I. Publizistik als Forschungsgegenstand
Analysen der internationalen Publizistik sind Teil der interdisziplinären Erforschung politisch-gesellschaftlicher Systeme einzelner Staaten oder Staatengruppen. Der Presse wird hierbei, trotz des weltweiten Aufschwungs von Funk und Fernsehen, bevorzugt der Wert einer authentischen Quelle zuerkannt, da insbesondere aus den im internationalen Pressewesen sich abzeichnenden Trends bestimmende Entwicklungsfaktoren unterschiedlicher Herrschaftsordnungen zu ersehen sind, überdies dienen gerade die gedruckten Kommunikationsmittel aufgrund ihrer meist flexibleren Organisations-und Strukturformen als Indikator sich anbahnenden politischen und sozialen Wandels. Gesellschaftliche Strömungen und Meinungsgruppen — beispielsweise kritisch-oppositioneller Richtung — finden in der Presse generell erheblich mehr Raum und Möglichkeiten zur Artikulation kontroverser Standpunkte als in den audio-visuellen Medien, die in ihren Aussagen vielfach nur in geringem Maße die Mannigfaltigkeit des gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildes widerzuspiegeln vermögen, im internationalen Vergleich zudem überwiegend regierungsoffizielle Funktionen wahrnehmen. Auch fällt primär der Presse, vor allem der Elite-oder Prestige-presse, die Aufgabe zu, zwischen den verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten als Vermittlungsorgan zu wirken und zum Entstehen einer internationalen Öffentlichkeit bzw. Weltöffentlichkeit beizutragen.
Untersuchungen zu Struktur oder Funktionsweise unterschiedlicher Pressesysteme — innerhalb der Kommunikationswissenschaft (Publizistikwissenschaft) dem Fachgebiet der Internationalen Kommunikation zugehörig — fallen im Rahmen der politikwissenschaftlichen Disziplin in den Bereich der Lehre von den politischen Systemen, in vergleichender Sicht in den Teilbereich der „comparative politics" (vergleichende Herrschaftslehre). Derartige Untersuchungen werden mehr und mehr in der Absicht vorgenommen, die Publizistik als zusätzliches Kriterium zur Charakterisierung, Typologisierung und Klassifizierung von Herrschaftsordnungen auszuwerten, da die Kontrolle über die sozialen Institutionen der Massenkommunikation als „Hauptbestandteil der Macht" beurteilt wird und angeregt worden ist, beim Vergleich verschiedener Herrschaftsformen nicht nur die traditionsgemäße Unterscheidung entsprechend dem Verhältnis der Gewalten zueinander, der Machtkontrolle, der Zahl der Parteien, der Rolle politischer oder gesellschaftlicher Eliten, den Freiheiten des Individuums und ähnlichen Herrschaftsmerkmalen zu treffen, sondern gleichermaßen auch „die Art der Verbreitung von Informationen in Betracht (zu) ziehen"
Der Versuch, typische Merkmale und bestimmende Tendenzen des Pressewesens in allen wesentlichen Systemformen der Industriestaaten und ebenso in der Dritten Welt darzustellen, bedingt eine Beschränkung auf kennzeichnende Beispiele, d. h. auf die Analyse der Publizistik vornehmlich solcher Länder, an denen markante Entwicklungen in exemplarischer Weise aufzuzeigen sind. Konzentration auf eine Auswahl und Absehen von einer umfassenden Detailanalyse bleiben somit unerläßlich, desgleichen ein Verzicht auf historische Fragestellungen.
II. Konzeptionen des Weltpressewesens
Die konzeptionelle Struktur der modernen Weltpresse läßt sich entsprechend der allgemeinen Herrschaftstypologie gliedern. Werden die bürgerlich-liberale, pluralistische Demokratie, die sozialistische oder Volksdemokratie, die Systemform der konservativ-autoritären Ordnungsstaaten als Hauptkategorien dieser Typologie gewählt und findet der spezifische Entwicklungstypus der Länder der Dritten Welt gleichrangig Berücksichtigung, so sind die nachstehenden, zum Teil begrifflich und theoretisch ausformulierten publizistischen Konzeptionen und Funktionsbestimmungen für den Gesamtbereich der Weltpresse abzugrenzen:
a) Die Konzeption, derzufolge die Medien als staatsunabhängige, politisch-gesellschaftlich eigenständige Faktoren öffentlicher Urteils-und Willensbildung sowie als Repräsentanz verschiedener politisch-gesellschaftlicher Meinungen, Strömungen und Interessen dienen. Als Konseguenz dieser Auffassung verschaffte sich die Überzeugung Geltung, daß der Journalismus und seine Publizitätsorgane in ebenbürtige Rivalität mit anderen Machtgruppen des staatlich-politischen oder gesellschaftlichen Lebens treten und somit als konkurrierende Elite an dem Gefüge der politischen Gewalten gleichrangig teilhaben könnten. Dieser publizistische Typus gilt als die maßgebliche kommunikationspolitische Konzeption der klassisch-liberalen Demokratie, wie sie besonders in Europa und Nordamerika ausgeprägt wurde und vor allem im Verlaufe des 20. Jahrhunderts von zahlreichen Staaten außerhalb dieser Bereiche übernommen worden ist (z. B. Japan).
b) Die Konzeption, derzufolge die Medien in das staatlich-politische Herrschaftssystem, repräsentiert durch eine alleinregierende Partei und Gesellschaftsschicht, integriert sind und die von der Staatsführung einheitlich wie umfassend organisierte Planung oder Lenkung der Gesellschaft durch Bewußtseinsformung und kollektive Massenmobilisierung zu unterstützen haben.
Jede Teilung und Aufsplitterung des Herrschaftsgefüges und damit jede Publizistik als eigenständige Instanz rivalisierender gesellschaftlicher Kräfte gegenüber dem Exekutivbereich werden im Prinzip verworfen; das Kommunikationswesen fungiert allein als Instrument und im Interesse der machtausübenden Gruppe, Schicht, Klasse oder ihrer organisatorischen Vertretung und spiegelt deren wissenschaftlich-ideologische Positionen sowie den „objektiven" historischen Prozeß wider.
Diese in den marxistisch-leninistischen Volksdemokratien verwirklichte Konzeption wird jedoch nicht als pragmatische Herrschaftsmethode erklärt, sondern erfährt im wesentlichen eine philosophisch-ideologische Begründung. Den theoretischen Grundlagen erkennt man wissenschaftlichen Charakter zu. c) In Ergänzung zu diesen beiden Formen der Pressepolitik sind jene Konzeptionen zu nennen, die eine strenge Sonderung von privilegierter, staatsloyaler oder staatlich dirigierter und nicht-privilegierter Publizistik aufweisen. Pressepolitik ist hier oftmals in erster Linie ein technokratisch und pragmatisch gehandhabtes Führungsmittel, das nur begrenzt in programmatischer Selbstaussage erklärt wird. Die Medien gliedern sich dann gewöhnlich in eine politisch aktive Publizistik (mit oftmals flexibler Weisungsgebundenheit), der von der Staatsführung eine politisch-gesellschaftliche Lenkungsfunktion zuerkannt oder vorgeschrieben wird und die somit als offizielle oder offiziöse Regierungspresse dient, sowie — auf der anderen Seite — in eine formal autoritätslose Publizistik, die durch relative Entpolitisierung der Inhalte charakterisiert ist und die an der politisch-gesellschaftlichen (öffentlichen) Meinungsbildung oft nicht mehr direkt und kritisch teilnimmt, d. h., der ein Verzicht auf das permanent ausübbare Recht eigenständiger Argumentation oktroyiert wird. Diese Konzeption ist vor allem in jenen Ländern nachzuweisen, deren Staatsführungen durch unideologische, technokratische oder militärische Diktatur Herrschaft ausüben, sich dabei nicht selten als transitorische Ordnungsregime verstehen. Das Ausmaß der Freiheiten oder aber Einengungen der staatsunabhängigen Publizistik bildet ein wichtiges Indiz für eine mögliche Liberalisierung oder Verhärtung des Regierungskurses.
d) Abzugrenzen von den publizistischen Modellen der entwickelten Industriestaaten, aber auch derjenigen Länder der Dritten Welt, die (wie z. T. in Lateinamerika der Fall) bereits über demokratische Traditionen verfügen und gleichzeitig ein relativ hohes Niveau ihrer politisch-ökonomischen Basis wie gesellschaftlichen Kultur erreicht haben, ist die Konzeption vor allem afrikanisch-asiatischer Entwicklungsländer. Ihr zufolge müssen die Kommunikationsmedien vorrangig eine gemeinschaftlich-kooperative Aufgabe im Interesse des nationalen Aufbaus, der innergesellschaftlichen Integration und Entwicklung erfüllen. Im Unterschied zu Hörfunk und Fernsehen, die in sich entwickelnden Ordnungen vorwiegend staatlicher Regie unterstehen, ist das Pressewesen in seiner Gesamtheit organisatorisch vielfach nicht direkt in den staatlichen Exekutivbereich, als Teil der Staatsbürokratie, eingeglie-dert. Doch versteht sich der Journalismus als eine mit der staatlichen Führung eng kooperierende Institution und beansprucht nicht oder nur bedingt politische Eigenständigkeit. Die Presse wirkt zumeist aus eigener Initiative und freiwillig, teilweise auch unter dem mittelbaren Zwang gesellschaftlicher Kollektiverwartungen an der Durchsetzung der staatlichen Führungspolitik mit. Diesen Typus finden wir vorzugsweise in denjenigen aufstrebenden Nationalstaaten bzw. Entwicklungslän dern, die ein latentes SpannungsVerhältnis oder gar ein Auseinanderfallen von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre — als politisches Spannungselement charakteristisch für eine große Zahl technologisch und ökonomisch fortgeschrittener Länder — (noch) nicht kennen, sondern in denen der Nationalismus, das allmählich erwachende Nationalbewußtsein sämtliche staatlich-politischen wie gesellschaftlichen Kräfte vereinen und auf ein gemeinsames Ziel ausrichten soll
III. Problem-und Tendenzanalyse der internationalen Publizistik
Weltpresseanalysen rücken gewöhnlich die Konkretisierung der publizistischen Freiheiten (Presse-, Kommunikationsfreiheit) in den Mittelpunkt ihrer Wertungen. Häufiges Ergebnis solcher Analysen ist der Hinweis auf eine allmähliche Minderung oder totale Geringschätzung dieser Freiheiten. Eine Schwächung oder gar ein Niedergang der demokratischen Idee wäre daher eine naheliegende Schlußfolgerung.
Insbesondere die Stellungnahmen und Aussagen von Verlegerverbänden, Presseinstituten oder wissenschaftlichen Organisationen artikulieren gesteigerte Sorge um den Bestand der freien Pressesysteme Ein „neues Jahr verlorener Schlachten" im Kampf um die Pressefreiheit nannte der jüngste Bericht des Zürcher Internationalen Presse-Institutes (IPI) die Ereignisse und Entwicklungen von 1972.
In vielen Teilen der Welt sei die Pressefreiheit weiter eingeschränkt worden; nur in etwa 26 von insgesamt 132 Staaten, die den Vereinten Nationen angehören, könne von einer tatsächlich freien Informationsmöglichkeit gesprochen werden. Die wirkliche Gefahr besteht nach Auffassung des IPI jedoch in der Bereitschaft einer wachsenden Zahl von Regierungen, Parlamentariern, Bürgern und von Vertretern der Massenmedien selbst, Angriffe auf die Freiheit der Publizistik als legitim zu dulden oder sogar zu rechtfertigen. Ein Überblick über die verschiedenen Weltregionen hinterlasse unweigerlich den Eindruck eines allgemeinen Rückschrittes durch ständige Versuche, die Informationsfreiheit sowie das Tätigkeitsfeld der Journalisten einzuengen, die Medien zu manipulieren und den Glauben zu erwecken, das Interesse der herrschenden Regierungen sei zwangsläufig dem des Staates gleichzusetzen.
Als besonders bedrohlich wird die Situation in vielen Entwicklungsländern bezeichnet. Unter den Anschlägen auf die Freiheit der Presse im Verlaufe des Jahres 1972 sei der wohl schwerste die Einführung der Zensur und publizistischen Kontrolle auf den Philip-pinen, wo die Presse, die als freieste und höchstentwickelte Asiens galt, zum Schweigen verurteilt worden wäre. Für gravierend wird die Zensur gleichfalls in Brasilien, Haiti, Panama, Paraguay, auf Kuba, in Nigeria und Libyen gehalten. In Peru fahre die Regierung fort, die Presse, soweit diese überhaupt noch den „Instinkt für Unabhängigkeit" habe, anzugreifen. „Echte Pressefreiheit" genießen laut IPI lediglich Costa Rica, Kolumbien, Salvador, Venezuela, der Libanon und Indien. In den sozialistisch regierten Ländern bleibe das Problem der Pressefreiheit weiterhin tabu. Die gemeinhin als autoritär klassifizierten Staaten Griechenland, Spanien, Portugal sowie die Türkei nähmen nach wie vor Verhaftungen oder Verurteilungen von Journalisten vor und schritten zu Repressalien gegen Presseorgane. Doch selbst in den Ländern der westlichen Demokratien sind nach IPI-Ansicht vereinzelt Gefährdungen spürbar. Zu Großbritannien stellt der Bericht fest, es seien Anzeichen dafür zu erkennen, daß politische Parteien „gewisse Informationen zu beeinflussen trachten". In der Schweiz bestehe „eine gewisse Malaise" beim Fernsehen und vor allem mit der Militärgerichtsbarkeit. In Österreich verschlechtere sich die Lage „aus wirtschaftlichen Gründen in beängstigender Art und Weise". In den USA sei der „Grundstein des Gebäudes von Ausdrucks-und Pressefreiheit" unangetastet geblieben, obwohl die Regierung in einigen Fällen Journalisten einzuschüchtern und die Öffentlichkeit zu verunsichern versucht habe.
