I. Einführung
Im folgenden geht es nicht um eine Bestandsaufnahme der Ereignisse, die zu der sog. Watergate-Affäre führten, da hier der aktuelle Konflikt noch nicht beendet und der objektive Sachverhalt nicht geklärt ist. Auf längere Sicht wichtiger erscheint hingegen die Auseinandersetzung zwischen Präsident und Kongreß um die Verfügungsmacht über die War Powers: das Recht zum Ergreifen militärischer Maßnahmen. Nach der Absicht der Gründungsväter'der amerikanischen Verfassung sollte sowohl der Kongreß als auch der Präsident bestimmte Rechte über die war-makingpowers besitzen. Mit dem Engagement der USA in Korea, Kuba und zuletzt in Vietnam war der Bereich der militärischen Gewalt jedoch völlig von der Exekutive beansprucht worden. Die politischen Folgen von Vietnam und jetzt Kambodscha haben nun einen Wendepunkt in dieser Entwicklung eingeleitet. Der Kongreß ist dabei, seinen Anspruch auf politische Mitbeteiligung bei den „War Powers" wieder zurückzugewinnen. In diesem Kontext der Wiederherstellung des Systems der Checks and Balances ist die gegenwärtig sich abzeichnende Schwächung der präsidentiell-exekutiven Vormachtstellung im Verlauf der Watergate-Affäre zu sehen.
Obwohl Präsident Nixon sein Wahlversprechen mit der Beendigung der über ein Jahrzehnt dauernden militärischen Verwicklung der Vereinigten Staaten in Vietnam teilweise gehalten hat, ist das Engagement der USA weder in Vietnam noch in Laos oder Kambodscha beendet. Wenn auch die direkte militärische Intervention in Vietnam zunächst einen Abschluß gefunden hat, so bleibt doch die Drohung eines erneuten militärischen Eingreifens in Form der latenten Möglichkeit eines durch den Präsidenten angeordneten und wie auch immer legitimierten Vergeltungsschlages bestehen. Noch bleibt sowohl die politische als auch die militärische Lage in Indochina undurchsichtig und man sollte sich keineswegs durch plötzliche einseitige präsidentielle Maßnahmen seitens der US-Regierung überraschen lassen, sich also nicht zu einer Fehleinschätzung potentieller amerikanischer Reaktionen verleiten lassen. Im Zusammenhang mit dieser Feststellung sei u. a. nur auf die Nixon-Entscheidungen zur Kambodscha-Invasion im Jahre 1970 und zur Bombardierung Hanois Ende 1972 hingewiesen.
Wenn auch die angeblich auf Ersuchen der Regierung von Vientiane erfolgte Wiederaufnahme des amerikanischen Luftkrieges in Laos Mitte April 1973 eine schwerwiegende Entscheidung des Präsidenten bedeutet, kann man davon ausgehen, daß diese Aktion mehr an den Adressaten Hanoi gerichtet war, ein Warnsignal, das dahin gehend interpretiert werden kann, daß stärkere Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens vom Januar 1973 nicht toleriert werden und der Präsident sich entsprechende militärische Maßnahmen im vietnamesischen Raum vorbehält.
Obwohl einerseits bekannt ist, daß die politische Zukunft Indochinas überwiegend durch die Klärung der Südvietnam-Frage und weniger in Laos und Kambodscha entschieden wird, ist es andererseits doch ein Faktum, daß die erneute militärische Verstrickung der Vereinigten Staaten mit der Regierung Kambodschas einen exekutiv-legislativen Interessenkonflikt heraufbeschworen hat, der in seiner möglichen Konsequenz zwei Hauptrichtungen bzw. -auswirkungen haben kann. Einmal kann durch den Testfall Kambodscha der Präsident, dessen Position durch die Watergate-Affäre erheblich geschwächt ist, möglicherweise vom Kongreß gezwungen werden, zur Zusammenarbeit mit der Legislative zurückzukehren. Damit würde durch den Kongreß endlich einmal ein wirklich erfolgversprechender Versuch unternommen, der vor allem seit Eisenhower verstärkten Machtverlagerung zugunsten des Präsidenten auf außenpolitischem Gebiet und damit zu fast unbeschränkter außenpolitischer präsidentieller Bewegungsfreiheit Einhalt zu gebieten. Zum anderen kann der von Öffentlichkeit und Kongreß ausgehende Druck sich letzten Endes dahingehend auswirken, daß der Präsident im Rahmen der in Paris stattfindenden Verhandlungen zwischen Henry Kissinger und Le duc Tho zu größeren Zugeständnissen gegenüber Hanoi gezwungen wird, eine mögliche Richtung, die nicht unbedingt im Interesse der angestrebten südostasiatischen Machtkonstellation und damit letztlich des Friedens sein muß.
In Washington DC werden die augenblickliche Phase des Konfliktes in Kambodscha und die damit verbundenen präsidentiellen Entscheidungen als Testfall der Auseinandersetzungen zwischen Präsident und Kongreß auf dem Gebiete der auswärtigen Gewalt besonders hinsichtlich der War Powers angesehen.
Hier handelt es sich um einen exekutiv-legislativen Konflikt über die Kompetenz-Problematik im Bereich zwischen Krieg und Frieden, der historisch gesehen schon seit Beginn der amerikanischen Republik besteht und der von einer kontinuierlichen Machtverlagerung zugunsten des Präsidenten begleitet war. Jedoch hat sich gegenwärtig, nicht zuletzt durch die Watergate-Affäre und die Niederlage des Präsidenten bei den z. Z. stattfindenden Auseinandersetzungen mit dem Kongreß über die Finanzierung der Luftwaffeneinsätze in Kambodscha, eine Konstellation ergeben, die die Legislative geradezu einladen muß, einen Machtkampf mit dem Ziel der Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Gleichgewichtes auf außenpolitischem Gebiet unter besonderer Berücksichtigung der War Powers herbeizuführen.
Zum besseren Verständnis der Problematik der War Powers soll im folgenden in den relevanten Punkten das geltende Verfassungsrecht im Bereich der Außen-und Sicherheitspolitik erläutert werden und die historische Entwicklung der Problematik anhand ausgesuchter präsidentieller Beispiele verdeutlicht werden; dies geschieht in einer chronologischen Anordnung, damit die Tendenz zur exekutiven Machtanhäufung auf außenpolitischem Gebiet besser veranschaulicht werden kann. Ein weiterer Teil wird Entstehung und Konsequenzen der Tonking-Golf-Resolution als Fallstudie eines grundlegenden Wandels in der Verfassungsinterpretation der Vereinigten Staaten untersuchen und anschließend den Versuch einer restaurativen Bewegung des Kongresses zur Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Gleichgewichtes in diesem Bereich schildern.
II. Die verfassungsrechtliche Problematik der War Powers
Zum besseren Verständnis soll in diesem Teil der Arbeit das in den relevanten Punkten geltende Verfassungsrecht im Bereich der Außen-und Sicherheitspolitik zunächst kurz dargestellt werden.
Die Kompetenzzuteilung an Legislative und Exekutive innerhalb der War Powers ist im wesentlichen durch zwei Verfassungsnormen ausgesprochen. Einmal steht dem Kongreß nach Art. I, See. 8 Abs. 11 der US-Constitution die Befugnis zu, „to declare war", während nach Art. II, See. 2 Abs. der Präsident als „Commander in Chief of the Army and Navy" angesprochen wird. Zum anderen hat der Kongreß das Recht, gemäß Art. I, See. 8 Abs. 1 „to provide for the common defense", Art. I, See. 8 Abs. 12 „to raise and support armies", Art. II, See. 8 Abs.
13 „to provide and maintain a navy", Art. I, See. 8 Abs. 14 „to make rules for the government and regulation of the land and naval forces". Hier werden also im wesentlichen zwei relevante Punkte angesprochen, nämlich Kriegsbeginn und Kriegs-führung. Ungeachtet der heutigen völkerrechtlichen Bedeutungslosigkeit förmlicher Kriegserklärungen 1) bleibt jedoch deren staatsrechtliche Relevanz im Sinne einer innerstaatlichen Ermächtigung zur Kriegführung unberührt. Diese Ermächtigungsbefugnis ist nach der Verfassung der Vereinigten Staaten der Legislative, also dem Kongreß, zugewiesen worden. Obwohl diese sog. „war-initiative power" dem Kongreß zugeteilt wurde, wird doch dem Präsidenten das Recht „to repel sudden attacks", d. h. militärische Aktionen aus eigener Machtvollkommenheit ohne vorherige Ermächtigung durch den Kongreß zur Abwehr von Überraschungsangriffen auf die Vereinigten Staaten vorzunehmen, zugesprochen. Es ist heute unbestritten, daß sich diese „sudden repulse power" des Präsidenten nicht nur auf Überraschungsangriffe auf das Gebiet der Vereinigten Staaten, sondern auch auf amerikanische Staatsangehörige und deren Eigentum im Ausland erstreckt Unstreitig dürfte ferner sein, daß die Feststellung des Vorliegens eines solchen plötzlichen Angriffes und implicite die Auswahl entsprechender Abwehrmittel nur von dem Präsidenten unter Zubilligung eines weiten politischen Ermessensspielraumes getroffen werden kann.
