I. Begriff und Vorgeschichte der Konzertierten Aktion
In allen westlichen Industriegesellschaften mit marktwirtschaftlicher Ordnung bei gleichzeitiger Anerkennung der Tarifautonomie
In der Bundesrepublik ist diese Verhaltensabstimmung im Rahmen der sogenannten „Konzertierten Aktion" versucht worden. In der Literatur und in der öffentlichen Diskussion wird der Ausdruck Konzertierte Aktion in doppelter Bedeutung verwandt. Zum einen wird damit ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Verhalten, aller für den Wirtschaftsablauf verantwortlichen Instanzen, also vor allem von Bundesregierung, Bundesbank und Tarifparteien, bezeichnet. Zum anderen wird auch das bloße Zusammentreffen der Regierung mit Vertretern der Bundesbank, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände zu gemeinsamen Beratungen Konzertierte Aktion genannt. Im vorliegenden Aufsatz wird der Ausdruck Konzertierte Aktion, wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, im Sinne einer Gesprächsrunde gebraucht. Die Notwendigkeit, die Maßnahmen der staatlichen Konjunkturpolitik und diejenigen der Sozialpartner ex ante zu koordinieren, hatte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundes-wirtschaftsministerium bereits 1956 in einem seiner Gutachten erkannt
Erst als die CDU/FDP-Regierung unter Erhard Ende 1966 von der Großen Koalition mit ei-nem anderen Kanzler abgelöst wurde, war der Weg für die Bildung einer Konzertierten Aktion frei. Ihr Anfang fiel mit drei für die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik wichtigen Ereignissen zusammen:
1. Das Jahr 1966 brachte der Bundesrepublik die erste schwerere Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg. Wirtschaftliche Stagnation, steigende Arbeitslosenziffern und Milliardendefizite bei den öffentlichen Haushalten ließen bei vielen wieder die Sorge um den Arbeitsplatz und um eine gesicherte wirtschaftliche Zukunft akut werden.
2. Der Rücktritt der FDP-Minister aus dem Kabinett Erhard löste eine Regierungskrise aus, die in aller Deutlichkeit institutioneile Schwächen des westdeutschen Regierungssystems (personalisiertes Verhältniswahlrecht, konstruktives Mißtrauensvotum) aufzeigte
3. Der Eintritt der SPD in die Große Koalition bedeutete nicht nur das vorläufige Ende einer siebzehnjährigen Oppositionsperiode für die Sozialdemokraten, sondern auch das Ende der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Unter dem neuen Wirtschaftsminister Schiller wurde nun eine staatsinterventionistische Wirtschaftspolitik eingeleitet, als deren Teilelement die Konzertierte Aktion betrachtet werden muß.
Der politisch-ökonomische Hintergrund bei der Etablierung der Konzertierten Aktion war also eine Krisensituation. Man sprach damals auch gelegentlich davon, daß nicht nur die beiden großen Parteien CDU und SPD, sondern auch die beiden großen autonomen Gruppen Gewerkschaften und Arbeitgeber-verbände sich zu einer Art „Großen Koalition" zusammengefunden hätten, um gemeinsam die Krise zu überwinden.
Bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft im Sommer 1967 fand die Konzertierte Aktion schließlich im § 3 ihren Niederschlag. Es heißt dort:
„(1) Im Falle der Gefährdung eines der Ziele des § 1 stellt die Bundesregierung Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (Konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Erreichung der Ziele des § 1 zur Verfügung. Diese Orientierungsdaten enthalten insbesondere eine Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge im Hinblick auf die gegebene Situation.
(2) Der Bundesminister für Wirtschaft hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern."
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Gesetz kein Gremium institutionalisiert, sondern lediglich den Bundeswirtschaftsminister verpflichtet, Orientierungsdaten vorzulegen. § 3 des Stabilitätsgesetzes erfaßt somit nur ein Minimum des tatsächlichen Erscheinungsbildes der Konzertierten Aktion
II. Konzeptionen und gesellschaftstheoretische Grundlagen der Konzertierten Aktion
Inhalt
Inhalt
Im Verlauf der nun schon über sechs Jahre bestehenden Konzertierten Aktion hat sich derer Beurteilung in der Wirtschaft und bei den Beteiligten gewandelt. Der zweite Abschnitt will die verschiedenen Konzeptionen von der Konzertierten Aktion, wie sie zu Anfang vertreten wurden, behandeln. Im dritten Abschnitt wird dann auf die Praxis der Konzertierten Aktion und die daraus entstandenen Konzeptionsänderungen eingegangen werden.
