meadowssehen Prognosen treffen zu, eine kapitalistische Wirtschaftsordnung imstande ist, mit den entstehenden Problemen fertig zu werden. Vielfach wird dabei die Meinung vertreten, daß nur eine zentralistisch organisierte sozialistische Ordnung die Wachstumskrise beherrschen könnte. Sicher ist jedoch, daß sowohl der Kapitalismus wie der Sozialismus von den Vorstellungen eines unbegrenzten Wachstums bestimmt werden. Da die Begrenztheit der Erde ein unbegrenztes Wachstum auf lange Sicht notwendig ausschließt, werden beide Wirtschafts- und Gesellschaftsformen durch die Idee der Grenzen zu Korrekturen genötigt. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung haben dabei die westlichen Systeme bisher sehr viel sensibler reagiert und eine Reihe von Vorschlägen für ein marktwirtschaftliches System im Zeichen der Begrenzung vorgelegt. Tatsächlich erscheint es schwieriger, die Umweltgefährdung in den Griff zu bekommen, wo der Staat selbst als Unternehmer an der wirtschaftlichen Maximierung interessiert ist, als dort, wo sich Staat und Wirtschaft gegenüberstehen und der Staat eine Kontrollfunktion auszuüben vermag.

Wir sind immer noch weit davon entfernt, die physikalischen Grenzen des Wachstums exakt bestimmen zu können. Aber es ist die Frage, ob es tatsächlich exakter Definitionen bedarf, um die Dinge in Bewegung zu setzen. Möglicherweise kann die bloße Formulierung der Idee, daß solche Grenzen existieren — und zwar nicht in irgendeiner Ferne, sondern nahe, vielleicht schon unmittelbar unter unserem Horizont —, hinreichen, um unsere ganze Welt zu verändern. Denn die Welt wird gegenwärtig in einer Weise von Vorstellungen unbegrenzter Wachstumsmöglichkeiten bestimmt, daß die Realisierung der Idee möglicher Wachstumsgrenzen eine völlige Umordnung und Neuformulierung der herrschenden Ideologien erfordert.

Die Berechnungen der Meadows-Gruppe allein wären freilich angesichts der Problematik weltgeschichtlicher Prognosen gewiß noch kein Anlaß, eine solche allgemeine Revision in Betracht zu ziehen. Aber es ist ja nicht zu leugnen, daß die Ergebnisse der Studie, unabhängig von der Art ihres Zustandekommens, eine gewisse Evidenz besitzen. Im Grunde bestätigen die Berechnungen nur, was jedermann hierzulande selbst beobachten kann, nämlich auf der einen Seite eine seit Jahrzehnten ständig steigende wirtschaftliche Expansion und auf der anderen Seite deren beängstigend zunehmende Folgen für Luft, Wasser, Boden, Verkehr usw. Die Meadows-Studie hat in dieser Hinsicht nur bestimmt artikuliert, was im allgemeinen Bewußtsein unbestimmt bereits vorlag, daß Wachstum, Fortschritt, Entwicklung nicht unbegrenzt weitergehen können, und daß es deshalb Zeit ist, sich neu und anders zu orientieren.

Man muß sich freilich immer vor Augen halten, daß die Studie diesen Evidenzcharakter nur für die Bewohner hochindustrialisierter Länder besitzt. In weiten Teilen der sogenannten Dritten Welt, wo Raum und Naturschätze noch fast beliebig zur Verfügung zu stehen scheinen, ist hier gar nichts einsichtig, im Gegenteil, hier müssen Überlegungen zur Begrenzung des Wachstums wie Zynismus wirken.

Das ändert jedoch nichts an der Bedeutung der Studie für die Industrieländer und an der Rückwirkung ihrer Thesen auf die herrschenden Ideologien. Diese Bedeutung besteht, um es noch einmal zu wiederholen, weniger in ihren konkreten Ergebnissen; die sind weithin anfechtbar oder doch zumindest offen. Sie besteht vielmehr in der Erinnerung an die einfache Wahrheit, daß unbegrenzter Fortschritt in der bisherigen Form auf der begrenzten Erde nicht möglich ist. Die Meadows-Studie ist als Basis für unverzügliche radikale globale Aktionen, wie sie da und dort gefordert werden, sicher ungeeignet Aber sie könnte Symptom und Anstoß zugleich sein für eine langfristige Veränderung unseres Bewußtseins, für eitle neue Orientierung an der Idee der Grenze.

Wir stehen im Augenblick noch ganz am Anfang der Entwicklung, in der diese Idee der Grenze in den Kreis der die Geschichte bestimmenden Ideen eintritt, und vermögen deshalb Verlauf und Ziel dieser Entwicklung noch kaum abzuschätzen. Aber einen Eindruck von der Schwierigkeit der entstehenden Probleme und von der Heftigkeit der zu erwartenden Auseinandersetzungen vermag die Beobachtung zu geben, daß wir gegenwärtig weder im Westen noch im Osten über eine gesellschaftliche Theorie verfügen, die nicht auf der Vorstellung eines konstanten wirtschaftlichen Wachstums aufgebaut ist.

Dies ist für die historisch ältere dieser Theorien, den Kapitalismus, hinreichend bekannt.

Kapitalismus und Wirtschaftswachstum

Wir können hier selbstverständlich nicht einmal annäherungsweise auf Einzelprobleme der unendlich verzweigten Kapitalismusdiskussion eingehen. In unserem Zusammenhang müssen einige allgemeine Feststellungen genügen.

So herrscht im wesentlichen Einmütigkeit darüber, daß der Kapitalismus der entscheidende Träger jenes allgemeinen Wachstumsprozesses war und ist, dessen unbegrenzter Fortgang nun in Frage gestellt wird.

Nicht zufällig hat gerade Karl Marx die ungeheuren Kräfte, die der Kapitalismüs freigesetzt hat, 1848 im „Manifest der Kommunistischen Partei" beinahe hymnisch beschrieben. „Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unterjochung der Naturkräfte, . . . Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen — welch früheres Jahrhundert ahnte, daß solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten."

Vielleicht ist hier schon ein Hinweis angebracht, daß der Gedanke, eine weitere Steigerung der Produktionskräfte könnte auch noch andere als bloß gesellschaftliche Probleme aufwerfen, Marx so fremd war wie irgendeinem seiner bourgeoisen oder kommunistischen Zeitgenossen. Deshalb heißt es am Ende dieses Abschnittes im „Manifest": „Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benützen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h.des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren." 3) Einigkeit besteht zwischen Marx und den klassischen Theoretikern des Kapitalismus nicht nur darin, daß der Kapitalismus der Träger der modernen wirtschaftlichen Entwicklung ist, sondern auch darin, daß die Expansion zu seinem Wesen gehört, und daß ein „ruhender" Kapitalismus nicht vorstellbar ist. So heißt es bei Marx: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren."

Ob die Veränderung der Produktionsverhältnisse notwendig eine Veränderung „sämtlicher gesellschaftlichen Verhältnisse" bedeutet, mag dahingestellt bleiben. Aber daß ein Grundgesetz des klassischen Kapitalismus tatsächlich in der fortwährenden Revolutionierung der Produktionsverhältnisse — im Erschließen neuer Produkte, neuer Verfahren, neuer Märkte, neuer Bedürfnisse — liegt, ist nicht zu leugnen.

Werner Sombart, der bedeutende Analytiker des kapitalistischen Systems, hat dieses Phänomen mit ganz ähnlichen Begriffen beschrieben. Auch er spricht von eitler „unausgesetzten Revolutionierung" der Produktionsbedingungen, die für das kapitalistische Wirtschaftsleben charakteristisch ist Das Motiv dieser Revolutionierung ist für ihn identisch mit „der primär wirkenden Ursache" der modernen wirtschaftlichen Entwicklung überhaupt, den „kapitalistischen Interessen". Diese „kapitalistischen Interessen" sind „gleichbedeutend ... mit dem Verwertungsstreben des Kapitals", d. h. mit dem Satz, „daß das Kapital stirbt, wenn es sich nicht verwertet, d. h. sich durch geschickte Vertragsabschlüsse samt einem Profit reproduziert" Dieser Zwang zur Reproduktion des Kapitals ist die eigentliche Ursache jener „unausgesetzten Revolutionierung", die wiederum identisch ist mit Begriffen wie Expansion, Wachstum, Fortschritt, Entwicklung. Auf besonders eindrucksvolle Weise hat dann Joseph A. Schumpeter den permanenten Wandel als Lebensgesetz des Kapitalismus dargestellt: „Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach ein Prozeß (endogenen) wirtschaftlichen Wandels. Ohne diesen Wandel oder genauer, ohne diese Art Wandel, welche wir Entwicklung genannt haben, kann die kapitalistische Gesellschaft nicht bestehen ohne Innovationen keine Unternehmer; ohne unternehmerische Leistung keine kapitalistischen Gewinne und kein kapitalistischer Antrieb. Die Atmosphäre industrieller Revolutionen — des Fortschritts" — ist die einzige, in welcher der Kapitalismus überleben kann."

Die Konsequenzen dieser Feststellung liegen auf der Hand und werden von Schumpeter auch deutlich ausgesprochen: „Daher kann der kapitalistische Organismus im Falle, daß die Innovätionsmögiichkelten schwinden, nicht in ein stationäres Stadium übergehen, ohne daß seine Lebenskräfte in Mitleidenschaft gezogen werden, wie es der Fall sein könnte, wenn . Veränderungen in den Produktionsfunktionen'nür eine Begleiterscheinung seines Lebensprozesses und nicht dessen Wesen wären. In diesem Sinne ist ein stabilisierter Kapitalismus ein Widerspruch in sich."