Fraglich ist allerdings In diesem Zusammenhang, inwieweit Beistands-und Bündnisverpflichtungen von der Verfassung her gedeckt werden.
Der Bereich der Kriegführung wurde von den Verfassungs vätern in die Zuständigkeit der Exekutive gelegt. Definitionen des Supreme Court zur Kriegführung mit dem aus richterlichen Entscheidungen abzuleitenden Rahmen sind nur schwer auf neue Einzelfälle anzuwenden. Brauchbare Kriterien hat die Lehre entwickelt, die unter den Befugnissen des Oberbefehlshabers der Streitkräfte Truppen-bewegungen, militärische Operationen, Einsatz von Soldaten und Waffen einschließlich der Entscheidung über Bombardierungen oder den Gebrauch der Spionage versteht Soweit sich also die Exekutive im Rahmen allgemein anerkannter Befugnisse bewegt, wird ihr von der Rechtsprechung und Lehre ein un-abhängiges, originäres, nicht von der gesetzgebenden Gewalt abgeleitetes und daher auch nicht durch diese zu beschränkendes Recht zuerkannt Die Experten auf dem Gebiet des Verfassungsrechtes scheinen in der Bewertung übereinzustimmen, daß damit der Präsident in seiner Eigenschaft als Oberkommandierender eine praktisch vollkommen unabhängige Position bekleidet und seine entsprechenden Befugnisse keinerlei Beschränkung — sei es durch Legislative oder . Judikative — unterworfen sind.
INHALT I. Einführung II. Die verfassungsrechtliche Problematik der War Powers III. Historische Retrospektive anhand präsidentieller Beispiele IV. Entstehung und Konsequenzen der Tonking-Golf-Resolution V. Die restaurative Bewegung des Kongresses VI. Schlußbetrachtung Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang besonders das Budgetrecht des Kongresses, das als die Waffe der Legislative gegenüber der Exekutive und als Randbefugnis hinsicht-lieh des ius belli (War Powers) wirksam wird. Dieses Recht ist nicht speziell für den Kriegsfall geschaffen, kann jedoch stärksten Einfluß auf diesen ausüben. Inhalt und Grenzen der „power of the purse" sind teilweise umstritten-Im Rahmen dieser Untersuchung ist die Feststellung des Supreme Court wichtig, daß „an affirmance of the authority of Congress... to condition the expenditure of an approprition would tend to nullify all constitutional limitations upon legislative power" Auf das ins belli übertragen würde die ratio decidendi dieses Urteils bedeuten, daß etwa die „Weisung" in Form eines Haushaltsgesetzes verfassungswidrig und daher nichtig wäre, die den Präsidenten zu veranlassen suchte, bestimmte Waffen an bestimmten Orten und zu bestimmter Zeit einzusetzen oder aber deren Einsatz zu unterlassen.
Ist somit die Befugnis des Präsidenten als des Oberbefehlshabers der Streitkräfte keiner legislativen Einschränkung unterworfen, so können ihm doch — verfassungsrechtlich unbedenklich — zu dieser Originärbefugnis widerrufliche Derivativbefugnisse anderer Verfassungsorgane, vor allem des Kongresses, übertragen werden. Eine solche Befugnisdelegation hat ein amerikanisches Bundesgericht in einer vielzitierten und von der Lehre angefeindeten Entscheidung hinsichtlich der amerikanischen militärischen Operationen in Vietnam angenommen wogegen die Exekutive selbst niemals völlig klargemacht hat, ob sie diese Aktionen auf ihre „commander-inchief powers" oder aber auf delegierte Zusatzbefugnisse durch den Kongreß, vor allem in Form der sog. Tonking-Golf-Resolution vom August 1964, stützen wollte
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Kongreß nach der Absicht der Gründungsväter bestimmte Rechte über Teile der „war-making power" und der Präsident seinerseits vergleichbare Befugnisse in diesem Bereich erhalten sollte. Der Kongreß ist z. B. die einzige Institution, die formell einen Krieg erklären und die entsprechenden finanziellen Mittel zur Kriegführung bereitstellen kann; auf der anderen Seite hat der Präsident allein die unbegrenzte und ausschließliche Befugnis, Überraschungsangriffe abzuwehren, und im Falle der Kriegführung liegt die Kommandogewalt in seinen Händen. Mit Ausnahme einer durch den Kongreß zu verabschiedenden Kriegserklärung und eines Friedensvertrages sind dem Präsidenten als Oberkommandierendem der Streitkräfte somit die wichtigsten Befugnisse auf dem Gebiete der War Powers übertragen worden. Er kann militärische Aktionen führen und Abkommen schließen. Hier sei vor allem auf die Möglichkeit der exekutiven Abkommen, der sog. „executive agreements", und damit auf das Beispiel des Truppeneinsatzes ohne vorherige Kriegserklärung seitens des Kongresses verwiesen. Das Mitwirkungsrecht des Senates gemäß Art. II, See. 2 Abs. 2 wird durch diese „executive agreements" umgangen, so daß der Präsident — gestützt durch den Artikel II, See. 2 Abs. 1 — Aktionen führen kann, die gemäß der Verfassungsnorm der Zustimmung des Senates bedürfen
Zwischen diesen Enden des Spektrums entzündet sich heute der exekutiv-legislative Streit über die Einsätze von Truppen oder die Verpflichtung zu begrenzten militärischen Aktionen. Mit anderen Worten: Das Gebiet der War Powers ist ein Gebiet der sogenannten „shared powers", ein Verfassungsgebiet, in dem die Kompetenzen nicht präzise genug abgesteckt worden sind und sich teilweise überschneiden. /über Einzelheiten des Verfassungsrechtes hat es seit Schaffung der Constitution in den verschiedensten Bereichen ernsthafte Auseinandersetzungen gegeben. Und gerade das Problem der auswärtigen Gewalt, verstärkt durch die technologischen und politischen Entwicklungen der letzten Dekaden, hat immer wieder Anlaß zu umfangreichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gewalten gegeben. Das Verhältnis zwischen beiden Seiten auf der Basis von Zusammenwirken und Kontrolle ist durch die etwas vage Kompetenzaufteilung in der amerikanischen Verfassung nicht so klar umrissen, wie es zur Vermeidung von Konflikten notwendig wäre. Die Gesamtkonzeption der Verfassung konfrontiert die beiden Regierungszweige mit Rechten, die durch ihre Überschneidung beiden direkten oder indirekten Einfluß auf Entscheidungen über militärische Operationen gestatten. So lange die amerikanische Außenpolitik nur einen kleinen Raum im gesamten politischen Spektrum einnahm, sah der Kongreß keinen Anlaß, hierüber in Kompetenzstreitigkeiten einzutreten, weil sie als nebensächlich erachtet wurden. Die Situation hat sich jedoch mittlerweile grundlegend verändert und der Kongreß wurde im Verlauf der Zeit auf den Status einer bloßen Zustimmungsinstitution degradiert. Das exklusive Recht „to declare war" wurde teilweise nur noch formal vom Kongreß ausgeübt, entsprechende Deklarationen haben durchweg die bereits getroffene Entscheidung zum Eintritt in einen Krieg anerkannt. Wie relativ das Kriegserklärungsrecht überdies zur Initiierung von Kriegsoperationen sein kann, zeigt die lange Reihe militärischer Aktionen der USA im Ausland seit dem Zweiten Weltkrieg.
Es ist ein aufwendiges Unterfangen, die gegenwärtige Stellung des Präsidenten im politischen System der USA darzustellen und einen ausreichenden Überblick über diese einzigartige Institution und ihren Charakter zu geben. Die Schwierigkeit besteht vor allem auch darin, daß man in den Entscheidungen des Supreme Court, im verfassungsrechtlichen Schrifttum, in Reden und Verlautbarungen des Präsidenten, Debatten des Kongresses etc. immer wieder auf höchst unterschiedliche Interpretationen der angeblichen Absichten der Gründungsväter bei der Planung und Formulierung der Verfassung von 1787 stößt.
Der Verfassungstext selbst gibt Auskunft über die Befugnis des Präsidenten nur in allgemein gefaßten Normen, welche seit Schaffung der Constitution durch keinerlei „amendments“ ergänzt, abgeändert oder präzisiert worden sind. Man muß sich der Meinung von Justice Jackson anschließen, der schon in den fünfziger Jahren betonte, daß die US-Verfassung keinerlei Auskunft über die wirkliche Macht dessen gebe, was in der heutigen Zeit im Amt des Präsidenten eingeschlossen ist Jedoch ist anzunehmen, daß die Gründungsväter niemals an einen Einsatz von Truppen ohne legislative Ermächtigung außerhalb der eigenen Grenzen dachte. Da ursprünglich weder eine stehende Armee noch eine Marine als notwendig erachtet wurden, hätte jedes präsidentielle militärische Abenteuer außerhalb der eigenen Grenzen die Aufstellung größerer Truppeneinheiten und damit zwangsläufig die legislative Beteiligung erforderlich gemacht. Die Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten in dieser Frage sollte aber sehr bald beginnen; dies ist im wesentlichen auf die Auffassung zurückzuführen, daß es die Pflicht des Chief Executive ist, amerikanisches Leben und Eigentum im Ausland zu schützen, eine Ansicht, die z. B. durch Justice Nelson unterstützt wurde. Diese Position läßt sich belegen mit Hilfe der Interpretation der „inherent powers of the Chief Executive"
oder auch der Pflicht des Präsidenten „to take Care that the Laws be faithfully executed" Obwohl es einige Versuche gab, diese präsidentielle Macht zu beschneiden, unternahmen Präsidenten ohne wirkliche formale Basis Aktionen, um außenpolitische Interessen der Vereinigten Staaten „under inherent powers of the Chief Executive over foreign affairs" zu schützen.