1. Die Konzeption des Sachverständigenrates
Seit 1964 existiert in der Bundesrepublik ein fünfköpfiges Gremium aus Wirtschaftssachverständigen, die die Aufgabe haben darzulegen, wie ihrer Ansicht nach die vier Ziele Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig verwirklicht werden können
Auch in späteren Jahresgutachten, als es wegen der inzwischen veränderten konjunkturellen Lage darum ging, einen „Wirtschaftsaufschwung nach Maß" herbeizuführen, hielt der Sachverständigenrat an* diesem Grundgedanken fest
Volkswirtschaftlich beruhen diese Empfehlungen des Sachverständigenrates auf einer Verteilungstheorie, soziologisch auf einer Konflikttheorie. Für die „fünf Weisen" ist die Einkommensverteilung mittelfristig durch Marktkräfte determiniert und durch die gewerkschaftliche Lohnpolitik oder durch unternehmerische Preisüberwälzungen allenfalls vorübergehend zu verändern
Für Verteilungskämpfe werden also nicht Interessengegensätze, sondern Unwissenheit bei den Tarifparteien verantwortlich gemacht. Der Sachverständigenrat vertritt damit eine semantische Konflikttheorie: nicht inkongruente Werte, Interessen und Zielvorstellungen sind für ihn die Ursache sozialer Konflikte, sondern bloße Mißverständnisse zwischen den sozialen Kontrahenten
Auf der Basis dieses Gesellschaftsbildes liegt die Schlußfolgerung des Sachverständigenrates nahe: Es bedarf einer Einrichtung, die das Informationsniveau aller Gruppen und Körperschaften in glaubwürdiger Weise hebt, damit niemand mehr das Gesamtproblem nur unter partiellen Aspekten sieht und jedem klar wird, welche Vorteile die Zurückstellung kurzfristiger Interessengegensätze zugunsten eines mittelfristigen Interessenausgleichs für alle bringen kann
2. Das Schiller-Konzept
Neben den Sachverständigengutachten prägten vor allem die Äußerungen des früheren Wirtschafts-und Finanzministers Schiller die Diskussion über die Konzertierte Aktion. Ausgangspunkt der Schillerschen Überlegungen ist die bereits im ersten Abschnitt erwähnte Konfliktsituation, in der sich die Regierung unter den Bedingungen von Tarif-autonomie und unternehmerischer Dispositionsfreiheit befindet: Einerseits trägt sie für den Bereich der Wirtschaftspolitik die Verantwortung, andererseits kann sie ohne Unterstützung der großen sozialen Gruppen, die autonom über Löhne, Preise und Investitionen entscheiden, die Ziele des magischen Vierecks nicht verwirklichen.
Schiller hielt es deshalb für erforderlich, gesellschaftlich mit den organisierten Gruppen „zu einer Kooperation zu gelangen und gleichzeitig diese autonomen Gruppen zu einer Kooperation miteinander hinzuführen''
Mit dieser Konzeption schloß sich Schiller zumindest teilweise den Überlegungen des Sachverständigenrates an. Denn wie die „fünf Weisen" verfolgte auch er mit den Gesprächen in der Konzertierten Aktion die Absicht, die Tarifparteien von den (negativen) Folgen etwaiger Verteilungskämpfe zu überzeugen. Im Unterschied zum Rat betonte er allerdings, daß die Konzertierte Aktion Konflikte, die für ihn ein notwendiges und unabänderliches Element jeder freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind, weder vollends beseitigen kann noch beseitigen will. Vielmehr ging es ihm darum, Konfliktfelder einzugrenzen und allen transparent zu machen
Seine Hoffnungen, ungeachtet aller sozialer Spannungen in der Gesellschaft zu einem gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Verhalten zu kommen, gründen sich auf den Glauben an die Mobilisierbarkeit eines Konsensus zwischen den politischen und den wirtschaftlich-gesellschaftlichen Führungsgruppen (Elitenkonsensus). Gesellschaftstheoretisch geht Schiller also von der Annahme aus, daß ein solcher Konsensus latent vorhanden ist. Er teilt damit die im Rahmen der Pluralismustheorie vertretene Auffassung, daß die Gesellschaft durch einen Kern nichtkontroverser Maßstäbe und eine alle soziale Gruppen umfassende Wertegemeinschaft über ein Feld von Zwischenzielen wie etwa Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität und Wirtschaftswachstum zusammengehalten wird
Hinter diesem Verlangen der Arbeitgeber steht das Interesse an einer stärkeren Regulation des Lohnanstiegs, die die Kalkulierbarkeit der Kosten für die Unternehmer erhöhen und damit die Planung innerbetrieblicher Investitions-und Entwicklungsvorhaben spürbar erleichtern würde
Darüber hinaus erhofften sie sich, daß der in der Konzertierten Aktion erzielbare „Konsensus omnium" ein Abgleiten der Wirtschaftspolitik in den staatlichen Einzeldirigismus verhindert
Von gänzlich anderen Vorstellungen gingen die Gewerkschaften aus, als sie sich 1967 bereit erklärten, an der Konzertierten Aktion mitzuwirken. In ihrem Grundsatzprogramm von 1963 fordern sie ein Nationalbudget, an dessen Vorbereitung sie jeweils beteiligt werden sollten