Der Bundesrepublik wird hingegen in der rückblickenden Analyse bestätigt, daß — „mit Ausnahme bedeutungsloser Zwischenfälle" — 1972 keine negativen Veränderungen erfolgt sind: „Deutschland kennt in Wirklichkeit keine Pressefreiheitsprobleme"
Zweifellos sind derartige Berichte in erheblichem Maße von spezifisch professionellen Interessen und Ansichten, vornehmlich verlegerischen, mitbestimmt. Dies mag zwar die Darstellung der tatsächlichen Entwicklung im internationalen Pressewesen sicherlich nicht in parteiischer Weise verfälschen; doch fällt auf, daß den Ursachen, Hintergründen, Motiven oder Zwängen, die für pressepolitische Maßnahmen ausschlaggebend sind, nur unzureichend, wenn überhaupt, nachgegangen wird. Die publizistische Analyse wird nicht durch eine politische Analyse ergänzt. Auch lassen sich nicht wenige Fälle nachweisen, in denen die Beschränkung bzw. Beseitigung des publizistischen Spielraumes der Kommunikationsmedien im Grunde nicht mehr als das Ende des Mißbrauches der Pressefreiheit (Beispiel Philippinen) oder aber das Durchbrechen eines — nicht unbedingt dem nationalen Gemeinwohl dienenden — verlegerischen Meinungsmonopols (Beispiel Peru) bedeutete. Da in solchen Fällen echte Pressedemokratie nicht praktiziert worden war, muß folglich der Eindruck einer rückschrittlichen Entwicklung kontrovers sein. Es genügt letztlich nicht, „vollständige Pressefreiheit" hauptsächlich als Zustand zu verstehen, in dem sich Zeitungen, Zeitschriften und die übrigen Massenmedien „absoluter Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit" erfreuen, in dem Besitzkonzentrationen oder organisierte Selbstkontrolle fehlen und nur geringe strafrechtliche Einschränkungen gegeben sind Die Rolle der Presse als Teil des politischen Gemeinwesens und ihre Verantwortung gegenüber gesamtgesellschaftlichen Belangen bleiben entscheidende Kriterien, an denen Fortschritt oder Niedergang der Pressefreiheit wesentlich gemessen werden sollte.
1. Parlamentarisch-präsidentielle Demokratien
In der Schlußerklärung der Pariser Konferenz vom 19. und 20. Oktober 1972, dem ersten gemeinsamen Treffen der Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer der erweiterten EG, ist der Wille bekräftigt worden, die künftige Entwicklung der Gemeinschaft auf Demokratie, Meinungsfreiheit, Freizügigkeit von Ideen und Menschen sowie Mitverantwortung der Völker über ihre freigewählten Vertreter zu gründen. Die ausdrückliche Aufnahme des Begriffes Meinungsfreiheit in den Normenkatalog hat als Beweis für die Rolle zu gelten, die ihm, trotz veränderter Kommunikationsbedingungen, nach wie vor als einem konstitutiven Merkmal der Demokratie atlantischer Prägung zuerkannt wird. Möglichkeiten und Grenzen der Verwirklichung von Publikations-und Äußerungsfreiheiten stellen damit einen zuverlässigen Gradmesser für die Glaubwürdigkeit und die Funktionsfähigkeit dieser Demokratieform dar.
Wird das vorherrschende internationale Urteil als Maßstab akzeptiert, so befinden sich die für die Gewährleistung der publizistischen Freiheiten wesentlichen Kommunikationsmedien in den meisten Staaten des west- liehen Europa jedoch seit mehreren Jahren in einer zunehmend kritischen Phase. Die Krise der politischen Publizistik (Meinungspresse) als Gefährdung des demokratischen Systems — in diese Formel läßt sich das Resümee mannigfacher Einzelberichte und Kommentare zur Lage des westeuropäischen Pressewesens fassen. Die vielfältigen Umschichtungen und Umstrukturierungen auf dem Pressesektor fast aller parlamentarisch-präsidentiell regierten Länder Europas, nicht nur der EG-Staaten, bringen, so wird befürchtet, das Risiko einer Minderung oder gar ernsteren Beeinträchtigung der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung mit sich. Ungeachtet eines hohen Maßes an Gemeinsamkeit der sich drängenden Probleme sind dabei Abweichungen in den nationalen Detailfragen zu erkennen. In welch starkem Maße das Krisenbewußtsein allgemeineuropäisch geworden ist, erhärtete im Jahre 1972 die Initiative der Beratenden Versammlung des Europa-Rates, den 17 Mitgliedsländern Vorschläge zur Erörterung von Presseproblemen auf europäischer Ebene zu unterbreiten. Der Italiener Guido Gonella, Berichterstatter des sich mit Fragen der Presse-konzentration und der Medienkonkurrenz befassenden politischen Komitees der Versammlung, bezeichnete den im Februar 1972 aus Protest gegen die Schließung der Zeitung „Paris-Jour" geführten Streik der französischen Journalisten als Warnruf für die gesamte Presse Europas, die in allen Ländern Konzentrationsbestrebungen ausgesetzt sei und von der viele Blätter ihr Erscheinen einstellen müßten. Dies würde überall eine Gefährdung der Meinungsvielfalt unmittelbar nach sich ziehen. Aufgabe des politischen Komitees sollte es sein, nicht allein Vorschläge zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Presse vorzulegen, sondern darüber hinaus mit Nachdruck für das Recht der Europäer auf vollständige, breitgestreute Information einzutreten
Abgesehen von den Tendenzen zur Presse-konzentration, der Verringerung der Zahl selbständiger publizistischer Einheiten, den Möglichkeiten zur Abwehr solcher Gefahren sowie der Medienkonkurrenz und redaktionellen Mitbestimmung gehören die Wandlungen in der typologischen Struktur der Presse, d. h. in erster Linie der Übergang von der profilierten Meinungs-und Parteipresse zumS.
Typus der meinungsvermittelnden Informationspresse oder Geschäftspresse, zu dem meistdiskutierten Problem im europäischen Pressewesen.
Sind Medienwettbewerb wie Konzentration auch ein gesamteuropäisches Phänomen und wird praktisch kein europäisches Land von Schrumpfungserscheinungen besonders im Zeitungswesen verschont, so unterscheiden sich andererseits die Verhaltensweisen und Reaktionen der Regierungen beträchtlich voneinander; eine übernationale Abstimmung in der Milderung der allgemeinen Pressekrise existiert nicht.
Direkte Subventionen werden meist von der Presse selbst noch abgelehnt, dagegen steuerliche und wirtschaftlich-fiskalische Erleichterungen angestrebt. Nennenswerte gesetzgeberische Aktivitäten sind hauptsächlich nur in England, Italien und Skandinavien zu verzeichnen. Von Interesse sind vor allem die Bemühungen um eine effektive Pressesanierung in einzelnen skandinavischen Ländern, so z. B. in Schweden. Hier wurde 1971 die Anzeigensteuer (Belastung der Annoncen in der Tagespresse mit einer Steuer von 6 °/o, in der Zeitschriftenpresse von 10%) eingeführt, deren Betrag entweder in Form direkter finanzieller Hilfe oder mittels Staatsannoncen an die Presse zurückgeht. 1972 folgte die Reklamesteuer (10%) als weiterer Schritt der Subventionspolitik — und zugleich als Versuch der sozialdemokratischen Regierung, mit ihrer Grundhaltung sympathisierende Parteiblätter zu stützen, denen nun ungefähr die Hälfte der Subventionen zufloß. Nach einer Aussage des schwedischen Regierungschefs Olof Palme ist es dank dieser Medienpolitik gelungen, eine Monopolsituation im Pressewesen zu vermeiden.
Einen anderen (indirekten) Weg der Presse-förderung beschritt die holländische Regierung mit der Beteiligung der Publizistik an den Einnahmen aus der Funk-und Fernsehwerbung (1967 40 %, 1971 10%). Nach dem Urteil der Londoner „Financial Times" kommt dieser Methode künftig erhebliche Bedeutung zu: „Diese Art der indirekten Subventionierung wird wahrscheinlich in der gesamten europäischen Zeitungsindustrie innerhalb des nächsten Jahrzehntes verbreiteter werden. Zur Zeit wird diese Form der Unterstützung in Ländern mit langen demokratischen Traditionen praktiziert, wo Sorge getragen wird, daß keinerlei politische Verpflichtungen damit verknüpft werden. Auf die Dauer jedoch könnte diese Form der Subvention für die Freiheit der Presse eine ernste Bedrohung darstellen. Wie notwendig sie auch immer in besonderen Fällen sein mag, so zeigt sie doch eine Tendenz, die nur bedauert werden kann und, wenn Mißbrauch verhindert werden soll, sorgsam beobachtet werden muß.“
Die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Konsolidierung der Presse ist somit aufs engste mit politischen Problemen verknüpft. Derartige Probleme ebenso wie grundsätzliche Fragen der Kommunikation dürften sich mit einiger Sicherheit für den Journalismus als schwieriger lösbar erweisen als die rein ökonomischen Bedrängnisse, die — sei es durch Fusionierungen, sei es durch begrenzte staatliche Regelungen — früher oder später an Brisanz verlieren könnten.
Großbritannien Auffällig — bei der Betrachtung der europäischen Pressesituation — ist, daß in Großbritannien, dem traditionsreichsten Zeitungsland der „Alten Welt", ähnliche Negativerscheinungen anzutreffen sind wie auf dem Kontinent. Noch vor zwei oder drei Jahrzehnten konnte die britische Publizistik aufgrund ihrer organisatorischen Struktur ebenso wie ihrer politischen Substanz im kontinentalen und nichteuropäischen Ausland als Vorbild gewürdigt werden. Doch auch noch gegenwärtig ziehen, ungeachtet der allgemeinen Revision allzu idealisierender Auffassungen, nicht wenige Beobachter weiterhin für England betont positive Vergleiche: „Das Land ist nach wie vor Presse-Erzeugnissen günstig wie keines." Aufschlußreich für die Einschätzung der Gegenwartslage aus englischer Position war das von der'Londoner „Times" im Rah-men eines Überblicks über die Internationale Presse ausgesprochene recht selbstbewußte Urteil: „Daß die britische Presse die beste der Welt sei, ist ein Ruhmeslob, das man in letz-ter Zeit nur selten hört; dennoch ist es soschwierig wie eh und je, eine Presse zu fin-den, die man mit Sicherheit besser nennen könnte. Es besteht die Neigung — vielleicht ist es auch nur eine Mode —, das enttäuschende Niveau ihrer Qualität, ihrer Produktionsund Managementmethoden, die prekäre Situation ihrer finanziellen Sicherung sowie ihren übermächtigen Einfluß auf die Meinungsbildung zu beklagen."
Ihre einst unbestrittene Weltgeltung hat die britische Presse vor allem mit dem Niedergang des Empire zu einem beträchtlichen Tei.
eingebüßt — ein Faktum, das speziell am Beispiel der „Times" sichtbar wird, deren internationales Prestige seit Beginn dieses Jahrhunderts ständig gesunken ist. Andererseits läßt sich in England in statistischer Hinsicht nach wie vor die größte Zeitungsdichte registrieren: auf 100 Einwohner entfallen hier im Durchschnitt täglich 52, 3 Zeitungsexemplare Im Kontrast zu dieser Spitzenstellung im internationalen Vergleich hat Englands Presse jedoch im nationalen Rahmen mit gravierenden Schwierigkeiten, hauptsächlich mit partiellem Zeitungssterben, Konzentrationsbewegungen, Rückläufigkeit der Auflage vieler Blätter, verschärfter Anzeigenabhängigkeit, überhöhter Kostenstruktur, ferner mit Konflikten zwischen Verlagen und Druckergewerkschaften zu kämpfen. Der Rückgang der Auflage betraf in den vergangenen Jahren in erster Linie die Massenpresse („populars", „tabloids", z. B. „ „Daily Express", „Daily Mirror", „Daily Mail", nicht hingegen „Sun"). Demgegenüber konnte ein Teil der seriösen politischen Tagespresse, so die „Times", der „Guardian" (je 350 000 Ex. Tagesauflage), der „Daily Telegraph" (1, 5 Millionen Ex.) und die „Financial Times" (175 000 Ex.), einen Auflagenanstieg verzeichnen. Weil sich aber die negative Auflagenentwicklung der überregionalen Massen-und Boulevardpresse auch im Jahre 1972 nicht aufhalten ließ, konnte insgesamt die Prognose für die nationale (d. h. landesweit verbreitete) Presse nicht günstig sein Allerdings hat sich die pessimistische Voraussage des Devlin-Reports von 1967, demzufolge der Tod von vier überregionalen Zeitungen während der nachfolgenden fünf Jahre zu erwarten gewesen wäre, in dem prophezeiten Ausmaß nicht bewahrheitet.
Die Schwierigkeiten der britischen Presse betreffen indes nicht allein Fragen der ökonomischen und finanziellen Sicherung oder Existenzfähigkeit. Kommunikationsspezifische Probleme treten hinzu. Als das Wirtschaftsblatt „The Financial Times", aus Anlaß einer Analyse der internationalen Publizistik, aktu-eile Fragen der englischen Presse erörterte, klang unmißverständlich der Vorwurf durch, daß sich die verantwortlichen Verleger, Redakteure und Journalisten den Forderungen der Zeit gegenüber nicht genügend aufgeschlossen gezeigt hätten und in „arroganter Isolierung" verharrten, anstatt aktiver engere Verbindungen zu allen im Zeitungsgewerbe Mitwirkenden zu knüpfen, nicht zuletzt zu den Lesern. Da überdies das Berufsfeld des Journalismus immer spezialisierter werde und sich seine Kontakte mit der Öffentlichkeit oder dem staatlichen Exekutivbereich intensivierten, wachse das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis aller am publizistischen Prozeß Beteiligten; auch in dieser Hinsicht sei eine Anpassung an die modernen Gegebenheiten und Erfordernisse unabdingbar. So lautete die Quintessenz der Analyse mahnend: „Britain's newspapers will need to update their thinking" Dies hätte ebenso für die Einstellung der Presse zu den audio-visuellen Kommunikationsmedien zu gelten.
Auch auf dem Gebiete, auf dem die englische Presse seit Beginn des 19. Jahrhunderts Vorbild für die kontinentalen Zeitungen gewesen war: der Vermittlung zwischen nicht-parlamentarischer, gesellschaftlicher Öffentlichkeit und der staatlichen bzw. parlamentarischen Sphäre, ist von einer Funktionsminderung der Publizistik gesprochen worden, da es dem Journalismus an Möglichkeiten oder gar Fähigkeiten zur Darstellung und Interpretation politisch-administrativer Entscheidungsprozesse fehle Zu den objektiv gegebenen Hindernissen, die angesichts der Kompliziertheiten des modernen Regierungsprozesses sowie der wachsenden Bürokratisierungstendenzen den journalistischen Bemühungen um Publizität entgegenstehen, kommt die Neigung der Publizistik selbst zu einer gewissen Verfremdung der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit, was seitens der Politiker wie der Kommunikatoren kritische Einwände ver-anlaßt hat. In der Hauptsache stieß auf Kritik, daß „politische Probleme oft als Personalfragen dargestellt werden, das Interesse der Medien dazu tendiert, einem manisch-depressiven Zyklus zwischen überbetonter Beachtung und totaler Gleichgültigkeit zu folgen, daß ein Großteil der Information, die in Form spezieller Ausschußberichte oder statistischer Aufstellungen aus Whitehall oder Westminster strömen, wenig berücksichtigt oder gänzlich ignoriert wird"
Die ausgeprägte Konkurrenzsituation der Londoner Presse ist in wesentlichem Maße für die Überbetonung des Wettbewerbsdenkens und die dadurch bedingte Neigung der Zeitungen zur häufigen Überbewertung sekundärer Erscheinungen verantwortlich gemacht worden Während in der Hauptstadt keine Monopole existieren, sogar zwischen den seriösen Presseorganen und den Massenblättern eine eindeutige Machtabgrenzung fehlt, sind Provinzzeitungen infolge ihrer vielerorts errungenen Monopolstellung von derartigen Bedrängnissen in weit höherem Grade frei.
