Wieder einmal ist in der BRD eine Veröffentlichung zum ideologischen Verhältnis von „Sozialdemokratie und Kommunismus"
Die rechten Führer der SPD reagieren darauf mit verstärkten Bemühungen, ihre grundsätzliche Abgrenzung vom Marxismus-Leninismus und von der kommunistischen Arbeiterbewegung noch deutlicher werden zu lassen. „Ich zweifle keine Sekunde daran, daß es heute noch wichtiger ist als in früheren Jahren, diese Grenze für jeden deutlich erkennbar zu halten"
Dieser Orientierung folgend, bemüht sich Lohmar in seinen Thesen um die Vermittlung einer „Sicht sozialdemokratischer Ideologie und Strategie", wobei er betont, daß es in den Grundfragen der Ideologie und Strategie keine gemeinsamen Ziele von Sozialdemokraten und Kommunisten gibt. Sehen wir uns also an, worauf seine Ideologie, die er „als theoretischen Entwurf zum Handeln" und „als ein strategisches Zielbündel" versteht, gerichtet ist.
In dankenswerter Offenheit tut Lohmar kund — und das ist das Fazit seiner jüngsten Veröffentlichung —, es bestehe überhaupt „kein Grund dafür, daß Sozialdemokraten ihren Wunsch unterdrücken müßten, die Welt weder kapitalistisch noch kommunistisch, sondern eben sozialdemokratisch zu sehen“ (Hervorhebungen — G. K. /H. K.). Bezogen auf die Länder, in denen der Sozialismus bereits zur Wirklichkeit wurde, kann dieser Wunsch doch nur die Absicht ausdrücken, die sozialistische Entwicklung wieder rückgängig zu machen. Nach dem Scheitern aller Pläne, dies auf dem Wege direkter Konfrontation zu erreichen, nachdem sich die imperialistischen Mächte, darunter auch die BRD mit ihrer sozialdemokratisch . geführten Regierung, angesichts der Stärke der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten sozialistischen Staaten Schritt für Schritt zur Anerkennung des Prinzips der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gezwungen sehen, suchen die imperialistischen Strategen nach anderen Wegen und Methoden. Insbesondere wird der ideologische Kampf gegen den Sozialismus verstärkt. Teile der Monopolbourgeoisie versprechen sich dabei von einer sozialistisch eingefärbten Variante ihrer Ideologie größere Möglichkeiten als von den offen antisozialistischen. Sie setzen große Hoffnungen auf die rechten SPD-Führer und deren Versuche, unter der Tarnkappe eines „demokratischen Sozialismus" ideologisch Boden zu gewinnen.
Was dagegen den noch kapitalistischen Teil der Welt betrifft, so zeigt die Praxis, daß der Wunsch, ihn sozialdemokratisch zu sehen, nicht auf die Überwindung des Imperialismus gerichtet ist, sondern auf die Sicherung und Stabilisierung seiner Herrschaft
Gerade deshalb bemüht sich der Sozialdemokratismus, den Werktätigen im eigenen Land, aber auch den Völkern der sozialistischen Staaten die Fata Morgana eines „wandlungsfähigen" und daher „verteidigungswürdigen" Kapitalismus zu suggerieren, eines „gesellschaftlichen Transformationsprozesses" entsprechend den „Grundwerten des demokratischen Sozialismus". In eben diesem Sinne sprach Brandt in einem DPA am 10. April 1972 gegebenen Interview von der „Schaffung einer menschenwürdigen, gerechten und freien Gesellschaft auf dem friedlichen und kontinuierlichen Wege der Reformen". Zur Propagierung der dazu geeigneten Ideen dienen auch die Thesen Lohmars.