Die Konzertierte Aktion in Verbindung mit der „Neuen Wirtschaftspolitik", zu deren wesentlichem Bestandteil die alljährliche Vorlage eines Jahreswirtschaftsberichts mit einer wirtschaftspolitischen Zielprojektion gehört, schien den Gewerkschaften nun die Erfüllung dieser langjährigen Forderung zu sein. Sie glaubten, in der Konzertierten Aktion eine Plattform gefunden zu haben, von der aus sie nicht nur die Konjunkturpolitik der Regierung beeinflussen, sondern auch über langfristige gesellschaftliche Reformvorhaben und Planungen mitbestimmen könnten
III. Die Praxis der Konzertierten Aktion und ihre Rückwirkung auf die Konzeptionen
Die Wirklichkeit der Konzertierten Aktion wich indessen von dem, was sich alle von ihr versprochen hatten, wesentlich ab. Zu Anfang setzten auch noch breite Teile der Öffentlichkeit auf die Effizienz der Konzertierten Aktion große Hoffnungen, die vor allem durch den Ablauf der ersten Gespräche 1967 mit geweckt wurden. '
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß die Übereinstimmung der Beteiligten, wie sie in den im Anschluß an die Sitzungen veröffentlichten Kommuniques zum Ausdruck kam, in Wirklichkeit nur formal war. Man einigte sich nämlich auf nichtssagende Leerformeln, die von allen Teilnehmern in ihrem Sinne interpretiert werden konnten. Dazu gehörten beispielsweise nicht näher erläuterte Ausdrücke wie „negative Lohnpolitik", „die Massenkaufkraft stärkende Lohnpolitik”, „nachhaltige Kräftigung der privaten Investitionen", „soziale Symmetrie" usw. Mit diesen Leerformeln gelang Schiller zumindest teilweise die Integration der konfligierenden Gruppen auf der Basis eines formalen Minimalkonsensus. Während des Jahres 1967 wirkte sich die lediglich formale Übereinstimmung aber noch nicht störend für den Erfolg der Konzertierten Aktion aus. Denn die deutsche Volkswirtschaft hatte sich 1967 von der Rezession noch nicht erholt, so daß weder die Unternehmer große Preiserhöhungsspielräume hatten noch die Gewerkschaften hohe Lohnsteigerungen durchsetzen konnten.
Zu einer ersten ernsthaften Belastungsprobe kam es für die Konzertierte Aktion indessen bereits Ende 1967, als die Gewerkschaften darauf bestanden, die versprochene „soziale Symmetrie" herzustellen und bei den Gesprächen nicht nur konjunkturpolitische Fragen, sondern auch sozial-und gesellschaftspolitische Probleme zu diskutieren. Die Arbeitgeber weigerten sich mit der Begründung, daß die Konzertierte Aktion eine ausschließlich konjunkturpolitische Zielsetzung verfolge. Um den auftauchenden Konfliktstoff von den Hauptgesprächen fernzuhalten, schlug Schiller vor, zwei Arbeitsgruppen zu bilden. Eine befaßte sich mit Fragen der Automation und ist inzwischen in der von der Konzertierten Aktion unabhängigen Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel aufgegangen
Mit der Zeit wurde die Zahl der Teilnehmer an den Beratungen immer größer, weil Verbände, die ursprünglich nicht zum Kreis gehörten, den Wirtschaftsminister bedrängten, auch „dabeisein zu dürfen". Darunter litten nicht zuletzt Übersichtlichkeit und Arbeitsfähigkeit der Runde. Zur Zeit nehmen mehr als 50 Vertreter der einzelnen Organisationen und Gremien teil
Am heftigsten umstritten waren von Anfang an die Orientierungsdaten für die Lohnentwicklung. Vertreter der Tarifparteien
\ Die Taktik, mit der Schiller die Orientierungsdaten handhabte, deutete zweifellos darauf hin, daß er sich von ihnen eine Wirkung im Sinne seiner Ziele versprach. Im Anschluß an die zweite Sitzung am 1. /2. März 1967 versuchte er nämlich, gegen den Willen der Tarif-parteien Quasi-Lohnleitlinien in die Öffentlichkeit zu lancieren. Auf der Pressekonferenz, auf der er die Jahresprojektion des Bundeswirtschaftsministeriums erläuterte, gab er bekannt, daß die Tariflöhne auf Stundenbasis um rund 3, 5 v. H. steigen dürften. Im Zusammenhang mit dem offiziellen Kommunique, in dem von der Berücksichtigung der Orientierungsdaten bei den preis-und lohnpolitischen Entscheidungen die Rede war, mußte so in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, als ob sich die Tarifkontrahenten mit der Regierung auf diese Lohnleitlinie geeinigt hätten. Auf ähnliche Weise versuchte er, die Tarif-parteien vor vollendete Tatsachen zu stellen und der Öffentlichkeit einen Konsensus vorzutäuschen, als er im Kommunique der Sitzung vom 17. März 1970 behauptete, daß alle Beteiligten die wirtschafts-und einkommens-politischen Ziele des Jahreswirtschaftsberichts 1970 mit den ihnen autonom zur Verfügung stehenden Mitteln weiterverfolgen wollten. Beide Male distanzierten sich die Tarif-parteien im nachhinein von den Erklärungen Schillers.