Verbindet man diese Definition mit einer wie auch immer bestimmten Idee der Grenze, so ist offenkundig, daß beide — Kapitalismus und Grenzen des Wachstums — miteinander nicht bestehen können. Entweder — dies scheint die einzige Alternative — der Kapitalismus bleibt weiterhin das herrschende System, dann wird dieses System aus seinem Lebensgesetz heraus alle Grenzen überschreiten und zum Zusammenbruch führen, oder die Idee der Grenze setzt sich durch, dann ist damit zugleich das Ende des Kapitalismus besiegelt. In der Tat sehen vor allem die Kritiker des Kapitalismus in dieser Alternative den Beweis, daß seine Zerstörung nicht nur von der marxistischen Gesellschaftstheorie, sondern auch von der Ökologie gefordert werde

Verfolgt man die sehr lebhafte internationale Diskussion dieser Frage so stellt sich freilich schnell heraus, daß diese Alternative zu simpel ist Vielmehr scheint der Kapitalismus im Begriff, ein neues Instrumentarium und neue Zielvorstellungen zu entwickeln, die beide an der Idee der Grenze orientiert sind und auf eine mehr oder weniger nachhaltige Umstrukturierung des Systems hinauslaufen.

Ansätze für eine umweltkonforme Wirtschaftsordnung

Das Ziel ist von dem Schweizer Nationalökonomen H. G. Binswanger klar formülieft worden. Es geht darum, so schreibt er, „unsere Wirtschaftsordnung so ümzubaüen, daß sie der Endlichkeit, der Begrenztheit unserer Welt Rechnung trägt, daß die tatsächlich knappen Güter — Luft, Wasser, Erde, Rohstoffe, Energie — zu echten wirtschaftlichen Gütern werden, mit denen man ökonomisch wirtschaftlich, sparsam umgehen muß" Da das sogenannte Null-Wachstum von den Nationalökonomen so gut wie einstimmig als unsinnig und ühpraktikabel abgelehnt Wird, lautet die Gründformel zur Lösung des Problems des Wachstums in einer begrenzten Welt! Verlagerung des Wachstums vom quantitativen auf den qualitativen Sektor. Um wenigstens einen Eindruck von der Fülle theoretischer Überlegungen zu geben, die sich mit dieser Grundformel verbinden, seien im folgenden drei Ansätze referiert, die diese Formel zu konkretisieren versuchen.

Die einfachste These vertritt H. Giersch, Direktor des Intituts für Weltwirtschaft in Kiel. Sie lautet: „Spontanes Wachstum ist mit Strukturwandel gekoppelt. Wird dieser Struktur-wandel blockiert, so hört das Wachstum auf. Aber wenn das System in sich genügend anpassungsfähig ist, hat das Wachstum keine erkennbaren Grenzen."

Auch Giersch geht selbstverständlich davon aus, daß die Subsistenzmittel der Erde begrenzt sind. Aber, so meint er, das gelte auch „für die Aufnahmefähigkeit unserer Mägen und für das, was wir netto an dauerhaften Industriegütern brauchen. Unbegrenzt aber ist, was Menschen für Menschen im Bereich der Bildung und Ausbildung ... noch erzeugen können. Insofern liegen die Grenzen des Wachstums weit in der unsichtbaren Zukunft." Die Frage, wie sich ein solcher Strukturwandel rechtzeitig und in der richtigen Weise vollzieht, ist nach Giersch für die kapitalistischen Länder leicht zu beantworten, nämlich durch den Preismechanismus. Wo der Preismechanismus nicht funktioniert, muß der Staat durch Rationalisierungsmaßnahmen oder die Zurechnung der sogenannten Sozialkosten eingreifen. Wo er jedoch funktioniert, sorgt er in allen Industriestaaten für die notwendigen Veränderungen: Von einem bestimmten Pro-Kopf-Einkommen ab (das etwa die USA, Kanada und Großbritannien bereits überschritten haben), „verlangsamt sich der Anstieg der Nachfrage nach Industrieprodukten so stark, daß er hinter dem Anstieg der Arbeitsproduktivität zurückbleibt, und Wachstumsträger wird nun der moderne, tertiäre Sektor, der das Gesundheitswesen, die Bereiche Bildung und Ausbildung, das Informationswesen und das Bankwesen umfaßt" — Bereiche, deren weiteres Wachstum in der Tat keine Grenzprobleme aufwirft

Im Gegensatz zu Gierschs vergleichsweise traditionellem marktwirtschaftlichen Modell vertritt H. C. Binswanger die Theorie eines „Neuen Ökonomischen Systems", das alles Wirtschaften schlechthin an die ökologischen Grenzen bindet. „Das ganze bisherige Wirtschaften beruhte darauf, daß sich im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung das Angebot an Boden, Wasser, Luft, Rohstoffen, Energie auf die steigende, durch Geldvermehrung und Geldschöpfung induzierte Nachfrage ausgerichtet hat. Jetzt müssen wir das Verhältnis umkehren, das Angebot auf den ökologisch zulässigen Umfang beschränken und die Nachfrage zwingen, sich diesem beschränkten Angebot anzupassen. Das ist der Grundpfeiler einer umweltkonformen Wirtschaftsordnung, der Grundpfeiler eines Neuen Ökonomischen Systems."

Die entscheidende Frage ist hier natürlich die Definition des ökologisch Zulässigen oder der ökologischen Grenzwerte. Statt solche Grenzwerte für jeden einzelnen Bereich anzugeben, sucht Binswanger nach dem einen Wert, der als entscheidender Faktor die Grenze alles Wirtschaftswachstums anzeigt. Dieser Wert ist in seiner Theorie der Umfang der Energieerzeugung. „Sinnvollerweise sollte der zulässige Energieverbrauch zum neuen ökonomischen Knappheitsmesser werden." Inner-halb der damit (und auf anderen Gebieten) gezogenen Grenzen sind marktwirtschaftliche oder planwirtschaftliche Lösungen denkbar — und auch ein weiteres wirtschaftliches Wachstum, das aber „von einer rein quantitativen auf eine höhere qualitative Basis gehoben" wird

Einen dritten Ansatz für eine Theorie des wirtschaftlichen Wachstums unter dem Aspekt allgemeiner Grenzen vertritt Bruno S. Frey in seiner „Umweltökonomie". Frei kritisiert gleichermaßen die ökonomisch wie die ökologisch orientierten Wachstumstheorien und fordert einen neuen Bezugspunkt für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. An die Stelle des dazu noch immer verwendeten Begriffs des Bruttosozialproduktes soll der Begriff der „Wohlfahrt" treten, gewissermaßen als Optimierungspunkt zwischen den Begrenzungen des „Raumschiffs Erde" und den Konsumansprüchen des einzelnen.

Diese Verwendung von „Wohlfahrt“ setzt allerdings ihre Qualifizierbarkeit voraus, ein bekanntlich außerordentlich schwieriges Problem, dessen Lösung mit Hilfe der Entwicklung von gesellschaftlichen Kennziffern (social indicators) noch ganz am Anfang steht

Immerhin ist deutlich, daß der Begriff der „Wohlfahrt" eine neue Definition des Wachstums erlauben würde. „Wirtschaftswachstum ist kein Ziel an sich: Der erwünschte Zuwachs oder Abbau des realen Sozialprodukts ist nur Reflex der Förderung der Wohlfahrt." Das heißt, eine am Begriff der Wohlfahrt orientierte Wirtschaftspolitik könnte das Wachstum nach den realen Erfordernissen der Bevölkerung steuern und wäre nicht an das Gesetz der Kapitalexpansion gebunden.

Ob dies freilich ohne tiefgreifende Veränderung der ganzen Wirtschaftsstruktur möglich ist, erscheint fraglich, auch wenn Frey selbst hinsichtlich der Neuorientierung der Wirtschaft „auf die Förderung der Wohlfahrt an Stelle des Wachstums des Sozialprodukts" eher optimistisch ist. „Wenn das Wachstum einer Wirtschaft nicht als Ziel an sich betrachtet wird, müssen sich die Zuwachsrate und das Niveau des realen Sozialprodukts an die auf Grund der Maximierung der Wohlfahrt festgelegten Werte anpassen können." Einen Beweis für dieses „müssen" kann Frey allerdings nach eigener Aussage nicht erbringen; das bleibt eine offene Frage

Auch wenn wir hier nur erste theoretische Ansätze vor uns haben, so ist doch deutlich, daß der Kapitalismus in seiner klassischen Form zu tiefgreifenden Korrekturen genötigt wird. Ob er zu solchen Korrekturen auch fähig ist, hängt wahrscheinlich mit der Frage zusammen, wo sein eigentliches Movens, seine primäre Ursache liegt. Wenn dieses Movens — wie nach Marx und Sombart — ein abstrakter Prozeß ist, nämlich die am Profit orientierte Akkumulation oder Reproduktion des Kapitals, so ist mit einer grundsätzlichen Begrenzung des realen wirtschaftlichen Wachstums auch der Kapitalismus am Ende.

Liegt dieses Movens dagegen, wie der junge Schumpeter meinte, im „nichthedonistischen Unternehmertyp" oder im Sinne von McClelland in dem nicht weiter ableitbaren Willen zur Leistung so ist unter veränderten äußeren Bedingungen fast jede beliebige Neuorientierung des kapitalistischen Systems denkbar.