Leugnung des wissenschaftlichen Sozialismus
Willy Brandt forderte auf dem Außerordentlichen Parteitag der SPD dazu auf, „die Arbeit an den Grundwerten des Godesberger Programms wieder (zu) beleben und (zu) vertiefen"
Zu den Hauptmethoden, die dabei seitens rechtssozialdemokratischer Ideologen angewandt werden, gehört die Verfälschung des Marxismus-Leninismus. So versucht auch Lohmar, dem Marxismus-Leninismus eine „monokausale gesellschaftsökonomische Betrachtungsweise" zu unterschieben. Die Kommunisten würden, beruhend auf Marx, „die differenzierte Wirklichkeit des gesellschaftlichen . Seins'nur durch ihren politökonomischen Sehschlitz" wahrnehmen. Was Lohmar den Kommunisten vorwirft, wird von ihm selbst kräftig praktiziert, indem er den eigenen „Sehschlitz" in einer Weise verengt, bei der die marxistisch-leninistische Weltanschauung zum Vulgärmaterialismus degradiert wird.
Schon Engels schrieb in Abwehr vulgarisierender Entstellungen des Marxismus, daß nach „materialistischer Geschichtsauffassung . . . das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens" ist.
„Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus .. . üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form.
Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten ... als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt."
Dem Marxismus-Leninismus eine „monokausale gesellschaftsökonomische Betrachtungsweise"
zu unterstellen, ist folglich nichts anderes als der Versuch, den historischen Materialismus in ein mechanistisches Zerrbild zu verwandeln.
Lohmar braucht jedoch eine derartige Karikatur auf die materialistische Geschichtsauffassung, um die mit Godesberg auch programmatisch vollzogene Hinwendung zum philosophischen Idealismus als vollauf gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Dieses Programm, schreibt er, stütze sich nicht auf eine bestimmte Weltanschauung, sondern habe statt dessen „die Basisbedeutung personaler Überzeugungen und insofern des einzelnen Bürgers für die inhaltliche Orientierung einer sozialistischen Partei deutlich" gemacht. Mit anderen Worten:
Das Programm basiert auf einer subjektiv-idealistischen Position, verneint die Existenz objektiver Gesetzmäßigkeiten und die Möglichkeiten ihrer Erkenntnis
Zu welcher Schlußfolgerung eine solche weltanschauliche Position führt, darüber hat Lohmar bereits 1959 in einem Aufsatz zum Godesberger Programm Auskunft gegeben: „Statt das Programm mit einer spezifisch sozialistischen und zugleich wissenschaftlichen Zeitanalyse einzuleiten, wird .. . ausdrücklich nicht davon gesprochen, daß es so etwas wie einen wissenschaftlichen Sozialismus ... geben könne."
habe
ist ja ihrer Meinung nach eine ständige Aufgabe. Wozu dann noch sozialistische Revolution? Die „ethische Revolution" als Surrogat für die sozialistische Revolution — darauf reduziert sich denn auch der Kerngehalt der rechtssozialdemokratischen Ideologie: die Leugnung des wissenschaftlichen Sozialismus, der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit des revolutionären Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und der welthistorischen Rolle der Arbeiterklasse, die grundsätzliche Bejahung der kapitalistischen Ordnung. Wer sich aber zu dieser Ordnung bekennt, wendet sich gegen den historischen Fortschritt auch auf moralischem Gebiet. Denn die Macht der Monopole schließt die Vorherrschaft der imperialistischen Wolfsmoral notwendigerweise ein
Bürgerliche »Freiheits" Konzeption
Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, verkündet Lohmar, sei für die Kommunisten die Freiheit „Einsicht in die Notwendigkeit, wobei diese Notwendigkeit in einem vermeintlich geschichtsnotwendig zum Kommunismus hin verlaufenden Prozeß gesehen wird". Lohmar reiht sich damit in die Front jener rechten Sozialdemokraten ein, die das dialektisch-materialistische Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit in das Zentrum ihrer Attacken rücken, die in die These münden, der Kommunismus „verbannte die persönliche Freiheit in die von ihm formulierte Einsicht in die Notwendigkeit"