In der Praxis hatten die Orientierungsdaten jedoch eine geringere Wirkung, als ihre Kritiker befürchtet hatten. Lediglich 1968 blieb die Lohnsteigerungsrate innerhalb der von Schiller gesetzten Marge, in den folgenden Jahren übertrafen die Lohnerhöhungen die Orientierungsdaten erheblich
Allmählich ließ die anfängliche Euphorie über das neue Instrument der Wirtschaftspolitik nach. Die Harmonisierung der Zielvorstellungen und Strategien des Staates und der autonomen Gruppen blieb weitgehend aus. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände unterstrichen dies, indem sie eigene Zielprojektionen veröffentlichten. Abschlußkommuniques mußten auf Wunsch der Tarifparteien so abgefaßt werden, daß daraus auch die kontrovers beurteilten Probleme hervorgingen.
Da die Ergebnisse der Konzertierten Aktion hinter den Erwartungen, die die Teilnehmer in sie gesetzt hatten, zurückgeblieben sind, änderten sich auch die von ihnen vertretenen Konzeptionen.
Der Sachverständigenrat rückte von seinem früheren harmonistischen Gesellschaftsbild ab. Die Einkommenspolitik soll seiner Ansicht nach nicht mehr Verteilungskämpfe eliminieren, sondern „durch Diskussion, die unter den Anspruch der Sachlichkeit gestellt ist, den Streit entgegengesetzter Interessen entkrampfen und auf diese Weise allseits die Bedingungen für ein Verhalten, das marktgerecht über den Tag hinaus ist, verbessern"
Bei den Tarifparteien setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Konzertierte Aktion nicht mehr ist als eine Veranstaltung zur allgemeinen Information und zu einem gegenseitigen Meinungsaustausch. Während die Arbeitgeberverbände enttäuscht waren, die Unterstützung der Regierung gegen gewerkschaftliche Lohnansprüche nicht gewonnen zu haben
Die Informationsfunktion der Konzertierten Aktion stellten auch Schiller und seine Nachfolger im Wirtschaftsministerium, Schmidt und Friderichs, in den Vordergrund. Es mag allerdings dahingestellt bleiben, ob sich das Informationsniveau bei allen Beteiligten durch die Gespräche im Vergleich zu früher tatsächlich wesentlich erhöht hat. Der eigentliche Effekt der Konzertierten Aktion dürfte, abgesehen von der Publicity-Wirkung für den jeweiligen Minister, inzwischen darin bestehen, durch die häufigeren persönlichen und informellen Kontakte zwischen den Spitzen der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Regierung eine etwas entkrampftere Atmosphäre geschaffen zu haben. Ob das allein zu einem anderen Verhalten der Tarifparteien beitragen kann, soll der folgende Abschnitt beantworten.
IV. Grenzen der Zusammenarbeit von Staat und Verbänden in der Wirtschaftspolitik
Die geringe Effizienz der Konzertierten Aktion wirft die Frage nach den Ursachen ihres Versagens auf. Woran scheitert ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Verhalten aller für den Wirtschaftsablauf verantwortlichen Instanzen?