III. Historische Retrospektive anhand präsidentieller Beispiele
In der Geschichte der Vereinigten Staaten hat die politische Vorherrschaft häufig zwischen Exekutive und Legislative gewechselt. Schon seit Schaffung der amerikanischen Verfassung im Jahre 1787 haben Präsident und Kongreß um die Suprematie gekämpft; damit ging die Zielvorstellung der Gründungsväter der Verfassung, mittels eines komplexen Systems der „checks and balances" einen dauernden Machtausgleich zwischen Exekutive und Legislative zu schaffen, nicht in Erfüllung.
In einem politischen System, das auf dem Zusammenspiel vieler Faktoren beruht, besteht naturgemäß die latente Gefahr der Zerstörung des verfassungsgemäß strukturierten Gleich-gewichtes durch die bloße Machtvergrößerung eines dieser Faktoren. Diese Gefahr hat sich historisch bei der Auseinandersetzung zwischen Präsident und Kongreß auf dem Gebiet der Außen-und Sicherheitspolitik, vor allem in Zusammenhang mit der Entscheidung über militärische Aktionen, bestätigt. Gerade auf dem Gebiet der War Powers kam es zu einer stetigen Machtverlagerung zugunsten des Präsidenten, die in der Verabschiedung und den innen-wie außenpolitischen Konsequenzen der Tonking-Golf-Resolution vom August 1964 ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Historisch gesehen kann man feststellen, daß beide Seiten versagt haben, eine eindeutige Prärogative im Bereich der War Powers festzulegen. Die Zurückhaltung der Legislative in diesem Kampf während der letzten 30 Jahre erklärt sich im wesentlichen aus den Bemühungen um die Stärkung der Effektivität des amerikanischen Regierungssystems in den Beziehungen gegenüber den autoritären Staaten, denen schnelleres Reaktionsvermögen und größere Entschlossenheit in ihren außenpolitsehen Handlungen nachgesagt wurden. Dieser Wunsch nach Stärkung der außenpolitischen Handlungsvollmacht der amerikanischen Regierung war vor allem durch zwei Faktoren, bedingt: durch das wachsende Engagement der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik und durch die Gefahren einer nuklearen Konfrontation, die sofortiges Handeln unter Umgehung des naturgemäß langsamen demokratischen Kontrollprozesses verlangt.
Schon in den Anfängen der Republik kam es zu Kontroversen zwischen Präsident und Kongreß über die Frage der War Powers, aber erst und vor allem im 20. Jahrhundert nahm die außenpolitische Vormachtstellung des Präsidenten rasch zu. Durch den Sieg über Spanien wurde den Vereinigten Staaten in ersten Anfängen eine Weltrolle aufgebürdet. Die Kräfte des Isolationismus fielen langsam hinter die Kräfte des Interventionismus in der inneramerikanischen Politik zurück.
In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts kann man vor allem am Beispiel der Präsidenten Theodore Roosevelt, Taft und Wilson feststellen, daß der Einsatz bewaffneter Streitkräfte durch die Exekutive gegen souveräne Nationen zur Gewohnheit wurde. Ohne irgendwelche Ermächtigungen durch den Kongreß sandten diese Präsidenten Truppen in andere Länder. Auch der vorübergehende Isolationismus nach dem Ersten Weltkrieg sollte nicht lange anhalten. Franklin D. Roosevelt ließ Ende der dreißiger Jahre die USA erneut in die Weltpolitik eingreifen, und die Folgen des Zweiten Weltkrieges vereitelten jeden Rückzugsversuch in die Isolierung.
Als Hauptursache von Störungen der verfassungsmäßigen Machtbalance ist das in der Folge des Zweiten Weltkrieges eingetretene internationale Engagement der Vereinigten Staaten mit der Übernahme weitgehender Verantwortung in einer instabilen Welt zu betrachten. Bis zum Jahre 1940 gab es noch keine Krisen, die dauerhafte Belastungen zwischen den entsprechenden Institutionen mit sich brachten. Die seit dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden internationalen Entwicklungen und die daraus resultierende Machtkonstellation führten jedoch zu einer total veränderten Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten. Einer direkten militärischen Konfrontation waren die Vereinigten Staaten nur in den ersten Jahren ihrer Existenz ausgesetzt gewesen; die anschließende Konsolidierung des Landes und die relative Schwäche der Anliegerstaaten machten die Vereinigten Staaten zu einer Art „Sicherheitsparadies". Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Revolution auf waffentechnologischem Gebiet und die damit verbundene „Schrumpfung" der Welt stellten jedoch die Vereinigten Staaten vor eine veränderte Situation. Waren die USA bisher durch ihre geographische Lage mehr oder weniger sicher vor Angriffen gewesen, so ergab sich nun durch die waffentechnologische Entwicklung eine neuartige Bedrohung. Zum erstenmal wurden die Amerikaner mit der Tatsache konfrontiert, daß im Schatten der „absoluten Waffe" ihr Land direkt gefährdet war. Nun stellte sich erneut die alte Frage, inwieweit das Problem der Kriegsinitiative besser vom Kongreß oder von der Exekutive gelöst werden könnte. Entscheidend war jetzt die Forderung nach Einsatzbereitschaft und Schnelligkeit der Abwehr.
Daneben erwuchs den Vereinigten Staaten in der Sowjetunion mit ihrem seit dem Zweiten Weltkrieg weit ausgedehnten Einflußbereich erstmals in ihrer Geschichte ein Gegner, der nicht nur durch sein Potential, sondern auch ideologisch das überleben und die moralische Struktur des Landes in Frage stellte und die USA zu einer weitgehenden und engen Zusammenarbeit mit den außerhalb der sowjetischen Macht liegenden Staaten unter Aufgabe aller isolationistischen Tendenzen und bei ständig steigender Beanspruchung des Regierungsapparates durch außenpolitische Fragen veranlaßte. In dieser nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Tendenz des „Kleinerwerdens der Welt im Schatten der Atomwaffen" schufen sich die Vereinigten Staaten ein Bündnissystem, das sich in geschlossener Einheit gegen den immer offenkundigeren Gegner Sowjetunion richtete. Das offene Regierungssystem, die Demokratie, mußte gegenüber einem totalitären Gegner ohne entsprechende Konzentration dereigenen Macht wesentlich im Nachteil sein. Diese Realität sollte dem Präsidenten, von außen und auf indirekte Weise, weitere Befugnisse verschaffen.
Was von T. Roosevelt, Taft, Wilson und F. D. Roosevelt zur Herstellung einer starken Suprematie der Exekutive auf dem außen-und sicherheitspolitischem Sektor begonnen wurde, sollte nun in einem wesentlich verstärktem und beschleunigtem Maße durch die Präsidenten Truman, Eisenhower, Kennedy und Johnson fortgesetzt werden. Die Entwicklung zu einer präsidentiellen Machtanhäufung auf dem Gebiet des ius belli sollte soweit abgeschlossen werden, daß die Absichten der Gründungsväter in den entsprechenden Punkten einfach unwirksam wurden.