Die materialistische Geschichtsauffassung geht nicht nur von der Existenz objektiver Gesetzmäßigkeiten, sondern auch von der Möglichkeit aus, sie zu erkennen, sie auszunutzen und damit zu beherrschen. In diesem Sinne versteht der Marxismus-Leninismus unter Freiheit die Herrschaft des Menschen über seine gesellschaftlichen Verhältnisse — gegründet auf die Einsicht in die objektiven Gesetzmäßigkeiten. Unter der Herrschaft des kapitalistischen Eigentums an Produktionsmitteln ist die gesamte Gesellschaft dem ökonomischen Zwang zur Kapitalverwertung als treibendem Motiv der Produktion unterworfen. Von welcher Freiheit kann da schon die Rede sein, wenn in der BRD 1, 7 Prozent der Haushalte über 74 Prozent des sogenannten privaten Produktionsvermögens und nur 0, 8 Prozent der Haushalte über 90 Prozent des gesamten Privatbesitzes an Aktien und Investmentzertifikaten (Anteilscheine einer Kapitalanlagegesellschaft) verfügen
Die welthistorischen Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion und in den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft lehren, daß eine planmäßige Leitung der gesellschaftlichen Produktion im Interesse der gesamten Gesellschaft nur dadurch möglich wird, daß die Monopolherrschaft überwunden wird, die Produktionsmittel von ihrer Kapitaleigenschaft befreit werden und so ihr gesellschaftlicher Charakter volle Freiheit erhält, sich durchzusetzen. Die Eroberung der politischen und ökonomischen Macht durch die Arbeiterklasse, geführt von ihrer marxistisch-leninistischen Partei, ermöglicht es den Menschen, die objektiven Gesetze ihres gesellschaftlichen Tuns mit voller Sachkenntnis anzuwenden, sie zu beherrschen und damit eine maximale Annäherung zwischen den Zielen und Ergebnissen ihres Handelns zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt bezeichnete Engels den Sozialismus als das Ende des Kampfes ums Einzeldasein und schrieb: „Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche."
Wenn Lohmar im Gegensatz dazu eine Scheinalternative, Freiheit oder Notwendigkeit, konstruiert, wenn er die Verwirklichung der menschlichen Freiheit von der historischen Notwendigkeit des Übergangs zum Sozialismus trennt, so läßt sich bereits daran erkennen, was von seiner These zu halten ist, der Mensch sei für die Sozialdemokraten das Maß aller Dinge. In Wirklichkeit stützt seine Konzeption die Aufrechterhaltung jener kapitalistischen Bedingungen, die die Werktätigen daran hindern, die objektiven Gesetzmäßigkeiten zu beherrschen, ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst zu machen und in diesem Sinne zum Subjekt der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu werden. Lohmars Konzeption orientiert sich nicht am Menschen, sondern an der Sicherung des kapitalistischen Systems, daß die übergroße Mehrheit der Bevölkerung zur Ohnmacht gegenüber den gesellschaftlichen Mächten und Gesetzen verurteilt und den Normen der imperialistischen Wolfsmoral unterwirft.
Bürgerliche Spontaneitätstheorie
Ganz in diesem Sinne sind die Thesen Lohmars zur Bewußtseinsbildung der Menschen zu verstehen. Selbstverständlich, so schreibt er, wüßten die Sozialdemokraten „seit Marx, daß das Bewußtsein der Menschen, also deren Vorstellung von sich selbst und von ihrer Umwelt, entscheidend von den gesellschaftlichen Bedingungen geprägt wird, unter denen sie jeweils leben". Wenn Lohmar zur Abwechslung versucht, sich in ein marxistisches Gewand zu hüllen, so kann er die Blöße, die er sich dabei gibt, noch nicht einmal notdürftig verdecken. Marx und Engels haben diesen Grundgedanken, auf den er sich beruft, nicht nur wesentlich exakter gefaßt, sie haben — und darauf kommt es hier an •— hinzugefügt:
„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h., die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich die herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterwor-fen sind."
Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, daß die Arbeiterklasse im Selbstlauf des Klassenkampfes nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorbringt, das Lenin als die „Keimform der Bewußtheit" bezeichnete. Es ist dies das Bewußtsein von der Notwendigkeit, sich in Organisationen zusammenzu-* schließen, den Kampf gegen die Unternehmer zu führen und in der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Regierung diese oder jene Forderung durchzusetzen. Dieses Bewußtsein stellt jedoch die kapitalistische Ordnung nicht in Frage. Es ist nicht identisch mit der Einsicht, daß die Arbeiter als Klasse in einem grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Gegensatz zur Bourgeoisie stehen, der nur auf dem Wege der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse überwunden werden kann. Eine solche Erkenntnis setzt tiefe wissenschaftliche Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge voraus und wird durch die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus exakt zum Ausdruck gebracht.
Zweifellos fühlt sich die Arbeiterklasse spontan zum Sozialismus hingezogen, und zwar in dem Sinne, daß die sozialistische Theorie, wie Lenin schrieb, tiefer und richtiger als jede andere die Klassenlage des Proletariats und seine Interessen widerspiegelt. Lenin machte jedoch zugleich auf die andere Seite aufmerksam: „Die Arbeiterklasse fühlt sich spontan zum Sozialismus hingezogen, aber die am weitesten verbreitete (und in den mannigfaltigsten Formen ständig wiederauferstehende) bürgerliche Ideologie drängt sich trotzdem spontan dem Arbeiter am meisten auf."
Lenins Grundgedanken sind in unserer Zeit von höchster Aktualität. Angesichts der weiteren Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus und des wachsenden internationalen Einflusses des realen Sozialismus fühlt sich die Arbeiterklasse in den Hauptländern des Kapitals stärker denn je spontan zum Sozialismus hingezogen. Dennoch drängt sich auch heute die bürgerliche Ideologie der Arbeiterklasse spontan am meisten auf. Denn die Monopolbourgeoisie verfügt heute über unvergleichlich mehr Mittel und Möglichkeiten für eine umfassende Bewußtseinsmanipulation als je zuvor. Sie hat auch die entscheidende Bedeutung der Kraft und Ausstrahlung des realen Sozialismus erkannt und deshalb alle ihre angeblich so freien ideologischen Strömungen auf eine scharf antikommunistische Grundlage gestellt, um das Wesen der sozialistischen Gesellschaft zu verleumden. Hinzu kommt, daß sich die Manipulation auf eine objektive Grundlage stützen kann, die sich aus dem spezifischen Charakter der ökonomischen Macht des Kapitals ergibt. Im Unterschied zu den vorkapitalistischen Klassen-gesellschaften erscheint im Kapitalismus das wahre Herrschaftsverhältnis an der Oberfläche des Alltagslebens als Herrschaft der Dinge, der Waren über die Menschen. Mit dem vollzogenen Übergang zum staatsmonopolistischen Kapitalismus hat sich die objektive Grundlage dieses Widerspruchs zwischen Wesen und Erscheinung der gesellschaftlichen Verhältnisse noch erweitert. Dadurch werden spontan, also bereits ohne äußeres Zutun, verzerrte Vorstellungen und Illusionen über das Kapitalverhältnis und die sozialen Beziehungen im Kapitalismus erzeugt 21). Unter diesen Bedingungen eine gesellschaftspolitische Konzeption auf die „Spontaneität von Ideen" gründen ist keineswegs nur ein Ausdruck der Kapitulation rechter Sozialdemokraten vor dem ideologischen Druck der Monopolbourgeoisie. Es ist dies vielmehr eine Seite ihrer aktiven Bemühungen, das spontane Streben der Arbeiter zum Sozialismus über die verschiedenen Kanäle in den Strom der imperialistischen Ideologie zu leiten.