Freilich, was sich als theoretischer Entwurf auf dem Papier so plausibel ausnimmt, wird erst bei der Übertragung in die Wirklichkeit zeigen, welche unabsehbaren gesellschafts-und wirtschaftspolitischen Folgen im einzelnen damit verbunden sind. —

Die Bedeutung des Wirtschaftswachstums für die marxistische Theorie

Wenn wir uns nun der anderen herrschenden Gesellschaftstheorie zuwenden, dem Marxismus, so wird auch diese Theorie in unserem Zusammenhang nur unter dem Gesichtspunkt zu prüfen sein, wie sie sich zum wirtschaftlichen Wachstum verhält.

Wir haben oben schon darauf hingewiesen, daß Karl Marx im „Kommunistischen Manifest" ebenso unbefangen wie nachdrücklich die Forderung aufstellt, „der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produk-tionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h.des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren."

Eine möglichst rasche Vermehrung der Masse der Produktionskräfte bedeutet selbstverständlich nichts anderes als wirtschaftliches Wachstum. Und es ist nicht schwer, in der bisherigen Geschichte der marxistischen Theorie und Praxis diese Forderung nach unablässiger Steigerung des Wirtschaftswachstums als ein schlechthin dominierendes Element nachzuweisen. So heißt es etwa in der bekannten Rede Lenins vor dem VIII. Gesamtrussischen Sowjetkongreß im Dezember 1920: „Politik treiben haben wir zweifellos gelernt, hier kann man uns nichts vormachen, hier haben wir festen Boden unter den Füßen. Mit der Wirtschaft aber steht es schlecht. Die beste Politik ist von nun an — weniger Politik. Haltet euch mehr an die Ingenieure und Agronomen, lernt von ihnen, kontrolliert ihre Arbeit, verwandelt die Kongresse und Konferenzen ... in Organe der Überprüfung der wirtschaftlichen Erfolge, in Organe, in denen wir den wirtschaftlichen Aufbau gründlich erlernen können." „Kommunismus", so formuliert Lenin in der gleichen Rede, und nicht zufällig ist diese Formulierung zu einer Art Losungswort der Revolution geworden, „Kommunismus — das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes ... Erst dann, wenn das Land elektrifiziert ist, wenn die Industrie, die Landwirtschaft und das Verkehrswesen eine moderne großindustrielle technische Grundlage erhalten, erst dann werden wir endgültig gesiegt haben." Am Ende taucht dann die Vision eines Landes auf, das „sich mit einem dichten Netz von elektrischen Kraftwerken und mächtigen technischen Anlagen bedeckt haben wird". Dann, so schließt Lenin, „wird unser kommunistischer Wirtschaftsaufbau zum Vorbild für das kommende sozialistische Europa und Asien werden"

Daß der Tenor dieser Rede nicht nur für die historische Epoche des Übergangs vom Agrarstaat zum Industriestaat gilt, sondern daß auch im sozialistischen Industriestaat die Forderung nach unablässiger Steigerung der Produktiv-kräfte weiter besteht, zeigt beispielhaft das Programm der SED. Dort wird genau im Sinne des „Kommunistischen Manifests" formuliert:

„Umfassender Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik heißt: die nationale Volkswirtschaft der Deutschen De-21 mokratischen Republik zu entwickeln, die Produktion und die Arbeitsproduktivität auf der Grundlage des höchsten Standes der Wissenschaft und Technik weiter rasch zu steigern, um das Leben der Werktätigen angenehm und schön zu gestalten, um ihre wachsenden Bedürfnisse besser zu befriedigen; das Prinzip . Jeder nach seinen Fähigkeiten — jedem nach seiner Leistung'voll verwirklichen."

Die entscheidende Frage auch im Sinne der marxistischen Theorie ist natürlich die nach den Zielen dieses Wachstums. Das SED-Programm formuliert diese Ziele zunächst eher bürgerlich: angenehmere Lebensgestaltung und bessere Bedürfnisbefriedigung der Werktätigen. Erst im Schlußzitat leuchtet etwas auf von der Erwartung, die sich mit der ständig wachsenden Wirtschaftskraft der sozialistischen Länder verbindet. Die Verteilung des Produktionsertrages nach dem Leistungsprinzip gilt zwar noch für die erste, niedere Phase der kommunistischen Gesellschaft. Aber das Zitat weist in dieser Form doch zugleich darüber hinaus auf jene höhere Phase, wo allein das Bedürfnisprinzip noch herrschen wird, so wie sie Marx in einem berühmten Abschnitt der „Kritik des Gothaer Programms" von 1875 beschrieben hat:

„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft", heißt es da, „nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der all-seitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springkräfte des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen — erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"

In diesem Zusammenhang wird die entscheidende Bedeutung des Wirtschaftswachstums für die marxistische Theorie sichtbar. In der Steigerung der Produktivkräfte liegt der Weg zum Reich der Freiheit. Und dieses Reich der Freiheit — das Reich, „in dem alle Springkräfte des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen" — setzt faktisch die Möglich-23 keit einer unbegrenzt produktiven Volkswirtschaft voraus.

Sozialistische Theoretiker der Gegenwart

Ein Blick auf drei sozialistische Theoretiker der Gegenwart mag das bestätigen.

So sieht Ernst Bloch, „wenn endlich das Gesetz des Sozialismus: maximale Bedarfsdeckung auf dem Stand der höchsten Technik, das Gesetz des Kapitalismus: maximaler Profit, abgelöst hat", schlechthin unermeßliche technisch-industrielle Möglichkeiten voraus „Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschinerie als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln."

Hier wird unübersehbar deutlich, daß die Idee bestimmter ökologischer Grenzen der marxistischen Gesellschaftstheorie und ihren Konsequenzen nicht weniger radikal widerspricht als dem Kapitalismus. Bloch geht so unbefangen mit der Atomenergie, mit Wüsten und Eiszonen um, als gäbe es weder Strahlungsnoch Klimaprobleme und als wüßten wir nicht, daß schon geringfügige globale Temperaturschwankungen unübersehbare Folgen für das Erdklima haben können

Etwas anders, aber im Prinzip ähnlich, liegen die Dinge bei Herbert Marcuse. In seiner grundlegenden Arbeit „Triebstruktur und Gesellschaft" stellt er bekanntlich die These auf, daß die Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen erst mit der Ablösung des Leistungsprinzips durch das Lustprinzip erfolgen könne und werde. Marcuse stellt sich dabei natürlich die Frage, „ob vernünftigerweise ein Kulturstand vorstellbar ist, in dem menschliche Bedürfnisse in einer Weise und in einem Maße befriedigt werden, die die Abschaffung der zusätzlichen Unterdrückung erlauben" Im Gegensatz zu Freud, der die Möglichkeit von. Zivilisation von zahlreichen quantitativen und qualitativen Triebeinschränkungen abhängig sieht, glaubt Marcuse, daß „die Entstehung eines neuen, nicht repressiven Realitätsprinzips die gesellschaftliche Organisation ändern [würde], statt sie zu zerstören: die Befreiung des Eros könnte neue dauerhafte Werkbeziehungen schaffen" Voraussetzung dafür ist jedoch die hinsichtlich irgendwelcher Grenzen ganz unreflektiert angenommene totale Industrialisierung der Welt: „Je vollständiger die Entfremdung der Arbeit, desto größer das Potential der Freiheit: die totale Automation wäre hier das Optimum." Der „Fortschritt über das Leistungsprinzip hinaus" ist nur „auf der Grundlage der Errungenschaften des Leistungsprinzips möglich". Die Voraussetzung des wahren Kampfes um die Freiheit, nämlich des Kampfes „gegen jede Beschränkung des freien Spiels der menschlichen Fähigkeiten, gegen Mühsal, Krankheit und Tod", ist auch hier faktisch eine vollautomatisch funktionierende und unbegrenzt produzierende Volkswirtschaft

Mag man Bloch und Marcuse zugute halten, daß ihre Arbeiten in den 40er und frühen 50er Jahren in Amerika entstanden und daß sie gerade in diesem Punkt auch etwas von dem damals noch grenzenlosen technischen Optimismus Amerikas aufgenommen haben, so gilt dies für Ernest Mandels „Marxistische Wirtschaftstheorie" aus dem Jahre 1970 nicht. Aber auch für Mandel scheint die Steigerung der Produktivitätskräfte als solche ohne Probleme zu sein. „Damit allen Menschen der Welt ein Überfluß an Industriegütern zur Verfügung steht, müssen also die Produktionskräfte stark gesteigert werden. Die Entfaltung der Produktionskräfte bedeutet, daß die gegenwärtige Industrieproduktion der Welt verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden muß." Und das will Mandel nicht etwa nur auf die industriell noch wenig entwickelten Länder beziehen. Nein, „selbst in Europa sind ungeheure Anstrengungen erforderlich, um allen Menschen jenen optimalen Lebensstandard zu vermitteln, den Wissenschaft und Technik heute möglich machen"

Selbstverständlich ist auch für Mandel das Wirtschaftswachstum kein Ziel an sich, sondern lediglich die Voraussetzung für die Realisierung des Reichs der Freiheit. Dieses Reich aber wird, wie Marx, Bloch bei und Marcuse, ermöglicht durch eine grundsätzlich unbegrenzt produktive Volkswirtschaft, die vorab sämtliche dringenden Bedürfnisse aller Menschen befriedigt, über ein weiteres Wachstum hinaus — das grundsätzlich immer denkbar ist — bestimmen „die Bürger der sozialistischen Gesellschaft" in „freier Entscheidung" selbst. „Die Möglichkeit einer echten Wahl zwischen zusätzlichem Reichtum und zusätzlicher Freiheit wird erstmals in einer sozialistischen Gesellschaft, die ihren Bürgern einen Überfluß an Gütern und Diensten sichert, gegeben sein." 33)

Das Ziel der marxistischen Lehre, die Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen, setzt, jedenfalls bisher, in allen ihren theoretischen Spielarten eine unbegrenzte produktive Volkswirtschaft als Selbstverständlichkeit voraus. Diese merkwürdige Selbstverständlichkeit hängt mit dem marxistischen Grunddogma zusammen, daß alle Probleme ausschließlich auf der Seite der Produktionsverhältnisse, niemals dagegen auf der Seite der Produktionskräfte entstehen.