Truman sandte nach der Invasion in Südkorea im Juni 1950 und dem anschließenden Beistandsersuchen des UNO-Sicherheitsrates US-Streitkräfte nach Korea, ohne die Billigung des Kongresses einzuholen. Weder erachtete es Truman als notwendig, den Kongreß wenigstens um eine Bestätigung seines Vorgehens zu bitten, noch schien er irgendwelche Zweifel an der Art seiner Aktion zu haben Zuletzt waren etwa 250 000 US-Soldaten in diesen Konflikt verwickelt, und er sollte länger als drei Jahre andauern. Es überrascht keineswegs, daß Truman, dessen Berater ja für ungehinderte präsidentielle Autorität auf dem Sicherheitsgebiet plädierten, sich einfach nicht verpflichtet fühlte, den Kongreß zu konsultieren, als er sich entschloß, Truppen nach Korea zu senden. Die Tatsache, daß Trumans Aktionen durch die UN autori-siert waren, besagt noch lange nicht, daß damit die Bestimmungen der amerikanischen Verfassung außer Kraft treten. Die „Great Debäte" über die Frage, ob Truman berechtigt sei, Truppen nach Korea und auch nach Europa zu senden, dauerte 1951 mehrere Monate an, erhitzte die Gemüter in der Frage der präsidentiellen Befugnisse und resultierte schließlich in einer „Senate Resolution, call-ing for congressional authorization before the dispatch of further troops to fulfill NATO commitments"
Etwas vorsichtiger als sein Vorgänger drückte sich Präsident Eisenhower in der Auslegung seiner präsidentiellen Befugnis aus, der sich in der Frage der legislativen Zustimmung beim Einsatz von Truppen in anderen Ländern nicht festlegte. Jedoch ignorierte er im Gegensatz zu Truman grundsätzlich nicht die konstitutionelle Macht des Kongresses, einen Krieg zu erklären, überdies war er der Meinung, Truman hätte vor dem Einsatz der Bodentruppen in Korea noch Zeit gehabt, den Kongreß um eine Resolution zu bitten. Da sich ein eventueller Einsatz militärischer Kräfte gegen Rotchina als notwendig zur Verteidigung der nationalchinesischen Inseln erweisen könnte, war Eisenhower davon überzeugt, daß eine positive Resolution des Kongresses ihn nicht nur von dem Vorwurf befreien würde, so wie Truman gehandelt zu haben, sondern auch die Kommunisten davor warnen würde, weitere Schritte zu unternehmen. Eisenhower ließ sich daher 1955 durch eine Joint Resolution, die ihm umfassende Kriegsinitiativrechte überließ, ermächtigen, Formosa durch den Einsatz amerikanischer Truppen zu schützen
Auch die Beratung über die sogenannte „Middle East Resolution" deckte Schwächen bezüglich der War Powers auf. Anläßlich der Kongreßdebatten konnte man feststellen, daß ein großer Teil der Senatoren für eine Ausweitung der präsidentiellen Befugnisse stimmte. Als Präsident Eisenhower Truppen nach dem Libanon sandte, tat er dies allerdings nicht mehr unter dem Deckmantel der Resolution, sondern beanspruchte für seine Aktio-neu „his inherent constitutional power to protect American lives and property abroad and to protect a nation whose independence was vital to United States interests and world peace"
Der Invasionsversuch in der Bay of Pigs (Schweinebucht) am 17. April 1961, „organized, trained, armed, transported, and directed by the Central Intelligence Agency" war ein völliger Fehlschlag. Besonders interessant an diesem Fall ist das Ausmaß der Möglichkeiten des Präsidenten, bewaffnete Kräfte in anderen Ländern einzusetzen, ohne sich auf die eigenen regulären Streitkräfte zu stützen.
Das CIA ist in der Lage, militärische Kräfte gegen eine fremde Macht zu verpflichten. Die Schwierigkeiten, die durch die Geheimdienste („intelligence community") hervorgerufen werden, kann man nur ahnen. Es gibt kein akzeptables Mittel — auch wenn es von der Verfassung gefordert wird —, um Einsätze dieser Art durch eine legislative Vollmacht abzusichern. Der Kongreß ist nicht in der Lage, in einem Scheinverfahren eine öffentliche Resolution abzugeben, ohne in ein Dilemma zwischen Staatssicherheit und Demokratie zu geraten. Die Schwierigkeit fängt damit an, daß wohl kein Präsident geheime Informationen an den Kongreß weitergeben und damit den Bruch der Geheimhaltung riskieren würde. In einem Fall, in dem das CIA die Befugnis erhält, reguläre Streitkräfte bei irgendwelchen Unternehmen im Ausland einzusetzen, wird sicher der Kongreß vorher nicht benachrichtigt, sondern erneut um einen Blankoscheck in Form einer Resolution gebeten.
Dies war 1962 der Fall, als Präsident Kennedy einen Monat vor der Raketen-Krise in Kuba den Kongreß um eine „concurrent resolution expressing the sense of the Congress" ersuchte, um zu gewährleisten, daß er im Besitz aller notwendigen Vollmachten sei, Kuba notfalls mit Gewalt von der Einrichtung sowjetischer militärischer Anlagen oder von anderen feindlichen Aktionen den USA gegenüber ab-zuhalten Obwohl dies nicht ganz deutlich ausgedrückt ist, schien Kennedy auch hier die „inherent power to take whatever military action was necessary for the protection of American security interests" in Anspruch zu nehmen Wenn sich die Kennedy-Administration auch niemals verpflichtet hat, weitere legislative Unterstützung einzuholen, so hat doch Außenminister Rusk wiederholt verlauten lassen, daß jeder größere Einsatz gegen Kuba den Präsidenten „in close consultation with the leadership of the Congress" finden würde
Die Joint Resolution wurde am 20. September im Senat mit einem Stimmenverhältnis von 86 zu 1 und am 26. September im Haus mit 384 zu 7 genehmigt Sie befugte den Präsidenten, wenn nötig, Gewalt anzuwenden, um die Ausweitung des Kommunismus oder die Entwicklung eines von außen unterstützten, die Sicherheit der Vereinigten Staaten beeinträchtigenden militärischen Stützpunktes zu verhindern. Kennedy akzeptierte diese Resolution, obwohl er und seine Berater der Meinung waren, daß er schon von der Verfassung her als Oberkommandierender der Streitkräfte die Macht habe, „to take such actions as might be needed to deal with Cuba"
Während der Aktionen im Libanon, in Kuba und später in Vietnam scheint es unklar gewesen zu sein, inwieweit der jeweilige Präsident seine Aktionen auf eine legislative Ermächtigung oder die „inherent presidential power" stützte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die drei hier in Frage kommenden Präsidenten — also Eisenhower, Kennedy und später Johnson — auch ohne entsprechende Resolutionen und damit ohne legislative Unterstützung in der bekannten Art gehandelt haben. Abgesehen von den wirklichen Vorgängen während der Kuba-Krise und unabhängig von der Frage, ob Kennedy richtig oder falsch gehandelt hat, muß doch darauf verwiesen werden, daß Kennedy am 22. Oktober 1962, nur etwa 2 Stunden vor seiner berühmten Fernsehansprache, ein Treffen mit den Kongreß-Führern hatte und sie über die bereits getroffenen Entscheidungen unterrichtete. Theodore C. Sorensen schreibt zu diesem Tag: „The only sour note of the day was the President’s meeting with some twenty Congressional leaders . .."
Wahrscheinlich wegen mangelnder Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung hatten die meisten Senatoren offenbar nichts dagegen einzuwenden, in einer der gefährlichsten Krisen der Nachkriegszeit in ihrer verfassungsmäßig festgelegten Funktion des Beratens und Zustimmens übergangen zu werden; gegen die Überschreitung der präsidentiellen Befugnisse durch Kennedy erhob sich kaum eine Stimme. Korea, Libanon und Kuba stellten drei gefährliche Situationen des Einsatzes von Streitkräften seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Obwohl im Falle Kuba keine militärischen Kräfte eingesetzt wurden, hatte doch die Drohung mit dem Einsatz des militärischen Aktionsapparates im Zeitalter der Nuklearwaffen sehr viel Wirksamkeit. Hat doch Präsident Kennedy die Sowjetunion klar und ausdrücklich gewarnt, daß der Abschuß irgendwelcher Raketen von Kuba aus gegen eine Nation in der westlichen Hemisphäre eine sofortige Vergeltung gegenüber der UdSSR nach sich ziehen würde Angesichts dieser Entscheidung von potentiell ungeheurer Tragweite für die gesamte Menschheit und der mehr als schwachen Gegenreaktion des Kongresses liegt die Annahme nicht fern, daß die Befugnis des Präsidenten zum Einsatz amerikanischer Streitkräfte im Ausland in der Praxis schwer begrenzbar ist.
IV. Entstehung und Konsequenzen der Tonking-Golf-Resolution
Obwohl die bisher geschilderten Fälle präsidentieller Machtanmaßung oder Machtbeanspruchung teilweise in einen sehr gefährlichen Bereich hineinreichten, stellen Hintergrund und Konsequenzen der „Southeast Asia Resolution", der sogenannten „TonkingGolf-Resolution" vom Jahre 1964, ein Extrem des Verfalles der Verfassung dar. Gerade die Verabschiedung dieser Resolution verdeutlicht in besonderer Weise einen grundlegenden Wandel der Verfassungsinterpretation in den Vereinigten Staaten, die absolute Folgsamkeit des Kongresses gegenüber den Wünschen der Exekutive und den Höhepunkt der exekutiven Machtausübung auf dem Gebiete der auswärtigen Gewalt unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von Truppen in Ubersee.