Zunächst einmal ist daran zu erinnern, daß die Konzertierte Aktion als drittes Instrument neben der Geld-und Finanzpolitik zur Inflationsbekämpfung eingesetzt werden sollte. Man ging somit davon aus, daß die von geld-und finanzpolitischen Maßnahmen gesetzten Marktdaten allein nicht in der Lage sind, den autonomen Gruppen die Spielräume für stabilitätswidriges Verhalten total zu beschneiden
Im Grunde genommen enthält diese These das Eingeständnis, daß die marktwirtschaftliche Steuerung in einer oligopolisierten Wirtschaft nicht mehr hinreichend funktioniert. Denn das individuelle Streben nach dem maximalen eigenen Vorteil führt nicht mehr zu einem harmonischen Ausgleich der Interessen und dadurch zum Wohl aller, wie die Liberalen unterstellten, sondern im Gegenteil zu einer Überbeanspruchung des volkswirtschaftlichen Angebotspotentials, deren Folge inflatorische Prozesse sind. Gerade dieser Überbeanspruchung der Ressourcen soll aber mit der Konzertierten Aktion begegnet werden, indem in den Gesprächen an die Teilnehmer appelliert wird, die ihnen gegebenen Marktchancen nicht voll zu ihren Gunsten auszunutzen. Erhofft wird also nicht ein der Marktwirtschaft adäquates, sondern ein den marktwirtschaftlichen Prinzipien zuwiderlaufendes Verhalten. >
Schon sehr frühzeitig hat Erich Schneider darauf aufmerksam gemacht, daß eine solche „Einkommenspolitik der leichten Hand" in einer Marktwirtschaft illusorisch ist
Würden sich etwa die Gewerkschaften mit ganz geringfügigen Lohnerhöhungen zufriedengeben, die Unternehmer aber nicht bereit sein, auf Preiserhöhungen, die der Markt zuläßt, zu verzichten, so ergäbe sich eine für die Arbeitnehmer ungünstigere Einkommens-verteilung. Umgekehrt würden die Gewinne der Unternehmer schrumpfen und sich die Einkommensverteilung zu ihren Lasten verschieben, wenn sie auf Preiserhöhungen verzichteten, die Gewerkschaften aber eine aggressive Lohnpolitik betrieben. Mit anderen Worten: Ein Verzicht auf volles Ausnutzen der Marktchancen wirkt sich zum Nachteil einer Gruppe aus, wenn die anderen nicht diesem guten Beispiel folgen.
Dieses Dilemma ist auch die Ursache für die geringen Erfolgsaussichten des neuerdings wieder vorgeschlagenen Stabilitätspaktes. Wird der Stabilitätsbeitrag einer Gruppe nicht durch eine entsprechende Zurückhaltung der anderen Gruppe honoriert, meldet die benachteiligte Gruppe einen Nachholbedarf an, dessen Durchsetzung wieder Abwehr-reaktionen und erneute Forderungen der Gegenseite auslöst.
Dem Sachverständigenrat ist also insofern zuzustimmen, als die Ursache für den schleichenden Preisanstieg tatsächlich in dem Bemühen aller Unternehmen, Gruppen und Körperschaften zu sehen ist, durch Ausnutzen der vollen Marktchancen ihren jeweiligen Anteil am Bruttosozialprodukt zu erhöhen. Nicht geteilt werden kann jedoch die Auffassung des Rates, daß dieser Verteilungskampf auf Unwissenheit der Beteiligten über volkswirtschaftliche Zusammenhänge zurückzuführen ist.
Der Verteilungskampf muß vielmehr als Ausfluß des in einer Gesellschaft vorhandenen Dissenses über eine gerechte Verteilung des Sozialproduktes betrachtet werden. Jede Gruppe, sogar jeder einzelne hat eine andere Vorstellung darüber, wie eine gerechte Verteilung der Güter auszusehen hätte. Der Hinweis, „jeder soll soviel bekommen, wie er zum Bruttosozialprodukt beigetragen hat", bringt keinen Schritt weiter, weil der Beitrag des einzelnen (und auch seine Leistung) nicht ermittelt werden kann
Wäre ein gesamtgesellschaftlicher Konsensus über eine gerechte Verteilung zu erzielen, so ließe sich auch ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Verhalten aller auf freiwilliger Basis erreichen. Denn derjenige, dem der Markt ein zusätzliches Einkommen zuspielt, wäre dann vermutlich bereit, darauf zu verzichten und es einem anderen zuzuführen, weil es seinen eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen entspräche.
Die Übereinstimmung über den Inhalt des Verteilungszieles fehlt indessen gerade zwischen den Gruppen, auf die es bei der Stabilitätspolitik vor allem ankommt: zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die inkongruenten wirtschaftspolitischen Zielprojektionen des DGB und des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen Wirtschaft lassen die Interessengegensätze ganz klar hervortreten. Dem Ziel der Gewerkschaften, die Einkommens-und Vermögens-verteilung zugunsten der Arbeitnehmer zu verändern und deren sozialen Status zu verbessern, steht das Bestreben der Arbeitgeber-verbände gegenüber, die gewerkschaftlichen Ansprüche abzuwehren und die Verteilung von Einkommen, Macht und sozialem Status eventuell sogar noch zu ihren Gunsten zu verschieben.