Das „erste umfassende deutsche Lehrbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie" erläutert das im Zusammenhang mit dem marxistischen Verständnis der „technischen Revolution". „Umfang, Inhalt, Tempo, Richtung sowie die sozialen und menschlichen Probleme der technischen Revolution erhalten von den herrschenden Produktionsverhältnissen ihr Gepräge." Deshalb wird davor gewarnt, „der Form nach analoge Erscheinungen der technischen Revolution im Kapitalismus und Sozialismus" zu verabsolu

Das Ziel der marxistischen Lehre, die Aufhebung der Herrschaft von Menschen über Menschen, setzt, jedenfalls bisher, in allen ihren theoretischen Spielarten eine unbegrenzte produktive Volkswirtschaft als Selbstverständlichkeit voraus. Diese merkwürdige Selbstverständlichkeit hängt mit dem marxistischen Grunddogma zusammen, daß alle Probleme ausschließlich auf der Seite der Produktionsverhältnisse, niemals dagegen auf der Seite der Produktionskräfte entstehen.

Das „erste umfassende deutsche Lehrbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie" erläutert das im Zusammenhang mit dem marxistischen Verständnis der „technischen Revolution". „Umfang, Inhalt, Tempo, Richtung sowie die sozialen und menschlichen Probleme der technischen Revolution erhalten von den herrschenden Produktionsverhältnissen ihr Gepräge." Deshalb wird davor gewarnt, „der Form nach analoge Erscheinungen der technischen Revolution im Kapitalismus und Sozialismus" zu verabsolutieren. Mögen sich deshalb die Steigerung des Produktionsumfangs, die angewandten Technologien, ja sogar die Organisationsformen der Produktion in beiden Systemen gleichen wie ein Ei dem anderen — sie sind gleichwohl völlig unterschiedlich zu beurteilen. „Die technische Revolution ist auf der einen Seite eingebettet in die allgemeine Krise und in den Untergang des Kapitalismus. Auf der anderen Seite fällt sie zeitlich zusammen mit dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus ..."

Die Parallelität des wirtschaftlichen und industriellen Wachstums im Kapitalismus und Sozialismus läßt sich unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten möglicherweise als eine Scheinparallelität definieren. Unter dem Gesichtspunkt ökologischer Grenzen jedoch wird aus der Scheinparallelität eine reale Parallelität. Wenn es beispielsweise für die Welt eine Grenze der Energieproduktion gibt, ist es völlig gleichgültig, unter welchen Produktionsverhältnissen der entscheidende Zuwachs produziert wurde.

Die Forderung raschen wirtschaftlichen Wachstums einerseits, die für alle marxistischen Entwürfe charakteristisch ist, die These von der „Unschuld" der Produktivkräfte andererseits machen es verständlich, daß die sozialistischen Theoretiker sich mit der Idee der Grenze offensichtlich schwer tun. Zum Teil wird einfach bestritten, daß die Problematik für den Sozialismus überhaupt existiert. So stellt etwa E. Rechtziegler die Meadows-Studie lediglich als „eine — äußerst globale — Modell-analyse des kapitalistischen Systems dar. Sie zeigt die Folgen und die Grenzen eines anarchischen, auf kapitalistischer Profitwirtschaft beruhenden Wachstums mit dem Ziel, das imperialistische System stabilisieren zu helfen." 35) Nur ganz andeutungsweise räumt Rechtziegler ein, daß auch für sozialistische Länder „der wissenschaftlich-technische Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum nicht wenige und ernste Probleme für die Reproduktion der natürlichen Umwelt aufwerfen". Zu ihrer Lösung steht im Sozialismus freilich alles bereit: „Die sozialistischen Produktionsverhältnisse bieten für ein solches Herangehen die beste Gewähr." 36) Deshalb muß auch zwischen Wachstum und Wachstum klar unterschieden werden: „Wirtschaftliches Wachstum, dessen Ziel nicht die Selbstverwertung des Kapitals, sondern das Wohlergehen der Werktätigen ist, führt nicht zum . Kollaps', sondern zum Wachstum der Menschheit." Im übrigen ist die Studie für Rechtziegler nicht nur Ausdruck der sich verschärfenden Krise des Kapitalismus, sondern auch ein Zeichen dafür, daß die bürgerlichen Ideologien zu immer „raffinierteren apologetischen Methoden im ideologischen Kampf" greifen, indem sie die Krise des Kapitalismus „in eine Krise der . industriellen Gesellschaft'umzufälschen" versuchen 37). Auch wenn gründliche Auseinandersetzungen mit dem ganzen Problemkreis aus marxistischer Sicht bisher weithin zu fehlen scheinen, so gibt es doch einzelne Arbeiten, die sehr viel behutsamer argumentieren. Das trifft etwa auf die Arbeit von Günter Hermann zu, der nicht nur die Problematik ökologischer Grenzbedingungen sieht und beschreibt, sondern in diesem Zusammenhang auch deutliche Kritik an der Vorstellung übt, die sozialistische Gesellschaft der Zukunft könne für jede beliebige Zahl von Menschen eine unbegrenzte Zahl von Konsumgütern bereitstellen. „Es bleibt die Frage", schließt Hermann seinen Aufsatz, „ob es maximalen Konsum einer maximalen Menschenzahl für unbegrenzte Zeit geben kann. Vielmehr verlangt die Optimierung (nicht Maximierung) des Systems Mensch-Umwelt unter Berücksichtigung humanistischer Traditionen und Zielstellungen die rationelle, angemessene Nutzung der Natur, die auch einen bewußten Konsum und nötigenfalls Konsumverzicht einschließt. Auch hier kann , das wahre Reich der Freiheit'nur auf der Basis der Notwendigkeiten blühen. Im Bereich dieser Notwendigkeiten bleibt die Technik ein unverzichtbares Werkzeug zur Daseinserhaltung und -gestaltung. Technik und Umweltschutz begegnen sich dann aber nicht als Widersprüche, sondern als Faktoren, die sich wechselseitig bedingen und ergänzen."

Privatwirtschaft oder Planwirtschaft?

Udo Kempf Der Bürgerbeauftragte als Kontrollorgan S. 17

Die Frage, ob am Ende ein privatwirtschaftliches oder ein planwirtschaftliches System, ob der kapitalistische oder der sozialistische Ansatz die Probleme eines begrenzten Wachstums besser zu meistern vermag, wird viel diskutiert. Im allgemeinen werden dabei die planwirtschaftlichen Systeme bevorzugt, weil die anstehenden Probleme einer zentralen Steuerung zu bedürfen scheinen. So argumentiert etwa Gerhard Helmut Schwabe, obwohl er die gemeinsame Bindung beider Systeme an den materiellen Fortschritt durchaus sieht, doch ganz im Sinne dieser opinio communis, daß der Fachmann in einem sozialistischen System, „wenn er sich auf das Gemeinwohl oder kollektive Interessen stützen kann", ein weit größeres Gewicht besitzt „als in der .freien Wirtschaft'. Damit können Fehlentwicklungen und ökologische Schäden um so erfolgreicher verhindert werden, als Privatinteressen einer strengeren Kontrolle unterliegen." Dieses Argument wäre nur stichhaltig, wenn die sozialistische Gesellschaft als Unternehmer eine klare ökologische Konzeption hätte. Davon kann jedoch, wie wir gesehen haben, keine Rede sein. Bietet das Gegenüber von Staat und privater Wirtschaft im kapitalistischen System wenigstens die Möglichkeit der Kontrolle, so fällt diese Möglichkeit in einem System, in dem der Staat selbst die Gewinnmaximierung betreibt, weg. „In der Marktwirtschaft", stellt darum Hans Christoph Binswanger mit Recht fest, „kann zwar der Staat im Hinblick auf den Umweltschutz viel eher eine Kontrollfunktion ausüben als in der sozialistischen Planwirtschaft; denn der sozialistische Staat gerät mit sich selbst in Konflikt, wenn er den Umweltschutz verwirklichen will. In der Marktwirtschaft kann demgegenüber der Staat dem privaten Unternehmer entgegentreten und so eine , countervailing-power'-Funktion ausüben."

In Wirklichkeit freilich, so meint Binswanger, sei auch in der Marktwirtschaft der Staat aus fiskalischen Gründen — nämlich als Urheber der Geldvermehrung und der Inflation — „primär auf Umweltschädigung" eingestellt. Ob das richtig ist, wird sich zeigen. Sicher ist, daß im Augenblick die Sensibilisierung für mögliche Gefahren aus dieser Richtung im Westen sehr viel größer ist als im Osten.