In der politischen Öffentlichkeit ist die Presse außerdem unter parteiorientiertem Blickwinkel, vorwiegend von der Labour-Partei, kritisch beurteilt und angegriffen worden. In einer offiziellen Erklärung (9. Oktober 1972) bemängelte Harold Wilson in seiner Eigenschaft als Oppositionsführer die. — nach Labour-Ansicht — unzureichende Individualität von Nachrichtengebung und Nachrichteninterpretation sowie die inhaltliche Gleichförmigkeit in der Berichterstattung britischer Blätter
Der Rüge Wilsons konnte indes entgegengehalten werden, daß — etwa in der Kontroverse um den EWG-Beitritt — die Gesamtheit der Presse die in der Bevölkerung herrschende Meinungsvielfalt und die mehrheitlich EWG-feindliche Stimmung gründlich erforscht und korrekt registriert hatte. Frankreich, Italien, Schweiz, Niederlande
Der Blick auf die kontinentale Presse zeigt ähnliche Problemstellungen, wie sie in der britischen Publizistik anzutreffen sind, doch auch — entsprechend der Unterschiedlichkeit der einzelnen politischen Systeme — Abweichungen und besondere Krisenerscheinungen. So läßt die französische Presse deutlich die Auswirkungen der präsidentiellen Struktur des politischen Systems der V. Republik hervortreten. Das Übergewicht des Exekutivbereiches — auch durch das Regierungsmonopol im Funk-und Fernsehwesen (ORTF) zum Ausdruck kommend — sowie die Minderung des Parlamentseinflusses als Kontrollinstanz der Administration haben der Frage Dringlichkeit verliehen, welche politisch-gesellschaftlichen Institutionen als Gegengewichte gegenüber dem Staate und seiner Bürokratie zur Geltung gebracht werden können. Französische Publizisten sehen vor allem zwei potentielle Faktoren dieser Kontrolle: die groupes de pression (Berufsorganisationen) und die Presse; zwar vermöge der erste Faktor Politik und Administration wirksam zu kontrollieren, sei aber selbst eine kapitalistische Gegenmacht, zudem demokratisch nicht ausgewiesen; so bleibe es im wesentlichen der Publizistik vorbehalten, als demokratisches Mittel der Machtbalance gegenüber den staatlichen Gewalten zu fungieren. Im Unterschied zur parlamentarischen eigne sich die publizistische Kontrolle hierzu infolge der technischen Bedingungen wie auch der Zügigkeit ihres Funktionierens sogar weit besser, überdies obliege an erster Stelle der Presse der Interessenschutz des einzelnen Bürgers: „Die Presse muß und kann dazu beitragen, daß das Individuum von der politisch-administrativen Macht nicht erdrückt wird. Hierin liegt ihre Hauptaufgabe. An sie sollte die Presse vor al-lem denken."
Prinzipielle Kritik seitens der Zeitungspresse wird jedoch in erheblichem Maße durch ökonomisch bedingte Hindernisse erschwert. Die Entwicklung der Tagespresse spiegelt Abhängigkeiten von Wirtschaftsmächten offenbar in schärferem Maße wider, als dies in den meisten anderen Ländern Europas der Fall ist. Die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf Wirtschaftsinteressen hat, wie behauptet wird, zur Ausklammerung wichtiger Themen aus der Zeitungsberichterstattung geführt. So bemängelte der prominente französiche Soziologe Georges Friedmann die Konsequenzen dieser Rücksichtnahme für die Meinungsbildüng: „Diese Presse vermittelt ihnen nicht das Bewußtsein der Probleme, die doch für sie von größter Bedeutung sind; sie bringt ihnen nicht die notwendigen Informationen."
Die wirtschaftlichen und politischen Erschwernisse der Pressearbeit, die sich oft als Einengung des journalistischen Freiheitsraumes auswirkten, haben den französischen Journalismus bewogen, Schritte zur Absicherung seines beruflichen Tätigkeitsbereiches zu unternehmen. Insbesondere geschah dies in Form der Redakteursinitiativen zum Ausbau und zur Gewährleistung der Mitbestimmung (Modellfall „Le Monde"), wodurch der französische Journalismus auch international zum Bahnbrecher einer modernen redaktionspolitischen Doktrin geworden ist.
Auf der anderen Seite stellt die — im Gegensatz zur englischen Situation — in Frankreich spürbare Bereitschaft des Staates zur Unterstützung der Presse, die als direkte Hilfe mit 61 Millionen frs. jährlich beziffert wird eine latente Gefährdung der Unabhängigkeit der Publizistik dar und damit zugleich die Erweiterung der inneren Pressefreiheit in Frage. Befürchtet worden ist vor allem, daß die Pres-se jedes Jahr erneut die Bedingungen ihrer politisch eigenständigen Rolle vom Staate erbetteln müsse und daher an ihrer Kritikwilligkeit wie -fähigkeit allmählich Schaden neh-men könnte
Für nicht wenige Journalisten bietet Frank-reich daher das Beispiel eines im Grunde ungesunden Verhältnisses Staat — Presse: Entsprechend dem politisch-gesellschaftlichen Mo-dell zwar als eigenständige Institution konzipiert, in der Realität jedoch auf den ungeschriebenen Konsens mit dem Staat angewiesen, wird die Publizistik mit dem Risiko einer Minderung ihrer potentiellen Funktionen konfrontiert. Das Ergebnis dieser Situation ist als offenkundiges Dilemma erkannt und zum Teil als das eigentlich schwerwiegende Krisenmoment der französischen Presse gewertet worden.
Das Problem der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Presse ist, außer in Frankreich, im wesentlichen in Westeuropa im italienischen Pressewesen akut. In Italien, wo die gedruckten Kommunikationsmittel (speziell die Organe der Tagespresse) im Prozeß der politischen Meinungsbildung einen vergleichsweise minderen Rang einzunehmen, hat in jüngster Zeit die Übernahme des führenden liberalen Prestigeblattes „Corriere della Sera" durch Indu-'striegruppen und Rechtskreise Aufsehen erregt; in dieser Transaktion wurde in der Öffentlichkeit, so auch vom Nationalen Journalistenverband, der Versuch beargwöhnt, die Gesamtheit der Medien der geschriebenen Information in der Hand einer politisch einseitigen Interessengemeinschaft zu konzentrieren
Mag auch in Ländern wie Frankreich oder Italien ein Wandel der Pressestruktur nicht unmittelbar die Grundlagen des politischen Systems tangieren, obschon den demokratischen Prozeß ernstlich beeinträchtigen, so werden Staatsordnungen wie die der Schweiz oder Hollands mit ihrem hohen Grad an innerer Gliederung und Dezentralisierung angesichts eines derartigen Wandels vor existentielle Probleme gestellt. So bildet in der direkten Demokratie der Schweiz der Existenzkampf der politischen und Parteipresse ein Beispiel für die wechselseitige Abhängigkeit von politischer Stabilität (bzw. Instabilität) und publizistischer Krise Hollands Gesellschaftssystem mit seinem „Säulengefüge", d. h.der Aufsplitterung in verschiedene soziale Blöcke (Katholiken, Protestanten, Sozialisten, Liberale, Neutrale), und der Übertragung dieses Systems auf das Kommunikationswesen dokumentiert gleichfalls die enge Reziprozität zwischen Rückgang der Meinungs-und Parteipresse einerseits und Lockerung der strukturellen Gesellschaftsordnung andererseits.
Doch haben nicht allein ökonomische oder gesellschaftspolitische Faktoren die europäische Pressekrise bewirkt. Auch der journalistische Stil wird nicht selten als Ursache der Malaise betrachtet, insbesondere die Vernachlässigung der aufklärenden und enthüllenden Berichterstattung, des „investigative reporting". Hier liegt zugleich der Unterschied zwischen europäischer und nordamerikanischer Presse. Speziell aus amerikanischer Sicht ist auf diese Eigenheiten aufmerksam gemacht worden: „Europäische Zeitungen haben im allgemeinen stets mehr Wert auf die Meinungsaussage als die enthüllende Reportage gelegt, auf post-factum-Analysen eher als auf recherchierende Untersuchungen. Dies ist ihr Stil und ihr Geschmack. Die einzige Ausnahme sind einige deutsche Zeitungen, die möglicherweise nach dem Kriege den Vorteil hatten, aus dem Nichts neu zu beginnen."
Vereinigte Staaten
Die Presse der USA hat in den vergangenen Jahren wie der unmittelbaren Gegenwart diesen Unterschied erkennen lassen und mit der Methode des „investigative reporting" demonstriert, welcher politische Einfluß gegenüber der mächtiger werdenden Administration seitens der Publizistik zu gewinnen ist. In den Vereinigten Staaten, wo sich die Gewaltentrennung zwischen Exekutive, Legislative, Justiz schärfer ausprägte als in anderen westlichen Demokratien, hat die Idee einer natürlichen Frontstellung zwischen Presse und Exekutive größere Geltung als in Ländern, in denen die traditionelle Rolle der offiziösen, regierungsinspirierten Presse im Prozeß der politischen Meinungsbildung noch mitbestimmend ist oder in denen ein engeres kooperatives Verhältnis zwischen Regierung und Publizistik besteht. Pointierter wird in den Vereinigten Staaten von der positiven Funktion einer sich als unabhängiger Teil des politischen Systems und damit als Antipode zur Staatsmacht begreifenden Presse ausgegangen, eine Allianz zwischen Presse und Exekutive folgerichtigerweise mit einer unmittelbaren Gefährdung der Demokratie gleichgesetzt. Deutlich ist der von vielen Amerikanern als Normalfall empfundene Gegensatz zwischen Administration und Publizistik am Beispiel der Regierung Nixon zu belegen. Gerade anhand dieser Administration konnten Ursachen und Folgen eines gestörten Kommunikationsverhältnisses der staatlichen Machtträger zu einem Teil der publizistischen Öffentlichkeit, vertreten vor allem durch die Presse des linksliberalen und linksintellektuellen Establishments, verfolgt werden.
Zum Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Publizistik wurde im Jahre 1971 die Veröffentlichung der „Pentagon Papers" durch verschiedene Presseorgane, an erster Stelle die „New York Times" und die „Washington Post". Als der Oberste Gerichtshof (Supreme Court), die höchste Instanz der amerikanischen Rechtsprechung, am 30. Juni 1971 im Streit zwischen der Regierung und der „New York Times" bzw. „Washington Post" zugunsten der Presse entschied und den Antrag der Regierung auf Untersagung der weiteren Veröffentlichung'verwarf, sah sich die Mehrheit der amerikanischen Presse in ihrer traditionellen Position als Institution der politischen Kontrolle bestätigt. Von besonderem Gewicht war für sie die verfassungsrechtlich erneut unterstrichene Aufwertung der Presse als Gegengewicht zur politischen Macht: „Die einzig wirksame Beschränkung von Politik und Macht der Exekutive in den Bereichen nationale Sicherheit und auswärtige Angelegenheiten liegt möglicherweise in einer aufgeklärten Bürgerschaft — einer informierten und kritischen öffentlichen Meinung, die hier allein die Werte demokratischer Regierungsform schützen kann. Aus diesem Grunde dient vielleicht gerade hier eine aufgeschlossene, wachsame und freie Presse auf höchst lebendige Weise dem Grundgedanken des ersten Zusatzartikels, denn ohne eine informierte und freie Presse kann es keine aufgeklärte Bevölkerung geben" (BundesrichterStewart)
Zu den unmittelbaren innenpolitischen Nachwirkungen der „New York-Times" -Affäre zählte jedoch ebenso die Gefahr einer weiteren Erschwerung der ohnehin gestörten Kommunikation zwischen Presse und Administration. Ein Teil der amerikanischen Publizistik sah hier eine mögliche Ursache für Funktionsstörungen des demokratischen Systems überhaupt: „Der Umstand, daß zum ersten Mal die Gegensätzlichkeiten durch den Obersten Gerichtshof geklärt werden mußten, deutet auf einen Bruch hin, der die ordnungsgemäßen Prozesse einer demokratischen Gesellschaft bedroht."
Die Administration selbst, insbesondere Nixon persönlich, schien durch die Kontroverse um die Pentagon Papers in dem Willen bestärkt worden zu sein, die offene Konfrontation mit den Massenmedien, hauptsächlich dem linksliberalen Pressejournalismus, zu riskieren. Diese Konfrontationsbereitschaft wurde vor allem zu Beginn der zweiten Amtsperiode der Nixon-Regierung, Anfang 1973, deutlich. Auffälliges Indiz für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Exekutive und Publizistik war die Behandlung teilweise prominenter Journalisten der „Washington Post", der „New York Times", der „Washington Star-News" sowie des Nachrichten-Magazins „Time" in der „Watergate" -Affäre. Die gerichtliche Zwangsvorladung und die Aufforderung zur Preisgabe ihrer Informationsquellen im Staatsapparat erschienen den Journalisten als unverhüllte Androhung einer beruflichen Einengung, dem konservativen Kommentator Joseph Alsop sogar als „ungerechtfertigter Eingriff in die Freiheit der Presse"
Die Stoßrichtung der Regierungskampagne zielte allerdings weniger auf Verleger und Zeitungsredaktionen (oder Fernsehstationen) pauschal als in erster Linie auf die Mehrheit der Reporter und journalistischen Rechercheure, deren kritische, aber auch oftmals unsachliche oder gar überheblich feindselige Fragen, Einwände, Argumentationen und Überlegungen der Regierungsautorität abträglich und lästig geworden waren.