Bei den Meinungsverschiedenheiten zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden handelt es sich folglich nicht um Führungskonflikte
Neuere empirische politologische Untersuchungen stützen diese Behauptungen vom mangelnden Konsensus in komplexen Industriegesellschaften
Auch innerhalb der Eliten
Gegen die hier vertretene These von einem antagonistischen Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ließe sich vielleicht einwenden, daß die geringe Anzahl von Streikbewegungen in der Bundesrepublik auf das Gegenteil, nämlich ein entspanntes soziales Klima, hindeute. Wenn fest-zustellen ist, daß sich die Tarifparteien meistens auf dem Verhandlungswege einigten, so dürften doch eigentlich die Interessengegensätze zwischen beiden nicht allzu groß sein.
Dieser Einwand verkennt die wesentlichen Strukturunterschiede zwischen einem Tarif-kampf und der Konzertierten Aktion. Bei einer Tarifauseinandersetzung ist nämlich der Verhandlungsgegenstand in der Regel negoziabel, weil zwischen (quantitativer) Forderung der einen und (ebenso quantitativem) Angebot der anderen Seite ein Kompromiß gefunden werden kann, der keine der Parteien in die Rolle des Verlierers versetzt. Außerdem haben sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände Interesse an einer Einigung. Denn beide wollen einen Eingriff des Staates in die Tarifautonomie verhindern und bemühen sich deshalb um schnelle Abschlüsse, um der Regierung keinen Anlaß zu einem staatlichen Lohndiktat zu geben. Ein „Friedensschluß auf Zeit" kommt daher ohne weiteres bei Tarifverhandlungen zustande.
In der Konzertierten Aktion versuchte demgegenüber jeder Teilnehmer, seine Machtposition zu festigen und auszubauen und Einfluß auf die Aktionsparameter der anderen zu gewinnen. Die Regierung möchte, wenn auch ohne hoheitlichen Zwang, die Politik der Tarifparteien beeinflussen, ohne ihnen aber, quasi als „Gegenleistung", wirksame Mitbestimmungsrechte bei den Regierungsentscheidungen einzuräumen. Die Arbeitgeberverbände wollten ihre gesellschaftliche Machtstellung sichern, indem sie die Konzertierte Aktion als Abwehrinstrument gegen alle Veränderungen einzusetzen versuchten, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Die Gewerkschaften beabsichtigten ihrerseits, die Konzertierte Aktion als Instrument zu benutzen, um ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen einer Machtumverteilung zugunsten der Arbeitnehmer durchzusetzen.
Die Auseinandersetzungen über die adäquate Aufgabenstellung der Konzertierten Aktion und über den Kreis der in den Gesprächen zu diskutierenden Fragen sind also äußere Anzeichen des Ringens aller Teilnehmer um mehr politische und ökonomische Macht. In der Praxis ist es indessen keinem von ihnen gelungen, seine Konzeption der Konzertierten Aktion zu verwirklichen und damit seine eigene gesellschaftliche Machtposition zu vergrößern. Vielmehr ist das Streben aller nach mehr Macht unentschieden Die ausgegangen.
Regierung hat nicht mehr Einfluß auf die Tarifpolitik, die Tarifparteien nicht mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten über die Regierungspolitik als vorher
Auf der Basis der geschilderten Interessen-konstellation und der divergierenden Konzeptionen von der Konzertierten Aktion kann in der Gesprächsrunde nur eine formale Übereinstimmung erzielt werden, es sei denn, eine außergewöhnliche Situation, wie z. B. eine Depression oder ein Krieg erzeugt übergeordnete gemeinsame Interessen und übt einen Zwang zur Einigung aus. Probleme der Verteilung von Einkommen und Macht in der Gesamtgesellschaft, die mit jeder Konjunkturpolitik untrennbar verknüpft sind
Akzeptiert man diese These von der struktur-bedingten konsensualen Leistungsschwäche der Konzertierten Aktion, so scheidet das „autonome Verbandsinteresse", auf das gelegentlich noch verwiesen wird
Ohne generell leugnen zu wollen, daß „autonomes Verbandsinteresse" in der Verbands-politik gelegentlich eine Rolle spielt
Von größerer Relevanz für eine Konsensusbildung als das Verhalten der Verbandsspitzen sind demgegenüber die Reaktionen der Verbandsmitglieder. Sowohl neoliberale Autoren
Im Grundsatz kann die Möglichkeit verbands-interner Widerstände als Antwort auf einen Kompromiß bei der gesamtwirtschaftlichen Verhaltensabstimmung nicht ausgeschlossen werden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang vor allzu eilfertigen Schlüssen aus empirischen Tatbeständen, wie etwa den spontanen Arbeitsniederlegungen im September 1969, zu warnen.
