Nur drei Menschen kennen die Lösung des Konflikts ..der eine ist tot, der zweite seither ständig betrunken, der dritte hat sie wieder vergessen.
Lord Henry John Palmerston, langjähriger britischer Außen -und Premierminister im 19. Jahrhundert zur Schleswig-Holstein-Frage Mit 76 zu 35 Stimmen beschloß die UN-Vollversammlung am 25. Oktober 1971 auf Antrag Albaniens, die Vertretung Chinas in der Weltorganisation der kommunistischen Regierung in Peking zu übertragen trotz vieler rechtlicher und politischer Bedenken Die Repräsentanten der Nationalregierung verließen die UNO; einzig würdiger Akt eines im übrigen obszönen Schauspiels, meinte ein britischer UN-Diplomat.
Auch in den Unter-und angeschlossenen Organisationen der Vereinten Nationen traten die kommunistischen an die Stelle der Nationalchinesen Sogar den UNO-Korrespondeuten der Central News Agency of China, Chen Chi-lin und T. C. Tang, wurde am 21. Dezember 1971 gegen den Protest des internationalen Pressekorps auf Pekings Verlangen vom Generalsekretariat die Akkreditierung entzogen
Ähnlich wie früher die Anhänger Nationalchinas meinte die Mehrheit in der UNO, China sei noch immer eine Einheit. Da Pekings Anwesentheit in der UNO nach Meinung der meisten Mitglieder erforderlich ist, Peking die Mitgliedschaft beider Regierungen aber ablehnt wurden die mehr als 15 Millionen Menschen in Nationalchina aus bloßen Opportunitätserwägungen nach Orwells Vorbild international zu Un-Personen erklärt: mit 59 zu 55 Stimmen war der US-Antrag abgelehnt worden, ihre „Ausstoßung" zur wichtigen Angelegenheit zu erklären; darüber hätte mit Zweidrittelmehrheit entschieden werden müssen, so daß bei Annahme des albanischen Antrags beide Regierungen in den UN vertreten gewesen wären.
Die China-Frage schien gelöst. Tatsächlich aber stehen die beiden Regierungen sich weiter unversöhnlich gegenüber. Sie führen auch militärisch Bürgerkrieg und repräsentieren antagonistische Gesellschaftssysteme, die trotz der Größenunterschiede alternative chinesische Entwicklungsmodelle verwirklichen. Für beide ist Wiedervereinigung ohne Unterwerfung ein zentrales Thema: weder werden die Kommunisten auf Taiwan verzichten, noch die Nationalregierung endgültig die nationale Identität aufgeben durch Verzicht auf den Namen (und Anspruch) „Republik China", also die irgendwann zu realisierende Rückgewinnung des Festlands
Zwei Staaten in einer Nation
Seit der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 versuchen beide Regierungen, die andere zu isolieren. Bis zum Oktober 1971 bestand im großen und ganzen ein Patt. Heute haben die Kommunisten ein Übergewicht. Immer mehr Regierungen tauschen Botschafter mit Peking aus auch „rechte" wie Griechenland und Spanien. Nur Tonga und Samoa nahmen seither Beziehungen zu Taipei auf Dennoch ist Nationalchi-na — auch wegen der Wirtschaftskraft und Entwicklungshilfe — weniger isoliert, als die Abstimmung der UN über die „größere* Realität" anzuzeigen scheint. Besonders die Staaten Südost-und Ostasiens sind für die Erhaltung eines chinesischen Gegengewichts: nur zwei stimmten gegen den US-Antrag, nur drei für den albanischen Indonesien nahm sogar mit Nationalchina, Südkorea, Kambodscha, Malaysia Thailand und den USA im Oktober 1972 in Seoul an einem einwöchigen Seminar über Guerillabekämpfung teil vielleicht angesichts der gesteigerten Kampfmaßnahmen seiner Kommunistischen Partei und der Spionage Pekings Sein Handel mit Nationalchina wuchs von 1967 bis 1972 von 12 auf 80 Mio. US-Dollar; seit 1969 gibt es eine regelmäßige Fluglinie
Viele Staaten waren zur Zwei-China-Lösung in der UNO bereit stießen aber auf den Widerstand auch der Nationalregierung Seit dem Amtsantritt von Premierminister Chiang Ching-kuo — ältester Sohn und mutmaßlicher Nachfolger Chiang Kai-sheks — am 30. Mai 1972 ist insoweit eine Änderung eingetreten, denn es fehlt seither jeder Hinweis auf die Ablehnung einer solchen Politik
Taipei geht heute aus von der Existenz zweier staatlich organisierter antagonistischer Gesellschaftsordnungen in der einen Nation China, deren Beziehungen zu Drittstaaten auf verschiedenen Ebenen unterhalten werden. Denn nach den Regeln des Völkerrechts gebe es in China derzeit zwei Regierungen, da Taipei wie Peking über ein Gebiet mit eigener Bevölkerung die effektive Kontrolle ausüben, ohne daß der eine das Territorium des anderen kontrollieren könne Unumstößliche Grundsätze der Außenpolitik sind daher — laut Artikel 1 der Verfassung vom 25. Dezember 1947 ist die Republik China, gründend auf den von Sun Yat-sen erarbeiteten drei Volksprinzipien — Nationalstaat, Demokratie, Volkswohlfahrt —, eine demokratische Republik des ganzen Volkes, vom Volk für das Volk regiert — die antikommunistische nationale Wiedervereinigung; — die Parteinahme für die demokratischen Länder, der Wille und die Pflicht, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu erhalten; — keine Kompromisse mit den Kommunisten zu schließen.
Der kompromißlose Alleinvertretungsanspruch sollte der Nationalregierung nach der Flucht in die unterentwickelte Inselprovinz Taiwan die Stabilisierung ihrer Herrschaft auf dem Restterritorium ermöglichen Der Korea-Krieg (1950— 1953), die Wirren auf dem Festland nach dem „Großen Sprung nach vorn" (1959— 1962) und in der „Großen Proletarischen Kulturrevolution" (1966— 1969) gaben ihr die Zeit dazu. Die schnell wachsende weltpolitische Bedeutung Festlandchinas nach dessen außenpolitischer Öffnung und der ungeheure Größenunterschied mußten Taipei aber bei konsequenter Fortführung dieser Politik in die völlige Isolation bringen. Der Umschwung der nationalchinesischen Außenpolitik nach dem Amtsantritt Chiang Ching-kuos kam zu spät, um den Austritt aus der UNO zu verhindern. Die Eile, mit der Pe-king möglichst viele Staaten auf seine Version der Ein-China-Politik festlegen will, schließt zudem aus, daß Taipei seine Kontakte auf die Staaten beschränkt, zu denen diplomatische Beziehungen bestehen.
Zwar beendet die Nationalregierung noch heute die diplomatischen Beziehungen zu jedem Land, das Peking anerkennt. Sie werden seit 1971 aber oft nur „suspendiert" oder die Botschaft wird geschlossen In wenigen Fällen, so bei Japan, werden die Beziehungen formell abgebrochen Zunehmend werden jedoch unter der diplomatischen Ebene neue Formen der Auslandsvertretung aufgebaut ganz gleich ob die Länder Beziehungen zu Peking haben oder nicht.