Der weitere Verlauf der Watergate-Affäre gab der Administration jedoch das Nachsehen. Für die Gegner Nixons in den Massen-medien war die schrittweise unternommene Aufdeckung der Verwicklungen und Rechts-verstöße seitens maßgebender Mitarbeiter des Präsidenten eine willkommene Chance, die Regierungsautorität zu erschüttern und führende Berater Nixons vor der Öffentlichkeit als Rechtsbrecher zu denunzieren. Zwar warnte, angesichts der Flut von Presseenthüllungen, der — nicht an der Affäre beteiligte — Präsidentenberater Kissinger vor dem Schaden, den die „Orgie von Beschuldigungen" für die Außenpolitik und das internationale Ansehen der USA nach sich ziehen könnte, doch erkannte Nixon selbst in seiner Anfang Mai 1973 gehaltenen Fernsehansprache die positive Rolle der US-Presse, einer „schlagkräftigen, freien Presse", in der Klärung des Watergate-Falles an; neben der Justiz habe gerade sie als Kontrollorgan des amerikanischen politischen Systems agiert und dessen Funktionsfähigkeit in überzeugender Weise bewiesen.
Daß die Presse der USA tatsächlich eine wirksame politische Macht darstellt, ist durch diese Entwicklung erneut unterstrichen worden. Doch läßt sich kaum übersehen, wie wenig die gleiche Presse oft ihrem politisch-publizistischen Anspruch gerecht wird, wie notwendig somit eine Differenzierung des Begriffes US-Presse erscheint. Das Gesamturteil über die USA-Presse kann zudem nicht ausschließlich von der oppositionell-linksliberalen Publizistik des amerikanischen Ostens abhängig gemacht werden. Neben der politisch agilen liberalen Publizistik tendiert eine sich in geringerem Grade profilierende politische Presse dazu, grundsätzlicheren Fragestellungen und Problemklärungen auszuweichen. In amerikanischen Untersuchungen zum Problem der öffentlichen Meinungsbildung ist dieser Teil der Presse eher als repräsentativ für die Gesamtheit der Presse gewertet worden. Man hat der politischen Rolle dieser Presse einen kritischen Impuls abgesprochen und ihre Orthodoxie in den meisten Angelegenheiten der öffentlichen Politik bedauert Darüber hinaus wird die Hauptfunktion nicht allein der Presse, sondern der amerikanischen Massenmedien überhaupt in der Reproduktion eingewurzelter und akzeptierter Denkmuster gesehen: zu wenig Beachtung erhalte der Anstoß zur prinzipiellen Reflexion überkommener gesellschaftlicher Ideologien
Schwächen der innenpolitischen Berichterstattung sind nicht allein bei zweitrangigen Geschehnissen aufgezeigt worden; selbst bei wichtigen nationalen Vorgängen wurden Informationsdefizite der Presse nachgewiesen, so z. B. anläßlich von Präsidentschaftswahlen. Selbstkritisch äußerte das politische Magazin „Time“ kurz nach der Wiederwahl Nixons, daß, „wenn schon die Präsidentschaftsbewerber des Jahres 1972 sich nicht mit Ruhm bedeckt hätten, die Presse der USA es genauso wenig getan hätte"
Ebenso ist beanstandet worden, daß die außenpolitische Unterrichtung durch die Presse meist ungenügend sei, zumal in den Durchschnittsblättern der Anteil der Auslandsnach-richten weniger als 10% des redaktionellen Textes beträgt (europäische Zeitungen ca. 4O°/o) überdies fällt das Fehlen einer breitgestreuten überregionalen Presse negativ ins Gewicht. Lediglich die „New York Times" und das „Wall Street Journal" können als Organe mit nationaler Verbreitung gelten. Das Gros der Tagespresse ist demgegenüber primär an lokalen oder regionalen Interessen orientiert. Die Häufigkeit der lokalen Monopolbildung hat zu einer Behinderung des gesellschaftlichen Kommunikationsflusses beigetragen
Daß auch die prominenteren Organe der US-Presse in ihrem journalistischen Stil und publizistischen Einfluß teilweise mit Zurückhaltung zu beurteilen sind, erwies sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Diskussion um die Kontinuität des Verfassungslebens. In einer Entwicklung, so lauten kritische Argumentationen, in der das Parlament, der Kongreß, immer stärker als oberstes politisches Organ der Nation, als Gesetzgeber und als Forum des kollektiven Willens zurückgedrängt werde, in der das Weiße Haus sich mehr und mehr als Zentrum der Bundesgewalt durchsetze, verlagere die Presse ihre Aufmerksamkeit zu einseitig auf eben dieses Zentrum, behandle Kongreß-Vorgänge zu oberflächlich und simplifiziere Reformprojekte, die dem Kongreß zu größerer Wirksamkeit verhelfen sollen Die Schlußfolgerung ist, daß die Presse sich zu wenig bemühe, aus eigener Initiative den wachsenden Disproportionen und Dysfunktionen im Regierungssystem entgegenzuwirken. Diese Schwäche läßt die Rolle der Publizistik als „Fourth Estate" fragwürdig werden.
Japan Mit der Stellung der USA-Presse eher als mit derjenigen der europäischen Publizistik vergleichbar ist die Position der japanischen Presse.
Wenn die ökonomische Lage der Presse nicht — wie in den europäischen Ländern — durch Krisensymptome belastet ist, so fällt als Ursache wesentlich ins Gewicht, daß sie sich frühzeitig mit dem Rundfunk und Fernsehen liierte, d. h. hinsichtlich der Kapitalinvestitionen, des Managements und des redaktionellen Personals intermediäre Verflechtungen einging. Der ökonomisch und kommerziell starken Position der Presse entspricht in der Gegenwart zugleich hohes politisch-gesellschaftliches Prestige. Doch erscheint die spezifisch politische Rolle der japanischen Publizistik ausgesprochen ambivalent. Ihre „Autoritätshörigkeit" und „Privilegiensucht" paaren sich mit dem Streben, selbst als Autoritätsquelle im politischen Leben respektiert zu werden und zu agieren.
Gesellschaftliches Prestige gewinnt die Presse insbesondere durch engen Kontakt mit den politisch-administrativen Institutionen, Ämtern oder Behörden. Organisatorisch erfolgt dieser Kontakt mit Hilfe der „Presseklubs", von denen ausländische Korrespondenten ausgeschlossen sind. Diese Klubs mit ihrer exklusiven Mitgliedschaft verfügen über ein Informationsmonopol und dienen, ebenso wie Redaktionsstäbe von Millionenblättern, als diskrete Informationskanäle zwischen den verschiedenen politischen Lagern, zwischen den einzelnen Organisationen oder von der Bürokratie zu den Politikern Öffentliche Kritik an der Nachrichtenpolitik der Presse richtete sich in jüngster Zeit vor allem gegen die Auslandsinformation, speziell die China-Berichterstattung. In einem Untersuchungsbericht war die Haltung der japanischen Presse gegenüber Peking analysiert und hierbei bemängelt worden, daß im Konkurrenzkampf der großen Blätter um den Platz eines Korrespondenten in der chinesischen Hauptstadt alle Redaktionen auf entwürdigende Bedingungen Pekings eingegangen wären. Hierin wurde die Ursache der gefärbten und gelenkten China-Berichterstattung gesehen, die seit Jahren ausschließlich positive Tendenz verriet und jede offene Kritik vermissen ließ. Japans führender Chinaexperte Shinkichi Eto legte im Detail das manipulative Zusammenspiel zwischen Publizistik und öffentlicher Meinung bloß, dessen Hintergrund die Wandlungen in der weltweiten Haltung gegenüber der chinesischen Volksrepublik seit 1970 waren
Die tendenziöse China-Berichterstattung der Presse mußte in ihrer unmittelbaren Auswirkung auf die Umorientierung der offiziellen japanischen Chinapolitik beurteilt werden. Die Stimmung der Öffentlichkeit war emotional, zum Teil nationalistisch gefärbt, als Premier Sato, von einer Kritikflut überschwemmt, dem in den zur Diskussion stehenden Fragen konzilianteren und nachgiebigeren Konkurrenten Tanaka wich. Der Vollzug der Neuorientierung der japanischen Politik ist von der Presse des Landes enthusiastisch begrüßt worden. Die Massenmedien gaben dem Sato-Nachfolger Tanaka in den ersten Monaten nach Amtsantritt (Juli 1972) übertriebenes Vorschußlob und feierten den neuen Premier als Symbol der innen-und außen-politischen Erneuerung. Zum Höhepunkt der publizistischen Sympathiewoge wurde der bald folgende offizielle Besuch Tanakas in Peking. Doch bereits wenige Monate nach der Amtsübernahme Tanakas zeigte sich rasch ein Sinneswandel in der Publizistik. Eine Welle der Kritik an der Regierungspolitik setzte ein. Nachdem besonders die fünf überregionalen Tageszeitungen (unter ihnen die „Mainichi Shimbun"), die mehr als die Hälfte der gesamten Zeitungsauflage Japans stellen, sich gegen Tanaka gewandt hatten, da er — nach ihrer Auffassung — die innenpolitischen Probleme nicht ähnlich bravourös zu meistern vermochte wie die außenpolitischen, mußte der Premier, „ohne daß ihm überhaupt eine Chance gegeben (wurde), sich zu bewähren, schon jetzt gewissermaßen gegen die Presse regieren"
Der von intellektueller Arroganz nicht freie Stil, in dem die Auseinandersetzung der Publizistik mit dem Premier ausgetragen wurde, schien bezeichnend zu sein für den Grad der Emotionalisierung öffentlicher Kontroversen über Sachfragen der japanischen Innen-und Außenpolitik. Noch wesentlicher blieb hingegen die generelle Problematik des Einflusses der Publizistik auf die politischen Entscheidungsprozesse sowie der Verantwortung der Publizistik für politische Entwicklungen, zu denen sie selbst aktiv beigesteuert hat. Diese Problematik erwies sich, ungeachtet der politisch-gesellschaftlichen und nationalen Besonderheiten, in Japan als ähnlich brisant wie in jenen Ländern der atlantischen Welt, in denen die liberale Pressekonzeption auf eine weit gefestigtere Tradition zurückblicken kann. 2. Sozialistische Staaten Die Entwicklung sozialistischer Gesellschaftssysteme verdeutlicht, daß mit ihrer fortschreitenden technologisch-industriellen Modernisierung sowie mit steigendem Ausbildungsniveau der Bevölkerung die ideologische Bewußtseinsformung und damit die ideologisch-erzieherische Tätigkeit von Partei und Staat nicht an Bedeutung verlieren. Vielmehr gewinnt die „Lenkung ideologischer Prozesse" im Zuge des gesellschaftlichen Aufbaus ständig an Gewicht. Daher hat sich die auf Lenin zurückgehende Funktionsbestimmung des publizistischen Systems in ihren Grundzügen nicht verändert.
Einheitliches Basis-Axiom der . Presse-und Informationspolitik im Sozialismus bleiben Parteilichkeit und Klassenorientierung der Publizistik. Die Frage einer „absoluten" Unabhängigkeit oder Autonomie publizistischer Medien wird damit gegenstandslos
Unabdingbarkeit der Klassenorientierung der Publizistik motiviert den Anspruch von Partei und Staat auf umfassende Medienaufsicht. Für diesen Anspruch bezeichnend waren die Äußerungen des KPÖ-Parteisekretärs Strougal zur Notwendigkeit einer Revision des Prager Reformkurses im Frühjahr 1969 auch auf dem Kommunikationssektor: „Presse, Rundfunk und Fernsehen erfassen heutzutage die ganze Gesellschaft. Sie verfestigen im Bewußtsein der Menschen ein bestimmtes System von Werten, vermitteln ihnen Verhaltensmuster und Anleitung zum Handeln. Deshalb kann es der Partei nicht gleichgültig sein, welche Werte und Verhaltensmuster vermittelt werden, oder ob sie sich im Widerspruch zu ihrem Ziel, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, befinden. Deshalb können wir nicht auf die Kontrolle auf diesem Gebiet verzichten und auch nicht unter dem Druck verschiedener Losungen von einer absoluten Meinungsfreiheit diese Kontrolle an anonyme Gruppen verpachten . .. Darum wird die Partei immer danach streben, auf dieses wichtige Mittel zur Einwirkung auf die Gesellschaft aktiven Einfluß zu nehmen." Die auch auf künftige Phasen der Gesellschaftsentwicklung gerichtete Absage an einen konfligierenden gesellschaftlichen Pluralismus, an eine öffentliche Austragung sozialer wie politisch-ideologischer Konflikte, an die Duldüng einer kritischen Öffentlichkeit ist damit grundsätzlich verbunden.
Gleichwohl sind Differenzierungstendenzen im Kommunikationssystem der sozialistischen Staatenwelt unverkennbar. Sie resultieren nicht nur aus den unterschiedlichen sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen der einzelnen sozialistischen Länder, sondern auch aus abweichenden Auffassungen und Konzeptionen des Gesellschaftsaufbaus. Wenn auch solche Abweichungen nicht das grundlegende Prinzip der Herrschaftspolitik im Sozialismus — das Machtmonopol der marxistisch-leninistischen Partei — antasten, so kann andererseits aus divergierenden Trends in einzelnen Ländern bzw. Kommunikationsordnungen auf sich möglicherweise abzeichnende Entwicklungen zur inneren Modernisierung im sozialistischen Gesamtsystem geschlossen werden. Insbesondere für den osteuropäischen Bereich läßt sich der Zwiespalt zwischen Beharrung auf traditionellen Positionen der Kommunikationspolitik und Reformbestrebungen veranschaulichen, doch gleichermaßen die Schwierigkeit aufzeigen, angesichts des sich intensivierenden internationalen Informations-und Ideenaustausches die Abschirmung der nationalen Öffentlichkeiten zuverlässig zu sichern.
UdSSR
Die These, nach der die gegenwärtige innenpolitische Phase der UdSSR in erster Linie durch den zunehmenden Widerspruch zwischen dem Herrschaftssystem und den Bedingungen wie Aufgaben der sich ausbildenden Industriegesellschaft charakterisiert ist findet Bestätigung in der Entwicklung der Publizistik. Auch auf diesem Sektor spiegeln sich paradigmatisch die Folgeerscheinungen eines bürokratisch-zentralistischen Führungsund Lenkungsstils wider: Ausbleiben von grundlegenden Medienreformen, wachsende Verunsicherung der offiziellen Agitationsund Propagandapolitik sowie Entstehen einer gesellschaftlichen Gegenöffentlichkeit (Samizdat), sei diese auch nur auf kritische Teile der Intelligenz beschränkt.