Reformpolitik zur Stabilisierung des Systems
In der Strategie der SPD ist die Anwendung ideologischer Kampfmittel eng verknüpft mit realen, ihrer Untermauerung dienenden politischen und ökonomischen Maßnahmen und Absichtserklärungen. Durch Reformen und Reformlosungen wird versucht, einen gesellschaftlichen „Transformationsprozeß" vorzutäuschen
Hier wird sichtbar, daß die rechten Führer der SPD — auch wenn sie mitunter von einem „demokratischen Sozialismus" sprechen — nichts anderes im Sinn haben als die „sozial" und „demokratisch" drapierte Wahrnehmung langfristiger strategischer Interessen der in der BRD herrschenden Monopolbourgeoisie: ihre „Reformstrategie" dient der Erhöhung der Stabilität und „Funktionstüchtigkeit" des imperialistischen Systems, der Verlängerung seiner *L). ebensdauer Am Wesen dieser Gesellschaftsordnung darf nichts geändert werden, sie soll lediglich auf die Werktätigen attraktiver wirken und gleichzeitig eine größere „Ausstrahlung" in die sozialistischen Staaten ausüben entsprechend der von Brandt gegebenen Orientierung, die SPD werde die westdeutsche „freiheitliche Ordnung stärken, denn sie ist und bleibt aus unserer Sicht die Basis auch für den Wettbewerb der Systeme"
Legitimation der Monopolherrschaft
Völlig im Rahmen und auf dem Boden der „systemstabilisierenden Reformstrategie" des Sozialdemokratismus bewegen sich auch jene Thesen Lohmars, die sich mit dem staatsmonopolistischen Wirtschafts-und Gesellschaftssystem in der BRD befassen. Wenn Lohmar hier zum Teil andere und weitergehende Formulierungen gebraucht, als sie in der SPD — besonders seit Godesberg — üblich sind, so hat das natürlich Ursachen.
Der — historisch ohnehin perspektivlose — Versuch, die Arbeiterklasse in das ihr feindliche imperialistische System zu integrieren, hat offenbar auch bisher nicht im gewünschten Maße zum Ziel geführt. Die dafür angewandten Methoden wie die Darstellung des staatsmonopolistischen Kapitalismus als „sich wandelndes System" und als „freiheitlich-demokratische Grundordnung", die Propagierung einer angeblichen „Sozialpartnerschaft" und selbst die Disziplinierung der Mitglieder und Anhänger der SPD mit Hilfe antikommunistischer Beschlüsse reichen nicht mehr aus. Ohne auch nur im geringsten von der pro-imperialistischen und antikommunistischen Grundlinie des Sozialdemokratismus
Daraus erklärt sich auch, daß Lohmar — entgegen den Tatsachen — als Ziel rechtssozialdemokratischer Politik den Abbau der in der BRD bestehenden Herrschaftsformen durch Demokratisierung, den Abbau des „kapitalistischen Sektors" in der Wirtschaft und das Entgegenwirken gegen die „kapitalistische Profitorientierung" ausgibt, daß er erneut die längst von der Geschichte widerlegte These eines „dritten Weges" hervorkramt. Er erklärt, die SPD wolle „bestehende Herrschaftsformen in der Gesellschaft demokratisch legimitieren und sie gleichzeitig durch Demokratisierung allmählich abbauen". Hier zeigt sich ein für die Thesen in ihrer Gesamtheit typisches Merkmal: das Manipulieren mit abstrakten, ihres konkreten gesellschaftlichen, klassenmäßigen Inhalts beraubten Begriffen und Kategorien und die Anwendung einer scheinbar hochwissenschaftlichen, tatsächlich aber verschwommenen, bewußt unklar gehaltenen, mehrdeutigen Darstellungs-und Ausdrucksweise. So ist „Herrschaft" für Lohmar nicht die Machtausübung einer Klasse, vor allem mit Hilfe des Staates, auf der Grundlage ihres Eigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln, die in einer Ausbeutergesellschaft wie dem Kapitalismus gegen die anderen Klassen