In Taipei entstanden dafür ein interministerieller Ausschuß zur Abwicklung der Handels-und Wirtschaftsbeziehungen sowie im Handelsministerium fünf Regionalabteilungen zur Förderung des Handels mit den Ländern, zu denen keine diplomatischen Beziehungen bestehen
Die bisher wichtigste Entwicklung war der Vertrag mit dem Senegal am 1. Mai 1972 über die Errichtung des Büros für wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit. Ausdrücklich ersetzt es die im Dezember 1971 nach der Anerkennung Pekings durch Dakar geschlossene Botschaft Das Umgekehrte könnte sich in Thailand ergeben. Dieses will Beziehungen zu beiden chinesischen Regierungen. Es denkt zunächst an ein Büro Pekings bei der ECAFE in Bangkok und ein thailändisches Verbindungsbüro in Peking, ohne die diplomatischen Beziehungen mit Taipei abzubrechen. Außerdem sollen Handelsbeziehungen zu Peking hergestellt werden. Sogar Südkorea hat offensichtlich seine Bereitschaft zu Gesprächen mit Peking über den Festland-sockel erklärt — unter Beibehaltung der engen Beziehungen zu Taipei — und ist an der Aufnahme von Handelsbeziehungen als erstem Schritt zur endgültigen Verbesserung der Gesamtbeziehungen interessiert
Die anderen Büros haben zumeist offiziösen Charakter. So gibt es Niederlassungen des Regierungsinformationsamts unter anderem in Bonn und London sowie ein Tourismusbüro für zunächst ganz Europa in Frankfurt/Main Hier unterhält der dem Rat für Internationale Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstehende Central Trust of China seit 1963 das China Trade and Productivity Center. Im April 1972 wurde ein offizielles CIECD-Büro eingerichtet; ähnliche Büros gibt es in den Niederlanden, Italien und Spanien
Am 7. März 1972 wurde in Brüssel das Büro des Far East Trade Service eröffnet das im Mai 1972 Nationalchinas Teilnahme an der Brüsseler Internationalen Messe organisierte Ähnlichen Zwecken dient das seit dem 1. Juli 1972 in Singapur bestehende Ausstellungs-und Dienstleistungszentrum Als Ersatz für die nach der Anerkennung Pekings durch Argentinien geschlossene Botschaft wurde am 15. August 1972 in Buenos Aires ein Handelsbüro eingerichtet
Die privaten (non-government) Organisationen wurden aufgefordert, an möglichst vielen internationalen Maßnahmen teilzunehmen zur Förderung der Diplomatie von Volk zu Volk. So gründeten am 21. März 1973 zweihundert Delegierte aus Hongkong, Indonesien, Japan, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Südkorea, Thailand und Nationalchina die Asian Small Business League (ASBL). Taipei wird Sitz eines Asiatischen Handelszentrums dieser ASBL werden
Nationalchinas Beziehungen zu Japan
Auch zu Japan wurden die Kontakte nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking am 29. September 1972 nicht völlig abgebrochen. Am 7. November erklärte Außenminister Masayoshi Ohira, Tokio und Taipei seien übereingekommen, eine Verbindungsstelle für Handels-und andere inoffizielle Kontakte aufrechtzuerhalten; Peking habe dem stillschweigend zugestimmt Noch heute arbeiten im übrigen beide Regierungen mit denen der Philippinen, Südkoreas, Südvietnams und Thailands sowie der US Agency for International Development in Asian Vegetable Research and Development Center in Shanhua (Taiwan) zusammen. Am 1. Dezember 1972 wurde von Industriellen und anderen namhaften Personen des öffentlichen Lebens beider Länder unter der Präsidentschaft von Taizo Horikoshi in Tokio die Japan-Republic of China-Interchange-Association (JROCIA), die Koryu Kyokai, gegründet. Sie soll Handels-und Konsulardienste wahrnehmen Leiter des Büros in Taipei ist Osamu Itagakis, der bis zum März 1971 der zunächst vorletzte Chef der dort am 1. Oktober 1952 eröffneten japanischen Botschaft war ein weiteres Büro soll in Kaoshiung errichtet werden
Parallel dazu entstand am 2. Dezember 1972 auf Initiative von Geschäfts-und Industrie-kreisen in Taipei eine sino-japanische Vereinigung mit entsprechenden Funktionen, die East Asia Relations Association, unter der Führung von Mah Soo-lay; sie wird Zweigbüros in Tokio, Osaka und Fukuoka erhalten Schon in den ersten drei Tagen nach der Eröffnung am 4. Januar 1973 stellte das EARA-Büro in Tokio über tausend Visa aus
Beide Büros haben am 26. Dezember 1972 einen Kooperationsvertrag zur Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen abgeschlossen Weitere Verträge über Fragen des Handels, der Schiffahrt, Fischerei und technischer Kooperation stehen bevor
Wie schon früher bis Ende September 1972 das „Memorandum-Handelsbüro", das bis zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen Tokios zu Peking der Aufrechterhaltung der inoffiziellen Kontakte Japans zu Festlandchina diente, wird die JROCIA unter dem Dach der Ministerien für Außeres, für Industrie und Handel sowie der staatlichen Außenhandelsgesellschaft aus öffentlichen Mitteln finanziert und ist mit „ausgeliehenen" öffentlichen Bediensteten besetzt, unter ihnen der Leiter der JROCIA, Osamu Takahashi, aus dem Industrie-und Handelsministerium.
Demnächst soll in Tokio eine nationalchinesische Handelsmission eröffnet werden
schon im Sommer 1972 war eine Filiale des Far East Trade Service Center gegründet worden Außerdem entsteht in Tokio zur Aufrechterhaltung der kulturellen Beziehungen für Wissenschaftler und Politiker die Sino-Japanese Cultural Interchange Association Daneben bestehen weitere Verbände, so die Organisation for Industrial, Spiritual and Cultural Association (OISCA-International) unter Hidezo Inaba, die neben der Niederlassung in Taipei solche in Bangladesh, Ceylon, Indien, Indonesien, den Philippinen und Singapur unterhält Am 14. März 1973 entstand in Tokio die Japanisch-Nationalchinesische Parlamentarische Vereinigung mit 132 der 287 Unterhausabgeordneten der regierenden Liberaldemokratischen Partei, die zur Beibehaltung und Förderung der freundschaftlichen Beziehungen und zur Kooperation zwischen den beiden Staaten beitragen soll.