Untersuchungen dieser Streiks
Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß die Konzertierte Aktion im Sommer 1969 mehrere Monate nicht zusammengetreten war. Es läßt sich deshalb zumindest fragen, ob die wilden Streiks nicht zu vermeiden gewesen wären, wenn die Gewerkschaften kurz vorher in dieser Runde Gelegenheit gehabt hätten, Regierung und Arbeitgeberverbände auf die Unruhe in den Betrieben aufmerksam zu machen. Da keinem der Beteiligten an wilden Streiks gelegen sein konnte, hätte in diesem Falle ein Konsensus über vorbeugende Maßnahmen, etwa vorzeitige Tarifverhandlungen, wahrscheinlich leicht erzielt werden können.
Ob und wann überhaupt die Mitglieder ihre Gewerkschaften zu einer aggressiven Politik zwingen, die mit einer gesamtwirtschaftlichen Verhaltensabstimmung kollidiert, kann nicht generell gesagt werden. Da die Arbeitnehmerschaft nicht in sich geschlossen ist, sondern in konfliktbereite, konfliktscheue und indifferente Gruppen zerfällt, hängt ihre jeweilige Reaktion von einer Reihe von Faktoren ab. Betriebliche Besonderheiten und Ereignisse, Einschätzungen der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes, gewerkschaftlicher Organisationsgrad und individuelle familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse dürften unter diesen Faktoren vermutlich die wichtigsten sein. Größerer Kritik sahen sich die Verbandsspitzen von selten der unteren und mittleren Funktionärsschicht und der Aktivisten ausgesetzt. Vor allem auf verschiedenen Gewerkschaftstagen gab es eine starke Minderheit, die die Konzertierte Aktion scharf angriff und sogar einen Austritt der Gewerkschaften forderte, ohne jedoch mit ihrem Anliegen jemals durchzudringen. Aber auch das BDI-Präsidium sprach sich dafür aus, notfalls die Konzertierte Aktion zu verlassen-, man sah in der Veranstaltung keinen Sinn mehr, nachdem klar-geworden war, daß die Lohnentwicklung damit nicht gebremst werden konnte.
Doch unabhängig davon, ob die Verbandsspitzen von der Basis oder von der unteren und mittleren Funktionärsebene wegen ihres Verhaltens in der Konzertierten Aktion kritisiert und zu einer aggressiven Politik angehalten werden, die Ursache dieses Aufbegehrens liegt letztlich in der Unzufriedenheit der Betreffenden mit gesellschaftlichen Zuständen. Folglich sind als Erklärung für das Versagen der Konzertierten Aktion die das Verhalten der Individuen und Gruppen bestimmenden unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen anzuführen, die jede Gruppe in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung versuchen darf zu realisieren, solange sie sich dabei im Rahmen der demokratischen Spielregeln bewegt.
V. Alternativen zur Konzertierten Aktion?
Nachdem sich der Traum einer das Preis-niveau stabilisierenden Konzertierten Aktion nicht erfüllt hat, liegt die Frage nach brauchbaren Alternativen nahe. Schon 1969 machte Joachim Klaus den Vorschlag, die unverbindliche Konzertierte Aktion durch einen volkswirtschaftlichen Koordinierungsrat zu ersetzen, der in kooperativer Weise verbindliche Entscheidungen fällen und mit Weisungsbefugnis ausgestattet sein sollte
Abgesehen von der von Klaus selbst als klärungsbedürftig angesehenen verfassungspolitischen Problematik in bezug auf Tarifautonomie und Parlamentssouveränität lassen sich gegen die Konstruktion eines derartigen Koordinierungsgremiums mehrere Bedenken anmelden:
1. Nach den Vorstellungen von Klaus sollen die Entscheidungen in kooperativer Regelung getroffen werden, d. h. nicht die Mehrheit, sondern die Zustimmung aller relevanten Gruppen wäre für eine Entscheidung erforderlich. Zweifellos will Klaus mit seiner Forderung nach Einstimmigkeit Entscheidungen verhindern, die für eine Gruppe unannehmbar sind und deshalb von ihr nicht respektiert werden. Die politische Erfahrung lehrt aber, daß jedes Gremium, in dem man Einstimmigkeit verlangt, in seinen Entscheidungen blokkiert wird. Konsensus läßt sich nicht durch Abstimmungs-und Entscheidungsmodalitäten erzwingen. Der UN-Sicherheitsrat liefert auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen ein abschreckendes Beispiel dafür. 2. Mit der Teilnahme an einem Gremium, das verbindliche gesamtwirtschaftliche Entscheidungen treffen kann, wäre ein Funktionswandel der Verbände verknüpft. Großorganisationen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind im politischen Willensbildungsprozeß einerseits Transformatoren von unten nach oben, indem sie die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber politischen Instanzen artikulieren. Andererseits sind sie auch Transformatoren von oben nach unten und üben dadurch eine Ordnungsfunktion aus, daß sie „bei hinreichendem Entgegenkommen der Kontrahenten das störungsfreie Kooperieren ihrer Gefolgschaft"
Die Zustimmung zu Kompromissen im volkswirtschaftlichen Koordinierungsrat würde die Verbandsspitzen verpflichten, die Entscheidungen gegenüber den Mitgliedern zu vertreten und durchzusetzen. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit verlagerte sich dann auf die Ordnungsfunktion. Sie würden mehr und mehr zu einem Transmissionsriemen staatlicher Politik degradiert.