In dem umfangreichen Bericht des Politbüros der SED an die 9. Tagung des Zentralkomitees, den Erich Honecker am 28. Mai 1973 erstattete, sucht man beispielsweise vergeblich nach Hinweisen auf Umweltprobleme, geschweige daß die Idee möglicher ökologischer Grenzen irgendwo in Sicht käme. Der Begriff der Krise wird noch immer nur im Zusammenhang mit dem Kapitalismus gebraucht, während der Beweis für die Zukunft des Sozialismus im wesentlichen aus dem ständig steigenden Wirtschaftswachstum geführt wird. „Unsere Länder", sagte Honecker, „haben ein hohes Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung zu verzeichnen ... Die Gemeinschaft der RGW-Länder ist die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt." Und im Blick auf die Wirtschaftsprobleme der DDR heißt es, daß in der ersten Hälfte des Fünfjahresplanes zunächst die Aufgabe zu lösen war, „die Wirtschaft zu konsolidieren, einen neuen Aufschwung zu ermöglichen und wieder ein höheres Wachstumstempo zu er-reichen ... Mehr und mehr tritt aber nun die Notwendigkeit in den Vordergrund, das erreichte Entwicklungstempo auf lange Sicht stabil zu gewährleisten."

Man muß diesen noch völlig am wirtschaftlichen Wachstum orientierten Bericht mit der Regierungserklärung Willy Brandts vom 18. Januar 1973 vergleichen, um den verschiedenen Stand zumindest des Problembewußtseins vor Augen zu haben. Angesichts von „Lärm, Luft-und Wasserverschmutzung" sieht Brandt „die Vorteile des wirtschaftlichen Wachstums" in Frage gestellt. Er warnt freilich davor, „den Ausweg etwa in einer generellen Einschränkung des Wachstums und der Produktivität zu sehen"; vielmehr versteht er die Umweltproblematik als eine Herausforderung, der durch „umweltfreundliche Produkte und neue Technologien", aber auch etwa durch verbesserte Siedlungsstrukturen zu begegnen sei

Regierungserklärungen sind keine Handbücher der Gesellschaftstheorie. Aber sie verdeutlichen doch, welchen Stellenwert bestimmte Probleme im öffentlichen Bewußtsein einnehmen oder einnehmen sollen. Man kann natürlich der Meinung sein, die Grenzwertproblematik existiere für den Sozialismus nicht. Wer diese Meinung nicht teilt — und sie ist in der Tat objektiv nicht zu begründen —, kann feststellen, daß die westlichen Industriegesellschaften nicht nur weit stärker sensibilisiert sind, sondern auch die theoretische und praktische Bearbeitung der Grenzwertproblematik in sehr viel größerem Umfang in Angriff genommen haben.

Schließlich sei noch kurz auf die Frage eingegangen, welche Probleme die Idee der Grenze für den Liberalismus aufwirft. Wenn der Grundgedanke des Liberalismus „in seinem unbedingten Eintreten für die Freiheit des einzelnen" liegt, „in seiner Überzeugung, daß das Recht des einzelnen Menschen den Vorrang hat vor den Rechten überindividueller Gemeinschaften und Gesellschaften" so scheinen die ökologischen Grenzen der Menschheit zugleich die Grenzen des Liberalismus zu markieren. In der Tat wartet eine globale Notstandsplanung mit Vorschlägen auf, die praktisch eine Weltdiktatur voraussetzen und die mit unseren Vorstellungen von der Freiheit und Würde des Menschen nichts mehr zu tun haben. Insbesondere manche Überlegungen zur Bevölkerungskontrolle greifen zum Teil weit in die individuellen Rechte des einzelnen ein

Es gibt bisher noch kaum Überlegungen, ob und wie hier entstehende Spannungen ausgeglichen werden können Vergegenwärtigt man sich die Grenzproblematik mit all ihren Folgen, so muten viele der heute mit so großem theoretischen Aufwand geführten Diskussionen über das richtige Gesellschaftsmodell — vorsichtig ausgedrückt — etwas verspätet an. Aber schließlich haben auch hundert Jahre nach der Entdeckung des Kopernikus noch zahlreiche Gelehrte an der Weiterentwicklung und Vervollkommnung der geozentrischen Theorie gearbeitet.

Das Dilemma des Fortschritts

Die herrschenden Ideologien werden — soweit sie am Wachstum orientiert sind — durch die Idee der Grenze zu bestimmten Veränderungs-und Anpassungsprozessen genötigt. Erste Konturen dieser Prozesse sind im öffentlichen Bewußtsein und in der wissenschaftlichen Diskussion, aber auch in Wirtschaft, Rechtsprechung und Verwaltung in den Industriestaaten beider Hemisphären — wenn auch abgestuft — bereits deutlich erkennbar Die Frage ist nun freilich, ob Veränderungs-und Anpassungsprozesse noch genügen. Denn es mehren sich die Stimmen, die statt Veränderung und Anpassung der herrschenden Systeme ein völlig neues Verhältnis des Menschen zu seiner Welt fordern, eine neue Gesellschaft, eine neue Ethik, eine neue Wissenschaft und eine neue Religion. Kapitalismus und Sozialismus gelten hier, jedenfalls in ihren gegenwärtigen Formen, als Zwillingsgeschwister des Fortschrittsglaubens, der überwunden werden muß, und die neue Welt wird darum gleichsam jenseits dieser Ideologien gesucht. Grover Foley hat dieses heute weitverbreitete Gefühl eindrucksvoll formuliert: „Letztlich berühren beide Probleme, die nukleare und die ökologische Katastrophe, die Quellen der menschlichen Natur: Ethik und Religion des Menschen. Nicht nur die Technologie und auch nicht nur unsere gesellschaftlichen und politischen Strukturen (so erstarrt und hoffnungslos sie auch sind) müssen wir verändern, sondern die Menschen selbst. Und solange wir uns dieser Aufgabe nicht direkt stellen und einen Weg zur Veränderung des Menschen finden, führen wir bloße Rückzugsgefechte. Die Fluten der Zerstörung werden hereinbrechen, und wenn wir noch so viele Sandsäcke am Strand aufhäufen, und zwar nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern wahrscheinlich in fünf bis fünfzehn Jahren." Wenn die Menschheit nicht durch einen Atomkrieg aufgeschreckt und aufgerüttelt wird, sieht Foley nur zwei Alternativen: „Entweder ein vollständiger Wandel unserer Ziele und Werte, so durchschlagend wie eine altmodische religiöse Bekehrung, oder den Schluß, den Robert Oppenheimer kurz vor seinem Tod gezogen hat: das Abtreten der Zivilisation, bevor die Zivilisation das Abtreten des Menschen bewirken kann"

Neuromantische Gegenkultur

Daß diese apodiktischen Formulierungen ins Zentrum unseres Problems zielen, ist offenkundig. Denn Entwicklung, Wachstum und Fortschritt sind Wertbegriffe, die auf dem Weg über menschliche Entscheidungen jenen Prozeß in Gang gesetzt haben, dessen Grenzen jetzt in Sicht kommen. Was liegt also näher, als jene Wertbegriffe zu überprüfen und womöglich zu ändern? So heißt es denn auch in der „Kritischen Würdigung" der Studie durch den „Club of Rome", daß die Ergebnisse der Untersuchungen „trotz der materiellen Ausrichtung des Modells" die Notwendigkeit zeigten, „die grundlegenden Wertmaßstäbe in unserer Gesellschaft zu ändern"

Was aber bedeutet „ein vollständiger Wandel unserer Ziele und Werte", die Veränderung der „grundlegenden Wertmaßstäbe in unserer Gesellschaft"? Es gibt einige — nicht sehr viele — Versuche, diese Frage zu beantworten. Wir beginnen ihre Erörterung mit einigen Sätzen von Karl Löwith, in denen das Problem und bestimmte Lösungsansätze recht genau bezeichnet sind: „Die Frage ist", so schrieb Löwith 1963, „gibt es für uns noch eine Instanz, die den an sich maßlosen Fortschritt begrenzen könnte, oder ist es unaufhaltsam, daß der Mensch alles machen wird, was er machen kann?“ 49)

Diese Frage ist inzwischen zu einer schon fast klassischen Formulierung unserer Verlegenheit geworden, und auch die folgenden Über-zeugungen Löwiths werden heute vielfach wiederholt. Löwith sieht „an diesem entscheidenden Punkt" einen Unterschied zwischen dem griechischen und dem modernen, nach-christlichen Denken. Während im griechischen Denken, gerade auch im Mythos von Prometheus, „eine heilige Scheu vor jedem Eingriff in die Mächte der Natur" bewahrt geblieben ist, scheint heute „jede Scheu verschwunden zu sein". Löwith meint, daß in unserem naturwissenschaftlichen Verhältnis zur Welt, das diese nur als „ein in mathematischen Gleichungen darstellbares Beziehungssystem von Energiequanten" verstehe, der entscheidende Fehler liegt, und er folgert deshalb:

„Und solange wir nicht unser gesamtes Verhältnis zur Welt, und damit zur Zeit, von Grund aus revidieren, sondern mit der biblischen Schöpfungsgeschichte und den christlichen Begründern der modernen Naturwissenschaft voraussetzen, daß die Welt der Natur für den Menschen da ist, ist nicht abzusehen, wie sich an dem Dilemma des Fortschritts etwas ändern sollte."

Das gesamte Verhältnis zur Welt und damit zur Zeit zu revidieren: dies ist nun in der Tat das Ziel jenes radikalen Versuchs, den Theodore Roszak unter dem Begriff der „Gegen-* kultur" darzustellen unternommen hat Mit diesem Buch will Roszak ein neues Zeitalter ankündigen, eben das Zeitalter der „Gegenkultur", und dieses Zeitalter trägt alle Züge einer grundlegenden Revision, eines vollständigen Wandels unserer Beziehungen zur Welt und Zeit.