Für Tokio ist bei der Herstellung dieser vielfältigen Beziehungen entscheidend, daß das Handelsvolumen mit Nationalchina in den ersten zehn Monaten 1972 mit 1, 117 Mill. US-Dollar und einem Exportüberschuß von 517 Mio. US-Dollar das mit Festlandchina von 1971 von 901 Mio. US-Dollar weit übertraf, weiter steigt und sich kaum vermindern wird Wirtschaftliche Überlegungen be-stimmen daher auch die Verhandlungen mit Peking über Wirtschafts-und Verkehrsfragen einschließlich eines Luftfahrtabkommens: die Fluglinie der Japan Air Lines nach Taipei, das 37mal pro Woche angeflogen wird (Passagieraufkommen rund tausend pro Tag), ist die lukrativste Japans und kann durch Flüge nach Festlandchina nicht aufgewogen werden Da sie laut Mitteilung von Außenminister Ohira an das japanische Kabinett vom 20. März 1973 beibehalten werden soll, was Peking nicht wünscht, wurden die Gespräche am 2. Mai 1973 auf zunächst unbestimmte Zeit vertagt
Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zur ganzen Welt
Die Handelsbeziehungen zur ganzen Welt werden intensiviert, Investitionen aus allen Ländern gefördert, solange sie der Wirtschaft nützen Handels-und Investitionsbeschränkungen gibt es daher auch nicht für nicht-kommunistische Staaten, zu denen keine diplomatischen Beziehungen bestehen oder die solche zu Peking haben
Deshalb bahnt sich auch in den Beziehungen zu Australien eine ähnliche Entwicklung an wie im Falle Japans. Nach der Amtsübernahme des neuen Labour-Premierministers Edward Gough Whitlam nahm Canberra am 22. Dezember 1972 diplomatische Beziehungen zu Peking auf; dabei übernahm es voll den Anspruch der Sinokommunisten auf Taiwan Dennoch will es nicht-offizielle Handelsbeziehungen zu Taipei weiter unterhalten
Das Außenhandelsvolumen Nationalchinas ist seit 1972 größer als das Festlandchinas und wuchs 1971/72 um 48, 2%; zu 82% umfassen die Exporte Industrieprodukte auch zur Bundesrepublik deren drittgrößter asiatischer Lieferant nach Japan und Hongkong es seit 1972 mit Exporten von DM 412 955 000 ist. Im ersten Vierteljahr 1973 wuchs das Außen-handelsvolumen um 31, 1 % auf US-Dollar 1 439 Mio; für 1973 wird mit insgesamt US-Dollar 8 430 Mio. und einem Exportüberschuß von US-Dollar 490 Mio. gerechnet 59a).
In der Liste der Welthandelsländer stand Nationalchina 1971 an 26., 1972 an 19. Stelle Auch Staaten, die erst kürzlich Botschafter mit Peking ausgetauscht haben, nahmen am Boom teil. So stieg Kanadas Außenhandel 1971 um 87, 5% auf 132 Mio. US-Dollar bei einem Exportüberschuß Nationalchinas von 100 Mio. US-Dollar am 3. Januar 1973 wurde der von Kanada gelieferte größte Atomreaktor in Taiwan im Institut für Kernenergie der AtomEnergie-Kommission „kritisch"
Die Auslandsinvestitionen gingen nach dem Austritt aus der UNO nicht zurück, die Kapitalflucht blieb aus. Mit 163 Mio. US-Dollar und einem Zuwachs von 27 % erreichten sie 1971 einen Höchststand 1972 waren es zwar nur 130 Mio. US-Dollar die Kredite der Entwicklungsbanken stiegen dafür aber schon bis Oktober um 326 Mio. US-Dollar Für 1973 sind für den Bau einer Goßwerft für Tanker bis zu 130 000 tdw in Kaoshiung allein 100 Mio. US-Dollar von britischen Investoren vorgesehen Von drei liberianischen und einer US-amerikanischen Firma werden 1973 in die China Shipbuilding Corporation in Kaoshiung 12, 375 Mio. US-Dollar investiert; weitere 15, 125 Mio. US-Dollar investiert die Regierung. Schon 1975 soll unter anderem der erste von zehn 360 000 tdw-Großtankern abgeliefert werden.
Nach vorübergehender Zurückhaltung um die Jahreswende 1971/72 nahmen die Japaner den Handel und die Investitionen bald wieder auf Die Nationalregierung versucht allerdings, die starke Abhängigkeit von den Japanern abzubauen und schränkt vor allem die Importe von Investitionsgütern von dorther ein Vor allem der Handel mit den USA, Kanada und Europa — hier bestehen in der Regel positive Handelsbilanzen — soll verstärkt werden. Mit insgesamt 115 Mio. US-Dollar überstiegen die westeuropäischen Investitionen schon Anfang 1973 die Japans von 110 Mio. US-Dollar. Mit einer Verdoppelung des Westeuropahandels von 1972 (563 Mio. US-Dollar) wird bis 1977 gerechnet. Dem diente auch die zweite Europäische Industrie-Maschinen-Ausstellung vom 21. Februar bis 5. März 1973 in Taipei; daran nahmen 46 Firmen teil, aus der Bundesrepublik unter anderem AEG, Telefunken, DEMAG und Klöckner-Humboldt-Deutz 69a).
Auch die japanischen Touristen, die nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen Pekings zu Tokio am 29. September 1972 zunächst auszubleiben schienen, kommen wieder so zahlreich wie früher (1972 55 0/0 der rd. 580 000 ausländischen Besucher
Die staatlichen österreichischen Stahlwerke VOEST vereinbarten am 2. November 1971 mit der staatlichen China Steel Corporation unter Beteiligung des nationalchinesischen Wirtschaftsministeriums den Bau und die Finanzierung des ersten Stahlwerks mit einer Jahreskapazität von 1, 3 Mio. Tonnen in Taiwan obwohl Wien am 27. Mai 1971 diplomatische Beziehungen zu Peking hergestellt und am 30. Juli und 25. Oktober 1972 Handelsverträge abgeschlossen hat
Den Auftrag mit einem Volumen von 66 Mio. US-Dollar sollte schon 1965 der deutsche Klöckner-Konzern erhalten. Bonn lehnte aber eine Hermes-Bürgschaft ab, die 1966 die DE-MAG für ein Kaltwalzstahlwerk in Festland-china erhielt. Wird es bei den Investitionen für das Kernkraftwerk in Nord-Taiwan ähnlich sein, da Außenminister Scheel am 13. März 1972 Hermes-Bürgschaften für Taiwan ausschloß? -
Ford beschloß am 21. November 1972, 36, 3 Mio. US-Dollar in eine Kfz-Montage-Fabrik für vier verschiedene Modelle zu investieren; die Kraftwagen sollen auch in andere asiatische Länder exportiert werden Damit werden die Japaner verdrängt, die seit Beginn der sechziger Jahre aufgrund eines Vertrages mit der Yue Long Motor Corporation Datsuns montieren. Nach Vorgesprächen Anfang 1972 will auch VW ein Zweigwerk errichten, das 1975 mit der Produktion beginnen soll
Nationalchinas Verhältnis zu den USA
Von den wichtigen Staaten unterhalten nur noch die USA diplomatische Beziehungen zu Taipei. Das ist zugleich das Haupthindernis der Annäherung an Peking: die USA sollen ihre Truppen aus Taiwan zurückziehen und Taiwan aus dem Schutz der 7. Flotte entlassen. Dann soll Taiwan, wie auch immer, „befreit" werden.
Obwohl die USA noch 1971 in der UNO eine Zwei-China-Politik betrieben und im April 1971 Taiwans Status ungeklärt nannten erklären sie nun, es gehöre nach Meinung aller Chinesen zu China, es gebe nur ein China, die Taiwan-Frage müsse als inneres Problem in direkten Verhandlungen Pekings mit Taipei gelöst werden; und sie verpflichten sich grundsätzlich zum stufenweisen Truppenabzug nach Abbau der innerchinesischen Spannungen
Nixon veränderte die China-Politik der USA grundlegend durch die Inaussichtnahme eines Disengagements gegenüber Nationalchina. Das US-Engagement dient heute vor allem zur Verhinderung einer gewaltsamen Lösung und erscheint so als Einmischung in den chinesischen Bürgerkrieg. Das war völkerrechtlich vertretbar, solange die Nationalregierung als (eine) legale Regierung Chinas anerkannt wurde. Jetzt ist es ein Verstoß gegen die fünf Prinzipien von Bandung, auf die im Abschlußkommunique zum Nixon-Besuch Bezug genommen wurde.