Die wesentlichen Entwicklungslinien der Sowjetpresse nach dem Ausscheiden Chruschtschows zu skizzieren, erfordert vor allem, auf die politische Krise des Jahres 1968 und die Auseinandersetzungen um den Kurs der Prager Reformkommunisten als einschneidendem Ereignis hinzuweisen. Seine Wirkung war mit vollzogener Intervention noch längst nicht abgeklungen; die anhaltende Resonanz in der sowjetischen Presse bewies vielmehr, welchen Einfluß die Krise auch auf die sowjetische Innenpolitik ausgeübt hat. Die Absicht der SSR-Führung unter Dubcek, im Zusammenhang mit einer Lockerung des unbedingten Führungsanspruches der KPC der Parteipublizistik größere Eigenständigkeiten zu konzedieren, traf auf schärfsten Widerstand der Sowjetkommunisten, die jeder echten Liberalisierung des Pressewesens mit äußerstem Mißtrauen begegneten. Ihre Abneigung gegen die Ideen der Reformkommunisten bekundeten sie mit einer Intensivierung der ideologischen Erziehung im Inland. Bezeichnenderweise legte der obligatorische Leitartikel der „Pravda" zum Tag der Presse (Ausgabe vom 4. Mai 1968) den Schwerpunkt auf die propagandistische Funktion der Sowjetpresse: „Die Pflicht unserer Presse ist es, sich unentwegt um die ideologische Stärkung der Sowjetmenschen zu kümmern ... Die wichtigste Pflicht unserer Presse ist es, einen offensiven Kampf gegen die bürgerliche Ideologie zu führen, aktiv gegen die Versuche vorzugehen, in einzelne Werke der Literatur, Kunst und in andere Werke Ansichten hineinzuschmuggeln, die der sozialistischen Ideologie der sowjetischen Gesellschaft fremd sind".
Warnende Worte des KPdSU-Generalsekretärs Breshnew, mit denen er sich gegen jegliche Erweiterung des journalistischen Freiheitsraumes aussprach, unterstrichen den Willen zum Festhalten an der bisherigen Medienpraxis: „Eine Pressefreiheit, wie sie gewissen Publizisten vorschwebt, ist eine Gefahr erster Ordnung für den Bestand des sozialistischen Systems. Weitgehende Pressefreiheit gewähren hieße, den Journalisten einen unangemessenen Einfluß auf die Politik einzuräumen, für deren Entscheidung die Presseleute keinerlei Verantwortung tragen."
Bekräftigt wird in dieser Aussage unmißverständlich die Aversion, dem Journalismus eine politisch eigenständige Rolle zuzubilligen. Nach dieser Auffassung kann es keinerlei gleichrangige Konkurrenz zwischen denen, die öffentlich Verantwortung tragen, den Politikern, und denen, die ohne verantwortlich zu sein, sich in den Medien äußern, geben. Der Journalistenstand stellt damit einen Teil der „Dienstklasse" des sozialistischen Systems dar, nicht aber eine politisch-gesellschaftliche Gruppe mit Anrecht auf kritischunabhängige Beobachtung der politisch Handelnden, geschweige denn auf eine potentielle Funktion als konteragierende oder Protest-Elite. Die politische Erziehung hat seit 1968 kontinuierlich an Intensität zugenommen. Die Wirksamkeit des ideologischen Einflusses der Partei und die Effektivität der ideologischen Arbeit werden in engster Verbindung mit dem Niveau der theoretischen Schulung gesehen, weswegen die KPdSU die Vervollkommnung der politischen Informationsarbeit sowie den Ausbau des Presse-, Rundfunk-und Fernsehwesens immer wieder zu einem ihrer vordringlichsten Ziele erklärt hat. Der Parteistandpunkt sollte nun wieder in sämtlichen Bereichen der Pressearbeit — Erziehung, Information, Mobilisierung der werktätigen Massen — konsequent durchgesetzt, der uneingeschränkte Anspruch der Staatsmacht auf zentrale Steuerung der „gesellschaftlichen Meinung" voll zur Geltung gebracht werden.
Die Mängel der Pressearbeit sind jedoch auch in der offiziellen Publizistik nicht übersehen worden. So bedauerte das Parteijournal „Kommunist" das noch unzulängliche Bemühen um«Aktualität, den oft allzu generalisierenden und deklarativen Stil sowie das Fehlen überzeugender Argumentationen in vielen Presseartikeln; man dürfe nicht die Augen davor schließen, daß der Westen mit seiner Berichterstattung der sowjetischen zuweilen voraus sei, was es notwendig mache, die Meldungen der Sowjetpresse und des Rundfunks „operativer" zu gestalten
Der Zwang zur Beachtung der Einflüsse von Auslandsinformationen, vor allem wenn diese innersowjetische Vorgänge zum Gegenstand haben, ist ein ständig wiederkehrendes The-ma offizieller Publikationen. Welche Probleme dieser Zwang zu einer modernen Nachrichtengebung aufwirft, war aus einem im Organ des sowjetischen Jugendverbandes „Komsomol’skaja pravda" abgedruckten Artikel zu ersehen, in dem die wechselseitigen Beziehungen zwischen Inlandsberichterstattung und Auslandsinformation zur Diskussion stan-den:
„Die Presseberichte, die wir veröffentlichen, müssen die unvorteilhaften Aspekte und Entwicklungen offener behandeln. Es ist für uns besser, wenn wir selber diese Aspekte behandeln, als daß wir auf die Kommentare der verschiedenen westlichen Radiostationen warten, welche auf dem einen oder anderen Wege, direkt oder indirekt, unser Publikum erreichen. Unsere Berichte über Ereignisse im Westen andererseits sollten weniger oberflächlich sein. Ausführungen über die . fletschenden Zähne des Imperialismus'vermögen heute viele Leute nicht mehr zu beeindrukken. Wir müssen für unsere jungen Leute die Dinge gründlicher analysieren."
Weniger den Einwirkungen der internationalen Kommunikation als primär systembedingten Schwächen der sozialistischen Ordnung dürfte es indes zuzuschreiben sein, wenn sich, besonders seit 1968, eine hauptsächlich durch Untergrundpublizistik manifeste, intellektuelle Gegenöffentlichkeit herausgebildet hat. Wesentliche Funktion der nicht-offiziellen Presse liegt in der Weitergabe von Informationen über Geschehnisse, die von den Staatsmedien nicht beachtet werden, sowie in der Vermittlung einer politisch-gesellschaftlichen Diskussion. Der publizistische Untergrund verfügt über ein weitverzweigtes Kommunikationssystem, mit dessen Hilfe vor allem die kritisch oppositionellen Strömungen und Anhänger einer Demokratisierung und Liberalisierung der Sowjetgesellschaft ihre Standpunkte artikulieren. Im Gegensatz zur Untergrund-oder „alternativen" Presse in den westlichen Ländern, die sich nicht dauerhaft durchzusetzen vermochte, sind von der sowjetischen Samizdat-Publizistik auf längere Sicht durchaus bewußtseinsverändernde, wenn auch nicht direkt systemzersetzende Wirkungen zu erwarten
Polen und Ungarn
Im Unterschied zur UdSSR hat die polnische und vor allem ungarische Regierung-eine begrenzte, dabei jedoch kontrollierte Revision des bislang geltenden konservativen Pressekurses in Angriff genommen, ohne dem Journalismus auch nur ein annähernd gleiches Maß von Eigenständigkeit zuzubilligen, wie im Jahre 1968 die Prager Reformführung dies getan hatte. Nach der Regierungsübernahme durch Gierek (Dez. 1970) wurden in Polen neue Methoden des politischen wie publizistischen Führungsstils erprobt und regelmäßige Informationskanäle eingerichtet, um die Öffentlichkeit mit der Tätigkeit von Partei und Regierung vertraut zu machen. Im März 1971 erfolgte die Ernennung eines Regierungssprechers, dem die Aufgabe zugedacht war, zwischen dem Ministerrat und der Publizistik als Verbindungsmann zu wirken. Genau zwei Jahre später hob die Regierung versuchsweise die Zensur für die beiden größten Presseorgane des Landes, die Tageszeitung „Trybuna Ludu" sowie das Wochenblatt des ZK „Polityka", auf. Doch sind beide Blätter ohnehin eindeutig linientreu, insbesondere deren Chefredakteure Barecki bzw. Rakowski, so daß polnische Journalisten in der Einstellung der Zensur einen Propaganda-Coup des Parteichefs sahen
In Ungarn, wo gegenwärtig in begrenztem Rahmen ein markt-ökonomisches Konzept realisiert wird, zeigt sich die enge Verbindung zwischen Wirtschafts-und Kommunikationspolitik. Im März 1972 erklärte Staatspräsident Losonczi auch die Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie zu einer der wichtigsten Schlüsselfragen des nationalen Fortschrittes. Die Sonderposition der ungarischen KP klang an, als Losonczi hinzufügte, die sozialistische Demokratie müsse dafür Sorge tragen, daß die Probleme und Widersprüche der gesellschaftlichen Entwicklung beizeiten ans Tageslicht kämen und so eine Lösung ermöglicht würde; er sprach sich dafür aus, sämtlichen schöpferischen Kräften die Chance einzuräumen, sich in den Aufbau des Sozialismus einzuschalten, obschon zuweilen noch die zur Entfaltung der gesellschaftlichen Kräfte günstige Atmosphäre fehle. In realistischer Einschätzung wird zugegeben, daß die ungarische Gesellschaft weltanschaulich nicht einheitlich sei.
Im April 1972, kurz nach der Erklärung Losonczis, publizierte die theoretische Parteizeitschrift „Tärsadalmi Szemle" (Gesellschaftliche Revue) zum Thema „DemokratieÖffentlichkeit-Öffentliche Meinung" einen Grundsatzartikel, der zwar die Führungsrolle der Partei herausstellte, die Partei aber vor der Gefahr warnte, sich von den Massen zu entfernen, überdies dazu aufforderte, auch konservative Auffassungen als gesellschaftliche Realität zu akzeptieren. In zahlreichen Belangen, so lautete die Argumentation, gingen die Meinungen der Öffentlichkeit auseinander, bei manchen Problemen gäbe es sogar eine unzufriedene Öffentlichkeit; werde dieser Unzufriedenheit in Detailfragen nicht Rechnung getragen, so könne sie letztlich Unzufriedenheit mit den prinzipiellen Zielen bewirken. Die neue Informationspolitik ist durch die offizielle ideologische Argumentation näher begründet und auch theoretisch abgesichert worden, hauptsächlich durch den Abteilungsleiter im ZK Pozscay, der im Februar 1972 im Parteiorgan „Nepszabadsäg" darlegte, weshalb in der Zeit des harten Klassenkampfes ein ideales Bild der sozialistischen Gesellschaft als anspornende und einigende Zukunftsvision entworfen worden sei. In der außerordentlichen Kraftanstrengung der damaligen Phase habe man jedoch die demokratischen Formen und Bedürfnisse der Massen vernachlässigt, was den -„konterrevolutionä ren" Attacken des Klassenfeindes Auftrieb gegeben hätte. Seit jener Zeit wären die Machtverhältnisse wesentlich zugunsten des Sozialismus verändert worden. Es sei deshalb notwendig, Illusionen aufzugeben und das Entstehen von Interessenkonflikten auch unter dem Sozialismus als selbstverständliche Erscheinung zu betrachten, mit dessen Machtübernahme die Grundlage für die strukturellen sozialen Konflikte des Kapitalismus beseitigt sei. Die Interessen der Arbeiterklasse spiegelten nun die Interessen der Gesamtgesellschaft wider, und von dieser Basis aus könnten die auftretenden Konflikte gelöst werden. Der Grund für deren Fortbestehen liege in der materiellen Produktion und Verteilung, in der beschränkten Qualität materieller und geistiger Güter. Die auftretenden Konflikte seien deshalb weder gut noch böse, sondern gesellschaftliche Realitäten. Durch die Reform des Wirtschaftsleitungsmechanismus habe die Ansicht an Gewicht verloren, daß der Anschein von Einheit wichtiger sei als die echte, auf der Dialektik der Interessenkonflikte und ihrer Lösung beruhende Einheit
Jugoslawien
Die Grenzen einer Liberalisierung sozialistischer Pressepolitik werden indes angesichts der Entwicklung der jugoslawischen Publizistik deutlich markiert. In Jugoslawien ist das für das politisch-gesellschaftliche System konstitutive Prinzip der Selbstverwaltung und Dezentralisierung auf das Kommunikationswesen übertragen worden
Vor allem seit der Jahreswende 1971/72 hat sich jedoch der Richtungsstreit zwischen den Befürwortern einer demokratischen Willens-und Meinungsbildung sowie den Vertretern einer stärkeren Zentralisierung der Führungsmacht zugespitzt. Als im Juni 1972 auf einer gemeinsamen Sitzung der Präsidien des Bundes der Jugoslawischen Kommunisten und des Sozialistischen Bundes der Werktätigen Jugoslawiens die Funktion der Presse und der Information in der jugoslawischen Gesellschaft zur Sprache kam, legte Todo Kurtovic, Mitglied des Sekretariats des Parteipräsidiums, in seinem Hauptreferat die Pressefreiheit betont restriktiv aus. Man dürfe nach seiner Ansicht den Begriff der Pressefreiheit nicht abstrakt verstehen, denn die Pressefreiheit sei kein Ziel an sich, abseits vom Leben* und den Tatsachen. Die Forderungen nach einer freien Presse bezeichnete Kurtovic als „anarchistisch-liberalistische bourgeoise Tendenz", als den Versuch, „unannehmbare Thesen aufzudrängen und Verwirrung zu stiften". Dagegen müsse man energisch einschreiten, da es sich nicht nur um den Durchbruch fremder Ideologien handele, sondern auch um einen Kampf um bestimmte Positionen und Einflüsse. Die Freiheit des gedruckten Wortes müsse in der jugoslawischen Selbstverwaltungsgesellschaft die unmittelbaren Interessen der Werktätigen zum Ausdruck bringen und damit auch die Information vor fremden Einflüssen schützen
Im November 1972 legte Tito — sich der restriktiven Linie der Pressepolitik anschließend — die Presse auf den „gegenwärtigen energischen Kurs" der Partei fest: sie müsse eine „Waffe der Interessen der Arbeiterklasse" sein, die gegenüber liberalistischen Tendenzen nicht konziliant sein dürfe. Gleichzeitig sollten nach dem Willen Titos die Sensationspresse und die Presse mit kleinbürgerlichem Inhalt vom Markt verdrängt werden
Falls künftig anstelle eines Ausgleichsmechanismus zwischen den Republiken und den dezentralisierten Teilbereichen der jugoslawischen Gesellschaft die Rolle der zentralen Führungsorgane an Gewicht gewinnt, wird die Aufwertung der Zentralgewalt mit einer noch festeren Bindung der Medien an die Zielsetzungen der politischen Führung des Landes synchron verlaufen, die staatliche Orientierung der Publizistik Vorrang vor der gesellschaftlichen haben.