Roszak beginnt mit einer vernichtenden Kritik der Industriegesellschaft und ihrer technokratischen Struktur, die jede Spontaneität und Unmittelbarkeit tötet. Wir sagen „Erziehung", schreibt er, in Wirklichkeit aber handelt es sich um „ein mechanisches Zurechttrimmen" für unsere zahllosen bürokratischen Einrichtungen. Wir sagen „freie Marktwirtschaft" und meinen „ein äußerst restriktives System" von Marktmanipulation, das nutzloser Rüstung dient und den Konsumenten verdummt. Wir sagen „schöpferische Freizeitgestaltung" und meinen Zugaben für Karrieremacher; wir sagen „Pluralismus", „Demokratie", „Diskussion" und meinen jeweils doch nur eine manipulierte Scheinfreiheit, die uns über die Wirklichkeit hinwegtäuschen soll Roszak weiß natürlich auch, daß er hier die gängige Kritik der jungen Linken aufnimmt, die in diesen Entfremdungsprozessen die konsequente Folge der Profitorientierung im kapitalistischen System sehen. Es ist bezeichnend, daß Roszak ausdrücklich vor dieser Vereinfachung warnt Für ihn heißt der Feind nicht „Kapitalismus", sondern „Technokratie" — und Technokratie gibt es in allen Industrie-gesellschaften. „Während die politische Auseinandersetzung zwischen den kapitalistischen und kollektivistischen Gesellschaften in der Welt weitergeht, erweitert und festigt die Technokratie ihre Herrschaft in beiden Systemen als ein jenseits aller Politik liegendes Phänomen; das ergibt sich zwangsläufig aus der Forderung nach industrieller Leistungsfähigkeit, Rationalität und Nützlichkeit." Gegen diese technokratische Welt sieht Roszak den besten Teil der jungen Generation rebellieren. Auch wo ihr dies nicht bewußt ist, handelt sie in einer Art Einverständnis mit jenem Manifest, das im Mai 1968 am Haupt-portal der umkämpften Sorbonne hing: „Die kommende Revolution wird nicht nur die kapitalistische, sondern die Industriegesellschaft in Frage stellen. Die Konsumgesellschaft muß zerschlagen werden. Die entfremdete Gesellschaft muß aus der Geschichte verschwinden. Wir schaffen eine neue ursprüngliche Welt. Wir wollen die Machtergreifung der Phantasie."

Dieses Manifest liefert gewissermaßen die Stichworte, mit deren Hilfe Roszak die verschiedensten Erscheinungsformen der Rebellion interpretiert. Das macht für ihren linken politischen Flügel einige Schwierigkeiten, weil Roszak sieht, daß das, was ihm wichtig ist, nämlich die Phantasie, für Marx keineswegs ebenso wichtig ist, daß vielmehr die marxistische Ideologie „auf eine Existenz ohne Traum und Phantasie" hinausläuft und wir mit ihr „unweigerlich in den versteinerten und verhärteten Bereich der unangefochtenen technologischen Notwendigkeiten" geraten Leichter gelingt diese Interpretation dagegen, wo es um die anderen Formen der Rebellion geht. Hinwendung zu östlicher Religiosität, Bewußtseinserweiterung durch kontrollierten Drogengebrauch, die utopische Gesellschaft von Paul Goodman, alles also, was die „Gültigkeit der traditionellen wissenschaftlichen Weitsicht in Frage" stellt, ist für Roszak Zeichen der Hoffnung auf eine neue Welt Das Ziel ist klar. Es heißt: Sturz des objektiven Bewußtseins, der Wissenschaft, der Technokratie; statt dessen Herrschaft der Subjektivität des Gefühls, der Phantasie, der Vision. Die Grundfrage der Zukunft lautet nicht: „Wie sollen wir wissen?", sondern sie lautet: „Wie sollen wir leben?" „Diese Frage stellen heißt darauf bestehen, daß der primäre Zweck menschlicher Existenz nicht darin besteht, immer mehr Wissenschaft anzuhäufen, sondern Tag für Tag Lebensformen zu entdecken, die unsere gesamte Natur umfassen, indem sie eine wirklich menschliche Lebensführung, rückhaltlose Kameradschaft und Freude erzeugen ... Es ist nicht so wichtig, daß jemand ein guter Wissenschaftler, ein guter Gelehrter, ein guter Administrator, ein guter Experte wird . . . Wichtig ist vielmehr: daß jeder von uns eine Persönlichkeit wird, ... die ein Gespür hat für die wirklich erfahrene menschliche Vielfalt, ein Gespür dafür, daß man sich auf eine Realität von gewaltiger Grenzenlosigkeit eingelassen hat."

Roszak läßt die Frage offen, wie die Technokratie gestürzt werden kann. Offensichtlich vertraut er den wachsenden Kräften der Gegenkultur, obwohl er auf die gefährliche Fähigkeit der technischen Zivilisation, alles in Konsum zu verwandeln, ausdrücklich aufmerksam macht

Ivan Illich, dessen Gesellschaftskritik bis in einzelne Begriffe und Bilder hinein mit der Roszaks übereinstimmt, wird an diesem Punkt genauer und konkreter. Für ihn ist die Schule jenes Instrument, mit dessen Hilfe sich die Gesellschaft Technokraten und Konsumenten erzieht, und er fordert deshalb konsequent die Abschaffung der Schule als öffentlicher Unterrichtsanstalt und ihren Ersatz durch — wie Illich das nennt — „Bildungsgeflechte", „die für jeden mehr Möglichkeiten schaffen, jeden Augenblick seines Lebens in eine Zeit des Lernens, der Teilhabe und Fürsorge zu verwandeln"

Der Kernsatz der Kritik Illichs lautet: „Wir werden nicht über die Verbrauchergesellschaft hinausgelangen, sofern wir nicht vorher begreifen, daß pflichtmäßige öffentliche Schulen unweigerlich eine solche Gesellschaft reproduzieren, was immer in ihnen gelehrt werden mag."

Wenn früher die Entfremdung in der Arbeitswelt entstand, so geschieht sie gegenwärtig in den Schulen, die die Menschen „für einen disziplinierten Konsum" zurechtschleifen So wie vor zweihundert Jahren die Religionsfreiheit, so muß deshalb heute die Schulfreiheit eingeführt werden. Examina und Diplome sind abzuschaffen, was „Befähigungsprüfungen für ein Amt oder eine sonstige Aufgabe nicht ausschließen" würde An die Stelle des immer aufwendigeren und immer problematischeren staatlichen Schulsystems aber soll eine umfangreiche — notabene durch Computer ermöglichte — Information über Bildungsgegenstände, eine Börse für Fertigkeiten, eine Lernpartnervermittlung und ein Nachweisdienst für Erzieher aller Arten treten — insgesamt ein System also, das jedem nach seinen Interessen, seinen Fähigkeiten und seinen Willensimpulsen völlig freien Zugang zu jeder Art des Lernens und des Lehrens ermöglicht Die.

Hoffnung, die Illich mit dieser „Entschulung"

verbindet, ist jenseits von Kapitalismus und Sozialismus angesiedelt. Nach seiner Überzeugung sind „sowohl die kapitalistischen als auch die kommunistischen Länder in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ... darauf festgelegt, die Leistungsfähigkeit nach dem in Dollar ausgedrückten Verhältnis von Kosten zu Nutzen zu bemessen" Um die Zukunft jenseits dieser Kosten-Nutzen-Rechnungen deutlich zu machen, bedient sich Illich, ganz ähnlich wie Karl Löwith, des griechischen Mythos von Prometheus und Epimetheus. Er ruft dazu auf, die Entscheidung für Prometheus, und das heißt die Entscheidung für Wissenschaft, Technik, Fortschritt, Weltbeherrschung und Weltbewältigung, zu revidieren und Epimetheus wieder in seine Rechte einzusetzen als Namen für diejenigen, „denen Hoffnung mehr bedeutet als Erwartungen" und „die Menschen mehr lieben als Produkte"

Sind diese Entwürfe reale Möglichkeiten? Ich meine nicht. Denn es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß dem Sturz der Technokraten und Experten und dem Ende der Verschulung und Ausbildung lediglich die manipulierten Bedürfnisse der Menschen entgegenstehen. Tatsache ist vielmehr, daß der größte Teil der Menschheit seine materielle Existenzgrundlage niemandem anders als den in öffentlichen Schulen ausgebildeten Technokraten und Experten verdankt und daß bei wachsender Weltbevölkerung keine Verhältnisse denkbar sind, in denen das je anders werden könnte.

Das gilt für das Ernährungsproblem, das nur Experten lösen können; das gilt aber auch für viele andere Bereiche unserer Gesellschaft, für ihren Gesundheitsdienst, für die Versorgung mit Wasser und Energie und zahlreiche Dinge, die zunächst ganz einfach dazu dienen, unsere Existenz zu ermöglichen und zu erhalten.