und Schichten gerichtet ist, sondern — ganz einfach — ein „realsoziologisches Faktum". Die Frage, wer, welche Klasse in der BRD herrscht, wer eigentlich wessen Herrschaft „legitimieren" soll, wird damit wenig elegant umgangen. „Demokratische Legitimation" heiße, verkündet Lohmar, „daß niemand Herrschaftspositionen ohne die Zustimmung anderer einnehmen soll". Wer ist eigentlich „niemand", und wer sind die „anderen"? Lohmar glaubt doch wohl selbst nicht im Ernst daran, daß monopolistische Großunternehmer, Leute wie Flick oder Abs, bereit sind, die weitere Ausübung ihrer Herrschaftsfunktionen von der Zustimmung der Werktätigen abhängig zu machen, daß sie bereit sind, eine Regierung zuzulassen, die andere als ihre monopolkapitalistischen, imperialistischen Interessen vertritt. Oder daß Bundestagsabgeordnete, wenn sie die Fraktionsbank wechseln, ihre eigenen Wahlversprechungen brechen, Wähleraufträge in den Wind schlagen und ihr „Gewissen" durch Entgegennahme von Honoraren aus „Beraterverträgen" mit großkapitalistischen Unternehmen „beruhigen", auch nur auf den Gedanken kommen, vorher die Zustimmung ihrer Wähler einzuholen. „Niemand" wird das tun! Die „anderen" aber, die Arbeiterklasse, die Werktätigen, werden lange darauf warten können, daß ihnen die Monopolbourgeoisie und ihre Parteien die Zustimmung zur „Einnahme von Herrschaftspositionen" geben! „Demokratische Legitimation" bedeutet also in Wirklichkeit den Versuch, die Arbeiterklasse zur Duldung der Herrschaft des Finanzkapitals zu veranlassen, sie zur „Zustimmung" für die Fortdauer ihrer Ausbeutung zu bewegen. Das — und nichts anderes — steckt hinter Lohmars schöner Formulierung, „nicht von oben, sondern von unten" solle die Legitimation erfolgen.
„Demokratisierung" und kapitalistische Wirklichkeit
Aber Lohmar will ja die Monopolherrschaft nicht nur „legitimieren", sondern sie gleichzeitig — allmählich allerdings — auch „abbauen", und zwar durch ihre „Demokratisierung". Die SPD, schreibt er, „orientiert ihre politische Strategie der Demokratisierung an den Grundsätzen der gleichen Chance, der Transparenz, der Kontrolle, dem Mandat auf Zeit, der konkreten Partizipation von einzel-* nen und Gruppen und an der Vielfalt von Meinungen". Darin sieht Lohmar „gesellschaftliche Strukturmaßstäbe ..., die es erlauben, genauer zu bestimmen, auf welche Weise die drei Grundwerte (des Godesberger Programms — G. H. /H. K.) realisiert werden können und woran dies gemessen werden soll".
Was die „gleiche Chance" betrifft, so ist sicher auch jedem westdeutschen Arbeiter klar, wie er auf dem Weg über den Tellerwäscher in kurzer Zeit Multimillionär werden kann. Es liegt wohl nur an ihrer Bequemlichkeit, am mangelnden „Leistungswillen", wenn die mehr als 20 Millionen Arbeiter und Angestellten in der BRD nicht längst in den Vorständen und Aufsichtsräten der Konzerne und Großbanken sitzen und von den eingestrichenen dicken Dividenden leben können. Tatsächlich haben noch nicht einmal die Kinder der Arbeiter die „gleiche Chance" einer or> dentlichen Schulbildung. „So liegt zum Beispiel die Übergangsquote von Grundschülern zum Gymnasium in gutbürgerlichen Wohngegenden Hamburgs zehnmal höher als in Stadtteilen mit sozial schwacher Bevölkerung (achtzig zu acht Prozent)", konstatierte kürzlich „Die Zeit". „Was in den Grundschulen geschieht . . ., ist Erziehungskriminalität", heißt es in dem Artikel, in dem von objektiv nachweisbarer „sozialer Ungerechtigkeit" und von den Grundschulen als „Hinterhöfen der Nation" gesprochen wird
Weil du arm bist, mußt du früher sterben.