Peking scheint bereit, die partielle Sonder-verbindung der USA zu Taipei vorerst hinzunehmen. Sein Ziel ist aber das totale Disengagement der USA und das Ende des sinoamerikanischen Beistandspakts vom 2. Dezember 1954. Der aber hat für Nationalchina schon viel Gewicht verloren, wenn Nationalchina offiziell geraten wird, sich mit seinem Hauptfeind zu arrangieren.
Nixon wird vorgeworfen, er habe ohne Gegenleistung einseitige Konzessionen gemacht:
Taiwan sei de jure (rot) chinesisches Gebiet, nur die Modalitäten der „Befreiung" seien offen. Der Widerstand dagegen kommt nicht nur von rechten Republikanern. Schon im August 1971 lehnte der Vorstand der American Federation of Labor — Congress of Industrial Organizations mit 24 zu 4 Stimmen Pekings Aufnahme in die UNO ab Am 29. Oktober 1971 wies dann der Senat die Aufhebung der Formosa-Resolution vom Januar 1955 mit 43 zu 40 Stimmen zurück, die Quemoy und Matsu in den Beistandspakt von 1954 einschloß
Der (demokratische) Sprecher des Repräsentantenhauses Carl Albert erklärte zuletzt im Januar 1972, er werde Taiwans Aufgabe nicht dulden Schon im August 1971 hatte er mit 52 (der 435) Abgeordneten in Taipei die Nationalregierung seiner Unterstützung versichert Vielleicht hat Peking ihn darum nicht mit seinem Stellvertreter Hale Boggs, dem Fraktionsvorsitzenden im Senat und dem der Republikaner im Repräsentantenhaus, eingeladen. Bis zum 11. Mai 1973 erklärten 49 Mitglieder des Repräsentantenhauses beider Parteien sich für die weitere Unterstützung Taipeis, das nicht den Beziehungen zu Peking geopfert werden dürfe 83a).
Eine zusätzliche politische Lebensversicherung sind auch die großen US-Investitionen, deren klarster Beweis die rasche Zunahme von Filialen von Großbanken ist und der sino-amerikanische Handel. 1972 erreichte er mit 2 094 Mio. US-Dollar das Zehnfache dessen mit der Sowjetunion; in Taipei soll daher das dritte US-Handelszentrum in Asien nach denen in Tokio und Bangkok errichtet werden Nixons Anhänger meinen, Peking wolle nur eine US-Hilfe für ein unabhängiges Taiwan verhindern. Die USA würden eine „Befreiung" aber nicht dulden, hätten sie doch oft, zumal in Vietnam, für das Selbstbestimmungsrecht gekämpft. Dem wird derzeit weiteres Gewicht verliehen, verbal und durch die Fortdauer der Patrouillen von Einheiten der 7. Flotte in der Taiwan-Straße, durch die Verlegung von Kampftruppen zu den bisher rund 8 900 Mann Logistik-Truppen Das US-Außenministerium gab außerdem am 12. Februar 1973 bekannt, daß Nationalchina und die USA die Montage von Northrop F 5 E Düsenjägern (Freedom Fighters) in Taiwan vereinbart haben. Zur gleichen Zeit kehrte Henry Kissinger aus Peking zurück.
Die neue Zwei-China-Politik Taipeis zwingt die USA zur Neuformulierung der heutigen Politik, denn die Prämissen des Kommuniques von Shanghai sind nun falsch. Das Ergebnis steht noch aus, und es muß sich zeigen, ob es gegenüber Peking durchgehalten werden wird.
Es muß sich insbesondere zeigen, ob die — zusätzlich zur nationalchinesischen Botschaft in Washington — vereinbarten Verbindungsbüros in Peking und Washington, ständige Regierungsdelegationen mit diplomatischem Rang, nicht nur Vorstufen zu Botschaften, sondern zu einer echten Doppelvertretung sind. Denn Chou En-lai erklärte am 27. Februar 1973 vor einer japanischen Delegation, alles werde geregelt sein und man werde sich die Hände reichen können, „wenn die Amerikaner anerkennen, daß Taiwan eine chinesische Provinz ist". Hingegen ist die Erklärung Taipeis, diese Vereinbarung sei null und nichtig, kaum mehr als eine Pflichtübung. Wie kompromißbereit Peking bei eigenem, auch wirtschaftlichem Nutzen allerdings sein kann, beweisen seine langjährigen wirtschaftlichen Beziehungen — meist via Hongkong — zur Südafrikanischen Union.
Taipeis Verhältnis zu Osteuropa einschließlich der Sowjetunion
Am 7. März 1972 erklärte Außenminister Chow Shu-kai, der Austritt aus der UNO erlaube der Nationalregierung, trotz der ideologischen Gegnerschaft zum Kommunismus, nun Beziehungen zu den Peking-feindlichen kommunistischen Ländern herzustellen Die Kontakte waren nie ganz abgebrochen worden, trotz auch militärischer Zusammenstöße im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten In der UNO verlief die Zusammenarbeit seit 1951 reibungslos.
Die Kontakte wurden mit der Verschärfung des Moskau-Peking-Konflikts noch enger.
Schon Anfang der sechziger Jahre wollte die Rostocker Deutsche Seerederei den Linien-dienst nach Keelung aufnehmen, was nur am Widerspruch der Nationalregierung scheiterte 1970 und 1971 kam als inoffizieller Botschafter Moskaus der „Journalist" Victor Louis zu Geheimgesprächen nach Taipei, denen Verhandlungen zur vertraglichen Regelung der Handelsbeziehungen folgen sollen; in Taipei wurde ein Büro der Aeroflot eröffnet und in Kaoshiung werden sowjetische Schiffe verschrottet Anfang März 1972 berichtete „Nowoje Wremja" über die Nominierung Chiang Kai-sheks zum Präsidentschaftskandidaten der Kuomintang und nannte sie „die herrschende Partei auf Taiwan"
Am 5. März 1972 erlaubte die Nationalregierung dann den ausländischen Investoren „wegen der veränderten Weltlage" ohne zusätzliche Zölle oder Steuern nach Osteuropa zu liefern; die Importbeschränkungen wurden aufgehoben Am 21. Februar 1972 erklärte der Direktor des Tourismusbüros im Verkehrsministerium, Wellington Y. Tsao, Personen mit Visa osteuropäischer Staaten dürften nach Taiwan einreisen Seit dem 1. August 1972 können Touristen aus allen Staaten die Insel mit Gruppenvisum besuchen, die der Republik China nicht feindlich gesonnen sind; als feindlich gelten nur Festlandchina, Nordkorea und Nordvietnam Die übrigen Ostblockstaaten sind wie mehrere Länder der Dritten Welt „nichtbefreundet"
Wiedervereinigung Chinas?
Wie alle Futurologie muß die Antwort spekulativ sein. Sicher aber ist Chinas Wiedervereinigung nicht durch Verhandlungen der heutigen Machthaber zu erreichen. Immer wieder wird zwar von Geheimkontakten auch Chiang Ching-kuos geredet. Dazu trägt bei, daß Soong Ch’ing-ling, Schwägerin Chiang Kai-sheks, Vizepräsidentin in Peking ist. Die Gerüchte sind aber grundlos.