Elitäre Illusionen Man kann die elitäre Gedankenlosigkeit des Roszakschen Modells im Grunde an einem einzigen Satz aufzeigen. Er enthält Roszaks Antwort auf die Frage, wie man ohne Kompromiß mit der technokratischen Welt erwachsen werden kann. Diese Antwort lautet: „Man gründet eine Kommune mit jenen, die man liebt und respektiert, in der dauernde Freundschaft existieren kann und in der durch gegenseitige Hilfe und ehrenhafte und befriedigende Arbeit drei Mahlzeiten zusammengebracht werden." Wenn eine solche Kommune in der Stadt lebt, so verdankt sie die Möglichkeit ihrer Existenz den Experten, die die Wasser-, Strom-und Lebensmittelversorgung überwachen und die Beseitigung der Abfälle organisieren, die auch bei drastischer Reduktion des Konsums ja immer noch anfallen. Zieht die Kommune in ein klimatisch günstiges Gebiet, wo sie in der Weise der von Roszak gepriesenen neolithischen Dorfdemokratie lebt, so brauchen es ihr nur zehntausend weitere Kommunen nachzutun, um in der glücklichen Einsamkeit alle Probleme entstehen zu lassen, die eine moderne Großstadt auch hat, und die sie durch Experten mehr schlecht als recht zu lösen versucht. Das aber heißt, auch Kommunen sind auf die verhaßten technokratischen Experten angewiesen — entweder gleich oder später. Alles andere ist Selbstbetrug. Experten aber bedürfen der gezielten Ausbildung. Diese Ausbildung ist geradezu die Definition des Experten. Der Kulturkritiker mag daran vieles verwerflich finden — ehe er nicht erklärt, wie die Welt ohne Experten überleben kann, wird es wohl beim herkömmlichen Schulsystem bleiben müssen. Denkt man Roszaks Ansatz konsequent zu Ende, so führt er zu einer radikalen Ablehnung jeder Art von technischer Weltveränderung — auch in der Dritten Welt. Roszak sieht das auch durchaus, wenn er darauf aufmerksam macht, „daß selbst die fundamentale Politik — der Kampf gegen Rassendiskriminierung, weltweite Armut und Unterentwicklung — leicht zum Mittel für die Technokratie werden kann, immer mehr Bereiche der Welt in ein gutgeöltes, total rationalisiertes Managertum zu integrieren" Was statt dessen in der Dritten Welt geschehen soll, sagt Roszak freilich nicht. Man wüßte jedoch gerne, ob er etwa einen ausgebauten Gesundheitsdienst und die Herabsetzung der Säuglingssterblichkeit für ein Zeichen von Technokratie hält oder nicht.

Hier wird das wirkliche Dilemma des Fortschritts deutlich. Es ist kein Zweifel, daß die Neuromantiker Recht haben, wenn sie feststellen, daß der technische Fortschritt immer weitere Bereiche des menschlichen Lebens erfaßt und verändert. Daß die Gesetze der technischen Welt ins Unmenschliche umschlagen nicht zu bestreiten. können, ist Aber solange im größten Teil der Welt Gesundheit und Sattsein mit dem technischen Fortschritt identisch sind, trägt der romantische Kampf gegen die Technokratie unmenschliche Züge

Das Ziel der Neuromantiker, Menschen dazu zu bringen, gleichsam „taub und blind" zu werden „gegenüber den Verlockungen durch Karriere, Überfluß, Massenkonsum, Machtpolitik und technischen Fortschritt" ist eindrucksvoll und überzeugend. Der Weg über psychedelische „Trips", östliche Meditation, weltflüchtige Kommunen und Anrufung des großen Schamanen ist abstrus und gefährlich Denn nicht die exzessive Bindungslosigkeit der Gegenkultur wird den Fortschritt zu bändigen vermögen, sondern die Einsicht in seine Grenzen und die strenge, moralische Pflicht ihrer Beachtung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Charakteristisch für solche Schlußfolgerungen aus der Studie ist etwa der folgende Abschnitt in dem Buch „Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums" (Hamburg 1972) von Carl Amery: „Eine Lage wie diese erfordert die Würdigung auch der kältesten Alternative. Eine der kältesteh wäre eine globale Diktatur, die der unvorbereiteten Menschheit fünf Minuten vor zwölf den grausamen Weg der Vernunft aufzwingt. Dabei ginge es, nach der MT-Prognose, um Jahre: nur bei einer rechtzeitigen Umstellung unserer Aktivitäten Vor oder um 1975 Wären katastrophale Folgen von globalem Ausmaß abzuwehreh. Jedes weitere Jahr verschlechtert die Chancen und damit die Möglichkeit, die Zukunft mit erträglichen Mitteln zu bewältigen. Das hieße, daß die Menschheit vermutlich an irgendeinem Punkt ohnehin Zu brutalen Repressionsmaßhahmen übergehen müßte. Diesen wäre der aufgeklärte Absolutismus einer mit allen Polizeivollmachten ausgestatteten Weltbehörde sicher vorzuziehen" (S. 244 f.). Amery lehnt diese Lösung nicht ab, weil sie ihm widerwärtig ist (das ist sie ihm), sondern weil er sie für unpraktikabel hält. Immerhin, als Möglichkeit wird dies bereits erwogen.

  2. Karl Marx, Werke, hrsg. v. H. -J. Lieber, Bd. II, 1971, S. 823.

  3. A. a. O„ S. 821.

  4. W. Sombart, Der moderne Kapitalismus, 2. Bd., Die Theorie der kapitalistischen Entwicklung, 1902, S. 70.

  5. A. a. Ü., S.

  6. Vgl. auch die Definition des Kapitalismus im 1. Band, Die Genesis des Kapitalismus, 1902, S. 195: „Kapitalistische Unternehmung ... nenne ich diejenige Wirtschaftsform, deten Zweck es ist, durth eine Stimme von Vertragsabschlüsse über geldwette Leistungen und Gegenleistungen eifi Sachvermgen ZU verwerten, d. h. mit einem Aüfsßhläg (Profit) dem Eigentümer zu reproduzierett. ” ’j Joseph A. Schumpeter, Business Cycles. A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process, vol. II, New York und London 1939, S. 1033. Dt. Konjunkturzyklen, Bd. 2, 1961, S. 1065.

  7. Konjunkturzykleh, a. a. O., S. 1065.

  8. So G. Kade, Umwelt: Durch das Profitmotiv in die Katastrophe, in: Wirtschaftswoche, 1. iÖ. 1971. Dazu die kritische Stellungnahme voh R: Thoss, in: Wirtschaftswoche, 8. 10. 1971.

  9. Eine guten Überblick über diese Diskussion gibt W. A. Jöhr, Bedrohte Umwelt Die Nationalökonomie vor neue Aufgaben, ini Umweltschut und Wirtschaftswachstum. Symposium für wirtschaftliche und rechtliche Fragen des Umweltschutzes an der Hochschule St. Gallen, hrsg. von M. P. V. Walterskirchen, Frauenfeld 1972, S. 41— 125.

  10. So auch Bruno S. Frey, Umweltöken@mie, Göttingen 1972, S. 75. „. . . die oft gehörte Alternative Wachstum oder Umwelt ist in dieser einfachen Form unhaltbar."

  11. H. C. Binswanger, Eine umweltkonforme Wirtschaftsordnung, in: Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, a. a. O., S. 136.

  12. H. Giersch, Mehr Lebensqualität — trotz Wachstum, in: Wirtschaftswoche, 18. 5. 1973, S. 78— 82. Interessanterweise vertritt Kurt H. Biedenkopf, der die Lösung des Problems ebenfalls in einer „Verlagerung vom quantitativen zum qualitativen Wachstum“ sieht, die Meinung, daß diese Verlagerung „nach der gegenwärtigen Organisation unserer Wirtschaft und Gesellschaft nicht auf Marktvorgängen, sondern auf politischen Entscheidungen beruhen" wird. Kurt H. Biedenkopf, Ohne Wachstum keine Reform, in: Deutsche Zeitung /Christ und Welt v. 13. 10. 1972, S. 19. Sehr viel kritischer hinsichtlich der Übergangsschwierigkeiten vom quantitativen zum qualitativen Wachstum äußert sich Emil Küng. Er hält eine „langfristige Depres

  13. A. a. O., S. 138 ff. Zur Grenzfunktion der Energie vgl. neben E. Kowalski, Die Grenzen des Wachstums, in: Neue Zürcher Zeitung v. 8. 9. 1972, vor allem die Arbeiten von Klaus M. Meyer-Abich, insbes. Die ökologische Grenze des Wirtschaftswachstums, in: Umschau 72, 1972, S. 645— 649. Nach Meyer-Abichs Überzeugung ist „langfristig entscheidend" „nicht das Problem der Schadstoffbelastung, sondern das der Wärmebelastung der Umwelt. Danach ergibt sich die ökologische Grenze des Einsatzes von Energie als die eigentliche Grenze des Wirtschaftswachstums " Es geht dabei im Prinzip um die Frage, ob durch die exponentiell wachsende Energieerzeugung soviel Wärme frei wird, daß sich langfristig eine irreparable Veränderung des Erdklimas ergibt. Meyer-Abich, der bei anhaltenden Steigerungstendenzen einen Anstieg des Weltenergieverbrauchs „um einen Faktor 300" errechnet, kommt in seiner zeitlichen Prognose den Ergebnissen von Forrester und Meadows nahe. (Zitiert nach einer dem Verf. von K. M. Meyer-Abich freundlicherweise zur Verfügung gestellten Zusammenfassung: Die ökologische Grenze des herkömmlichen Wirtschaftswachstums, Juli 1973, Ms). Die ganze Frage soll jetzt von einer Studiengruppe „Wärmebelastung der Umwelt" in einem eigenen Forschungsprogramm unter Leitung von K. M. Meyer-Abich überprüft werden.

  14. H. C. Binswanger, Eine umweltkonforme Wirtschaftsordnung, a. a. O., S. 140.

  15. Frey, a. a. O., S. 33 f. Zur Einführung in das Problem der sozialen Indikatoren vgl. W. Zapf, Lebensqualität und soziale Indikatoren, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 1972, S. 267— 279. Die Schwierigkeit der Bestimmung von „Wohlfahrt" erhellt aus der folgenden These von Zapf: „Wie also kann man die Dimensionen der Lebensqualität bestimmen? Meine Antwort oder These ist: In wissenschaftlichem Dialog und politischer Auseinandersetzung, deren letzter Bezugspunkt die Zufriedenheit der Individuen zu sein hat, die aber manifeste Zufriedenheit zunächst selbst in Frage stellen müssen." S. 276.