Nicht viel anders ist es mit der „Transparenz". Keiner der Großkonzerne denkt auch nur daran, etwa seine Kalkulation vor den Arbeitern offenzulegen und so die vom Monopolkapital in erpresserischer Absicht verbreitete Legende zu gefährden, nicht die Gewinn-explosion der Monopole, sondern die Lohnforderungen der Arbeiter seien die Ursache der ständigen Preissteigerungen.
Es lohnt kaum, auf das „Mandat auf Zeit" einzugehen. Die Vorgänge der letzten Monate im Bonner Bundestag sprechen ihre eigene Sprache. Wo mit Verbotsdrohungen und verfassungswidrigen Schikanen, mit haarsträubenden Lügen und hemmungsloser Hetze — selbst unter Ausnutzung anarchistischer Bombenleger — gegen fortschrittliche Kräfte, besonders die DKP, eine wirklich freie Wähler-entscheidungunmöglich gemacht wird, wo Abgeordnete einem käuflichen „Gewissen" und nicht einem verbindlichen Wählerauftrag unterworfen sind und die Wähler nicht das Recht haben, Abgeordnete auch wieder abzuberufen, hat ein formales „Mandat auf Zeit" nicht das Geringste mit „Demokratisierung" zu tun.
An der „Vielfalt der Meinungen" dagegen ist man tatsächlich interessiert. Je mehr verschiedene Meinungen es zum Beispiel in der Arbeiterklasse gibt, desto sicherer kann sich die Monopolbourgeoisie fühlen. Nur eine Meinung darf es nicht sein: eine marxistischleninistische. Wer sie vertritt, darf — entgegen dem Grundgesetz — keine öffentliche Stellung einnehmen, er wird als potentieller Gewaltverbrecher und Bombenleger verketzert und zum Staatsfeind erklärt, und kein Sozialdemokrat darf — bei Strafe seines Partei-ausschlusses — Kontakt zu ihm haben, da seine Meinung ansteckend ist.
Bliebe noch — über die „Kontrolle" wird später zu sprechen sein — die „konkrete Partizipation", die Mitbestimmung der Arbeiter. Als großer Fortschritt auf diesem Gebiet wird das Anfang 1972 in Kraft getretene neue Betriebsverfassungsgesetz gepriesen. Auch Lohmar sieht darin „eine unmittelbarere Selbst-und Mitbestimmung". Aber auch hier wird er durch die Realitäten widerlegt
Das sind Lohmars „Strukturmaßstäbe" für den Realisierungsgrad der Godesberger „Grund-werte". Das Urteil ist vernichtend — Lohmars schöne Worte von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität erweisen sich als pure Heuchelei, als Versuch, die Arbeiterklase in die Irre zu führen.
„Eigentumspolitik" zur Integration der Arbeiterklasse
Auch das Eigentumsproblem bezieht Lohmar in seine Überlegungen ein. Die SPD wolle „in der Eigentumsfrage ...den kapitalisitischen Sektor abbauen". Fragt sich, wie Lohmar dieses neue Kunststück fertigbekommen will, ohne den „dynamischen Unternehmer", dem Brandt seine „Hochachtung" bekundete
Die „soziale Verpflichtung des Eigentums" steht schon seit 1949 im Grundgesetz der BRD, ohne auch nur im geringsten die ökonomische und politische Machtkonzentration des Monopolkapitals zu beeinträchtigen, geschweige denn, „den kapitalistischen Sektor abzubauen". Nicht anders ist es mit dem „gemeinwirtschaftlichen Sektor" (gemeint sind die kapitalistischen Staatskonzerne und kommunale Unternehmen sowie einige gewerkschaftliche und konsumgenossenschaftliche Unternehmen, die aber im Rahmen der Gesamtwirtschaft keinen wesentlichen Einfluß ausüben).