China solle ähnlich den alten Autonomie-oder Suzeränitätsformen wiedervereinigt werden, wie sie etwa bis 1911 zwischen den Manchu-Kaisern sowie der Mongolei und Tibet bestanden. Taiwan soll mit den Pescadoren — aber ohne Quemoy und Matsu — eine autonome Region der Volksrepublik werden, welche die Außenbeziehungen wahrnimmt. Es erhält für zehn Jahre eine auf Provinzgröße verkleinerte, von den Kommunisten ausgerüstete und ausgebildete Armee. Sein Präsident, mit einem Revolutionskomitee und einer Koalitionsregierung aus Kommunisten und reorganisierter Kuomintang, wird Vizepräsident Volkschinas und stellvertretender Armeebefehlshaber. Bislang hat auch noch niemand zu erklären vermocht, welches Interesse die Verantwortlichen in Nationalchina haben könnten, ihre derzeitige Alleinentscheidungsmacht zugunsten einer wie immer gearteten, aber doch zweitrangigen Position im Rahmen der Volksrepublik aufzugeben, und warum die Menschen in Nationalchina ihren eindeutig höheren Lebensstandard für das bloße Gefühl „heim ins Reich" gefährden sollten.
Die Nationalregierung lehnt Verhandlungen mit den Kommunisten kategorisch ab und hält deren Vereinbarungen mit Dritten — etwa den USA oder Japan — für null und nichtig. Das Mißtrauen ist trotz oder vielleicht wegen mancher familiärer oder persönlicher Beziehungen zu groß. Das gilt zumal für einen Vorschlag, der fast ganz dem Status der Autonomen Region Tibet von 1951 entspricht. Auch Versicherungen, die Festlandflüchtlinge würden bei freiwilliger Heimkehr nicht diskriminiert werden nicht geglaubt.
Die Kommunisten intensivieren dennoch ihre Bemühungen um Kontaktaufnahme zu den Chinesen in Taiwan. Diese sehnten sich nach dem Festland, da sie in einer nur vom Profit-interesse weniger bestimmten Gesellschaft lebten; deren Menschenverachtung komme etwa in den schlechten und nur zu oft lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen sowie der wachsenden Arbeitslosigkeit zum Ausdruck; die Bauern seien hoch verschuldet, und viele junge Frauen würden zu Prostituierten erniedrigt Weil den chinesischen Landsleuten in Taiwan die erfolgreiche innen-und außenpolitische Entwicklung auf dem Festland bekannt sei und zugleich Taiwans Befreiung und Vereinigung mit dem Mutterland von der Bevölkerung des ganzen Landes gewünscht werde, könnten die zwischen ihnen als Chinesen stehenden Dinge durch Gespräche beiseite geräumt werden
In Taiwan selbst gibt es jedoch keine Anzeichen, daß diese Propaganda auf einen fruchtbaren Boden fällt, zumal die Behauptungen über die Lage der Bevölkerung ebenso glaubhaft und wahr sind, wie die der DDR-Propagandisten über die kapitalistische Ausbeutung der Menschen in der Bundesrepublik.
Mit einer militärischen Wiedervereinigung ist derzeit gleichfalls nicht zu rechnen. Der Bürgerkrieg dauert zwar seit 1949 mit wechselnder Intensität an. Eine Invasion Taiwans ist aber undurchführbar mangels Transportraums und weil die überlegene Nationalmarine sie schon an der Festlandküste abfangen würde Ein zusätzlicher Schutz sind die Küsteninseln, welche die Kommunisten 1949 und 1958 zu erobern versuchten: sie blockieren Amoy und Foochow, die Taiwan nächstgelegenen Häfen, und dienen zu Beobachtung Südchinas. Sollte die Volksbefreiungsarmee Taiwan dennoch erreichen, wäre die Nationalarmee auch ohne die immer wieder zugesagte US-Hilfe kaum überwindbar. Ein nuklearer Angriff aber — genug Träger, A-und H-Bomben für die bergige Insel vorausgesetzt — wird den Gegenschlag der USA auslösen. Eine Invasion des Festlands wiederum — etwa wie 1944 in der Normandie — will die Nationalregierung schon mangels ausreichender Truppen und Transportkapazitäten nicht; sie wird nur bei (eventuell auszulösenden) Aufständen eingreifen, um so den Ausschlag zu geben So wären nach ihrer Meinung in den Hungersnöten nach dem „Großen Sprung nach vorn" 1961/62 106a) und den Unruhen in der „Großen Proletarischen Kulturrevolution" Ende 1966 und Mitte 1967 die Eroberung zumindest Südchinas möglich gewesen. Noch 1970 gaben die Kommunisten die nationalchinesische Guerillatätigkeit offen zu 55 670 Agenten sollen dabei von 1950 bis 1971 nach Angaben aus Taipei gefallen sein
Das reicht zur Invasion aber nicht aus. Daher ist es müßig, ob die Lagebeurteilungen stimmen. Im entscheidenen Moment gab es über die Chancen offenbar Zweifel, so daß auch die USA Aktionen durch Verweigerung logistischer Hilfe und durch die „zufällige" Entsendung der 7. Flotte in die Taiwan-Straße verhinderten. Auch kann offen bleiben, ob Moskau den einstigen Verbündeten in Peking mit mehr als papiernen Protesten geholfen hätte. Zentrales Datum der Wiedervereinigungsbemühungen Taipeis ist Mao Tse-tungs Tod. Nur er halte Festlandchina noch zusammen. Dessen zentrale politische Strukturen wurden durch die Kulturrevolution und den von ihm ausgelösten Macht-und Richtungskampf beseitigt oder stark geschädigt. Zwar wurde die Liu Shao-ch’i-Fraktion zunächst ausgeschaltet, aber auch der zivile Parteiapparat zerstört. Im Kampf um seinen Wiederaufbau habe die Armee, die selbst nicht spannungsfrei sei, die Unabhängigkeit der Partei weithin de facto durch Personalunion beseitigt oder doch überlagert.
Der Prozeß sei durch die Ereignisse nach dem Sturz Lin Piaos nicht grundsätzlich verändert worden. Nun seien auch die zentralen Militär-apparate geschädigt. Zudem gebe es Anzeichen, daß Mao Tse-tung noch einen innenpolitischen Sturm auslösen könnte zumal er nun erleben müsse, daß die in der Kulturrevolution Verdammten wieder führende Stellungen einnähmen. Insbesondere die Wiederkehr von Teng Hsiao-ping beweise, daß der Machtkampf Mao Tse-tung aus den Händen geglitten sei. Um die ehemaligen Machthaber zu befriedigen, habe er wieder in eine führende Position als stellvertretender Ministerpräsi-dent eingesetzt werden müssen. Damit habe zugleich Chou En-lai seine Position gegenüber Chiang Ching, der Frau Mao Tse-tungs, stärken wollen. Auch sei es ein Aufruf ah das ganze alte Partei-Establishment, „Buße zu tun" und sich um ihn zu scharen 109a).
Mao Tse-tungs Tod werde eine lange Zeit der Unsicherheit und einer weiter zunehmenden Regionalisierung folgen, mühselig überdeckt durch irgendeine Form kollektiver Führung. Dann habe die Nationalregierung die letzte Chance -— sei es, daß sie in den Diadochenkämpfen einen Teil des Festlands erobern könne, oder aber im Bündnis mit einer rivalisierenden Gruppe für diese den Ausschlag gebe.