Volksrepublik China
Kommunikation als Element der Machtsicherung, Kommunikationsmonopol als Grundprinzip der Herrschaftspolitik — dies ist, ebenso wie in den europäischen Staaten des Sozialismus, auch in der VR China zum Leitsatz der Führungsstrategie geworden. Die Entwicklung insbesondere seit 1966 zeigte die zentrale Bedeutung der Kontrolle über das Mediensystem für den Ausgang innenpolitischer Rivalität.
Die Kulturrevolution hatte neben den Eingriffen in Struktur und Organisation des Presse-wesens eine Grundsatzfehde zu Fragen des proletarischen Parteijournalismus zur Folge, in der sich die bekämpfenden Parteiflügel um Mao Tse-tung und den früheren Staatspräsidenten Liu Shaoqi gegenüberstanden.
Die Polemik erreichte ihren Höhepunkt mit einem von den Redaktionen der „Volkszeitung", der „Roten Fahne" und des Armeeblattes „Jiefangjun Bao" im September 1968 gemeinsam veröffentlichten Grundsatzartikel:
„Die Große Revolution an der Front des Journalismus bis zur letzten Konsequenz durchführen". Die „proletarischen Journalisten" machten nun keinerlei Unterschied mehr zwischen denen, die sich gegen den übersteigerten Persönlichkeitskult um Mao Tse-tung ausgesprochen hatten und den erklärten ideologischen Feinden des sozialistischen Systems:
„... ob man die großen Gedanken Mao Tsetungs propagiert oder ob man dies nicht tut oder gar Gegenpropaganda gegen diese Gedanken betreibt, ist die Wasserscheide zwischen der proletarischen Presse und der bürgerlichen Presse, ist ebenso der Prüfstein, um einen Marxisten-Leninisten von einem konterrevolutionären Revisionisten zu unterscheiden"
Eine Reihe von weiteren Pressebeiträgen polemisierte, an den Grundsatzartikel der drei Parteiblätter anknüpfend, besonders scharf gegen die journalistische Lehre von den „Bedürfnissen der Leser". Sie beinhaltet nach den Worten der Kritiker im Grunde nichts weiter als eine Negierung des Klassencharakters der Publizistik, da alle Mittel der Journalistik, die sich in den Händen der „Imperialisten, modernen Revisionisten und Reaktionäre" befänden, in keiner Weise dem Proletariat und den Werktätigen und ihren Bedürfnissen nutzten. Die proletarischen Journalisten setzten dem ihren eigenen Standpunkt entgegen: „Was der Journalismus, den wir, die proletarische Klasse, beherrschen, hingegen propagiert, sind die unbesiegbaren Gedanken Mao Tsetungs; grundlegendes Ziel dieses Journalismus ist, das Denken unserer gesamten Bevölkerung mit den Ideen Mao Tse-tungs zu bewaffnen, die Gedanken und die Handlungen der Menschen in unserem ganzen Lande zu vereinen und dadurch die Diktatur des Proletariats zu festigen und zu stärken sowie die Wiedererrichtung des Kapitalismus zu verhindern. Das aber ist das größte Bedürfnis des Proletariats und der werktätigen Massen." Die Entwicklung der chinesischen Innenpolitik nach dem Abflauen der Kulturrevolution seit 1969/70 hat in vielen Bereichen einen organisatorischen Normalisierungsprozeß eingeleitet. Die Ernennung eines neuen Direktors der staatlichen Nachrichtenagentur „Neues China" (Hsinhua) im Jahre 1972 beendete die kulturrevolutionäre Phase auch auf dem Kommunikationssektor und zeigte den intensivierten Ausbau der Informationsmedien an
Der Wandel im Stil der Publizistik dokumentiert sich u. a. darin, daß neben den während der Kulturrevolution besonders geförderten Publikationen von Arbeiter-, Soldaten-und Bauernkorrespondenten nun wieder Artikel professioneller Journalisten erscheinen, die Schreibkollektive von Parteikomitees, Fabriken, Volkskommunen oder Militäreinheiten als Verfasser angeben. Auch sind im Sommer 1972 in der Presse eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht worden, die besseren Stil und verständlicheren Ausdruck verlangen sowie vor dem negativen Einfluß „neuer Stereotypen und eines neuen Dogmatismus" auf die geistige Einstellung der Jugend warnen
Nicht zuletzt hat Chinas Öffnung gegenüber den Vorgängen der Weltpolitik vor allem in der Auslandsberichterstattung einen Wandel eingeleitet: die Tendenz der Kommunikation richtet sich auch hier nach dem veränderten Kurs der außenpolitischen Strategie. 3. Konservativ-autoritäre Systeme Europas Spanien, Portugal und Griechenland werden in der Systemtypologie den autoritären Regimen zugeordnet Da diese Systeme im Bereich der entwickelten europäischen Staatengemeinschaft entstanden, außerdem demokratische Traditionen hier nachwirken, konnten sich in ihnen gesellschaftlicher Elitenpluralismus und politische wie publizistische Freiräume leichter als in autoritär regierten Ländern der Dritten Welt entfalten. Diesen beiden Faktoren vor allem sind — neben dem Einfluß der Kommunikation mit den westeuropäischen Nachbarländern — das wachsende Demokratisierungspotential und die sich daraus ergebende latente Verunsicherung der Herrschaftsschicht zuzuschreiben.
Innere Geschlossenheit ist somit auch nicht Merkmal der autoritären Kommunikationssysteme. Absolute Gefolgschaftstreue der Publizistik ist auf die regimeloyalen Teile des Journalismus beschränkt; passive Resistenz, direkte oder getarnte Opposition, Anpassung ohne innere Überzeugung oder „Attentismus" charakterisieren die Haltung anderer Teile. Die divergierenden Tendenzen finden ihren Ausdruck jedoch fast ausschließlich in der Presse Die regierungsoffiziellen Medien Hörfunk und Fernsehen spiegeln dagegen im wesentlichen den Willen der politischen Führungen wider und haben eine kollektive Lenkungsfunktion inne.
Zu fragen ist hauptsächlich nach der Rolle der Publizistik als potentiellem Korrektiv gegenüber dem Anspruch der Staatsmacht auf das Informationsprivileg und als Mittel zur Beschleunigung politisch-gesellschaftlichen Wandels im Sinne einer Liberalisierung des Herrschaftssystems. In bezug auf diese Fragen bleibt von vorrangigem Interesse, ob und gegebenenfalls bis zu welchem Grade die staatsunabhängige Presse, trotz häufiger Reglementierungen, alternative Systemkonzeptionen öffentlich diskutieren und propagieren kann.
Spanien
In Spanien schien das 1966 in Kraft gesetzte Pressegesetz eine Wende zu liberaleren Formen der Kommunikationspolitik anzuzeigen. Tatsächlich sind die Zeitungen in den ersten Jahren nach Erlaß des Gesetzes, in der Phase der relativen Meinungsfreiheit, zu Zentren geworden, um die sich verschiedene politische Bewegungen kristallisierten. Gerade diese mobilisierende Rolle war aber ein wesentlicher Grund für das später oft rigorose Durchgreifen der staatlichen Informationsbehörden: sie wollten nicht zulassen, daß mögliche Alternativen zu dem von der Regierung verfolgten innen-und außenpolitischen Kurs im Volke diskutiert wurden. In den zurückliegenden Jahren sind die Behörden ständig eingeschritten, haben Blätter beschlagnahmt, für bestimmte Zeitspannen stillgelegt oder gänzlich verboten (spektakuläres Beispiel: „Madrid").
Diese Pressepolitik führte indes zu ständigen Auseinandersetzungen um die Interpretation des Pressegesetzes. Totale Gleichschaltung der politischen Tendenzen der Presse kennzeichnet zwar nicht die augenblickliche Situation, doch meiden gegenwärtig nicht wenige Zeitungen und Zeitschriften die Aktualisierung der öffentlichen Pressegesetzdebatte, da angesichts der instabilen Konstellation innerhalb der Regierung, der offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Reformern des politischen Systems und Status-quo-Verfechtern eine Änderung dieses Gesetzes die Einschränkung der bedingten Pressefreiheit bedeuten könnte
Portugal
In Portugal besteht Parallelität der Entwicklung insofern, als auch hier in den letzten Jahren ein liberaleres Pressegesetz zur Diskussion gestellt worden ist. Die mit diesem Gesetz verbundenen Erwartungen blieben gleichfalls unerfüllt. Nach dem im Dezember 1970 der Nationalversammlung vorgelegten Entwurf des neuen Pressegesetzes sollte die Zensur fast völlig abgeschafft, den Nachrichtenmedien Zugang zu allen Informationsquellen eingeräumt und den Journalisten das Recht auf das Berufsgeheimnis gewährt werden. Eine direkte Zensur war ausschließlich nach Ausrufung des Notstandes vorgesehen. Jedoch gab der portugiesische Ministerpräsident Caetano im Mai 1972 die Beibehaltung der Pressezensur bekannt, nannte als Begründung den anhaltenden Guerillakrieg in den afrikanischen Überseeterritorien und bezeichnete die neuen Zensurbestimmungen als „Übergangsmaßnahmen in einer schwierigen Phase des nationalen Lebens". Außerdem war in offizieller Sicht die portugiesische Presse zu lange Zeit einer scharfen Zensur unterworfen worden, der Journalismus die Freiheit nicht gewohnt und daher zwangsläufig ohne ausreichendes Verantwortungsbewußtsein
Ein am 5. Mai 1972 erlassenes Regierungsdekret stützte sich auf einen in das Pressegesetz eingefügten Paragraphen, demzufolge die Regierung im Falle subversiver Aktionen in irgendeinem Teil des portugiesischen Territoriums das Recht erhält, Zeitungen und Zeitschriften einer Vorzensur zu unterziehen. Ein Subversionszustand war der Regierung aber bereits im Dezember 1971 vom Parlament bestätigt worden. Obwohl die Behörden versprachen, die Vorzensur in dem Maße allmählich zu mildern, in dem die Zeitungsverleger Bereitschaft zur „Kollaboration" zu erkennen gaben, ließ Caetano jedoch keinen Zweifel, daß sie bis zum Ende des Krieges bestehen bleiben würde.
Trotz der inneren Erstarrung des portugiesischen Systems versuchen einzelne unabhängige Zeitungsdirektoren, Verständnis und Bewußtsein für das Funktionieren demokratischer Institutionen zu fördern. So berichtet die Wochenzeitung „Expresso“ — einziges portugiesisches Blatt von intellektuellem Niveau, das nicht (auf dem Umweg über eine Bank) im Besitz der herrschenden Familien ist — trotz der offiziellen Überwachung auch über die politischen Programme der außerparlamentarischen Opposition; auch ließ sich die Redaktion ausführlich aus der Feder von Journalisten selbst kommunistischer Richtung die französischen Wahlen vom März 1973 kommentieren, um ihre Leser am konkreten Beispiel mit dem politischen Prozeß einer präsidentiell-republikanischen Ordnung vertraut zu machen. *
Griechenland
Es erscheint paradox, daß die Presse unter der griechischen Militärdiktatur, die oft zu repressiveren Herrschaftspraktiken neigt als die Staatsführungen Spaniens oder Portugals, mehr Freiheiten genießt als die Publizistik in den anderen Ordnungssystemen Generell ist der Publizistik hier auch größere Freiheit zur Darstellung grundsätzlicher politischer Alternativen belassen. Im Februar 1972 hatte sich die Zeitung „To Vima" in Form einer ersten prinzipiellen Auseinandersetzung mit dem Regierungskurs vorgewagt, als sie im Zusammenhang mit der offiziellen Ablehnung von Parlamentswahlen durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Pattakos in einem Leitartikel für die Rückkehr zum „normalen politischen Leben" plädierte und dieses Postulat als ein „nationales Gebot" bezeichnete. Das Fortdauern der „politischen Anomalie" habe eine gefährliche Isolierung Griechenlands zur Folge gehabt, was sich z. B. auf die Beziehungen Griechenlands zur EWG nachteilig auswirke. Griechenland verlöre dadurch die Möglichkeit, bei der Schaffung eines neuen Europa aktiv mitzuarbeiten, überdies ziehe die Ausschaltung politischer Freiheiten kulturelle Stagnation nach sich. Zum Wesen der Demokratie aber gehöre es, gewisse Gefahren in Kauf zu nehmen. Doch seien diese Gefahren dem unter einem unfreiheitlichen Regime mit Sicherheit zu erwartenden „geistigen Tod" vorzuziehen
Indiz für eine mögliche weitere Liberalisierung der Pressepolitik war die Resonanz, die im Januar 1973 in einem Teil der Zeitungen das gerichtliche Verfahren gegen oppositionelle Kommunisten fand; diesen wurde dadurch Gelegenheit zu offener Werbung für linke Alternativkonzeptionen gegeben.
Der Prognose einer fortschreitenden Locke-rung des innenpolitischen Kurses widersprach andererseits die Härte der Regierungsmaßnahmen gegen die Presse während der Athener Studentenunruhen im Februar/März 1973. Da die politisch-militärische Führung die Auflehnung der Studenten gegen die einengenden Praktiken der Regierung als potentiellen Impuls zu einer antidiktatorischen Massenbewegung beargwöhnte, mußte ihr größtes Interesse in der Unterbindung der Publizität liegen: „Die oppositionelle Presse verhehlte nicht ihre Sympathie und wurde zum immer wichtigeren Medium der Solidarisierung." Angesichts der freimütigen Berichterstattung der Presse über die Unruhen sah die Regierung sich genötigt, die Zeitungen anzuweisen, den Konflikt nicht hochzuspielen und die studentische Bewegung zu bagatellisieren. Im Gegensatz zu der sich fügenden Mehrheit der Presseorgane stand vor allem die Zeitung „Vradyni", die sich den behördlichen Empfehlungen nicht beugte, dafür allerdings Repressalien in Kauf nehmen mußte. Der Eingriff der Behörden in die Pressefreiheit erfolgte ohne eines den Schein der Legalität wahrenden Rechtsverfahrens. Das energische Vorgehen bewies Füh indes zugleich die Nervosität der -rung angesichts der Folgen einer von ihr immer wieder als gewährleistet propagierten Pressefreiheit.
Auf gleicher Ebene lag die Beschlagnahme der oppositionellen Blätter „Vradyni", „Thessaloniki" und „Athens News" Ende April 1973, nachdem diese Organe kritische Äußerungen des ehemaligen, im Exil lebenden Ministerpräsidenten Karamanlis veröffentlicht hatten. Die wachsende innere Opposition sollte nicht von außen her politischen Auftrieb erhalten. Gleichwohl ließ sich an solchen Vorgängen die Rolle der unabhängigen Presse als Mittel der Machtverunsicherung und des langfristigen Systemwandels erkennen, eine Rolle, die ihr in den anderen autoritären Ordnungen ebenso zufällt.