Da schon bei unverbindlichen Gesprächen in der Konzertierten Aktion insbesondere in den Gewerkschaften erhebliche innerverbandliche Widerstände auftraten, ist kaum zu erwarten, daß eine verbindliche „Konzertierte Aktion ä la Klaus" von den zuständigen Gremien der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sanktioniertwürde.
3. Ein funktionsfähiger volkswirtschaftlicher Koordinierungsrat setzte eine andere inneror-ganisatorische Struktur bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden voraus. Die Spitzenorganisationen DGB und BDA haben z. Zt. keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber ihren angeschlossenen Verbänden, in deren Zuständigkeit der Abschluß von Tarifverträgen fällt. Folglich müßten die Vertreter beider Seiten autorisiert werden, für das Verhalten ihrer angeschlossenen Verbände verbindliche Zusagen abzugeben. Das käme einer Kompetenz-und Machtverschiebung zu den Dachorganisationen gleich, die sich bei beiden Sozialkontrahenten politisch vermutlich nicht durchsetzen ließe.
Andere Vertreter der Wirtschaftswissenschaft plädieren im Kampf gegen den Preisauftrieb nach wie vor für eine effizientere Geld-und/oder Fiskalpolitik. Es braucht an dieser Stelle nicht näher auf den Streit zwischen „Fiskalisten" und „Monetaristen" eingegangen zu werden
Wenngleich eine restriktivere Geld-und/oder Fiskalpolitik vielleicht einen das Preisniveau stabilisierenden Effekt hätte, so bleibt doch als negativ zu beurteilende Nebenwirkung solcher Maßnahmen entweder die Verletzung des Vollbeschäftigungszieles oder die Zementierung des Status quo der Einkommensverteilung. Es ist fraglich, ob mehr Preisniveaustabilität eine der beiden Nebenwirkungen mit ihren hohen sozialen Kosten lohnt und ob eine Regierung überhaupt den Mut aufbrächte, ein solches Programm gegen die sicherlich heftigen Widerstände der Tarifparteien durchzusetzen. In anderen westlichen Ländern, in denen man schon früher als in der Bundesrepublik auf ähnliche Art eine Verhaltensabstimmung mit den Tarifparteien versucht hat, mußte ebenfalls nach einigen Jahren ein Scheitern der Einkommenspolitik konstatiert werden. Man ging dann in den meisten Fällen zu dirigistischen Lohn-und Preiskontrollen oder zu befristeten Lohn-und Preisstopps über, ohne allerdings damit auf lange Sicht Erfolge erzielen zu können
Es steht zu befürchten, daß auch die Bundesregierung trotz derzeit noch gegenteiliger Beteuerungen in Kürze nicht umhinkommen wird, zu ähnlichen Maßnahmen zu greifen, wenn sich der augenblickliche Preisanstieg noch beschleunigen sollte. Zwar lehnen die meisten Wirtschaftsexperten einen Lohn-und Preisstopp ab, weil er administrativ schwer zu kontrollieren ist und zu einer enormen Steigerung der Unternehmergewinne führt
Als Fazit dieser Überlegungen bleibt nur resignierend festzustellen, daß z. Zt. keine praktikable Alternative zur Konzertierten Aktion existiert. Die Politische Wissenschaft weiß auf das Problem, wie die Verbände bei Aufrechterhaltung ihrer Autonomie wirksam in die Wirtschaftspolitik des Staates integriert werden können, immer noch keine Antwort. Ebensowenig hält die Wirtschaftswissenschaft eine marktwirtschaftliche Lösung parat, die das Preisniveau ohne Beschäftigungsrückgang und Wachstumseinbußen stabilisieren könnte. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, Paul A. Samuelson, faßte diese bittere Erkenntnis 1971 in den Worten zusammen:
„Die schleichende Inflation ist die Malaria der modernen gemischten Volkswirtschaft.
Mit ihr zu leben, ist genauso unangenehm, wie die Malaria zu ertragen, und beide Leiden verschwinden nicht einfach von selbst. Aber anders als bei der Malaria kennen wir für die schleichende Inflation bislang kein Heilmittel, dessen Auswirkungen zumindest nicht genauso schlimm wären wie die Krankheit selbst."