Auch darum ist für die heutige Führungsgruppe in Peking die Beseitigung dieses wirtschaftlich prosperierenden, militärisch zumindest nicht unerheblichen, unkontrollierten und unkontrollierbaren chinesischen Gegners — und seiner gesellschaftspolitischen Alternative — schon zur Stabilisierung ihrer Herrschaft für die Zukunft nötig.
Unabhängigkeitsbestrebungen der Taiwan-Chinesen?
Die gesamtchinesischen Maßnahmen der Nationalregierung widersprächen den Wünschen der Taiwan-Chinesen, heißt es vielerorts. Die „Chiang Kai-shek-Clique" sei eine kleine Gruppe von Festlandflüchtlingen und ihrer Günstlinge, die Taiwan ihre Diktatur auf-zwängen, um gegen den Willen der Bewohner das Festland zu erobern. Diese wollten sich befreien und eine unabhängige Republik gründen.
Die Begeisterung der über 15 Millionen Menschen in Nationalchina, den rasch steigenden und planmäßig weiterentwickelten Wohlstand — zweithöchster Asiens 110a) — durch militärische Operationen zu gefährden, ist gewiß gering. Sie haben aber ein ungebrochenes Nationalgefühl, das sicher größer ist als das oft zitierte der Auslandschinesen, die seit Jahrhunderten das Selbstverständnis der Zugehörigkeit zu einem Volk haben. Das gilt um so mehr, als die Kommunisten ein unabhängiges Taiwan nicht akzeptieren werden und die Unabhängigkeitsgruppen noch schärfer ablehnen als die Nationalregierung Seit der UN-Abstimmung vom 25. Oktober 1971 lösen sich daher viele Unabhängigkeitsbewegungen auf. Am 4. April 1972 kehrte Chin Yung-han, Generalsekretär der Demokratischen Unabhängigkeitspartei Taiwans und Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der Unabhängigkeitsliga Taiwans, aus Japan zurück, um mit der Kuomintang zusammenzuarbeiten Am 7. April folgte Wang Wuch’ao, der aus Fukien stammt
Dennoch rufen einzelne — die Taiwan-Chinesen zu vertreten vorgeben und die Entmachtung der Kuomintang durch Putsch oder Intervention mehr erhoffend als erwartend — nach Unabhängigkeit Resonanz haben sie nur in westlichen Zeitungen. In Taiwan sind ihre Anhänger zwar zahlreicher als die noch immer königstreuen Bayern, aber kein Bruchteil der die Unabhängigkeit fürs Baskenland fordernden Spanier.
Wie andere Provinzen Chinas auch hat Taiwan regionale Eigenheiten, sogar einen eigenen Dialekt. Zudem hat die japanische Besetzung von 1895 bis 1945 zu Eigenentwicklungen geführt, ähnlich äußeren Einflüssen in anderen Gebieten, wie der Japans und Rußlands in der Mandschurei. Das reicht als Basis der Unabhängigkeit aber nicht aus.
Integration der Taiwan-Chinesen
Die Taiwan-Chinesen wollen mehr Beteiligung auch in den Organen der Zentralregierung. Die Zusatzwahlen zu Nationalversammlung, Parlament und Kontroll-Yuan am 20. Dezember 1969 und die Wahl des neuen Taiwan-gebürtigen Abgeordneten Liu Kuoch’ai zum Parlamentsvizepräsidenten am 2. Mai 1972 dienten der besseren Repräsentation der Taiwan-Chinesen. Noch wichtiger waren die nun regelmäßig stattfindenden Teilerneuerungswahlen für den ganzen Machtbereich der Nationalregierung am 23. Dezember 1972
Von den 53 „zusätzlichen" Mitgliedern der Nationalversammlung wurden 48 in Taiwan sowie zwei in den beiden Landkreisen Quemoy und Matsu der Provinz Fukien geboren; 15 waren oder sind kommunale oder Provinzmandatsträger, 41 gehören der Kuomintang an. 31 der 36 „zusätzlichen" Mitglieder des Parlaments (Legislative Yuan) stammen aus Taiwan, einer aus Fukien; neun haben parlamentarische Erfahrungen auf kommunaler oder Provinzebene. Das Durchschnittsalter beträgt 46 und 44 Jahre. Nur vier der neuen Abgeordneten sind Absolventen der Militärakademie, 134 sind Akademiker und 13 Frauen. Von den 73 Mitgliedern des zum fünften Mal neugewählten Provinzparlaments sind 70 Taiwan-Chinesen, 58 Angehörige der Kuomintang und 12 Frauen. Von den 4 neugewählten Bürgermeistern und 16 Land-räten sind alle aus Taiwan Ähnliches gilt für die zehn neuen „zusätzlichen" Mitglieder des Kontroll-Yuan. Sie wurden am 15. Februar 1973 von der Stadtverordnetenversammlung von Taipei und dem Provinzparlament Taiwans gewählt 27 Kandidaten hatten sich beworben. Die Gewählten haben ein Durchschnittsalter von 59, 5 Jahren; acht wurden in Taiwan geboren; drei sind Abgeordnete im Provinzparlament und der Stadtverordnetenversammlung von Taipei Vizepräsident des Kontroll-Yuan wurde der schon im Dezember 1969 gewählte Chou Po-Lien (GS) aus Taiwan, der 1964 amtierender Oberbürgermeister von Taipei war 120a). Entscheidend für die rasch zunehmende Beteiligung der Taiwan-Chinesen sowie die starke Verjüngung der Verwaltung in der Zentralregierung war der Amtsantritt Chiang Ching-kuos am 30. Mai 1972 Sechs der 18 Minister wurden in Taiwan geboren, darunter sein Stellvertreter Hsu Ching-chung und der (schon vorher amtierende) Innenminister Lin Chin-sheng. Außerdem berief Chiang Chingkuo den unabhängigen Oberbürgermeister von Taipei, Henry Kao, der dort geboren ist und sein Amt gegen einen Kuomintang-Kandidaten gewann, zum Post-und Verkehrsminister. Aus Taiwan sind auch Kaos Nachfolger Chang Feng-hsu und der neue Gouverneur der Provinz Hsieh Tung-ming; beide waren dort früher in Kommunalparlamente und das Provinzparlament gewählt worden. Nur noch zwei Minister und zwei zum Kabinett gehörende Behördenchefs sind aus Chekiang — und kein Kabinettsmitglied mehr hat in Deutschland studiert.
Ebenso verfuhr Chiang Ching-kuo bei den stellvertretenden Ministern. Von den beiden neuen Vize-Erziehungsministern stammt Dr. Kuo Wei-fan (36) aus Taiwan; Dr. Liang Shangyun (43) ist aus Shansi, hat sich jedoch den größten Teil seines Lebens auf Taiwan aufgehalten Der neue Vize-Wirtschaftsminister Yang Chi-chuan (51) stammt ebenfalls aus Taiwan; sein Kollege Dr. Lei Peilung (48) aus Kiangsi hat in Taiwan studiert Auch der Justiz-Yuan, dem Bundesverfassungsgericht vergleichbar, wurde stark mit Taiwan-Chinesen besetzt: Vizepräsident Tai Yen-huei und zwei der vier neuen Richter, Chen Shih-jing und Wang Hsueh-sheng; das dritte Mitglied, Fan Hsin-hsiang (54) aus Hupei, ist eine Frau
Solange aber das am 21. November 1947 noch in ganz China gewählte (Rumpf) -Parlament die einzig legale Gesamtvertretung und die von ihm bestimmte Exekutive im wesentlichen auf Taiwan beschränkt ist, wird es, zumal angesichts mancher autoritärer Residuen, Konflikte mit den fast ganz von Taiwan-Chinesen besetzten und schon früher regelmäßig gewählten Provinzautoritäten geben, die beide dasselbe Gebiet wie eine Doppelregierung verwalten.