Obwohl die Zwischenfälle im Golf von Tonking zuerst ziemlich bedeutungslos erschie-nen, begann doch für die meisten Amerikaner der Krieg in Vietnam mit den Konsequenzen dieser Vorfälle vom 2. und 4. August 1964: Der erste Zwischenfall ereignete sich am 2. August. Er betraf den amerikanischen Zerstörer USS „Maddox", der sich angeblich auf einer Routinepatrouille in internationalen Gewässern befand und im Golf von Tonking von nordvietnamesischen Torpedoschnellbooten angegriffen wurde. Es gab keine Verluste an Menschen und Material und die maßgeblichen amerikanischen Entscheidungsträger schienen den Vorfall anfänglich nicht als schwerwiegend zu bewerten. Der Präsident beschränkte sich im wesentlichen auf die Anordnung verschärfter Schutzmaßnahmen für künftige Patrouillenfahrten und ließ eine Protestnote an Hanoi übermitteln
Der zweite und stärker umstrittene Zwischenfall ereignete sich nur etwa 48 Stunden später, als die beiden amerikanischen Zerstörer „Maddox" und „C. Turner Joy" wiederum von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen wurden. Auch dieser Angriff endete für die Amerikaner ohne Verluste, es wurden jedoch zumindest zwei feindliche Boote versenkt Aber schon eine halbe Stunde nach Beendigung dieses Zwischenfalles schien sich Präsident Johnson grundsätzlich für einen Vergeltungsschlag entschieden zu haben Zur gleichen Zeit empfahl auch der Oberkommandierende im pazifischen Raum, Admiral Sharp, die Genehmigung sofortiger Strafaktionen gegen Nordvietnam, worauf auch etwa zwei Stunden später die Nachricht des Vereinigten Generalstabes (Joint Chiefs of Staff) eintraf, einen Angriff bei Tagesanbruch vorzubereiten Nach einem Treffen des Präsidenten mit dem Nationalen Sicherheitsrat wurde innerhalb weniger Stunden nach dem zweiten Zwischenfall der Vergeltungsschlag beschlossen und Angriffsbefehl gegeben Präsident Johnson gab in der Nacht vom 4. zum 5. August, eine Stunde und 40Minuten bevor die ersten US-Flugzeuge ihr Ziel in Nordvietnam erreichten eine Erklärung an das amerikanische Volk über die Rundfunk-und Fernsehstationen ab Sie endete mit dem Satz: „Its mission is peace"
Nach den Angriffen der nordvietnamesischen Boote auf die amerikanischen Zerstörer im Golf von Tonking wurden 16 führende Kongreßmitglieder beider Parteien vom Präsidenten zu einem Konsultationsgespräch in das Weiße Haus eingeladen. Das Gespräch dauerte etwa 90 Minuten Um für die schlimmsten Entwicklungen auf dem Kriegsschauplatz in Vietnam vorbereitet zu sein wollte Johnson nun die Mitglieder des Kongresses „konsultieren" und um Billigung und Unterstützung seiner Maßnahmen bitten. Wenn dieses Gespräch im Weißen Haus von der Presse auch als „consultation" geschildert wurde, so handelte es sich doch im wesentlichen um ein „ 90-minute briefing" Der Präsident lieferte den Parlamentariern Informationen post festum Die Pläne über den Vergeltungsschlag, eine unmittelbar bevorstehende Bombardierung Nordvietnams, wurden mitgeteilt und der Wunsch nach legislativer Unterstützung in Form einer Resolution klar ausgesprochen. Laut Johnson jedoch wurden die Vor-und Nachteile der Resolution diskutiert und die gewünschte inhaltliche Form der vom Kongreß zu billigenden Resolution durch Außenminister Rusk dargelegt Johnson bat um sofortige Annahme, und die am Gespräch beteiligten führenden Kongreßmitglieder beeilten sich, dem Präsidenten die sofortige Annahme der Resolution zuzusichern Keiner der Anwesenden hatte irgendwelche Einwände gegen den Vergeltungsschlag oder die Form der zu verabschiedenden Resolutionen. Senator Everett Dirksen (R-Ill.) bestätigte während der späteren Debatten im Senat, daß der Präsident jedermann vor Verlassen des Weißen Hauses gefragt habe, ob er die Resolutionen unterstützen würde, und alle hätten zugesagt
Am nächsten Tag, dem 5. August 1964, sandte Präsident Johnson dem Kongreß eine Sonder-botschaft, in der er sehr präzis die Grundlinien der erbetenen Vollmacht aufzeichnete. Er wies darauf hin, daß er die Führer der beiden Parteien konsultiert habe und bat offiziell um die Annahme der Resolution. Innerhalb von drei Tagen, nach nur oberflächlichen Debatten und keinen formalen Hearings, bekam der Präsident seinen „Blankoscheck" ausgestellt. Der Kongreß verabschiedete am 7. August mit nur zwei Gegenstimmen (Senator Wayne Morse, Senator Ernest Gruening) die vom Präsidenten beantragte Ermächtigungsresolution. Der formal gerechtfertigten Kriegführung stand nichts mehr im Wege.
Heute ist bekannt, daß die Vereinigten Staaten schon viele Monate vor den Tonking-Zwischenfällen, die die öffentliche Rechtfertigung einer angestrebten Expansion ermöglichten, bestimmte Schritte zur Eskalation des Vietnam-Konfliktes unternommen hatten. Vor allem durch die Enthüllungen der sog. Pentagon-Papiere erfuhr die Öffentlichkeit, daß die Vereinigten Staaten schon seit Anfang 1964 heimliche militärische Aktionen gegen Nordvietnam durchgeführt hatten. Es ist der Vorwurf erhoben worden, daß deren Zielsetzung die ausdrückliche Unterstützung exekutiver Maßnahmen in Indochina durch eine vom Kongreß zu verabschiedene Resolution gewesen sei. Der Wortlaut dieser Resolution war schon seit langem von der Exekutive selbst vorbereitet worden 43) und entsprach laut exekutiver Auffassung dem Wert einer K und entsprach laut exekutiver Auffassung dem Wert einer Kriegserklärung („functional equivalent of a declaration of war") und damit der Aushändigung eines Blankoschecks an den Präsidenten in seiner Eigenschaft als Chief-Executive und Oberkommandierender. Die Zwischenfälle im Tonking-Golf waren der US-Regierung ein willkommener Anlaß, ihre Pläne zu verwirklichen und den Kongreß ohne irgendwelche Hinweise auf die bereits durchgeführten geheimen Operationen um die Billigung der erwünschten Resolution zu bitten. Das Ausmaß der geheimen militärischen Aktionen und die Absicht der Exekutive, die Resolution zur Eskalation des Vietnamkonfliktes zu benutzen, wurden natürlich geheimgehalten.
Auch die Zwischenfälle vom 2. und 4. August 1964 im Golf von Tonking, die äußerlieh relativ unbedeutend erscheinen, sind in Wirklichkeit komplex und von 'großer Bedeutung. Aufgrund einer Reihe von Quellen war es in späteren Jahren möglich, zumindest eine begrenzte Aussage über entscheidende Punkte der wirklichen Vorgänge im Golf zu machen. Jedoch ist die ganze Angelegenheit teilweise im Dunkeln geblieben. Der positive Nachweis, daß die Angriffe (im wesentlichen handelt es sich um den 2. Angriff) nicht stattfanden, konnte nicht erbracht werden. Ebensowenig konnte die Exekutive einen definitiven Beweis für die Existenz der Angriffe bringen. Es läßt sich aber nachweisen, daß ein gewisser Zusammenhang zwischen den Patrouillen der Zerstörer im Golf und den geheimen Operationen bestand, so daß die Nordvietnamesen sich sehr wohl aus ihrer Sicht bedroht fühlen konnten.
Tatsache ist, daß die Tonking-Golf-Zwischenfälle zur Bombardierung Nordvietnams, der Entsendung von über einer halben Million Soldaten nach Indochina und einer gewaltigen Eskalation des Konfliktes führten. Legale Grundlage dieser exekutiven Maßnahmen war die Tonking-Golf-Resolution, die Präsident Johnson ermächtigte „... to take all necessary measures to repel any armed attack against the forces of the United States and to prevent further aggression" 44).
So unbedeutend die Zwischenfälle an sich waren, müssen sie doch als Anlaß für eine größere Krise in Erwägung gezogen werden, nicht nur hinsichtlich der militärischen und politischen Probleme des Vietnam-Konfliktes, sondern gerade auch in bezug auf konstitutionelle und institutionelle Entwicklungen. Die Zwischenfälle sind zu einer Angelegenheit heftiger öffentlicher Kontroversen in den Vereinigten Staaten geworden; nachträglich wird die Glaubwürdigkeit der durch die US-Regierung veröffentlichten Informationen über den Fiergang selbst und die Angemessenheit der amerikanischen Aktionen stark angezweifelt.
Einerseits hat der Kongreß versagt und nicht oder kaum versucht, wesentliche Informationen von dritter Seite zur Kontrolle der Darstellungen der Regierung zu erhalten. Ande-rerseits müßte hingegen unter den bestehenden Verhältnissen die Exekutive für eine adäquate Information sorgen, um der Legislative die Möglichkeit zu einer ausgewogenen Entscheidung zu geben. Der permanente Verweis der Exekutive auf die Notwendigkeit zur Geheimhaltung wesentlicher Informationen hat, zumindest auf lange Sicht, einen negativen Einfluß auf den außenpolitischen Entscheidungsprozeß. Es sollte möglich sein, zu einem entsprechenden Übereinkommen zu gelangen, hat doch auch der Kongreß das Verlangen, geheimes Material zu schützen. Tatsache ist jedoch, daß, abgesehen von den zugänglichen Informationsquellen, die Mitglieder des Kongresses die wichtigsten außenpolitischen Nachrichten aus der Presse beziehen.