4. Länder der Dritten Welt
In Anbetracht der Vielfalt der Systemformen, der Unterschiedlichkeit ihrer Bedingungen wie Probleme und der Intensität des Wandels der politischen Systeme in Asien, Afrika und Lateinamerika wird — im Rahmen einer gedrängten Weltpresseübersicht — die detaillierte Darstellung der differenzierten Motive, Hintergründe oder Methoden pressepolitischer Maßnahmen bzw. Strategien zur unlösbaren Aufgabe. Wesentlicher als eine solche Gesamtanalyse erscheint zunächst jedoch die Frage nach generellen Entwicklungsfaktoren und -tendenzen der Pressepolitik in den Ländern der Dritten Welt, somit nicht zuletzt nach der Berechtigung oder aber Unangemessenheit pauschal negativer Urteile über diese Tendenzen Dies erfordert vor allem das Eingehen auf die Grundlinien der publizistischen Konzeption solcher Länder.
In vielen Staaten besonders Afrikas und Asiens hat sich, trotz ihrer vielfältig abweichenden Systemtypen, eine in wesentlichen Zügen allgemein akzeptierte Pressekonzeption herausgebildet. Sie ist durch das Merkmal der gemeinschaftlich-kooperativen Zielsetzung gekennzeichnet.
Besonders in den ersten Jahren nach Erringung der politischen Unabhängigkeit von ausländischer Vorherrschaft haben Politiker aus den jungen Nationalstaaten oft geltend gemacht, wie sehr die frühere Orientierung der Publizistik die nachkolonialen Beziehungen zwischen Staat und Presse mit beeinflussen müsse und zum Teil noch immer belaste. In diesem Sinne ist bereits zu Beginn der 60er Jahre vom Arbeitsminister Kenias, Tom Mboya, mit speziellem Hinweis auf die afrikanische Presse, der Standpunkt der Entwicklungsländer dahin gehend erläutert worden, daß die einstige Rolle der Presse im nationalen Unabhängigkeitskampf als ein für die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen ihr und den neuen Regierungen entscheidender Maßstab zu betrachten sei. Die Frage der Pressefreiheit stelle sich sofort, wenn man die Neuorientierung der Presse gegenüber den jungen Staaten Afrikas analysiere und kritisch prüfe, ob zu dieser Freiheit auch die Ermächtigung gehören könne, alles zu äußern, selbst wenn es sich gegen die gemeinsamen Bemühungen richte, die Unabhängigkeit zu konsolidieren und die Wirtschaft aufzubauen. Gefragt werden müsse gleichermaßen, ob die afrikanische Presse erkenne, daß von ihr ein eigener, positiver Beitrag zu den allgemeinen Anstrengungen erwartet werde: „Die Presse muß auf die großen Aufgabenstellungen in Afrika konstruktiv reagieren. Sie muß schnell einheimische Menschen auswählen und heranbilden, und sie muß sich mit den afrikanischen Bestrebungen identifizieren, unsere Besorgnisse verstehen und teilen und uns beim Aufbau unserer Staaten mithelfen."
Mboya erinnerte jedoch an die feindselige Haltung vieler Presseorgane gegenüber den nationalen Befreiungsbestrebungen in den meisten afrikanischen Ländern. Erstens hätten Eigentümer wie Chefredakteure häufig eine fundamentale Abneigung gegen jede Änderung überhaupt verraten; zweitens habe die Presse vielfach kein Verständnis für das Verlangen der afrikanischen Völker nach Selbstbestimmung und Menschenwürde gezeigt, drittens sei von ihr eine Kampagne geführt worden um darzutun, daß die afrikanischen Völker mentalitätsmäßig für die nationale Selbstbestimmung und die Ausübung von Freiheitsrechten noch nicht reif wären. Den Umorientierungsprozeß der Presse zu größerem Verständnis für die nationalen Belange begrüßte Mboya ausdrücklich und gab zu verstehen, daß die afrikanischen Politiker durchaus die Vorzüge einer freien und fähigen Presse, die eine informative, kritische und auch erzieherische Funktion erfülle, zu würdigen wüßten: „Was wir erstreben, ohne unvernünftigen Ehrgeiz, ist eine nationale Presse, die in jeder Hinsicht ihre Wurzeln im Lande der Veröffentlichung hat und nicht ein Organ oder Echo von überseeischen Interessen ist." 63)
Konzeption und Praxis dieser Pressepolitik haben vor allem in den westlichen Industrie-ländern zu Mißdeutungen der Handlungsweise oder Aussagen von Politikern aus den Entwicklungsländern beigetragen. Der Anspruch vieler Industrieländer, politisch-gesellschaftlich wie auch publizistisch (kommunikationspolitisch) normsetzend für aufstrebende Nationen zu sein, führte teilweise zu Verständigungsschwierigkeiten. Beispielhaft läßt sich diese Problematik einem Streitgespräch entnehmen, das anläßlich der im Jahre 1971 in Helsinki veranstalteten Generalversammlung des Internationalen Presse-Instituts (IPI) zwischen dem Vizepräsidenten der britischen Labour Party, Anthony Wedgwood Benn, und dem Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, stattfand. Obgleich beide Politiker sozialistischen Richtungen angehören, wichen ihre Äußerungen über die Rolle der Massenmedien im Grundsätzlichen voneinander ab. In diesem Dialog warnte Wedgwood Benn sowohl vor einer Beherrschung der Medien durch den Staatsapparat als auch durch kommerzielle Mächte und legte seine Maßstäbe für die Beurteilung der Leistung der Kommunikationsmittel dar, indem er als Testkriterien herausstrich: Nicht-Vorhandensein einer Regierungskontrolle über die Inhalte, regelmäßige Möglichkeit zur Meinungsäußerung für Einzelbürger und Minoritätsgruppen, unzensierte Berichterstattung in den Auslandsmeldungen. Lee, dessen Hauptaufgabe auf dem Kongreß die Verteidigung seiner Politik gegenüber den Zeitungen Singapurs war, verwarf die Angemessenheit solcher Testfragen: wohl könnten sie für Großbritannien angebracht sein, nicht hingegen für die momentane Entwicklungsphase Singapurs auf dem Wege zu einer parlamentarischen Republik. Nach einem Hinweis auf die erheblichen ethnischen und religiösen Unterschiede und Spannungen in seinem Lande, den relativ niedrigen Aus-bildungsstand der Einwohner sowie auf den ständigen Einfluß der politischen Werbung des Westens wie Ostens zog er die Folgerungen für die publizistische Zielsetzung seiner Regierung: „In einer solchen Situation müssen Pressefreiheit und Freiheit der Massenmedien den höheren Bedürfnissen der Integrität Singapurs und dem Hauptzweck einer gewählten Regierung untergeordnet werden . . . Wir wollen, daß die Massenmedien die kulturellen Werte und die sozialen Maßstäbe, die an unseren Schulen und Universitäten gelehrt werden, stärken, nicht unterminieren. Die Massenmedien können ein Klima schaffen, das die Menschen anspornt, sich das Wissen, das Können und die Disziplin fortgeschrittener Nationen anzueignen. Ohne dies können wir nie hoffen, den Lebensstandard unseres
Volkes zu heben . .. Wenn sie sich entwikkeln wollen, können Völker in neuen Ländern es sich nie leisten, die Liebhabereien und Fetische des gegenwärtigen Westens nachzuahmen." Doch räumte Lee ein, daß jedes Entwicklungsland grundsätzlich zwischen drei kommunikationspolitischen Modellen wählen könne: einer laissez-faire-Politik mit völlig freien Massenmedien, einem verstaatlichten System nach dem Muster der sozialistischen Länder oder einer dazwischenliegenden Lösung. Ebenso deutlich wie Lee lehnte der tansanische Präsident Nyerere westliche Vorstellungen — doch wiederum nicht aus prinzipieller Erwägung — ab. Als die Regierung Tansanias im Februar 1970 den „Standard" übernahm, entgegnete er Kritikern seiner Politik, die in dem Schritt einen Versuch zur Unterdrückung unliebsamer Äußerungen gegenüber der Regierung des Landes sehen wollten, daß die Zeitung nun die Freiheit haben würde, „Diskussionen über jedes Problem in Gang zu bringen, das für die Entwicklung einer sozialistischen und demokratischen Gesellschaft von Belang ist . . . Sie wird von dem Grundsatz bestimmt sein, daß eine freie Debatte ein wesentliches Element des wahren Sozialismus ist" Nyerere bezeichnet die westliche Form der Pressefreiheit in der gegebenen Lage als falsch und für die Entwicklungsländer verfrüht, da sie sich in einer permanenten Notsituation befänden und bei einem inneren Not-zustand eine Beschränkung der Pressefreiheit zumutbar sei.
Vertreter von Ländern der Dritten Welt haben mehrfach auf Unvereinbarkeiten in den Auffassungen von Entwicklungsländern und Industrieländern hinsichtlich der Interpretation menschlicher Grundrechte aufmerksam gemacht. Es wird von ihnen auch in Zweifel gezogen, ob die juristischen Normen der UNO oder gar eine sich nach diesen Normen richtende internationale Rechtsprechung für sie volle Gültigkeit erlangen sollten. Auf dem in Kabul im Mai 1964 von der UNO veranstalteten Seminar zu Fragen der Menschenrechte sind, ebenso wie auf zwei ähnlichen Seminaren in späteren Jahren, die Furcht vor einer „Balkanisierung", d. h.der Desintegration des Staatswesens, und die Verpflichtung zur nationalen Tradition, zur Erhaltung des territorialen wie politischen Status guo, als die beiden wesentlichen Gründe dafür be-zeichnet worden, daß die Entwicklungsländer einer UNO-Verantwortlichkeit für die Garantie der Menschenrechte nicht vorbehaltlos zustimmen könnten. Das Maß der individuellen Freiheiten müsse angesichts der besonderen Gefahren eingeschränkt werden. Das Recht auf Information sei somit nur in engeren Grenzen vertretbar, wie ein afrikanischer Delegierter begründete: „Die zerbrechliche Struktur der afrikanischen Nationen zwingt die Staaten, Restriktionen in der Informationsfreiheit zu verfügen ... In jedem Fall sollte und kann Freiheit nicht die gleiche Geltung beanspruchen wie in hochdemokratisierten europäischen Ländern ... Wie sehr ein Staat auch immer die Informationsfreiheit zu sichern wünscht, er könnte nicht gestatten, daß der Gebrauch dieser Freiheit zur Desintegration der Nation führt."
Die Tendenz zur Bindung der publizistischen Freiheiten an das gesellschaftliche Allgemeininteresse ist weitgehend unabhängig von den einzelnen Regierungssystemen, bezieht sich also gleichermaßen auf Einparteienstaaten, Militärdiktaturen und jene Staaten, in denen im Prinzip das System der parlamentarischen Demokratie übernommen worden ist. So hat auch der frühere Minister für Information und Nachrichtenwesen in der größten asiatischen Demokratie, Indien, es kategorisch abgelehnt, eine völlige Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Presse zu respektieren. Offenbar wird befürchtet, daß durch eine derartige Entwicklung die Demokratie und die nationale Einigung dem Nutzen einer kleinen Gruppe geopfert werden: „In einem Entwicklungsland, wie Indien eines ist — wo sich die Gesellschaft von den Fesseln der wirtschaftlichen Stagnation und Konzentration zu befreien und sich in eine moderne und lebensfähige Gesellschaft umzuwandeln versucht —, in einem solchen Land ist die Presse verpflichtet, zu ihrer Verantwortung zu stehen. Die Presse zeichnet ein Bild von den Zielen des Volkes. Sie kann nicht gegen den nationalen Strom schwimmen. Wer angesichts dieser neuen Wertgebung behauptet, er habe die Freiheit, eine Zeitung im Interesse seiner privaten Industrie oder der Konzentration der Wirtschaftsmacht herauszugeben, hat, gelinde gesagt, die Pressefreiheit nicht begriffen". Generell läßt sich der indische Standpunkt zum Problem der Pressefreiheit, der die Verantwortung der Publizistik gegenüber den Belangen der sozialen Gemeinschaft betont hervorhebt, als allgemeiner Konsens der Dritten Welt in Fragen der publizistischen Grundrechte ansehen: „Man darf der Pressefreiheit nicht mit einer laissez-faire-Einstellung gegenübertreten."
Wenn auch Begriff und Auslegung der publizistischen Freiheiten, dem politisch-gesellschaftlichen Entwicklungsniveau der meisten Länder der Dritten Welt entsprechend, eingeschränkt werden, so unterbleibt andererseits meist eine radikale Ablehnung dieser Grundrechte, etwa in Form einer philosophisch-theoretischen Doktrin. Daß Maß ihrer Gewährung wird pragmatisch den jeweils entwicklungsbestimmten Gegebenheiten untergeordnet.
Die Bedingungen für die Verwirklichung der Pressefreiheit in Entwicklungsgesellschaften sind von dem Herausgeber der bedeutendsten libanesischen Zeitung „An Nahar" (Beirut), Ghassan Tueni, in folgendem Sinne präzisiert worden:
a) die Existenz einer schon seit langem andauernden und tief verwurzelten Freiheitstradition sowie eine ständig wechselseitige Beziehung zwischen Presse und ihrer Öffentlichkeit,
b) die Fähigkeit der Presse, Zukunftsbilder zu entwerfen und einen Strom der öffentlichen Meinung auszulösen, in dessen Bett alle legitimen, auch die kritischen Auffassungen Platz haben sollten, c) professionelles und nationales Verantwortungsbewußtsein, aufgrund dessen die Presse sich aus freiem Entschluß Disziplin auferlegt, so daß die Regierungen sich weder zur Unterdrückung der Information noch zum direkten Engagement hierzu veranlaßt sehen, d) das Vorhandensein einer Vielfalt von Nachrichten und Einstellungen, die den gesellschaftlichen Dialog anregen soll, damit die Gesetze durch Überzeugungskraft und nicht durch Zwang durchgesetzt werden. Die Erfüllung all dieser Bedingungen könne dazu beitragen, daß die Presse ihre dynamische Rolle verteidigt, der Erstarrung entgeht und, als ständige Herausforderung, neue Wahrheiten zu vermitteln vermag, denn „keine Freiheit kann eine historische Realität erreichen, wenn sie den Weg zur Weitergabe neuer Wahrheiten aufhält"
Die besonderen Voraussetzungen der Presse-konzeption in Entwicklungsgesellschaften erfordern demgemäß eine für die jeweilige Situation spezifische Sicht. Wird die Absolut-setzung unangemessener, d. h. primär für entwickelte Industriestaaten gültiger Wertmaßstäbe aufgegeben, so ist in erster Linie die Frage sinnvoll, ob staatliche Lenkung oder Koordination des Massenkommunikationswesens bzw.des Pressewesens oder der Eingriff in diesen Sektor Selbstzweck ist und als dauerhafte, prinzipielle Richtlinien staatlichen Handelns propagiert wird, ob also diese Formen der Kommunikationspolitik als probate Methoden auch für die künftigen Stadien politisch-gesellschaftlicher Entwicklung oder nur als unumgängliche Übergangsmaßnahmen auf dem Wege zu einer möglichen politischen Ordnung zu gelten haben, in deren spätere Phasen offenere oder freiheitlichere Normen der gesellschaftlichen Konfliktaustragung Eingang finden könnten. Entwicklungsbedingte Restriktion oder aber Repression als unverzichtbares Herrschaftsmerkmal — dies sind entscheidende Kriterien in der Beurteilung der Kommunikationspolitik auch von Staaten der Dritten Welt.