Zudem muß auch die Kuomintang sich „taiwanisieren": von den 21 Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des ZK sind nur drei, von den 16 Sekretären und Abteilungsleitern nur vier aus Taiwan. Dafür kommen aus Chiang Kai-sheks Heimatprovinz Chekiang allein sechs Mitglieder des Ständigen Ausschusses. Ähnliches gilt übrigens für Mao Tse-tungs Heimat Hunan: bei 6% der Bevölkerung stellt es 200/0 der Mitglieder des 1969 bestimmten 9. ZK; Lin Piaos Heimat Hupei stellte mit einem Bevölkerungsanteil von 5 0/0 17 0/0 der ZK-Mitglieder und 9 der 21 Politbüromitglieder
Endlich fehlt die Bereitschaft, die vom Gouverneur Chen Yi sowie den miserablen Festlandsbeamten vor allem durch ihre kolonialistische Mißwirtschaft 1947 verschuldeten blutigen Unruhen wahrheitsgemäß zu diskutieren. Dabei wurden die Verantwortlichen bestraft, Chen Yi hingerichtet und die Verwaltung völlig reformiert. Diese Geschehnisse sind noch immer eine Basis für Unabhängigkeitsbewegungen
Auch in der Administration kommen die Taiwan-Chinesen jetzt dank des rapide wachsenden Bildungsstandes der Bevölkerung und des Ausscheidens Älterer trotz der gestiegenen Lebenserwartung ihrer Zahl entsprechend zum Zuge. Während Taiwans Zugehörigkeit zum Kaiserreich bis 1895 und zu Japan bis 1945 war für ihre Aus-und Fortbildung wenig geschehen. Deshalb standen 1945 nicht genug ausgebildete Inselbewohner für die offenen Stellen, zumal im höheren Dienst, zur Verfügung. 1949 waren dann unter den Flüchtlingen — überwiegend Beamte und Militärs — viele hochqualifizierte Führungskräfte, die in der Administration untergebracht wurden, so daß zunächst für Taiwan-Chinesen keine Stellen mehr frei waren. Dennoch ist es mehr als unzureichend, daß erst am 29. Dezember 1971 mit Fang Chin-yen der erste Taiwan-gebürtige Botschafter ernannt wurde Ihm folgte allerdings schon am l. Mai 1972 Lu Ming-hui als Leiter des Büros für wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit im Senegal
In der Wirtschaft dominierten die Flüchtlinge nie. In der beispielhaften Landreform Anfang der fünfziger Jahre wurden die Grundbesitzer auch mit Anteilen verstaatlichter Industriebetriebe entschädigt. Der Wirtschaftsboom machte sie zur neuen Industriellen-schicht. Die Wirtschaftsmagnaten des Festlands waren 1949 nicht nach Taiwan gekommen. Sie glaubten nicht ans überleben Nationalchinas und brachten ihr Geld in die USA, nach Hongkong und Japan. Chiang Chingkuos hat dafür gesorgt, daß ihr Einfluß in Taiwan gleich null ist. Er hat zu ihnen keine (auch nicht verwandschaftliche) Beziehungen, wurde von ihnen vielmehr 1948 als Oberbürgermeister von Shanghai gestürzt, als er gegen ihre Währungsspekulation vorging.
Noch Chancen für Chiang Kai-shek?
Nationalchina wird, mit oder ohne US-Hilfe, nicht kommunistisch, solange seine Bewohner und Regierung es nicht wollen. Die „China News" /Taipei schrieb daher am 29. Februar 1972, die USA und befreundete Mächte hätten immer zu Geduld gemahnt, damit in der Taiwan-Straße nicht der Dritte Weltkrieg ausbreche „Jetzt scheint es, als hätten wir nur auf die Entscheidung Nixons gewartet, daß wir nicht länger nützlich sind. . . Und daß die USA schließlich den Rücken wenden, während die chinesischen Kommunisten mit Gewalt ihre Version des . einen China'durchzusetzen versuchen . . . Die Zeit ist gekommen, da die Maus aufstehen und wie ein Löwe brüllen muß. Wir haben die Zähne, und es ist besser, sie zu benutzen, solange sie scharf sind, als daß sie einer nach dem anderen ausfallen, während der Leichenbestatter wartet, um die Leiche abzutransportieren ... Wir haben nicht die Absicht, uns hin-zulegen und tot zu spielen. Wenn es das ist, was die USA erwarten, dann haben sie sich die falsche Leiche ausgesucht." Nationalchina kann sich auch den USA gegenüber Selbstbewußtsein erlauben, seit es durch den Beginn einer Zwei-China-Politik weniger erpressbar ist. Innerchinesisch hängt seine Bedeutung aber nicht nur ab von Größe und Bevölkerungszahl, sondern der Fähigkeit, eine gesellschaftspolitische Alternativfunktion wahrzunehmen.
China ist nicht erst seit 1949 geteilt. Seit fünfzig Jahren kämpfen dort zwei alternative Gesellschaftssysteme und -modelle. Seither gibt es zwei China, die — auch wenn staats-und völkerrechtlich zum gleichen Staat gehörig — nichts miteinander zu tun haben wollten Als Alternative müssen Nationalregierung und Kuomintang aber mehr sein als eine „rechts" -autoritäre Kopie der Kommunisten, garniert mit relativem Wohlstand.
Nationalchina ist noch keine mitteleuropäische Demokratie. Außer Religions-und Berufsfreiheit sowie der freien Wahl des Wohnorts geht auch die politische Freiheit immerhin so weit, daß drei der fünf größten Städte — Taipei, Kaoshiung, Taichung — unabhängige, in Taiwan geborene Bürgermeister wählen konnten, die gegen Kandidaten der Kuomintang siegten; nur in Tainan und Keelung setzte die Kuomintang sich durch. Taiwan ist auch ein Beispiel dafür, wieviel schneller und für den einzelnen wirksamer unter anderen, aber gleich schlechten Bedingungen Chinesen ihr Land bei sachgerechter Politik entwickeln können.
Trotz des — zumal für ein Entwicklungsland — großen demokratischen und sozialen Fortschritts fehlt der Kuomintang aber weithin die sich auch in unabhängigen Organisationen manifestierende Massenbasis. Unternehmer, Management und Gewerkschaften, organisatorisch oft mit ihr verbunden, haben geistig mit dem schnellen Wachstum nicht Schritt gehalten. Das Interesse geht zu einseitig auf die qualitative Verbesserung von Unternehmen und Management bis hin zum forcierten Ausbau der innenbetrieblichen „human relations" und die möglichst gute Aus-und Fortbildung der Arbeitnehmer. Nur in diesem Rahmen sieht man Aufgaben der Gewerkschaften als zusätzliche Schulungsstätte — und antikommunistische Kampfgruppe, aber ohne gesellschaftspolitisches Eigengewicht
Zwar werden soziale Unruhen weiter aufzufangen sein durch den Wirtschaftszuwachs, der bisher immer mindestens einen Schritt den wachsenden Bedürfnissen voraus war, wichtigster Grund auch für das fast völlige Fehlen von Arbeitskämpfen; die wenigen wurden oft von aktiven Kuomintang-Mitgliedern und Mandatsträgern organisiert. Kommunismus kann aber auch in China nicht mit letztlich sterilem und rückwärtsgewandten Antikommunismus bekämpft werden. Trotz der Erfahrungen vom Festland mit kommunistischer Infiltration brauchen die Massenorganisationen, vor allem die Gewerkschaften, mehr gesellschaftspolitischen Spielraum.