Nur wenige Senatoren verlangten während der Debatten und Hearings eine präzise Information über die Einzelheiten der Tonking-Golf-Zwischenfälle, was ihnen jedoch verwehrt wurde Obwohl die Mitglieder der beiden zuständigen Ausschüsse über mehrere Fakten hätten informiert sein müssen, wenn man allein die vehementen Warnungen von Senator Wayne Morse berücksichtigt, führt Senator Fulbright — der sich verantwortlich als „floor manager" der Exekutive ohne kritische Überprüfung der exekutiven Informationen sowohl im Plenum als auch während der ersten wichtigen Hearings voll und ganz für die Verabschiedung der Tonking-Golf-Resolution im Sinne der Exekutive und damit gegen den Versuch eines möglichen alternativen Kurses einsetzte — später an, daß die Senatoren noch nicht einmal herausgefunden hätten, daß die Maddox auf einer „intelligence patrol" war Windchy trifft den kern der Problematik: „In short, the all-important briefings of August 6 were a mockery of the legislative process"
Die Tonking-Golf-Resolution schaffte nicht nur in bezug auf die Frage der US-Kriegführung in Indochina/Vietnam ohne formelle Kriegserklärung, sondern auch hinsichtlich der US-Verfassung auf dem Gebiete des ius belli Verwirrung. Obgleich die Verabschiedung der Tonking-Golf-Resolution durch den Kongreß die Eskalation und damit größere militärische Aktionen zunächst ohne rechtliche Behinderung möglich machte, besagt dies noch nicht, daß diese Art von Kriegführung wirklich legal ist. Vorsichtig ausgedrückt kann man hier nur feststellen, daß man sich in einer konstitutionellen „Grauzone" befindet Senator Fulbright beruft sich im wesentlichen darauf, daß die Resolution nach Erhalt falscher Informationen von der Legislative gebilligt wurde. Wayne Morse verweist auf die Tatsache, daß die Resolution nicht verfassungsgemäß sei, weil die Übertragung legislativer Befugnisse auf dem Gebiete der War Powers an den Präsidenten das von den Gründungsvätern angestrebte demokratische System mit seinen Kontrollen und Gegenkontrollen entscheidend verfälschen würde.
Am 31. Dezember 1970 hat der 91. Kongreß als eine seiner letzten legislativen Maßnahmen und relativ unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit das Gesetz über die Rüstungsverkäufe an das Ausland, den sog. „Foreign Military Sales Act of 1971" gebilligt, in dessen Rahmen auch die Aufhebung der Tonking-Golf-Resolution stattfand. Nixon unterschrieb dieses Gesetz am 14. Januar 1971.
Schon Ende des sechziger Jahre, als ein wesentlich anderes Bild über die wirklichen Vorgänge im Tonking-Golf entstanden war, mehrten sich im Kongreß die Stimmen derer, die für eine Aufhebung der Tonking-Golf-Resolution plädierten. Bei zwei verschiedenen Anfragen wurde im Senat mit überwältigender Mehrheit für eine Aufhebung gestimmt. Jedoch änderten im Laufe der Bera-tungen im Senat die Republikaner die selbständige Maßnahme der Aufhebung der Tonking-Golf-Resolution in einen Zusatzantrag zum Foreign Military Sales Act of 1971 ab, um der Aufhebung der umstrittenen Resolution die spektakuläre Wirkung zu nehmen. Trotz anfänglicher Versuche des Senators Fulbright, mit der Aufhebung der Tonking-Golf-Resolution auf eine breitere Offentlichkeitswirkung zu zielen, einigte man sich schließlich im Vermittlungsausschuß (Conference Committee) darauf, es bei der genann-ten Aufhebung der Resolution als Zusatzbestimmung des Foreign Military Sales Act of 1971 zu belassen. Zielsetzung der Aufhebung ist die Klärung der exekutiven und legislativen Befugnisse auf dem Gebiet des ius belli und damit zumindest aus der Sicht der Kritiker der Exekutive implizite die Begrenzung der präsidentiellen Kriegführung in Vietnam sowie die generelle Begrenzung auf die konstitutionellen Befugnisse des Präsidenten in seiner Eigenschaft als Chief Executive und Commander-in-Chief.
V. Die restaurative Bewegung des Kongresses
Das letzte Drittel des Jahres 1964 von der Verabschiedung der Toking-Golf-Resolution im August bis zum Jahresende war von der Tatsache gekennzeichnet, daß die exekutive Seite keine eindeutige Definition außen-und sicherheitspolitischer Zielvorstellungen in der Vietnamfrage abgab und insgesamt eine ambivalente Haltung zeigte Jedoch konnte sich der Präsident auf einen allgemeinen Konsens jener Gruppen und Kräfte stützen, die in der amerikanischen Regierung Einfluß auf den Entscheidungsprozeß in der Vietnamfrage ausübten. Die Grundhaltung des Kongresses entsprach dem im August des Jahres abgegebenen Votum Interessanterweise gab jedoch Senator Fulbright seine Rolle als Verfechter der exekutiven Politik auf, und bei dem anschließenden Versuch der Stärkung der legislativen Rolle im außen-und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozeß bezeichnete er das Engagement der Vereinigten Staaten in Vietnam als einen schwerwiegenden Fehler
Mit dem offensiven Einsatz amerikanischer Bodentruppen hatte Präsident Johnson den entscheidenden Schritt zur präsidentiellen Kriegführung getan, der zur Eskalation der amerikanischen Intervention in Vietnam führen mußte. Die Legislative erleichterte dem Präsidenten in den ersten Monaten des Jahres 1965 die Durchführung seiner außen-und sicherheitspolitischen Entscheidungen gegenüber Vietnam vor allem durch eine vorbehaltlose Bewilligung zusätzlicher finanzieller Mittel; es kam nur zu wenigen unwesentlichen Debatten in den zuständigen Ausschüssen und im Plenum. Die überwiegend passive Haltung der Legislative war durch eine gewisse Ratlosigkeit in der Frage des Ziel-Mittel-Verhältnisses gekennzeichnet. Obwohl bis Ende 1965 die überwiegende Majorität aller Bereiche des amerikanischen Regierungssystems den Kurs gegenüber Vietnam eindeutig unterstützte, kann man davon ausgehen, daß Fulbrights Senatsansprache vom 15. Juni.
1965 als ein Warnzeichen dafür angesehen werden muß, daß der Senat die Administration nur im Falle einer gemäßigten Militärpolitik gegenüber Vietnam weiterhin unterstützen würde und er Verhandlungen über die Beilegung des Konfliktes erwarte. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch für die Administration keine Möglichkeit des „in-between"
mehr, Die bis zum Jahre 1967 auftretenden Diskussionen um die verfassungsrechtlichen Aspek-te kulminierten im wesentlichen in dem Versuch der Exekutive, sich eine zusätzliche legislative Abdeckung der überwiegend auf der Tonking-Golf-Resolution basierenden Krieg-führung in Form zusätzlicher Bewilligungen für das Militärbudget und damit direkt oder indirekt für Vietnam zu verschaffen. Obwohl die kleine Gruppe oppositioneller Senatoren unter Führung von Morse und Fulbright durch Anträge (amendments) zur Aufhebung der Tonking-Golf-Resolution dieser Taktik zu begegnen versuchte und eine formelle Kriegserklärung vor der Bombardierung Nordvietnams und der Erhöhung von Boden-truppen verlangte bewilligte man unter allerdings erheblichen Vorbehalten die Fortführung des Krieges in Vietnam ohne irgendwelche Einschränkungen der präsidentiellen Befugnisse.
Die Jahre 1967 bis 1969 sollten den Beginn einer restaurativen Revolte des Kongresses bringen. Das Jahr 1967 war durch eine interne Mobilisierung des Kongresses in der Vietnamfrage sowie eine Steigerung der Auseinandersetzungen um die War Powers gekennzeichnet. Auch die Rückwirkung auf die Öffentlichkeit mittels der an Zahl, Schärfe und Kritik zunehmenden Hearings war erheb-lieh und sollte sich im Laufe der kommenden Jahre noch beträchtlich steigern.
Die Schlüsselfrage, die Fulbright immer wieder stellte, war die nach dem „nationalen Interesse" und der Rückwirkung des amerikanischen Vietnamengagements sowohl auf die internationale wie die nationale Verantwortung der Vereinigten Staaten „The war in Vietnam", so der Senator abschließend, „may well prove to be a commitment that is not in the interest of this country" Im Zusammenhang mit dieser Kardinalfrage nach dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten und der darüber entstehenden breiten Diskussion muß im gleichen Zeitraum auch die Zurückhaltung legislativer Führer bei der Frage über die Entscheidung des potentiellen Einsatzes von US-Streitkräften zugunsten des Staates Israel gesehen werden. Offensichtlich ist, daß zu diesem Zeitpunkt selbst die Vietnam-Falken nicht mehr bereit waren, US-Streitkräfte in einen weiteren Konflikt zu verwickeln, der jede Möglichkeit zur Eskalation in sich trug Hier treten also sicherlich die Wechselwirkungen zwischen dem legislativen Bereich und der öffentlichen Meinung zutage, und es kommt langsam zu einem Beeinflussungsprozeß in Richtung Exekutive. Obwohl bis etwa 1967/68 die Balance des Verhältnisses Exekutive-Legislative-Öffentlichkeit noch zugunsten der Exekutive erhalten bleibt, wird die Berechtigung der amerikanischen Indochinapolitik in Frage gestellt.