Betrachtet man die Praxis der Pressepolitik in diesen Ländern, vor allem die aktuellen Tendenzen dieser Pressepolitik, so läßt sich auf den afro-asiatischen Kontinenten zweifellos die vorherrschende Entwicklung zur Einschränkung bereits verwirklichter Pressefreiheiten nicht übersehen, in Lateinamerika hingegen eher ein Schwebezustand zwischen drohender Zensur und ungesicherter Liberalität erkennen. Negative Entwicklungen sind jedoch nicht immer nur summarischer Ausdruck der Hinwendung zu autoritären bzw. totalitären Formen politischer Lenkung, sondern ebenso unvermeidliche Folge externer Krisenursachen.
In Afrika und Asien insbesondere haben Krisen und Wandel vieler politischer Systeme — oftmals eine unmittelbare Konsequenz der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Weltmarkt und den hochindustrialisierten Staaten — die Neigung zur Revision des parlamentarisch-demokratischen Regierungsverfahrens allgemein erhöht. So beendete 1972 in Sambia der Übergang der Staatsordnung vom parlamentarischen zum Einparteien-System auch die seit 1964 andauernde Phase der Pressefreiheit und führte zur organisatorischen wie inhaltlichen Ausrichtung der Publizistik an den Zielsetzungen Präsident Kaundas. Ebenso bewirkten die Paralysierung der Demokratie und die dadurch unlösbar gewordenen Sozial-probleme auf den Philippinen im gleichen Jahre die Umwandlung des Systems in eine Präsidialdiktatur unter Marcos, der die Publizistik — nach Jahren zügellosen Mißbrauchs der Pressefreiheit — unter strenge Staatskontrolle stellte, um dadurch einer Sabotage der Sozialreformen durch öffentliche Demagogie vorzubeugen. In Süd-Korea war es hingegen die sich rasch verändernde internationale Situation nach dem Beginn des militärpolitischen Disengagements der USA, durch die die Regierung unter Park Chong Hee zu einer totalen Gleichschaltung der publizistischen Medien bewogen wurde, um das Land und die eigene Öffentlichkeit für den Fall des Dialogs mit dem disziplinierten und gesellschaftlich streng reglementierten Norden krisenunanfälliger zu machen. Selbst die asiatische Muster-demokratie Indien erlebte seit dem überlegenen Wahlerfolg Indira Ghandis im Jahre 1971 innenpolitische Auseinandersetzungen um die Pressefreiheit, als der radikale Flügel der regierenden Kongreßpartei, im Zuge einer forcierten Verstaatlichungspolitik, mittels einer neuen Pressegesetzgebung Verlage zu enteignen und für die großen, häufig Industriekreisen nahestehenden, jedoch meist renommierten Zeitungen (die „Monopolpresse") eine veränderte Besitzstruktur zu erreichen versuchte. In direktere Gefahr geriet die Pressefreiheit auf Ceylon (Sri Lanka), wo zu Beginn des Jahres 1973 ein neues Presseratsgesetz eine Einschränkung der Informationsfreiheiten einleitete. Sind es in solchen Ländern vorwiegend die Sozial-und Wirtschaftsprobleme, die den Abbau demokratischer Regierungsmethoden begünstigen, so tendieren andere Systeme aufgrund ihrer überholten Feudalstruktur und ihrer mangelnden Offenheit für radi27 kale Umwälzungen im Sinne einer gesellschaftlichen Modernisierung zu politisch-publizistischen Repressionen, perpetuieren da-mit jedoch eine latente, revolutionäre Entwicklungen fördernde Systemkrise, wie dies in Marokko sichtbar wird.
In Lateinamerika, wo generell ein höheres Entwicklungsniveau besteht als in den afroasiatischen Regionen der Dritten Welt, sind partiell ähnliche Tendenzen aufzuzeichnen. Markantestes Beispiel für den Niedergang der Pressefreiheit ist die Entwicklung in Uruguay, wo im Verlaufe einer tiefgreifenden innenpolitischen Krise und einer sich daraus ergebenden Aufwertung der politischen Rolle des Militärs die traditionell gesicherten publizistischen Grundrechte durch Zensurreglements eingeschränkt und zum Teil völlig aufgehoben wurden. Argentiniens Innenpolitik scheint demgegenüber auf eine Wiederherstellung der Pressefreiheit hinzuweisen, nachdem die Militärs sich dort zu einer Übergabe der Macht an eine Zivilregierung bereitgefunden und auch die Peronisten, entgegen ihrer einstigen Praxis, die demokratischen Rechte zu wahren versprochen haben. Ob in naher Zukunft in Brasilien eine vergleichbare Tendenz zu erwarten ist, bleibt hingegen fraglich, wenn auch Präsident Medici die Rückkehr zur demokratischen Regierungsform bis zum Ende seiner Amtszeit zugesichert hat; die 1972 und 1973 durchgesetzte drastische Verschärfung der publizistischen Zensur ließ vielmehr den Willen der militärischen Führung zur Beibehaltung ihres unnachgiebigen Kurses erkennen. Die Umstrukturierung des Pressewesens'in Peru — Enteignung zweier Hauptstadtblätter und deren Umwandlung in sozialisierte Kooperative — wurde in der internationalen Fachöffentlichkeit heftig kritisiert, doch blieb der oppositionellen, die „kommandierte Revolution" ablehnenden Presse genügend Spielraum zur Artikulation ihrer Standpunkte erhalten, obschon sie ihr Übergewicht sichtlich verlor. Größte Aufmerksamkeit fand, nicht nur in Lateinamerika, jedoch die Politik der chilenischen Volksfrontregierung unter Allende gegenüber dem ausgeprägt pluralistischen Kommunikationswesen des Landes; obwohl das Programm der Unidad Populär von Ende 1969 die Massenmedien als entscheidende Instrumente für die Schaffung einer neuen Kultur und des „neuen Menschen" bezeichnet hatte, mußte die marxistische Regierung die Festigung der Vormachtstellung der bürgerlich-liberalen Oppositionspresse akzeptieren, wie sehr man diese Presse auch politischen wie wirtschaftlichen Pressionen aussetzte. Die ungewisse Perspektive der weiteren Entwicklung der lateinamerikanischen Pressepolitik kommt gerade in den inneren Spannungen jener Länder zum Ausdruck, die bereits auf demokratische Traditionen zurückblicken können. So hat die Äußerung des Herausgebers der linksliberalen mexikanischen Zeitung „Excelsior", Julio Scherer Garcia, zu den möglichen Alternativen der künftigen Pressepolitik Geltung für den gesamten Kontinent: „Entweder bewegen wir uns in dem nächsten Jahrzehnt in Richtung auf größere (staatliche) Machtfülle, auf die Diktatur, oder aber die Regierung öffnet sich dem Dialog und nimmt bereitwillig die Kritik der Presse auf, um in das Leben der Nation Authentizität anstelle von Propaganda zu bringen."
IV. Resümee
Die Analyse der internationalen Pressesysteme hatte zum Ziel, in zusammenfassender Betrachtung aktuelle Tendenzen der Pressepolitik unterschiedlicher Herrschaftssysteme aufzuzeigen, zu interpretieren sowie zu kommentieren und hierbei auf Divergenzen oder Konvergenzen zwischen abweichenden politischpublizistischen Systemformen hinzuweisen. Ebenso wurde — an einzelnen exemplarischen Beispielen — der Einfluß des Kommunikationswesens auf innen-und außenpolitische Entscheidungsprozesse dargelegt und in diesem Kontext erläutert, wie sehr die Publizistik, aufgrund der Ausweitung ihres Wirkungsbereiches, „zu einem empfindlichen Vorfeld der internationalen Politik" ge-worden ist. Außerdem sollte die Analyse auf die Auswirkungen der sich zunehmend intensivierenden internationalen Kommunikation aufmerksam machen, insbesondere auf Möglichkeiten aber auch Risiken der Bewußtseinsveränderung einer „durch Vermittlung der Massenmedien sich international verge-sellschaftenden Menschheit" auf die dysfunktionalen Folgen des wachsenden Kontaktes mit Informationen und Ideen aus politisch-ideologisch sowie entwicklungsmäßig unterschiedlichen Gesellschaftssystemen.
Somit stellt diese Studie zugleich einen Versuch dar, anhand der Analyse des Weltpressewesens den vielfältigen Zusammenhang zwischen Kommunikation einerseits und Konflikt oder Krise andererseits zu verdeutlichen — im nationalen wie internationalen Rahmen. Kommunikationswissenschaftliche Aspekte sind in den Bereich der Konflikt-, Krisenoder Friedensforschung bisher nur in begrenzterem Umfang einbezogen worden, obschon meist prinzipielle Anerkennung findet, daß das komplizierte Gebiet der Kommunikation einen zentralen Gegenstand dieser Disziplin bildet, vor allem daß „die Forschung nach den Möglichkeiten und Methoden, herrschende Mentalität und Überzeugung in Richtung auf ein Friedenssystem zu verändern, eine der wichtigsten Aufgaben der Friedenswissenschaft in unserer Zeit" ist
Der Analyse von Möglichkeiten und Methoden der Mentalitätsveränderung durch Massenkommunikation geht indes die Klärung der Frage voraus, welche politisch-gesellschaftlichen Funktionen ein bestimmtes nationales Kommunikationssystem (Pressesystem) wahrnimmt, welches seine Zielsetzungen oder spezifischen Leistungen sind und ob oder inwieweit das politisch-publizistische System die Chance zur Teilnahme divergierender Meinungsgruppen am Kreislauf öffentlicher Kommunikation gewährleistet.
Auch in diesem Zusammenhang von Kommunikation und Politik wird das Problem „struktureller Gewalt" aufgeworfen: denn nicht allein sozial oder ökonomisch bestimmte Entwicklungsunterschiede und sich daraus ableitende vertikale Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einzelner Nationen wie innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft begründen ein permanentes Konflikt-und Spannungspotential, sondern ebenso der meist politisch-ideologisch motivierte Ausschluß von Gruppen aus der nationalen Sphäre öffentlicher Kommunikation bzw. von Nationen und ihren Interessen aus dem weltweiten Kommunikationsaustausch.
Aus publizistikwissenschaftlicher Sicht ergeben sich demgemäß hauptsächlich zwei konkrete Fragestellungen: erstens die Frage nach der Rolle der Publizistik als Mittel politischer Machtkontrolle und als Medium gesellschaftlicher Konfliktaustragung, zweitens nach ihrer Funktion im Prozeß zwischenstaatlicher und zwischengesellschaftlicher Verständigung oder aber Konfrontation.
In der Typologisierung internationaler Kommunikationsordnungen bietet sich zunächst die Sonderung in geschlossene und offene Systeme an Die strikte Entgegensetzung jedoch, derzufolge die erste Systemform eine absolut geschlossene Einheit mit Beharrungscharakter darstellt, während die zweite Form sich als Fließsystem in einer permanenten Identitätskrise befindet, erscheint in der Anwendung auf das internationale Massenkommunikationswesen noch zu undifferenziert. Geschlossenheit des Kommunikationssystems wird mit fortschreitendem Ausbau der Nachrichten-und Informationstechnologie immer weniger realisierbar; Medienmonopol ist, zumindest im Bereich hochindustrialisierter Staaten, in immer geringerem Maße Garantie auch für das Informationsmonopol — ein existentielles Problem beispielsweise der sozialistischen Staaten, deren schroff ablehnende Haltung auf den KSZE-Vorgesprächen in Helsinki zur Erweiterung des ost-westlichen In-formations-und Ideenaustausches auf ein merkliches Unbehagen angesichts dieser modernen Entwicklungen schließen läßt.
Daß in ihrer organisatorischen Struktur offene Kommunikationssysteme — etwa der liberalen Demokratien — den internen Kommunikationsaustausch effektiv zu sichern und dadurch hohe Wandlungschancen zu gewährleisten vermögen, ist sicherlich als Normalfall belegbar. Einschränkungen der von der Konzeption potentiell gegebenen Funktionsfähigkeit der publizistischen Medien resultieren aus der Monopolisierung der öffentlichen Kommunikation durch politisch-gesellschaftliche Eliten und Minoritäten oder aber aus Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungen des Kommunikationsprozesses Nur bedingt lassen sich derartige Beeinträchtigungen publizistischer Vermittlung als Konsequenz materieller Abhängigkeiten nachweisen. Distanz oder gar Entfremdung der „Kom-munikatoren" von staatlich-politischen Ent-Scheidungsvorgängen wie gesellschaftlichen Entwicklungen werden weit häufiger als Ursachen aufgeführt. Beide Faktoren erhöhen die innere Labilität der betreffenden politischen Systeme und steigern ihre Krisenanfälligkeit. Das Problem der Identitätskrise, d. h.der Verunsicherung des politisch-gesellschaftlichen Selbstverständnisses innerhalb einer Herrschaftsordnung, belastet jedoch die verschiedenen politischen Systeme generell, unabhängig von dem Typus ihres Kommunikationswesens. In einer Phase der internationalen Beziehungen, die mehr und mehr durch ideologische und weniger durch ökonomische oder militärische Auseinandersetzungen gekennzeichnet wird, ist dieses Problem als ausschlaggebend für die weitere Entwicklung des „Wettbewerbs der Systeme" zu werten. Der Ausgang der ideologischen Konkurrenz, als deren primäres Ziel die radikale Unterminierung des politisch-gesellschaftlichen Selbstverständnisses des jeweiligen Kontrahenten zu gelten hat, wird dabei wesentlich oder gar entscheidend durch Charakter und Leistungsfähigkeit der einzelnen Kommunikationsordnungen und ihrer Medien bestimmt.