Die progressiven Ideen vor allem der Politiker um Chiang Ching-kuo sind sonst sozialer Paternalismus. Mangels wirksamer Arbeitnehmervertretungen haben die der Agrargesellschaft oft kaum entwachsenen Arbeitgeber noch zu viel Macht, was dem Land fälschlich einen kapitalistischen Anstrich gibt: die Kuomintang — von 1921 bis 1927 mit der Kommunistischen Partei fusioniert — steht dem Sozialismus oder doch der Sozialdemokratie oft näher als den in vielen Entwicklungsländern regierenden traditionellen Parteien. Bis 1949 hat die Nationalregierung den Kampf mit den Kommunisten nicht bestanden. In Taiwan hat sie nun ihr Entwicklungsmodell realisiert, das für eine offene, freiheitliche, pluralistische und traditionelle Gesellschaft eine tiefergreifendere Umwälzung ist als das auf dem Festland für eine kommunistische. Ihre große Chance liegt daher im weiteren Ausbau des freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats in China. Damit ist sie eine autochthon chinesische gesellschaftspolitische Alternative zu den Kommunisten auch dann, wenn es nie zur staatlichen Wiedervereinigung kommt
China ist staatlich wie gesellschaftspolitisch geteilt. Eine gewaltsame oder vertragliche Wiedervereinigung ist nicht abzusehen. Die Nationalregierung richtet sich daher für die nahe Zukunft in der Zwei-Staatlichkeit ein. Es gibt keinen Grund, in den Beziehungen zu China der Teilung nicht Rechnung zu tragen, oder dem Druck Pekings nachzugeben und die Aufnahme oder Beibehaltung von Beziehungen zu Taipei von seiner Zustimmung abhängig zu machen.
Kein Staat sollte sich zum Instrument des innenpolitischen gemeinten Alleinvertretungsanspruchs Taipeis oder Pekings machen lassen. Die Welt ließ sich ja auch durch den Alleinvertretungsanspruch Pakistans nicht abhalten, Bangla Desh anzuerkennen, obwohl Islamabad mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohte.
Reaktion der Bundesregierung auf Taipeis Zwei-China-Politik
Die Bundesregierung hat sich auf die neuen Gegebenheiten im Verhältnis der beiden Regierungen in China noch nicht eingestellt Ohne Not hat sie vielmehr Pekings Alleinvertretungsanspruch nachgegeben zu einer Zeit, in der sie den der Bundesrepublik für ganz Deutschland endgültig beseitigt hat. Weder im Pekinger Kommunique über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch in dem über die Bonner Vorverhandlungen mit dem damaligen Hsinhua-Vertreter und heutigen Geschäftsträger Wang Shu ist etwas über den Jurisdiktionsbereich Pekings oder Bonns enthalten. Die Bundesregierung könnte also dem Wunsch Nationalchinas folgen, das Goethe-Institut in Taipei in ein Generalkonsulat umzuwandeln und die* Eröffnung eines solchen der Nationalregierung in der Bundesrepublik zuzulassen Mit Schreiben vom 19. Dezember 1972 hat. das Auswärtige Amt jedoch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgefordert Taiwan keine neue technische Hilfe mehr zu gewähren, nur begonnene Projekte könnten abgewickelt werden; Lieferungen landwirtschaftlicher Produktionsmittel sollen nicht mehr in Betracht kommen; Stipendien für technische Fach-und Führungskräfte dürfen nur noch von der Carl-Duis-berg-Gesellschaft vermittelt werden; Angehörige der öffentlichen Verwaltung einzuladen, sei „nicht zu empfehlen". Auch die Einbeziehung Taiwans in die Programme der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer sei insoweit nicht möglich, als dafür Kontakte auf Regierungsebene nötig sind. Soweit Kirchen-vorhaben aus öffentlichen Mitteln gefördert werden — und das gilt für die Entwicklungsprojekte fast immer —, „darf die Herkunft dieser Mittel nicht bekannt werden". Die Beziehungen zu Taiwan können zwar grundsätzlich weiter gepflegt werden, sind aber „notwendigerweise auf die private Ebene zu reduzieren." Grundlage dieser Anweisung ist, daß „die Regierung der Volksrepublik China auch uns gegenüber an ihrer bekannten Politik des Alleinvertretungsanspruchs festzuhalten wünschte." Zwar enthalte das Kommunique über die Aufnahme der Beziehungen keine ausdrückliche Stellungnahme dazu, doch habe man dies aus den Umständen der vorangegangenen Verhandlungen entnehmen können, und „die deutsche Steite hat dazu keinerlei Vorbehalte geäußert." Auch habe Außenminister Scheel bei den Besprechungen in Peking darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik weder diplomatische Beziehungen noch amtliche Kontakte zu Taiwan unterhalte. „Das bedeutet, daß für amtliche Kontakte zur Regierung von Taipeh kein Raum ist.denn der Bundesminister des Auswärtigen hat das der chinesischen Seite ausdrücklich versichert."
Das schließt nicht nur das Verbot von Dienstreisen deutscher öffentlicher Bediensteter nach Nationalchina ein auch nicht zum Studium der vorzüglichen Aufbau-und Entwicklungshilfemaßnahmen dort. Der Freichina-Informationsdienst in Bonn durfte am nationalchinesischen Nationalfeiertag am 10. Oktober 1972 nicht einmal den traditionellen Empfang für Chinesen und Deutsche geben. Dem Büro war nachdrücklich dargelegt worden, daß es künftig öffentlich nicht mehr in Erscheinung treten dürfe. Nationalchina wird diese Entscheidungen überstehen, nicht nur, weil nichts dauerhafter ist als Provisorien, sondern auch weil es kein Entwicklungsland mehr ist. Das läßt die Entscheidung des Auswärtigen Amts — die auch von einer CDU/CSU-Bundesregierung hätte kommen können — allerdings nicht verständlicher erscheinen. Obwohl Peking es nicht einmal ausdrücklich verlangt hat, hat Bonn sich damit zum Werkzeug der innenpolitisch gemeinten Außenpolitik der chinesischen Kommunisten gemacht. Eine Bundesregierung, die in der Deutschlandpolitik dem Alleinvertretungsanspruch als einem Grundsatz der internationalen Politik abgeschworen hat, weil sie Realitäten entgegenstehen sah, folgt — ohne Not! — in Erahnung sinokommunistischer Wünsche diesem Prinzip in der China-Politik ungeachtet der Realitäten.
Es ist ohnedies erstaunlich, wie schnell auch in Deutschland die Lehren des Münchner Abkommens von 1938 vergessen wurden, sich von einer Großmacht nicht erpressen zu lassen — oder gar ihre nicht einmal ausgesprochenen Wünsche ungefragt zu erfüllen —, und ihr „um des lieben Friedens willen" und/oder weil sie eine Zusammenarbeit sonst ablehnt, ein kleineres Land oder dessen Interessen zu opfern. Es ist kein „Realismus", sich an der „größeren Realität" zu orientieren.