Die Auseinandersetzungen zwischen Exekutive und Legislative speziell auf dem Gebiet des ius belli erreichten im November 1967 einen vorläufigen Höhepunkt. In diesem Monat wurde durch den auswärtigen Senatsausschuß eine sog. „sense of the senate" -Resolution angenommen dergemäß künftige Einsätze amerikanischer Streitkräfte zu militärischen Aktionen im Ausland nur unter ausdrücklicher Billigung des Kongresses zu genehmigen seien Ausgenommen sollte selbstver-ständlich das konstitutionell verankerte Recht des Präsidenten werden, plötzliche Angriffe auf die Vereinigten Staaten abzuwehren oder Maßnahmen zum Schutz von amerikanischen Bürgern und Eigentum im Ausland zu ergreifen. Da die Resulution auf potentielle, d. h. zukünftige Einsätze zielte, wird impliziert, daß die nach der Tonking-Golf-Resolution entstandene Eskalation des Vietnam-Konfliktes nicht unmittelbar berührt wurde, andererseits gleichwohl eine ausdrückliche Warnung an den Präsidenten ausgesprochen werden sollte.
Die Entwicklung des Jahres 1967/68 setzte sich im großen und ganzen auch 1969 fort. Der neue Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, der schon während der Wahlen durch seine diplomatische Haltung in Fragen der Vietnampolitik das Bestreben zeigte, mögliche Lösungen des Problems offenzuhalten, schien der legislativen Kritik Auftrieb zu nehmen. Obwohl die im Sommer 1969 verkündete Nixon-Doktrin — besonders deren Aspekt der Vietnamisierung — entsprechende Erwartungen verstärkte, bat doch die Administration um nationale Einheit und Geduld für ihre Politik zur Lösung des Vietnam-problems. Ohne Zweifel waren die Kritiker der Vietnampolitik Johnsons zuversichtlich und erwarteten von Nixon dramatische Schritte in Richtung auf eine Deeskalation des vietnamesischen Konfliktes. Selbst der auswärtige Senatsausschuß, der „Taubenschlag des Senates" verschob angesichts dieser Erwartungen bereits angesetzte Vietnam-Hearings um die Ansprache des Prä-sidenten vom 3. November 1969 über die Situation in Vietnam abzuwarten.
Eine Analyse der Vorgänge dieses Zeitraumes legt die Vermutung nahe, daß die legislativen Kritiker durch Dämpfung oder teilweise Aufgabe ihrer Kritik der Exekutive eine Atempause verschafften, um ihr in einer bewußt geschaffenen optimistischen Atmosphäre die Planung einer neuen Vietnampolitik zu ermöglichen. Zumindest schien dies die Administration anzunehmen, denn sie versuchte, den legislativen Optimismus durch vorsichtige Erklärungen zu dämpfen, um bei eventueller Nichterfüllung der allgemeinen Erwartungen den Kritikern keine zusätzlichen Möglichkeiten für eine Angriffsfläche zu geben.
Für die Legislaturperiode des 91. Kongresses bis zum Januar 1971 ergibt sich, daß die Überbetonung der präsidentiellen Führerschaft in grundlegenden außenpolitischen Fragen langsam einer Wiederherstellung des teilweisen Mitspracherechtes der Legislative weicht. Symbolisch manifestierte sich der Versuch der Restauration des konstitutionellen Gleichgewichtes zu diesem Zeitpunkt vorwiegend im Widerruf der umstrittenen Tonking-Golf-Resolution und in verschiedenen zweckdienlich geänderten Haushaltsvorlagen, die dem Präsidenten Beschränkungen bei seinen Befugnissen über den Einsatz amerikanischer Streitkräfte auferlegten. Die wohl gravierendste Handlung des 91. Kongresses stellte die Verabschiedung des Cooper-Church-Amendments im Rahmen des „Supplement Foreign Assistance Authorization" dar das im Sinne der Förderer zwei fundamentalen Zielsetzungen dienen soll, nämlich zum einen der Wiederherstellung einer gemeinsamen exekutiv-legislativen Verantwortlichkeit beim militärisch-kriegerischen Einsatz amerikanischer Streitkräfte und zum anderen den legislativen Versuch der Deeskalation des Konfliktes in Indochina mit dem endgültigen Ziel einer Beendigung des Krieges.
Zum erstenmal in der amerikanischen Geschichte wurden damit dem Präsidenten durch den Kongreß gesetzliche Beschränkun-gen auf dem Gebiete des ius belli (War Powers) auferlegt. Nach anfänglichem Widerstand billigte auch Nixon die Restriktionen. Obwohl diese präsidentielle Zustimmung im Zusammenhang mit der exekutiven Politik des Rückzuges aus Vietnam das politische Gewicht des Amendments etwas minderte, darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß eben gerade diese exekutive Rückzugspolitik ein Ergebnis entsprechender legislativer Aktionen, vorwiegend des Senats, war. Das an sich gemäßigte und rationale Vorgehen des Kongresses spiegelt sich in der Ablehnung jenes Antrages der Senatoren McGovern und Hatfield wider, die dem Präsidenten vorschreiben wollten, bis zu welchem Datum er die Streitkräfte aus Vietnam abzuziehen habe. Zu diesem Zeitpunkt war eine zeitliche Beschränkung der präsidentiellen Aktionen politisch nicht haltbar.
Obwohl der Prozeß der Wiederherstellung der „Checks and Balances“ für das Gebiet der Außen-und Sicherheitspolitik positiv verläuft, handelt es sich nur um erste Schritte in Richtung auf eine Restauration der in der Verfassung verankerten legislativen Rolle beim außenpolitischen Entscheidungsprozeß und speziell bezüglich der War Powers. Die durch das Cooper-Church-Amendment und den Widerruf der Tonking-Golf-Resolution veranschaulichten Aktionen kennzeichnen jedoch einen gravierenden Stimmungswechsel auf dem „Capitol Hill". Zu diesem Zeitpunkt scheint sich die Mehrheit der Kongreßmitglieder für eine Rückgewinnung der „war-making power" einzusetzen, wenn man sich auch wohl über die Mittel noch nicht im klaren ist.
In der ersten Session des 92. Kongresses (3. Januar 1971 — 3. Januar 1972) trieben die führenden Kritiker des Viet-amengagements im Senat den in den vorhergehenden Jahren begonnen n Kampf um die Wiederherstellung des konstitutionellen Machtgleichgewichts zwischen Exekutive und Legislative in außen-und sicherheitspolitischen Fragen intensiver voran und konnten daher Nixon teilweise in die Defensive drängen. Festzustellen ist jedoch, daß es Nixon durch seine Vietnamisierungspolitik und die Ankündigung außenpolitischer Initiativen gegenüber China und der UdSSR gelang, Vorstöße wie die der Senatoren Fulbright, Mansfield, Church und Cooper zumindest kurzfristig zu blockieren.
Aber weitere wichtige Schritte in Richtung auf die Wiederherstellung des legislativen Mitspracherechtes erfolgten, so die Gesetzesvorlagen der Senatoren Clifford P. Case, Jacob K. Javits und John Stennis. Am 13. April 1972 wurde z. B. die War-Powers-Vorlage der beiden letztgenannten Senatoren mit großer Mehrheit durch den Senat gebilligt und damit ein erster legislativer Versuch unternommen „... to define and delineate the overlapping constitutional warmaking powers of Congress and the Presidency" Wenn auch diese Vorlage wiederum an der Haltung des konservativen Repräsentantenhauses scheiterte, so hat sie doch die Funktion eines politischen „Signals", den Kongreß an außenpolitischen Entscheidungen zu beteiligen, wohl erfüllt. Ein weiterer Höhepunkt in der exekutiv-legislativen Auseinandersetzung wurde Ende Juli 1972 durch eine Niederlage Nixons im Kongreß erreicht. In beiden Häusern gewann der Widerstand gegen die präsidentielle Vietnam-politik ein Ausmaß, das in einem parlamentarischen System einem Mißtrauensvotum entsprochen hätte Mit 18 gegen 17 Stimmen nahm der auswärtige Senatsausschuß am 24. Juli eine Entschließung an, in der die Administration aufgefordert wurde, die militärischen Aktionen in Indochina bis zum 1. Oktober 1972 einzustellen und die US-Streitkräfte abzuziehen Zwei Tage vorher hatte sich der Senat bereits mit 50 gegen 45 Stimmen für einen Zusatz zur militärischen Auslandshilfe ausgesprochen, wonach innerhalb von vier Monaten nach Freilassung der Kriegsgefangenen die Finanzierung des US-Engagements in Indochina eingestellt werden sollte. Obwohl daraufhin die gesamte Gesetzesvorla-ge von den Befürwortern der präsidentiellen Politik im Senat mit 48 zu 42 Stimmen zu Fall gebracht wurde hatte inzwischen der Auswärtige Ausschuß des als „uneinnehmbare Festung der Vietnam-Falken" geltenden Repräsentantenhauses überraschend eine ähnliche Vorlage gebilligt, ein für dieses Gremium kurze Zeit vorher noch undenkbarer Vorgang.