Im übrigen ist das ganze Gerede von einem kapitalistischen „Sektor" in der Wirtschaft eine glatte Entstellung der Wirklichkeit. Das Wirtschaftssystem in der BRD ist nichts anderes als staatsmonopolistischer Kapitalismus, seine Entwicklung wird durch das Wirken der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus bestimmt, seine Grundlage bildet das private und daneben auch das staatliche kapitalistische Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln, sämtliche Bereiche des Wirtschaftslebens und das gesamte gesellschaftliche Leben werden durch die Monopole beherrscht. Die neben der kapitalistischen Wirtschaft bestehenden Betriebe der einfachen Warenproduktion in Handwerk, Handel und Landwirtschaft sind in ihrer großen Mehrzahl durch Verschuldung, Liefer-und Bezugsabhängigkeit den Monopolen ausgeliefert und zu ihren Anhängseln geworden) *. Lohmar bleibt auch die Antwort auf die Frage schuldig, wer denn die „Kontrolle wirtschaftlicher Macht" ausüben und wie dies geschehen soll.
Etwas genauer kann man es im berüchtigten Antikommunismusbeschluß der SPD nachlesen, in dem von „Kontrolle der Gesellschaft über die wirtschaftlichen Machtmittel mit Hilfe des Staates"
Das Märchen von der „gerechten Verteilung"
Nachdem Lohmar wortreich die Monopol-macht und den „kapitalistischen Sektor" in der Wirtschaft abgebaut hat, geht er auch noch dem Profit der Kapitalisten zu Leibe. „Die Sozialdemokraten wirken (!) der kapitalistischen Profitorientierung ... entgegen." Als Mittel nennt er wiederum — die Auswahl scheint erschöpft zu sein — „Mitbestimmung, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, gemeinwirtschaftliche Industriebereiche" (also ausgerechnet die Staatskonzerne, die eben durch ihre Tätigkeit in wenig profitablen Zweigen günstige Verwertungsbedingungen für das Monopolkapital zu gewährleisten haben)
In der „Kritik des Gothaer Programms" bezeichnete Karl Marx es als „überhaupt fehlerhaft, von der sog. Verteilung Wesens zu machen und den Hauptakzent auf sie zu legen. Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst; letztere Verteilung aber ist ein Charakter der Produktionsweise selbst. Die kapitalistische Produktionsweise z. B. beruht darauf, daß die sachlichen Produktionsbedingungen Nichtarbeitern zugeteilt sind unter der Form von Kapitaleigentum und Grundeigentum, während die Masse nur Eigentümer der persönlichen Produktionsbedingung, der Arbeitskraft, ist. Sind die Elemente der Produktion derart verteilt, so ergibt sich von selbst die heutige Verteilung der Konsumtionsmittel. Sind die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst, so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedene Verteilung der Konsumtionsmittel."
Die Wirtschafts-und Gesellschaftskonzeption des Sozialdemokratismus erweist sich somit auf allen Gebieten als theoretische Grundlage des Versuchs der SPD-Führung, durch die Integration der Arbeiterklasse in das imperialistische System zur Verteidigung und Stabilisierung dieser zum Untergang verurteilten Gesellschaftsordnung beizutragen. Das Ziel, die Welt sozialdemokratisch zu sehen, bedeutet nichts anderes als Konservierung des Kapitalismus auf der einen, Wunschtraum einer kapitalistischen Restauration in den sozialistischen Ländern auf der anderen Seite. Lohmars Thesen und ihre „antikapitalistischen" Schlagworte haben hierbei lediglich die Funktion eines rosaroten Feigenblattes zu erfüllen.