  16. A. a. O., S. 78.

  17. A. a. O., S. 80. Hervorhebung im Original.

  18. Joseph Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1912, insbes. S. 170 ff.

  19. David C. McClelland, The Achieving Society, Princeton, 1961. Dt. Die Leistungsgesellschaft. Psychologische Analyse der Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung, 1966.

  20. Siehe oben S. 4.

  21. W. I. Lenin, Werke, Dietz Verlag Berlin, 19663, Bd. 31, S. 511 ff.

  22. Zitiert nach: Marxistische Philosophie, Lehrbuch, hrsg. v. A. Kosing, Dietz Verlag Berlin, 1967, S. 657.

  23. Karl Marx, Werke, a. a. O., Bd. III, 2, 1960, S. 1024. Vgl. dazu auch B. Meißner, Fortschrittsgedanke und gesellschaftliche Transformation in der marxistisch-leninistischen Ideologie, in: Die Idee des Fortschritts, hrsg. v. E. Burck, 1963, S. 115.

  24. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft), 1973, 2. Bd., S. 771.

  25. A. a. O., S. 175. Vgl. auch die charakteristische Polemik Blochs gegen Malthus, a. a. O., S. 542 ff.

  26. Vgl. dazu etwa H. Flohn, Klimaschwankungen Fakten und Probleme, in: und Klimamodifikation.

  27. H. Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Frankfurt 1965, S. 151. Es geht dabei um „die Realisierung des Prinzips: , Jedem nach seinen Bedürfnissen'". S. 150.

  28. A. a. O„ S. 154.

  29. A. a. O„ S. 155 f.

  30. Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt 1970, S. 647.

  31. A. a. O., S. 649.

  32. A. a. O„ S. 727 f.

  33. Marxistische Philosophie, a. a. O., S. 161 f.

  34. G. Hermann in: Technik und Umweltschutz — Erfassung und Auswirkungen von Luftverunreinigungen, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1972. Zitiert nach dem Abdruck in: Umwelt, 2/73, S. 19.

  35. G. H. Schwabe, Zur Mechanik der Okokata-Strophe, in: Ökologie und Lebensschutz in internationaler Sicht, hrsg. v. H. Sioli, 1973, S. 380.

  36. H. C. Binswanger, Eine umweltkonforme Wirtschaftsordnung, in: Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, a. a. O., S. 135 f.

  37. Neues Deutschland v. 29. 5. 1973, S. 4 f. Das „Weltproblem, den wachsenden Energie-und Rohstoffbedarf zu decken", und die daraus folgende Aufgabe, „den Aufwand an Material und Rohstoff je 100 Mark Warenproduktion" zu senken, kommt im Bericht nur beiläufig als Frage der wirtschaftlichen Effektivität und des wirtschaftlichen Wachstumsspielraums in den Blick.

  38. Regierungserklärung des zweiten Kabinetts Brandt/Scheel vom 18. Januar 1973, hrsg. v. Presse-und Informationsamt der Bundesregierung (1973), S. 31 ff.

  39. K. Scholder, Liberalismus, in: Politik für Nicht-politiker, hrsg. v. H. J. Schultz, Bd. 1, 1969, S. 288.

  40. Vgl. dazu den kurzen Überblick bei Bruno S. Frey, Umweltökonomie, a. a. O., S. 97 ff. Auch die von Amery und anderen diskutierte Möglichkeit einer „globalen Diktatur" gehört in diesen Zusammenhang. (Vgl. oben Anm. 1).

  41. Zum Problem der Freiheit in einer endlichen Welt vgl. K. Scholder, Grenzen der Zukunft, a. a. O., S. 109 f.

  42. Für die Bundesrepublik etwa liegt das Umwelt-programm der Bundesregierung und ein umfangreicher Materialienband dazu vor; eine Reihe neuer Gesetze, vom Benzin-Blei-Gesetz über das Umwelt-statistik-Gesetz bis zum Abwasserabgabengesetz befinden sich in Vorbereitung oder sind schon verabschiedet; Umweltprobleme beschäftigen Bürgerinitiativen und Forschungsgruppen. Das alles wird langsam, aber merklich zu einer Veränderung des allgemeinen Bewußtseins und der objektiven Situation führen.

  43. G. Foley, Sind wir am Ende? Amerikanische Zukunftsprognosen, in: Frankfurter Hefte, 26. Jg. 1971, S. 746 und 749.

  44. Meadows a. a. O., S. 167. Die Forderung nach einer solchen grundsätzlichen Änderung unserer Wertvorstellungen taucht heute in nahezu allen Untersuchungen auf, die sich mit der „ökologischen Krise" beschäftigen. Vgl. für viele andere Carl Amery, Das Ende der Vorsehung, a. a. O., S. 221 ff.; G. H. Schwabe, Zur Mechanik der Okokatastrophe, a. a. O., S. 382 ff.; G. Picht, Wir brauchen neue überzeugungen. Von der Wechselwirkung zwischen Wachstum und Werten, in: Evang. Kommentare 6, 1973, S. 329— 332; M. Schloemann, Wachstumstod und Eschatalogie (Calwer Paperback), 1973, S. 18. Schloemann hat hier die allgemeine Überzeugung auf die Formel gebracht: „Die unwiderrufliche Alternative in allen Prognosen: Umkehr oder Untergang" 49) K. Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts, in: Die Idee des Fortschritts, hrsg. von E. Burck, 1963, S. 37 f. Hervorhebung im Original.

  45. A. a. O., S. 38 f. Vgl. auch K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1953) 1967, S. 62 f. und S. 175 ff.

  46. Th. Roszak, The Making of a Counter Culture. Reflections on the Technocratic Society and its Youthful Opposition, New York 1968. DL: Gegen-kultur. Gedanken über die technokratische Gesellschaft und die Opposition der Jugend, 1971. Ich verstehe dieses Buch als typische Zusammenfassung der vielgestaltigen neuromantischen Opposition gegen die moderne Welt.

  47. A. a. O„ S. 38 f.

  48. A. a. O., S. 40 ff.

  49. A. a. O., S. 28.

  50. A. a. O., S. 46.

  51. A. a. O., S. 150 ff., insbes. S. 152.

  52. A. a. O., S. 295 ff.

  53. A. a. O., S. 331 ff.

  54. A. a. O„ S. 66 ff.

  55. Ivan Illich, Deschooling Society, New York 1970. Dt.: Entschulung der Gesellschaft. Mit einem Vorwort von H. v. Hentig, 1972, S. 13 f.

  56. A. a. O., S. 63.

  57. A. a. O., S. 72 f.

  58. A. a. O., S. 29.

  59. A. a. O., S. 110 ff.

  60. A. a. O„ S. 154.

  61. A. a. O., S. 156 ff.

  62. Roszak, a. a. O., S. 291.

  63. A. a. O., S. 158 u. 287.

  64. A. a. O„ S. 374.

  65. Zu diesem Problem vgl. auch Karl Steinbuch, Kurskorrektur, 1973, S. 113 ff. Steinbuch kritisiert hier die zeitgenössische Gesellschaftskritik, die sich in einer hemmungslosen Interpretation von Marcuse und Habermas einen „Popanz" aufgebaut habe, „dem sie die Schuld für beinahe alle Mißstände dieser Erde aufbürdet: dem . Technokraten'...". Steinbuch fordert demgegenüber, „die tiefsitzenden Mißverständnisse zwischen Human-wissenschaften und der technischen Intelligenz auszuräumen, so daß sich eine solidarische Haltung vor den ungelösten Problemen überhaupt entwickeln kann." K. Steinbuch, über die Kontrolle des technischen Fortschritts, in: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen des technischen Fortschritts. Mit einem Vorwort von G. von Kortzfleisch und K. Tuchei, hrsg. v. VDI, 1971, S. 248.

  66. Roszak, a. a. O., S. 374.

  67. Vgl. dazu auch das Urteil von Walter Schulz in seiner klugen und abgewogenen Beurteilung der Protestbewegung: „Das eigentlich Gefährliche der Konstruktion einer repressionsfreien Kultur liegt aber darin, daß das Zukunftsbild zur gegenwärtigen Realität scheinhaft umfunktioniert wild. In solchen Ansätzen . .. bricht ein merkwürdiger emotioneller Optimismus durch, der sich jedoch als wissenschaftlich ausgibt, weil ja die Triebe als die eigentlich maßgebende Grundschicht erwiesen seien." Etwas später, nach einer Würdigung der ursprünglichen ethischen Ansätze, stellt Schulz fest, „daß die Haltung der Negation nicht nur nicht aufgegeben wird, sondern daß sich der Trend zur anarchistischen Irrationalität verstärkt. Tritt hier keine Wandlung ein, das heißt, bemüht man sich nicht um Rückbindung an die Realität, dann kann sich die positivistische Prognose bestätigen, daß dieser Protest der letzte und im Grunde bereits von der Technokratie überholte . Sehnsuchtsschrei'der Romantik sei." W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, 1972, S. 668 f.

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Klaus Scholder, Dr. phil., geb. 1930, o. Professor am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Tübingen; Mitglied des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen; Vorsitzender des Senatsauschusses für Umwelt-forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Veröffentlichungen u. a.: Kirche, Staat, Gesellschaft, in: Evangelische Theologie 18 (1958); Ideologie und Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 30/62; Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert, München 1966; Grundzüge der theologischen Aufklärung in Deutschland, in: Festschrift Hanns Rückert, 1966; Die Kirchen im Dritten Reich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/71; Umweltforschung — kein Fach, sondern eine Fragestellung, in: Umwelt 6/72; Begrenzung des Wachstums oder Katastrophe?, in: liberal, Mai 73.