Im Juni 1973, also fast sechs Monate nach dem Waffenstillstandsabkommen in Vietnam vom 27. Januar, sollte es zu einem vorläufigen Höhepunkt in der exekutiv-legislativen Auseinandersetzung auf außen-und sicherheitspolitischem Gebiet durch eine ernst zu nehmende Niederlage Nixons sowohl im konservativen Repräsentantenhaus als auch im Senat kommen. Trotz der Warnungen des Präsidenten, der seine Kambodscha-Politik und die durch Henry Kissinger geführten Vietnam-Verhandlungen bedroht sah, haben erstmals beide Häuser des Kongresses gegen Nixons Politik in Indochina durch eine Sperre der finanziellen Mittel für die amerikanische Luftkriegführung in Kambodscha protestiert. Am 11. Mai 1973 hatte das Repräsentantenhaus „... dieAblehnung der Bewilligung von 3, 6 Milliarden Dollar, die das Pentagon für die Fortsetzung des Bombenkrieges angefordert hatte ..." beschlossen. Hier kann nicht genug betont werden, daß gerade die „neue" Haltung des Repräsentantenhauses fast einer Revolution gleicht, denn es war ja gerade dieses Haus, das viele Jahre lang den präsidentiellen Krieg in Indochina ohne Widerspruch finanziell unterstützte und damit die wirkungsvollste Waffe des Kongresses — nämlich das Budget-Recht — aus der Hand gab. Der Senat schloß sich der Auffassung des Repräsentantenhauses mit großer Mehrheit an
Durch diese gemeinsame Maßnahme des Kongresses gegen eine Finanzierung des kambodschanischen Bombardements durch gegenwärtig oder früher bewilligte Haushaltsmittel haben sich zum erstenmal beide Häuser des Kongresses in voller Übereinstimmung gegen Nixons Indochinapolitik ausgesprochen — eine Haltung, die in ihrer Konsequenz schon jetzt die Einsätze der US-Luftstreitkräfte um ein Drittel reduziert.
Die Haltung des Kongresses ist eine unzweifelhafte Aufforderung an den Präsidenten, nun endlich seine Politik in Kambodscha dahingehend zu ändern, daß weitere militärische Verwicklungen und mögliche Eskalationen in Südostasien ausgeschlossen werden. Da das Repräsentantenhaus überdies bisher als uneinnehmbare Festung der Vietnam-Falken galt, dürfte die augenblickliche Entwicklung im Kongreß als ein sehr ernst zu nehmendes Warnsignal für den Präsidenten gelten. Man kann erwarten, daß künftige Angriffe der Legislative auf die Vietnampolitik des Präsidenten von einer breiten legislativen Basis getragen werden. Wichtiger aber wird sein, daß der Kongreß die im Kampf um eine Lösung der Verstrickung in Indochina eroberte Stellung nach der Beilegung des gesamten Konfliktes nicht mehr aufgeben wird. Die Zeit der außenpolitischen Abstinenz des amerikanischen Parlaments wäre damit sicherlich zu Ende. Gerade Kambodscha wird heute als Testfall dafür angesehen, ob der Präsident, dessen Position durch die Watergate-Affäre außen-und innenpolitisch geschwächt ist, endlich zur Kooperation mit der legislativen Gewalt bereit ist
VI. Schlußbetrachtung
Angesichts der großen außenpolitischen Machtfülle, die sich seit spätestens dem Zweiten Weltkrieg zugunsten des Präsidenten angesammelt hat, und der großen institutioneilen Vorteile der Regierung gegenüber dem Kongreß wäre es wohl naiv zu glauben, daß die in der Folge der Tonking-Golf-Resolution in Gang gesetzte Entwicklung des außenpolitischen Interesses im Kapitol zu einem Wechsel des Kräftegleichgewichtes zwischen Exekutive und Legislative in der Außenpolitik führen könnte: zu lange ist die Zeit der außenpolitischen Zurückhaltung des Kongresses, zu tief eingegraben sind die gewohnheitsmäßig entwickelten Vorrechte des Präsidenten auf der internationalen Ebene, zu groß ist die gewachsene Überzeugung vom engen Zusammenhang zwischen Außen-und Sicherheitspolitik und der potentiellen Notwendigkeit einer schnellen Entscheidungsfindung gerade in Krisensituationen. Trotz der augenblicklichen einschneidenden Maßnahmen des Kongresses gegenüber der Kriegführung des Präsidenten in Indochina wird der Kongreß nur zögernd die volle außenpolitische Verantwortung übernehmen wollen, die heute auch die Möglichkeit nuklearer Konfrontation einschließt und somit viel schwerer wiegt als früher.
Freilich ist unverkennbar, daß der Tiefpunkt der legislativen Einflußmöglichkeiten auf die Außenpolitik, gekennzeichnet durch die Tonking-Golf-Resolution und ihre Folgen, wieder verlassen worden ist. Die Resolution ist widerrufen, der Präsident hat in der Frage der Auslandshilfe und der War Powers schwere Niederlagen hinnehmen müssen und die Notwendigkeit der amerikanischen Verteidigungsanstrengungen im Ausland wird immer heftiger in Frage gestellt. Der Kongreß hat seine Möglichkeit zum Eingreifen in die amerikanische Außenpolitik nicht nur erkannt, sondern seinen Willen dazu kundgetan.
Die Verfechter der uneingeschränkten Prärogative des Präsidenten auf dem Gebiet der Außenpolitik bedauern diese Entwicklung, weil sie in ihr eine Gefahr für die Reaktionsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit der Regierung, für ihre „effectiveness“ und damit letztlich für die Sicherheitsinteressen sehen. Ihrer Ansicht nach sind wichtige und dringliche Fragen der Außen-und Sicherheitspolitik nicht in der parlamentarischen Debatte zu lösen; die auswärtige Gewalt muß speziell in sicherheitspolitischer Hinsicht gemäß dem Prinzip der „effectiveness" im absoluten Sinne handlungsfähig seip. Sie sehen darin zum Teil nicht nur eine Zeitfrage, sondern uch eine Frage der fachlichen Befähigung. Angesichts einer weitverzweigten außenpolitischen Bürokratie mit ihren unzähligen hochspezialisierten Fachleuten kann man diese Argumentation nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Verteidiger der parlamentarischen Beteiligung am außenpolitischen Willensbildungsprozeß verweisen jedoch auf das Prinzip der legislativen Kontrolle der auswärtigen Gewalt und bezüglich der „effectiveness" auf das ja bereits in der Verfassung verankerte Recht des Präsidenten, „to repel sudden attacks upon the United States", das in Fällen der akuten Gefahr für die nationale Sicherheit durchaus ausreiche. Im übrigen halten sie die Behauptung, daß die parlamentarische Mitarbeit den außenpolitischen Entschei, dungsprozeß verlangsame, für nicht erwiesen.
Betrachtet man die Vorgänge in der Bürokratie der Exekutive, so läßt sich allerdings feststellen, daß teilweise auch der Kongreß nicht langsamer und ineffektiver sein kann
Hinzu kommt die von den legislativen Verfechtern vorgetragene Tatsache, daß der Präsident trotz seiner ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu Fehlentscheidungen größter Tragweite kommen kann. Ist das nicht gerade eine Erwägung, die zum System der „shared and balanced powers", dem Prinzip des amerikanischen Regierungssystems, zurückführt?
Die Argumente beider Seiten haben also ihre sachliche Berechtigung. Die Exekutive als aktiver Gestalter der Außenpolitik muß mehr Gewicht auf die „effectiveness" legen als die Legislative, der die bremsende parlamentarische Kontrolle über die auswärtige Gewalt, nicht deren Handhabung selbst, zukommt. Es ist nur zu verständlich, daß sich aus diesen einander diametral entgegengesetzten Prinzipien und aus der Tatsache des Fehlens eines unumstrittenen alleinigen Trägers der auswärtigen Gewalt zwangsläufig Spannungen ergeben müssen, die auch nicht durch eine generelle Verfassungsnorm aufgehoben werden könnten. Es ist nicht zu übersehen, daß trotz der These der kombinierten Gewalt der Text der Verfassung einer Einladung zur Auseinandersetzung um die Entscheidung über die Außenpolitik und vor allem über die War Powers gleichkommt. Da es eine generelle Formel zur Beilegung der Gegensätzlichkeiten zwischen Exekutive und Legislative auf dem Gebiet der Außen-und Sicherheitspolitik nicht gibt, bleibt als Fazit, daß beide Gewalten sich dem Geist der Verfassung und den Erfordernissen der heutigen Welt gemäß verhalten, das heißt versuchen sollten, zu einer möglichst engen Kooperation zu kommen. Das wiederum würde im Hinblick auf die Praxis der Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative gerade im Fall des Indochinakonfliktes bedeuten, daß man auf eine Wiedereinbindung der präsidentiellen Prärogative in den konstitutionellen Prozeß abzielen muß. Die Watergate-Affäre mit all ihren Konsequenzen und die restriktiven Maßnahmen beider Häuser des Kongresses gegenüber den militärischen Aktionen in Indochina bieten zur Zeit eine optimale Chance, die „monarchistische" Macht des Präsidenten in Richtung auf eine demokratische Regierungspraxis zu lenken.